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5. Kapitel

Eines Tages ritt Felicia zu Wendlers hinüber. Die zarte kleine Frau, die so sehr mit dem Heimweh kämpfte und sich noch immer nicht einleben konnte, hatte ihr Interesse und ihr tiefstes Mitgefühl gewonnen.

Das schlichte Blockhaus war noch einfacher als ihr Vaterhaus, und die wenigen Räume waren noch dürftiger ausgestattet. Das geringe Kapital, das Herr Wendler aus der Heimat mitgebracht, hatte zum Ankauf des Landes und der Einrichtung, sowie für die erste Zeit zum Leben gereicht, da durfte nichts Überflüssiges angeschafft werden. Zur Hilfe hatten sie nur einen Neger, den Felicias Vater ihnen verschafft hatte, alle andere Arbeit verrichteten sie selbst. Herr Wendler, frisch und kräftig, arbeitete für drei, für seine zarte Frau jedoch, die auch noch die Kinder zu versorgen hatte, wurde es oftmals zu viel.

Der junge Farmer, der mit dem Neger im Garten tätig war, sah den Besuch nicht kommen, so übergab Felicia ihr Pferd ihrem Groom und ging ins Haus.

Lautes Weinen und die aufgeregte Stimme der Hausfrau scholl ihr entgegen. Sie ging den Tönen nach in die Küche, hier stand Frau Wendler mit hochroten Wangen und plättete, zu ihren Füßen spielten die beiden Kleinsten, die sich augenscheinlich gezankt hatten. Das vierjährige Trudchen weinte, und Annie zerrte an den Haaren einer übel zugerichteten Puppe. Die Tür zur Wohnstube stand offen, die älteste, Toni, kam mit einem Schreibhefte herausgelaufen und rief: »Was soll ich nun schreiben, Mama? Ich habe zwei ganze Seiten voller los, guck.«

»Du kannst aufhören, Toni, spiele mit Trudchen, damit sie aufhört zu weinen, ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht,« rief die junge Frau ganz verzweifelt.

»Warten Sie, ich komme Ihnen etwas zu Hilfe, liebe Frau Wendler,« rief nun Felicia mit ihrer frischen Stimme, trat schnell näher und nahm Trudchen auf den Arm.

»Tante Fee,« rief Toni jubelnd, und »Tante Fee« riefen die beiden anderen nach.

»Ach, welch ein Glück, daß Sie kommen, Fee,« rief auch die junge Frau, »ich bin wieder mal ganz verzweifelt und bedarf Ihres frischen Zuspruches.«

»Was gibt es denn?« erkundigte sich Felicia teilnehmend, setzte sich und zog die Kinder zu sich heran.

»Ach, nichts besonderes. Kennen Sie das Gefühl, Fee, wenn man mit seiner Kraft zu Ende ist und am liebsten nichts hörte und sähe? Aber nein, wie sollen Sie, frisch, jung und gesund, das kennen!«

»Doch,« entgegnete das junge Mädchen ernst, »in dem Zustande war ich damals, als ich als Kind nach Deutschland kam, keiner meine Sprache redete, und das Heimweh mich fast verzehrte. Da war mir schließlich alles gleichgültig, ich konnte stundenlang still liegen, ohne mich zu regen, ja, ohne zu denken, und ich glaube, wenn ich nicht in das Rosenhaus zu meiner lieben Pflegemutter gekommen wäre, ich – aber liebe Frau Wendler,« unterbrach sie sich und sah die zarte kleine Frau ängstlich prüfend an, »bei Ihnen ist das doch ganz anders, Sie haben Ihre Familie bei sich und sind glücklich. Sie können sich doch nicht vor Heimweh verzehren.«

»Nein, das ist es auch nicht allein, es ist wohl hauptsächlich körperliche Schwäche. Sehen Sie, Fee, ich habe daheim ja auch gearbeitet, es hat aber doch nicht alles allein auf meinen Schultern geruht, ich hatte doch Hilfe, während ich hier vorläufig alles allein tun muß. Dazu kommt noch, daß Toni anfangen muß zu lernen und ich mein Unvermögen, sie zu unterrichten, da ich zu wenig Zeit und Ruhe habe, fühle. Ich weiß nicht, wie es werden soll, ich bin am Ende meiner Kraft.« Seufzend legte sie ein Wäschestück beiseite und ergriff ein neues.

Hastig sprang Felicia auf, setzte Trudchen nieder, nahm Frau Wendler das Plätteisen aus der Hand, stellte es fort und legte den Arm um sie. »Kommen Sie, legen Sie sich ein Stündchen nieder, Sie haben Kopfschmerzen, ich sehe es,« sagte sie herzlich und führte die Widerstrebende ins Schlafzimmer.

»Ach Fee –«

»Kommen Sie nur, die Wäsche plätte ich fertig, ich verstehe das ganz gut, Mutter hat es mir gezeigt, sie sagte, ein junges Mädchen müsse in allen Haushaltungsdingen auf eigenen Füßen stehen. Den Kindern erzähle ich dabei eine Geschichte, und später besorge ich den Tee. Sie können sich also ganz getrost niederlegen.«

Mit einem Seufzer der Erleichterung schmiegte die junge Frau den blonden Kopf in die Kissen und sagte dankbar lächelnd: »Wie gut Sie sind, Fee, wie soll ich Ihnen danken?«

»Daß Sie recht schnell einschlafen und munter und gestärkt erwachen. Machen Sie sich nur keine Sorgen um die Kinder und den Haushalt, ich bin ja da.« Ihr zunickend verließ sie das Zimmer, nahm die Kinder, die ihr nachgelaufen waren, mit sich in die Küche und erzählte ihnen Märchen, während sie emsig plättete.

