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Helft, Leute helft; hier hängt ein Fisch im Netze,
wie eines armen Mannes Recht vor dem Gericht.
Perikles von Tyrus
Es ging nun mit dem Vorrücken der Jahreszeit ebenso schnell, wie ihr Beginn zögernd und langwierig gewesen war. Eine gleichförmige Milde bezeichnete die Tage, während die allerdings noch kühlen Nächte wenigstens keinen Reif mehr brachten. Der Windfänger ließ seine melancholischen Töne am Ufer des Sees vernehmen, und Sümpfe und Wiesen entsandten die Musik ihrer tausend Bewohner. Das Laub der einheimischen Pappel zitterte in den Wäldern; die Flanken der Berge begannen ihre braune Farbe zu verlieren und vertauschten sie mit dem lieblichen Grün der Laubhölzer, in das sich das dunkle Immergrün der Fichte und Tanne mischte; selbst die Knospen der trägeren Eiche schwollen und verkündeten die Ankunft des Sommers. Die lustige Bachstelze, das gesellige Rotkehlchen, der emsige kleine Zaunkönig belebten die Felder mit ihrer Gegenwart und ihren Gesängen, während der hochfliegende Fischadler bereits über den Wassern des Otsego schwebte und mit angeborener Gefräßigkeit auf das Auftauchen seiner Beute lauerte.
Die Insassen des Sees waren weit und breit, sowohl um ihrer Menge als um ihrer Qualität willen berühmt, und das Eis war kaum verschwunden, als von den Ufern zahllose kleine Boote abstießen, aus denen der Fischer seine Angelschnur in die innersten Winkel der tiefsten Höhlen warf, um die unvorsichtigen Tiere mit jeder Art Köder, welche menschlicher Scharfsinn erfunden, zu berücken. Aber der langsame, obgleich sichere Versuch mit Schnur und Angel sagte der Ungeduld der verschwenderischen Ansiedler nur wenig zu. Man nahm seine Zuflucht zu verheerenderen Hilfsmitteln, und als die Jahreszeit eintrat, zu welcher das Fischen mit Netzen nach dem von Richter Temple erwirkten Gesetz erlaubt war, erklärte der Sheriff seine Absicht, in der nächsten dunklen Nacht eine solche Belustigung in Person zu leiten.
»Du sollst auch dabei sein, Bäschen Elisabeth«, fügte er bei, als er sein Vorhaben kundtat, »und auch Miss Grant nebst Herrn Edwards. Da will ich euch zeigen, was fischen heißt; denn das Zupfen, Zupfen und Zupfen, wie es Duke beim Forellenfang tut, kann ich nicht Fischfang nennen. Was will das heißen, wenn man stundenlang in der glühenden Sonne oder vielleicht an den kältesten Wintertagen unter etlichen Büschen vor einem Loch im Eise sitzt, wobei einem noch obendrein all diese Selbstkasteiung nicht einen einzigen Fisch einträgt. Nein, nein, – gebt mir ein gutes, fünfzig oder sechzig Klafter langes Netz mit etlichen lustigen Burschen zu Gehilfen und Benjamin ans Steuer; und ihr werdet sehen, daß wir sie zu Tausenden herausholen. Das nenne ich fischen.«
»Ach, Dick«, rief Marmaduke, »du weißt nicht, welch ein Vergnügen es ist, die Angelschnur spielen zu lassen, sonst gingest du sparsamer mit diesen Tieren um. Wie oft mußte ich nicht mitansehen, daß du, wenn du eine Nachtpartie auf dem See leitetest, Überreste genug zurückließest, um ein Dutzend ausgehungerter Familien damit sättigen zu können.«
»Ich will darüber nicht mit dir streiten, Richter Temple. Ich lade die Gesellschaft ein, mich diese Nacht zu begleiten, und dann soll sie zwischen uns beiden entscheiden.«
Richard war während des ganzen Nachmittags beschäftigt, für sein Vorhaben die geeigneten Vorkehrungen zu treffen. Sobald das Licht der untergehenden Sonne verschwunden war und die Schatten des aufgehenden Mondes über die Erde fielen, setzten sich die Fischer in ein Boot, um nach einer Stelle am westlichen Ufer des Sees zu fahren, die etwas mehr als eine halbe Meile vom Dorf entfernt war. Da das Gestade auf dieser Seite gelichtet und der Boden gut und trocken war, zog Marmaduke – mit seiner Tochter, ihrer Freundin und dem jungen Edwards – einen Spaziergang durch das hohe Gras vor, und so begaben sie sich denn nach dem Abfluß der schönen Wasserfläche, wobei sie das dunkle, über den See hinfahrende Boot im Auge behielten, bis es sich beim Eintritt in die westlichen Berge ihren Blicken entzog. Die Entfernung zu Lande bis zum verabredeten Treffplatz betrug eine Meile.
