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Auf einen wunderschönen Herbst, der bis Mitte Dezember gewährt hatte, war ein sehr strenger Winter gefolgt. Es war Ende Januar, als Felicia eines Tages von Wendlers heimritt. Sie hatte ihren Plan, Toni zu unterrichten, zur Ausführung gebracht und war bisher täglich hinübergeritten. Die Eltern des Kindes waren ihr innig dankbar, und die Kleine jubelte ihrer jugendlichen Lehrerin stets freudig entgegen. Wie glücklich fühlte sich Felicia in der Ausübung dieser freudig übernommenen Pflicht, mit welchem Eifer unterrichtete sie die sehr begabte Toni, die nun schon allerliebst englisch sprach.
Sie ließ ihr Pferd gemächlich dahinschreiten und achtete nicht auf das Wetter. Da brauste ein eisiger Wind daher und ein heftiger Schneesturm, wie sie so oft plötzlich in den Savannen ausbrechen, fegte über die weiten Wiesenflächen. Die ganze Luft war mit kleinen, feinen, eisigen Körnchen angefüllt, der Sturm umbrauste die jugendliche Reiterin, und ängstlich wiehernd scheute die Beauty.
»Ruhig, mein gutes Tier, wir sind gleich daheim, nur ruhig, Dick, komm an meine Seite und dann vorwärts.«
Der Negerknabe drängte sein Pferd dicht an das seiner jungen Herrin, und so schnell wie möglich ging es weiter. Der Schnee wirbelte in so dichten Massen durch die Luft, daß Felicia kaum die Augen so viel öffnen konnte, um die Richtung inne zu halten. Es war jedoch unmöglich, eine Spur von Victoria Cottage zu erblicken, so überließ sie ihrer Beauty die Führung, sie wußte wohl, daß sie sich auf ihr Pferd verlassen konnte. Da hörte sie das Schnauben eines Rosses, und nun sah sie einen Reiter dicht vor sich auftauchen.
»Hallo, Fairy, bist du da, Kind?« rief des Vaters Stimme.
»Ja, Pa, gesund und munter,« entgegnete sie vergnügt.
»Tante Luise ängstigt sich halb tot um dich, sie hat nicht eher geruht, als bis ich mich entschloß, dir entgegenzureiten. Aber, Fairy, bei dem Wetter mußt du den Unterricht aufgeben, und bis zum Frühling warten.«
»Das dauert ja nicht lange, Vater, im Februar wird es ja schon wieder warm, das Wetter mag ja auch gar nicht lange anhalten, bisher sind wir ja ziemlich von Schnee –«
Sie verstummte vor dem gewaltigen Sturm, der sie, da sie sich gerade auf einer kleinen Anhöhe befanden, mit doppelter Gewalt packte, nun war sie doch ganz froh, daß der Vater mit kräftiger Hand den Zügel ergriff und die Beauty führte.
Noch zehn Minuten, dann tauchte die schützende Farm vor ihnen auf.
Tante Luise öffnete die Haustür, als Fee vom Pferde glitt und rief ihr entgegen: »Gott sei Dank, daß du da bist, Kind, du wirst dich mit deiner Nächstenliebe noch unter die Erde bringen.«
Felicia lachte fröhlich. »Sei ohne Sorge, Tantchen, ein bißchen Schnee ist nicht so schlimm.«
»Na, ich danke! Ich habe schon manchen Schneesturm erlebt, aber dieser Orkan fährt ja über die Wiesen, als wolle er das Haus gleich mitnehmen. Allzufest scheint es ohnehin nicht zu sein, sieh nur, Karl, der Schnee dringt wie Sand durch alle Ritzen, wenn das die ganze Nacht so fortgeht, sind wir morgen im eigenen Hause eingeschneit.«
Der Farmer lachte. »Das wäre das erstemal,« rief er, »aber Luise, altes Mädchen, sieh nicht so mißtrauisch aus, wenn sich der Schnee auch alle möglichen Freiheiten nimmt, so etwas führt er doch nicht auf, dazu ist Victoria Cottage zu wetterfest. Es kann aber sein, daß wir einschneien und tagelang nicht ins Freie können.«
Tante Luise schüttelte den Kopf, für sie war und blieb es unbegreiflich, wie jemand sich hier niederlassen und dies öde, einfache Heim sogar noch lieben konnte.
Nachdem Vater und Tochter sich umgekleidet hatten, setzte sich die kleine Familie zu Tisch, und Felicia erzählte, was sie in den Stunden, die sie fern vom Hause gewesen war, erlebt hatte.
»Ich glaube,« bemerkte Tante Luise, als sie vom Tisch aufstanden, »mit Jim geht es zu Ende. Er hatte Verlangen nach dir, Fee, ich ging auf eine Minute hinüber – lange halte ich es bei dem Volke nicht aus – er sieht erbärmlich aus, so viel man bei der schwarzen Farbe beurteilen kann.«
Felicia bereitete sofort ein Glas Limonade und ging zu dem Kranken hinüber. Teilnehmend nahm sie seine fieberheiße Hand in die ihre, »Hast du viele Schmerzen, Jimmy?« fragte sie freundlich.
Er legte die Hand auf die Brust, »Hier, Miß Fairy, armer Jimmy viele Schmerzen, armer Jimmy auch keine Luft, aber Miß Fairy sagen, der Herr Jesu es will und dann alles gut sein. Nun Miß Fairy reden.«
Fee wußte, was der Kranke gern hörte, sie las ihm ein Kapitel aus der Bibel vor und sang mit ihrer weichen lieblichen Stimme einige Lieder, dann ging sie ins Haus zurück.
Als sie die Treppe ersteigen wollte, huschte Nanny an ihr vorüber. »halt, Nanny, woher kommst du,« rief sie und hielt das Mädchen fest.
»Nanny Miß Fairys nasse Kleider holen – da und da –« Sie zeigte die Kleidungsstücke, »Bridget sagen, sie trocknen in Küche.«
»Schön, und was stecktest du so schnell in die Tasche? Zeig einmal her. Du hast ja wieder gestohlen!« rief sie zürnend, als sie ihren eigenen kleinen Kamm in des Mädchens Tasche fand.
Nanny lachte, daß sie ihre weißen, blitzenden Zähne zeigte. »Nanny nicht gestohlen,« sagte sie. »Nanny Kamm gefunden in Miß Fairy Zimmer an Erde.«
Fee errötete, sie hatte sich sehr eilig umgekleidet, der Kamm war ihr niedergefallen, und sie hatte gedacht: »Laß, ich kann ihn nachher aufheben.« Sie seufzte leise, wie sehr mußte man doch auf sich achten, wenn man erziehlich auf andere wirken wollte. »Was in meinem Zimmer liegt, gehört mir, nicht dir,« sagte sie strenge, »merke dir das, Nanny, nimm nichts wieder von meinen Sachen, sonst darfst du nie wieder in mein Zimmer kommen.«
Nanny hörte auf zu lachen und sah ihrer jungen Herrin mit großen Augen nach; sie liebte ihre Miß Fairy leidenschaftlich und war der Meinung, ihr treu und ergeben zu dienen, weshalb also sollte sie aus ihrem Zimmer verbannt werden?
Felicia schritt indessen die Treppe hinauf, da steckte Tante Luise den Kopf aus der Tür und rief: »Kind, ich habe es vorhin ganz vergessen, Tom hat einen Brief für dich mitgebracht.«
Mit einem Jubelrufe nahm das junge Mädchen ihn in Empfang und betrachtete zärtlich die zierliche Handschrift. »Von Hanna«, sagte sie, »wie schnell sie geantwortet hat, die Gute. Sie ist und bleibt doch meine beste Freundin. Aber Tantchen, du solltest längst ruhen.« Liebevoll legte sie den Arm um das alte Fräulein und führte sie zu dem bequemen Lehnstuhl, den sie ihr mit des Vaters Hilfe zum Geburtstag geschenkt hatte. Nachdem sie die Tante mit einer Decke zugedeckt und ihr ein Kissen in den Nacken geschoben hatte, eilte sie in das eigene Stübchen, das sehr an Behaglichkeit durch weiße Gardinen und eine helle Tapete – Geschenke von Vater und Tante zu Weihnachten – gewonnen hatte.
Ein helles Feuer loderte im Ofen und erhöhte die Gemütlichkeit. Fee zog sich einen Stuhl heran, setzte sich und erbrach ihren Brief. Das Unwetter da draußen kümmerte sie nicht, mochte der Schnee wild über die weiten Savannen daherbrausen, sie hörte ihn nicht, im Geiste weilte sie unter ihren deutschen Freunden im Rosenhause, ihrer zweiten Heimat. Hannas Brief lautete:
Demmin, den 1. Januar 19–
Meine geliebte Fee!
Heute am Neujahrstage muß ich an Dich schreiben, wenngleich ich Dir schon in einem früheren Briefe Glück zum Jahreswechsel gewünscht habe. Es ist meine Mußestunde nach Tisch, freilich habe ich ein Buch zum lesen, doch ich bin viel mehr in Stimmung, an Dich zu schreiben. O Fee, wie lebhaft habe ich Dich heute morgen in der Kirche herbeigesehnt, es war so schön und feierlich. Ob Ihr wohl in St. Louis gewesen seid? Wohl schwerlich, es ist im Winter ja noch schwieriger als im Sommer. Arme Fee, wie magst Du gerade heute den Gottesdienst entbehren! In Gedanken sehe ich Dich im Kreise Deiner Neger singend und lehrend sitzen, wer hätte je gedacht, daß aus unserer wilden Präriefee so eine Art Missionarin werden würde?
Denke Dir, Fee –ich muß es Dir erzählen, ich bin so glücklich darüber – durch Fred Bernitts Vermittelung habe ich einem Hamburger Verleger Übersetzungen aus dem Englischen geliefert! Was sagst Du dazu? Ich wollte schon längst selbständig etwas verdienen, wußte aber nicht, wie ich es anfangen sollte, da Gott mir ja enge Grenzen durch das Fehlen des einen Armes gesteckt hat. Da traf Herr Bernitt, der im Sommer bald nach Eurer Abreise einen Tag mit Franz hier war, mich, wie ich ein englisches Gedicht übersetzte und zu meinem Vergnügen niederschrieb. Wir kamen ins Gespräch, er lobte meine leichte Weise, das Gedicht in deutsche Reime zu fassen und fragte, ob ich nicht Lust hätte, für den Druck zu schreiben? Ich ward dunkelrot und gestand ihm, daß dies längst mein heimlicher Wunsch gewesen sei, ich aber nicht gewußt hätte, wie ich das anfangen sollte. »Kleinigkeit,« entgegnete er, »wollen Sie mir Ihre Gedichte anvertrauen? Ich will mit einem Freunde sprechen.«
Nun, eine solche Kleinigkeit war es doch nicht, sein Freund hatte keine Verwendung dafür, aber durch ihn ist es ihm gelungen, einen Verleger zu finden, der mir Aufträge erteilt. Er gab mir englische Gedichte, die er, von mir übersetzt, in einen Band vereinigt hat, reizende Verschen für Kinder, die mir viele Freude gemacht haben. Weihnachten lag solch reizendes Buch, entzückend illustriert, mit meinem Namen unterm Tannenbaum und ein Honorar von achtzig Mark! O Fee, diese Seligkeit! Ich will Dir gestehen, daß nicht alle Gedichte Übersetzungen waren, sondern daß ich zu einigen Bildern, die der Verleger mir sandte, kleine Verschen geschrieben habe. Ich war anfangs recht zaghaft, Mutter erklärte meine Verse jedoch für gut, und der Verleger war zufrieden. Mutti ist glücklich meiner Zukunft wegen, und ich bin Gott so dankbar, daß ich es gar nicht aussprechen kann. Bin ich trotz meines Gebrechens nicht ein beneidenswertes, glückliches Menschenkind, das nur zu loben und zu danken hat? Ach Fee, wie viele glückliche Stunden gibt es doch im Leben! Eine solche war es, als ich mein erstes selbstverdientes Geld in der Hand hielt und Mutti mir erlaubte, selbst darüber zu bestimmen. Rate einmal, Fee, oder weißt Du, für welchen Zweck ich es auf die Sparkasse gegeben habe, in der Hoffnung, daß noch im Laufe des Jahres etwas dazu kommen wird? Eigentlich mußt Du es wissen, da Dir kein Gedanke meiner Seele fremd ist. Es ist für Deine Kirche bestimmt, Liebling! Nicht wahr, Du erlaubst mir, Dir zu helfen? Du weißt ja, wie sehr mir der Bau am Herzen liegt, und wir sind doch so gut wie Schwestern, nicht wahr, Herzblatt?
Da kommt aber Klärchen, mich zu rufen, Frieda und Elsa Hollfeldt sind gekommen, leb wohl für heute, Geliebte.
Deine Hanna.
Fee drückte das Schreiben an die Lippen, sprang auf, holte Hannas Bild und vertiefte sich in die nicht schönen aber lieblichen Züge, in die seelenvollen Augen, aus denen das frohe Herz, der ganze Gottesfriede, der das junge Mädchen stets umgab, leuchtete, wie sehr sie ihre Hanna liebte, und wie heiß die Sehnsucht nach der zweiten Heimat im deutschen Vaterlande stets nach einem Briefe in ihr aufstieg! Hätte sie hier nur eine Seele, die sie ganz verstände!
Sie las den Brief noch einmal und freute sich über Hannas achtzig Mark zum Kirchenbau. Sie hatte noch nicht halb so viel beisammen, aber zum Frühlinge sollte der Garten vergrößert werden, dann hoffte sie auf eine gute Einnahme, wäre es nur erst so weit! Ungeduldig sprang sie auf und blickte in das Schneetreiben hinaus, das ihr jede Aussicht nahm.
So früh wie möglich ging sie hinunter, bereitete den Kaffee und las Vater und Tante Hannas Brief vor. »Meine einzige Hanna! Sieht es ihr nicht ganz ähnlich?« rief sie begeistert, als sie geendet hatte.
»Hm,« sagte der Vater, »die Kleine sollte lieber an die eigene Zukunft denken, als an eine Kirche, wir sind bis jetzt so fertig geworden und werden es auch noch länger!«
»O Vater,« sagte Felicia traurig, »entbehrst du es denn gar nicht, daß wir so selten zur Kirche gehen können?«
Der Farmer verbarg seine Verlegenheit, indem er die Asche seiner Zigarre sehr umständlich abstreifte, dann sagte er: »Es ist doch nicht zu ändern, Kind, es wäre ja ganz schön, wenn wir eine Kirche hätten, aber man muß nicht Dingen nachtrauern, die nicht sein können. Du sollst dir den Kopf nicht darüber zerbrechen, Fairy, wenn dir auch zehn Freundinnen hülfen, so baust du doch keine Kirche. Und woher wolltest du das Kapital nehmen, um einen Prediger zu besolden, wenn schließlich die Kirche wirklich stände? Das könntest du nie beschaffen und ich auch nicht, also hänge nicht Hirngespinsten nach, Kleine.«
Felicia schwieg, alle große, reine Freude, die sie noch soeben empfunden hatte, war aus ihrem Herzen gewichen und hatte eine Leere zurückgelassen, die sie bedrückte. Still holte sie sich ihre Handarbeit und setzte sich zu Vater und Tante an den Tisch, auf dem schon die Lampe brannte. Der Vater las aus der Zeitung vor, die Tom aus St. Louis mitgebracht hatte, und allmählich fand das junge Mädchen ihren frischen, fröhlichen Mut wieder. Hannas achtzig Mark schimmerten wie ein heller Hoffnungsstrahl durch alle Verzagtheit. Und wenn sie zehn Jahre arbeiten und sparen sollte, was tat das? Sie war jung und gesund und fühlte sich von großer Tatkraft beseelt. Tante Luise wunderte sich, wie hell die jungen Augen wieder leuchteten, wie frisch das Lachen wieder klang, sie verstand die Nichte nicht, sie meinte, die Jugend sei doch recht leicht und schüttelte den Kopf.
Abends hörte der Schneesturm auf, nachts fror es, und am anderen Morgen schien die Sonne. Es war Sonntag, Felicia ging ins Hinterhaus, wo sie in dem geräumigsten Zimmer die Neger zu versammeln pflegte. Sie mußte sich freilich überwinden, mit der ganzen Schar im geschlossenen Raume zu sitzen, und Tante Luise behauptete jedesmal, wenn sie zurückkam, sie dufte nach den Negern, das konnte sie jedoch nicht hindern, den Leuten Gottes Wort zu erklären, so gut sie es verstand.
Die kleine Gemeinde hatte erst einige Verse gesungen, als die Tür leise geöffnet wurde und mehrere fremde Neger sichtbar wurden. Zögernd traten sie ein, an der Spitze Bob, der in Herrn Wendlers Diensten stand.
