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Ein trauliches Häuschen im Waldesgrün,
Darin die Liebe und Treue blühn –
Ein Leben voll Arbeit und friedlichem Glück –
Wo giebt's ein beneidenswert'res Geschick?
Acht Tage sind verflossen, seit Magdalene versprochen hat, mit dem Hauptmann das »Waldhäuschen« zu besuchen; heute sollen sie eintreffen, und das ganze Gehöft hat zu ihrem Empfange ein festliches Ansehen angenommen. Das Wäldchen hat seinen Blätterschmuck noch nicht ganz verloren, nur hat es sein dunkles Grün mit einer goldig und purpurrot schimmernden Färbung vertauscht. Die Wiesen sind unter den herbstlichen Regengüssen frisch begrünt, der plätschernde Bach, der sie durchschneidet, gleicht einem silbernen Bande, das sich anmutig durch den Thalgrund windet. Rund um das Haus bildet eine Schüttung von hellem Sande einen trockenen Pfad, einige verspätete Rosen und weiße Herbstastern zieren die Beete, und die ganze Erde scheint im Glanz der goldenen Sonnenstrahlen den Beschauer noch ein letztes Mal zur Bewunderung ihrer entfliehenden Schönheit aufzufordern. Durch die Fenster des großen Parterrezimmers sieht man auf dem hohen Regal die schön geblümten Schüsseln und die kupfernen Gefäße, die wie Gold glänzen, in langen Reihen aufgestellt, während die Tische und Stühle, und was sonst zur Einrichtung dient, von Sauberkeit strahlen. Im oberen Stock sind Katharina und Ludwig beschäftigt, alles zu ordnen, obgleich eigentlich längst alles geordnet ist, aber ihre frohe Ungeduld läßt sie doch an nichts anderes denken; der Knabe hat den ganzen Morgen Feld und Wald durchstreift, um die letzten Blumen zu suchen und Magdalenens Zimmer zu schmücken, jetzt hat er seine besten Kleider angezogen, die er sonst nur an hohen Festen trägt. Die Stuben sind hell und freundlich, in beiden Kaminen flackert ein lustiges Feuer von kurzen, dicken Ästen, welche die beste Glut geben, denn der Hauptmann muß es behaglich warm finden, um nicht wieder in seine Gicht zurückzufallen.
Plötzlich wird Ludwig, der fortwährend den Weg beobachtet, ganz blaß; »da sind sie!« ruft er und fliegt die Treppe hinab auf Magdalenen zu, die ihm mit offenen Armen entgegeneilt und ihn mit Zärtlichkeit begrüßt.
»Meine liebe Kleine!« ruft Katharina, die ihm auf den Fersen folgt, »wie groß und schön bist du geworden in den fünf langen Jahren, seit ich dich nicht wiedersah! Und doch bist du dieselbe wie damals – dieselben lieben Augen mit dem warmen Blick – und das Herz ist auch dasselbe geblieben, nicht wahr, mein Liebling?«
»Ja, du treue Katharina,« erwidert das junge Mädchen mit einer innigen Umarmung, »wenn ich dich früher liebte, so thue ich es jetzt noch tausendmal mehr! O wie glücklich bin ich, daß ich wieder hier bin!«
Lorenz tritt hinzu, er hat den alten Herrn geführt, dessen Gelenke immer noch etwas steif sind. »Seien Sie willkommen im Waldhäuschen, Fräulein Garay, und Sie gleichfalls, Herr Hauptmann,« sagt er herzlich, indem er sich verbeugt und mit einer einladenden Handbewegung auf die geöffnete Thür deutet.
