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XXI. [82] Wie? Wer alles Rechte und Sittlichgute geringschätzt, wenn er nur in den Besitz von Macht kommen kann; handelt der nicht gerade so, wie der MannPompejus, welcher sich im J. 60 v. Chr. mit Cäsar's Tochter Julia vermählte, als er sich mit Cäsar und Crassus verband., der sich sogar einen Schwiegervater wählte, durch dessen Verwegenheit er selbst mächtig werden könnte? Es dünkte ihm vortheilhaft zu hoher Macht zu gelangen durch die Gehässigkeit eines Anderen. Wie ungerecht dieß gegen das Vaterland sei, wie schimpflich, wie verderblich, sah er nicht. Der Schwiegervater selbst aber führte immer die Griechischen Verse aus den PhönizierinnenDie Phönizierinnen, ein Trauerspiel des Euripides, das die Sage des Eteokles und Polynikes, der Söhne des Oedipus, Königs von Theben, und der Iokaste, behandelte. Die Griechischen Verse (534 f.) lauten:
im Munde, die ich, so gut ich kann, vielleicht kunstlos, doch dem Sinne nach verständlich, ausdrücken will:
Είπερ γὰρ αδικει̃ν χρή, τυραννίδος πέρι
Κάλλιστον αδικει̃ν· τ'αλλα ευσεβει̃ν χρεών.
Wenn je das Recht verletzt soll werden, nun so sei's |
Ein Todesverbrechen hat Eteokles oder vielmehr EuripidesIn den Handschriften steht: Capitalis Eteocles vel potius Euripides. Nach Porson's Meinung halten mehrere Herausgeber die Worte vel potius Euripides für unächt. Weit wahrscheinlicher liest Unger: vel potius ipse (statt Euripides) und versteht darunter den Cäsar, der diese Verse immer im Munde führte. Höchst auffallend ist es, daß Cicero den Dichter Euripides als des Todes würdig nennt, der nur aus der Seele des Eteokles die Worte anführt. auf sich geladen, daß er das eine Verbrechen, das das allerfrevelhafteste ist, ausgenommen hat. 83. Was suchen wir solche Kleinigkeiten zusammen, wie Erbschaftserschleichungen, Betrügereien beim Kaufe und Verkaufe? Siehe da EinenCäsar., der König des Römischen Volkes und Alleinherrscher aller Völker zu werden begehrte und es auch durchsetzte. Wer ein solches Begehren für sittlichgut erklärt, ist wahnwitzig. Denn er billigt den Untergang der Gesetze und der Freiheit und hält die schmähliche und verabscheuungswürdige Unterdrückung derselben für ruhmvoll. Gesteht aber Jemand, es vertrage sich mit der Sittlichkeit nicht in dem Staate, welcher die Freiheit genossen hat und zu genießen verdient, sich zum Gewaltherrscher aufzuwerfen, und behauptet doch, dieß sei für den, der es thun könne, vortheilhaft: wo wäre da ein Tadel oder ein Scheltwort stark genug, um ihn von einem so gewaltigen Irrtume abzubringen? Ist es denn möglich, unsterbliche Götter, daß irgend einem Menschen der schmählichste Mord, der an dem Vaterlande begangene, vortheilhaft sein kann, mag auch der damit Behaftete von den unterdrückten Bürgern VaterCäsar erhielt den Titel pater patriae, Vater des Vaterlandes, im J. 45 v. Chr. Nach seinem Tode errichtete ihm das Volk eine Bildsäule mit der Inschrift: Parenti Patriae. Dieß mußte für Cicero um so empfindlicher sein, da er der Erste war, dem dieser Ehrentitel in Folge der Entdeckung der Catilinarischen Verschwörung zu Theil geworden war. genannt werden?
Die Sittlichkeit also muß die Richtschnur sein, nach der wir den Nutzen bestimmen, und zwar so, daß wir diese beiden Begriffe als dem Worte nach unter sich verschieden, der Sache nach aber als gleichbedeutend betrachten. 84. Nach der Meinung des Volkes zwar weiß ich Nichts, was vortheilhafter ist als Gewaltherrschaft; sobald ich aber die Sache auf die Wahrheit zurückführe, finde ich Nichts, was für den, der dazu auf ungerechte Weise gelangte, nachtheiliger sein könnte. Können denn Angst und Besorgniß, Furcht bei Tag und Nacht, ein Leben voller Nachstellungen und Gefahren für irgend einen Menschen vortheilhaft sein?