»Miß Fairy nicht böse sein,« sagte er, »Bob fragen, ob fremde Neger auch dürfen zur Stunde kommen zu Miß Fairy.«
Überrascht blickte das junge Mädchen auf die Männer, in denen sie Arbeiter von Brightons und Martinis erkannte. Eine heiße Freudenröte überflutete ihr liebliches Antlitz, sie fand nicht sofort Worte, und Bob, der ihr Schweigen und Erröten ungünstig für sich und seine Gefährten deutete, sagte demütig: »Samuel sagen, die Bibelstunden bei Miß Fairy so schön sein wie in der Kirche, Bob und andere Neger auch gern singen und beten, Miß Fairy.«
Tränen der reinsten Freude traten in Felicias Augen, sie erhob sich und gab jedem die Hand. »Kommt näher,« jagte sie mit herzgewinnender Freundlichkeit, »es ist noch Raum da, ihr könnt gern zuhören und mit uns singen.«
Bereitwillig rückten alle zusammen, die neu Angekommenen fanden noch Platz, und große, heilige Freude im Herzen sang Felicia mit ihrer schwarzen Schar ihr Lob- und Danklied zu Ende.
Als sie später nach dem Wohnhause ging, kam ihr der Vater entgegen. »O Pa,« rief sie und schlang die Arme um seinen Nacken, »ich bin zu glücklich.« Lebhaft erzählte sie, und zärtlich strich der Farmer über ihre vor Freude glühenden Wangen.
»Wer hätte das je von meiner kleinen wilden Fee gedacht,« sagte er lächelnd, »bist ja der reine Prediger geworden, ich muß nächstens wohl einmal zuhören, wie fängst du das nur an, Kind?«
»Zuerst war es schwer,« gestand sie, »nachher habe ich mich eingearbeitet, und seitdem Hanna mir die Predigten von unserem lieben alten Pastor daheim abschreibt und schickt, ist es sehr viel leichter. Es ist ja das Einzige, was man tun kann, solange wir noch keine Kirche haben. Und die Leute sind so dankbar und mit voller Inbrunst dabei, und ich – ach Pa, du glaubst ja nicht, wie glücklich es mich macht.«
Bewegt blickte der Farmer in die leuchtenden Augen seines Kindes, beugte sich nieder und küßte das junge Antlitz, dann gingen sie schweigend ins Haus, hier eilte Felicia erst zur Tante, um auch ihr die Freude, die sie gehabt, mitzuteilen, dann schrieb sie einen langen Brief an ihre geliebte Hanna.
Der Winter trat noch verschiedentlich als gestrenger Herrscher auf, im Februar jedoch wurden die Tage warm und sonnig, die Bäume bedeckten sich mit jungen Trieben, und über die weiten Wiesen breitete sich ein grüner Schimmer. Die Nächte waren noch sehr kalt, am Tage hatte die Sonne jedoch schon große Kraft und Felicia war vom frühen Morgen an mit Tobsy und Beß im Garten tätig.
Da flatterte eines Tages eine Karte ins Haus, die großes Staunen und einige Aufregung hervorrief: Mr. Martini lud die Familie Bertram zu einem Hausball ein! Fee hatte Grace schon lange nicht gesehen, da diese schon vor Weihnachten mit ihrem Vater nach Chicago gereist war, um dort die Wintermonate zu verleben, desto überraschter war sie durch die Einladung.
»Ein Ball,« rief sie hochrot vor Freude, »wie wundervoll! Denke nur, Tante, es ist mein erster! Was ziehe ich da nur an? Ob wohl viele eingeladen sind? Am besten ist es, ich reite nach Brighton Hall und berate mich mit Mabel und Ellen. Was willst du anziehen, Tante?«
»Es genügt ja vollständig, Kind, wenn dein Vater dich begleitet, ich habe kein Kleid, das ich anziehen könnte, und ich werde mir gewiß keines dazu anschaffen. Du weißt ja, wie zuwider mir Gesellschaften jeder Art sind.«
»Aber Tantchen, es muß dir doch Freude machen, mich tanzen zu sehen,« rief Felicia eifrig. »Da kommt Pa, was er wohl sagt?« Sie lief aus dem Hause und rief dem Vater entgegen: »Wir haben eine Einladung zum Ball, Pa, denke dir, ein Ball hier in unseren Savannen, was sagst du dazu? ist es nicht herrlich?«
»Träumst du am hellen, lichten Tage, meine Kleine«? fragte der Vater neckend, »wer sollte den wohl geben?«
»Wer anders als Grace Martini, das kannst du dir doch denken. Ist es nicht ein wundervoller Einfall?«
»Kind –« der Farmer blieb stehen und schaute sehr unbehaglich drein, »ich kann auf keinen Ball gehen, ich habe keinen einzigen Anzug, der nur im entferntesten passen würde.«
»Dein schwarzer ist doch sehr gut, Pa?«
»Was meinst du, Luise?« fragte der Farmer – sie waren indessen ins Zimmer gegangen – und sah seine Schwester fragend an.
Sie zuckte die Achseln. »Wenn wir uns alle drei neue Anzüge und Kleider anschaffen wollten, würde es ein Heidengeld kosten,« entgegnete sie, »wenn Fee vernünftig ist, so schlägt sie sich die Sache aus dem Sinne, für das Geld kann etwas anderes angeschafft werden.«
»Natürlich, für mein Vergnügen wäre es ja auch zu schade,« rief Fee hochrot vor Entrüstung, »ich hätte mir denken können, daß du das sagen würdest.« Mit einem Krach flog die Tür ins Schloß, und sie stürmte durch den Garten zu ihrer geliebten Sykomore, unter deren Schutze sie schon oft die Kümmernisse ihres jungen Lebens durchgekämpft hatte.
Sie setzte sich auf die Bank, stützte den Kopf in die Hände und blickte mit zornig blitzenden Augen in die Weite. Wie still es um sie her war! Die Sonne lag auf der weiten Wiesenfläche, die im ersten zarten Grün prangte, sie drang durch das dichte Geäst des Baumes und spielte über dem dunklen Mädchenkopfe, und in den Zweigen sang ein Vöglein mit süßer Stimme. Allmählich legte sich Felicias Zorn, und je mehr er schwand, desto mehr fing sie an, sich ihrer Heftigkeit zu schämen. Daß sie auch niemals lernte, sanftmütig gegen Tante Luise zu sein! Eigentlich hatte sie ja recht, es war eine unnütze Ausgabe, besser, man legte das Geld für den Kirchenbau zurück, aber der Ball – sie war jung und lebensfroh, mußte sie wirklich ganz auf solche Freuden verzichten und nur immer an den guten Zweck denken? Was Hanna wohl tun würde? Aber an die würde solche Frage nie herantreten, ihr Gebrechen schloß sie von dem Ballsaal aus, da hatte sie solche Kämpfe nicht nötig. Ob es ihr doch zuweilen schwer ward, dergleichen Freuden zu entsagen?
Sie war so in Gedanken versunken, daß sie des Vaters Kommen überhörte, sie erschrak fast, als er rief: »Na, kleine Präriefee, ist dein Zorn so weit verraucht, daß man sich wieder in deine Nähe wagen kann?«
»O Pa,« rief sie, sprang tief errötend auf ihn zu und schlang die Arme um seinen Nacken, »sei nicht böse, ich war ganz schrecklich ungezogen. Ich denke immer, ich habe meine Heftigkeit abgelegt, und bei Gelegenheit bricht sie immer wieder durch. Es ist ganz entsetzlich.«
»Ja, meine Kleine, so geht es wohl den meisten Menschen,« tröstete der Farmer seinen Liebling, den er nicht bekümmert sehen mochte, »weißt du, Fairy, wir haben nun doch beschlossen, dich auf den Ball zu führen.«
»Ach nein, Pa, das habe ich wirklich nicht verdient, Pa –«
»Still, du hast dich uns als gehorsames Kind zu fügen, ich denke, du hast diese Tugend in Deutschland gelernt, was?«
Fee nickte lachend, und der Vater fuhr fort: »Wir finden, daß du ein sehr braves, fleißiges Kind bist und nur wenig Jugendfreuden hier in unserer Abgeschiedenheit hast, da wollen wir diese Gelegenheit, wo du einmal nach Herzenslust herumspringen kannst, beim Schopfe ergreifen, auch wenn es ein kleines Geldopfer kostet –«
»Aber Pa –«
»Still, höre nur weiter. Tante meint, ihr Schwarzseidenes, wenn etwas aufgefrischt, genüge, ebenso mein schwarzer Anzug, hier in den Savannen ist es auch nicht nötig, im Frack zu erscheinen. Also ist nur für dich etwas Neues zu beschaffen, und da Tante sagt, daß du zum Sommer doch ein weißes Kleid haben mußt, so ist die Ausgabe nicht einmal unnütz. Mach also, daß du zu Brightons hinüberkommst und besprich die Kleiderfrage mit ihnen, höchstwahrscheinlich fahren sie nach St. Louis, dann kannst du deine Einkäufe gleich mit besorgen.«
»Wie gut du bist, Vaterchen!« Der Farmer mußte sich einige Küsse gefallen lassen, dann flog das junge Mädchen vor ihm her dem Hause zu.
Tante Luise saß emsig nähend an ihrer Maschine und war sehr überrascht, als sie sich plötzlich von weichen Armen umfaßt fühlte und in der Nichte glückstrahlendes Antlitz sah.
»Ach Tantchen, wie gut von dir! Bist du mir auch nicht böse? Ich war schrecklich garstig.«
»Du bist eine echte Bertram, Kind.«
»Das ist eigentlich keine Entschuldigung, ich müßte mich mehr in der Gewalt haben. Hinterher ist es mir auch immer schrecklich leid, wenn ich gerade gegen dich heftig gewesen bin. Einziges Tantchen,« sie küßte das alte Fräulein, »du glaubst doch immer, daß ich dich lieb habe?«
Ein leichtes Lächeln flog über Fräulein Bertrams Züge, als sie in die ängstlich bittenden Augen blickte. »Laß nur, Fee, das Tischtuch muß heute noch fertig werden, ich will nun endlich einmal mit unserem Wäscheschrank in Ordnung kommen. Morgen will ich versuchen, wieder einmal ein Kleid zu machen, ich habe früher Anleitung darin gehabt, auch öfter für Mutter und mich alte Sachen aufgearbeitet; es ist ja schrecklich, daß man hier keine Schneiderin haben kann. Man kann sich doch unmöglich alle Kleider in St. Louis machen lassen, das würde ein schönes Stück Geld kosten.«
»Ich möchte am liebsten gleich zu Brightons hinüber, Tante, Pa, meinte, sie führen vielleicht nach St. Louis; soll ich für dich etwas besorgen?«
»Danke, ich glaube, ich habe alles, doch nein, ein Paar Handschuhe muß ich wohl haben.«
Das alte Fräulein zog ihr Portemonnaie aus der Tasche, und Fee fragte zaghaft: »Wollen wir lieber zu Hause bleiben, Tante? Du hältst diese Ausgabe gewiß für sehr unnütz und unsinnig?«
»Na, die Handschuhe werden wohl für einige Jahre vorhalten, denn oft wird es deiner Grace hoffentlich nicht einfallen, Bälle zu veranstalten. Du hast hier ja wenig genug in dieser Einöde, Kind, da sind wir es dir am Ende schuldig, dir ein kleines Opfer zu bringen. Da, nimm, kaufe aber nicht die teuersten, das ist hier nicht nötig.«
»Tante, meinst du wirklich, daß Vaters Anzug gut genug ist und dein Kleid auch?«
»Das wollte ich meinen! Dein Vater hat sich den Anzug ja erst angeschafft, als er dich vor sechs Jahren zu uns nach Hamburg brachte, wie oft hat er ihn denn groß angehabt? Mein Kleid ist freilich viel älter und etwas unmodern, doch wer versteht das hier in der Wildnis? Höchstens deine Grace.«
»Ich denke mir, daß sie ihre Freunde aus Chicago auch eingeladen hat.«
Tante Luise fuhr mit einem Ruck herum und sagte scharf: »Wenn dir mein Kleid nicht gut genug ist, so sage es nur, dann bleibe ich zu Hause, was ich ohnehin lieber täte.«
»Aber bestes Tantchen, versteh mich doch recht, ich will doch nur Staat mit dir und Vaterchen machen.«
»Unsinn, mit alten Menschen macht man keinen Staat mehr,« brummte sie, »kümmere dich nur um deinen Anzug, das ist die Hauptsache.«
»Na, Fairy, noch nicht fertig?« rief der Vater ins Zimmer tretend, »schnell, Tom spannt schon an, mache, daß du fortkommst. Hier hast du Geld, nun sei auch nicht zu üppig, Kleine, frage Mrs. Brighton um Rat.«
»Tausend Dank, Vaterchen.« Felicia küßte Vater und Tante in dankbarer Freude und eilte, sich anzukleiden. Bald darauf fuhr sie davon und wurde in Brighton Hall mit Jubel begrüßt.
»Du nimmst die Einladung doch an?« rief Ellen, »ach, Fairy, wie ich mich freue.«
»Ja, doch endlich mal ein Ereignis,« setzte Mabel hinzu, »man war schon beinahe am Einschlafen. Wie habe ich Grace um ihren Aufenthalt in Chicago beneidet! Sie hatte uns auch verschiedentlich eingeladen, sie dort zu besuchen, doch Vater wollte es durchaus nicht, und seit ich damals mit Grace heimlich hingefahren bin, hält er mich so knapp mit Geld, daß ich an eine selbständige Reise leider nicht denken konnte. Eigentlich –« sie ward rot und schwieg, da ihre Mutter ins Zimmer trat.
»Gut, daß Sie gekommen sind, Fairy,« sagte Mrs. Brighton und begrüßte das junge Mädchen sehr herzlich, »wir wollten Sie heute nachmittag ohnehin abholen, um Sie mit nach St. Louis zu nehmen. Können Sie gleich mit uns kommen?«
»Ja, Pa hat mir Geld zu einem Kleide gegeben. Wollen Sie so freundlich sein, liebe Mrs. Brighton, und mir raten, was ich nehme?«
»Was willst du anziehen, Fairy?«
»Welche Farbe? Was für einen Stoff?« so fragten die Schwestern, und nun folgte eine eifrige Beratung.
Da klopfte es, und Grace trat ein. Alle eilten ihr voller Freude entgegen, Fee umarmte und küßte sie.
»Was für ein wundervoller Gedanke, einen Ball zu geben,« rief sie. »Wie bist du darauf gekommen, Grace?«
»Aus Mitleid mit euch, mein Schatz. Als ich in Chicago von einem Vergnügen zum anderen flog, mußte ich oft daran denken, wie ihr hier in eueren stillen Savannen versauern müßt, da fiel mir ein, daß es ganz hübsch sein müßte, hier ein ländliches Fest mit Tanz zu veranstalten. Damit es nun etwas großartiger klingt, nannte ich es Ball. Also ihr habt Lust? Macht euch nur recht schön, meine Freunde aus Chicago kommen alle.«
»Wundervoll! Du, Grace, wir wollen gleich nach St. Louis fahren und unseren Ballstaat einhandeln.«
»Dann komme ich mit, das heißt, wenn Sie mich mitnehmen wollen, Mrs. Brighton?« setzte sie liebenswürdig hinzu.
»Sehr gern, Miß Martini, wir wollen schnell unser Lunch einnehmen und dann gleich fahren.«
Als die Damen bei der Mahlzeit saßen, kam Henry, der sehr mit dem Bau seiner eigenen Farm beschäftigt war, und den Felicia in der letzten Zeit selten gesehen hatte. Freudig überrascht blieb er auf der Schwelle stehen, seine Augen leuchteten in warmer Freude auf, als er die jungen Mädchen erblickte, schnell kam er näher, sie zu begrüßen.
»Gestatten die Damen, daß ich fahre?« fragte er, als er hörte, daß nach St. Louis gefahren werden sollte. »Ich habe mancherlei in der Stadt zu tun und würde die Gelegenheit gern benutzen.«
Gnädig ward ihm die Erlaubnis erteilt, und bald stieg die kleine Gesellschaft unter Mrs. Brightons Schutz in den Wagen. Vier mutige Rosse, von Henrys kundiger Hand gelenkt, eilten leichtfüßig über das junge Gras, und unter heiterem Geplauder und Gelächter verging allen die Zeit schnell. Selbst Mabel vergaß in der bevorstehenden Freude und Erwartung die vornehme, blasierte junge Dame zu spielen und gab sich natürlich und ungezwungen. Grace sprühte vor Übermut und war so hinreißend, daß selbst Mrs. Brighton ihrem Zauber unterlag und es Henry nicht verdachte, daß er das Gesicht mehr den Insassen des Wagens als seinen Pferden zuwandte.
Nach drei Stunden schneller Fahrt war St. Louis erreicht, und nun nahm sofort das Aussuchen der Ballkleider die Damen in Anspruch. Fee war erschrocken, wie teuer die Stoffe waren, sie konnte sich gar nicht entschließen, schließlich wählte sie weißen Mull, der noch mit am billigsten war. Mrs. Brighton nahm einen ähnlichen Stoff für ihre Töchter und brachte Mabel dadurch fast zu Tränen.
