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3. Kapitel

Fairy,« sagte Herr Bertram am nächsten Morgen beim Frühstück, »heute, denke ich, reiten wir zu Brightons hinüber, Mabel und Ellen haben sich schon sehr auf dich gefreut. Willst du aber lieber mit Tante fahren, Kind?«

»Mich laß vorläufig aus dem Spiele, Karl,« sagte Tante Luise, »ich sehne mich nicht nach fremden Menschen, die lerne ich noch früh genug kennen.«

»Nun gut, dann kommst du das nächstemal mit uns, du hast doch Lust, Fee?«

»Natürlich, Väterchen, ich freue mich sehr, meine alte Freundschaft mit Mabel und Ellen aufzufrischen. Bis Mittag will ich fleißig im Garten arbeiten.«

Nachdem der Vater später aufs Feld gegangen war und die Tante an der Nähmaschine saß, ging Felicia, ihren großen, weißen Gartenhut auf dem Kopfe und eine große Schürze über dem Kleide, in den Garten und fand dort einen Negerjungen und Bridgets dreizehnjährige Enkelin schon ihrer harrend. Beide Kinder waren schlank und zierlich gewachsen, namentlich das Mädchen hatte sehr anmutige Bewegungen, wie überhaupt die jungen Negerinnen alle nicht ohne Grazie waren.

Felicia nickte ihnen freundlich zu und führte sie zu einem langen Beete, auf dem Kriech-Bohnen wuchsen, vor Unkraut aber kaum zu sehen waren. Das junge Mädchen kniete, da beide Kinder keine Ahnung von der Arbeit hatten, die sie verrichten sollten, zu ihnen nieder, um ihnen zu zeigen, wie man jätete. Neugierig sahen beide zu.

»Das Bessy auch kann,« rief das Mädchen eifrig, riß Blätter ab und warf sie auf das Beet, während Tobsy eine Bohne abriß und in den Mund stopfte.

»Wie darfst du so ungezogen sein, Tobsy,« schalt Felicia stirnrunzelnd, »die Bohnen dürft ihr überhaupt nicht anrühren. Seht noch einmal her, wie ich es mache.«

Gehorsam blickten beide auf die weißen Hände ihrer jungen Herrin, dann versuchten sie ihr Heil nochmals, Tobsy riß indessen merkwürdigerweise immer Bohnen aus, Bessy war es ganz unmöglich, auch nur ein einziges Unkraut mit der Wurzel herauszuziehen. Nun riß Felicias Geduld, heftig fuhr sie beide an und schlug Tobsy auf die schwarzen Finger, als sie wieder einer Bohne sehr nahe kamen.

»Schämen solltet ihr euch alle beide,« rief sie ärgerlich und sprang auf, »ihr stellt euch an, als ob ihr nicht den geringsten Verstand hättet. Könnt ihr denn nicht einfach nachmachen, was ich euch zeige?«

»Erlauben Sie, Miß Bertram, daß ich Ihnen etwas zu Hilfe komme?« fragte plötzlich eine jugendliche Männerstimme, und als sich Felicia überrascht umwendete, sah sie in ein paar heitere blaue Augen, die sie belustigt anblickten.

»Henry Brighton,« sagte er, den Hut lüftend. »Sie werden sich meiner nicht mehr erinnern, Miß Bertram, als Sie vor fünf Jahren die Heimat verließen, besuchte ich in Chicago die Schule.«

»O doch,« rief sie lebhaft, »ich habe Mabel und Ellens ältesten Bruder nicht vergessen. Aber, bitte, Mr. Brighton, wollen Sie nicht weiter reiten, ich komme auch. Tobsy und Bessy, wartet, bis ich wiederkomme.«

»Verzeihen Sie die frühe Stunde, zu der ich komme, Miß Bertram, ich habe jedoch von meinen Schwestern den strengen Befehl, Sie ohne Gnade nach Brighton Hall zu entführen.«

Felicia lachte heiter. »Damit werden Sie wohl kein Glück haben, Mr. Brighton, Pa und ich wollen heute nachmittag hinüberkommen, und ohne meinen alten Pa reite ich diesmal nicht, so schmeichelhaft mir auch Mabels und Ellens Ungeduld ist.«

Sie trafen nun beide vor dem Hause zusammen, wo ein Negerknabe das Pferd in Empfang nahm. Tante Luise sah nicht gerade angenehm überrascht aus, als ihre Nichte mit dem jungen Manne ins Zimmer trat. Sie war sehr wenig an Verkehr gewöhnt und verhielt sich ziemlich schweigsam. Die jungen Leute schienen das gar nicht zu bemerken, Fee hatte unzählige Fragen zu stellen, denn die Kindheitserinnerungen bildeten ein unerschöpfliches Thema. Nachdem der junge Mann eine Erfrischung zu sich genommen hatte, empfahl er sich, da er einsah, daß Felicia ihn doch nicht begleiten würde.

»Das wäre auch höchst unpassend,« sagte Tante Luise, als er fortgeritten war.

»O Tantchen, hier bei uns denkt man ganz anders über solche Dinge,« sagte Felicia.

»Ja, ich glaube, ich werde hier noch manches erleben,« entgegnete die alte Dame seufzend.

»Hoffentlich nur gute, erfreuliche Dinge,« rief Felicia heiter, streichelte das sehr ernst blickende alte Gesicht und ging in den Garten zurück, wie erstaunte sie, als sie Bessy und Tobsy in voller Arbeit fand, zwischen ihnen Jim, der ihnen Anweisung gab. Er mußte es besser verstanden haben als seine junge Herrin, denn beide hatten begriffen, was sie sollten.