Viele sind dem Throne feind und untreu, Wenige nur ihm holdpauci sunt boni. Diese Worte hält Unger für ein Einschiebsel fremder Hand. In den Handschriften wird nämlich gegen das Metrum gelesen: pauci boni sunt. Uebrigens ist der Vers wahrscheinlich aus dem Atreus des Accius. Ueber Accius s. zu I. 31, 113. Anm. 241.,
sagt Accius. Und von welchem Throne redet er? Von dem, der, von Tantalus und PelopsTantalus, Sohn des Jupiter, König in Phrygien, wurde, zu der Tafel der Götter geladen, übermüthig und mißbrauchte diese Auszeichnung. weßhalb er in der Unterwelt von ewigem Hunger und Durst gequält wurde. – Pelops, Sohn des Tantalus, König von Mykenä, Vater des Atreus, Thyestes und Chrysippus. ererbt, in rechtmäßigen Händen sich befand. [85.] Glaubst du nicht, daß der Gewaltherrscher ungleich mehr Feinde hatte, der mit einem Heere des Römischen Volkes das Römische Volk selbst unterdrückt und den nicht nur freien, sondern auch über andere Völker herrschenden Staat seiner Person zu dienen gezwungen hatte? Welche Flecken des Gewissens, meinst du, welche Wunden muß er in seinem Inneren gehabt haben? Kann aber wol einem Menschen ein Leben vortheilhaft sein, wenn es so um ihn steht, daß der, welcher es ihm raubt, den höchsten Dank und Ruhm erntet?
Ist nun aber das, was dem Anscheine nach den größten Nutzen gewährt, nicht nützlich, weil es voller Schmach und Schande ist; so muß man zur Genüge überzeugt sein, daß Nichts nützlich ist, was nicht sittlichgut ist.
XXII. 86. Indeß ist diese Ansicht sowol bei vielen anderen Gelegenheiten ausgesprochen worden, als auch in dem Kriege mit PyrrhusUeber Pyrrhus s. zu I. 12, 38. Anm. 123. von Gajus FabriciusUeber Fabricius s. zu III. 4, 16. Anm. 494. Vgl. Valer. Max. VI. 5, 1: Timochares Ambraciensis Fabricio consuli pollicitus est se Pyrrhum veneno per filium suum, qui potionibus ejus praeerat, necaturum., als er zum zweiten Male Consul war, und von unserem Senate. Als nämlich der König Pyrrhus das Römische Volk von freien Stücken mit Krieg überzogen hatte und ein Streit um die Oberherrschaft mit dem hochherzigen und mächtigen Könige geführt wurde; so kam ein Ueberläufer von ihm in das Lager des Fabricius und versprach, wenn man ihm eine Belohnung zusichere, heimlich, wie er gekommen sei, in des Pyrrhus Lager zurückzugehen und ihn durch Gift umzubringen. Fabricius ließ diesen zum Pyrrhus zurückbringen, und der Senat lobte ihn wegen dieser Handlung. Sehen wir nun aber auf den scheinbaren und vermeintlichen Nutzen, so hätte dieser eine Ueberläufer uns von diesem bedeutenden Kriege und dem so gefährlichen Feinde unserer Herrschaft befreien können; aber eine große Schmach und Schande wäre es gewesen, wenn der Feind, mit dem man einen Kampf um Ruhm führte, nicht durch Tapferkeit, sondern durch eine Frevelthat überwunden worden wäre. 87. War es nun für Fabricius, der in unserer Stadt das war, was AristidesUeber Aristides s. zu III. 4, 16. Anm. 495. in Athen, oder für unseren Senat, der niemals Nutzen und Ehre trennte, vortheilhafter mit Waffen gegen den Feind zu kämpfen oder mit Gift? Ist Ruhm der Zweck, weßhalb man nach Herrschaft strebt, so bleibe der Frevel fern, mit dem die Ehre unverträglich ist; ist aber unser Streben auf die Macht selbst gerichtet und suchen wir dieselbe auf jede nur mögliche Weise zu erreichen, so kann sie in Verbindung mit Unehre nicht vortheilhaft sein.