Als die Wäsche sauber im Korbe lag, räumte sie alles fort, spielte mit den Kindern und sorgte dann für das Abendbrot, ganz von einem Gedanken erfüllt, den sie sich auszuführen sehnte.

Da trat Herr Wendler ein. »Fräulein Bertram, Sie?« rief er erstaunt, »wo ist meine Frau?«

»Ich habe sie überredet, sich niederzulegen, weil sie sich so sehr elend fühlte und habe ihr versprochen, sie etwas zu vertreten. Ich glaube, Herr Wendler, Ihre Frau strengt sich zu sehr an, sie sieht so zart aus, auf die Dauer hält sie es nicht aus mit aller Arbeit.«

Das heitere Antlitz des Farmers ward ernst und sorgenvoll. »Ich fürchte das auch, und doch weiß ich es nicht zu ändern, was kann ich nur tun?«

»Ich möchte Ihrer Frau gern ein wenig helfen, darf ich?« bat Felicia in warmer Aufwallung, »hören Sie nur, was ich mir ausgedacht habe. Ihre Frau braucht unbedingt Ruhe, die kann sie aber nicht haben, wenn sie die Kinder den ganzen Tag um sich hat und gar Toni noch unterrichten soll. Wissen Sie was, Herr Wendler, ich nehme Toni und Annie heute abend mit und bringe sie Ihnen nach einigen Wochen, wenn Ihre Frau sich etwas erholt hat, wieder.«

»Ja, aber, Fräulein –«

»Bitte, bitte, lassen Sie mich die Kinder mitnehmen,« bat das junge Mädchen eifrig, »Ihre Frau hätte dadurch viel weniger zu tun, Pa würde sich freuen, und ich will so gut für die Kleinen sorgen, daß sie gewiß nichts entbehren sollen.«

»Sie sind sehr freundlich, Fräulein Bertram, vor allen Dingen wollen wir erst hören, was meine Frau sagt,« entgegnete der Farmer. Er war jedoch nicht wenig erstaunt und beunruhigt, als seine Frau nicht allein Felicias Vorschlag annahm, sondern sichtlich erleichtert war.

Felicia legte die Kleinste noch schnell in ihr Bettchen, packte ein Bündelchen mit Kleidern und Wäsche und machte die beiden kleinen Mädchen, die voller Freude und Erwartung waren, fertig. Toni ließ sich sogar zu Dick auf das Pferd setzen, ein Korb mit Wäsche, die der Ausbesserung bedurfte, wanderte auch noch mit hinauf, dann bestieg Felicia ihre Beauty, Herr Wendler hob ihr die jauchzende Annie hinauf, noch ein fröhlicher Gruß, dann ging es fort.

»Ich will dicht bei Tante Fee reiten,« rief Toni nach einer Weile weinerlich. Dick ward nun an seiner Herrin Seite beordert und Toni bedeutet, daß sie hübsch artig sein müsse.

»Ich will auf dein Pferd, Annie kann auf Dick seins,« erklärte sie.

»Das geht nicht, du sitzt dort sehr gut, Toni, sei nun lieb.«

»Dick hat so schwarze Hände, ich mag nicht, daß er mich anfaßt,« klagte Toni.

»Etsch, ich sitz' bei Tante Fee, Tante Fee hat weiße Hände,« sagte Annie triumphierend. »Ich will zu Mama,« rief Toni und begann zu weinen.

Fee ward etwas beklommen zu Sinn. »Ihr müßt artig sein, sonst erzähle ich nie wieder Geschichten,« sagte sie energisch, »Paßt auf, welches Pferd kann wohl am schnellsten laufen?« Ein Zuruf und beide Pferde flogen dahin, Annie jauchzte, und Toni vergaß Dicks schwarze Hände.

Als sie sich Victoria Cottage näherten, fiel Felicia die Frage, was Tante Luise wohl zu dem unerwarteten Besuche sagen würde, schwer auf das Herz. Ihres Vaters Zustimmung war sie sicher, aber Tante Luise? Noch ein kurzer Galopp, und sie hielten vor dem Hause. Der Tisch unter der Veranda war zum Abendbrot gedeckt, der Vater war jedoch nicht zu sehen, und aus dem Hause scholl Tante Luisens scheltende und Nannys lachende Stimme. Dick sprang geschickt vom Pferde, setzte Toni auf die Erde, nahm seiner jungen Herrin Annie ab, half ihr vom Pferde und setzte Korb und Bündel auf die Veranda.

Die Kinder, die sich etwas eingeschüchtert an sie schmiegten, an der Hand, ging Felicia ins Haus, da trat ihr Tante Luise entgegen, hochrot, die sich sträubende Nanny am Arm.