»Ich dachte, Mutter würde uns seidene Kleider kaufen,« sagte sie leise zu Felicia und Grace, »wie werden wir gegen deine Freundinnen abstechen, Grace.«
»Beruhige dich, Jungfer Eitelkeit,« tröstete diese sie lachend, »alle sind darauf vorbereitet, in euch kleine einfache Prärieblumen zu finden, sie freuen sich darauf, eure Bekanntschaft zu machen. Weshalb hast du eigentlich kein seidenes Kleid genommen, Fairy? Du hast doch Geld genug in der Tasche.«
»Es wäre unrecht, Pa ist kein vermögender Mann. Wenn ich überhaupt gewußt hätte, wieviel dies alles kostet und was zu einem Ballanzug gehört, so hätte ich lieber verzichtet; das Geld hätte besser angewandt werden können.«
»Um alles in der Welt, Fairy, jetzt nur keine Gewissensbisse, komm, diese zarten Monatsrosen werden sich reizend in deinem dunklen Haar ausnehmen. Nimm sie von mir an, Liebling,« fügte sie leise hinzu, »ich möchte dich so gern für mein Fest schmücken.«
»O Grace,« Fee ward dunkelrot »das kann ich wirklich nicht annehmen, so freundlich es auch von dir ist.«
»Tu es mir zuliebe, Fairy,« schmeichelte sie, »es würde mir eine große Freude sein. Du kannst das Geld, das du für Blumen gerechnet hast, ja in deine Kirchenkasse legen, das schafft schon wieder einen Baustein mehr,« setzte sie mit einem kleinen leichtfertigen Lachen hinzu. »Hier, legen Sie diese Rosen zurück,« wandte sie sich an die Verkäuferin und schloß den Handel ab, ehe Felicia zur Besinnung kam. Es war ja sehr freundlich von Grace, aber zur rechten Freude konnte sie doch nicht kommen, einige bescheidene, selbstgekaufte Blumen hätten sie mehr befriedigt. Das mochte sie Grace jedoch nicht fühlen lassen, allmählich ließ sie sich wieder durch deren Heiterkeit hinreißen und lachte und scherzte mit ihr.
Mabel war und blieb verdrossen, als auch Grace ihr zum Troste sagte, daß sie auch in Krepp erscheinen werde, wie es sich für ein ländliches Fest auch am besten passe. Ellen tröstete sich mit dieser Versicherung, sie ward wieder vergnügt und genoß den Tag in der Stadt, wohin sie nicht allzuoft kamen. Erst ziemlich spät erreichten sie ihre stille Heimat wieder und setzten Felicia in Victoria Cottage ab. Voller Eifer zeigte sie ihre Einkäufe und freute sich, daß sie nicht zu teuer gekauft hatte.
In großer Spannung sahen nun die jungen Mädchen dem Eintreffen ihrer Kleider entgegen, und es verging fast kein Tag, daß sie nicht zusammenkamen.
»Weißt du, Fairy, was ich beschlossen habe?« sagte Ellen bei einer solchen Gelegenheit, »ich habe Vater gebeten, mich auf ein Vierteljahr nach St. Louis in eine billige Pension zu geben, damit ich schneidern lerne. Es ist doch schrecklich umständlich, alles in der Stadt machen zu lassen, und dann denke mal, was es kostet! Ich bin wirklich ganz erschrocken, was Vater der Ball kosten wird, Mutter hat uns neulich alles vorgerechnet, als Mabel so unzufrieden und verdrießlich war wegen der seidenen Kleider, weißt du. Vater und Mutter loben meine Absicht, und ich freue mich darauf. Dann habe ich doch was zu tun, was Nutzen bringt, denn, ich muß es dir nur gestehen, Fairy, dies Herumliegen in den Schaukelstühlen und das ewige Lesen macht mich ganz krank, das halte ich nicht länger aus. Wenn ich sehe, was du alles tust und wie fröhlich und zufrieden du dabei bist, so beneide ich dich immer, ich sehe aber nicht ein, weshalb ich es nicht auch werden kann, da habe ich mir nun dies ausgedacht, Wenn du willst, Fairy, helfe ich dir nachher bei deinen Kleidern, ich komme dann auf einige Tage herüber, das soll dann eine lustige Schneiderei werden. Vater sagt, wenn er sehen wird, daß ich die Sache wirklich ernst nehme, will er mir eine Nähmaschine schenken. Ich freue mich furchtbar. Mabel lacht mich aus und spottet über meine Idee; wie findest du sie, Fairy?«
»Herrlich, Ellen, ich will tüchtig von dir lernen, es ist wirklich Notsache, daß man hier bei uns schneidern kann, Tante und ich haben auch schon davon gesprochen.«
Der zum Ball festgesetzte Tag brach an, und als Felicia gegen Abend fertig angezogen im Wohnzimmer stand, tauchten neugierige schwarze Gesichter am Fenster auf, alle Dienstboten wollten ihre junge Herrin im Ballstaate sehen.
»Wartet, ich komme hinaus,« rief sie heiter und stand im nächsten Augenblick unter den Negern, die sie mit Ausrufen des Staunens und Bewunderns betrachteten.
Das junge Mädchen sah reizend aus in ihrem schlichten weißen Kleide, ohne anderen Schmuck als Graces Rosen an der Schulter und in dem dunklen Haar. Herr Bertram betrachtete sein Töchterchen freudestrahlend und sagte heimlich zu seiner Schwester: »Paß auf, Luise, unsere Kleine ist die schönste.« Das alte Fräulein lächelte etwas mitleidig über des Bruders Begeisterung, aber auch ihr strenges Antlitz trug heute einen milden Schimmer, und es leuchtete stolz in ihren Augen auf, wenn sie die Nichte anblickte. Sie sah in ihrem schwarzseidenen Kleide, das sie nach einer Modenzeitung aufgearbeitet hatte, so gut und vornehm aus, daß Felicia ganz stolz auf sie wie auch auf ihren Vater war.
In River Hall herrschte schon reges Leben, als sie anlangten. Die Gäste aus Chicago waren schon am Tage vorher gekommen und bewegten sich sämtlich in eleganten Toiletten in den unteren Räumen des Hauses. Herr Martini, ein hagerer, etwas unruhiger Herr, Mitte Fünfzig, empfing seine Gäste mit großer Freundlichkeit und führte sie seiner Tochter zu, die in einem Schwarme junger Damen und Herren stand.
Felicia war ganz hingerissen, als sie die Freundin erblickte. Grace hatte Wort gehalten, sie trug ein einfaches seegrünes Kreppkleid, wie berückend sah sie aber aus mit den mattlila Iris, mit denen das Kleid garniert war und die wie hingestreut in ihren goldblonden Locken lagen. Wie eine Nixe, dachte Fee und hätte sie am liebsten umarmt und geküßt, wenn sie sich nicht Zwang auferlegt hätte. Überhaupt fühlte sie sich durch die vielen Menschen bedrückt, und sie war froh, als sie Mabel und Ellen glücklich gefunden hatte.
Diese sahen in ihren blauen Kleidern, Mabel mit dunklen Rosen, Ellen mit zarten Vergißmeinnicht, reizend aus. Mabel verlor freilich etwas durch den ärgerlichen Zug um die Lippen, der durch die eleganten, seidenen Roben der fremden jungen Damen hervorgerufen war, sie mochte nicht für eine einfache Prärieblume angesehen werden und gab sich alle Mühe, durch Liebenswürdigkeit und Witz zu bezaubern. Ellen hielt sich zu Felicia und beide freuten sich, Trost und halt in diesem fremden eleganten Kreise aneinander zu finden, ebenso wie Tante Luise an Mrs. Brighton.
Um acht Uhr begann der Ball. Auf einen Wink des Hausherrn flogen alle Türen auf, vor dem Hause begann eine kleine Musikkapelle, die aus St. Louis gekommen war, eine Polonäse zu spielen. Es war Fee, als erlebe sie ein Märchen, als sie am Arme eines jungen Kaufherrn in die Nacht hinausschritt in den mit unzähligen Lampions erleuchteten Garten.
Alle Neger, die sich in der kleinen Ansiedlung befanden und irgend hatten abkommen können, waren um den Garten versammelt und staunten die glänzende, magisch beleuchtete Gesellschaft an. So etwas war noch nicht gesehen in den Savannen. Und noch ein Augenpaar bockte aus der Ferne sehnsüchtig auf das fröhliche Treiben; das war Frau Wendler, der ihre Armut nicht erlaubt hatte, die Festlichkeit mitzumachen. Sie war auch jung und lebenslustig, und heiße Tränen traten ihr ins Auge, als das helle Lachen und die lustigen Klänge der Musik zu ihr herübertönten.
Sie hatte jedoch wenig Zeit, an sich zu denken, die Kinder befanden sich in fieberhafter Aufregung und waren erst durch ein Machtwort zu bewegen, ins Haus zu gehen. Ein Ball mit Musik, das war ein so wichtiges Ereignis, daß die junge Mutter ihr kleines Kleeblatt nur mit Mühe ins Bett brachte. Später saß sie in traurige Gedanken versunken und flickte für ihre Kleinen; da klopfte es leise, und in ein dunkles Tuch gehüllt schlüpfte eine leichte Mädchengestalt ins Zimmer.
»Guten Abend, liebe Frau Wendler,« rief eine junge wohlbekannte Stimme, die schützende Hülle fiel, und in ihrem weißen, mit Rosen geschmückten Kleide stand Felicia vor ihr.
»Ach Fee, wie reizend Sie aussehen,« rief die kleine Frau, sprang auf und küßte das junge Mädchen.
»Ich bringe Ihnen ein bißchen was Gutes,« erklärte Fee und stellte ein Körbchen auf den Tisch, »Grace läßt grüßen. Sie sollten es sich schmecken lassen.«
»Ach Fee, bilden Sie mir nur nicht ein, daß Grace daran gedacht hat, das geht von Ihnen aus, Sie gutes Kind.«
»Aber Grace weiß es, ich habe sie gefragt. Liebe Frau Wendler, wie schade, daß Sie nicht dabei sind, ich habe nie gedacht, daß ein Ball so herrlich sein könnte.«
Tränen traten der jungen Frau in die Augen. »Es ist mir auch sehr schwer geworden, ich tanze so schrecklich gern, wir dürfen ja aber vorläufig noch nicht an unnütze Ausgaben denken, sondern müssen froh sein, wenn wir das nötigste erschwingen. Denken Sie nur, Fee, unser einziges Pferd ist krank, mein Mann ist noch gar nicht zum Abendbrot hereingekommen.«
»Ich schicke Ihnen Vater herüber, der weiß genau mit Pferden Bescheid,« versprach Felicia eifrig, nahm ihr Tuch wieder um, sprach der verzagten Frau Mut ein und eilte davon.
Eigentlich wäre sie am liebsten hier geblieben, es zog sie, nach dem, was sie gehört hatte, gar nicht in den Ballsaal zurück. Wie verschieden doch die Menschenlose verteilt waren. Dort in den lichtschimmernden Räumen Grace, die keinen anderen Gedanken hatte, als ihr Leben zu genießen und dafür Unsummen opferte, hier der Kampf um das tägliche Brot. Es war aber wohl überall so in der Welt, daß Überfluß und Mangel in scharfem Gegensatze zueinander standen.
Als sie in den Saal trat, kam ihr Grace am Arme eines älteren, weißhaarigen Herrn, mit dem sie auch den Ball eröffnet hatte, entgegen und stellte ihn ihr als Mr. Tompson vor. Sie unterhielt sich eine Weile mit beiden und suchte dann den Vater auf, der mit mehreren älteren Herren in einem Nebenzimmer eine Partie Whist spielte und bat ihn, zu Wendlers zu gehen.
»Jetzt?« fragte er gedehnt und sah sie erstaunt an, »aus der Gesellschaft heraus?«
»Ja, Pa, bitte, es ist durchaus notwendig, du weißt so gut mit Pferden Bescheid. Bitte, geh, denke nur, wenn das Tier morgen tot wäre?«
Kopfschüttelnd erhob sich der Farmer, da gerade die Partie zu Ende war. »Du bist ein merkwürdiges Mädel, Fee, mich wundert, daß du dich nicht selbst bei dem kranken Pferde hinsetzest.«
»Ich verstehe nur nichts davon, Vaterchen, sonst hätte ich dich nicht gestört,« entgegnete sie und kehrte in den Ballsaal zurück.
Ellen kam ihr entgegen, hing sich an ihren Arm und sagte leise: »Wenn ich nur wüßte, was Grace heute abend an Mr. Tompson findet, sie zeichnet ihn ganz merkwürdig aus, ich glaube, Henry ist furchtbar eifersüchtig.«
»Dein Bruder, weshalb denn?«
»Aber Fairy, hast du denn noch nicht gemerkt, daß er für Grace schwärmt?«
»Ach, wie interessant!«
»Ja, er baut seine Farm ja nur für sie.«
»Ach!« Fee blieb in grenzenlosem Staunen stehen und fragte: »Und Grace? hat sie deinen Bruder denn gern?«
»Ich glaube doch, sie interessiert sich jedenfalls für ihn und für den Bau, und ich weiß, daß er viel von diesem Abend hoffte. Es ist wieder eine ihrer unberechenbaren Launen, daß sie den alten Tompson, der ja ihr Großvater sein könnte, bevorzugt.«
»Wer ist der alte Herr eigentlich?«
»Mr. Tompson? Aber, Fairy, ihm gehört doch Green House neben Martinis.«
»Ach so, er ist der Menschenfeind, den ich schon längst gern einmal gesehen hätte?«
»Ja, er ist übrigens früher nicht so gewesen, er soll die halbe Welt bereist haben und furchtbar reich sein. Seine Frau ist schon lange tot, er hat aber eine Tochter in Graces Alter gehabt, die soll er vergöttert haben. Als sie vor einem Jahre plötzlich gestorben ist, soll er ganz melancholisch geworden sein und hat sich hierher zurückgezogen.«
»Der arme Mann! Mich wundert nur, daß er auf den Ball gekommen ist.«
»Das tut er wohl nur um Grace, sie soll sehr viel Ähnlichkeit mit seiner Tochter haben, ihr Vater hat es meinem erzählt.«
Voller Interesse beobachtete Fairy das ungleiche Paar, den großen, hageren Mann mit dem weißen Haar und den ernsten Zügen und das kleine, lebensprühende, schöne Geschöpf an seinem Arme. Welche wehmütige Freude mußte es für den armen Mann sein, die goldlockige Grace anzuschauen und an seine Tochter zu denken.
Da kam Henry, sie zum Tanz zu holen, und nun nahmen ihre Gedanken eine andere Richtung. Ob er Grace wirklich liebte? Sie begriff es vollkommen und beobachtete ihn heimlich. Er war unruhig, zeigte eine gezwungene Heiterkeit und war sichtlich zerstreut. Als sie ihn aber später verschiedentlich mit Grace tanzen und beide sehr heiter sah, dachte sie nicht weiter darüber nach und genoß das Vergnügen des Tanzes mit vollen Zügen.
Die Sterne waren schon erloschen und der junge Tag bereits angebrochen, als sie mit Vater und Tante im Wagen saß. »Ach,« sagte sie mit tiefem Atemzuge, »war es nicht wundervoll?«
»Das kann ich gerade nicht behaupten,« entgegnete ihr Vater, »ich habe drei Stunden im Pferdestall statt im Ballsaale zugebracht, nettes Vergnügen das!«
»Armes Vaterchen! Und das Pferd?«
»Na, das ist gerettet.«
»Siehst du wohl,« jubelte Felicia, »das Bewußtsein ist viel schöner, als wenn du drei Partien gewonnen hättest.« Sie streichelte seine Hände und wandte sich an das alte Fräulein. »Und du, Tantchen? fandest du es ein klein wenig nett?«
»Ich habe mich gefreut, daß es dir Spaß gemacht hat, Kind, aber nun bin ich froh, daß es endlich vorbei ist. Ich bin sterbensmüde.«
»Ich gar nicht,« erklärte Fee, und während Vater und Tante vor sich hindämmerten, überdachte sie noch einmal das Erlebte.
Als sie heimkamen, stand einer der Neger vor der Tür und sagte: »Miß Fairy gleich zu Jimmy kommen, armer Jimmy sterben und immer rufen nach Miß Fairy.«
Erschrocken sprang das junge Mädchen aus dem Wagen und rief: »Der arme Jim! Du hättest nach River Hall kommen und mich holen sollen.«
»Aber Fee,« rief Tante Luise erschrocken, »du wirst doch jetzt nicht gleich an ein Sterbebett wollen? so denke doch auch einmal an dich.« Doch Fee hörte nicht mehr, flüchtigen Fußes eilte sie um das Wohnhaus herum, etwas langsamer folgte ihr der Vater.
