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Sechzehntes Kapitel: Verbindungslinien

Die Straßen, welche von dem Standpunkt einer Armee aus nach denjenigen Punkten zurückgehen, in welchen sich ihre Unterhalts- und Ergänzungsquellen hauptsächlich vereinigen, und die sie in allen gewöhnlichen Fällen auch zu ihrem Rückzugspunkt wählt, haben eine doppelte Bedeutung: einmal sind sie Verbindungslinien zur beständigen Alimentierung der Streitkräfte, und dann Rückzugsstraßen.

Wir haben in dem vorigen Kapitel gesagt, daß eine Armee, ungeachtet sie bei der jetzigen Verpflegungsart sich hauptsächlich aus der Gegend ernährt, in welcher sie steht, mit ihrer Basis doch als ein Ganzes angesehen werden müsse. Die Verbindungslinien gehören zu diesem Ganzen, sie machen den Zusammenhang zwischen der Basis und der Armee aus und sind als soviel Lebensadern anzusehen. Lieferungen aller Art, Munitionstransporte, hin- und herziehende Detachements, Posten und Kuriere, Hospitäler und Depots, Munitionsreserve, Administrationsbehörden sind Gegenstände, die diese Straßen unaufhörlich bedecken und deren Gesamtwert von entscheidender Wichtigkeit für das Heer ist.

Diese Lebenskanäle dürfen also weder bleibend unterbrochen werden, noch zu lang und beschwerlich sein, weil immer etwas von der Kraft auf dem langen Wege verlorengeht und ein siechhafter Zustand des Heeres die Folge davon wird.

In der zweiten Bedeutung, nämlich als Rückzugsstraßen, konstituieren sie im eigentlichen Sinn den strategischen Rücken des Heeres.

In beiden Bedeutungen kommt es bei dem Wert dieser Straßen auf ihre Länge, ihre Anzahl, ihre Lage, nämlich ihre allgemeine Richtung und ihre Richtung nahe bei der Armee, ihre Beschaffenheit als Straße, die Schwierigkeit des Bodens, das Verhältnis und die Stimmung der Einwohner und endlich auf ihre Deckung durch Festungen oder Hindernisse der Gegend an.

Aber nicht alle Straßen und Wege, welche von dem Standpunkt eines Heeres nach den Quellen seines Lebens und seiner Kraft führen, gehören zu seinen eigentlichen Verbindungslinien. Sie können freilich allenfalls dazu benutzt und als ein Subsidium des Systems der Verbindungslinien betrachtet werden, aber dieses System beschränkt sich auf die dazu eingerichteten Straßen. Nur diejenigen Straßen, auf denen man seine Niederlagen, seine Hospitäler, seine Etappen, seine Briefposten eingerichtet, seine Kommandanten bestellt, seine Gendarmen und Besatzungen verteilt hat, können als die wahren Verbindungslinien angesehen werden. Aber hier tritt ein sehr wichtiger und oft übersehener Unterschied ein zwischen dem eigenen und dem feindlichen Heere. Das Heer im eigenen Lande wird zwar auch seine eingerichtete Verbindungslinie haben, aber es ist nicht durchaus darauf beschränkt und kann im Fall der Not davon abspringen und jede andere Straße wählen, die überhaupt noch vorhanden ist; denn es ist überall zu Hause, hat überall seine Behörden und findet überall den guten Willen. Wenn also andere Straßen weniger gut und passend für seine Verhältnisse sind, so ist doch ihre Wahl nicht unmöglich, und das Heer wird also, wenn es sich umgangen und zu einer Drehung genötigt sähe, diese auch nicht als unmöglich betrachten. Das Heer im feindlichen Lande hingegen kann in der Regel nur diejenigen Straßen als Verbindungslinien betrachten, auf denen es selbst vorgegangen ist, und es entsteht hier eine große Verschiedenheit in der Wirkung aus kleinen, wenigstens unscheinbaren Ursachen. Die im feindlichen Lande vorgehende Armee trifft die Einrichtungen, welche das Wesen der Verbindungslinie ausmachen, im Vorgehen mit dem Heere, unter seinem Schutz, und kann, indem die drückende, Furcht und Schrecken einflößende Gegenwart des Heeres in den Augen der Einwohner diesen Maßregeln das Gepräge der unabänderlichen Notwendigkeit gibt, diese sogar veranlassen, sie als eine Milderung des allgemeinen Kriegsübels anzusehen. Kleine Besatzungen, die man hin und wieder zurückläßt, unterstützen und halten das Ganze. Wollte man dagegen seine Kommissare, Etappenkommandanten, Gendarmen, Feldposten und anderen Ordnungsapparat auf eine entlegene Straße senden, auf welcher das Heer nicht gekommen, so würden die Einwohner diese Anstalten wie eine Last ansehen, von der sie ganz füglich befreit bleiben könnten, und wenn nicht etwa die entschiedensten Niederlagen und Unglücksfälle das feindliche Land in ein panisches Schrecken versetzt haben, so werden diese Beamten feindlich behandelt, mit blutigen Köpfen abgewiesen werden. Es werden also vor allen Dingen Besatzungen erfordert, um die neue Straße zu unterwerfen, und zwar in diesem Falle beträchtlicher als in dem gewöhnlichen, wobei doch immer noch die Gefahr bleibt, daß die Einwohner es versuchen möchten, sich diesen Besatzungen zu widersetzen. Mit einem Wort: die im feindlichen Lande vorgehende Armee entbehrt aller Werkzeuge des Gehorsams, sie muß sich ihre Behörden erst einsetzen, und zwar durch die Autorität der Waffen; dies kann sie nicht überall, nicht ohne Aufopferungen und Schwierigkeiten, nicht im Augenblick. - Es folgt hieraus, daß ein Heer im feindlichen Lande noch viel weniger von einer Basis auf die andere überspringen kann durch den Wechsel des Verbindungssystems wie im eigenen Lande, wo es allenfalls möglich ist; daß mithin hieraus im allgemeinen eine größere Beschränkung in ihren Bewegungen und eine größere Empfindlichkeit für das Umgehen entspringt.

