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Dem Herrn Hauptmann W. Brandford Shubrick.
Einschiffung zur Reise nach Dover. – Canal. – Stadt. – Felsen und Hafen. – Contrast zwischen England und Frankreich. – Fortificationswerke. – Shakspeare's Felsen. – Aussicht von der Höhe. – Gefühle in Bezug auf England. – Polizei-Amt. – Englische Postkutsche. – Vermoderte Straßen. – Thee in England.
Es war an einem schönen Tage des Monats Februar, als wir das Hôtel Dessin verließen, um uns nach Dover einzuschiffen. Der Quai war mit tobenden Lastträgern angefüllt, während die Gensdarmen ein wachsames Auge auf die Beobachtung der polizeilichen Vorschriften hatten, damit nicht irgend ein Schelm mehr oder weniger unentdeckt von einer der beiden großen Hauptstädte zur andern gelangen möchte. Da ich einen Commissionair, der zu unserem Gasthofe gehörte, angenommen hatte, so durfte ich weiter nichts thun, als eine Treppe von etwa funfzehn Stufen in das Boot hinabgehen. Das Steigen und Fallen des Wassers ist hier so groß, daß die Schiffe zuweilen mit dem Quai gleich hoch stehen, und zuweilen drei bis vier Faden tiefer als derselbe liegen.
Aus Mißtrauen gegen die Geschicklichkeit der französischen Seeleute hatten wir bei unserer Ueberfahrt das englische Dampfboot dem französischen vorgezogen. Die Reise war zwar durchaus nicht lang; so kurz sie aber auch war, so ernteten wir doch alle Vortheile unserer guten Wahl, indem wir über eine Stunde früher ankamen als unser Rival.
Bei hellem Wetter ist es möglich, von der französischen Küste aus Dover zu sehen; diesmal hatten wir jedoch nichts vor uns als einen ausgedehnten Wasserhorizont, während wir durch die lange Einfahrt aus unserm kleinen Hafen in die Nordsee fuhren. Der Tag war ruhig und, wie es häufig bei schnellen Fluthen und engen Passagen stattfindet, der Canal war so glatt und eben wie ein Teich.
Der Charakter-Unterschied zwischen den beiden großen Nationen, die so nahe neben einander wohnen, daß sie fast gegenseitig ihre Hähne krähen hören können, ist selbst an der Meerenge sichtbar, die sie trennt. An der französischen Küste sahen wir einige Fischerböte mit lohfarbenen Segeln, die für einige Restaurateurs in Paris beschäftigt waren, während sich die geschwellten Segel von zahllosen Schiffen aus dem Busen des Meeres erhoben, als wir der englischen Küste entgegenflogen. Ich glaube, wir begegneten mehr als fünfzig großen Schiffen, bevor wir die englische Küste zu Gesicht bekamen. Mehrere davon waren Indienfahrer, und nicht wenige Kohlenschiffe, die ihre Ladung dem räucherigen London zuführten.
In den Jahren 1806 und 1807 passirte ich die Meerenge vier Mal. Um diese Zeit beobachtete England alle Bewegungen Napoleons mit Eifersucht. Ich erinnere mich noch, daß wir uns im Herbste 1806, als eben der Tag grauete, in der Gegend von Dungeneß befanden; und ein sprechenderes Bild der Wachsamkeit kann man sich nicht vorstellen, als der Canal bei jener Gelegenheit bot. Die Nähe der beiden Küsten setzte die Franzosen oft in den Stand, englische Kauffahrer zu kapern; und die erwähnten Vorsichtsmaßregeln waren getroffen, um den Handel von London zu sichern. Kein besserer Beweis von der Unfähigkeit der Franzosen als Seevolk kann geliefert werden, als das einfache Faktum, daß sie Häfen besitzen, die keine Geschicklichkeit im Stande ist, innerhalb dreißig Stunden von der Mündung der Themse zu blockiren, und daß es England möglich machte, den Handel seiner Hauptstadt während eines langen und erbitterten Krieges ununterbrochen aufrecht zu erhalten. Ich bin der Meinung, daß ein tüchtiges Seevolk in den ersten fünf Jahren die Hälfte des Handels nach Liverpool oder Bristol getrieben haben würde.
