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Fünf Monate Faulenzerleben waren schon vergangen. Die Knaben hatten ohne Unterlaß gespielt und nie ein Buch angeschaut. – Da erwachte Bengele eines Morgens, und alle Freude am Faulenzerlande war mit einem Schlage vernichtet.
Was war vorgefallen? – Geduld, meine kleinen Leser, ich werde euch alles erzählen.
Bengele wachte also auf, und wie gewöhnlich, wenn er aus dem Bette steigen wollte, kratzte er sich zuerst hinter den Ohren. Wie er nun dieses Mal an den Kopf griff, merkte er – na ratet mal, was? – merkte er zu seinem Entsetzen, daß seine Ohren ein gutes Stück länger geworden waren.
Ihr erinnert euch noch, daß der Hampelmann ursprünglich kleine Öhrchen hatte, so winzig, daß man sie mit bloßem Auge kaum sehen konnte. – Seppel hatte ja vergessen, sie zu schnitzen. – Das dumme Gesicht Bengeles hättet ihr sehen sollen, als er merkte, daß seine Ohren über Nacht so sehr gewachsen waren, daß sie wie Hörner am Kopfe standen. – Gleich suchte sich der Hampelmann einen Spiegel. Es war keiner zu finden. Da füllte er die Waschschüssel mit Wasser und schaute hinein. – Welch entsetzliches Bild! Er hätte es lieber nie gesehen. An seinem Kopfe standen zwei richtige Eselsohren.
Wie ihm das in der Seele weh tat, wie er sich schämte, wie er verzweifelte! – Der arme Bengele! –
Weinen und jammern, mit dem Kopfe an die Wand rennen, an den langen Ohren zerren, alles war umsonst; sie wuchsen immer noch mehr und bekamen ihre Haarbüsche an der Spitze.
Ein hübsches Murmeltierchen, das ein Stockwerk höher wohnte, hatte das Jammergeheul gehört und kam zu Bengele, um ihn zu trösten. Es fand ihn ganz von Sinnen und fragte liebevoll:
»Was fehlt denn meinem Herrn Nachbar?«
»Ich bin krank, liebes Murmeltierchen, schlimm krank! – Diese Krankheit macht mir große Sorge; fühle doch mal meinen Puls!«
»Er ist etwas bewegt.«
»Habe ich vielleicht Fieber?«
Das Murmeltierchen setzte sich auf die Hinterbeine, fühlte genau den Puls, zählte und sagte traurig:
»Mein lieber Freund, das ist eine böse Sache!«
»Wirklich?«
»Du hast ein ekliges Fieber.«
»Was für eines?«
»Das Eselsfieber!«
»Von dem habe ich noch nie etwas gehört«, meinte Bengele; aber ihm ahnte das Unglück.
»Nun denn«, fuhr das Murmeltierchen fort, »so will ich dir alles erklären. – In zwei bis drei Stunden bist du kein Hampelmann mehr und wirst auch kein Knabe sein, sondern –«
»Sondern was?«
»Sondern ein richtiger, vierbeiniger Esel. – Vielleicht kommt dann ein Bauer, kauft dich und nimmt dich mit nach Hause. Du wirst vor sein Wägelchen gespannt und kannst das Gemüse und die Milch in die Stadt fahren.«
»O weh, o weh!« rief Bengele, packte die langen Ohren mit beiden Händen und riß daran, als ob sie gar nicht ihm gehörten.
»Lieber Freund«, beruhigte ihn das Murmeltierchen, »es ist nichts mehr zu machen. Das ist das Schicksal, und so ist es unabänderlich bestimmt, daß alle nichtsnutzigen Kinder, die von Büchern, von Lehrern und von der Schule nichts wissen wollen, nur faulenzen, spielen und den Tag totschlagen, früher oder später Esel werden müssen.«
»Ist das wirklich so?« schluchzte der Hampelmann.
»Leider ja! Mit Heulen ist hier nichts mehr gut zu machen. Du hättest früher daran denken müssen.«
»Aber ich bin nicht daran schuld, glaub es nur, liebes Murmeltierchen, der Röhrle und nur der Röhrle ...«
»Wer ist der Röhrle?«
»Mein Schulkamerad. – Ich habe nach Hause gehen wollen, ich habe folgen wollen, ich habe gelernt und gute Noten bekommen; aber der Röhrle hat zu mir gesagt: ›Wozu willst du dich abplagen? Wozu willst du in die Schule gehen? Geh mit mir ins Faulenzerland! Dort spielt man Tag für Tag und ist immer lustig.‹«
»Warum hast du denn auf einen schlechten Freund und bösen Kameraden gehört?«
»Weil ..., weil ... o du liebes Murmeltier, weil ich ein unvernünftiger Hampelmann bin und gar kein Herz habe. – Ja, hätte ich nur einen Funken Liebe gehabt, dann wäre ich meiner lieben Mutter Fee nicht davongelaufen. – Sie war so gut gegen mich! – Jetzt wäre ich schon lange kein Hampelmann mehr, sondern ein braver Knabe wie viele andere. – Aber wenn ich den Röhrle erwische, wehe dem! Ich werde ihn gründlich verhauen.« –
Er wollte hinausgehen; aber unter der Türe fielen ihm die Eselsohren ein. Er schämte sich vor den Leuten. – Was tun? – Erfinderisch machte er sich eine hohe Mütze aus Pappdeckel und stülpte sie über die Ohren.
