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Sechstes Kapitel.
Beatrice triumphiert

Miß Clauson erreichte, was sie wollte. Sie schuldete ihren Erfolg ebensowohl günstigen Zufällen, als auch der eigenen Beharrlichkeit und beredten Bitten. Es gelang ihr, Onkel Herbert allein zu erwischen – was sehr schwierig war, weil die Brüder fast immer beisammen waren – und hatte ihm mit Bitten und Gründen schließlich das Versprechen abgelockt, keinen Einwand zu erheben, wenn Horace ihr gestatte, das Kind zu behalten. Das schien ihm natürlich unmöglich.

Nachdem sie auf diese Weise Herrn Mordle, den Berater der Familie, und Herbert für sich gewonnen oder doch unschädlich gemacht hatte, war Horace der alleinige Herr über das Geschick des Kindes und Beatrice machte alle Anstrengungen, ihn zum Nachgeben zu bewegen. In erster Linie sorgte sie dafür, daß ihre Onkel den Eindringling nur von der besten Seite kennen lernten, und schaffte ihn bei den ersten Zeichen von Unart aus dem Wege. Da das Kind noch keinen der aufgehäuften Kunstgegenstände zerstört hatte und sehr zuthunlich mit ihnen war, hatten sie keine Klage gegen ihn zu erheben, ja, hatten ihn sogar gerne um sich. So wurde sein künftiges Geschick länger als eine Woche mit Stillschweigen übergangen, bis Beatrice die Zeit zu einem neuen Angriff gekommen glaubte. Seinem Versprechen getreu, sagte Herbert, sein Bruder solle die Sache entscheiden.

»Möchtest du, daß das Kind bleibt?« fragte Horace seinen Bruder.

»Ich sagte Beatrice, du werdest darüber entscheiden.«

Diese Antwort überzeugte Horace ganz, daß sein Bruder von dem Kind wußte, was zu wissen war.

»Liebe Beatrice,« sagte er, »es ist ganz unmöglich.«

Ihre Lippen bebten; es war klar, sie hatte ihr Herz daran gesetzt, ihren neuen Liebling zu behalten.

»Warum ist es unmöglich? Was macht ein Kind aus in einem Hause wie dieses? Ich will ihn allein versorgen.«

Onkel Horace fühlte sich unbehaglich.

»Meine Liebe, du vergißt, daß es üble Nachrede hervorrufen würde?«

»Ueble Nachrede! Was für üble Nachrede?«

Horace wurde rot – es war recht schwer, dies einem unschuldigen jungen Mädchen zu erklären.

»Hm … ha … du mußt nicht vergessen, daß wir unverheiratete, noch nicht sehr alte Männer sind. Sobald es bekannt wird, daß wir ein Kind behalten, das uns auf so eigentümliche Weise gesandt worden ist, geben wir dem Verdacht und der Verleumdung eine Handhabe. Bist du mit mir einverstanden, Herbert?«

»Ich fürchte, Beatrice, es wird so sein,« sagte Herbert bedauernd.

Miß Clauson richtete sich stolz auf – dies war eine Bewegung, die ihre Onkel gerne an ihr sahen und die stets Eindruck auf dieselben machte.

»Sicherlich,« sagte sie, »seid doch gerade ihr über jeden Verdacht und jede Verleumdung erhaben!«

Es that ihnen wohl zu denken, daß es so sei. Sie fühlten, Beatrice habe recht. Was hatten sie sich um üble Nachrede zu kümmern? Ihre häuslichen Tugenden waren doch sicher über jeden Zweifel erhaben. Als Horace sich diese große Wahrheit klar machte, schnurrte er fast vor Wonne.

Trotzdem hatte er durchaus die Absicht, nicht nachzugeben. Er zürnte seinem Bruder, weil er überzeugt war, derselbe wünsche, den Knaben im Hause zu behalten – wenn dem so war, weshalb sagte er dies nicht offen, sondern ließ Beatrice seine Sache verfechten? Alles, was Beatrice von ihm erlangen konnte, war ein Aufschub von wenigen Tagen.

In diesen Tagen entstand aber in der Nachbarschaft ein Klatsch, der vermutlich auch den Beteiligten, den Gebrüdern Talbert, zu Ohren kam.

Es hieß, sie beherbergten den ältesten Sohn eines als ganz verworfen bekannten Lords, dessen Kind auf geheimnisvolle Weise verschwunden war, d. h. seine gekränkte Gattin hatte das Kind vor ihm in Sicherheit gebracht.

Da die betreffende Dame mit den Talberts bekannt war, schien die Sache selbst Horace nicht unmöglich.