»Jim, du bei der Arbeit?« rief Felicia, »du sollst ja nichts weiter tun, als dich ausruhen.«

Er sah auf, und ein sanftes Lächeln flog über seine Züge. »Jim heute besser,« sagte er, »Miß Fairy so gut gegen armen Jim sein, nun Jim auch gut gegen Miß Fairy.«

Gerührt strich Felicia über den dunklen Krauskopf des Jünglings und sagte: »Ich danke dir, Jim, du hast mir einen großen Gefallen erwiesen, nun geh aber und lege dich nieder, du bist sicher müde.«

Dankbar sah Jim zu ihr auf, ging gehorsam zu dem alten Maulbeerbaume und streckte sich zum Schlafe nieder. Tobsy sah ihm mit so unverkennbarer Sehnsucht nach, daß Felicia ihn durchschaute und ihm energisch zurief: »Du mußt sehr fleißig sein, Tobsy, gesunde Menschen dürfen am Tage nicht schlafen, die müssen arbeiten, und du bist ja gesund.«

Um zu zeigen, daß sie nach ihren Grundsätzen handelte, und von großem Arbeitsdrang beseelt, begann sie selbst zu jäten. Eine Weile ging alles gut, als die Sonne aber höher stieg, ward es dem jungen Mädchen recht unbequem, solange an der Erde zu liegen. Zwar hatte sie daheim auch solche Arbeit verrichtet, doch meist morgens früh und gegen Abend und nie solange hintereinander. Wie sollte sie sich nur geschickt aus der Affaire ziehen, ohne ihren Zöglingen ein schlechtes Beispiel zu geben? Morgen wollte sie nicht wieder mit ihnen jäten, soviel stand fest.

Da begann Tobsy kläglich zu stöhnen. Er sprang auf, sprang von einem Fuße auf den andern und wimmerte, Erstaunt sah Felicia ihn an.

»Was fehlt dir, Tobsy?« fragte sie, »hast du Schmerzen?« »Tobsy Bauch – weh – weh – weh –« stieß der Zunge ächzend hervor und setzte seine affenartigen Sprünge fort.

»Du magst wohl nichts mehr tun, du fauler Schlingel,« rief das junge Mädchen erzürnt.

Tobsy begann laut zu heulen und lebhafter zu springen, als wolle er dadurch den Grad seiner Schmerzen ausdrücken.

»So lauf meinetwegen, aber, das sage ich dir, Tobsy, bekommst du morgen wieder Schmerzen, so lasse ich dich nicht gehen.«

Während der Junge erfreut davonrannte, erhob sich Felicia, sie fühlte sich müde und abgespannt und sehnte sich nach ihrem kühlen Zimmer. Mit ihren blitzenden Augen sah Bessy erwartungsvoll zu ihrer jungen Herrin auf.

»Hole dir die Harke, Beß, harke alles Unkraut zusammen und bringe es dort in jene Ecke,« befahl sie, »dann kannst du für heute morgen aufhören.«

Langsam ging sie ins Haus und sank auf den ersten Stuhl, als sie zu der Tante ins Zimmer trat.

»Kind, wie siehst du aus, du glühst ja förmlich!« rief diese erschrocken. »Wie kannst du so unvernünftig arbeiten? Wozu hast du denn deine Neger?«

»Ach, Tante, meine Hilfstruppen für den Garten sind ja nur Kinder, da muß ich, wenn ich mit ihnen etwas erreichen will, sie erst anlernen und ihnen ein gutes Beispiel geben.«

»Und dich dabei zugrunde richten,« entgegnete die Tante besorgt und unwillig. »In dieser Sonnenglut kannst du draußen nicht arbeiten, geht es nicht ohne dich, so gib die Sache lieber auf.«

»Nein, Tante, so schnell gewiß nicht, sind Tobsy und Beß erst angelernt, so genügt es, wenn ich sie beaufsichtige, vorläufig wird es freilich schwer halten, ihnen Stetigkeit bei der Arbeit beizubringen.« Lachend berichtete sie Tobsys List und setzte hinzu: »Wäre Jim mir nicht zuhilfe gekommen, so hätte ich überhaupt nichts anzufangen gewußt.«

»Greuliche Gesellschaft,« schalt Tante Luise, »diese Rasse ist ein wahres Elend für das Land, mit weißen Dienstboten käme man gerade noch mal so weit.«

»Sie würden aber viel größere Ansprüche machen, unsere Neger sind sehr leicht zufriedengestellt.«

»Möglich, man brauchte sie aber nicht scharenweise. Du mußt zugeben, daß das sehr viel angenehmer wäre.«

Felicia antwortete nicht, nachdenklich sah sie vor sich hin. Sie kannte keinen Abscheu vor den Negern, ja, ihre alte Bridget hatte sie stets sehr lieb gehabt, das konnte niemals anders werden, und dadurch fühlte sie freundlicher für die anderen. »Mutter hat viel mit mir über unsere Neger gesprochen,« sagte sie nach einer Weile, »sie sind doch auch Kinder Gottes und auf unsere Teilnahme angewiesen. Es ist gar nicht leicht, die Verantwortung für so viele Menschen zu tragen.«

Das alte Fräulein streifte das ernste Mädchengesicht mit einem schnellen Blicke und sagte: »Ich bitte dich, Fee, mach' dir das Leben nicht unnütz schwer, freue dich, wenn du genug Geduld zum täglichen Verkehr auftreibst, über einen allzu großen Vorrat verfügst du ebensowenig wie ich. Im übrigen enthalte dich jeder Einwirkung auf dies einfältige, gedankenträge Volk, du würdest nur Verwirrung in ihren Köpfen anrichten, da du die Sache in übergroßem Eifer gänzlich verkehrt anfangen würdest.«

»Ach, wäre doch Mutter hier,« rief Felicia unwillkürlich aus und blickte dann rot und erschrocken zu der Tante hinüber.