Die Reisenden treten ein, und nach Ablauf einer halben Stunde erklärt der Hauptmann, dessen Glieder durch das schöne Feuer warm und geschmeidig geworden sind, daß er sich äußerst frisch fühle und mit der freundlichen Hilfe des guten Lorenz sehr wohl die ganze Besitzung in Augenschein nehmen könne. Nun wird alles besehen: das Haus und die Ställe, wo Magdalene ihre alte Klaudine inmitten ihrer Nachkommen begrüßt, die Wiesen und Felder; nirgends findet sich ein Mangel, alles ist aufs beste eingerichtet und von tadelloser Sauberkeit, und niemand würde hier begreifen können, warum sich gerade in dieser Beziehung die Bretagne nicht des besten Rufes erfreut. Magdalene muß im stillen fortwährend das alte Schloß Doué mit dem Waldhäuschen vergleichen: dort fehlte ihr fast alles zur Behaglichkeit, hier scheint nichts zu mangeln, und wunderbar findet sie in allen Dingen das liebliche Traumbild verwirklicht, das sie sich vor vielen Jahren am Ostertage verlockend ausmalte. Aber noch größer als der Unterschied zwischen den Häusern und ihrer Einrichtung ist der Kontrast zwischen den Bewohnern: dort brave, aber unwissende Bauern, hier ein junger Gebieter, der mit einfacher Würde das Regiment führt, auf dessen ernster Stirn Gedanken geschrieben stehen, die über seine bescheidene Stellung weit hinaus gehen, der in Haltung, Benehmen und Sprache den Vergleich mit jedem gebildeten Städter aushalten kann. Magdalene fühlt, daß sie hier glücklich sein und nichts vermissen wird, denn neben der Liebe, welche ihr Katharina und Ludwig in reichstem Maße gewähren, wird sie für jedes geistige Bedürfnis bei Lorenz volle Befriedigung finden.
Man setzt sich zu Tische; Katharina hat eine blendend weiße Serviette aufgedeckt, wie es in der Stadt Sitte ist. Sie braucht die Wäsche nicht zu schonen, denn es wächst genug Flachs im Thal, um ihrer Spindel immer Arbeit zu schaffen, und das Flüßchen hat Wasser in Fülle zum Waschen. Rebhühner, die Lorenz geschossen, eine fette Henne, welche zu Magdalenens Geflügel gehörte, frische Gemüse aus dem Garten, Äpfel und Nüsse von den jungen Bäumen bilden die Mahlzeit. Die beiden Ankömmlinge geben ihrer Freude über alle guten Dinge lebhaften Ausdruck, was Katharinas hausfräuliches Herz innig beglückt; der Hauptmann begreift gar nicht mehr, wie man irgendwo anders als auf dem Lande leben kann und ist doppelt entzückt, als er hört, daß der Bach äußerst fischreich sei. Nach dem Essen bleibt man noch ein Stündchen am Feuer sitzen; Lorenz erklärt Magdalenen seine Arbeiten, seine wirtschaftlichen Pläne, seine Methode des Landbaues; sie hört ihm aufmerksam zu und findet, daß er es noch ebenso gut wie früher versteht, ihr alle Dinge wunderbar klar und verständlich zu machen, und daß die ländlichen Beschäftigungen ihm nichts von seiner geistigen Frische geraubt haben. Ludwig ist ganz still; er sitzt auf einem Schemel zu ihren Füßen, schaut in ihr Gesicht und ist vollkommen glücklich.
Es ist spät geworden, man sagt sich gute Nacht, und der Hauptmann geht ohne jede Hilfe die Treppe hinauf; die Luftveränderung hat die Gicht völlig vertrieben. Die Gäste des Waldhäuschens ruhen in friedlichem Schlummer; wir verlassen sie und sehen uns ein anderes Bild an.
Wie schlau und fein die arge Welt
Auch ihre Netze ausgestellt:
Ein Herz, das kindlich ist und rein,
Fällt in die Schlinge nicht hinein.