Heiße, dumpfe Luft schlug ihr entgegen, als sie in das Gemach trat. Schnell riß sie ein Fenster auf und ging dann leise an das Lager des jungen Burschen, vor dem seine Familie weinend und klagend auf den Knien lag. Der blinde, weißhaarige Josuah kniete in ihrer Mitte und sprach mit eintöniger Stimme ein Gebet. Wie die lichte Erscheinung aus einer anderen Welt, so trat das junge Mädchen, dem der Mantel beim Fensteröffnen entfallen war, in dem weißen Kleide mit dem Rosenschmucke an Brust und Haar unter die Schwarzen, die ihr mit leisen Ausrufen der Freude Platz machten.
Felicia kniete nieder und legte ihre Hand auf die des Sterbenden, der ganz verklärt zu ihr aufsah. »Kennst du mich, Jimmy?« fragte sie liebreich.
»Hilfe Fairy zu armen Jimmy kommen wie Engel vom Himmel,« flüsterte der Sterbende mit oft versagender Stimme, »Jimmy nun zum Herrn Jesu gehen in schönen Himmel, nicht mehr müde sein und Schmerzen haben, Jimmy so froh. Nun Miß Fairy singen und beten.«
Felicia bekämpfte die aussteigenden Tränen, sprach ein kurzes Gebet und begann mit leiser, weicher Stimme zu singen:
»Wenn ich einmal soll scheiden,
So scheide nicht von mir.«
Während des Gesanges fielen Jim die Augen zu, ein Lächeln auf den Lippen, schlief er ein wie ein müdes Kind. Felicias süße Stimme verhallte wie ein Hauch, erschüttert sprach sie ein Vaterunser, stand auf und reichte den Eltern des Jünglings die Hand.
»Jimmy ist nun beim Herrn Jesus,« sagte sie, »stört seine Ruhe nicht mehr, er ist glücklich.«
»Komm, Kind,« sagte ihr Vater, legte ihr den Mantel um die Schulter und führte sie über den stillen Hof.
»Ach Vater,« sagte sie leise, »ich wollte, ich könnte auch einmal so sanft und selig einschlafen; wie schön ist doch solch Sterben.«
Noch lange lag sie schlaflos auf ihrem Lager, ein großes, heiliges Gefühl im Herzen. Alle Gedanken an den Ball traten zurück vor der Majestät und dem Geheimnis des Todes, dem sie so unvermutet gegenübergetreten war. Der Wunsch, eine Kirche und einen Prediger zu haben, trat heißer denn je in ihr auf, und sie schmiedete Pläne über Pläne, von denen sie am nächsten Morgen auch zu Vater und Tante sprach.
Der Farmer schüttelte den Kopf. »Ich glaube, der Kirchenbau wird noch zur fixen Idee bei dir, Kind,« sagte er, »da muß man wohl allen Ernstes nachdenken, wie dir zu helfen ist.«
»Ach Vater, wenn du das wolltest!«
»Wie wäre es mit einer Geflügelzucht?« fragte Tante Luise, »ich habe mich schon immer gewundert, Karl, daß du so wenig Hühner hast, zu fressen ist genug da, sie würden wenig kosten, und junge Kücken sowohl wie Eier würden eine gute Einnahme abgeben, wenn es etwas im Großen betrieben würde.«
»Der Tausend, altes Mädchen, das ist ein famoser Gedanke,« rief Herr Bertram vergnügt, »die Idee führen wir aus, das heißt, wenn du die Oberaufsicht und die Verantwortung über den Hühnerhof übernehmen willst.«
»Ich verstehe freilich nichts davon,« entgegnete Tante Luise, »das wird sich ja aber erlernen lassen, Mrs. Brighton wird mir vielleicht Anweisung geben, und Fee und ich teilen uns in die Arbeit.«
»Und das Geld? Der Verdienst?« fragte Felicia atemlos.
Der Farmer lachte. »Das kümmert mich nicht, Kleine, Tante Luise hat die Hauptarbeit, mag sie auch über die Einnahme bestimmen.«
»Tantchen?« fragte das junge Mädchen zaghaft.
»Die kannst du meinetwegen für deinen Kirchenbau nehmen, eher hast du ja doch keine Ruhe,« entgegnete sie.
Jubelnd sprang Felicia auf und küßte das alte Fräulein stürmisch. »Schon wieder ein Schritt weiter,« rief sie freudestrahlend, »ihr sollt mal sehen, in einigen Jahren haben wir die Kirche.«
»Sachte, Töchterchen, so schnell wird es nicht gehen,« entgegnete ihr Vater, »weißt du auch, daß die Gemeinde die Besoldung ihres Predigers zu tragen hat, und weißt du, ob alle Ansiedler dazu bereit sein werden?«
»Ja, Vater, mit Freuden, selbst die Neger werden gern ihr Scherflein dazu beitragen.«
»Das glaube ich, Kleine, deine schwarze Gesellschaft wirst du schon dafür beeinflussen. Na, wir wollen sehen.«
»Du läßt uns nun sofort einen Hühnerhof einrichten, nicht wahr, alter Pa?« schmeichelte Fee, »erst müssen wir ein ganz kleines Kapital hineinstecken, einige Hühner müssen wir notwendig dazu kaufen, damit wir Hennen setzen können. Ein bißchen verstehe ich nämlich davon, Mutter hatte ja Hühner genug, wann soll er losgehen, Vaterchen?«
Sie schlang die Arme um seinen Nacken, er schob sie indessen lachend von sich und stand auf. »Wenn die Zuckerernte vorbei ist, solange mußt du dich noch gedulden, kleiner Plagegeist.«
»Ach ja, die Zuckerernte,« rief Fee vergnügt, »du sollst mal sehen, Tantchen, was das für reizende Tage sind, als Kind war dar immer ein Fest für mich.«
Das alte Fräulein lächelte etwas mitleidig, als die Ernte aber begann, ließ sie sich von der allgemeinen Bewegung doch mit fortreißen.
Obgleich die Nächte noch kalt waren, so hatte die Sonne doch schon so viel Kraft, daß die Tage recht heiß waren. Durch diesen fortwährenden Temperaturwechsel kam der Saft der Ahornbäume so in Bewegung, daß er gewonnen werden mußte. Alle, die in Victoria Cottage nur das Geringste von der Zuckergewinnung verstanden, brachen schon am frühen Morgen auf. Auch Brigdet fuhr mit großen Kesseln und einigen Helferinnen in den Wald, während Tante Luise, die sich erst am Nachmittage das Leben und Treiben da draußen ansehen wollte, daheim blieb, um auf ihres Bruders Bitte die Küche zu besorgen.
Der Unterricht fiel während dieser Zeit für die Negerkinder aus, Felicia ritt nur zu Wendlers, um Toni ihre Stunde zu geben. Sie hatte den Kindern so viel von dem Leben und Treiben im Walde erzählt, daß diese nicht eher ruhten, als bis sie versprach, Toni und Anna nachmittags abzuholen.
»Am besten ist es eigentlich, wenn ich die beiden gleich mitnehme,« sagte sie, »und Sie kommen mit Trudi heute nachmittag auch auf ein Stündchen hinüber, nicht wahr, liebe Frau Wendler? ich denke, es wird Ihnen Spaß machen.«
»Gern, liebe Fee, ich will sehen, daß ich mich so einrichte, mein Mann interessiert sich auch sehr dafür, er will später auch ein Wäldchen anlegen.«
»Ja, kommen Sie nur, ich nehme einen Kessel mit und koche Kaffee,« versprach Felicia eifrig, »Tante und ich haben gestern Kuchen nach deutschen Rezepten gebacken, es soll ein ordentliches Fest werden.«
Tante Luise sah heute, als Felicia und Dick mit den beiden Kleinen angeritten kamen, nicht verdrießlich aus, sie konnte der sonnigen Heiterkeit ihres Lieblings nicht widerstehen, und ganz vergnügt bestieg sie nachmittags mit ihr und den Kindern den Wagen, der sie nach dem Wäldchen bringen sollte.
Hier herrschte reges Leben. Die stärksten Bäume waren ein bis eineinhalb Meter hoch über der Erde angebohrt und der Saft durch Hollunderröhren in Fässer geleitet. Ein Neger fuhr mit einem Wagen, auf dem ein größeres Faß stand, von Baum zu Baum und leerte die vollen Fäßchen, dann brachte er den Saft zur Feuerstelle. Hier waltete Bridget mit großer Würde und im vollen Bewußtsein ihrer Wichtigkeit ihres Amtes, den Saft einzukochen. Es war eine große Feuerstelle, zu der die Negerkinder fortwährend Brennholz tragen mußten, mit verschiedenen Kesseln, in welchem der Saft eingekocht wurde, bis er endlich die Dicke geschmolzenen Zuckers erreicht hatte. Dann ward er zum Erkalten in bereitstehende Gefäße gegossen.
Nachdem Felicia ihre Gäste, Herr und Frau Wendler waren bereits angelangt, fröhlich begrüßt und dem munteren Treiben eine Weile zugeschaut hatte, ließ sie sich von einem Negerjungen eine Feuerstelle herrichten, stellte ihren Kessel mit Wasser auf und bereitete alles zu einem Mahle vor. Während sie noch beschäftigt war, erklangen jugendliche Stimmen, und als sie aufsah, erblickte sie Grace mit Henry und seinen Schwestern, die schon dicht herangeritten waren.
»Guten Tag, Fairy,« rief erstere und glitt vom Pferde, noch ehe Henry ihr hatte behilflich sein können, »du hast uns zwar nicht aufgefordert, wir trugen aber solch großes Verlangen nach deinem deutschen Kaffee und Kuchen, daß wir uns einfach selbst einladen.«
»Wundervoll!« rief Felicia voller Freude, »es wäre mir aber nie in den Sinn gekommen, dich aufzufordern, Grace, und den anderen ist ja die Zuckerernte nichts Neues.«
»Nein,« sagte Mabel, »da hast du recht. Als Kinder waren wir immer sehr vergnügt, aber jetzt –«, sie zuckte die Achseln, und Ellen setzte schnell hinzu: »Wir sind gekommen, Fairy, weil wir gern mit dir vergnügt sein wollen, wo du bist, langweilt man sich nie.«
Grace schlug die Hände zusammen. »Und solch Kompliment wagt sie in meiner Gegenwart einer anderen zu sagen! Nicht auszudenken! Wenn das nicht heißt, offen zum Lager der Präriefee überzugehen, so will ich nicht Grace Martini heißen.«
»Es wird Ihnen schließlich nichts übrig bleiben, als zu folgen, Miß Martini,« sagte Henry.
Sie schnippte mit den Fingern. »Niemals! Ich kann mich nie zu den Ansichten der Präriefee bekehren.«
Henrys Stirn umwölkte sich, Grace war in ihrer strahlenden Heiterkeit jedoch so hinreißend, daß er ihre Worte bald vergaß und sich der Freude des Augenblicks hingab.
Eine gar fröhliche Gesellschaft saß um das weiße Tischtuch, das Fee auf den Waldboden ausgebreitet hatte, alle ließen sich den deutschen Kaffee und Kuchen unter heiterem Plaudern und Lachen vortrefflich munden, ja, selbst Frau Wendlers blaue Augen blickten hell, und sie vertraute Fee an, daß dies der reizendste Nachmittag sei, den sie in den schrecklichen Savannen erlebe.
Fee drückte ihr erfreut die Hand und nickte mit ihrem sonnigsten Lächeln Tante Luise zu, die soeben bemerkte: »Ja, es ist hier wirklich nicht so übel, ich habe mich auch allmählich eingelebt, man hat ja auch so viel zu tun, daß man gar nicht an Heimweh denken kann.«
»Ja, liebes Fräulein, Ihnen soll es wohl nicht an Arbeit fehlen, was nähen, stopfen und flicken Sie nicht allein für mich,« rief die kleine Frau Wendler lebhaft aus.
»Ach, das ist ja nicht der Rede wert,« wehrte das alte Fräulein ab, und eine leichte Röte flog über ihr Antlitz.
Felicia aber lachte leise in sich hinein, während sie mit einem Kruge davonhüpfte, um Wasser aus einem nahen Bache zum Tassenspülen zu holen. Ihr Glaube an Tante Luises gutes Herz hatte sie doch nicht betrogen, wie glücklich machte sie das.
Der Weg zum Bach führte sie nach der anderen Seite eine Anhöhe hinan, ein kleines Stück aus dem Wäldchen hinaus. Vergnügt vor sich hinsummend schritt sie unter den Bäumen dahin, da bellte Barry, der natürlich mit von der Partie war, kurz auf, und kaum war sie aus dem Walde getreten, so blieb sie überrascht stehen und blickte erstaunt auf ein junges Mädchen, das über den Bach sprang und mit fröhlichem Gruß auf sie zukam. Wer mochte die Fremde sein?
Mit gewinnendem Lächeln, ohne auf den leise knurrenden Barry zu achten, trat sie auf Felicia zu und sagte: »Meine Neugierde trieb mich den Stimmen nach, die ich aus dem Walde schallen hörte, verzeihen Sie meine Aufdringlichkeit, ich mußte aber sehen, ob ich schon heute die Bekanntschaft hiesiger Ansiedler machen könnte. Ich bin Margarete Hofmann aus Plötzow bei Schwerin in Mecklenburg –«
»O, in der Gegend bin ich ja fünf Jahre gewesen,« unterbrach Felicia sie rot vor Freude, stellte den Krug hastig nieder, und ergriff beide Hände des jungen Mädchens.
»Sie – in Mecklenburg?« rief Margarete in freudigem Staunen, »sind Sie auch erst kürzlich herübergekommen?«
»Nein, ich bin hier geboren, aber fünf Jahre drüben zur Erziehung gewesen, mein Vater ist ein Deutscher.«
»Herrlich! Wie wird Milly sich freuen! Das ist nämlich meine Schwester, die mit Mann und Kindern und meiner Wenigkeit vor ein paar Stunden hier eingerückt ist. Ich bin nämlich ganz bei meinen Geschwistern, da meine Eltern schon vor mehreren Jahren gestorben sind. Mein Schwager hatte ein so hübsches Gut, aber, wie das so geht, er hatte Unglück und sah ein, daß es nicht wieder hochzubringen war. So verkaufte er und entschloß sich auf den dringenden Rat eines Freundes kurz zur Auswanderung. Ich stand nun vor der Entscheidung, daheim in Stellung zu gehen oder mit ihnen in die Wildnis zu wandern. Na, natürlich wählte ich zur Freude aller das letztere, es versteht sich ja auch von selbst, daß ich den Geschwistern hier beistehe. Sehen Sie, dort drüben steht unser Zelt, mein Schwager hat es soeben mit unseren beiden Knechten, die mit uns aus Mecklenburg gekommen sind, aufgeschlagen. Die kleinen Mädchen sind in Angst vor Löwen, die Buben voller Spannung und Erwartung, ob Indianer kommen und mich auf ungesatteltem Pferde rauben und in ihren Wigwam schleppen werden. Alle Indianergeschichten, die sie seither gelesen haben, sind ja lebendig geworden.«
Sie lachte hell und fröhlich, und Fee stimmte heiter ein, das junge Mädchen gefiel ihr ausnehmend.
»Wie gut, daß Sie mitgekommen sind.«
»Ja, ich bin auch riesig froh, ich finde es hier einfach himmlisch und nun, da ich ein junges Mädchen gefunden habe, wünsche ich nichts mehr.«
»O, es sind in unserer Kolonie noch drei außer mir,« sagte Fee lächelnd, »wollen Sie gleich mitkommen und ihre Bekanntschaft machen, Gretchen? nicht wahr, ich darf Sie so nennen?«
»Natürlich, als Landsleute werden wir doch keine Umstände machen.«
»Ich heiße Felicia, werde, wenn wir englisch sprechen, Fairy, auf deutsch Fee genannt.«
»Reizend, der Name paßt entzückend für Sie. Haben wir weit zu gehen? Milly möchte sich um mich beunruhigen.«
»Nein, gar nicht weit, ich will nur schnell Wasser schöpfen.«
Die Damen, die noch auf dem Lagerplatze saßen und plauderten, waren nicht wenig überrascht, Felicia mit einem fremden jungen Mädchen Arm in Arm daherkommen zu sehen. Eine fremde Erscheinung, noch dazu ein weibliches Wesen, war etwas so Auffallendes, daß selbst die drei Herren neugierig herankamen, um Gretchens Bekanntschaft zu machen. Da Grace gar nicht deutsch, und Brightons es nur mäßig sprachen, so ward die Unterhaltung englisch geführt, und Fee kam Gretchen, als sie merkte, daß sie es nicht fließend sprach, bereitwillig zu Hilfe.
Alle zeigten sich sehr erfreut über den Zuwachs ihrer Kolonie, und Herr Wendlers Vorschlag, sofort nach dem Zelte hinüberzugehen und die deutschen Landsleute willkommen zu heißen, fand ungeteilten Beifall, wenn auch nicht alle reine Deutsche waren.