Nicht vortheilhaft war also jener Vorschlag des Lucius PhilippusUeber Philippus s. zu I. 30, 108. Anm. 214., des Sohnes des Lucius, daß die Städte, welche Lucius Sulla nach Empfang einer Geldsumme kraft eines Senatsbeschlusses für abgabenfrei erklärt hatte, wiederum steuerpflichtig sein sollten, ohne daß wir ihnen das Geld, das sie für die Freiheit gegeben hatten, zurückerstatteten. Ihm stimmte der Senat bei. Eine Schmach für unsere Herrschaft. Denn das Wort von Seeräubern ist besser, als damals das des Senates war. – »Aber die Staatseinkünfte wurden vermehrt; also war es nützlich.« – Wie lange wird man die Unverschämtheit haben irgend Etwas für nützlich zu erklären, was nicht sittlichgut ist? 88. Kann aber für irgend eine Herrschaft, die auf Ehre und auf die wohlwollende Gesinnung der Bundesgenossen gestützt sein soll, Haß und Schande nützlich sein? Ich war in dieser Hinsicht auch mit meinem CatoUeber Cato Uticensis s. zu I. 31, 112. Anm. 238. oft verschiedener Meinung. Allzu rücksichtslos schien er mir sich des Staatsschatzes und der öffentlichen Einkünfte anzunehmenIm Jahre 61 v. Chr. ersuchten die Staatspächter, die dem Ritterstande angehörten, den Senat um einen Nachlaß der Pachtsumme, weil sie sehr schlechte Jahre gehabt hätten. Cicero unterstützte ihr Gesuch, weil er befürchtete, daß, wenn man es ihnen nicht gewährte, die Ritter dem Senate ganz entfremdet werden möchten. Allein Cato widersetzte sich und drang mit seiner Ansicht durch. Die Folge davon war, daß die Ritter sich der Partei Cäsar's zuwandten, der im J. 59 als Consul für dieselben einen Nachlaß des dritten Theiles der Pachtsumme erwirkte. Vgl. Cicer. ad Attic. II. 1, 6. p. Plauc. c. 14., den Staatspächtern nie, den Bundesgenossen selten Etwas zu erlassen, da wir doch gegen die Letzteren uns wohlthätig erweisen und mit den Ersteren auf die Weise, wie wir es mit unseren Pächtern zu machen pflegen, verfahren sollten, und zwar um so mehr, als jene Verbindung der Ständedes Senates und der Ritter. zur Wohlfahrt des Staates gehört. Unrecht handelte auch CurioUeber Curio s. zu II. 17, 59. Anm. 410. Die Städte jenseit des Po verlangten das Bürgerrecht, worauf sie um so mehr Anspruch machen durften, da die Städte diesseit des Po schon lange dasselbe erhalten hatten. Der Senat verweigerte es ihnen, damit die Einkünfte des Staates nicht vermindert würden; Cäsar aber verlieh es ihnen in seiner Dictatur., als er die Forderung der Städte jenseit des Po für billig erklärte und doch immer den Zusatz machte: »Der Vortheil muß überwiegen.« Eher hätte er sagen sollen, sie sei nicht billig, weil sie für den Staat nicht vortheilhaft sei, als daß er gestand, sie sei billig, und doch behauptete, sie sei nicht nützlich.
XXIII. 89. Das sechste Buch von Hekaton'sUeber Hekaton s. zu III. 15, 63. Anm. 558. Werke über die Pflichten ist voll von Fragen, wie folgende: »Geziemt es sich für einen rechtschaffenen Mann zur Zeit sehr großer Theuerung seinen Sklaven keinen Unterhalt zu geben?« Er spricht dafür und dawider; aber am Ende bestimmt er doch die Pflicht mehr nach dem Nutzen, wie er ihn nämlich auffaßtutilitate, ut putat, officium dirigit. Mit Unrecht lassen viele Herausgeber die Worte ut putat weg. Nur nach Hekaton's Ansicht ist es ein Nutzen; allein nach Cicero's und anderer Philosophen Ansicht kann von einem Nutzen, welcher der Sittlichkeit widerstreitet, gar nicht die Rede sein., als nach der Menschlichkeit.