»Es ist Zeit, daß wir uns beeilen«, bemerkte Marmaduke. »Der Mond wird hinunter sein, bis wir an Ort und Stelle anlangen, und Dick hat dann vielleicht seine bewundernswürdigen Fischzüge schon begonnen.«
Der Abend war warm, und nach dem langen und trübseligen Winter, der kaum erst Abschied genommen hatte, wahrhaft entzückend. Die jüngeren Glieder der Gesellschaft folgten, begeistert von der schönen Naturszene und dem erhofften Vergnügen, dem Richter auf dem Fuße, als er sie die Ufer des Otsego entlang durch die Güter der Dörfler führte.
»Seht!« rief der junge Edwards, »sie zünden bereits ihr Feuer an; es glimmt für einen Augenblick auf und stirbt wieder hin, wie das Licht eines Leuchtkäfers.«
»Jetzt lodert es auf«, rief Elisabeth. »Man kann die Gestalten sich um das Licht bewegen sehen. Oh, ich wollte meine Juwelen gegen Remarkables goldene Halsschnur wetten, daß mein ungeduldiger Vetter Dick beim Anzünden dieser hellen Flamme tätig gewesen ist, – und seht! es sinkt schon wieder zusammen, wie die meisten seiner glänzenden Entwürfe!«
»Du hasts getroffen, Beß«, versetzte der Vater, »er hat einen Armvoll dürres Reisig zugelegt, das zwar schnell aufbrennt, aber ebenso schnell wieder erlischt. Doch hatte es wenigstens das Gute, daß sie besseren Brennstoff finden konnten; denn ihr Feuer beginnt mit einer stetigen Flamme zu lodern, es gleicht jetzt einer Feuerwarte für Fischerboote; sieh nur, in welchen schönen Lichtkreisen es sich im Wasser spiegelt.«
Der Anblick des Feuers veranlaßte die Fußgänger zu größerer Eile; denn selbst die Damen brannten vor Begierde, Zeugen des wunderbaren Fischzugs zu sein. Endlich langten sie an dem Rand des Ufers an, der gegen den Punkt, wo die Fischer gelandet waren, abfiel. Die Mondsichel war hinter die Spitzen der westlichen Fichten hinabgesunken, die Mehrzahl der Sterne durch Wolken verdüstert, und so war nirgends ein anderes Licht sichtbar als dasjenige, welches von dem Feuer ausging. Marmadukes Wunsch gemäß machten sie jetzt ein wenig halt, um die unten Befindlichen zu mustern und auf ihre Unterhaltung zu horchen, ehe sie selbst hinabstiegen.
Die ganze Gruppe war – mit Ausnahme Richards und Benjamins – um das Feuer versammelt. Der erstere saß auf der Wurzel eines morschen Baumstumpfes, den man als Brennmaterial herbeigeschafft hatte, und der letztere stand mit in die Seite gestemmten Armen so nahe an der Flamme, daß der Rauch hin und wieder seine gravitätischen Züge verdunkelte, wenn er, dem Nachtwind, der sanft über das Wasser her wehte, gehorsam, den Holzstoß umwirbelte.