»Gut, daß du endlich kommst,« rief sie der Nichte entgegen, »vielleicht gelingt es dir, diesem verdorbenen schwarzen Geschöpfe den Unterschied zwischen Mein und Dein klar zu machen. Ich habe schon verschiedentlich gemerkt, daß mir Kleinigkeiten fehlten, wollte aber nichts sagen, obgleich ich sofort dies Geschöpf beargwohnte, da es ja unsere Zimmer aufwäscht und für frisches Wasser zu sorgen hat. Nun habe ich aber Gewißheit, da sieh her, meine beste schwarze Schürze hat sie vor! Kann es einen frecheren Diebstahl geben? Und dabei lacht das verdorbene Geschöpf und freut sich noch ihrer Untat. Was man doch alles in diesem schrecklichen Lande erleben muß!«

Felicia konnte kaum ein Lächeln unterdrücken, als sie von der erzürnten Tante zu der glückstrahlenden Nanny blickte, die an der Schürze niederstrich und sagte: »Schön, Nanny sehr schön sein.«

»Ja, aber sage mir, Nanny, wem gehört die Schürze?«

»Nanny,« lautete die schnelle Antwort.

»Wem hat sie früher gehört?«

Nanny steckte einen Finger in den Mund, lachte und zeigte auf Tante Luise.

»Hat Miß Bertram dir die Schürze geschenkt?« fragte Felicia weiter.

Das Negermädchen schüttelte lachend den schwarzen Krauskopf.

»Dann hast du sie gestohlen! weißt du nicht, daß das Sünde ist? Was will der liebe Gott von dir?«

»Nanny beten und singen.«

»Ja, und Nanny soll nicht lügen und stehlen, sonst ist der liebe Gott böse mit Nanny,« erklärte Felicia, »gib sofort Fräulein Bertram die Schürze und laß dir nicht einfallen, wieder etwas aus ihrem Zimmer zu nehmen, sonst werde ich sehr böse und schenke dir kein buntes Tuch zu Weihnachten.«

Das war ein Zauberwort für die Negerkinder geworden, seit ihre junge Herrin aus Deutschland zurückgekehrt war und ihnen schon häufig von all den Herrlichkeiten erzählt hatte, die ihnen das Christkind bringen würde, forschend blickte Nanny sie an, und als sie den unerschütterlichen Ernst in den braunen Augen las, band sie seufzend die Schürze ab und reichte sie dem alten Fräulein, die ungeduldig der Unterredung gefolgt war.

»Ich begreife nicht, daß du so viele Umstände mit dem garstigen Geschöpfe machst,« sagte sie grollend, »was sollen übrigens die Wendlerschen Kinder zur Nacht hier?«

»Frau Wendler befindet sich so schlecht, daß ich sie gleich zu Bett brachte, als ich hinkam. Du glaubst nicht, wie sie herunter ist, die arme kleine Frau. Ich dachte, es wäre das Beste, ich nehme ihr die beiden Ältesten mal für ein paar Wochen ab, dann hat sie es doch wenigstens für kurze Zeit etwas leichter. Ist es dir nicht recht, Tante?« setzte sie zaghaft hinzu, als des alten Fräuleins Antlitz sich immer mehr verdüsterte.

»Welcher Einfall, so mir nichts dir nichts zwei Kinder zu später Abendstunde ins Haus zu bringen,« sagte sie zürnend, »es scheint mir, als ob du etwas von deiner entzückenden Grace lernst. Hast du schon darüber nachgedacht, wo die Kinder schlafen sollen?«

Fee ward dunkelrot, sowohl über den Vorwurf als über die Frage. »Nein,« entgegnete sie kleinlaut, »daran habe ich nicht gedacht, ich bin nur meinem Gefühle gefolgt.« Sie legte die Arme um die kleinen Mädchen, die sich ängstlich an sie schmiegten und atmete erleichtert auf, als sie des Vaters wohlbekannten Schritt hörte und er gleich darauf auf die Schwelle trat.

»Na, was ist das? Woher kommt das kleine Volk noch?« fragte er verwundert.

In fliegender Hast berichtete Felicia, und sie konnte nicht umhin, die Tante triumphierend anzublicken, als der Vater sagte: »Das hast du recht gemacht, Fee, die arme kleine Frau hat sich einfach überarbeitet. Es wird euch hier auch wohl gefallen, was, ihr Mädels?« Er strich liebkosend über die Blondköpfchen, die Rinder blickten jedoch scheu auf Tante Luise, die achselzuckend aus der Tür ging und auch während des Essens kaum sprach. Das verdroß Felicia, sie ärgerte sich über die Tante, die nicht allein gar kein Verständnis für die einfachste Menschenliebe hatte, sondern ihr noch Vorwürfe machte.

Sobald Fee die kleinen Mädchen mit Milch und Butterbrot versorgt hatte, empfahl sie sie des Vaters Obhut, rief Bridget und Kitty und beriet mit ihnen, wo die Kinder schlafen sollten. Da wußte die Alte glücklicherweise Rat, Felicias Kinderbettchen stand noch auf der Kammer mit einigen kleinen Betten darin, Fee gab aus ihrem eigenen dazu, so war bald ein ganz bequemes Lager fertig.

Als später die kleinen Mädchen friedlich schlummerten, saß Fee neben ihnen und betrachtete sie liebevoll und nachdenklich. Da trat Tante Luise leise ein und neigte sich über die rosigen kleinen Schläferinnen. Felicias Ärger war schon verweht, sie schob der Tante einen Stuhl hin und sagte: »Sind sie nicht süß? Nicht wahr, du bist nicht mehr böse, daß ich sie mitgebracht habe? Ich konnte wirklich nicht anders.«

»Ich weiß, daß ich dir noch oftmals unbequem fallen werde, laß dich aber durch mich nicht stören,« lautete die kühle Antwort.