Das Packetboot wurde vortrefflich geführt, wenn gleich wir auch nur mit einer sehr ruhigen See zu thun hatten. Die Ruhe und Ordnung, welche überall herrschte, bewiesen uns hinreichend, daß sich die Schiffsmannschaft auch bei einem schwierigern Fall gut bewährt haben würde. Mich überraschten jedoch die kleinen Gestalten der Mannschaft, die aus lauter untersetzten unansehnlichen Leuten bestand, welche gewiß in Verlegenheit gerathen wären, wenn sie auf den untern Segelstangen eines größern Schiffes hätten Dienste thun sollen. Ich habe diese Eigenthümlichkeit bei mehreren Gelegenheiten bemerkt, und ich bin überzeugt, daß die englischen Seeleute, die wir beide früher in unserer Heimath gesehen haben, alle größer waren als diese. Ein hohes Gehalt verlangt auch in der Regel eine bessere Qualification zum Dienst, und hierin mag, wie ich glaube, die Erklärung des angeführten Umstandes liegen. Auf jeden Fall habe ich bei unserer Marine niemals so kleine Leute gesehen, und aus unserm alten Freund Jack Freeman ließen sich vier von ihnen schnitzen.
Nach einer Fahrt von zwei Stunden wurden die Felsen von Dover deutlich sichtbar; der Nebel hatte sie uns entzogen, bis wir ziemlich dicht an die Küste gekommen waren. Obgleich diese berühmten Kalkfelsen keine Vergleichung mit den herrlichen Küsten des mittelländischen Meeres vertragen, die Ihnen so wohl bekannt sind, so bilden sie doch schöne Erhebungen, und verdienen die Auszeichnung, von Shakspeare erwähnt worden zu sein.
Die Stadt Dover liegt zum Theil in einem engen Thal zwischen zwei Felsen, und zum Theil am Meeresufer am Fuße derselben. Es scheint, als hätte die Natur an diesem Punkte offenbar einen Weg zwischen den Kalkbergen hindurch nach dem Meere gelassen; denn während die Berge höchstens drei- bis vierhundert Fuß hoch sind, so nimmt man auf der Straße, die ins Land hineinführt, doch kaum eine Erhebung wahr. Der Ort ist natürlich und poetisch schön; denn wenn man bedenkt, daß sich diese zufällige Formation gerade an derjenigen Stelle der Insel befindet, die dem Continent am nächsten liegt, so gewinnt er den Charakter eines prächtigen Einganges zu einer großen Nation. Die Klippen dehnen sich mehrere englische Meilen zu beiden Seiten der Stadt aus, und werden endlich in der Richtung von Hastings und Dungeneß zu einem ansteigenden, urbaren Ackerlande. Dungeneß ist der Ort, wo Wilhelm der Eroberer landete; und ich halte diesen Punkt auch für geeigneter zu einem solchen Zwecke, als irgend einen andern Punkt an der englischen Küste. Am Meeresufer befinden sich noch Ueberreste der Befestigungswerke, die man zur Zeit der drohenden französischen Invasion aufwarf; und ich erinnere mich noch sehr gut der Zeit, wo diese Werke reichlich mit Kanonen gespickt waren.
Der Anblick von Dover und seinen Felsen, als wir uns der Küste naheten, war gefällig und in einiger Beziehung sogar schön. In dem künstlichen Theil des Gemäldes fand man zwar nichts von dem Klassisch-Malerischen, aber mit dem Ort waren so viel Erinnerungen aus der englischen Geschichte verknüpft, daß selbst die alten Schornsteine, mit denen die Felsen den Ort reichlich versorgt hatten, ehrwürdig und anziehend aussahen. Auch das Schloß, welches auf dem östlichen oder vielmehr nördlichen Berge steht, ist ein schickliches Gebäude, das sich sehr leicht durch die Einbildungskraft bevölkern läßt. Ich glaube, ein Theil desselben wird dem großen Baumeister Cäsar zugeschrieben.