Er fragt: »Wenn auf dem Meere Etwas über Bord geworfen werden muß, soll er lieber ein kostbares Pferd oder einen wohlfeilen Sklaven aufopfern?« Hier leitet uns die Rücksicht auf das Vermögen nach einer anderen Seite hin und nach einer anderen das Gefühl der Menschlichkeit.
»Wenn bei einer Schiffahrt ein Narr sich eines Brettes bemächtigt hat; soll ihm der Weise, wenn er es kann, dasselbe entwinden? Er sagt nein, weil es eine Ungerechtigkeit wäre. –»Wie? Soll der Eigentümer des Schiffes nicht sein Eigentum nehmen?« – Keineswegs, ebenso wenig als er einen Reisenden auf hoher See über Bord werfen möchte, weil das Schiff sein Eigentum ist. Denn bis zu der Zeit, wo man da angelangt ist, wohin das Schiff gemiethet ist, gehört das Schiff nicht dem Herrn des Schiffes, sondern den Reisenden. – 90. »Wie? wenn nur Ein Brett, aber zwei Schiffbrüchige, und zwar weise Männer, da wären; soll es Keiner an sich reißen, oder soll es der Eine dem Anderen abtreten?« Er soll es abtreten, und zwar soll es der erhalten, dem entweder um persönlicher Rücksichten oder um des Staates willen am Meisten daran liegt am Leben zu bleiben. – »Wie? Wenn die Verhältnisse bei Beiden gleich sind?« Dann soll kein Streit sein, sondern der Eine dem Anderen weichen, wie wenn er beim Loosen oder im Fingerspielemicando. S. zu Kap. 19, §. 77. Anm. 592. verloren hätte. – »Wie? Wenn Jemand ein Tempelräuber wäre und einen unterirdischen Gang zum Staatsschatze grübe, soll es sein Sohn der Obrigkeit anzeigen?« Das wäre ein Frevel. Ja er soll seinen Vater gegen die Anklage vertheidigen. – »Geht also nicht das Vaterland allen Pflichten vor?« Allerdings, allein für das Vaterland selbst ist es vortheilhaft Bürger zu haben, denen ihre kindlichen Pflichten heilig sind. – »Wie? Wenn ein Vater sich zum Gewaltherrscher aufzuwerfen, wenn er das Vaterland zu verrathen suchen sollte; soll der Sohn dazu schweigen?« Keinesweges; er wird vielmehr seinen Vater beschwören von seinem Vorhaben abzustehen. Richtet er hiermit Nichts aus, so soll er ihm heftige Vorwürfe machen, ja auch Drohungen anwenden; am Ende, wenn die Sache sich zum Verderben des Vaterlandes anläßt, soll er die Rettung des Vaterlandes der Rettung seines Vaters vorziehen.
91. Eine andere Frage: »Wenn der Weise falsches Geld für gutes erhält, ohne es zu merken, später aber es bemerkt; darf er mit diesem, wie mit gutem, eine Schuld bezahlen?« Diogenes sagt ja, AntipaterUeber Diogenes und Antipater s. zu III. 12, 51. Anmerk. 542 und 543. nein; und diesem stimme ich mehr bei. – »Wenn Jemand Wein verkauft, von dem er weiß, daß er abständig ist; soll er es sagen?« Diogenes hält es nicht für nothwendig, Antipater meint, es sei die Pflicht des rechtschaffenen Mannes. Das sind, so zu sagen, die streitigen RechtsfälleHaec sunt quasi controversa jura Stoicorum. Der Ausdruck ist von den Rechtsgelehrten entlehnt, bei denen die jura controversa diejenigen Rechtsfälle genannt werden, über welche die Rechtsgelehrten verschiedener Ansicht sind. Der Gegensatz ist das jus certum. der Stoiker. »Soll man bei dem Verkaufe eines Sklaven seine Fehler angeben, nicht die, durch deren Verschweigung nach dem bürgerlichen Rechte der Kauf rückgängig gemacht wird, sondern solche, wie: »daß er ein Lügner, ein Spieler, ein DiebIm Kap. 17, §. 71. heißt es: »Wer um den Gesundheitszustand eines Sklaven, um sein Entlaufen, seine Diebstähle wissen mußte, der haftet nach der Verordnung der Aedilen dafür.« Allein hier ist die Rede von Diebstählen, die der Sklave an seinem Herrn ausgeübt hat; dieß anzuzeigen ist man nach dem Gesetze nicht verpflichtet. An jener Stelle hingegen sind Diebstähle zu verstehen, welche ein Sklave an dem Eigentume einer fremden Person ausgeübt hat., ein Trunkenbold sei.« Der Eine ist der Ansicht, man müsse sie angeben, der Andere nicht. – 92. »Verkauft Jemand Gold in der Meinung, er verkaufe Messing; soll ihm der rechtschaffene Mann anzeigen, es sei Gold, oder soll er für einen DenarEin Denar galt nach unserem Gelde 5 gute Groschen 4 Pfennige, also so viel wie ein Kopfstück (3 Kopfstücke = 1 Gulden oder 20 Sgl.). kaufen, was tausend Denare werth ist?« Es ist jetzt deutlich, sowol was ich über solche Fälle für eine Ansicht habe, als auch was für ein Streit zwischen den genannten Philosophen stattfindetIndem der Eine den Nutzen, der Andere die Sittlichkeit überwiegen läßt..