»Tante,« rief das junge Mädchen erschrocken, »was meinst du? Ich will ja gewiß nicht gegen deine Wünsche handeln, verstehst du denn aber gar nicht, daß man sich zuweilen von seinem Herzen hinreißen läßt? Tantchen,« ein schelmisches Lächeln spielte um ihre Lippen, »ich habe auch auf dein gutes Herz gerechnet.«

»Das solltest du lieber nicht tun, du müßtest wissen, daß die Rechnung nie stimmen kann.«

Wie bitter das klang! Fee legte einen Arm um den Nacken der alten Dame, deutete auf den mit Wäsche gefüllten Korb und sagte triumphierend: »Ich weiß ganz genau, daß der dort dein Interesse erregen wird, dein gutes Herz wird nicht eher ruhen, als bis deine lieben fleißigen Hände alles in Ordnung gebracht haben.«

»Du bist eine ganz gefährliche Schmeichlerin, Fee, aber gib dir keine Mühe, es gelingt dir doch nicht, mich noch barmherzige Nächstenliebe zu lehren, ich tauge nun einmal nicht zur Samariterin. Was ist denn in dem Korbe? fragte sie nach einer Weile.

Fee unterdrückte ein Lächeln und sagte: »Kinderwäsche, die der Ausbesserung dringend bedarf, die arme kleine Frau kann es wirklich nicht alles allein schaffen.«

»Und ich habe genug mit unserer eigenen zu tun,« brummte das alte Fräulein.

»Ach, Tantchen, im Geheimen fürchtest du den Augenblick, wo du fertig bist und keine Arbeit hast, ich glaube aber, bei Wendlers findest du immer zu tun.«

»Ich bin nicht so gestellt, daß ich um einen Gotteslohn arbeiten kann. Ich denke, daß ich mit der Zeit Arbeit in St. Louis finden werde, es ist ja häufig Gelegenheit zum Holen und Schicken. Wie lange willst du die Würmer hier behalten?«

»Hoffentlich läßt Frau Wendler sie mir recht lange, ich habe große Pläne. Glaubst du, daß ich Toni unterrichten kann? Ich sollte denken, daß ich als ›höhere‹ Tochter dazu fähig wäre.«

»Welcher Unsinn, Fee,« zürnte das alte Fräulein, »du kannst doch das Kind unmöglich hier behalten und ebensowenig täglich bei Wind und Wetter hinüberreiten. Wenn die Leute mit ihren Kindern in die Wildnis ziehen, so müssen sie auch wissen, wie sie sie unterrichten lassen, das ist ihre Sache, nicht deine. Stecke doch deine Nase nicht in alles, das steht einem jungen Mädchen gar nicht gut an. Nun lege dich hin und schlafe, gute Nacht.«

Sie ging und ließ Felicia in Aufregung zurück. War es wirklich nicht recht, was sie getan und was sie vor hatte? Ihr war so froh, so leicht in dem Gedanken gewesen, daß sie der kleinen Frau Wendler eine wirkliche Hilfe sein konnte, und nun sollte das nicht recht sein? Was Mutter wohl sagen würde? Geräuschlos erhob sie sich, setzte sich an ihren Tisch, und eilig glitt ihre Feder über das Papier, bis sie sich endlich alles vom Herzen heruntergesprochen hatte, dann erst suchte sie ihr Lager auf.

Am nächsten Morgen kleidete sie ihre kleinen Schützlinge unter lustigen Scherzen an und beantwortete ihre vielen Fragen mit der größten Geduld. Tante Luise sah nicht sehr entzückt aus, als sie mit ihnen hinunterkam, sie ärgerte sich heimlich, daß die Kleinen sie scheu und ängstlich von der Seite ansahen.

»Willst du die Kinder bei dir behalten, Tante, bis ich mit meinen Stunden fertig bin?« fragte Felicia nach dem Frühstück.

»Ich weiß durchaus nicht mit Kindern umzugehen,« entgegnete das alte Fräulein und runzelte leicht die Stirn.

»Ich bleib' bei dir, Tante Fee,« erklärte Toni und faßte Fees Hand.

»Ich auch,« rief Annie und setzte hinzu, »ich mag die alte häßliche Frau nicht leiden.«

»Aber Annie, wie unartig von dir,« rief Felicia erschrocken und sah die Tante ängstlich an.

Diese zuckte die Achseln und entgegnete kühl: »Du muß sehen, wie du mit der freiwillig übernommenen Last fertig wirst, auf mich kannst du nicht rechnen, da die Kinder sich schwer an mich gewöhnen würden.«

Das junge Mädchen seufzte und nahm die Rinder, nachdem sie versprochen hatten, sehr artig zu sein, mit sich in den Schuppen. Die Kleinen hielten auch Wort. Toni war sogar sehr aufmerksam, ihre und des Schwesterchens Anwesenheit diente jedoch nicht dazu, die Negerkinder in Ruhe zu halten, sie schenkten den kleinen Mädchen viel mehr Aufmerksamkeit als den Wissenschaften, und Nanny kam aus dem Lachen über Annie gar nicht heraus. Als die Kleine merkte, daß das Lachen ihr galt, fing sie an Gesichter zu schneiden und war entzückt, als Nanny sich darüber vor Vergnügen wand. Felicia nahm ihre ganze Geduld zusammen, ermahnte erst, schalt dann, schlug Annie auf die Finger und versetzte Nanny eins mit dem Stocke, was zur Folge hatte, daß die Kleine weinte und die Große einfach davonlief.