Der Hafen ist nur klein, doch liegt er sehr bequem und sicher von der Stadt umschlossen. Die Einfahrt ist durchaus eine künstliche, obgleich ich keine Thore bemerkt habe. Wenn sich auch sein Verkehr hauptsächlich nur auf die Communication mit Frankreich bezieht, so glaube ich doch, daß Schiffe von Bedeutung einfahren können. Der Damm ist an und für sich eine sehr schöne Promenade, und alle öffentlichen Werke, die damit in Verbindung stehen, sind äußerst solide und achtbar. Wir gleiteten um ein Uhr ruhig in diesen kleinen Hafen, und betraten abermals den Boden von Alt-England.
Wenn wir durch den Contrast zwischen England und Frankreich bei unserm ersten Besuch des letzteren Landes überrascht wurden, so wurden wir es, wie ich glaube, noch mehr, als wir zu dem ersteren zurückkehrten. Noch vor vier Stunden befanden wir uns in dem Lande der Höflichkeit, des Geschreis, der Fröhlichkeit und des Betrugs, auf dem Quai von Calais, und jetzt befanden wir uns auf dem von Dover, in dem Lande der affectirten Ruhe, des mürrischen Wesens, der Erpressung, des »Dank Ihnen« und der halben Kronen. Es würde schwierig gewesen sein, anzugeben, welches von beiden schlimmer sei; doch glaube ich, daß man im Ganzen in dem letztern noch immer besser fortkommt; denn wer bezahlt, dem wird seine Arbeit ohne viele Redensarten verrichtet. Die Franzosen nennen einen englischen Lastträger oder Hafenarbeiter zuweilen einen Schreier; doch verdienen dieselben diesen Namen im Vergleich mit einem echten französischen Prolétaire durchaus nicht, zumal wenn dieser noch sein Mittagbrod zu verdienen hat. In England stirbt ein solcher Mensch wenigstens vor Hunger, ohne ein Wort zu sagen.
Wir begaben uns nach Wright's Hôtel, bestimmt der beste Gasthof in Dover, und er bewies sich einem französischen Gasthof oder einem amerikanischen unter diesen Umständen so wenig ähnlich wie möglich. Das Haus war klein, durchaus nicht so groß wie die meisten unserer Dorfschenken, und in Bezug auf Ausdehnung durchaus nicht mit dem Hôtel zu vergleichen, welches wir so eben auf der andern Seite des Canals verlassen hatten; aber es war geräuschlos und geräumig. Es war eben nicht sauberer als Dessin's, oder ein guter amerikanischer Gasthof; aber die ruhige Weise, mit welcher die Aufwärter Ihre Dienste verrichteten, war etwas ganz Unbezahlbares. An einer so großen Heerstraße wie diese, würden wir Amerikaner ein ungeheures Gebäude mit ganz kleinen Schlafzimmern, einem großen Eßsaal und einer Küche errichten, wie sie sich für eine Kaserne eignen möchte; und in dieser respublica von einem Gebäude würden die Reisenden ohne Unterschied zu derselben Lebensweise emporgehoben oder hinabgedrückt werden; denn es gilt in Amerika fast für einen Verstoß gegen die Moral, wenn ein Mann noch keinen Appetit hat, während die andern schon hungrig sind, oder wenn er noch etwas essen will, nachdem die Masse bereits dinirte. In der Mitte des Geräusches und Getümmels einer solchen Karavanserei würde ein Amerikaner, wie er es nennt, im »glänzenden Styl« leben. Ein »glänzendes Elend« würde man es nennen müssen, wäre nicht die Anwendung des ersten Wortes hier abgeschmackt.