»Ja, die würde es verstehen, ich kann dir leider darin keine Stütze sein, erstens verstehe ich es nicht, bin innerlich auch nicht fähig zu solchem Amte, zweitens habe ich eine unüberwindliche Abneigung gegen diese schwarzen Geschöpfe.«

»Die kann sich verlieren, Tante.«

»Schwerlich, du weißt, daß ich ziemlich konsequent in meinen Gefühlen bin.«

»Ziemlich! Gut, daß du das selbst sagst, Tantchen.« Felicia sprang auf, legte einen Arm um den Nacken der alten Dame und sah ihr lächelnd in die Augen. »Ein Glück nur, daß du doch nicht immer konsequent bleibst, Tante Luise.«

»Schelm du,« entgegnete das alte Fräulein, und es leuchtete warm in ihren Augen auf, »dir gegenüber bin ich es freilich nicht gewesen. Aber, Rind, wenn ich dich auch nicht eitel machen will, so kannst du dich doch unmöglich mit diesen garstigen Geschöpfen vergleichen wollen. Ihnen gegenüber wird mein Gefühl immer das gleiche bleiben.«

»Bis dein gutes Herz auch für sie erwacht! Aber was sehe ich, da kommt Pa schon, und ich habe ganz das Decken vergessen, mein Amt, das ich feierlich übernommen habe.« Sie flog in das Eßzimmer und klapperte bald sehr geräuschvoll mit dem Geschirr.

»Nicht wahr, Vaterchen, wir reiten gleich nach Tisch?« fragte sie während der Mahlzeit, nachdem sie von Henry Brightons Besuch erzählt hatte.

»Muß es so früh sein, Fairy?« Ich dachte, wir wollten eine Stunde früher als gestern Kaffee trinken und dann reiten.«

»Ach Pa –«

»Kind, dein Vater sieht erschöpft aus,« fiel Tante Luise ein, »er bedarf der Ruhe, ehe es in dieser Hitze wieder vorwärts geht.«

»O, mein liebes Vaterchen, verzeihe, daß ich daran nicht gedacht habe, natürlich legst du dich eine Stunde nieder und ruhst, der Nachmittag ist ja noch lang genug.«

»Du bist ein gutes Kind, Fee,« entgegnete der Farmer und nickte ihr liebevoll zu.

Nach der Mahlzeit ruhte Felicia nicht eher, als bis sich der Vater im Wohnzimmer auf das Sofa gelegt hatte, dann sah sie nach, ob Tante Luise es sich in ihrem Zimmer etwas bequem gemacht hatte.

Nachdenklich ging sie in ihr Stübchen, ihren Brief an Mutter zu vollenden. Was doch alles für Sorgen an sie herantraten! Tante Luise mußte unbedingt einen bequemen Stuhl haben, es ging unmöglich, daß sie mittags, wenn sie etwas ruhen wollte, auf einem harten, unbequemen Stuhle saß. Woher ihn aber schaffen? es befand sich im ganzen Hause keiner. Sie mußte Geld verdienen, also durfte sie die Idee mit dem Garten nicht aufgeben; vielleicht wuchs so viel Gemüse, daß sie allemal, wenn zur Stadt gefahren wurde, vorläufig wenigstens etwas zum Verkauf mitgeben konnte. Sie war so hingenommen von diesem Gedanken, daß sie sofort ausführlich davon an Mutter schrieb. Wenn sie doch so viel zusammenbrächte, daß sie Tante Luise einen recht bequemen Lehnstuhl zum Geburtstag, der im Oktober war, schenken könnte!

Fast hätte sie darüber den Kaffee vergessen. Die Sitte der gemütlichen deutschen Kaffeestunde, die sie im Rosenhause kennen gelernt, hatte sie sofort in Victoria Cottage, sehr zu des Vaters Zufriedenheit, eingeführt. Der Farmer rauchte dazu eine Zigarre und meinte, es sei beinahe wie daheim im deutschen Vaterlande.

Nach dem Kaffee stiegen Vater und Tochter zu Pferde, Barry, der in Brighton Hall das Licht der Welt erblickt hatte, mußte, sehr zu Snipps Arger, mit von der Partie sein.

»Verstehst du dich noch auf einen ordentlichen Galopp, Fairy?« fragte der Vater, nachdem sie eine Strecke weit geritten waren, »dann könnten wir noch einmal nach der Koppel hinüber, groß ist der Umweg nicht.«

Statt aller Antwort versetzte Felicia ihrem Pferde einen leichten Schlag, ein Zuruf und es flog mit der leichten Last davon.

»Oho, meine Kleine, ich kriege dich schon,« lachte der Farmer, und helle Freude strahlte ihm aus den Augen. Eine Weile liefe er seinem Töchterchen einen kurzen Vorsprung, dann holte er sie ein, und Seite an Seite flogen sie dahin, bis die Koppel dicht vor ihnen lag.

Felicias Brust hob sich im tiefem Atemzuge.

»Nun, kleine Präriefee, war's schön?« fragte der Vater lächelnd.