So war die junge Lehrerin froh, als die beiden Stunden, die sie den Negerkindern jeden Morgen widmete, vorüber waren, der Tag brachte ihr aber noch manche Prüfung. Tante Luise war verdrießlich, die Kinder wichen ihr kaum von der Seite, verlangten nach Hause zu Mama und stellten ihre Geduld durch Eigensinn und endlose Fragen auf eine harte Probe. Es war doch gar nicht so leicht, was sie unternommen hatte, sie bereute es aber nicht, wenn sie an die Mutter der Rinder dachte, die nun doch etwas mehr Ruhe hatte als gewöhnlich.

Am nächsten Morgen spielte sie mit den Kindern in dem Schatten der breitästigen Sykomore, als Grace erschien.

»Tag, Fairy,« sagte sie und setzte sich, »ich habe schon gehört, daß du als hilfsbereite Fee tätig bist, wirklich, du tust dein Möglichstes, deinem Namen Ehre zu machen. Ich bin eigens hergekommen, um dich in deiner neuen Eigenschaft als Kindermädchen zu bewundern.«

Felicia lachte. »Bitte, lege dir keinen Zwang auf, wenn du nicht anders kannst, so bewundere mich.«

»Wie kommst du in aller Welt dazu, Fairy, dir solche Plage aufzuhalsen? Sind dir Kinder nicht schrecklich? Mich würden sie umbringen. Weshalb hast du es in aller Welt getan? Aber nein, schweige, ich lese schon alles in deinen Augen, was du mir von Christenpflicht und Nächstenliebe – das sind ja doch deine Schlagwörter – sagen willst, das würde mich höchstens schrecklich langweilen. Ich bin übrigens hauptsächlich gekommen, dich für morgen einzuladen, aber für den ganzen Tag. Morgen ist nämlich mein Geburtstag, da wirst du einsehen, daß du mir keinen Korb geben darfst.«

»O Grace, wie gern käme ich – aber die Kinder?«

»Nun, das ist das einfachste von der Welt, du bringst sie Mrs. Wendler zurück.«

»Wie kann ich das, da ich sie für einige Wochen mit mir genommen habe, weißt du, wie es Mrs. Wendler geht? Hast du sie gesehen?

Grace zuckte die Achseln und spielte mit ihrer zierlichen Reitgerte. »Sie schien mir ganz wohl zu sein,« entgegnete sie nachlässig und fügte mit ihrem bezauberndsten Lächeln hinzu: »Nicht wahr, Fairy, du kommst? Ohne dich kann ich mir den Tag gar nicht denken, sag' ja, Liebling?«

Sie war so hinreißend, als sie die Arme um Felicia schlang und bittend zu ihr aufblickte, daß diese sie küßte und rief: »Ich will mich so einrichten, daß ich eine Stunde zum Lunch kommen kann, aber länger kann ich nicht, Grace, das mußt du nicht übel nehmen.«

»Wundervoll,« rief Grace und klatschte in die Hände, »mehr beanspruche ich gar nicht, du gewissenhaftestes aller Kinderfräulein. Wir essen schnell und machen dann eine Spazierfahrt, und ich fahre dich gleich zurück.«

»Und du bringst mich bestimmt hierher?«

»Ganz bestimmt, du kannst dich darauf verlassen, ach, es wird herrlich werden, geliebte Präriefee. Sag mal, Fairy, mir fällt es gerade ein, würde deine Tante mir wohl einige Wäsche nähen? Sie scheint ja mit der alten garstigen Maschine wie verwachsen, da näht sie vielleicht auch mal für andere Menschen als für sich? Weshalb wirst du so rot? Es ist doch keine Schande, Geld zu verdienen?«

»Gewiß nicht, ich werde ja auch nur vor Freude rot, es ist ja Tantes sehnlichster Wunsch, etwas zu verdienen. Wie lieb von dir, Grace, daß du daran gedacht hast.«

Das schöne Mädchen lachte. »Gut, Liebling, laß uns ins Haus gehen und gleich mit der alten Dante sprechen.«

Zum ersten Male sah Grace ein freundliches Gesicht von Fräulein Bertram, als sie mit ihrem Vorschlage vor sie trat, und als sie sich bald darauf verabschiedete, sagte sie befriedigt: »Das war einmal ein vernünftiger Einfall von deiner Grace, für den ich ihr Dank weiß. Es ist doch ein ganz anderes Gefühl, einen eigenen Groschen in der Tasche zu haben, als ganz von anderen abzuhängen. Das hätte ich auf die Dauer nicht ausgehalten.«

»Tante – was sehe ich – du nähst ja die Kinderwäsche?«

Eine leichte Röte flog über das alte Antlitz. »Nun ja,« rief sie unwillig, »man kann die Würmer, wenn man sie nun mal im Hause hat, doch nicht zerrissen umherlaufen lassen. Du warst ja so praktisch, lauter zerrissenen Kram mitzubringen.«

»Weil ich dich kannte, du beste aller Tanten,« rief Fee und küßte sie ungestüm, »Wer hatte nun mal wieder recht mit deinem guten Herzen?« setzte sie lächelnd hinzu.