Ich habe oft daran gedacht, daß die Regelmäßigkeit, Ruhe, Ordnung, Reinlichkeit und Schicklichkeit eines englischen Gasthofes, vereinigt mit den Betten, der Eleganz, dem Tische und den Getränken eines französischen Gasthofes, das non plus ultra eines Hôtels geben würde; und das Gasthaus zu Calais, welches in einiger Beziehung durch seine Lage sehr viel Englisches angenommen hat, führt den Beweis dazu. Es drängt seinen englischen Nebenbuhler zu Dover gänzlich in den Schatten. Wir vermißten die Spiegel, das Tischgeschirr und die guten Manieren; doch gewannen wir dafür einen guten Theil wirklichen Comforts.
Während sich W. nach dem Zollhause begab, nahm ich mit Madame – einen Führer, und wir gingen aus, um die Felsen zu besuchen. An der einen Seite erhebt sich der Kalkstein so steil wie eine Mauer, und an seinem Fuß hängen die Häuser. An diesem Punkte ist ein Schacht mit einer Wendeltreppe hineingehauen, auf welcher wir auf die Höhe gelangten. Diese Passage war angebracht worden, um die Verbindung zwischen den verschiedenen Festungswerken zu erleichtern. Als wir die Stufen verließen, befanden wir uns auf einem unregelmäßigen Abfall, der den Gipfel der Felsen bildete und mit Gras bewachsen war. Von der senkrechten Erhebung kamen vielleicht zwei Drittel auf die steilen Kalkfelsen, die nach dem Canal hingewendet sind, und das andere Drittel auf den grünen Abhang, auf welchem wir standen.
Hier trafen wir Werke der neueren Befestigungskunst, bestehend aus den gewöhnlichen Brustwehren, Gräben und Glacis. Der Führer, bemüht, uns seine Waare zu zeigen, führte uns nach dem Fort durch eine enge Passage hinauf, die sich, wie er versicherte, luftleer machen ließ, – ein ganz neues Kriegsmittel, welches ich hier jedoch nicht für nöthig halten würde, da ein Feind, der im Sturmschritt bis zu dieser Pforte gelangte, schon ohnedies außer Athem sein muß. Als wir hinaufstiegen, fragte ich mehr als einmal mit dem alten Gloster:
»Wann kommen wir zum Gipfel dieses Bergs?«
Die Ehre der Erfindung wurde durch unsern Führer, der ein alter Soldat war, dem Herzoge von Wellington beigelegt. Aber das Militairische an diesem Orte zog uns gerade am wenigsten an; wir befanden uns eben auf dem Felsen des Fenchelsammlers:
»– halbwegs hinab
hängt Einer, Fenchel sammelnd, – schrecklich Handwerk! –
Mir dünkt, er scheint nicht größer als sein Kopf.
Die Fischer, die am Strande gehn entlang,
Sind Mäusen gleich: das hohe Schiff am Anker
Verjüngt zu seinem Boot, das Boot zum Tönnchen,
Beinah zu klein dem Blick: die dumpfe Brandung,
Die murmelnd auf zahllosen Kieseln tobt,
Schallt nicht so hoch. –«
Es ist ganz erwiesen, daß Edgar nicht recht aufrichtig gegen den alten Mann verfuhr; denn die ganze Beschreibung ist eigentlich nicht Wahrheit, sondern nur Poesie. Nachdem man den Gipfel der Höhe erstiegen, welches ohne die erwähnte Treppe nur von hinten her geschehen konnte, würde man noch eine große Strecke durch den erwähnten grünen Abhang hinabzusteigen haben, um den äußersten Rand der Klippen zu erreichen.
Dennoch war die Aussicht imposant und schön. Wir übersahen natürlich den Canal, und erblickten eine kurze Zeit die französische Küste. Große Schiffe schwammen auf dem Wasser umher, obgleich weder ihre Böte noch die Tonnen sichtbar waren. Dr. Johnson hat dem großen Shakspeare über seine Kenntniß von nautischen Ausdrücken viele Complimente gemacht; doch würden wir beide dies gewiß nicht gethan haben. In der eben angeführten Stelle geht der Dichter in seinem Antiklimax vom großen Schiff zu seinem Boot, und von dem Boot zur Signaltonne über! Dies ist Poesie, und daher mag es passiren; ein Seemann würde sich jedoch genauer ausgedrückt haben.