»Das wird Paul und Milly freuen,« sagte Gretchen und setzte leise hinzu: »wie hübsch ihr jungen Mädchen hier alle seid, Fräulein Martini ist ja eine wahre Schönheit.«
»Nicht wahr? ist Grace nicht entzückend?« rief Fee und unterzog nun ihre neue Bekanntschaft einer kleinen Musterung. Nein, schön war Grete nicht, nur ihr köstliches Blondhaar, das am Hinterkopfe in einen dicken Knoten geschlungen war, konnte Anspruch auf diese Bezeichnung machen. Sie war frisch und rosig, ein Bild der Gesundheit und des Frohsinns, der ihr aus den blauen Augen leuchtete.
»Eine recht urwüchsige Deutsche,« sagte Grace spöttisch zu Henry, »ein blondes Gretchen, mit häuslichen Tugenden begabt, wie es mir scheinen will, das muß doch Ihr Ideal sein, Mr. Brighton?«
Er sah sie innig an. »Sie wissen recht gut, wer mein Ideal ist, Miß Martini,« entgegnete er gedämpft, »Grace –«; er biß sich auf die Lippen, denn sie fing die daherstürmende Annie auf und hielt sie plaudernd an ihrer Seite, es war ersichtlich, daß sie nicht weiter hören wollte.
Stumm, mit gerunzelten Brauen folgte er der Gesellschaft zu dem Zelte, vor dem fünf Kinder, zwei Knaben im Alter von sechs und sieben Jahren und drei Mädchen zwischen vier und zehn Jahren standen, die den Fremden neugierig entgegensahen und vor Barry große Furcht zeigten. Grete stellte sie als ihre Neffen und Nichten vor, da trat eine schlanke, dunkeläugige Dame aus dem Zelte und sah die große, unerwartete Gesellschaft so verblüfft an, daß alle in Gretes heiteres Lachen einstimmten und schnelle Bekanntschaft mit der hübschen, lebhaften Frau Flor machten.
Durch das lebhafte Sprechen und Lachen herbeigezogen trat nun auch ihr Mann aus dem Zelte. Herr Flor war ein echter Deutscher, groß, kräftig, ein wenig zur Fülle neigend, blond, mit rotgebranntem Antlitz und ruhigen, gleichmäßigen Bewegungen. Felicia fiel auf, wie verschieden er im Vergleiche mit den anderen Herren war, die alle blaß und hager waren und sämtlich die Hast und Unruhe der Amerikaner, die wohl hauptsächlich dem Einfluß des Klimas zuzuschreiben ist, angenommen hatten.
Herr Flor war freudig überrascht, so schnell die Bekanntschaft der Kolonisten zu machen, die ihn herzlich willkommen hießen und versprachen, ihm bei dem Bau seines Hauses mit Rat und Tat beizustehen.
Mit dem Versprechen, recht gute Nachbarschaft zu halten, trennten sich alle, und jeder kehrte befriedigt in das eigene Heim zurück.
Victoria Cottage, 20. März 19–
Meine geliebte Hanna!
Vielen herzlichen Dank für das reizende, entzückende Buch, das Du mir zu meinem Geburtstage geschickt hast. Wie groß war meine Freude! Weißt Du, heimlich hatte ich es mir sehnlichst gewünscht, weil es ja Deine Gedichte sind, Liebling. Mit Wonne betrachte ich Deinen Namen, der sich mit seinen goldenen Buchstaben so wunderhübsch auf dem Deckel ausnimmt. Die Illustrationen sind wundervoll. Und nun die Gedichte! Muß ich Dir erst sagen, daß ich in jedem meine Herzens-Hanna wiedererkenne? Liebling, wie stolz bin ich auf Dich und wie glücklich mit Dir! Und wenn ich dann an die achtzig Mark denke, die Du als Honorar dafür erhalten und für unsere Kirche bestimmt hast, ergreift mich ungeheure Sehnsucht, Dich zu umarmen und zu küssen, damit Du auch fühlst, was ich empfinde. Der Dank auf dem Papier kommt mir gar zu armselig vor, Du verstehst mich aber dennoch, nicht wahr, meine einzige Hanna?
Meinen Geburtstag habe ich reizend verlebt, Vaterchen schenkte mir Stoff zu einem leichten, täglichen Kleide und zwanzig Mark für unsere Kirche, denke nur! Tante Luise hatte mir eine reizende weiße Schürze gestickt und gab mir von ihrem sauer verdienten Gelde – sie näht auch für Brightons und hat viel für ein Geschäft in St. Louis zu tun – zehn Mark für den Kirchenbau. Das hat mich fast zu Tränen gerührt; das gute Tantchen! Es kommt jetzt auch immer seltener zu Mißstimmungen zwischen uns, sie ist zu meiner Freude viel heiterer, ich bin so froh, daß sie bei uns ist.
Nachmittags hatten wir ein Picknick im Walde, zu dem alle Kolonisten, jung und alt, geladen waren. Wir Jungen spielten nach dem Kaffee mehrere Stunden sehr vergnügt, später hatte Vater eine Bowle gebraut, und wir trennten uns erst spät und in sehr heiterer Stimmung.
Mit Grete Hoffmann habe ich innige Freundschaft geschlossen, wir stimmen in unseren Ansichten sehr überein, ich bin so froh, daß sie gekommen ist. Grace ist viel in Chicago oder in St. Louis, Mabel ist ewig verdrießlich und Ellen seit dem Ersten in St. Louis, um schneidern zu lernen.
Flors Farm ist fertig und der Hausfrau zu Ehren »Emilienheim« genannt. Neulich sind wir in St. Louis gewesen, die Einrichtung zu kaufen, das war zu nett. Vater stellte ihnen unseren Wagen zur Verfügung, da sie nur einen Leiterwagen haben, da baten sie mich, mitzukommen und ihnen aussuchen zu helfen. Tante Luise erbot sich, die Kinder zu nehmen, so fuhren wir seelenvergnügt ab. Pa kam zu meiner Freude auch als Führer, wie er sagte. Das Einkaufen machte zu viel Spaß, es ist doch reizend, sich so neu einzurichten. Besondere Freude machte es Grete und mir natürlich, die Möbel für ihr Zimmer auszusuchen. Das ganze Haus ist nur einfach, aber sehr nett und gemütlich eingerichtet, so arm wie meine lieben Wendlers sind Flors sicher nicht. Weißt Du, Hanna, es muß für einen Familienvater doch sehr schwer sein, mit Frau und Kindern auf gut Glück in die weite Welt zu wandern und von vorn anzufangen. Wie schwer das ist, sieht man an Wendlers, sie kommen nur ganz langsam, Schritt für Schritt, vorwärts, und wie hart müssen sie arbeiten.
Da fällt mir übrigens ein, daß ich Dir noch eine Neuigkeit mitteilen muß: unsere Kitty wird Wendlers Bob heiraten. Er kommt ja immer zu meiner Sonntagsschule, da haben sie sich kennen gelernt. Ich freue mich furchtbar, nun bekommt meine liebe Frau Wendler es doch leichter. Kitty ist unter Bridgets Leitung sauber und fleißig geworden, und ich gebe mir redlich Mühe, sie in noch manchen anderen Dingen anzulernen, damit sie Frau Wendler von Nutzen sein kann.
Und nun noch eine Neuigkeit, die mich selbst betrifft: ich bin wohlbestallte Lehrerin geworden! Was sagst Du dazu? Das ist so gekommen. Grete hatte erfahren, daß ich täglich zu Wendlers reite, um Toni zu unterrichten, sie gibt ihren Neffen und Nichten auch Stunden, ist aber nicht recht fest im Englischen, was die Kinder hier doch durchaus lernen müssen. Da bat sie mich um Anleitung, ein Wort gab das andere, ihre Schwester und ihr Schwager kamen dazu und das Ende war, daß Grete und ich beschlossen, uns in den Unterricht zu teilen. Flors wollen unsere Güte und Kräfte jedoch nicht ausnützen, wie sie sagen, und setzten jeder von uns ein kleines vierteljährliches Gehalt aus. Wieder ein Schritt weiter im Kirchenbau! Wendlers wollten nun auch nicht zurückstehen, ich habe sie ordentlich anflehen müssen, mir Toni unentgeltlich als Schülerin zu lassen, so zahlen sie nur Grete eine Kleinigkeit. Ich habe mir in unserem Hause ein leerstehendes Zimmer, meinem Stübchen gegenüber, auf dem Boden, mit Hilfe Flors und Wendlers als Schulzimmer hergerichtet, und nun kommen Grete und die vier ältesten Florschen Kinder, sowie Toni jeden Morgen um sieben Uhr, damit wir fertig sind, wenn die Mittagshitze eintritt. Um nun meine Negerkinder nicht zu vernachlässigen, stehe ich eine Stunde früher auf als gewöhnlich. Du glaubst nicht, was sie für nette Fortschritte machen, ich bin ganz stolz und glücklich, daß ich nun endlich Erfolge sehe. Bei den Florschen Kindern war ich anfangs etwas zaghaft, die zehnjährige Paula ist recht begabt, es geht aber ganz gut, freilich muß ich mich tüchtig vorbereiten, es macht mir aber unendliches Vergnügen.
Du glaubst nicht, Hanna, wie schön unsere Savannen augenblicklich sind; sie sind über und über mit Blumen bedeckt, wie ein großer, farbiger Teppich. Köstlicher Duft dringt zu mir – ich sitze unter meiner Sykomore – unzählige Insekten summen um die Blüten und naschen aus ihren Kelchen. In unserem Garten blüht, duftet und gedeiht alles um die Wette, Blumen sowohl wie Gemüse, zweimal wöchentlich wandern ganze Ladungen voll nach St. Louis. O Hanna, die Freude, wenn ich abends das Geld in Empfang nehme.
Unser Hühnerhof hat sich auch vergrößert, fünfzehn Kücken haben wir schon, süße kleine Geschöpfe, die wir alle aufziehen wollen, wenigstens die Hennen, um nicht zu viele kaufen zu müssen. Das erste Jahr werden wir freilich noch keinen so großen Verdienst haben, übrigens nehmen wir für Eier ganz nett ein. Vater sagte neulich, ich geizte ordentlich damit, er bekäme knapp noch ein Ei zu sehen, seitdem behalte ich mehr für uns zurück, denn nicht wahr, ich darf Väterchen um unsere Kirche nichts entziehen? Sehr glücklich bin ich, in Flors Gesinnungsgenossen zu haben; wenn sie erst etwas weiter sind und ihr Fortkommen sehen, wollen sie auch für den Kirchenbau sparen, Grete ist ganz Feuer und Flamme dafür.
Nun muß ich aber schließen, um Gemüse zu schneiden und Blumen zu pflücken, morgen früh um fünf Uhr fährt Tom zur Stadt. Da heißt es recht früh aufstehen, um noch das letzte zu ordnen. Das erinnert mich immer sehr an daheim. Ihr meine Geliebten, ich umarme und küsse Euch alle! Grüße auch Fränze, wenn Du an ihn schreibst und Lisa, ist sie noch immer an der Riviera? Weißt Du, Hanna, ich glaube, ganz glücklich ist unsere Lisa in dem rauschenden Leben, nach dem sie sich so sehr gesehnt hat, doch nicht. Ich sehe es ja an Grace, die ist auch jedesmal müde, verdrießlich und abgespannt, wenn sie von solcher Vergnügungstour zurückkehrt. Wie dankbar bin ich Mutter, daß sie mich zur Arbeit erzogen hat, sie gibt doch die größte Befriedigung. Wenn Mabel das doch glauben wollte! Ich möchte sie so gern überreden, sich auch an unserer kleinen Schule zu beteiligen, sie ist nämlich so prachtvoll in der Geschichte bewandert, sie will aber nicht, ich hoffe aber doch, daß die Langeweile sie endlich dazu treiben wird.
Nun aber im Ernst, lebe wohl, herzallerliebste Hanna, sonst verplaudere ich mich.
Ewig Deine getreue
Fee.
Ihre Briefmappe unter dem Arme ging das junge Mädchen durch den Garten und schaute mit frohen Augen umher. Das Heimweh, das sie anfangs gehabt, hatte sie längst überwunden, es gab ja Arbeit, segenbringende Arbeit in Hülle und Fülle, und ihr warmes Herz umfaßte so viele Menschen in inniger Zuneigung, daß für heimliches Sehnen und Trauern kein Raum blieb, trotz aller treuen, unverminderten Liebe, die sie den Bewohnern des Rosenhauses bewahrt hatte.
Plötzlich hielt sie in ihrem eiligen Gange inne und blickte erstaunt auf die Gruppe unter dem großen Apfelbaume, der unter ihrem Stubenfenster stand und mit rosigen Blüten wie übersät war. Da saß auf der Bank Tante Luise, neben sich Kitty, die junge Braut, ein Nähzeug in den Händen. »So mußt du es nicht machen,« hörte sie die Tante in englischer Sprache sagen, »hast du vergessen, wie ich es dir gestern gezeigt habe? Gib einmal her.« Sie nahm Kitty die Arbeit aus der Hand, und nun beugten sich die beiden Köpfe darüber, Tante Luise schien in ihrem Eifer gar nicht an die schlechte Ausdünstung der Neger zu denken.
»Ei Tantchen, gibst du Kitty Nähstunden?« fragte da Felicias fröhliche Stimme.
Eine leichte Verlegenheit bemächtigte sich des alten Fräuleins. »Ach was, Nähstunde,« schalt sie, »hat je ein Mensch solche Näherei gesehen? Diese schwarzen Geschöpfe sind zu liederlich. Da sieh her, ist das eine Naht? Krumm und schief, breit und schmal, wie es gerade kommt, wenn es aber nur notdürftig zusammenhält, so ist dies Volk zufrieden.«
»Aber Tantchen, sie haben es ja nicht gelernt, woher sollen sie es verstehen?«
Tante Luise brummte etwas Unverständliches und fuhr eifrig fort: »Kannst du dir überhaupt vorstellen, daß dies Frauenzimmer mit nur drei Hemden in den Ehestand treten will? Ich denke, ich soll auf den Rücken fallen, wie sie mir dies gestern ganz stolz verkündet. Es ist nicht zu glauben! Natürlich kaufte ich mir gestern gleich ihren Vater, er sagte aber, wenn er ihr einige Wäsche und zwei Kleider und etwas Kücheneinrichtung gäbe, so wäre das alles, was er tun könne. Glücklicherweise muß ja hier zu Lande der Mann die Stubeneinrichtung besorgen, na, die mag auch danach sein. Es ist ein Jammer, wie sich eure Neger stehen. Das Mädchen hat euch doch so lange gedient, da hätte sie doch auch eine Kleinigkeit haben müssen, was ist das für eine Wirtschaft, familienweis zu bezahlen.«
»Findest du, daß sich unsere Neger schlecht stehen, Tante?« fragte Felicia ernst.
»Na, findest du es etwa schön, daß die Mädchen keinen Pfennig Geld haben? Das muß noch anders eingerichtet werden, mir ist da gestern und heute schon allerhand durch den Kopf gegangen. Vorläufig ist Kittys Ausstattung die Hauptsache. Ich schenke ihr ja selbstverständlich doch eine Kleinigkeit zur Hochzeit, da ist es das beste, ich nähe ihr noch drei Hemden.«
»Tantchen, das wolltest du tun? Bei deiner vielen Arbeit? Wie gut von dir.«
»Ach geh doch, Fee,« das alte Fräulein schob die Nichte, die sie umarmen wollte, von sich und sagte: »Es wäre doch eine Schande, wenn wir das Mädchen aus unserem Hause so armselig in den Ehestand treten ließen, ganz gleich nun, ob sie weiß oder schwarz ist. Was sollten wohl Wendlers von uns denken, wenn sie so verlottert dort ankäme? Die können ihr nichts geben, das weißt du, also ist es unsere Sache, sie anständig auszurüsten. So, Kitty, nun paß auf, machst du es nun nicht ordentlich, so gibt es was.«
Kitty sah die strenge Lehrmeisterin ängstlich an und sagte demütig: »Kitty gern gut machen will, Missus nicht böse sein, Kitty nicht besser wissen.«
»Deshalb zeige ich es dir ja,« entgegnete das alte Fräulein etwas besänftigt, »heute nachmittag zeigst du mir deinen ganzen Plunder, alles was du an Kleidern und Wäsche hast, verstehst du? Ich will alles nachsehen und kein Stück, auch kein Kleid wird genäht und kommt aus dem Hause, ohne daß ich es gesehen habe. Gib mal den bunten Lappen da her; soll das eine Schürze werden? Wer wollte wohl so viel auf einmal anfangen, Mädchen, immer ein Stück, und das hübsch und sauber fertig gearbeitet.«
Felicia ging lächelnd weiter, Tante Luise, die an diesen köstlichen Frühlingstagen ihre Maschine unter dem Apfelbaum hatte, machte sich voller Eifer an Kittys hochrote Schürze und hatte ersichtlich keine Zeit für die Nichte. Das junge Mädchen mußte trotz aller Freude, die sie darüber empfand, doch heimlich lachen, daß das alte Fräulein anfing, sich für das Wohl und Wehe der von ihr früher so sehr verabscheuten Rasse zu interessieren.