»Herrlich, Pa! Nichts geht über einen Ritt durch unsere Savannen, wo uns nichts störend und hindernd entgegentritt. Dies ist wahre Freiheit!«

Herr Bertram sah sein Töchterchen befriedigt an. »So darf ich wohl hoffen, Kind, daß du kein Heimweh bekommen wirst?« fragte er. »Freilich, im Winter macht sich das Leben etwas anders.«

»Du kannst ganz ruhig sein, alter Pa, ich habe viel zu viele Pläne auszuführen, um Heimweh zu bekommen, und sollte es mich doch einmal fassen, so hat Mutter mir ein gutes Mittel gesagt, das heißt: Arbeit und Zufriedenheit. Das macht das Herz frisch und froh, und du weißt, Väterchen, daß in einem fröhlichen Herzen das Heimweh keinen Raum findet.«

»Frau Dr. Wallburg ist wirklich die klügste und beste Frau der Welt, Fee, ich hätte dich in keine besseren Hände geben können.«

»Gewiß nicht, Vater, sie ist mir zur wahren Mutter geworden, der ich nie genug danken kann. Doch, da sind wir ja! O Pa, welche Menge Pferde!«

»Nicht wahr?« lautete die stolze Antwort, »nun sieh dir erst die einzelnen an und dann sage, ob du je so viele schöne, wertvolle Exemplare beisammen gesehen hast.«

Das konnte Felicia getrost verneinen, was waren Bauer Krügers Pferde daheim in Demmin gegen diese Prachttiere! Ganz entzückt ging sie von einem zum andern und vergaß darüber fast Samuel und Toby zu begrüßen, die beide ganz stolz waren, daß sie ihrer jungen Herrin die Pferde vorführen durften. Den Kühen, unter denen sich auch stattliche Exemplare befanden, schenkte sie weniger Beachtung, nur die Kälbchen bewunderte sie gebührend.

»Nun, Fairy, wollen wir nicht weiter reiten?« mahnte endlich der Vater, und mit dem Versprechen, bald wiederzukommen, trennte sie sich.

In schlankem Trabe ging es nun weiter, bis sie an den Yellow Fluß gelangten, wo sich mehrere Ansiedelungen befanden. Vater und Tochter ließen ihre Pferde im Schritt gehen, und Herr Bertram berichtete von den Familien, die Felicia noch nicht kannte.

»Dort rechts liegt die Farm eines Herrn Wendler, der aus dem Braunschweigischen stammt. Er ist dort Grundbesitzer gewesen, hat viel Unglück gehabt und sich kurz entschlossen, mit seiner Familie auszuwandern. Er hat sich hier angesiedelt und fühlt sich glücklich, seine Frau aber, scheint mir, hat schwer mit Heimweh zu kämpfen. Sie ist auch nur zart und kann sich hier nicht recht einleben, außerdem hat sie drei kleine Kinder, die ihre Zeit und ihre Kräfte sehr in Anspruch nehmen.«

»Die Ärmste,« sagte Felicia mitleidig, »wie kann ich ihr das Heimweh nachfühlen! Laß uns dort bald einen Besuch machen, Väterchen, wer hat sich denn dort links angebaut?«

»Ein Oldenburger, Herr Martini, der in Chicago gewohnt hat, bis er, als er vor einem Jahre seine Frau, eine Amerikanerin, verlor, seiner innersten Neigung folgte und sich hier anbaute.«

»Ist er vermögend?«

»Ei Kind, wie kann dich das interessieren?«

»O Pa, du weißt doch, meine Kirche.«

»Ach so! Nun, rechne lieber nicht auf einen milden Beitrag, ich glaube, er macht sich wenig daraus, ob hier eine Kirche steht oder nicht, und sein Töchterchen denkt wohl ebenso. Sieh, Kind, so wie diese Grace wärst du geworden, wenn dich dein alter Pa erzogen hätte.«

»Ach, das ist mir ja höchst interessant! wie ist denn diese Grace? wie sieht sie aus? wie alt ist sie? wenn ich sie doch heute noch sehen könnte!«

Der Farmer lachte. »Ich hoffe, du läßt dich nicht von der jungen Dame beeinflussen, wie Mabel Brighton es zum Kummer ihrer Mutter tut, sie möchte auch gern die freie Amerikanerin spielen, wie du früher.«

Felicia lachte hell und fröhlich. »Da müßten sie beide zur Mutter ins Rosenhaus, die versteht es prachtvoll, einem die Freiheitsgefühle auszutreiben. Aber, Pa, ich habe es auch schon gemerkt, daß Mabel nicht mehr die alte ist; seit sie mit Ellen in Chicago war und dort die Schule besuchte, hat sie mir viel seltener geschrieben und Ellen auch.«

»Mr. und Mrs. Brighton hielten es ja für notwendig, daß die Erziehung ihrer Töchter diesen Abschluß fand, der Aufenthalt in Chicago hat aber nicht günstig auf sie eingewirkt. Nun kommt der tägliche Verkehr mit Grace dazu, die besonders auf Mabel großen Einfluß gewonnen hat, was sie durchaus nicht liebenswürdiger macht. Mrs. Brighton, deren Mutter, wie du ja weißt, eine Deutsche war, kann sich gar nicht darein finden und ist sehr unglücklich darüber. Sie hofft nun viel von dem Verkehr mit dir für ihre Töchter, aber ich bitte dich, Kind, du hast immer verzweifelt viel Neigung zur freien Amerikanerin in dir gehabt, laß dich jetzt nur nicht von Grace und Mabel beeinflussen.«

Besorgt blickte Herr Bertram sein Töchterchen an, doch mit ihrem sonnigsten Lächeln nickte Felicia ihm zu und sagte: »Ohne Sorge, alter Pa, wenn das möglich wäre, so wäre ich nicht wert, fünf Jahre unter Mutters Obhut im Rosenhause gelebt zu haben. Laß mich nur machen, allmählich will ich den Mädels schon deutsche Sitten und Gesinnungen beibringen. Und nun sage mir noch schnell, Pa, wer dort in jener neuen Farm wohnt.«

»Ein älterer alleinstehender Herr, ein Mr. Tompson, den ich noch nicht oft gesprochen habe.«

Sie hatten sich inzwischen Brighton Hall genähert, einer hübschen, zierlich erbauten Farm, von der sich seitwärts ein ziemlich großer Garten ausdehnte. Die Haustür ward aufgerissen, ein dreizehnjähriger Knabe stürmte durch die mit blühenden Blumen geschmückte Veranda, durch den kleinen Vorgarten und öffnete die Pforte.

