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Er ließ weder für die Ährenleserinnen, noch für die Vögel ein Körnlein übrig.

Neunzehntes Kapitel.
Von alten Freunden.

Im alten Gleise geht das Leben
Von Tag zu Tage fort,
Doch du, die einst ihm Reiz gegeben,
Du weilst an fremdem Ort.
In deiner Nähe ist das Glück –
Wann kehrst du, ach! zu uns zurück?

Wir verlassen Magdalene in ihrer unbehaglichen Stellung als arme Verwandte und unbesoldete Lehrerin und sehen uns nach ihren Freunden um. Hauptmann Bauqueur war sehr traurig nach Trentemoult zurückgekehrt, wo er nur noch von Muscheln und Fischen lebte, seinen Bedarf an Tabak auf die Hälfte herabsetzte und sich seine Tasse Kaffee und das Gläschen Likör nur noch an Sonn- und Feiertagen gestattete. »Junge Mädchen,« sagte er zu sich selbst, »mögen gern über ein kleines Taschengeld verfügen, und wenn die Dame, die meine kleine Magdalene mit sich nahm, sie auch mit allem Nötigen versorgt, so braucht das Kind doch Bänder, Süßigkeiten und allerlei Schnickschnack, und dazu muß es immer einige Groschen in seiner Börse haben.« Er darbte sich diese Groschen durch tägliche Selbstverleugnung ab, und wir wollen ihn deshalb nicht beklagen, denn er hatte seit dem Tage, an dem er das Kreuz der Ehrenlegion erhielt, keine so reine Freude empfunden. Die drei Tage, die er in Magdalenens Gesellschaft im Gasthause zu Nantes verlebt hatte, ganz mit ihr beschäftigt, stolz auf jeden Blick, den sie auf sich zog, voll Mitgefühl für ihr Unglück und ihre Verlassenheit – hatten eine große Umwälzung in ihm hervorgebracht. All die zarten Gefühle der Liebe, des Mitleids, der Sehnsucht nach häuslichem Glück, die in seinem Herzen geschlummert hatten, waren plötzlich in voller Stärke erwacht, und der alte Soldat erging sich in Träumen wie ein achtzehnjähriger Jüngling. Ja, wenn er reich gewesen wäre! wenn er auch nur die Pension eines Obersten bezogen hätte! Dann ließe es sich ganz gut in Trentemoult leben, mit jenem lieben Mädchen an seiner Seite, die ihm sein Haus verwalten würde, deren leichter Schritt und sanfte Stimme, deren weiche Hand und liebliches Geplauder sein Leben ganz anders gestalten würden als jetzt, wo er wie ein alter Wolf in seiner einsamen Höhle saß. Der arme Hauptmann stieß lautschallende Seufzer aus und kam zu dem Schluß, daß er doch sehr thöricht gewesen sei, sich nicht in jungen Jahren zu verheiraten; vielleicht hätte er jetzt ein holdes Töchterchen wie Magdalene um sich haben können, das ihm seine alten Tage erheiterte!

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Auch auf Schloß Doué herrschte Betrübnis; mit Ausnahme der alten Tregans, die sich freilich glücklich priesen, daß sie das feine Stadtfräulein losgeworden waren, sehnten sich alle Bewohner nach Magdalene; Michel und Katharina konnten sich gar nicht trösten und sprachen fortwährend von ihrem armen Liebling, und selbst Anna vermißte sie schmerzlich, denn sie fand es schwierig, ihre Hauben und Kragen so zierlich zu plätten und zu fälteln oder ein Jäckchen mit bunter Stickerei zu verzieren, wie jene es so schön verstanden hatte. Das junge Mädchen brachte auch nach ihrer Abreise noch Zwiespalt in die Familie. Michel erklärte, daß alles Geld, was Klaudine durch ihre Milch und Butter einbrachte, für die Besitzerin aufgehoben werden solle, und trotz des heftigen Widerspruchs der Mutter Monika blieb er fest bei diesem Entschluß. Glücklicherweise war die Kuh nicht auf die Sorgfalt der Alten angewiesen, sonst hätte sie wohl manchmal Hunger leiden müssen; aber es waren noch andere da, welche nicht so wie sie dachten.

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Jeden Tag erwartete Ludwig den vorüberfahrenden Omnibus.