»Geh, du Schelm, dies hat gar nichts mit meinem Herzen zu tun, es ist einfach Notsache.«

»Tantchen, ich habe eine große Bitte an dich.«

»Nun, was denn?« fragte das alte Fräulein etwas mißtrauisch.

»Grace hat morgen Geburtstag, ich habe ihr versprochen, auf ein paar Stunden zum Lunch zu kommen, Mabel und Ellen sind auch da, willst du dich ein wenig um die Kinder kümmern?«

»Sie werden nicht bei mir bleiben wollen.«

»O, ich verspreche ihnen etwas recht Schönes mitzubringen,« lief Felicia schnell.

Tante Luise lachte spöttisch. »Nötig wird es sein,« sagte sie herbe.

»Ich wollte dich nicht kränken,« entgegnete das junge Mädchen bekümmert, »ich wollte es dir nur erleichtern, sie sollten recht artig sein.«

»Schon gut, geh nur, auf eine Weise werde ich schon ein paar Stunden mit ihnen fertig werden.«

»Ich will auch so schnell wie möglich wiederkommen,« versprach Fee, aber leicht war ihr das Herz gerade nicht, als sie am anderen Tage fortfuhr und ihre kleinen Schützlinge nur durch die Aussicht auf schönen Kuchen dazu brachte, artig bei Tante Luise zu bleiben. Einige Stunden vergingen aber schnell, und schließlich schadete es Tante Luise nicht, wenn sie mit so kleinen Menschenkindern umzugehen lernte. Sie wollte sich nun alle Sorgen aus dem Sinne schlagen und die Stunden mit den Freundinnen fröhlich genießen. Mabel und Ellen sah sie ohnehin selten; ob sie sich so wenig zu ihr hingezogen fühlten?

Nach ungefähr einer Stunde erreichte sie River Hall und schickte den Wagen, da der Kutscher notwendig gebraucht wurde, sofort zurück, Grace hatte ihr ja versprochen, sie selbst zurückzubringen. Von den Freundinnen und besonders von der jungen Herrin des Hauses, ward sie mit großer Herzlichkeit empfangen; alles was störend zwischen ihnen stand, schien vergessen, keine Meinungsverschiedenheit trübte die Stunde, die dem Mahle gewidmet wurde. Grace war eine so liebenswürdige Wirtin, daß Felicia aufs neue entzückt von ihr war und sich voller Frohsinn dem ihr gebotenen Vergnügen hingab.

»Ehe ich heimkehre, will ich schnell noch einmal zu Mrs. Wendler herumgehen und sehen, wie es ihr geht,« sagte sie, als sie vom Tische aufgestanden waren.

»Dann tue es gleich, Fairy,« bat Grace, »ich habe das Anspannen bestellt, du weißt, wir wollen spazieren fahren.«

»Ich bin gleich wieder da,« versicherte Fee und eilte schnell davon.

Frau Wendler, die in der Küche beschäftigt war, schlang beide Arme um das junge Mädchen und rief: »Da sind Sie ja, Fee, Gott sei Dank! Zu gern hätte ich Ihnen schon gesagt, wie viel wohler ich mich schon fühle, die größere Ruhe tut mir so gut, noch mehr aber das Bewußtsein, eine Menschenseele zu wissen, die mich versteht und sich meiner annimmt, wenn's mal gar nicht mehr gehen will. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin, Fee!« Sie küßte das junge Mädchen und fragte lebhaft: »Wie schicken sich denn meine Kleinen? Sind sie Ihnen nicht gar zu lästig? Nächste Woche nehme ich sie Ihnen wieder ab, dann kann ich es wieder, Trudchen fühlt sich so einsam, sie ist aber so gut und lieb, ich merke kaum, daß ich sie im Hause habe.«

Fee wollte nun die Kleine noch sehen, dann trug Frau Wendler ihr die zärtlichsten Grüße für ihre kleinen Töchter auf, begleitete das junge Mädchen bis vor die Haustür und versicherte ihr noch einmal, wie dankbar sie ihr sei. Wie glücklich fühlte sich Felicia, wie froh war sie, daß sie ihrem Herzen gefolgt war.

Der elegante, leichtgebaute Wagen, mit mutigen schwarzen Rossen bespannt, ein Geburtstagsgeschenk von Graces Vater, hielt schon vor der Tür und ward gebührend von den jungen Mädchen bewundert.

»Schnell, Fairy, wir warten schon,« rief Grace.

»Wohin geht es denn eigentlich?« fragte sie einsteigend.

Sie erhielt keine Antwort.

Unter heiterem Lachen und Plaudern verging ihr die Zeit, ohne daß sie es merkte, bis sie endlich nach der Uhr sah. »Ich bitte dich, Grace, laß uns schnell umkehren,« rief sie erschrocken, »es wird die höchste Zeit, wenn ich bis Mittag zurück sein will.«

»Rege dich nicht auf, Schatz, es kommt auf eine Stunde nicht an,« entgegnete Grace.