»O Georgie, wie groß bist du geworden,« rief Felicia und reichte ihm vom Pferde herunter die Hand. »Erkennst du mich noch wieder?«

»Ich wußte ja, daß Sie es sind, Miß Bertram, sonst hätte ich Sie nicht erkannt. Sie sind ja eine junge Dame geworden.«

»Und du ein kleiner Herr, wie mir scheint,« rief Felicia lachend und glitt vom Pferde, »Georgie, alter Junge, seit wann bin ich denn für dich Miß Bertram? weißt du nicht mehr, daß ich Fairy heiße?«

Sie schüttelte ihm die Hände, und Georgie atmete ganz erleichtert auf. »Das ist hübsch von dir, Fairy, mir ist's auch viel lieber,« vertraute er ihr an, »aber Mabel drillt den ganzen Tag mit mir herum und in Chicago, wo ich zur Schule gehe, ist es auch nicht anders.«

Fee hatte keine Zeit mehr für ihren früheren kleinen Spielgefährten, Mr. und Mrs. Brighton, sowie ihre beiden Töchter erschienen, ihre Gäste zu bewillkommnen und ins Haus zu führen.

Nach der ersten herzlichen Begrüßung musterten sich die jungen Mädchen heimlich, und jede wunderte sich, wie groß und hübsch die andere geworden war. Wenigstens dachten das Mabel und Ellen von Felicia und diese wieder von Mabel, denn Ellen hatte mehr angenehme als schöne Züge.

Die Schwestern führten die Freundin die Treppe hinan in ein allerliebstes Wohnzimmer, in dem sich Felicia erstaunt umsah. »Das hattet ihr früher doch nicht?« fragte sie.

»Nein, früher schliefen wir hier,« entgegnete Mabel, »seit wir aber aus Chicago zurück sind, hat Mutter sich endlich überzeugen lassen, daß wir ein Wohnzimmer brauchen. Vater wollte sich natürlich anfangs gegen die Ausgabe sträuben, aber schließlich erhielten wir doch unseren Willen. Gottlob, wir hätten uns sonst unsterblich vor Grace blamiert, wenn wir kein Empfangszimmer gehabt hätten.«

»Nur um diese besagte Grace zu empfangen?« fragte Felicia und lachte fröhlich, »das muß ja eine recht anspruchsvolle junge Dame sein; da wird sie gewiß gar nicht mit mir verkehren wollen, denn ich verfüge nicht über ein eigenes Empfangszimmer.«

»Das wirst du dir doch einrichten müssen,« entgegnete Mabel gleichmütig.

»Das tue ich sicher nicht,« rief Felicia lebhaft und setzte in warmem Tone hinzu: »Laßt uns aber lieber von euch sprechen, ihr glaubt nicht, wie sehr ich mich auf euch gefreut habe.« Sie drückte der neben ihr sitzenden Ellen die Hand und sah forschend zu Mabel hinüber. Ja, sehr hübsch und ladylike sah sie aus, wie sie ihre schlanke, zierliche Gestalt in einen Schaukelstuhl geschmiegt hatte, und doch, es fehlte Felicia etwas. War es die deutsche Herzlichkeit und Behaglichkeit, die sie im Rosenhause kennen gelernt hatte?

»Es ist dir immer gut in Deutschland gegangen, nicht wahr, Fairy?« fragte Ellen.

»Sehr gut, die Trennung von Mutter und den Geschwistern ist mir sehr, sehr schwer geworden.«

»Ist es wirklich wahr, daß du dir eine alte Tante mitgebracht hast?« fragte Mabel.

»Ja, Tante Luise, Pas ältere Schwester, hat sich auf unsere Bitten hin entschlossen, uns zu begleiten. Ich bin so froh darüber! Wir können Tante Luise lieb haben und ihr die Heimat ersetzen, und sie kann mir in vielen Dingen raten und helfen.«

Mabel kräuselte spöttisch die frischen Lippen und sagte: »Laß das nicht Grace Martini hören, von ihr kannst du lernen, wie eine freie Amerikanerin denkt.«

»Ach geh mit deiner Grace,« sagte Ellen, »erzähle uns lieber aus Deutschland, Fairy, wir haben solange nichts von dir gehört. Wie geht es deinen Pflegeschwestern? wo sind sie alle?«

»Elisabeth, die älteste, ist noch immer bei Tante Lissy in Hamburg, die bei ihr Gevatter gestanden hat und eine Kusine ihres verstorbenen Vaters ist. Ihr wißt, daß Mutter kein Vermögen hat und Lisa in Stellung gehen sollte, da hat sich Tante Lissy erboten, sie ganz zu sich zu nehmen. Nun ist sie schon seit mehreren Jahren bei ihr.«

»Sehr gescheit von deiner Lisa,« bemerkte Mabel, »sie führt bei der reichen Tante gewiß ein sehr angenehmes Leben.«

»Freilich,« gab Felicia zögernd zu, »Mutter fürchtet aber, daß Lisa bei Tante zu sehr verwöhnt und für andere Verhältnisse unbrauchbar wird. Ich glaube, Mutter hätte es lieber gesehen, Lisa wäre in Stellung gegangen.«

»Und Hanna?« fragte Ellen, »die hat mich immer am meisten interessiert.«

»Mich nicht,« sagte Mabel, »sie scheint mir nach deinen Briefen ein wahres Muster von Vollkommenheit zu sein.«

»Ein Engel ist sie,« rief Felicia mit leuchtenden Augen, »ihr kann keiner widerstehen, jeder liebt sie, sie ist Mutters ganzer Trost und der Sonnenschein im Hause, weil sie immer froh und heiter ist. Ich könnte mir das Rosenhaus gar nicht ohne Hanna denken.«

Mabel schwieg, und Ellen sagte nachdenklich: »Wie ist es nur möglich, daß ein Mensch, der mit nur einem Arme zur Welt gekommen ist, immer froh und heiter sein kann?«

»Sie kennt es ja nicht besser,« warf Mabel ein.