Unter fleißiger Arbeit verging der Sommer, und der Herbst brach an. An den Sonntagen kamen die Kolonisten stets bei dem einen oder dem anderen zusammen, gewöhnlich ging es der Reihe nach. Selbst Tante Luise hatte nichts mehr gegen diese Zusammenkünfte, sie freute sich, daß Fee dann vergnügt mit der Jugend war, während sie selbst gern Meinungen und Ansichten mit den Frauen austauschte. Es war wie eine große Familie, die sich immer mehr aneinander schloß, sogar Mr. Tompson hatte seine Einsamkeit mehr und mehr aufgegeben und fehlte schließlich an keinem Sonntage. Wohl blieb er ernst und wortkarg, alle lernten ihn aber achten und schätzen, und trat er einmal aus seiner Zurückhaltung heraus, so konnte er sehr anschaulich und interessant von seinen vielen Reisen erzählen.
Ende September kamen noch neue Ansiedler, gute Deutsche aus Bremen, eine Familie mit vier Kindern und zwei jungen Brüdern, die ihr Glück in den Savannen versuchen wollten. Die Kolonisten waren auch den neuen Ankömmlingen mit Rat und Tat behilflich, und es begann ein emsiges Bauen. Die jungen Männer bauten sich erst vorläufig gemeinsam eine Blockhütte, sie waren gänzlich mittellos und mußten erst versuchen, dem Boden etwas abzugewinnen, ehe sie daran denken konnten, sich jeder ein eigenes Heim zu bauen.
Felicias Schule hatte sich wieder um drei Kinder vermehrt, sie ritt nach Brighton Hall hinüber und stellte Mabel noch einmal eindringlich vor, daß es ihre Pflicht sei, sich zu beteiligen.
»Versuche es doch wenigstens,« sagte sie eifrig, »es wird dir gewiß Freude machen, die Kinder sind gut und einige von ihnen recht begabt. Für Grete und mich wird es manchmal etwas viel, die Kinder sind zu verschieden im Alter, denke nur, wir haben nun, da Annie Wendler auch anfängt, neun Kinder, da müssen wir doch wenigstens zwei Klassen haben. Nicht wahr, Mabel, du kommst? Gib nur erst vorläufig zweimal wöchentlich Geschichtsstunde.«
Mabel machte Ausflüchte, obgleich sie heimlich auf eine nochmalige Aufforderung gehofft hatte, denn seit Ellen wieder daheim und unermüdlich tätig war, und Grace sich viel auf Reisen befand, hatte sie sich grenzenlos gelangweilt und sich oftmals nach Tätigkeit gesehnt, sich aber gescheut, es auszusprechen.
»Nun ja,« sagte sie schließlich gnädig, »ich will es versuchen, das sage ich dir aber gleich, Fairy, wenn es mir nicht gefällt, trete ich aus.«
»Liebste Mabel, das kannst du ja auch, habe vorläufig vielen, vielen Dank. Wo ist Ellen?«
»Sie sitzt natürlich in ihrem Schneideratelier, wie sie die öde Kammer nennt, die ihr Vater eingeräumt hat, und näht, als müßte sie sonst Hungers sterben.«
Ja, das »Atelier« verdiente den stolzen Namen keineswegs, die getünchten Wände wiesen nicht den geringsten Schmuck auf, und es befand sich nichts in dem Raume als zwei Tische, ein Kleiderriegel, einige Stühle und eine Nähmaschine, vor der Ellen saß und zu ihrer Arbeit ein lustiges Lied sang.
Mit hellen Augen begrüßte sie die Freundin und zog einen Stuhl heran. »Setze dich, Fairy,« bat sie, »und entschuldige, wenn ich bei der Arbeit bleibe, ich werde aber mit der Hand nähen, dabei läßt es sich besser reden.«
»Was nähst du denn da? ich denke, du nähst augenblicklich für Flors?«
»Alles abgeliefert,« rief Ellen vergnügt, »ach Fairy, diese Freude, als ich mein erstes selbstverdientes Geld in der Hand hielt. Hier,« sie zog ein eingewickeltes Päckchen aus dem Kasten ihrer Maschine und drückte es Felicia in die Hand, »nimm es, Fairy, ich fand es so nett, dir gerade dies für deine Kirche zu geben.«
»O Ellen, das willst du?« rief Felicia freudig überrascht und sprang auf, »dafür muß ich dich küssen; wie lieb von dir.«
»Ach, sage das nicht, Fairy, ich schäme mich, daß ich fast zwei Jahre meines Lebens mit Nichtstun verbracht habe, aber nun will ich so viel wie möglich das Versäumte nachholen. Ich helfe dir mit der Kirche, Fairy, ich habe es in St. Louis erst wieder so recht gemerkt, daß uns eine fehlt; du, Fairy,« setzte sie zögernd und errötend hinzu, »darf ich nicht öfter zu dir in die Sonntagsschule kommen?«
»Aber natürlich, Ellen, wenn du magst,« entgegnete Felicia erstaunt.
»Ja, siehst du, ich möchte gern sehen, wie man das anfängt, und dann will ich bei uns auch eine Sonntagsschule einrichten. Siehst du, es ist eigentlich eine Schande, daß unsere Neger alle Sonntage zu dir pilgern, du glaubst nicht, wie totenstill es dann immer bei uns ist.«
»Bist du eifersüchtig, Ellen?«
»Nein, gewiß nicht, Fairy, es war mir schon lange ein unbehagliches Gefühl, und als Vater neulich sagte, es sei eigentlich eine Schande, daß unsere Leute zu dir laufen müßten, da er zwei erwachsene Töchter im Hause hätte, nahm ich mir fest vor, bei dir zu lernen, was man dazu wissen muß. Willst du mich also in die Lehre nehmen, Fairy?«
»Von Herzen gern, Ellen, du sollst mal sehen, wie viele Freude dir die Sonntagsschule machen wird. Für wen nähst du denn diese bunten Kleidchen?«
»Für unsere kleinen Negermädchen. Ich habe den Stoff billig in St. Louis gekauft, und da ich augenblicklich Zeit habe, bereite ich schon etwas für Weihnachten vor, wir wollen sie auch auf deutsche Weise feiern, es war voriges Jahr so hübsch bei euch.«
Die beiden Mädchen plauderten noch eine Weile, dann verabschiedete sich Felicia herzlich.
Der Herbst, die angenehmste Jahreszeit in dortiger Gegend, war reich an zauberhaft schönen Tagen, obgleich die Natur nichts mehr bot. Eines Tages ritt Felicia nach River Hall hinüber, um Grace, die wieder einmal wochenlang in Chicago gewesen war, zu begrüßen. Ob sie sich nun nicht endlich mit Henry verloben würde? Wie war es überhaupt möglich, daß sie so oft fortreiste, wenn sie ihn lieb hatte? Henry tat ihr leid, er zeigte oft eine erzwungene Heiterkeit, dann wieder konnte er sehr finster aussehen und hatte für nichts Sinn als für seine Arbeit, die er mit einem jungen Neger verrichtete.
Unter diesen Gedanken war sie in River Hall angekommen und stieg die Treppe hinan in Graces Zimmer. Ihr silberhelles Lachen ertönte von dem Balkon und zeigte Felicia den Weg. Erschrocken aber blieb sie auf der Schwelle stehen, als sie sah, daß sich Mr. Tompson über Grace, die im Schaukelstuhl lag und eine Zigarette rauchte, niederbeugte und ihr die Hand küßte.
Über ihn hinweg erblickte Grace die Freundin. »Bitte, kleine Präriefee, du brauchst nicht so erschrocken drein zu schauen,« sagte sie und lächelte etwas spöttisch, »ich habe das Vergnügen, dir meinen Verlobten vorzustellen. Du bist die erste, die es erfährt, außer Pa, wir haben uns nämlich erst vor einer Stunde verlobt.« Belustigt blickte sie auf Fee, die, dunkelrot und verwirrt von ihr zu Mr. Tompson, der aufgesprungen war, blickte und einen Glückwunsch stammelte. Die Neuigkeit traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel, sie wußte nichts zu sagen.
»Die Damen haben sich gewiß manches zu erzählen,« sagte Mr. Tompson lächelnd, »auf Wiedersehen zum Mittagessen, geliebte Grace.« Er küßte seiner Braut die Hand, verneigte sich vor Fairy und ging.
»Nun?« Grace tat noch einen Zug aus ihrer Zigarette und warf sie dann über den Balkon, »ganz erstarrt, geliebte Präriefee?«
»O Grace, Grace, wie konntest du das tun,« rief Fee mit mühsam unterdrückter Erregung, »hast du ihn denn wirklich lieb?«
»Mr. Tompson? Er schien mir von all meinen Verehrern die annehmbarste Partie.«
»Weil du ihn liebst?« beharrte Fee.
»Sei nicht langweilig und sentimental, Kleine, man heiratet doch nicht nur aus dem Grunde.«
»Aber –«
»Still, höre mich an, Fairy, dir will ich alles erklären, obgleich ich durchaus nicht nötig hätte, dir Rechenschaft abzulegen. Ich habe dir ja aber schon einmal gesagt, daß ich dich lieb habe, du pedantisches, wunderliches, feuriges junges Geschöpf. Komm, setze dich zu mir.«
Fee gehorchte, und Grace folgte ihrem Blicke, der in die Richtung von Henrys Farm flog, die er in der Hoffnung erbaut hatte, daß sie als junge Herrin einziehen würde.
»Ich weiß, was du denkst, Fairy, und daß du mich verdammst,« sagte Grace ernster als sonst. »Ja, ich hätte hier einen anderen haben können, der mir auch ganz gut gefiel, aber – ich konnte nicht. Sieh, Fairy, eines schickt sich nicht für alle, du kannst keinen Schmetterling zwingen wie eine Schnecke auf dem Boden zu kriechen, übrigens ein hübscher Vergleich, was?« Sie lachte und fuhr lebhaft fort: »Wenn ich mir vorstellte, daß ich hier vielleicht Zeit meines Lebens bleiben sollte, in einem kleinen Hause wohnen, vielleicht mich selbst um alles kümmern, eine Sonntagsschule errichten, für schmutzige Negerkinder nähen, als Belohnung für meinen Fleiß Sonntags eine Zusammenkunft mit den lieben Nächsten oder als Höchstes eine Fahrt nach St. Louis und das alles so fort bis in mein graues Alter, so ergriff mich immer ein Schauder. Ich kann's nicht, Fairy, ich ertrüge solch Leben nicht. Angefleht habe ich Papa, mit mir auf Reisen zu gehen, mir die Welt zu zeigen, er liebt sein freies, ungebundenes Leben hier jedoch mehr. Manchmal war ich drauf und dran, auf eigene Faust in die weite Welt zu gehen, da tauchte Mr. Tompson auf. Na, es hat sich gemacht, er wird mir ein angenehmer Führer und Begleiter sein.«
»Glaubst du denn, daß du glücklich werden wirst?« fragte Felicia gepreßt.
Grace sah sie lächelnd an. »Sieh nicht so bedrückt aus, Kleine, wenn ich mich frei und ungehindert nach meiner Weise ausleben darf, bin ich glücklich. Und das kann ich an Mr. Tompsons Seite, er hat mir die weitgehendsten Versprechungen gemacht. Er will mich führen, wohin ich will und solange ich reisen mag, dann will er dort, wo es mir am besten gefällt, ein Besitztum kaufen, und daß ich mir mein Leben nach meinem Geschmacke einrichten werde, das kannst du glauben. Nun, du sagst ja kein Wort, was hast du denn?«
»Ich weiß nicht, ich dachte es mir ganz anders, wenn einer heiraten will. Du spricht immer nur von dir, denkst du gar nicht daran, daß du auch Mr. Tompson glücklich machen willst?«
Grace lachte übermütig, beugte sich vor, nahm Felicias Kopf in beide Hände und küßte sie auf den Mund, »Weißt du wohl, kleine Präriefee, daß mir der Abschied von dir am schwersten werden wird? Beruhige dich um Mr. Tompsons Glück, mir ist nicht bange darum und ihm sicher auch nicht.«
Von den widerstrebendsten Empfindungen beseelt, ritt Felicia nach Hause und erregte mit ihrer Neuigkeit großes Staunen. Was mochte der arme Henry empfinden? Felicia mußte immer an ihn denken, mochte aber in den nächsten Tagen nicht nach Brighton Hall reiten, um mit Ellen zu sprechen.
Mabel, die am nächsten Morgen zum Unterricht kam, zuckte die Achseln, als von Grace die Rede war, und sagte: »Sie hat sehr klug und vernünftig gehandelt, ich würde an ihrer Stelle auch den alten reichen Mann, der ihr alle Genüsse des Lebens verschaffen kann, einem jungen vorgezogen haben, der ihr nichts anderes bieten kann, als was wir hier haben. Könnte ich doch auch fort, hier langweile ich mich noch tot.«
Mit Unlust gab sie ihre Stunden, war wie gewöhnlich unliebenswürdig und ungeduldig und wurde infolgedessen von den Kindern sehr ungern gesehen, während sie ihre beiden anderen Lehrerinnen herzlich liebten und in deren Stunden mit Lust und Eifer lernten.
Am Nachmittage kam Ellen. Erfreut eilte Felicia ihr entgegen und führte sie auf ihr Zimmer, »Wie gut, daß du kommst, Ellen,« sagte sie und sah sie fragend an.
»Ja, es war eine große Überraschung, nicht wahr?« sagte sie, »ich wäre nie darauf gekommen, daß ein so schönes, junges Geschöpf einen so alten Mann heiraten könnte. Na, das ist Geschmackssache. Mir könnte Mr. Tompson, auf den ich übrigens gar nichts sagen will, alle Schätze der Welt zu Füßen legen, ich wollte ihn nicht haben, lieber würde ich eine alte Jungfer.«
»Du, das denke ich mir auch ganz nett,« rief Fee eifrig, »wenn man seine Arbeit hat, die man liebt, ist man doch immer glücklich, und wieviel gibt es immer und überall zu helfen, und wie viele Menschen hat man zu lieben und für sie zu sorgen. O, das Leben ist so reich, und ich glaube wirklich, als alte Jungfer kann man noch mehr für andere wirken, weil man dann doch nur für sich selbst zu sorgen hat und, weißt du, Ellen, nur an sich zu denken, muß doch schrecklich langweilig sein.«
Ellen nickte. »Man wird jedenfalls nicht liebenswert dabei, das weiß ich aus eigener Erfahrung, und Mabel gibt auch ein leuchtendes Beispiel dafür.«
Beide schwiegen eine Weile, dann sagte Ellen: »Henry tut mir furchtbar leid, obgleich er, glaube ich, in letzter Zeit keine großen Hoffnungen mehr hatte und auch wohl einsah, daß Grace keine Frau für ihn war. Die Eltern sind in einer Weise ganz erleichtert, denn wirklich glücklich wäre Henry doch nicht mit Grace geworden. Er wird schon damit fertig werden, er ist ja kein Kopfhänger, ich wollte nur, Grace heiratete bald und verschwände von der Bildfläche, das wäre für ihn das beste.«
Einige Tage später kam Grace und fand Felicia im Garten beschäftigt, Gemüse zu pflücken.
»Entschuldige mich, Grace,« sagte sie freundlich, »die Erbsen müssen erst gepflückt werden, ich werde sonst morgen früh nicht fertig, Tom fährt schon um fünf Uhr fort.«
»So laß ihn eine Stunde später fahren. Ich wollte dich mit mir nehmen, ich langweile mich.«
Felicia sah sie prüfend an, sprach so eine glückliche Braut? »Ich habe wirklich keine Zeit, kann auch Tom nicht später fahren lassen, er würde in der Hitze in St. Louis ankommen, mein Gemüse und meine Blumen würden darunter leiden und nicht verkauft werden.«
»Großes Unglück,« spöttelte Grace, »übrigens kann dein wackerer Tom ja etwas schneller fahren.«
»Das geht auch nicht, der vollgepackte wagen ist nicht leicht, er braucht gut fünf Stunden, um hinzukommen –«
»Ist nicht möglich,« rief Grace.