Jetzt suchte er den Röhrle überall: auf den Straßen, in den Theatern, in allen Winkeln; aber er war nicht zu finden. Er fragte andere Knaben nach ihm; keiner hatte ihn gesehen.
Schließlich ging er nach Röhrles Hause und klopfte an die Türe.
»Wer ist draußen?« fragte Röhrle.
»Ich bin's«, antwortete Bengele.
»Warte ein wenig, ich mache dir gleich auf.«
Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Röhrle fertig war. – Bengele war höchst erstaunt, als er den Röhrle mit einer ganz ähnlichen Pappdeckelmütze erblickte. Das tröstete den Hampelmann ein wenig; denn er dachte, daß Röhrle die gleiche Krankheit habe. Er tat aber, als merke er nichts, und fragte lachend:
»Wie geht es dir, Freund Röhrle?«
»Sehr gut, wie dem Vogel im Hanfsamen.«
»Sehr gut? im Ernste?«
»Ich hätte keinen Grund zu lügen.«
»Nimm mir's nicht übel, Röhrle, warum trägst du dann diese Pappdeckelmütze über den Ohren?«
»Der Arzt hat sie mir verschrieben, weil ich Zahnweh hatte. Aber du, lieber Bengele, warum trägst du eine solche Mütze?«
»Mir hat sie der Arzt verordnet, weil ich Halsweh hatte.«
»Armer Bengele!«
»Armer Röhrle!«
Jetzt war es lange still im Zimmer; die beiden Freunde sahen schweigend einander an und einer wollte den andern auslachen. Schließlich ging der Hampelmann auf seinen Freund zu und flötete ihm zärtlich ins Ohr:
»Ich bin neugierig, Röhrle; sag mal, hast du je etwas an den Ohren gehabt?«
»Auch nie! – Aber seit heute früh habe ich etwas an einem Ohr.«
»Ich auch.«
»Du auch? An welchem?«
»An allen beiden! – Und du?«
»Auch an allen beiden. – Wir haben die gleiche Krankheit.«
»Ich glaube es auch.«
»Röhrle, tu mir einen Gefallen.«
»Gern!«
»Laß mich deine Ohren sehen!«
»Weshalb nicht; aber erst zeig mir deine!«
»Nein, zuerst du!«
»Nein, mein Lieber, erst du, dann ich!«
»Gut«, sagte da der Hampelmann, »wir wollen etwas miteinander ausmachen.«
»Nämlich?«
»Wir nehmen alle zwei auf einmal die Mütze ab.«
»Angenommen!«
»Also aufgepaßt!«
Bengele zahlte: »Eins, zwei, drei!«
Auf drei flögen zwei Pappdeckelmützen in die Luft. – Was darauf folgte, ist fast nicht zu glauben. Bengele und Röhrle sahen, daß sie wirklich beide die gleiche Krankheit hatten; aber sie konnten nicht traurig sein; zu drollig war's, einander anzugucken. Sie wackelten mit dem Kopfe, ließen ihre Eselsohren aneinander bammeln, schüttelten sich und konnten aus dem Lachen nicht mehr herauskommen. – Plötzlich im größten Hallo wechselte Röhrle die Farbe, ward ganz still, knackte zusammen und rief:
»Hilf, Bengele, hilf!«
»Was hast du?«
»Ich kann nicht mehr aufrecht stehen.«
»Ich auch nicht mehr«, seufzte Bengele und wackelte ganz bedenklich.
Schon neigten sich beide vornüber, schon liefen sie auf allen vieren im Zimmer herum. Die Arme wurden Beine, das Gesicht verzog sich zu einer langen Eselsschnauze, die Haut wurde mit einem grauschwarzen Fell bedeckt. – Das Ärgste kam zuletzt. – Wie sie sich schämten, als ihnen der Schwanz wuchs, dieser häßliche Eselsschwanz! – Sie wollten weinen und klagen über ihr maßloses Elend. – Hätten sie lieber geschwiegen! – Kein Klagelaut drang aus ihrer Kehle, und weinen konnten sie auch nicht mehr. Laut und schnarrend ertönte durch das Haus ein unbändiges: I-ah, I-ah, I-ah!
Bald klopfte es an die Türe und draußen brummte einer:
»Aufgemacht! Ich bin's, der Kutscher des Wagens, auf dem ihr in dies Land gefahren seid. Gleich aufgemacht, oder paßt auf ...!«