»Nein, das ist es nicht, denn sie entbehrt manches durch ihr Leiden,« entgegnete Felicia, »Hannas tiefe, wahre Frömmigkeit hilft ihr aber zur Geduld und Ergebung in Gottes Willen und macht ihr das Herz froh und zufrieden. Sie hilft Mutter bei dem Rosenversand und steht ihr bei allem mehr bei als vielleicht manche Tochter, die zwei gesunde Hände hat, ihrer Mutter beisteht.«

Mabel ward rot, und Ellen fragte: »Deine Pflegemutter hat eine große Rosenzucht, nicht wahr?«

»Ja, ich bin so froh, daß sie gut damit verdient. Auch die beiden Kleinen, Lotte und Klärchen, die nun übrigens auch schon zwölf und dreizehn Jahre alt sind, helfen fleißig, besonders Klärchen, die sich sehr für Blumen interessiert.«

»Und dein Pflegebruder, Fairy?«

»Der Franzel ist in Hamburg und besucht die Handelsschule. Nächste Ostern ist er fertig, dann tritt er in das große Handelshaus Bernitt & Co. Ihr wißt, der junge Bernitt hat mich einstmals aus großer Gefahr gerettet, als ich freie Amerikanerin spielte und auf ungesatteltem Pferde, das mit mir durchging, davonjagte.« Sie lachte fröhlich und fügte hinzu: »hoffentlich schickt das Handelshaus den Franzel einmal herüber, er hat mir fest versprochen, uns dann zu besuchen. Darauf freue ich mich nun schon.«

Ellen sprang auf. »Komm, Mabel, es ist heiß hier, laß uns mit Fairy in den Garten gehen, unten am Wasser ist es kühler.«

»Ja, dann können wir etwas rudern,« versetzte Mabel.

»Und ihr könnt sehen, welche Schönheit Barry geworden ist,« sagte Felicia und öffnete die Tür. Wie sie richtig vermutet hatte, lag der Hund draußen und ließ sich gutwillig streicheln und bewundern. Er begleitete dann die jungen Mädchen in den Garten, an den sich ein großer Ahornwald schloß, der sich bis zum Flusse erstreckte. Mabel löste die Kette, die ein schlankes Boot hielt und forderte Felicia und Ellen auf, einzusteigen.

Fee zögerte. »Wollt ihr nicht erst eure Mutter benachrichtigen, daß wir eine Strecke fahren wollen?« fragte sie.

»Willst du nicht lieber wie ein artiges Kind um Erlaubnis bitten?« spöttelte Mabel und setzte energisch hinzu: »Nein, meine Liebe, solche Sitten herrschen glücklicherweise nicht in dem freien Amerika, da tut jeder, was er will, auch ein junges Mädchen, hier zu Hause hatten wir das freilich auch nicht gelernt, weil Mutter leider noch in deutschen Vorurteilen befangen ist, aber in Chicago ging uns schnell ein Licht für amerikanische Sitten auf. O, wie habe ich mich geschämt, und wie habe ich mich geärgert, wenn sie uns neckten und uns Wickelkinder nannten. Du hättest damals, als du nach Deutschland kamst, viel besser nach Chicago gepaßt als wir.«

»Da hast du recht,« sagte Felicia ernst, »ich danke aber Gott, daß er mich statt dessen ins Rosenhaus geführt hat.«

»Bitte, willst du nicht endlich einsteigen?« rief Mabel ungeduldig.

»Ja, Fairy, komm,« bat Ellen und sprang leichtfüßig ins Boot.

Schon wollte Felicia ihr folgen, da fielen ihr des Vaters Worte ein: Mrs. Brighton hofft viel von deinem Einflüsse auf ihre Töchter. Sie hatte sich nun zwar damit getröstet, daß dies wohl allmählich kommen würde, doch nun riß ihr Temperament sie hin, sie mußte sofort einzuwirken suchen. »Nein,« rief sie mit blitzenden Augen, »es wäre rücksichtslos gegen eure Mutter, wenn wir sie nicht benachrichtigten. Wenn ihr es nicht wollt, so tue ich es.«

»Ach, Fairy, komm, sei nicht langweilig,« bat Ellen.

»Laß sie,« sagte Mabel, »sie fürchtet sich nur, mit uns allein zu rudern.«

»Ich mich fürchten?« rief Felicia entrüstet ob solcher Zumutung und sprang ohne Besinnen ins Boot, Barry mit kühnem Satze hinterdrein, so daß das Boot heftig schwankte.

Mabel lachte, gab Ellen, die am Steuer saß, ein Zeichen, ergriff die beiden Ruderstangen, und pfeilgeschwind flog das leichte Fahrzeug über die spiegelglatte Wasserfläche.

»Du bist doch die alte Fairy geblieben,« sagte Ellen lachend.