Vor etwa zwölf Jahren machte ich einen Versuch mit einer nautischen Beschreibung – ein Genre, das damals noch ganz neu war. Bemüht, die Wirkung zu erfahren, welche diese auf das Publicum hervorbringen würde, las ich unserm alten Schiffscameraden, dem jetzigen Capitain, ein Capitel daraus vor, welches einen Bericht von dem Manöver eines Schiffes gab, das während eines Sturmes auf die Küste läuft. Ich hatte mich bemüht, alle technische Ausdrücke zu vermeiden, um poetisch zu sein, obgleich der Gegenstand durchaus der Verständlichkeit halber ein genaues Detail verlangte. Mein Zuhörer verrieth Interesse, während ich mit der Beschreibung vorrückte; endlich konnte er nicht mehr still sitzen. Er ging im Zimmer auf und nieder, bis die Vorlesung beendet war; und als ich eben das Papier niederlegte, sagte er: »Es ist Alles recht gut, aber Sie haben ihr Bugspriettau zu lange ganz gelassen, mein schöner Herr!« Ich riß es sogleich noch schnell entzwei.
Der Theil der Aussicht von den Höhen von Dover, welcher uns als der ungewöhnlichste überraschte, war das Inland. Frankreich zeigte sich uns von Paris bis Calais braun und fast ganz ohne Vegetation, während wir jetzt England mit einem dunkeln Grün überzogen fanden, welches ich früher nie im Februar gesehen hatte; kurz dieses Land war jetzt weit grüner als zu der Zeit, wo wir es verließen, nämlich im Juli 1826. Es ist wahr, die Felder waren nicht mit dem lebhaften Grün des jungen Grases bedeckt, sondern sie hatten einen dunkeln und reichen Anblick, der die Idee eines guten Bodens und einer trefflichen Wirthschaft erweckte. Etwas davon mochte wohl auf Rechnung lokaler Ursachen zu setzen sein; denn ich glaube, mehr nach London hin war das Land nicht mehr so grün wie an den Küsten.
Der Mangel an Laubholz würde, wenn dieses tiefe Grün nicht dagewesen wäre, die Landschaft nackt und unfruchtbar für das Auge gemacht haben. Jetzt aber hatte der ganze Distrikt, den wir von den Höhen aus übersahen, einen sonntäglichen Anstrich, und glich sehr einem für den Feiertag rasirten und angezogenen Handwerker. Wir gemerkten nur wenige Gebäude auf den Feldern, und die wir sahen, erinnerten uns, mit Ausnahme des Schlosses und einiger öffentlichen Häuser, auf eine sonderbare Weise an unsere kleinen, soliden, anspruchslosen aber bequemen Backsteinwohnungen, die man in Neu-Jersey, Maryland und Delaware mehr als irgend einem andern Theil von Amerika findet. Dies ist gerade dasjenige Stück der Vereinigten Staaten, welches England am meisten ähnlich sieht, und wo, wie ich glaube, auch das reinste Englisch gesprochen wird. Er kommt, was Architektur, häusliche Gewohnheiten und Sprache anbetrifft, von Allem, was wir haben, England am nächsten; und ich schreibe diese Thatsache dem Umstande zu, daß dieser Theil der Vereinigten Staaten besonders durch Emigranten aus den flachen Gegenden des Mutterlandes angebaut wurde.
Wir blickten auf dieses Bild von England mit sehr bewegten Gefühlen. Es war das Land unserer Väter, und es enthielt außer tausend Dingen, die uns zur Liebe aufforderten, auch fast eben so viele Dinge, die unser Herz bedrängten. Indem ich mich so am eigentlichen Portal des Landes befand, dachte ich mit Besorgniß daran, was sich in den nächsten drei Monaten ereignen möchte. Vor zwei und zwanzig Jahren war ich als ein muthiger Knabe mit Gefühlen von Achtung und Bewunderung an das Ufer gehüpft. Diese Gefühle waren die Früchte der Tradition meines Volkes; und ich liebte England fast eben so wie mein Vaterland. Ich war unter Leuten geboren und erzogen worden, die auf England wie auf das Ideal der Politik, der Moral und Literatur blickten. Diese Gefühle hatte ich eingesogen, wie es in Amerika Alle bis zum Anfange des letzten Krieges gethan hatten. Ich war gewohnt gewesen, zu sehen, wie man einem Engländer alle Thüren öffnete, und zu hören und zu denken, daß sein Anspruch auf unsere Gastfreundlichkeit der eines Bruders wäre, der nur durch Zufall von uns getrennt wurde.