»Nun ja, sehen Sie, Squire«, sagte der Majordomo, »Sie mögen einen Seefisch, der zwanzig oder dreißig Pfund wiegt, einen gewichtigen Fang nennen; wer aber schon einen schaufelnasigen Haifisch herausgeholt hat, dem muß er im Grunde doch nur als eine Armseligkeit vorkommen.«
»Ich weiß nicht, Benjamin«, entgegnete der Sheriff, »aber das Heraufziehen von tausend Otsegobarschen, die Hechte, Karpfen, Plattköpfe, Lachsforellen und Saugfische gar nicht mitgezählt, – laßt Euch sagen, so etwas ist gar keine üble Fischerei. Es mag allerdings eine Lust sein, einen Hai zu spießen; aber für was ist er gut, wenn man ihn hat? Dagegen sind die von mir genannten Fische lauter Arten, die man auf eine königliche Tafel bringen könnte.«
»Nun, Squire«, versetzte Benjamin, »man muß vor allen Dingen die Philosophie einer Sache loshaben. Wäre es vernünftigerweise nur denkbar, daß ein solcher Fisch in diesem Weiher da leben und gefangen werden könnte, wo es kaum tief genug ist, um darin zu ersaufen? Betrachten sie dagegen den weiten Ozean; da weiß doch jedermann – das heißt jedermann, der zur See gewesen ist –, daß er Walfische und Meerschweine enthält, welche so lang sind wie eine der Fichten auf dem Berg.«
»Gemach, gemach, Benjamin«, sagte der Sheriff, der die Ehre und Glaubwürdigkeit seines Günstlings retten zu wollen schien. »Bedenkt, daß einige der Fichten zweihundert Fuß und drüber messen.«
»Zweihundert oder zweitausend, das ist all eins«, rief Benjamin mit einer Miene, die deutlich bekundete, daß er nicht geneigt war, sich so leicht von seiner ausgesprochenen Behauptung abbringen zu lassen. »Bin ich nicht selbst auf dem Meere gewesen und habe es mit meinen eigenen Augen gesehen? Ich sagte, daß es Walfische gebe, so lang wie eine von jenen Fichten dort; und was ich einmal gesagt habe, dabei bleibe ich.«
Während dieser Zwiesprache, die augenscheinlich nur der Schluß einer viel längeren Erörterung war, sah man Billy Kirbys riesige Gestalt sich an der Seite des Feuers ausrecken, wo er sich nachlässig mit einem Holzsplitter die Zähne ausstocherte und gelegentlich, voll Mißtrauen gegen Benjamins Behauptungen, den Kopf schüttelte.
»Ich bin der Ansicht«, begann der Holzfäller, »daß in diesem See Wasser genug ist, um den größten Walfisch, der je aufgefunden wurde, darin schwimmen zu lassen; was die Fichten anbelangt, so sollte ich doch meinen, daß ich etwas von ihnen verstehen muß. Ich habe manche niedergehauen, die sechzigmal länger war als der Stiel meiner Axt, und ich glaube, Benny, wenn die alte Fichte, die in der Eintiefung des Visionsbergs gerade über dem Dorf steht – Ihr könnt den Baum dort sehen, denn der Mond beleuchtet eben noch seine Spitze – nun ja, ich glaube, wenn jene Fichte in dem tiefsten Teil des Sees stünde, so wäre doch noch genug Wasser vorhanden, daß das größte Schiff, das je für eine Flotte gebaut wurde, darüber wegfahren könnte, ohne ihre oberen Zweige zu berühren.«
»Habt Ihr je ein Schiff gesehen, Meister Kirby«, rief der Hausmeister, »habt Ihr je ein Schiff gesehen? oder überhaupt nur ein Fahrzeug, das größer ist als die auf diesem Frischwasserfetzen üblichen Kalknachen und Holzboote?«
»Ja, das hab' ich«, versetzte der Holzfäller stolz, »ich kann's mit Wahrheit behaupten.«
»Habt Ihr je ein britisches Schiff gesehen, Meister Kirby? Ein englisches Linienschiff, Junge? Wo hättet Ihr wohl ein regelmäßig gebautes Schiff sehen können mit Hintersteven und Brustholz, mit Kielgang und Schandeck, mit Laufplanken, Luken, Wasserrinnen, einem Halbdeck, einer Back und einem Glattdeck? – Sagt mir das, Mann, wenn Ihr könnt, wo Ihr je ein voll aufgetakeltes, regelmäßig gebautes, mit Decken versehenes Fahrzeug gesehen habt?«
Die ganze Gesellschaft war nicht wenig erstaunt über den raschen Fluß dieser Frage, und selbst Richard bemerkte später, es sei tausendmal schade, daß Benjamin nicht lesen könne, sonst hätte er gewiß einen trefflichen Offizier der britischen Marine abgegeben; man dürfe sich übrigens nicht wundern, daß die Engländer den Franzosen zur See so sehr überlegen seien, da sogar ein Matrose die verschiedenen Teile eines Schiffes so genau kenne.