XXIV. Muß man Verträge und Versprechungen, welche nach der Bestimmung der PrätorenDie Bestimmung der Prätoren lautete: Pacta, conventa, quae neque dolo malo neque adversus leges, plebiscita, senatusconsulta, edicta principum neque quo fraus cui coram fiat, facta sint, servabo. weder mit Gewalt noch mit Arglist zu Stande gekommen sind, immer halten? Gesetzt, es hätte Jemand Einem ein Arzeneimittel gegen die Wassersucht gegeben und mit ihm ausgemacht, daß, wenn er durch dieses Mittel wieder gesund geworden sei, er sich später nie dieses Mittels bedienen dürfe; er wird nun durch dieses Mittel gesund, aber nach Verlauf einiger Jahre verfällt er in dieselbe Krankheit und kann von dem, der ihm die Bedingung gestellt hatte, die Einwilligung zu einem nochmaligen Gebrauche des Arzeneimittels nicht erhalten: was soll er thun? Da derjenige, welcher die Erlaubniß verweigert, alle Menschlichkeit verleugnet, und ihm auch gar kein Unrecht geschieht; so muß der Kranke auf sein Leben und seine Rettung Bedacht nehmen.
93. Wie? Es will Jemand einen Weisen zum Erben einsetzen und ihm ein Vermögen von hundert Millionen Sestertien= 3,333,333 Thaler; der Sestertius galt zu Cicero's Zeiten 15 Pfennige. hinterlassen, verlangt aber von ihm, daß er vor dem Antritte der Erbschaft am hellen Tage öffentlich auf dem Forum tanzenSiehe zu III. 19, 75. soll; der Weise verspricht es, weil jener ihn sonst nicht zum Erben eingesetzt haben würde: soll er nun sein Versprechen halten oder nicht? Ich wünschte, er hätte das Versprechen nicht gegeben, und das, glaub' ich, hätte die sittliche Würde verlangt. Weil er es nun einmal gegeben hat, so wird er, wenn er das Tanzen auf dem Forum für schimpflich hält, besser thun sein Versprechen zu brechen, wenn er von der Erbschaft Nichts annimmt, als wenn er sie annimmt; es müßte denn sein, daß er mit dem Gelde dem Staate in großer Bedrängniß einen Dienst leistete, in welchem Falle selbst das Tanzen nicht schimpflich wäre, da er für das Wohl des Staates sorgen würde.
XXV. 94. Auch solche Versprechen braucht man nicht zu halten, welche gerade denjenigen, welchen sie gemacht werden, nicht nützlich sind. Der SonnengottIm Griechischen Helios, im Lateinischen Sol; sein Sohn war Phaëthon, d. h. der Leuchtende. Der hier erwähnte Mythus wird sehr ausführlich von Ovid. Metamorph. II. 1–366 erzählt. versprach seinem Sohne Phaëthon, um auf die Mythen zurückzukommen, alle seine Wünsche zu erfüllen. Er wünschte nun den Wagen seines Vaters zu besteigen. Der Wunsch wurde erfüllt, aber bevor er noch feststand, wurde er vom Blitze getroffen und verbrannte. Wie viel besser wäre es gewesen, wenn der Vater hierin sein Versprechen nicht gehalten hätte!