»Doch, du vergißt, daß ihr mit vier Pferden fahrt, da geht es natürlich schneller.«
»So pflücke die dummen Erbsen morgen früh und komm mit mir.«
»Beste Grace, wenn ich das wollte, müßte ich um drei Uhr aufstehen.«
»Gütiger Himmel! Wann stehst du denn für gewöhnlich auf, wenn dein Grünzeug zur Stadt soll?«
»Um vier Uhr.«
»Und das tust du jedesmal, den ganzen Sommer hindurch?«
»Gewiß, wenn ich alles meinen Hilfstruppen, Beß und Tobsy überlassen wollte, so hätte ich wohl bald keine Abnehmer für mein Gemüse, so zuverlässig sind beide nicht.«
»Vielleicht faßt du solch frühes Aufstehen auch als Liebhaberei auf?«
»Durchaus nicht,« rief Felicia lachend, »es wird mir sogar oftmals so schwer, daß es fast immer einen kleinen Kampf kostet.«
»Und das alles um die Kirche!« Grace sah die Freundin voller Staunen und Interesse an. »Ich habe nicht geglaubt, daß es dir so bitterer Ernst wäre,« sagte sie, »wie lange denkst du denn so für deine Marotte zu arbeiten?«
»Bitte, nenne es nicht so, Grace. Pa meint, ich könnte zehn Jahre rechnen.«
Grace schlug die Hände zusammen. »Dann bist du ja ein altes Mädchen, und was hast du dann von deinem Leben gehabt? Nichts als das Bewußtsein, dem fremden Volke hier, das dich im Grunde gar nichts angeht, eine Kirche gebaut zu haben; du sagst ja selbst, daß ihr nicht hier bleiben wollt, hast du das schon bedacht, Fairy?«
»Ja, ich hoffe aber schon früher so viel zusammen zu haben, ich finde jetzt bei allen Kolonisten viel mehr Interesse und Eifer für die Sache, mein Fonds vergrößert sich auf erstaunliche Weise.«
»Hast du dich nicht gewundert, daß ich dir noch nie etwas gegeben habe?«
»Nein, ich kenne ja deine Ansichten.«
Grace lachte, »Weißt du wohl, Präriefee, daß deine Kirche schon übers Jahr stehen würde, wenn ich die Sache in die Hand nähme? Aber nicht aus eigenen Mitteln.«
Fee ward rot und sah die Freundin forschend an. »Wie wolltest du das anfangen?« fragte sie gespannt.
Grace zuckte die Achseln. »Ich habe noch nicht darüber nachgedacht, die Sache lag mir zu fern, ich will ihr jetzt aber mein Interesse zuwenden.« Sie senkte den feinen Kopf und sah gelegentlich in Fees Blumenbeete, dann klatschte sie plötzlich in die Hände und rief: »Wundervoll, das gibt einen herrlichen Spaß! Doch mal etwas, das die Langeweile vertreibt.«
»Was hast du vor, Grace?« fragte Felicia unruhig, »hoffentlich hängt dein »Spaß« nicht mit der Kirche zusammen? Ich denke doch, Grace, daß selbst dir die Sache dazu zu heilig sein sollte.«
Grace lachte. »Wie deine Augen in edler Entrüstung funkeln, meine süße Präriefee, du gefällst mir immer am besten, wenn du dich in gelindem Zorne befindest. Kommst du nun mit mir?«
»Ich habe dir ja gesagt, daß ich keine Zeit habe.«
»Also ein Korb in der bündigsten Form. Wirst du vor Sehnsucht krank werden, wenn du mich in nächster Zeit nicht siehst? Ich fahre morgen nach Neuyork.«
»Was willst du denn da?« fragte Felicia überrascht.
»Mich amüsieren, was sonst?«
»Und Mr. Tompson? Was sagt der?«
»Vorläufig weiß er es noch nicht, meine Entschlüsse kommen, wie du weißt, mir oft selbst überraschend. Übrigens muß Mr. Tompson sich trösten und zu der Erkenntnis gelangen, daß ich nach wie vor meinem Willen folgen werde.«
»Du bist eigentlich ein ganz schreckliches Mädchen, Grace, komisch, daß man dir doch nicht ernstlich böse sein kann,« sagte Felicia kopfschüttelnd, als sie die Freundin aus dem Garten begleitete, wo ihr Pferd auf- und abgeführt wurde.
Grace schwang sich leicht mit Hilfe ihres Grooms auf das Pferd und strich lächelnd über Felicias emporgehobenes Gesicht. »Kleine Präriefee, du weißt gar nicht, wie gut ich dir bin. Lebe wohl, Liebling, auf Wiedersehen.«
Nachdenklich blickte Felicia der eleganten Reiterin nach. Welch ein Gemisch von Oberflächlichkeit und Willenskraft lag in ihr, wie anders hätte sie sich wohl entwickelt, wenn sie anders erzogen worden wäre. In Gedanken versunken kehrte Felicia in den Garten zurück, ihre Arbeit fortzusetzen. Sie fühlte sich müde und abgespannt und wäre sehr gern mit Grace nach River Hall geritten, um den Abend in süßem Nichtstun zu verbringen. Sie seufzte leise, als sie sich niedersetzte, um Gurken zu schneiden. Der Kirchenbau kostete sie doch manches Opfer und manche Selbstüberwindung, und wie lange würde es noch so fortgehen? Zehn Jahre war eine lange Zeit, Grace hatte recht, sie war dann ein altes Mädchen. Und nun morgen wieder dies schrecklich frühe Aufstehen, in Gedanken durchfocht sie nun schon den Kampf zwischen ihrer Müdigkeit und der Pflicht aufzustehen. Aber die Kirche – sie richtete sich auf und warf einen Blick über die Wiesen nach der kleinen Anhöhe, die sie den »Kirchenhügel« nannte. Ein Blick dorthin gab ihr immer wieder Mut, wenn sie einmal müde oder verzagt war. Sie war jung und gesund, Gott würde ihr auch ferner Kraft geben, die vielen Jahre auszuhalten, um das begonnene Werk zu vollenden. Wie herrlich mußte es sein, wenn dort auf dem Hügel eine einfache Kirche, ihre Kirche, stand und mit hellem Glockenklange die andächtige Gemeinde zum Gottesdienste rief. Ein glückliches Lächeln umspielte ihre Lippen, ein frohes Leuchten brach aus den dunklen Augen, war die Aussicht nicht zehn Jahre mühseliger Arbeit wert?
Mit neuem Eifer begab sie sich an die Arbeit und als sie später, noch einen Abglanz dieser Freude auf den lieblichen Zügen, zum Abendbrot kam, dachte Tante Luise, die sich recht abgespannt fühlte: Wie glücklich ist doch die Jugend, die kennt weder Ermüdung noch Abspannung, der lacht immer die Lebensfreude aus den Augen. Welch Vergnügen ist es doch, das Kind anzusehen.
Sie hätte ihre Meinung wohl etwas geändert, wenn sie gesehen hätte, wie das »Kind« am nächsten Morgen, nachdem es von Bridget geweckt war, immer wieder todmüde umsank, um schließlich mit einem energischen Ruck aus dem Bette zu springen. O diese Müdigkeit! Schnell lief Fee zu ihrem Waschtisch, badete das Gesicht in kaltem Wasser und kleidete sich hastig an, denn ein Blick auf die Uhr zeigte ihr, daß Eile geboten sei.
Mehrere Tage vergingen unter der gewohnten, emsigen Arbeit. Das junge Mädchen dachte nicht viel an Grace und ihre Vergnügungen in Neuyork, als der Vater sie eines Morgens in unliebsamer Weise daran erinnerte. Die kleine Familie saß beim ersten Frühstück, der Farmer las die Zeitung, die Tom abends vorher mitgebracht hatte, Tante Luise und die Nichte plauderten halblaut miteinander. Plötzlich lachte Herr Bertram auf.
»Der Tausend, das sieht dem Wettermädel ähnlich! Ich will doch gleich darauf wetten, daß das niemand anders ist als deine Grace. Höre nur, Fairy, was hier aus Neuyork berichtet wird: Seit einigen Tagen erregt hier ein bildschönes, junges Mädchen Aufsehen, nicht nur durch ihre ungewöhnliche Anmut, sondern durch ihre eigenartige Beschäftigung. Sie erscheint jeden Morgen am Broadway, dem Metropolitan Hotel gegenüber, in einem enganschließenden schwarzen Kostüm, gegen das sich ihr reiches goldblondes Haar besonders wirkungsvoll abhebt, und nimmt, begleitet von einem Neger, ihren Standort ein, um – den vorübergehenden Herren die Stiefel höchst eigenhändig zu putzen. Der Neger, in reicher Dienerlivree, hält eine Stange mit einem Plakat, auf dem zu lesen steht: hier werden Stiefel geputzt zum Besten einer in den Savannen zu bauenden Kirche. Es braucht wohl kaum gesagt zu werden, daß die gesamte Herrenwelt, Jung sowohl wie Alt, der jungen Dame, die den besten Kreisen anzugehören scheint, zuströmt und ihr die Dollars reichlich zufließen.«
Atemlos, bald rot, bald blaß, hatte Felicia zugehört, starr sah sie den Vater an, als er das Blatt sinken ließ und lachend ausrief: »Na, was sagst du nun? Ist das deine Grace oder ist sie es nicht? Was hast du denn, Kind? Du siehst ja ganz blaß aus?« Herr Bertram legte die Hand auf der Tochter Arm und schüttelte sie leise.
Nun kam Leben in die regungslose Gestalt, so heftig, daß Tante Luise zusammenfuhr, sprang sie auf und rief mit zornfunkelnden Augen: »Ich hätte es wissen können, daß sie so etwas beabsichtigte. O meine Kirche! In den Staub wird mein Werk gezogen, sie sieht nichts anderes darin als ein Vergnügen für müßige Stunden. Meine Kirche, meine liebe, liebe Kirche, sie ist entweiht, noch ehe sie erbaut ist.« Ihre Stimme brach in Schluchzen, sie schlug die Hände vor das erblaßte Antlitz und weinte leidenschaftlich.
»Na, na, Fairy,« sagte der Vater bestürzt und strich ihr über das Haar, »nimm's nicht zu ernst, von einer Entweihung kann doch keine Rede sein, das Geld wird ja auf ganz rechtliche Weise erworben, du sollst mal sehen, wie froh du sein wirst, wenn du nachher das viele Geld hast, und der Bau beginnen kann. Sollst mal sehen, Kleine, in einem Jahre steht die Kirche.«
Das junge Mädchen schluchzte leidenschaftlicher. »Es ist meine Kirche,« stieß sie hervor, »meine Idee – ich wollte es zusammenbringen und Jahre meines Lebens dafür geben – mit Freuden – – und nun – nun kommt Grace und reißt mir auf so leichtfertige Weise alles aus der Hand.«
Der Farmer sah hilfeflehend zu seiner Schwester hinüber, »Was ist da zu machen, Luise? Recht hat ja das Kind. Weißt du, Fee, eigentlich ist es ja gleich, wer das meiste Geld gibt, die Hauptsache ist doch, daß die Kirche gebaut wird, was, Liebling? Komm, weine nicht so, gehe zu Tante Luise, ich habe keine Zeit mehr. Der schwarzen Gesellschaft werde ich sagen, daß heute morgen keine Stunde ist; bis um acht, wenn Fräulein Gretchen mit den Kindern kommt, wirst du dich wohl beruhigt haben. Tröste das Kind ein bißchen, Luise.« Damit ging er, und Felicia sank im Übermaße ihres Schmerzes vor der Tante nieder und legte ihren Kopf schluchzend in deren Schoß.
Ganz hilflos blickte das alte Fräulein auf das weinende Mädchen, sie hatte das Trösten nie gelernt und wußte es durchaus nicht anzufangen. Wie unbequem, daß das Kind alles gar so leidenschaftlich auffaßte, schließlich ärgerte sie sich auch über diese Grace, die sich höchst unweiblich benahm und ihrem Liebling immer gerade zur unrechten Zeit über den Weg lief. Etwas ungeschickt – denn Zärtlichkeiten zu erweisen hatte Tante Luise auch nicht gelernt – strich sie über das dunkle Haar des Mädchens und sagte so sanft wie möglich: »Beruhige dich doch nur, Kind, es ist ja nichts mehr an der Sache zu ändern. Ich kann dir ja nicht verdenken, daß du dich über diese leichtfertige Grace ärgerst, aber schließlich hat dein Vater recht, wenn er sagt, daß es die Hauptsache ist, daß die Kirche überhaupt gebaut wird. Und, Kind, ich glaube kaum daß wir es allein beschafft hätten, es gehört doch ein Heidengeld dazu.«
»Wenn es auch zehn Jahre gedauert hätte! Es wäre doch mein Werk gewesen,« rief Felicia leidenschaftlich und richtete das blasse Gesicht auf, »was kann ich nun dazu beitragen? Ein armseliges Scherflein, das vielleicht nicht einmal gebraucht wird,« setzte sie in ausbrechender Bitterkeit hinzu, »mag Grace die Kirche bauen, sie bringt ja alles zusammen, nicht ich.«
Fräulein Bertram blickte prüfend in das blasse Antlitz mit den zuckenden Lippen und fragte: »Sage mal, Kind, willst du die Kirche dir oder zur Ehre Gottes bauen?«
Erschrocken sah Felicia auf. »Tante,« stotterte sie, »Tante!«
»Nun ja, wenn du nur an die Kirche denkst, so mußt du dich doch freuen, wenn sie je eher je lieber erbaut werden kann, dies klingt ja aber, als ob du deine Ehre durch den Bau suchest.«
»Um Gottes willen, Tante,« Felicia sprang entsetzt auf und blickte die Tante hilfslos an. »Mir ist, als ob mir der Boden unter den Füßen fortgezogen wird, versteh' mich doch. Ich habe ja für mein Werk gelebt und gestrebt, mir ist, als hätte ich keinen Lebenszweck mehr, wofür soll ich ferner arbeiten und sparen?«
»Nun, für dich, für deine Zukunft.«
»Tante, wie schrecklich, nur an mich zu denken!«
»Dann denke an deinen Vater und – na, meinetwegen auch an mich,« setzte sie mit Überwindung hinzu, denn es war ihr kein angenehmer Gedanke, daß jemand für sie arbeiten sollte, das Kind mußte aber erst wieder etwas festen Boden unter den Füßen haben, da half es nicht. »Je mehr du uns mit deiner jungen, frischen Kraft hilfst, ein kleines Kapital zu ersparen, je eher können wir uns zur Ruhe setzen, denn sauer wird es uns beiden recht oft, wenn dein Vater es auch nicht zeigt. Das, sollte ich meinen, ist Lebenszweck genug für dich. Und denke nur, Fee, daß wir in die Heimat zurückkehren können, wenn wir so viel Kapital haben, um davon zu leben, der Gedanke sollte dich doch anspornen.«
Fee nickte, ihre Augen blickten aber trübe und hoffnungslos, ihr war sterbensmüde zu Sinn. »Gewiß, Tante, du hast recht, ich werde es auch überwinden,« sagte sie und ging in ihr Stübchen hinauf.
Hier saß sie nun am Fenster und starrte gedankenverloren in den klaren Herbstmorgen hinaus. Hatte sie wirklich ihre und nicht Gottes Ehre gesucht? Diese Frage quälte und bedrückte sie, gewissenhaft prüfte sie sich selbst. Nein, Gottlob, sie konnte den Blick frei zum Himmel emporheben, sie hatte nicht an sich gedacht, aber, das gestand sie sich ein, sie hatte ihre Arbeit und ihr Streben so sehr geliebt, daß ihr diese Enttäuschung sehr bitter war. Nicht mehr für die Kirche arbeiten und schaffen – es war nicht auszudenken! Eine andere würde ihr Werk vollenden, und sie sollte von Ferne stehen und zusehen. Heiße Tränen strömten ihr abermals über die Wangen, sie krampfte die Hände zusammen und fragte sich mit heißer Angst, ob sie doch so selbstsüchtig und ehrgeizig war, daß sie sich über das vollendete Werk nicht würde freuen können? Sie wollte ja, wenn sie aber an den Augenblick dachte, wo Grace lachend und triumphierend vor sie hintreten würde, glaubte sie, die sonst so bewunderte Freundin verabscheuen zu müssen. Ob sie wohl Herr dieses Gefühls werden würde, ehe Grace zurückkam? Ohne Hilfe nicht, das fühlte sie, ein heißer Kampf mit dem zornigen, trotzigen Herzen, dann beugte sie das Haupt und betete heiß und inbrünstig.
Sie war noch sehr blaß, als sie später zu ihren Stunden ging, sie konnte sich aber beherrschen und ihre Pflicht erfüllen. Sie fühlte keinen Groll mehr gegen Grace, aber traurig und bedrückt blieb sie, und das quälte sie wieder, da sie sich doch eigentlich hätte freuen müssen.
In solcher Stimmung saß sie eines Tages und schrieb an Hanna, der sie ihr ganzes Herz ausschüttete. Da kamen leichte, wohlbekannte Schritte die Treppe herauf, hohe Röte überflutete ihr Antlitz, ihr Herz begann stürmisch zu schlagen, unwillkürlich zögerte sie, ehe sie »Herein« rief. Schön und lieblich wie ein Frühlingsmorgen trat Grace über die Schwelle, mit glänzenden Augen, ein frohes Lächeln um die Lippen.