»Gewiß nicht, zum Essen muß ich aber zurück sein, Tante hätte zuviel Mühe mit den Kindern, sie darf auch ihre Mittagsruhe nicht entbehren.«

»Pah, es ist höchst gleichgültig, ob die alte Dame einmal schläft oder nicht.«

»Bitte, Grace, laß mir zuliebe umkehren, Tante wird mich schon mit Sehnsucht erwarten, sie ist nicht an Kinder gewöhnt.«

»Weshalb hast du dir die kleinen Geschöpfe ins Haus geschleppt?«

»Ja, das hast du nun davon,« setzte Mabel hinzu, »so etwas sollte mir gerade einfallen.«

»Es ist mir durchaus nicht leid, im Gegenteil, ich würde es heute gerade so machen,« entgegnete Felicia, »willst du nun aber nicht endlich wenden lassen, Grace? Du hast ja versprochen, mich nach Hause zu bringen?«

»Freilich, Schatz, aber nicht zu welcher Stunde. Wir sind auf dem Wege nach St. Louis, um dort meinen Geburtstag würdig zu feiern, du siehst also, daß es durchaus nicht in meiner Absicht liegt, umzukehren.«

Alle drei Mädchen begannen zu lachen, als sie Felicias bestürzte Miene sahen.

Einen Augenblick war sie starr, dann stieg ihr heiße Zornesröte ins Antlitz, und sie rief bebend vor Entrüstung: »So habt ihr mich also in eine Falle gelockt? das ist abscheulich von euch! Glaubt ihr mich so überrumpeln zu können?«

Sie sprang auf, Grace zog sie jedoch neben sich nieder, und Mabel sagte: »Sorge dich doch nicht, Fairy, ein paar vergnügte Stunden werden dir dein Pa und deine Tante doch gönnen.«

»Gewiß, aber nicht auf die Art! Sie würden sich zu Tode ängstigen, wenn ich nicht käme.«

»Dein Pa wird nach River Hall schicken und erfahren, wo du bist,« entgegnete Grace, »du hast gar keine Ursache zur Aufregung.«

»Wissen es denn eure Eltern?« fragte sie Mabel.

»Nein, wir sind bei Grace eingeladen und vertrauen uns vollständig ihrer Führung an. Du weißt, daß wir mit Freuden alles tun, was sie für richtig hält.«

»Und dabei bildet ihr euch so viel darauf ein, freie Amerikanerinnen zu sein und seid doch so unfrei wie nur möglich,« rief Felicia zürnend, »in all euren Gedanken und Handlungen richtet ihr euch nach Grace und fragt immer erst, ob es ihr auch gefällt oder ob sie wohl darüber spotten könnte. Seid doch selbständig und tut, was ihr für recht haltet und was eure Eltern wünschen, die stehen euch doch näher, als Grace. Und jetzt bitte ich dich noch einmal dringend, wenden zu lassen, Grace, ich fahre unbedingt nicht mit nach St. Louis.«

»Das wirst du doch wohl müssen, meine Liebe, das ist nun einmal beschlossene Sache. Diesmal sollst du dich meinem Willen fügen.«

Felicias Augen blitzten. »Du willst nicht wenden lassen? Ist das dein letztes Wort?«

»Ja, kleine Präriefee, und wenn du auch noch so schreckliche Augen machst.«

»Gut, aber, daß du es nur weißt, mit unserer Freundschaft ist es vorbei. Ich lasse mir meine Freiheit und das Bestimmungsrecht über meine Person nicht nehmen, du siehst, ich bin auch eine freie Amerikanerin.«

Im nächsten Augenblick stießen die drei Mädchen einen Schrei des Entsetzens aus, Felicia war blitzgeschwind auf den Sitz gestiegen und mit kühnem Sprunge aus dem Wagen gesprungen. Ihre Übungen in Deutschland als Zirkusdame kamen ihr zustatten, zwar fiel sie in das hohe Gras, stand jedoch gleich wieder auf den Füßen und schlug die Richtung nach Victoria Cottage ein, ohne sich noch einmal umzusehen. Rüstig schritt sie vorwärts; sie hatte mindestens zwei Stunden zu gehen, und die volle Mittagsglut lag auf der weiten Wiesenfläche.

Da hörte sie den Wagen hinter sich herkommen, nun hielt er, Grace sprang heraus, fiel ihr um den hals und rief: »Das war deiner würdig, Präriefee! Großartig war es, wundervoll, obgleich es mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte und Ellen fast ohnmächtig wurde. Du bist der größte Starrkopf, der mir je im Leben vorgekommen ist. Das gefällt mir aber gerade, du imponierst mir über alle Maßen, Präriefee.«

Felicia wehrte sie unwillig ab. »Laß mich,« entgegnete sie grollend, »ich muß nach Hause.«

»Dahin will ich dich ja bringen, mein geliebter Starrkopf, steige nur ein. Erlaubt es dein gerechter Zorn oder dein Trotz nicht?« fragte sie neckend, als sie den Kampf in Felicias sprechenden Zügen sah.

»Fahrt ruhig weiter, ich will euch nicht in eurem Vergnügen stören,« sagte sie kurz.

»Du glaubst doch nicht, daß ich dich hier verlasse und dich stundenlang allein marschieren lasse? Bei der Hitze? Fairy, Liebling, sei gut, ich verspreche feierlich, in dir zukünftig die freie Amerikanerin zu ehren.« Schmeichelnd bittend zog sie die Widerstrebende zum Wagen hin, und stumm stieg Felicia endlich ein.