Frau Burdelau sucht immer noch nach einer Frau für ihren Sohn und erkennt mit Überraschung, daß die Sache nicht so leicht ist, wie sie geglaubt hat. Es scheint sogar, daß Aristides etwas widerspenstig geworden ist und sich erlaubt, seine eigenen Ideen zu haben; er redet fortwährend von einem Ball in Ancenis und seiner Cousine Magdalene; von ihrer Lieblichkeit und Anmut, ihrem hübschen Gesicht und guten Herzen, das sie an dem Tage gezeigt habe, als der blödsinnige Knabe sie aufsuchte. Nun ist es keineswegs Frau Burdelau gewesen, welche Aristides all diese Gedanken eingeflößt hat, im Gegenteil gerät sie stets in eine lebhafte Ungeduld und sucht ihn von diesem Thema abzubringen. Dennoch hat sie bei dem Notar Erkundigungen eingezogen und gehört, daß Magdalene mit ihrem Vormund aufs Land gereist sei, daß sie dort Eigentum besäße und sich entschlossen habe, dauernd daselbst zu leben; die junge Dame, hieß es, sei eine eifrige Landwirtin geworden und setze ihren Stolz darein, neue Hühnerrassen einzuführen. Aber die bescheidene Höhe der Einkünfte aus dieser Besitzung nötigt Frau Burdelau nur ein verächtliches Achselzucken ab, und sie beschließt, mit ihrem Sohne eine Rundreise zu Freunden und Verwandten zu unternehmen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Ihr Weg führt sie auch nach Savenay, wo das alte Fräulein Himberg wohnt, und während sie dort eine Gesellschaft besucht, hört sie eine unglaubliche, wunderbare Nachricht; sie erkundigt sich bei dem Notar der Stadt danach, er bestätigt sie und meint, es sei gut, daß das Schicksal auch einmal seine eigene Ungerechtigkeit ausgleiche. Frau Burdelau ist so aufgeregt, daß sie sofort mit ihrem Sohn nach Nantes zurückkehrt; dort muß er sich in ein elegantes Reisekostüm werfen, das ihn ganz unwiderstehlich macht, und sie nach Questembert begleiten. Sie besteigen den wohlbekannten Omnibus, den sie an einem gewissen Hohlwege verlassen, und immer noch ist der junge Mann in völligem Dunkel über die Absichten seiner Mutter.
»Willst du mir nun endlich sagen, Mama, wohin du mich führst?« fragte er etwas mißmutig, als sich beide allein auf der Landstraße befanden.
»Wir wollen deine Cousine besuchen,« erwiderte sie triumphierend.
»Welche Cousine?«
»Magdalene Garay, mein Sohn. Sie lebt hier auf dem Lande, aber das arme Kind muß dies Leben sehr traurig finden! Ein junges Wesen, das von einem künstlerisch gebildeten Vater erzogen wurde, darf seine Tage nicht in Gesellschaft von Kühen, Schafen und armen Bauern hinbringen. Alle, die sie in den letzten Jahren gesehen haben, rühmen ihr feines Wesen, ihre blühende Schönheit, und ich denke, sie wird dem Manne dankbar sein, der sie aus dieser Einöde erlöst. Wie gefällt dir eigentlich deine Cousine?«
»Mir?« stotterte Aristides, »ich habe dir schon oft gesagt, was ich von ihr denke, aber du scheinst mich nie zu verstehen.«
»Doch, doch, mein lieber Sohn. Aber junge Leute sind zuweilen thörichten Verblendungen unterworfen, welche durch die Erfahrung in Schranken gehalten werden müssen. Ich habe mich sorgfältig nach Magdalene erkundigt, und wenn sie dir gefällt, so bin ich bereit, dem armen Kinde die Mutterliebe zu gewähren, die ihr von frühester Jugend an gefehlt hat …«
Aristides fiel seiner Mutter um den Hals und dankte ihr, und so war es beschlossen und besiegelt, daß Magdalene Frau Burdelau junior werden sollte; es fehlte nur noch eine ganze Kleinigkeit dazu, nämlich – ihre Einwilligung.