Aber Billy Kirby ließ sich nicht einschüchtern, am allerwenigsten aber durch die kategorischen Behauptungen eines Ausländers. Er war, während der Majordomo mit großer Zungengeläufigkeit seine Fragen stellte, aufgestanden und hatte seinen Rücken dem Feuer zugekehrt; als Benjamin geendet hatte, gab er gegen alle Erwartung nachfolgende kräftige Erwiderung:
»Wo? Nun, auf dem Nordstrom und vielleicht auch auf dem Champlain. Da gibt es Schaluppen, Bursche, die dem stolzesten Schiff von König Georgs Flotte zu schaffen machen würden. Sie führen Masten von neunzig Fuß Höhe – gute solide Fichtenstämme, deren ich mehr als einen im Vermontstaat geschlagen habe. Ich wollte, ich wäre auf einer derselben Kapitän, und Ihr wäret auf dem ›Bordtisch‹, von dem Ihr so viel schwatzt, und wir wollten bald sehen, was guter Yankeeschlag ist, und ob sich eine Vermonter Haut nicht ebenso dick erweist als eine englische.«
Das Echo der jenseitigen Berge, welche mehr als eine halbe Meile von dem Standpunkt der Fischer entfernt lagen, warf das mißtönige Gelächter zurück, in welches Benjamin bei dieser Herausforderung ausbrach, und die Wälder, die ihre Hänge bedeckten, schienen, dem Lärm nach zu schließen, der aus ihrem Schatten hervordrang, voll neckender Dämonen zu sein.
»Wir wollen hinuntersteigen«, flüsterte Marmaduke, »sonst gibt es bald böses Blut unter ihnen. Benjamin ist ein unverschämter Prahler und Kirby trotz seiner Gutmütigkeit ein rücksichtsloser Sohn des Waldes, dem ein einziger Amerikaner mehr gilt als sechs Engländer. Mich wundert's, daß Dick sich so still verhält, während die Sache derart auf die Spitze getrieben wird.«
Die Erscheinung des Richter Temple und der Damen veranlaßte, wenn auch nicht eine Beschwichtigung, so doch einen Aufschub der Feindseligkeiten.
Herrn Jones' Anweisungen gehorsam, schickten sich die Fischer an, ihr im Hintergrund befindliches Boot ins Wasser zu lassen, indem sie zugleich die Netze auf einer kleinen Plattform an dem Stern desselben befestigten. Richard verwies den Fußgängern ihr spätes Erscheinen, und dem stürmischen Zank folgte nun eine Ruhe, ähnlich der, welche über der schönen Oberfläche des Wassers herrschte, das jetzt seiner besten Schätze beraubt werden sollte.
Die Nacht war allmählich so dunkel geworden, daß alles, was nicht durch das Licht des Feuers erhellt wurde, nicht nur unbestimmt, sondern in den meisten Fällen völlig unsichtbar blieb. Auf eine kleine Entfernung sah man das Wasser von der Helle der Flamme erglänzen und da und dort in rötlichen Strahlen erzittern, aber hundert Fuß vom Ufer ab lag ein Gürtel von undurchdringlicher Finsternis. Hin und wieder blinkte ein Sternlein durch die Wolkenrisse, und im Dorf sah man den matten Schimmer der Lichter, als lägen sie in unermeßlicher Ferne. Bisweilen, wenn der Himmel sich etwas klärte, ließen sich die wellenförmigen Umrisse des auf der andern Seite des Sees liegenden Gebirges erkennen; aber der weite und dichte Schatten, welchen es auf das Wasser warf, erhöhte dann auch in dieser Richtung die Finsternis um das Dreifache.
Benjamin Pump spielte jedesmal die Rolle des Steuermanns und Netzauswerfers auf Richards Boot, wenn es nicht der Sheriff für passend erachtete, in Person das Geschäft zu leiten. Billy Kirby und ein anderer junger Mensch, der jedoch kaum halb so stark wie der erstere war, handhabten die Ruder. Die übrigen Gehilfen waren an den Schlepptauen aufgestellt. Als sich alles in Ordnung befand, gab Richard das Signal zum Abstoßen.