Ellen sah noch ganz blaß aus. »Wie du uns erschreckt hast, Fairy,« sagte sie vorwurfsvoll, »du bist doch noch ganz die kleine Wilde von früher.«

Mabel sagte nichts, sie kniff die Lippen zusammen und ärgerte sich. Solange sie Grace kannte, hatte sie sich ihr bedingungslos untergeordnet, stets, oft gegen den Willen der Eltern, alles ausgeführt, was sie ihr geraten hatte, nur um ihr zu beweisen, daß sie ebensogut eine freie Amerikanerin sei wie sie, und was hatte sie erreicht? Statt Graces Bewunderung zu erringen, wie sie es sich leidenschaftlich wünschte, zeigte diese ihr nur eine sehr kühle Freundschaft, ja, gelegentlich, wenn Mabel sich stellte, als ob sie sich aus der ganzen Welt nichts machte und die selbständige junge Dame gar zu sehr herauskehrte, hatte sie gar ein Spottlächeln für sie. Und nun kam diese Felicia daher, lehnte sich fortwährend gegen Grace auf, ging ihre eigenen wunderlichen Wege, und eroberte nicht nur ihr Herz, sondern imponierte ihr sogar, was noch keinem Menschen bisher gelungen war. In Zukunft wollte sie sich der goldlockigen Grace auch nicht mehr so bedingungslos unterordnen, eigentlich war das ihrer auch nicht würdig, sie war kein Kind mehr und wußte genau, was sie wollte. Trotzig warf sie das blonde Haupt in den Nacken und sah ihr reizendes Gegenüber herausfordernd an.

Grace brach in ihr silberhelles Lachen aus. »Mabel gelüstet es, deinem Beispiele zu folgen,« rief sie übermütig, »im Geheimen kündigt sie ihren freiwilligen Trabantenposten und schwingt sich zu innerer Freiheit auf. Mich soll wundern, was dabei herauskommt. Du wirst nun grundsätzlich nein sagen, wenn ich ja sage, nicht wahr, Mabel?«

Diese ward dunkelrot. »Es ist gar nicht hübsch, daß du über mich spottest, Grace«, entgegnete sie gereizt, »ich habe allerdings eingesehen, daß ich dir stets zu sehr nachgegeben habe, ich habe dich furchtbar verwöhnt.«

»Streitet euch doch nicht,« bat Ellen, »Fairy sieht aus, wie eine drohende Gewitterwolke und du wie die gekränkte Unschuld, Vergeßt ihr denn ganz, daß Grace heute Geburtstag hat? Seid doch ein bißchen vergnügt. Ich bin ganz froh, daß wir nicht nach St. Louis kommen, die Eltern hätten es nicht gern gesehen, daß wir uns dort auf eigene Hand herumgetrieben hätten, sicher wäre es auch schrecklich spät geworden. Weißt du, Fairy, ich bin dir für deinen kühnen Sprung sehr dankbar.«

Grace schlug die Hände zusammen und sah kläglich gen Himmel. »Nun fängt die auch an, sich aufzulehnen! Was soll da aus meinem Regimente werden? Wollen wir alle drei zu der Präriefee übergehen, Kindsmagd spielen, schmutzige Negerkinder unterrichten, Bibelstunden halten und ganz furchtbar tugendhaft werden? Kinder, tut was ihr wollt, ich habe dazu kein Talent. Ich will mein Leben genießen und es nicht in den Dienst der Menschheit stellen, wie die Präriefee neulich so wunderschön sagte.« Sie lachte und strich mit weicher Hand über Fees ernstes Antlitz. »Sei wieder gut, einziger Liebling,« schmeichelte sie, »dies soll der letzte Gewaltakt sein, um dich zu meinen Ansichten zu bekehren, das verspreche ich dir.«

Felicia war zu empört, um auf Graces heiteren Ton eingehen zu können, sie war froh, als Victoria Cottage erreicht und sie sich von den Freundinnen verabschieden konnte. Jubelnd sprangen ihr die Kinder entgegen, ihre Enttäuschung, keinen Kuchen zu bekommen, vergaßen sie schnell über der Freude, die geliebte Tante wieder zu haben.

»Bist du gut mit ihnen fertig geworden, Tantchen?« fragte sie.

»Na, das will ich nicht behaupten, ich bin ebenso froh, daß du wieder hier bist, wie sie. War's denn wenigstens nett?«

»Ach Tante, auf eine Entführung hatten die schrecklichen Mädchen es abgesehen,« rief Fee und berichtete voller Erregung ihr Erlebnis.

Tante Luise wurde blaß, als sie ihren kühnen Sprung erwähnte und rief ganz erschrocken: »Kind, Kind, du hättest das größte Unglück haben können, du wirst mit deinem Ungestüm und deiner Waghalsigkeit doch noch zu Schaden kommen. Daß dein Vater auch gerade in diesen schrecklichen Savannen wohnen muß.«

Sie sah so unruhig und bekümmert aus, daß Felicia sie zärtlich küßte und versprach, möglichst vorsichtig zu sein, »aber,« setzte sie hinzu, »das Recht über meine Person lasse ich mir nicht so ohne weiteres nehmen, das tätest du auch nicht, Tantchen, du hättest genau so gehandelt wie ich.«

»Und wäre aus dem Wagen gesprungen? Kind, du bist nicht gescheit, das hätte sich hübsch ausgenommen.«

Freilich, da hatte die alte Dame recht, die Vorstellung wirkte so komisch, daß Fee in ein fröhliches Lachen ausbrach, darüber vergaß sie ihren Arger und gewann ihren Frohsinn wieder.

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