»Ja,« setzte Mabel heiter hinzu, »das ist mir ein wahrer Trost! Allmählich wirst du unsere Sitten und Gewohnheiten wieder annehmen und die deutsche Sentimentalität abstreifen. Wir wollen dir gern helfen, daß es möglichst schnell geht.«

»Danke, du bist sehr gütig,« entgegnete Felicia kühl und runzelte die feinen Brauen. Wie anders hatte sie sich das Wiedersehen mit den Freundinnen ausgemalt! Wie anders hatten sie sich aber auch entwickelt, als sie gedacht hatte. Mit heißer Sehnsucht dachte sie an Hanna, die jede Regung ihrer Seele verstanden hatte. Wie sollte sie nur ohne Mutter und Hanna fertig werden und gar auf diese Mädchen einwirken? Wie kläglich war ihr erster stürmischer Versuch gescheitert! Hanna hätte es freilich ganz anders angefangen, nicht mit Trotz und Heftigkeit, sondern mit Liebe und Freundlichkeit. Ja, das war das ganze Geheimnis, der Geist der Liebe, der im Rosenhause herrschte, hatte auch ihr trotziges, eigenwilliges Herz bezwungen. Ob sie es auch damit versuchte? Der Schatten schwand von ihrer Stirn, es leuchtete freudig in ihren dunklen Augen auf, als ihre Blicke über die weite, hin und wieder von Wäldern unterbrochene, hügelige Ebene schweiften.

Ein tiefer Atemzug hob ihre Brust, aus vollem Herzen rief sie aus: »wie schön, wie wonnig ist doch die Heimat!«

»Siehst du, so gefällst du mir,« sagte Mabel anerkennend, und Ellen, die ihr lebhaftes Mienenspiel voller Interesse beobachtet hatte, setzte hinzu: »Ich glaubte schon, du hättest Heimweh.«

»Das hatte ich eben auch wirklich,« gestand Felicia, »ich will mir aber alle Mühe geben, mich wieder mit euch einzuleben,« sagte sie herzlich, »es kann ja so schwer nicht sein, ich habe mich so sehr auf euch gefreut.«

»All right,« sagte Mabel, Ellen nickte ihr freundlich zu und sagte: »Wir auch auf dich, Fairy. Es wäre schade, wenn wir uns nicht mehr verständen, wir sind hier doch ganz aufeinander angewiesen.«

Sie plauderten nun heiter, und wenn auch die große Verschiedenheit in ihren Ansichten immer wieder durchbrach, so konnte das den jugendlichen Frohsinn nicht mehr stören, besonders da Felicia sich bemühte, freundlich auf die Ideen der Freundinnen einzugehen.

»Ich glaube, es wird Zeit, daß wir umkehren,« sagte Ellen, nachdem sie ungefähr eine Stunde gefahren waren und zog ihre kleine goldene Uhr aus dem Gürtel, »sonst sind wir zum Tee nicht zurück.«

»Wenn wir nicht da sind, werden die Eltern schon anfangen, wir essen einfach später,« erklärte Mabel gleichmütig.

»Du weißt aber, daß Vater es nicht gern sieht, wenn wir zu den Mahlzeiten nicht da sind,« entgegnete Ellen zögernd.

Mabel zuckte die Achsel. »Vater wird sich daran gewöhnen, meine Liebe, ich sehe auch manches nicht gern,« versetzte sie.

Ellen schwieg, sie sah aber rot und unruhig aus.

Da neigte sich Felicia mit ihrem lustigsten Schelmenlächeln vor und sagte: »Wirst du dich zur Rückfahrt entschließen, beste Mabel, wenn ich dir gestehe, daß ich einen ganz rechtschaffenen Hunger verspüre?«

Mabel sah sie einen Augenblick mißtrauisch an, dann entgegnete sie liebenswürdig: »Das ist ein sehr stichhaltiger Grund zur Rückkehr, Achtung, Ellen.«

Pfeilgeschwind flog nun das Boot dahin, und bewundernd betrachtete Felicia die Freundin, die mit den kleinen weißen Händen so kräftig zu rudern verstand. Wie hübsch Mabel doch war, als sich durch die Anstrengung ihr feines Antlitz mit heller Röte bedeckte, schade, daß sie durchaus die »freie Amerikanerin« spielen wollte. Nach kurzer Zeit hatten sie den Anlegeplatz erreicht und verließen das Boot.

Da kam Georgie dahergestürmt. »Seid ihr endlich da?« rief er. »Wir wollen Abendbrot essen, Vaters Gesicht sieht aus wie eine Wetterwolke, und Mutter seufzt, weil ihr wieder einmal verschwunden waret, ohne euch abzumelden.«

»Mein Junge, du scheinst zu vergessen, daß du nicht zu Babys, sondern zu jungen Damen sprichst,« sagte Mabel verweisend.

»Ach – Damen,« entgegnete Georgie wegwerfend, »es ist nur eine wirkliche Dame unter euch.« Er verbeugte sich anmutig vor Felicia, doch diese lachte ihn aus. »Laß, bitte, mir gegenüber den Gentleman aus dem Spiele und sei, was du bist, ein richtiger Junge, ich will auch nichts anderes sein als ein fröhlicher Backfisch. Laß sehen, Georgie, wer zuerst durch den Wald ist.«

Anmutig warf sie die kurze Schleppe ihres Reitkleides über den Arm und flog davon, Georgie und Barry mit lautem hallo hinterdrein.

Die Schwestern sahen sich verblüfft an, Ellens fünfzehnjährige Füße hätten sich gern an dem lustigen Wettlauf beteiligt, doch Mabel zog eine sehr spöttische Miene und sagte: »Man sollte nicht denken, daß in den Savannen mehr Kultur zu finden ist als in ihrem viel gepriesenen Deutschland. Was Grace nur zu ihr sagen wird?«

»Sie wird entzückt von ihr sein,« rief Ellen begeistert, »du weißt, Grace schwärmt für alles Originelle.«

Der Familienkreis befand sich bereits im Speisezimmer, als die jungen Mädchen erschienen. Felicia, welche die Wolke auf des Hausherrn Stirn bemerkte, ging sofort auf die Hausfrau zu und sagte mit lieblicher Bitte: »Entschuldigen Sie, Mrs. Brighton, daß wir uns verspätet haben, es war so schön auf dem Wasser, daß wir ganz vergaßen, nach der Uhr zu sehen.«

Mrs. Brighton strich über das dunkle Haar des jungen Mädchens und sagte freundlich: »Sie sind ein gutes Kind, Fairy, wie glücklich muß Ihr Vater sein, Sie wieder zu haben, und Sie so wieder bekommen zu haben.« Sie seufzte leise, und ein bekümmerter Blick traf die eigenen Töchter, von denen keine ein Wort der Entschuldigung hatte.