Elisabeth beobachtete die Bewegung des Boots, als es vom Ufer abstieß; aber bald verschwand es in der Finsternis, so daß sich seine Manöver nur noch durch das Ohr unterscheiden ließen. Alles verhielt sich still, damit man, wie Richard sich ausdrückte, »den Barsch nicht erschrecke«, welcher dem seichten Wasser zuschwimme und sich dem Lichte nähere, wenn er nicht durch den Lärm der Fischer gestört werde.
Man hörte nur hin und wieder Benjamins heisere Stimme durch das Dunkel, wenn er mit gebieterischen Tönen rief: »Das Backbordruder«, »das Steuerbordruder«, »etwas zurück, Jungens«, oder andere für die richtige Aufstellung seines Netzes nötige Befehle gab. Über diesen Vorkehrungen verging eine geraume Weile; denn Benjamin tat sich auf seine Geschicklichkeit im Netzwerfen etwas zugute, wie denn überhaupt der Erfolg einer solchen Fischerei hauptsächlich davon abhängt, daß sie mit Umsicht angestellt wird. Endlich hörte man ein lautes Plätschern der Stange oder Latte im Wasser, und die rauhe Stimme des Majordomo verkündigte durch ein »Klar!«, daß das Boot auf dem Rückweg begriffen sei. Richard ergriff einen Feuerbrand und eilte zu einer Stelle, die ebensoweit oberhalb der Mitte des Fischergrundes lag, wie die, von welcher das Boot abgefahren war, unterhalb lag.
»Rudert auf den Squire zu, Jungens«, sagte Benjamin, »und wir werden sehen, was in diesem Weiher wächst.«
Statt der fallenden Netze hörte man jetzt die raschen Ruderschläge und das Rauschen des nachgeschleppten Taues. Nun schoß das Boot in den Lichtkreis, und in wenigen Augenblicken trieb es ans Ufer. Mehrere geschäftige Hände waren ausgestreckt, um die Leine zu fassen, und da beide Tauenden gleich gut bemannt waren, so begannen die Fischer langsam zu ziehen, während Richard im Mittelpunkt stand und bald rechts, bald links Befehle erteilte, in der Anstrengung nachzulassen oder sie zu erhöhen, wie es gerade erforderlich war. Marmaduke und seine Begleiter standen in der Nähe des Sheriffs und freuten sich auf das Resultat des ganzen Unternehmens, das langsam seinem Ende entgegenging.
Es gab verschiedene Ansichten über den Erfolg, da das Netz den einen federleicht, den andern zentnerschwer vorkam. Die Taue hatten indes eine Länge von mehreren hundert Fuß, weshalb sich der Sheriff an diese Widersprüche nicht sonderlich kehrte, indem er zuerst selbst an den Enden einen Ruck versuchen wollte, um sich eine eigene Ansicht bilden zu können.
»Ei, Benjamin«, rief er, als dies geschehen war, »Ihr habt das Netz schlecht ausgeworfen. Ich kann es mit meinem kleinen Finger bewegen. Das Tau gibt unter meiner Hand nach.«
»Meinen Sie vielleicht, wir müßten einen Walfisch bringen, Squire?« antwortete der Majordomo. »Wenn das Netz leer ist, so muß der Teufel in Gestalt eines Fisches im See stecken; denn ich warf es so schön, wie nur je ein Takelwerk über dem Achterdeck eines Flaggenschiffs ausgespannt wurde.«
Aber Richard entdeckte bald seinen Irrtum, als er Billy Kirby im Wasser stehen sah, wie er sich unter einem Winkel von fünfundvierzig Grad gegen das Ufer rückwärts neigte und seine ganze Riesenkraft aufbot, um sich in dieser Stellung zu halten. Er schwieg daher und begab sich zu den Leuten am anderen Ende des Taus.
»Ich sehe die Stäbe«, schrie Herr Jones. »Zieht euch mehr nach innen, Jungs, und weg damit. Ans Land mit dem Boot! ans Land!«
Auf diesen freudigen Ruf strengte Elisabeth ihre Augen an und sah die Enden der beiden Netzstangen aus der Dunkelheit auftauchen, während sich die Männer eng aneinander anschlossen und das Netz einen tiefen Sack bildete. Die Fischer mußten sich noch mehr anstrengen, und man hörte Richards Stimme, die sie ermutigte, jetzt ihre äußerste Kraft aufzubieten.