»Jetzt weiß ich nicht mehr weiter,« sagte die Dame plötzlich sehr unruhig, »ich habe mir zwar vom Kondukteur den Weg angeben lassen, aber … ah, da ist ein Bauernbursche, der uns aus der Not helfen kann. He, junger Mensch, wo geht der Weg nach dem Waldhäuschen?«
Der junge Bauer, der kein anderer war als Ludwig, kam langsam heran, als er aber Aristides erkannte, ging er auf ihn zu und bot ihm lächelnd die Hand.
»Guten Tag,« sagte er. »Wollen Sie Magdalene besuchen? Sie wird sich freuen, denn Sie sind gut; Sie waren auch gegen mich gut in Ancenis.«
»Aber warum bist du mir damals fortgelaufen, mein Bürschchen? Du hast mich schön nach dir suchen lassen. Wohin gingst du?«
»Zum Hauptmann. Die böse Dame konnte ihn nicht fortjagen, er war stärker als sie.«
»Und du schicktest ihn hin, um Fräulein Garay abzuholen? Sieh, du bist gar nicht so einfältig, wie du aussiehst.«
Ludwig ging voraus und blieb endlich stehen, um mit dem Finger auf das weiße Häuschen zu zeigen, dessen Dach in der Sonne glänzte.
»Wie reizend!« rief Aristides.
»Nicht wahr? Kommen Sie nur weiter, sie ist darin.«
Sie fanden Magdalene und wurden herzlich aufgenommen, denn sie hatte dem jungen Mann ein dankbares Andenken bewahrt und war viel zu glücklich, um nicht gegen jedermann freundlich gestimmt zu sein. Der Hauptmann war gleichfalls sehr höflich, und Katharina beeilte sich, den Gästen allerlei ländliche Erfrischungen anzubieten; Lorenz war in Geschäften nach Muzillac gefahren.
Man konnte nichts Liebenswürdigeres und Entgegenkommenderes sehen als Frau Burdelau. Sie floß von Zärtlichkeiten und Schmeicheleien gegen Magdalene über und zeigte sich so warmherzig und teilnehmend, daß der brave Hauptmann den übeln Eindruck ihres ersten Zusammentreffens im Familienrat vergaß und sie für eine der bestgesinnten Frauen seiner Bekanntschaft hielt.
»Wie lange leben Sie schon in diesem kleinen Paradiese, Herr Hauptmann?« fragte sie, während Magdalene den Vetter draußen herumführte.
»Acht Monate, gnädige Frau, und die Zeit ist uns wahrhaftig nicht lang geworden. Ich fühle mich wieder jung – keine Spur von Gicht mehr. Und dann sehen Sie meine Magdalene an, ist sie nicht so rosig wie ein Pfirsich, und strahlen ihre Augen nicht wie helle Sterne? Immer ist sie heiter und zufrieden, den ganzen Tag thätig, sie versteht alles, und alles gelingt ihr. Abends liest sie uns vor, wir plaudern zusammen, sie spielt auf dem Pianino, das wir uns angeschafft haben, oder singt mit Ludwig, daß es eine Lust ist, den Nachtigallenstimmen zuzuhören. Der Junge ist gar nicht mehr so dumm wie früher; ich gebe ihm etwas Unterricht, er fängt schon an zu lesen und hat manchmal sehr gute Gedanken; ich glaube, er wird noch gerade so klug werden wie andere Leute.«
»Und doch, mein bester Herr Hauptmann,« fiel Frau Burdelau ein, »ist es zu bedauern, daß dieses holde Mädchen, das geschaffen ist, um in der Welt zu glänzen, sich hier in der Einsamkeit begräbt. Wie wollen Sie hier einen passenden Gatten für sie finden? Sie wissen, daß es die Bestimmung des Weibes ist, im Schoße des eigenen Hauses glücklich zu sein und glücklich zu machen.«
Sie sprach noch eine lange Weile in ähnlichem Ton, und als sie glaubte, den alten Herrn genügend bearbeitet zu haben, wagte sie es, ihm eine vertrauliche Eröffnung zu machen. Sie mußte wohl eine günstige Aufnahme gefunden haben, denn als die Gäste Abschied nahmen, schüttelte der Hauptmann Frau Burdelau kräftig die Hand und flüsterte: »Ich werde noch heute abend mit meiner Kleinen reden und Ihnen ihre Antwort schriftlich mitteilen.«
Als der Hauptmann Magdalenen mit feierlicher Miene eröffnet, daß Frau Burdelau ihr die Ehre erweise, für ihren Sohn Aristides um ihre Hand anzuhalten, bricht sie in ein helles, spöttisches Gelächter aus.