Ach! wie bald wurden diese jungen und edelmüthigen Gefühle zu Schanden. Ich bin während meines ganzen Lebens viel unter Engländern umhergeworfen worden, – ich achte viele sehr, – einer von ihnen gehört sogar zu meinen besten Freunden, – und ich habe in diesem Königreiche persönlich mehr erfahren als kalte Aufmerksamkeiten; dennoch kann ich mich nicht eines einzigen Mannes erinnern, der mir darum herzlicher und offener die Hand gereicht hätte, weil ich ein Amerikaner bin. Das Band einer gemeinschaftlichen Abstammung scheint zwischen ihnen und uns gänzlich zerrissen; und wenn ich mir Freunde unter ihnen erwarb, so habe ich allen Grund zu glauben, es geschah eher, trotz dem ich ein Amerikaner, als weil ich einer bin. Andere meiner Landsleute sagen mir dasselbe, und ich bin fest überzeugt, Niemand betritt das Land von unserer Seite her, der nicht erst die mit seiner Geburt in Verbindung stehenden Vorurtheile zu überwinden hat, bevor ihm mit andern Fremden gleiche Rechte gestattet werden. Noch ehe drei Monat vergehen, werden wir abermals Gelegenheit haben, dies zu bemerken.
Als wir nach unserm Gasthof zurückkamen, fanden wir, daß uns das Einführen unserer Sachen einige Kosten machen würde, und daß wir uns persönlich auf der Polizei zu präsentiren hatten. Diese Ceremonie, die weit unangenehmer war als Alles, was wir bisher in Europa erfahren, eignete sich eben nicht dazu, uns das Gefühl der Heimath einzuflößen. Wir begaben uns selbst mit allen Kindern hin, und wurden gehörig einregistrirt. Ich will gerade nicht sagen, daß eine solche Maßregel unnöthig wäre; denn die Polizei zweier Residenzstädte wie London und Paris muß mit der größten Wachsamkeit verfahren; doch ist es mindestens immer höchst unmanierlich, eine solche Maßregel auch bis auf die Damen auszudehnen. In jeder andern Beziehung wurden wir mit Höflichkeit behandelt; und da das Gesetz damals noch neu war, so ist es leicht möglich, daß die Polizei-Agenten es zu wörtlich auslegten.
Madame – hatte für einige Kleider einen bedeutenden Eingangszoll zu zahlen, obgleich sie zu ihrer gewöhnlichen Garderobe gehörten. Solche Maßregeln mögen jedoch bei der Stellung dieser beiden Länder zu einander wohl nöthig sein; und es wird sich nicht gut thun lassen, einen Unterschied in dieser Beziehung zwischen Eingebornen aus jenem Lande und Reisenden zu machen. Ich habe allen Grund, günstig von den englischen Zollhäusern zu sprechen, die bei jeder Gelegenheit einen Geist der Liberalität, und bei zwei Fällen, wo ich Partei war, sogar eine großmüthige und anständige Gesinnung zeigten, welches mir bewies, wie richtig die Beamten den Geist ihrer Pflicht aufgefaßt hatten. In meinem Fall sind die Einkünfte dadurch nicht um einen Pfennig verringert worden, und man hat beiden Theilen viele unnöthige Umstände erspart.
Nachdem wir zu Mittag gegessen, welches ohne Servietten geschehen war – ein Umstand, den wir sogleich bemerkten – traf ich Vorbereitungen zur Weiterreise. Die französische Caleche war natürlich in Calais gelassen worden; Herr Wright gab uns jedoch eine ordentliche Postkutsche, die unser Gepäck und uns Alle bequem aufnahm. Dies Fahrzeug wich nur sehr wenig von den eigentlichen Schnellpostwagen ab.