Aber auch die Wahl und Einrichtung der Verbindungslinien von Hause aus ist an eine Menge von Bedingungen gebunden, die sie beschränken. Es müssen nicht nur überhaupt größere Straßen sein, sondern sie werden auch in vieler Rücksicht um so besser sein, je größer die Straßen sind, je mehr volkreiche und wohlhabende Städte dadurch berührt, durch je mehr feste Plätze sie geschützt werden. Auch Ströme als Wasserstraßen und wieder Brücken als Übergangspunkte bestimmen dabei viel. Es ist also dadurch die Lage der Verbindungslinien und folglich auch der Weg, welchen ein Heer beim Angriff nimmt, nur bis auf einen gewissen Punkt freier Wahl unterworfen, die genauere Lage aber an die geographischen Verhältnisse gebunden.

Alle die obengenannten Dinge zusammengenommen machen die Verbindung eines Heeres mit seiner Basis stark oder schwach, und dieses Resultat, verglichen mit demselben Gegenstand bei der feindlichen Armee, entscheidet, welcher von beiden Gegnern eher imstande ist, dem anderen die Verbindungslinie oder gar den Rückzug abzuschneiden, d. h. mit dem gewöhnlichen Kunstausdruck, ihn zu umgehen. Abgesehen von der moralischen oder physischen Überlegenheit wird nur derjenige es mit Wirksamkeit tun, dessen Verbindungslinien den feindlichen überlegen sind, weil sonst der andere sich durch die Wiedervergeltung am kürzesten sichert.

Dieses Umgehen kann nun nach der doppelten Bedeutung der Straßen auch einen doppelten Zweck haben. Entweder sollen die Verbindungslinien gestört oder unterbrochen werden, damit die Armee verwelke und hinsterbe und auf diese Weise zum Rückzug gezwungen werde, oder man will ihr den Rückzug selbst nehmen.

Für den ersten Zweck ist zu bemerken, daß eine augenblickliche Unterbrechung bei der jetzigen Art der Verpflegung selten fühlbar wird, daß vielmehr eine gewisse Zeit dazu nötig ist, um durch die Menge der einzelnen Verluste zu ersetzen, was ihnen an Wichtigkeit abgeht. Eine einzelne Flankenunternehmung, die zu gewissen Zeiten einen entscheidenden Schlag tun konnte, als bei dem künstlichen Verpflegungssystem noch Tausende von Mehlwagen hin und her fuhren, wird jetzt gar nichts bewirken, wenn sie auch noch so gut gelänge; denn sie könnte höchstens einen Transport aufheben, der eine teilweise Schwäche veranlaßte, aber keinen Rückzug notwendig machte.

Die Folge ist, daß die Flankenunternehmungen, welche immer mehr in Büchern als im Leben Mode gewesen sind, jetzt noch unpraktischer erscheinen, und man kann sagen, daß nur sehr lange Verbindungslinien bei ungünstigen Umständen, hauptsächlich aber die überall und zu jedem Augenblick immer bereiten Anfälle einer Volksbewaffnung dieselben gefährlich machen.

Was das Abschneiden des Rückzuges betrifft, so muß man die Gefahr eingeengter und bedrohter Rückzugswege auch in dieser Rücksicht nicht überschätzen, da uns die neueren Erfahrungen aufmerksam darauf machen, daß bei guten Truppen und dreisten Führern das Einfangen schwerer ist als das Durchschlagen.

Die Mittel zur Abkürzung und Sicherung langer Verbindungslinien sind äußerst gering. Die Eroberung einer Anzahl Festungen in der Nähe der genommenen Aufstellung und auf den zurückgehenden Straßen oder, im Falle das Land keine Festungen hat, die Befestigung passender Plätze, die gute Behandlung der Einwohner, strenge Kriegszucht auf der Heerstraße, gute Polizei im Lande, fleißige Ausbesserung der Straßen sind die einzigen, wodurch das Übel vermindert, aber freilich nie ganz behoben werden kann.

Übrigens muß das, was bei Gelegenheit des Unterhaltes von den Wegen gesagt ist, welche die Heere vorzugsweise nehmen, noch insbesondere auf die Verbindungslinien angewendet werden. Die größten Straßen über die reichsten Städte, durch die bebautesten Provinzen sind die besten Verbindungslinien, und sie verdienen selbst bei bedeutenden Umwegen den Vorzug und geben in den meisten Fällen die nähere Bestimmung über die Aufstellung des Heeres ab.


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