Endlich schrieb eine gute Seele an den beraubten Vater, der ungestüm herbeieilte, wie eine verzehrende Flamme, – eine Flamme, die sich in Rauch auflöste, als ihm der Knabe gezeigt wurde und er fand, daß Beatrices Schützling in nichts seinem verlorenen Sohne glich. Trotzdem verstummte das Gerede nicht und die Leute beharrten trotz des energischen Leugnens der Talberts dabei, daß der Junge dann eben eines anderen Edelmannes Sprößling sei, dessen Frau ihn aus unbekannten Gründen den Talberts anvertraut habe.

Es ist ein wohlthuendes Gefühl, für den Schutz und Schirm einer bedrängten Gräfin oder Herzogin gehalten zu werden, und die Talberts, besonders Horace, die äußerlich über das Gerede lachten, fühlten sich innerlich recht geschmeichelt dadurch. Vielleicht war es diesem Gefühl zuzuschreiben, daß Horace eines Morgens Beatrice durch die Bemerkung überraschte: »Wenn du das Kind wirklich behalten willst, so wollen wir wenigstens ein Kindermädchen suchen.« Sie sagte nichts, aber sie gab ihrem Onkel Horace einen dankbaren Kuß. Sie mußte das Kind sehr liebgewonnen haben, denn ihre Augen standen voll Thränen.

Nachmittags fuhr sie nach Blacktown und versorgte das Kind von Kopf zu Fuß mit den hübschesten Kleidungsstücken. Horace und Herbert, die sich genau auf den Wert von Spitzen, Linnen und Battist verstanden, wunderten sich darüber, wieweit ihre Nichte sich von ihrer Laune hinreißen lasse. Sie fühlten sich ein wenig gekränkt, daß ihr Beistand nicht erbeten worden war, denn sie machten gern Einkäufe und verstanden es so gut wie die erfahrenste Frau.

Dagegen fiel die Sorge für das Kindermädchen ihnen ganz allein zu. Wenn die Talberts eine Hausfrauentugend in höherem Grade besaßen, als die anderen, so war es ihr Talent, passende Dienstboten zu dingen. Wenn sie bei einer Dame Erkundigungen nach einem Mädchen einzogen, so ließen sie sich nicht mit allgemeinen Redensarten von Ehrlichkeit, Reinlichkeit u. dgl. abspeisen, sondern stellten ein wahres Kreuzverhör an, bis sie ganz im klaren waren und wußten, ob sie dingen wollten oder nicht. Manch junges Mädchen, das vertrauensvoll in Erwartung eines gutbezahlten, leichten Dienstes zu den reichen Junggesellen gekommen war, hatte sich schwer getäuscht. Manche sagten, zwanzig Herrinnen seien nicht so schlimm, wie diese zwei Herren. Immerhin war es ein guter Dienst und ein Mädchen, das ein Jahr bei den Talberts gedient hatte, konnte in der Nachbarschaft die besten Stellen bekommen. Nach langer Ueberlegung hatten sie unter den zahlreichen Bewerberinnen ein Kindermädchen gefunden, das ihren Ansprüchen genügte, das keine Bekanntschaft hatte, selbstverständlich zur Hochkirche gehörte, alle zwei Monate zum Abendmahl gehen und eine Haube nach der Angabe der Talberts tragen wollte.

So war also das geheimnisvolle Kind so gut wie an Kindesstatt angenommen.

Es erhob sich nun die Frage, ob das Kind getauft sei oder nicht. Fräulein Clauson war überzeugt, daß dies der Fall sei, weil das Kind zu sorgfältig gekleidet gewesen, als daß man annehmen könne, ein so wichtiger Akt sei unterlassen worden. Da auch Herr Mordle, der allerdings dafür bekannt war, daß er in solchen Dingen beklagenswert nachsichtig sei, auf einer Wiederholung der Feier nicht bestand, so unterblieb die Taufe und man beschloß, das Kind Henry zu rufen, weil dies nach Onkel Horaces Meinung ein Name war, der zu jeder Lebenslage paßte.

Der Zuname blieb im Dunklen; man hoffte, daß ihn die Zeit oder der Zufall ans Licht bringen werde.

Alles, was das Kind bei seiner Ankunft angehabt hatte, wurde nebst der Adreßkarte in den feuerfesten Schrank gelegt – man konnte die Sachen später einmal zur Feststellung der Person brauchen. So wurde also Beatrice Clauson der Besitz ihres Spielzeuges bestätigt – ihres Spielzeuges! Schon nach einem Monat war Henry der Liebling des ganzen Hauses und die Talberts scheuten sich, zu gestehen, wie sehr sie sich freuten, daß sie Beatrices Laune nachgegeben hatten; allein bald war es allgemein bekannt, daß die Brüder – wegen einer leichten Kinderkrankheit Henrys – bei dem Studium von Dr. Bulls » Ratschläge für junge Mütter!« betroffen worden waren. Doch dies wird wohl Verleumdung gewesen sein.


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