Das schwache Licht, welches durch Magdalenens Bemühungen in Ludwigs umdunkelte Seele gefallen war, schien nach ihrer Abreise ganz erloschen; er sprach und lachte nicht mehr, sondern irrte wie ein abgeschiedener Geist ruhelos durch Haus und Feld, auf all den Wegen, wo er ehemals den Schritten des jungen Mädchens gefolgt war. Jeden Tag stellte er sich zu derselben Stunde am Eingange des Hohlweges auf und erwartete den vorüberfahrenden Omnibus; er lief ihm nach, so daß die Reisenden ihn für einen Bettler hielten und ihm Geldstücke zuwarfen. Aber er hob sie nicht auf; er musterte nur die Insassen, und wenn er fand, daß Magdalene nicht darunter war, kehrte er langsam und traurig um. Ohne Zweifel nahm er an, daß der Wagen, der ihm seine Freundin geraubt, sie ihm auch wiederbringen müsse, und diese Hoffnung war ihm so unentbehrlich wie sein tägliches Brot. Er versorgte Klaudine mit großer Aufmerksamkeit, stäubte täglich die Möbel in der roten Stube ab und schmückte diese mit Blumen, damit sie zum Empfange der Abwesenden stets bereit wäre. An der Feldarbeit nahm er selten teil, nur wenn es galt, Magdalenens Acker zu bestellen, das Unkraut zu jäten, Ginster und Heidekraut auszuroden, dann zeigte er den größten Eifer und half mit Aufbietung all seiner Kräfte bei der Bearbeitung. Und als später in der Erntezeit Lorenz seine Sichel nahm, um das Getreide zu schneiden, da lief er ohne ein Wort zu sagen mit hinaus, band die Garben und ließ weder für die Ährenleserinnen noch für die Vögel ein einziges Körnlein übrig.

Als man diesmal Magdalenens Garben drosch und siebte, war der Ertrag schon größer als die neue Aussaat; es konnte ein Teil verkauft und der kleine Besitz vergrößert werden, denn das Land um Schloß Doué war um billigen Preis zu haben. Der neue Anteil umfaßte das kleine Gehölz, das Magdalene so sehr geliebt, und in dem sie den schlafenden Lorenz gefunden hatte. Michel hätte zwar ein anderes Stück vorgezogen, weil das kleine Wäldchen nichts einbrachte, aber Lorenz wünschte es dringend, und der Vater fügte sich gern der Ansicht seines gelehrten Sohnes.

Gleich nach Beendigung der Ernte traf man auf Schloß Doué die Vorbereitungen zu einem Hochzeitsfest; Peter Kado, der Sohn des wohlhabenden Bauern zu Chenaie, hatte in seinen Bemühungen um Anna nicht nachgelassen, und nachdem die Eltern sich verständigt hatten, kam der Schneider, um in aller Form die Werbung anzubringen. Das junge Paar sollte im Elternhause wohnen, wo man einen kräftigen Mann gebrauchen konnte; dadurch wurde Lorenz wieder frei, was ihn mit lebhafter Freude erfüllte. Seit er seine Studien vollendet hatte, war er in die Heimat zurückgekehrt und hatte Pflug und Hacke mit einem Eifer geführt, als ob er nie etwas anderes gethan hätte; er hatte darin als braver Sohn gehandelt, der es nicht zulassen wollte, daß sein alternder Vater sich über seine Kräfte anstrenge. Aber es schien den Frauen, als ob er seine alte Heiterkeit verloren habe, und sie sagten sich, daß er unmöglich so viel gelernt haben könne, um sein Lebenlang ein einfacher Bauer zu bleiben; nun, meinten sie, würde er die gewonnene Freiheit benutzen, um das Priesterseminar zu besuchen. Katharina war in dem Gedanken an den künftigen hochwürdigen Herrn Pfarrer nicht wenig stolz, und doch seufzte sie im stillen dabei, denn jede Mutter möchte ihre Söhne als Hausherren und Familienväter sehen, und darauf mußte sie ja verzichten, wenn er ein Priester wurde!