»Tag, Fairy, da bin ich wieder,« rief sie mit heller Stimme, kam schnell näher und blickte der Freundin, die ihr langsam entgegenkam, prüfend in die Augen. »Na, ich sehe es dir an, du weißt alles,« fuhr sie in leichtem Tone fort, griff in die Tasche, zog eine Brieftasche hervor und warf sie sorglos auf den Tisch. »Da, nimm, es sind einige Tausend Dollars, die ich der Neuyorker Herrenwelt abgejagt habe.« Sie setzte sich und lachte. »Du glaubst nicht, wie bereitwillig sie waren, sich von mir »wichsen« zu lassen, es war ein Hauptspaß.«
Fee biß sich auf die Lippen, sie blieb steif neben dem Tische stehen und sagte: »Es ist sehr freundlich von dir, Grace, mir zu Hilfe zu kommen, es wäre mir aber lieber, du behieltest das Geld und ließest die Kirche selbst bauen.«
»Ich? Das sollte mir gerade fehlen! Ich will nichts mehr mit der Sache zu tun haben, sie interessiert mich ferner nicht im geringsten. Fehlt noch Geld, so helfen Pa und Mr. Tompson, sie haben es mir versprochen, du kannst dich darauf verlassen, du kannst also deine Kirche und auch noch ein Pfarrhaus, das ja notwendigerweise dazu gehört, bauen. Zu einem Schulhaus für die weißen und schwarzen Kinder wird es wohl auch noch langen, ich kann mir ja denken, daß das dein nächster Gedanke sein wird. Na, Fairy, du stehst ja steif und stumm vor mir wie ein Soldat vor seinem Vorgesetzten, wirst rot und blaß und ringst krampfhaft die Hände, was ist mit dir, altes Mädchen, ist dir nicht wohl?«
Fee öffnete die Lippen, sie wollte der Freundin ein freundliches Wort sagen, sie brachte aber nichts heraus.
Belustigt und interessiert beobachtete Grace sie, sprang plötzlich auf, umfaßte sie und drückte sie in einen Stuhl. »Glaubst du, daß ich dich nicht durchschaue, Präriefee?« fragte sie, »sei aber unbesorgt, ich denke nicht daran, dir etwas von der Ehre, die Kirche –«
»O Grace, Grace, höre auf«, rief Felicia heiß erglühend, »ich glaubte überwunden zu haben, daß du mir mein Werk aus der Hand gerissen hast, und ich freute mich wirklich der Kolonisten wegen – aber dein leichtfertiges Sprechen über die mir so heilige Sache, die Art und Weise, wie du das Geld zusammengebracht hast –«
Grace lachte hell auf und rief: »Du meinst die Stiefelwichse? Ja, siehst du, Schatz, originell mußte die Idee sein, sonst wäre kein Mensch darauf hereingefallen. Es hat aber gelohnt, sag' ich dir, das ist die Hauptsache. Ich wollte dir einmal zeigen, wie man in Amerika eine Sache anfaßt, die man zu einem schnellen Ende führen will. Nun, Fairy, ist es dir lieb, daß die Kirche übers Jahr stehen wird, oder würdest du lieber noch zehn Jahre deines Lebens dafür opfern?«
Voller Spannung sah sie die Freundin an, doch Felicia schlug die Augen voll zu ihr auf und sagte: »Nein, ich bin glücklich, wenn die Kirche steht, es war ja mein größter Wunsch, sie so bald wie möglich zu erbauen. Ich bin dir großen Dank schuldig, Grace,« fuhr sie wärmer fort und ergriff die Hände der Freundin, »verzeihe, wenn ich ihn nicht so ausdrücke, wie ich sollte, aber – wirst du gering von mir denken, wenn ich dir gestehe, daß mir der Gedanke, nicht mehr für meine Kirche zu arbeiten, schwer fällt?«
»Darin erkenne ich die sentimentale Deutsche, natürlich, ich dachte es mir. Übrigens war ich höchst neugierig, wie du mich aufnehmen würdest, das muß ich dir gestehen, ob du groß genug denken würdest, dich um der Sache selbst willen zu freuen, oder ob du mich mit samt meinen Dollarscheinen vor die Tür setzen würdest mit den stolzen Worten: Geh, dies ist mein Werk, das ich allein zu Ende führen will. Du wirst ja so rot, kleine Präriefee, ist es doch vielleicht deine Absicht gewesen?«
»Nein, Grace, gewiß nicht, ich würde das für sündhaft halten und hätte auch gar kein Recht dazu, das Geld zurückzuweisen.«
»Schön, es wäre mir auch eine Enttäuschung gewesen. So, die Sache wäre also erledigt. Nun versprich mir aber, Fairy, daß du nicht mehr so schauderhaft früh aufstehen willst, sondern dir dein Leben etwas anders einrichten und auch einmal einen Dollar für dich ausgeben willst, du bist ja nun die Sorge um die Kirche los.«
»Grace – hast du es nur um meinetwillen ins Werk gesetzt? Um mir das Leben zu erleichtern?« rief Felicia atemlos.
Grace, die ihr längst wieder gegenüber saß, lachte: »Beruhige dich, Schatz, ich habe auch sehr selbstsüchtig an mein Vergnügen dabei gedacht, übrigens war mir die Vorstellung, daß dein Leben noch zehn Jahre so fortgehen sollte, entsetzlich. Wenn dann die Kirche wirklich endlich erbaut wäre, wärest du sicher mit hohlen Wangen, glanzlosen Augen und müden Bewegungen einhergewandert, freilich mit dem erhebenden Bewußtsein, die schönste Zeit deines Lebens deinem Werke geopfert zu haben. Eine schauderhafte Vorstellung, wenigstens für mich. Es wäre schade um dich gewesen, Präriefee. Als ich dich neulich so müde und abgespannt zwischen deinem Grünkram knien sah, kam mir plötzlich der Gedanke mit dem Stiefelwichsen, und da ich mir nebenbei viel Vergnügen davon versprach, führte ich ihn mit Wonne aus.«
»So hast du es nur aus Liebe zu mir getan?« rief Felicia, sprang auf und umarmte sie ungestüm, »Grace, kannst du mir verzeihen? Ich glaubte, du hättest nur an dein Vergnügen gedacht und einige müßige Tage hinbringen wollen.«
»Na, die Idee kam mir sehr gelegen, ich langweilte mich gerade entsetzlich, die Tage in Neuyork haben mich ordentlich erfrischt.«
»Weil du ein gutes Werk getan hast,« rief Fee lebhaft, »o Grace, nun kann ich mich wirklich freuen, habe Dank, vielen, vielen Dank, wie froh bin ich, daß ich nun doch dein gutes Herz wieder erkenne. O Grace, wenn du bei uns bliebest –«
»Bitte,« unterbrach das schöne Mädchen sie lachend und hob abwehrend die Hand, »bitte, glaube nicht zu fest an mein gutes Herz, das würde nur zu Enttäuschungen führen. Glaubst du im Ernst, daß ich mich etwa zur Lehrerin des schwarzen Volkes eignen würde? Nein, Fairy, laß mich ziehen, ich passe nicht unter euch, das habe ich erst wieder so recht in Neuyork eingesehen. Es war herrlich! Die Morgen widmete ich dem »Geschäft«, die Nachmittage und Abende dem Vergnügen. Zufällig traf ich eine bekannte Dame aus Chicago, durch sie lernte ich nette Familien kennen und habe mich herrlich amüsiert.«
»Was sagt Mr. Tompson? Ist er gekränkt?«
»Weshalb in aller Welt?«
»Du warst doch so allein und unbeschützt und dann deine eigentümliche Beschäftigung –«
Mit stolzer Bewegung warf Grace den feinen Kopf in den Nacken. »Mr. Tompson weiß sehr genau, daß ich nie das Geringste tun würde, das auch nur den leisesten Schatten auf meinen und seinen Namen werfen könnte,« entgegnete sie hochmütig, dann lachte sie und rief: »Sieh nicht so reumütig aus, Kleine, zähle lieber die Schätze, die meine ›eigentümliche Beschäftigung‹ dir erworben hat.«
Errötend öffnete Felicia die Brieftasche und entnahm ihr einen Hundertdollarschein nach dem andern. »Grace,« rief sie ganz bestürzt, »glaubst du wirklich, daß so schrecklich viel Geld dazu gehört? Das hätte ich bei aller Arbeit und der vielen Hilfe, die mir zuteil wurde, auch in zehn Jahren nicht zusammengebracht,« setzte sie kleinlaut hinzu.
Grace nickte befriedigt. »Ich glaube es auch, Fairy, also ist alles in schönster Ordnung, und der Bau kann beginnen, viel Glück dazu, Präriefee.«
Tante Luise horchte erstaunt auf, als sie die hellen fröhlichen Mädchenstimmen auf dem Flur und im Garten vernahm, als Felicia die Freundin hinausbegleitete.
»Merkwürdig, welchen Einfluß dies Mädchen auf das Kind hat,« sagte sie kopfschüttelnd zu ihrem Bruder, »tagelang geht sie wie eine Trauerweide umher, und kaum steckt die ihre Nase zur Tür herein, so lacht sie wieder.«
»Das ist ja ein wahres Glück,« rief der Farmer aus Herzensgrunde, »na, Fee?« setzte er in fragendem Tone hinzu, als sein Töchterchen frisch und fröhlich ins Zimmer trat.
»Vater, Tante, denkt nur, mir zuliebe hat Grace alles getan und nicht aus Leichtfertigkeit. Ich bin so froh! So etwas fertig zu bringen ist wahrlich keine Kleinigkeit! Die liebe, süße Grace!«
»Na, sie wird ihr Vergnügen schon dabei gefunden haben, da kannst du ganz ruhig sein,« eiferte Tante Luise, »ich bleibe dabei, daß es für einen Mann ein Wagnis ist, ein so exzentrisches Frauenzimmer zu heiraten.«
»O, seit ich diesen Blick in Graces Herz getan habe, ist mir nicht mehr bange um Mr. Tompsons Glück,« rief Felicia und erzählte ihre Unterredung mit der Freundin. »Und seht nur das viele Geld,« fuhr sie fort und öffnete die Brieftasche, »bitte, Vater, nimm du es in Verwahrung.«
»Gern, Töchterchen, am besten ist es wohl, wenn ich gleich nach Brighton hinüberreite und die Sache mit ihm bespreche, denn das Geschäftliche müssen wir dir doch wohl abnehmen, was, Kleine?«
»Ach ja, Vaterchen, davon verstehe ich ja nichts. Ach, das Herz ist mir nun wieder leichter, nachdem ich Grace gesprochen habe. Ich freue mich auf unsere Kirche, wie schön wird es sein, wenn sie erst steht.«
In den nächsten Tagen wurden sämtliche Ansiedler zu einer Beratung aufgefordert, und da die Sache für alle von gleicher Wichtigkeit war, so fehlte niemand. Mr. Tompson, der frei über seine Zeit verfügen konnte, erklärte sich bereit, nach St. Louis zu fahren, den erforderlichen Bauplatz zu kaufen und alle weiteren nötigen Schritte zu tun.
»Erlauben Sie mir eine Frage,« sagte Herr Flor, nachdem dies genügend erörtert war, »woher nehmen wir den Prediger, wenn die Kirche steht? Wir sind ja fast alle Deutsche, wäre es da nicht am natürlichsten, wenn wir einen Landsmann herbekämen?«
»Da wüßte ich vielleicht Rat,« erwiderte Herr Wendler, »ein Freund von mir, der Missionar in Indien ist, schrieb mir kürzlich, daß er das dortige Klima nicht mehr vertrüge und leider an die Heimkehr denken müsse. Vielleicht entschließt er sich, zu uns zu kommen. Ich will heute noch an ihn und an das Leipziger Missionshaus schreiben, das heißt, wenn es Ihnen allen recht ist.«
Alle stimmten ihm freudig bei, und Mr. Brighton sagte neckend zu seinen Töchtern: »Da müssen wir diesen Winter noch tüchtig deutsch lernen, damit wir unseren Prediger auch verstehen.«
»Er muß doch selbstverständlich englisch predigen,« entgegnete Mabel kurz, »was hätten die Neger sonst davon.«
»Darf ich auch einen Vorschlag machen?« fragte die kleine Frau Wendler etwas zaghaft, als niemand Mabels Bemerkung beachtete, »wäre es nicht sehr hübsch, wenn wir für das Geld, das Fräulein Bertram erspart hat, die Bekleidung für den Altar und die Kanzel kauften, das heißt nur den Stoff, die jungen Mädchen könnten sie dann selbst sticken. Ich habe als Mädchen für einen Paramentenverein gearbeitet und bin gern bereit, es ihnen zu zeigen.«
Alle stimmten ihr freudig bei, Fee drückte ihr dankbar die Hand und bat, wenn es möglich sei, für das Geld, das sie aus Deutschland bekommen habe, einen einfachen Taufstein zu kaufen. Es war ihr ein lieber Gedanke, daß für Hannas achtzig Mark etwas Besonderes angeschafft wurde und sie nicht mit zu der allgemeinen Summe kamen.
»wie wäre es, liebe Freunde,« fragte Mr. Brighton, nachdem alles Nötige besprochen war, »wenn wir bei dieser Gelegenheit unserer Kolonie auch einen Namen gäben? Sie hat sich erfreulich vergrößert und verdient wohl zur Stadt erhoben zu werden, namentlich, wenn sie erst eine Kirche und sogar ein Schulhaus haben wird.«
»Man kann doch unmöglich dies Dutzend Häuser hier in der Wildnis eine Stadt nennen wollen,« sagte Tante Luise etwas wegwerfend.
Ihr Bruder lachte. »Da kommst du schön an, Luise,« entgegnete er, »hier in Amerika beehrt man die kleinste Niederlassung mit dem stolzen Namen Stadt, und in der Wildnis leben wir so nahe bei St. Louis doch auch gerade nicht.«
»Na, was man erst nach fünfstündiger Fahrt erreichen kann, liegt für mich gewaltig fern ab,« war die trockene Antwort, die ein allgemeines Gelächter hervorrief.
Nun erfolgte eine lebhafte Beratung wegen des zu wählenden Namens, da sagte Grace, die sich bisher sehr still verhalten hatte: »Ich finde, das liegt sehr nahe. Von Fräulein Bertram geht der Gedanke des Kirchenbaues aus, sie hat sich so verdient gemacht, durch den Unterricht der Kinder, durch Bibelstunden –«
»Grace, höre auf,« rief Felicia hoch errötend und erschrocken.
»Nein, Fairy, es ist nur gerechtfertigt, daß die Stadt nach dir genannt wird. Die Herrschaften werden ja wissen, was aus dem schönen Namen Felicia zu machen ist, denn ich denke mir, daß es ein deutscher Name sein soll.«
»Felicia.«
»Das Glück!«
»Glückstadt!«
»Einen schöneren Namen können wir ja gar nicht finden,« so hieß es durcheinander, und alle sprangen auf, dem verwirrten jungen Mädchen die Hände zu drücken.
»Darauf müssen wir ein Glas leeren,« rief Mr. Brighton und erhob sich, »stoßen Sie mit mir an, liebe Freunde, auf das Wohl der jungen Dame, der wir so viel verdanken, und auf das Blühen und Gedeihen unserer Stadt.«
Hell ertönten die Gläser, und begeistert klangen die Hochrufe durch das Zimmer.
»O Grace, was hast du getan,« sagte die heiß erglühte Felicia leise zu der Freundin, »das habe ich gewiß nicht verdient.«
»Meinst du? Das müssen andere besser wissen als du, Schatz. Weißt du schon, daß ich hier bleibe, bis deine Kirche fertig ist? Ich habe nun einmal die Marotte, am Tage ihrer Einweihung darin getraut zu werden.«
»O Grace, wie reizend! Wie sehr freut mich das,« rief Felicia hoch beglückt.
Befriedigt trennten sich die Kolonisten, auch die wenig begüterten unter ihnen konnten ohne Sorge an die größere Ausgabe, die ihnen durch die Anstellung eines Predigers erwachsen würde, denken, da Mr. Tompson ein größeres Kapital in St. Louis niederlegen wollte, dessen Zinsen für die Besoldung des Predigers verwandt werden sollten.
Froh und dankbar suchte Felicia an diesem Abend ihr Lager auf, ihr höchster Wunsch ging seiner Erfüllung entgegen, wie wäre es möglich gewesen, daß sie traurig und enttäuscht hätte sein können, weil sie das Werk nicht selbst hatte vollenden dürfen? Ob es nicht doch ganz gut für sie war, daß Grace ihr mit kühner Hand ihre geliebte Arbeit entrissen hatte? Jedenfalls war es zum Segen für die Kolonie, die ihre Kirche jetzt viel früher erhielt, und das war die Hauptsache. Und wie viele Arbeit würde sich für sie finden, tausend Pläne und Gedanken durchwogten den jungen Kopf, bis ihr schließlich der Schlaf die Augen schloß.