»Du könntest Miß Bertram etwas nachzueifern suchen, Kleine,« flüsterte Henry seiner Schwester Ellen zu, dann nahm er seinen Platz neben Felicia ein. Im Laufe des Gespräches erzählte er ihr, daß er mit der Absicht umgehe, sich eine eigene Farm zu bauen. »In meinem Alter fängt man doch an, sich nach Selbständigkeit zu sehnen,« sagte er, »da mag man nicht mehr ganz von dem Vater abhängig sein.«

Felicia sah ihn erstaunt an. »In Deutschland ist ein junger Mann mit einundzwanzig Jahren meist noch vom Vater abhängig,« sagte sie, »wie ganz anders ist doch hier alles als daheim.«

»Ich hoffe, Sie werden sich hier bald wieder so wohl fühlen, daß Sie die Savannen als Ihre wahre Heimat ansehen und lieben.«

»Gewiß, mein halbes Herz ist aber drüben geblieben,« entgegnete sie sinnend, »ich glaube, ich bin eine gute Deutsche geworden.«

»Ich bitte Sie, Miß Bertram, suchen Sie etwas Einfluß auf meine Schwestern zu gewinnen und, wenn es möglich ist, auch auf Miß Martini,« sagte er halblaut. »Sie wundern sich über meine Bitte,« fuhr er fort, als sie ihn überrascht ansah, »ich war aber ein Jahr in einer deutschen Kolonie in Nebraska auf einer großen Zuckerplantage und habe dort deutsche Sitten und deutsche Biederkeit schätzen und lieben gelernt. Eigentlich sind wir Kolonisten hier ja auch alle halbe Deutsche und somit halbwegs verpflichtet, auch bei uns deutsche Gewohnheiten einzuführen.«

Der junge Mann hatte allmählich lauter gesprochen, und als er jetzt Felicia die Hand ausstreckte und fragte: »Wollen Sie mir darin behilflich sein, Miß Bertram?« waren aller Blicke auf ihn gerichtet.

Mit strahlendem Lächeln schlug Felicia ein und rief lebhaft: »Von ganzem Herzen will ich das, soviel in meinen Kräften steht. O Pa, wie schön wird das werden, und wie wird sich Mutter freuen, wenn ich ihr das schreibe.«

»Nur immer sachte, Töchterchen,« entgegnete ihr Vater, »vergiß nicht, daß wir in Amerika leben und nicht in Deutschland, manches wird sich verwirklichen lassen, manches nicht.«

»Ja, ja, die Jugend meint immer, alles im Sturme nehmen zu können,« sagte Mr. Brighton und nickte Felicia lächelnd zu, »ich habe aber sicher nichts dagegen, wenn Sie meine Töchter etwas Pünktlichkeit und deutsche Rücksicht lehren, beides ist ihnen in Chicago abhanden gekommen.«

»Ich bitte dich, Vater,« rief Mabel heiß errötend, doch die Mutter fiel ihr schnell ins Wort und lenkte das Gespräch in andere Bahnen.

»Vater,« sagte Felicia auf dem Heimritt, »weißt du wohl, daß es mir in Brighton Hall lange nicht mehr so gut gefällt wie früher? Mabel und Ellen sind so anders geworden, ich glaube, ich werde mich mit Henry viel besser verstehen als mit den beiden.«

»Sie hätten nicht nach Chicago gemußt, die Eltern bereuen es jetzt auch lebhaft, denn, obgleich Brighton ein Amerikaner ist, so hat er sich durch seine Frau, die vollständig deutsch erzogen ist, so sehr an deutsche Sitte in seinem Hause gewöhnt, daß das Wesen der Töchter ihn zurückstößt, Henry neigt, wie du gesehen hast, mehr zum Deutschtum.«

»Pa, ob er mir wohl helfen würde, eine Kirche zu bauen?« unterbrach das junge Mädchen ihn lebhaft.

»Glaub's kaum, Kind, er geht vorläufig ganz in der Idee auf, sich eine Farm zu bauen. Der Ankauf des Landes, sowie der Bau kosten Geld; er selbst hat noch nichts, wenigstens nicht viel, also muß der Vater ihm zu Hilfe kommen, da bleibt denn für andere Zwecke nichts übrig.«

»Brightons sind aber doch wohlhabend?«

»Nun ja, die Erziehung der Kinder hat aber viel Geld gekostet, da muß Brighton das Seine Zusammenhalten. Für unnütze Dinge gibt man kein Geld aus.«

»Aber Pa, den Kirchenbau kannst du doch nicht unnütz nennen,« rief sie vorwurfsvoll.

»Frage Henry, er wird dir sagen, daß ein Dach über seinem Haupte ihm notwendiger ist. vorwärts, Fairy, Galopp.«

Das junge Mädchen trieb ihr Pferd an, und in kurzer Zeit waren sie daheim, wo Tante Luise sie schon sehnsüchtig erwartet hatte. Ihr ernstes Antlitz leuchtete freudig auf, als die Nichte sie zärtlich umarmte und ihr zuflüsterte: »Hier bei uns ist es am schönsten, auf so viele Stunden verlasse ich Victoria Cottage sobald nicht wieder.«


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