Aber sie hatten alle falsch gerechnet, denn als die Hochzeit vorüber war, erklärte Lorenz, er würde in Vannes bei einem Baumeister in Arbeit treten, er habe schon alles mit ihm abgemacht. Derselbe könne ihn anfangs nur mäßig bezahlen, aber für seine geringen Bedürfnisse werde es ausreichen. Warum er eigentlich diesen Beruf dem geistlichen Stande vorzog, das wußte er selbst nicht recht, denn er hatte nicht gelernt, in seinem eigenen Herzen zu lesen. Er liebte die Bücher und Studien, aber er verspürte trotzdem keine Lust, ein Priester zu werden; er liebte das Land mit seiner Arbeit, das Leben in freier Luft, die Fluren und die Wälder, aber er konnte es nicht ertragen zu leben, ohne mit seiner Umgebung seine Gedanken auszutauschen. Seine Studien hatten ihn seinem eigentlichen Stande entfremdet und gewissermaßen heimatlos gemacht; er dachte oft an die vorjährigen Ferien, in denen er mit Magdalene gearbeitet und mit ihr über so viele Dinge gesprochen hatte – – das war eine schöne Zeit gewesen, aber sie war für immer vorbei, und auf Schloß Doué und ringsumher gab es niemand mehr, mit dem er sich so hätte unterhalten können. Nein, er konnte nicht ein Bauer unter Bauern sein, aber er strebte auch nicht danach, ein feiner Herr zu werden; vielleicht würde er in seinem neuen Beruf das finden, was ihm gebrach.

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Er fühlte sich in Vannes nicht unglücklich; seine spärlichen Einkünfte genügten ihm, und wenn er auch etwas überhäuft mit Arbeit war, so klagte er doch nicht darüber. Sein Prinzipal war mit einem Gehilfen, der sich stets eifrig und verständig zeigte, der ebenso bereit war, fünfzehn Stunden im Bureau zu sitzen, wie die Arbeiter mitten im Sturm und Regen zu beaufsichtigen, sehr zufrieden und bewies ihm ein steigendes Wohlwollen. Er zog ihn mehr zu sich heran, unterhielt sich mit ihm, lieh ihm Bücher und schenkte ihm mit der Zeit volles Vertrauen. Wenn Lorenz sich eine Erholung gestatten durfte, so ging er gern in die öffentliche Bibliothek der Stadt; die Besucher des Lesesaales sahen mit Erstaunen zuweilen einen jungen Mann in blauer Bluse dort erscheinen, welcher sich Bücher über Geschichte und Philosophie geben ließ und sich Notizen daraus machte wie ein Student, der sich zum Examen vorbereitet. Ein anderes Mal nahm er Werke über Ackerbau vor und las die Abhandlungen über die neuesten Methoden, besonders wenn er einen längern Urlaub vor sich hatte und nach Schloß Doué gehen wollte. Dort arbeitete er dann von früh bis spät auf Magdalenens Feldern, und seine landwirtschaftlichen Studien mußten ihm wohl brauchbare Winke geben, denn kein anderer Acker gab so schöne Erträge, und Michel war immer besonders stolz auf das Besitztum des Fräuleins.

Magdalene aber ahnte in der trübseligen Lage, in der sie sich jahrelang befand, nichts davon, daß ihre Liegenschaften sich ausdehnten und unter dem milden Sonnenschein der Bretagne erfreulich gediehen. Oft, wenn abends die Zwillinge eingeschlafen waren, und sie ein paar friedliche Augenblicke des Alleinseins genoß, kehrte sie mit ihren Gedanken in dem geliebten kleinen Gehölz ein und malte sich aus, wie köstlich es sein müsse, dort im hellen Mondschein auszuruhen, inmitten der tiefen, friedlichen Stille, die höchstens durch ein Vögelchen, das sich in seinem Nest regte, oder durch das Rauschen des Baches im Thal unterbrochen wurde. Wie glücklich wäre sie gewesen, zu hören, daß dieser Fleck Erde, den sie liebte, ihr selbst angehöre; aber wie sollte sie es erfahren? Sie empfing nie einen Brief aus Schloß Doué, denn niemand konnte dort schreiben, und Katharina dachte auch nicht daran, Lorenz bei einem seiner Besuche einen Brief zu diktieren. Ihm fiel es ebensowenig ein, in seinem eigenen Namen an sie zu schreiben, obgleich kaum ein Tag verging, an dem er nicht ihrer gedacht und viele Fragen gestellt hätte: ob sie glücklich sei? Ob sie noch gewachsen wäre? Ob sie wohl noch an die Zeit dächte, die sie bei den Seinen verlebt, und ob sie ihren bescheidenen Freunden in der Bretagne ein klein wenig Liebe bewahrt habe? Aber er fand keine Antwort auf diese Fragen, bis er endlich, als drei Jahre verflossen waren, die noch kühnere stellte: könnte ich sie nicht einmal wiedersehen? Er glaubte sie in Nantes, aber wie sollte er sie dort auffinden? Er kannte die Adresse des Notars nicht, und selbst sein Name war in der Aussprache seiner Mutter nicht ganz genau zu erkennen; außerdem war seine Börse immer noch sehr mager, und er konnte schwer an eine Reise denken. Da kam ihm der Zufall zu Hilfe.

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