»Nun ist es Zeit, Jungs«, rief er, »macht, daß ihr die Enden ans Land bringt, dann entkommt uns nichts mehr – heran, heran!«
»Drauf los!« jauchzte Benjamin. »Hurra! Ho – a hoy, ho – a hoy, ho – a!«
»Heran«, brüllte Kirby, der sich derart anstrengte, daß denen hinter ihm nichts zu tun blieb, als das schlaffe Tau in ihren Händen in die Höhe zu halten.
»Die Stange angezogen!« rief der Majordomo.
»Die Stange angezogen!« wiederholte Kirby an dem andern Ende.
Die Männer am Ufer eilten an den Rand des Wassers, ergriffen die oberen und unteren Tauenden und begannen mit großem Eifer zu ziehen. Die Zuschauer wurden jetzt eines tief einschneidenden Halbkreises ansichtig, der durch das unten mit Blei beschwerte Schleppnetz gebildet wurde; und da er rasch an Umfang abnahm und der Sack des Netzes zum Vorschein kam, erkannte man aus dem Plätschern im Wasser die Unruhe der darin enthaltenen Gefangenen.
»Zieht an, Jungs!« brüllte Richard. »Ich sehe, wie die Biester Sprünge machen, um sich in Freiheit zu setzen. Zieht an! Es ist ein Fang, der der Mühe lohnt.«
Man sah nun Fische der verschiedensten Art in die Maschen des Netzes verstrickt, als es durch die Hände der Arbeiter lief; auf eine kleine Entfernung vom Ufer wimmelte alles von den Bewegungen der beunruhigten Opfer. Hunderte von weißen Seiten zeigten sich auf der Oberfläche und erglänzten im Licht des Feuers, verschwanden aber ebenso schnell wieder, um andern Platz zu machen, wenn die Fische, durch den Lärm erschreckt, nach unten schossen und sich vergeblich zu befreien suchten.
»Hurra!« rief Richard. »Noch ein paar kräftige Züge, und wir haben den Fang geborgen!«
»Lustig, ihr Jungen, lustig!« rief Benjamin. »Ich sehe eine Salmforelle, an der sich zwanzig Mann satt essen könnten.«
»Weg mit dir, du Gewürm!« sagte Billy Kirby, indem er eine Forelle aus den Maschen löste, und sie verächtlich in den See zurückwarf. »Zieht, Jungens! zieht! Hier gibt's Fische von allen Arten, und Gott soll mich strafen, wenn wir nicht tausend Barsche im Garn haben.«
Durch den Anblick über die Grenzen der Klugheit erregt und der Jahreszeit uneingedenk, sprang der Holzfäller ins Wasser und begann, die widerstrebenden Tiere in ihrem heimischen Element vor sich herzutreiben.
»Zieht herzhaft! zieht, Jungen!« rief Marmaduke, der Aufregung des Augenblicks nachgebend, indem er selbst Hand anlegte und durch seine Beihilfe die Zugkraft wesentlich vermehrte. Edwards hatte schon vorher ein Gleiches getan; denn der Anblick der ungeheuern Fischmassen, die langsam an das kiesige Ufer heranrollten, wirkte zu verlockend, als daß er nicht die Damen hätte im Stich lassen und sich den Fischern anschließen sollen.
Das Netz wurde mit großer Sorgfalt ans Land gebracht, und nach vieler Mühe hatte man die Unzahl von Opfern in einer Höhlung des Ufers geborgen, wo man sie ihr kurzes Leben in dem neuen todbringenden Element enden ließ.