»Aber Kind,« ruft der Alte, der von den pathetischen Reden der stattlichen Dame noch ganz durchdrungen ist, »wie willst du denn hier einen Mann finden, der dir zusagt? Und heiraten mußt du doch einmal!«
»Muß ich, du lieber, alter Papa? Aber sicher niemals meinen Vetter Aristides! Lieber Gott, du hast gar nicht an die Schwiegermutter gedacht – du würdest sie nach acht Tagen nicht mehr leiden können, und was sollte dann geschehen? Du weißt doch, daß ich mich niemals von meinem guten Pflegevater trennen werde.«
Der Hauptmann ist sehr gerührt, küßt Magdalene zärtlich und schreibt an Frau Burdelau, sie möchte eine andere Frau für ihren Sohn suchen.
Es macht mich Geld und Gut
Allein nicht reich;
Nimm du's in deine Hut
Und mich zugleich.
Weit über meinen reicht
Dein Geist hinaus,
Doch unsre Liebe gleicht
Das alles aus!
Ein alter Bettler mit weißen Haaren schaute durch das offene Fenster in das Parterrezimmer des Waldhäuschens hinein.
»Der Friede des Herrn sei mit diesem Hause!« sagte er.
Magdalene, die mit ihrer Arbeit dort saß, begrüßte ihn freundlich. »Kommt herein, Vater Kerlo; setzt Euch in den Lehnstuhl des Hauptmanns und ruht Euch aus, Katharina wird Euch gleich einen Teller Suppe geben.«
»Gott segne Euch, mein gutes Fräulein und alle Bewohner dieses Hauses! Wo ist Ludwig? Ich bringe ihm neue Lieder mit.«
»Er ist mit meinem Vormund fischen gegangen. Da kommen alle beide.«
Der Hauptmann, der einen guten Fang gethan hatte, trat mit froher Miene ein und drückte Jean Kerlo herzlich die Hand: ist dieser auch nur ein Bettler, so ist er doch auch einmal Soldat gewesen und hat dem Vaterlande gedient, und außerdem weiß er immer etwas Neues und steht daher bei dem alten Herrn in besonderer Gunst.
»Nun, was sagt ihr dazu?« fragte der Bettler, indem er die Hausgenossen lachend ansah.
»Wozu?« riefen alle.
»Zu der Nachricht, der großen Nachricht?«
»Welcher Nachricht?«
»Ach, Sie müssen doch schon davon wissen?«
»Was in aller Welt meint Ihr nur, Kerlo? Wir haben gestern Besuch von Frau Burdelau und ihrem Sohn gehabt – beide waren sehr liebenswürdig – meint Ihr das?«
»Aha, war der Vetter Burdelau hier? Nun, vielleicht war der junge Mann schon unterrichtet und verfolgte möglichst schnell sein Ziel – ja, ja, in der Stadt liest man die Nachrichten früher als auf dem Lande.«
»Aber nun kommt endlich mit Eurer Neuigkeit zum Vorschein,« sagte der Hauptmann ungeduldig.
