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Je nachdem man die absolute Gestalt des Krieges oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirklichen im Auge hat, entstehen zwei verschiedene Vorstellungen von dem Erfolge desselben.
Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt Erstes Kapitel des ersten Buches, wegen des Zusammenhanges, in welchem, strenge genommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht Zweites Kapitel des ersten Buches, wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen angeht Viertes und fünftes Kapitel des siebenten Buches (vom Kulminationspunkt des Sieges), wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden, nichts gewonnen, nichts verloren. Hier ist es, wo man sich unaufhörlich sagen muß: das Ende krönt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein unteilbares Ganze, dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Wert haben in Beziehung auf dies Ganze. Die Eroberung von Moskau und von halb Rußland 1812 hatte für Bonaparte nur Wert, wenn sie ihm den beabsichtigten Frieden verschaffte. Sie war aber nur ein Stück seines Feldzugsplanes, und in diesem fehlte noch ein Teil, nämlich die Zertrümmerung des russischen Heeres; denkt man sich diese zu den übrigen Erfolgen hinzu, so war der Friede so gewiß, wie Dinge der Art werden können. Diesen zweiten Teil konnte Bonaparte nicht mehr erringen, weil er ihn früher versäumt hatte, und so wurde ihm der ganze erste Teil nicht bloß unnütz, sondern verderblich. -
Dieser Vorstellung von dem Zusammenhange der Erfolge im Kriege, welche man als eine äußerste betrachten kann, steht eine andere äußerste gegenüber, nach welcher derselbe aus einzelnen für sich bestehenden Erfolgen zusammengesetzt ist, bei denen, wie im Spiel bei den Partien, die vorhergehenden keinen Einfluß auf die nachfolgenden haben. Hier kommt es also nur auf die Summe der Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine Spielmarke zurücklegen.
So wie die erste Vorstellungsart ihre Wahrheit aus der Natur der Sache schöpft, so finden wir die der zweiten in der Geschichte. Es gibt eine Unzahl von Fällen, wo ein kleiner mäßiger Vorteil hat gewonnen werden können, ohne daß sich daran irgendeine erschwerende Bedingung geknüpft hätte. Je mehr das Element des Krieges ermäßigt ist, um so häufiger werden diese Fälle, aber so wenig wie je in einem Kriege die erste der Vorstellungsarten vollkommen wahr ist, ebensowenig gibt es Kriege, wo die letztere überall zutrifft und die erstere entbehrlich wäre.
Halten wir uns an die erste dieser beiden Vorstellungsarten, so müssen wir die Notwendigkeit einsehen, daß ein jeder Krieg von Hause aus als ein Ganzes aufgefaßt werde, und daß beim ersten Schritt vorwärts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen.
Lassen wir die zweite Vorstellungsart zu, so können untergeordnete Vorteile um ihrer selbst willen verfolgt und das Weitere den weiteren Ergebnissen überlassen werden.
Da keine dieser beiden Vorstellungsarten ohne Resultat ist, so kann die Theorie auch keine derselben entbehren. Der Unterschied, den sie im Gebrauch derselben macht, besteht darin, daß sie fordert, die erstere als die Grundvorstellung auch überall zum Grunde zu legen und die letztere nur als eine Modifikation zu gebrauchen, die durch die Umstände gerechtfertigt wird.
Wenn Friedrich der Große in den Jahren 1742, 1744, 1757 und 1758 von Schlesien und Sachsen aus eine neue Offensivspitze in den österreichischen Staat hineintrieb, von der er recht gut wußte, daß sie nicht zu einer neuen, dauernden Eroberung führen konnte, wie die von Schlesien und Sachsen war, so geschah es, weil er damit nicht die Niederwerfung des österreichischen Staates, sondern einen untergeordneten Zweck, nämlich Zeit- und Kraftgewinn beabsichtigte, und er durfte diesen untergeordneten Zweck verfolgen, ohne zu fürchten, daß er damit sein ganzes Dasein auf das Spiel setzte Hätte Friedrich der Große die Schlacht von Kolin gewonnen und mithin die österreichische Hauptarmee mit ihren beiden obersten Feldherren in Prag gefangen genommen, so war das ein so furchtbarer Schlag, daß er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die österreichische Monarchie zu erschüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu gewinnen. Dieser für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg der den Erfolgen der neuesten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender gewesen wäre, würde nach dem Gewinn dieser einen Schlacht höchstwahrscheinlich eingetreten sein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht widerspricht; denn diese spricht nur von dem, was der König mit seiner Offensive ursprünglich beabsichtigte; die Einschließung und Gefangennahme der feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereignis, was außer aller Berechnung lag, und woran der König nicht gedacht hatte, wenigstens nicht eher, als bis die Österreicher durch ihre ungeschickte Aufstellung bei Prag dazu Veranlassung gaben.. Wenn aber Preußen 1806 und Österreich 1805 und 1809 sich noch ein viel bescheideneres Ziel vorsetzte, nämlich die Franzosen über den Rhein zu treiben, so konnten sie das vernünftigerweise nicht, ohne im Geiste die ganze Reihe der Begebenheiten zu durchlaufen, die sich sowohl im Fall des guten als schlechten Erfolges wahrscheinlich an den ersten Schritt anknüpfen und bis zum Frieden führen würde. Dies war ganz unerläßlich, sowohl um bei sich auszumachen, wie weit sie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten, als wie und wo sie den feindlichen Sieg zum Stehen zu bringen imstande wären.
Worin der Unterschied beider Verhältnisse sei, zeigt eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der Schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Wageschale. Die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, waren Männer, die im Auftrag handelten, und eben deswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war; der Gegner der Österreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.
Mußten diese verschiedenen Verhältnisse nicht ganz verschiedene Betrachtungen veranlassen? Mußten sie nicht im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das äußerste der Unglücksfälle als auf eine nahe Möglichkeit, ja als auf eine große Wahrscheinlichkeit richten und mithin zu ganz anderen Anstrengungen und Plänen führen als solche, deren Gegenstand ein paar Festungen und eine mäßige Provinz sein konnten?
Sie haben es nicht in gehörigem Maße getan, wiewohl die Mächte Preußen und Österreich bei ihren Rüstungen die Gewitterschwere der politischen Atmosphäre hinreichend fühlten. Sie haben es nicht vermocht, weil sie damals noch nicht so deutlich von der Geschichte entwickelt waren. Eben jene Feldzüge von 1805, 1806 und 1809 sowie die späteren haben es uns so sehr erleichtert, den Begriff des neueren, des absoluten Krieges in seiner zerschmetternden Energie davon zu abstrahieren.
Die Theorie fordert also, daß bei jedem Kriege zuerst sein Charakter und seine großen Umrisse nach der Wahrscheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politischen Größen und Verhältnisse ergeben. Je mehr nach dieser Wahrscheinlichkeit sein Charakter sich dem absoluten Kriege nähert, je mehr die Umrisse die Masse der kriegführenden Staaten umfassen und in den Strudel hineinziehen, um so leichter wird der Zusammenhang seiner Begebenheiten, um so notwendiger, nicht den ersten Schritt zu tun, ohne an den letzten zu denken.