Als diese Equipage bei uns vorfuhr, bekamen wir sogleich eine Idee von den Vorzügen, die das Reisen in England vor dem in Frankreich hat. Die Größe und das Gewicht der Postkutsche nöthigten mich, vier Pferde zu bestellen, welche auch alsbald in der Form von eben so vielen Vollblutsthieren erschienen, die nur – es ist wahr, – etwas am Widerrist gedrückt, sonst jedoch sehr muthig waren, und von zwei schlanken Postillons mit weißen Hüten, rothen Jacken und hohen Stiefeln geführt wurden.
Ich fragte nach dem Zustand der Straßen.
»Sehr schlecht, Sir,« rief Herr Wright, der eine wohlgenährte und sehr zufriedene Miene ohne den geringsten mürrischen Anflug hatte – »ganz vermodert, Sir.«
Ich war neugierig, eine vermoderte Straße zu sehen. Ich gab den Befehl zum Abfahren, und wir flogen in einem Trabe dahin, der den Ställen von Dover alle Ehre machte. Der Tag war rauh und windig, und die Burschen, von denen der älteste fünfzehn Jahr alt war, hingen bei einem Chausséehause große Mäntel über ihren Putz. Ich nahm die Gelegenheit wahr, um zu fragen, wann wir die vermoderten Straßen erreichen würden; man gab mir zur Antwort, daß wir uns bereits darauf befänden. Die Straße war gelegentlich mit Wasser bedeckt, und es befanden sich Löcher von höchstens zwei Zoll Tiefe darin; dies nannte man hier vermoderte Straßen. W– lachte darüber, und war neugierig zu hören, was diese Leute zu einer Straße sagen würden, die den Boden verloren hat, und deren es in Amerika so viele giebt.
Die Schnelligkeit, mit der wir uns bewegten, schien eben nicht groß zu sein, denn die Pferde liefen dem Anscheine nach mit der größten Bequemlichkeit; und dennoch legten wir den Weg zwischen Dover und Canterbury – etwa sechzehn englische Meilen – in anderthalb Stunden zurück. Hätte man dies mit französischen Pferden machen wollen, so würden sie während der ganzen Zeit nicht aus dem Stöhnen und Schnauben herausgekommen sein.
Die Straße war sehr schmal; sie folgte den natürlichen Windungen des Bodens, und glich in jeder Beziehung – die Vortrefflichkeit ausgenommen – unsern eigenen Landwegen. Es ist sonst nicht gewöhnlich, so wenig Raum zwischen den Einhegungen auf beiden Seiten des Weges zu finden, wie es hier fast überall auf dieser großen Heerstraße der Fall war. Die Gegend war petite, wenn Sie die Bedeutung eines solchen Wortes verstehen, womit ich enge Thäler, niedrige Hügel und begrenzte Aussichten bezeichnen will. Dies halte ich überhaupt für den vorherrschenden Charakter der englischen Gegenden, die ihre Schönheiten hauptsächlich ihrer Vollendung und einem gewissen Ansehen ländlicher Sauberkeit und Bequemlichkeit verdanken. Wir vermißten die Wälder Frankreichs, denn die Hecken boten um diese Jahreszeit keinen besondern Ersatz.
Canterbury liegt auf einer Ebene, und wir fuhren nach dem Gasthofe eines andern Herrn Wright. Wir hatten mit Einschluß von Dover und London vier Wirthe dieses Namens auf unserer Straße. Wir bestellten Thee, und er duftete uns recht heimathlich entgegen. Der summende Kessel, das vortrefflich geröstete Brod, das wohlriechende Getränk, das behagliche Kohlenfeuer und die vollkommene Sauberkeit jeglicher Sache waren nach so vielen vergeblichen Versuchen, diese Dinge in Frankreich aufzutreiben, höchst willkommen. Ich lobe mir ein französisches Frühstück, und einen englischen oder amerikanischen Thee.