Jean Kerlo zog eine Zeitung aus seinem Sack und zeigte auf einen Artikel. »Lesen Sie selbst, Herr, Sie können es schneller als ich.« Der Hauptmann setzte seine Brille auf und las mit Stentorstimme folgendes:
»Savenay. In unserer Stadt starb vor einigen Tagen eine alte Dame, Fräulein Himberg, welche allein lebte und für gänzlich verarmt galt. Sie hielt keine Magd, lebte nur von Wasser und Brot, und man wußte, daß sie schon seit langer Zeit kein Feuer mehr angezündet habe. Mitleidige Herzen brachten ihr zuweilen kleine Gaben, die sie gern annahm, ohne jemals darum zu bitten. Am Dienstag wurde sie tot in ihrem Bett gefunden, und bei der gerichtlichen Untersuchung ihrer Sachen fand man in ihrem Schreibtisch ein Testament, in welchem die verschiedenen Verstecke angegeben waren, worin sie Geld und Wertpapiere verborgen hatte; man fand dieselben in ihrem Bett, unter den Dielen und an verschiedenen ähnlichen Plätzen. Das Vermögen beläuft sich auf hunderttausend Franken und ist von der Verstorbenen einem Fräulein Magdalene Garay vermacht, der sie vor sechs Jahren jede Hilfe verweigert haben soll, als dieselbe sich nach dem Tode ihres Vaters in der traurigsten Lage befand.«
Magdalenens Herz schlug heftig, doch zwang sie sich zur Ruhe. »Es wird wohl nicht wahr sein,« sagte sie, »die Zeitungen bringen so viele falsche Nachrichten.«
»Vielleicht doch!« meinte ihr Vormund, »ich erinnere mich der alten Schachtel sehr wohl, sie sah aus wie ein rechter Geizteufel.«
»Es wäre wohl schön,« sagte das junge Mädchen gedankenvoll, »wieviel Gutes könnte man mit dem Gelde thun! Man könnte die ganze Gegend in Aufschwung bringen, eine Schule bauen, die Bodenkultur heben, die Waisen erziehen, eine Versorgungsanstalt für die Alten und Arbeitsunfähigen gründen – das wäre besser als Frau Burdelau zu heißen.«
Hier trat Lorenz mit einem Briefe ein. »Für Sie, Fräulein Magdalene,« sagte er, »eben brachte ihn der Briefträger.« Sie las ihn und reichte ihn dem Hauptmann.
»Es ist doch wahr!« sagte sie mit strahlendem Blick und erklärte in kurzen Worten dem überraschten Lorenz den Zusammenhang. Er wünschte ihr Glück, aber es fiel ihr auf, daß er dabei ernst und traurig aussah. Kerlo verabschiedete sich, die anderen gingen ihren Geschäften nach, und Magdalene blieb mit ihrem Vormund allein im Zimmer.
»Was denkst du nun?« fragte er, »hast du jetzt nicht doch Lust, Aristides zu heiraten und als große Dame in der Stadt zu leben?«
»Nein,« erwiderte sie, »ich passe nicht mehr für die Stadt; ich fühle mich auf dem Lande viel glücklicher, und jetzt liegt ja die Möglichkeit vor mir, alle meine Träume zu verwirklichen. Laß mich hier bleiben, mich verlangt nach nichts Besserem.«
»Mein liebes Kind,« beginnt der Hauptmann in ungewöhnlich ernstem Ton, »laß uns einmal ein vernünftiges Wort miteinander reden. Ich weiß nicht, wie lange mich unser Herrgott noch auf meinem Posten läßt, aber ich möchte wohl, daß ich dich, wenn ich einmal abgerufen werde, in den Händen eines jüngern, kräftigern Beschützers zurücklassen könnte.«
Magdalene sieht ihn aufmerksam an, aber sie nickt nur leise zu seinen Worten, ohne zu antworten.
»Du bist nun wohlhabend und vor jeder Sorge geschützt,« fährt der Alte fort, »aber darum brauchst du nur um so dringender jemand, der deine Interessen wahrnimmt. Du kannst deinen Hühnerhof, deinen Milchkeller trefflich verwalten, aber verstehst du etwas von der äußern Wirtschaft? vom Säen und Ernten, von Maschinen und Vieh? Wolltest du hier dauernd leben, so müßtest du einen Mann finden, der das alles versteht …«
Magdalene hat die Augen zu Boden gesenkt, eine hohe Röte färbt ihre Wangen, doch bleibt sie immer noch still.