Selbst Elisabeth und Luise freuten sich ungemein über den Anblick von fast zweitausend Gefangenen, die aus der Tiefe des Sees geholt und zu ihren Füßen niedergelegt waren. Aber sobald die Gefühle des Augenblicks sich beschwichtigt hatten, hob Marmaduke einen Barsch, der ungefähr zwei Pfund wiegen mochte, auf, betrachtete ihn eine Weile mit wehmütigem Nachdenken und wandte sich sodann mit den Worten an seine Tochter:
»Es ist im Grunde doch eine schreckliche Vergeudung der auserlesensten Geschenke Gottes. Diese Fische, Beß, die du in solchen Haufen vor dir liegen siehst, und die man morgen abend sogar auf dem schlechtesten Tisch verschmähen wird, haben einen Wohlgeschmack, der sie in andern Ländern sogar auf den Tafeln der Fürsten und der leckersten Epikureer zu einem Luxusartikel machen würde. Die ganze Welt kann keinen besseren Fisch aufweisen als den Otsego-Barsch; er vereinigt den Wohlgeschmack der Alse Von allen Fischen, die der Verfasser jemals gekostet hat, hält er den erwähnten für den besten. mit dem festen Fleisch des Salms.«
»Aber gewiß, lieber Vater«, rief Elisabeth, »müssen sie ein großer Segen für das Land sein, namentlich für den Armen.«
»Die Armen sind immer verschwenderisch, mein Kind, sobald Überfluß vorhanden ist; sie denken selten an den kommenden Morgen. Doch wenn für eine solche Vernichtung der Tiere eine Entschuldigung aufgefunden werden kann, so ist es bei dem Fang dieses Barsches der Fall. Den Winter über sind sie bekanntlich vor unseren Nachstellungen durch das Eis geschützt; denn sie beißen an keiner Angel an, und während der heißen Monate lassen sie sich nicht sehen. Vermutlich ziehen sie sich in dieser Jahreszeit nach dem kühleren Wasser in der Tiefe des Sees zurück, und so hat man nur im Frühjahr und im Herbst ein paar Tage, an denen man ihnen mit den Netzen beikommen kann. Aber wie andere Schätze der Wildnis, fangen sie bereits an, vor der Vergeudungswut des Menschen zu verschwinden.«
»Verschwinden, Duke? Jawohl, da – verschwinden!« rief der Sheriff. »Wenn man das hier ein Verschwinden heißen kann, so weiß ich nicht, wie viele du eigentlich möchtest. Da liegt doch ihrer wenigstens ein gutes Tausend, dann etliche hundert Saugfische und, was weiß ich, wieviel von der andern Brut. Aber so treibst du's immer, Marmaduke. Zuerst sind's die Bäume, dann das Wild, dann der Zuckerahorn, und endlich kommst du auch auf dieses Kapitel. Das eine Mal schwatzt du von Kanälen durch ein Land, wo man jede halbe Meile einen Fluß oder einen See hat – aus keinem andern Grunde, als weil das Wasser nicht gerade den Weg läuft, welchen du haben möchtest; und ein andermal sprichst du von Kohlenminen, obgleich jeder, der ein so gutes Auge hat wie ich – ich sage, wer ein gutes Auge hat –, mehr Holz sehen kann, als man in London in fünfzig Jahren zu verbrennen vermöchte. Ist's nicht so, Benjamin?«
»Ei, wenn Sie auf das kommen, Squire«, entgegnete der Hausmeister, »London ist kein kleiner Ort. Wenn man es strecken wollte wie eine an einem Fluß liegende Stadt, so könnte man wohl den ganzen See damit einfassen. Damit will ich freilich nicht sagen, daß die Wälder, die wir sehen, nicht weit reichen könnten, zumal man in London fast nichts als Steinkohlen brennt.«
»Nun da wir gerade von den Kohlen sprechen, Richter Temple«, fiel der Sheriff ein, »so habe ich dir etwas sehr Wichtiges mitzuteilen, was ich jedoch bis auf morgen verschieben will. Ich weiß, daß du den östlichen Teil des Patents zu besuchen gedenkst, und da will ich dich begleiten, um dich nach einer Stelle zu führen, wo sich allenfalls einige deiner Pläne verwirklichen lassen. Ich schweige jetzt darüber, weil wir Zuhörer haben; aber ich bin diesen Abend hinter ein Geheimnis gekommen, Duke, das weit folgenreicher für dich werden kann als dein ganzes Besitztum zusammengenommen.«
Marmaduke lachte über diese wichtige Mitteilung, da er schon viele ähnliche hatte anhören müssen; der Sheriff begab sich mit einer ungemein wichtigen Miene, als bemitleide er seinen Vetter wegen seines mangelnden Vertrauens zu seinen großartigen Projekten, an das vor ihm liegende Geschäft. Da der Fischzug ein äußerst mühsamer gewesen, so befahl er dem einen Teil der Mannschaft, die Fische auf Haufen zu werfen, um sie sodann verteilen zu können, während ein anderer unter Benjamins Leitung Vorbereitungen zu einem zweiten Fange traf.