»Aber du kannst doch keinen Bauer heiraten, er müßte denn zugleich gebildet, klug und fein sein …«
Sie nickt fast unmerklich.
»Ja, zum Tausend, Kind, kennst du etwa einen Mann, der all diese Eigenschaften in sich vereint?«
Und wieder nickt sie bedeutungsvoll, während eine hohe Glut ihr Gesicht bis zur Stirn hinauf überfliegt, denn eben läßt sich draußen ein wohlbekannter Schritt hören. Sie schlingt einen Augenblick ihren Arm um den Hals des väterlichen Freundes: »Verrate mich nicht!« flüstert sie ihm zu und huscht aus der einen Thür hinaus, während Lorenz in die andere eintritt. Der Hauptmann bleibt betroffen stehen, sein Blick fällt durch das Fenster auf den Garten, durch den eben Magdalene mit schnellen Schritten dem Wäldchen zueilt. Allerlei Gedanken gehen ihm durch den Kopf, als er sich zu dem jungen Mann wendet. »Nun, Freund Lorenz, Sie sehen ganz niedergeschlagen aus, nehmen Sie nicht teil an Magdalenens Glück?«
»Gewiß, ich bin aufrichtig erfreut darüber, niemand könnte diesen Reichtum mehr verdienen, als sie. – Aber ich kann es nicht lassen, auch an mich – an uns zu denken … wird sich Fräulein Magdalene noch mit diesem bescheidenen Heim begnügen, wenn sie es so viel besser haben kann? Wird sie uns nicht verlassen wollen? – – Und was soll ohne sie aus uns werden?«
Er seufzt tief, der Hauptmann aber lächelt, ihm geht auf einmal ein überraschendes Licht auf.
»So halten Sie sie fest!« sagt er nachdrücklich.
»Dürfte ich das?« ruft Lorenz zweifelnd und sieht dem alten Herrn mit ängstlicher Frage ins Gesicht. »O sprechen Sie, ist es nicht thörichte Anmaßung, auch nur im Traum an solche Möglichkeit zu denken? Ich – und sie!«
»Immer tapfer, junger Freund, nehmen Sie die Festung im Sturm, dem Mutigen gehört die Welt!«
»O haben Sie Dank für dies Wort, Sie geben mir das Leben wieder!« ruft Lorenz freudestrahlend und will die Hand des Hauptmanns ergreifen, der aber zieht sie eiligst zurück und versetzt schnell: »Ich habe hierbei nichts zu sagen und nichts zu versprechen; darüber hat nur Eine zu verfügen, gehen Sie zu ihr.«
Einen Augenblick danach sieht der wackere Hauptmann Lorenz mit langen Schritten ins Wäldchen eilen, und eine Stunde später kommt Hand in Hand ein glückliches, junges Paar auf das Haus zu: sie hocherrötend in holder, bräutlicher Scham, er mit stolz erhobenem Haupt und doch mit einem Ausdruck tiefer Bescheidenheit in den männlich ernsten Zügen. Der Hauptmann schließt beide tief bewegt in seine Arme, Katharina weiß kaum, was sie vor freudiger Überraschung sagen soll, nur Ludwig ist gar nicht erstaunt: sein reines, einfaches Herz, das keine weltlichen Rücksichten kennt, hat dieses Ende längst erwartet.
Nie hat das Waldhäuschen einen fröhlicheren Kreis gesehen als an diesem Abend. Katharina hat ein Festmahl bereitet, wozu der Hauptmann einen prächtigen Lachs gefangen hat, und als Jean Kerlo in später Stunde noch einmal vorüberkommt, kann er ein Glas trinken auf das Wohl der beiden Verlobten: Lorenz und Magdalene.