Was sagen wir von dem Versprechen, dessen Gewährung TheseusSiehe zu I. 10, 32. Anm. 102. von Neptunus verlangte? Neptunus hatte ihm drei Wünsche gestattet, und er wünschte den Tod seines Sohnes Hippolytus, da er argwöhnte, derselbe habe einen sträflichen Umgang mit seiner Stiefmutter. Der Wunsch wurde dem Theseus erfüllt, und er gerieth in die tiefste Trauer.
95. Ferner. AgamemnonMit dem hier erwähnten Mythus des Agamemnon und der Iphigenia stimmt Horatius in den Sermon. II. 3, 199 überein. Nach dem gewöhnlichen Mythus sollte Agamemnon, der in Aulis, einer Seestadt in Böotien, wo sich die Griechische Flotte, die gegen Troja segeln wollte, versammelt hatte, eine Hindin der Diana erlegt und dadurch den Zorn der Göttin erregt hatte, seine bereits erwachsene Tochter Iphigenia auf des Kalchas Ausspruch der Diana, welche die Flotte der Griechen durch Sturm zurückhielt, opfern, um ihren Zorn zu besänftigen. Uebrigens wurde die Iphigenia nicht geopfert, sondern von der Göttin nach Tauris entführt, wo sie in dem Tempel der Göttin das Amt einer Priesterin übernahm, und an ihre Stelle eine Hindin gesetzt. Ueber die Verschiedenheit der Mythen s. Klopfer Mythol. Wörterb. II. B. S. 44 und Ed. Jacobi Handwörterb. d. Gr. u. R. Mythol. II. B. S. 681. hatte der Diana als Opfer das Schönste gelobt, was in seinem Reiche in diesem Jahre geboren würde, und er opferte die Iphigenia, das schönste Erzeugniß dieses Jahres. Lieber hätte er sein Gelübde nicht halten, als eine so gräßliche That begehen sollen.
Also braucht man zuweilen Versprechungen nicht zu halten, sowie man auch nicht immer Anvertrautes zurückzugeben braucht. Gesetzt, Einer hätte bei gesundem Verstande dir ein Schwert zur Verwahrung gegeben und verlangte es im Zustande der Verrücktheit wieder zurück: so würde es Unrecht sein es zurückzugeben, Pflicht hingegen es nicht zurückzugeben.
Wie? Wollte Einer, der bei dir Geld niedergelegt hat, das Vaterland mit Krieg überziehen; sollst du ihm das Anvertraute zurückgeben? Ich denke, nein; denn du würdest gegen den Staat handeln, der dir das Theuerste sein muß.
So gibt es viele Handlungen, welche ihrem Wesen nach sittlichgut zu sein scheinen, durch die Umstände aber unsittlich werden. Sein Versprechen halten, Verträgen treu bleiben, Anvertrautes zurückgeben, dieß Alles hört auf sittlichgut zu sein, wenn der Vortheil sich ändertD. h. wenn der Nutzen nicht mehr vortheilhaft, sondern sogar schädlich ist..
Und so glaube ich über das, was man nach falscher Klugheit im Widerspruche mit der Gerechtigkeit für nützlich hält, genug gesagt zu haben.
96. Indeß weil ich in dem ersten Buche die Pflichten aus vier Quellenden sogenannten vier Kardinaltugenden. hergeleitet habe, so will ich auch jetzt, wo ich lehre, wie wenig sich das bloß scheinbar und nicht wirklich Nützliche mit der Tugend vertrage, dieselbe Eintheilung befolgen. [VonDie Stelle: »Von der Klugheit – Mäßigung besteht« wird von Unger mit sehr wichtigen Gründen für unächt erklärt. Nach dieser Stelle, sagt er, mußte Cicero bisher in einem Theile die prudentia im Streite mit der (scheinbaren) utilitas, in einem zweiten die justitia im Streite mit der (scheinbaren) utilitas behandelt haben, was nicht der Fall ist, auch nicht möglich ist; denn die prudentia ist eben die ars, quae in utilitatibus comparandis versatur; sie kann also mit dem utile, ihrem Objekte und Ziele, gar nicht in Streit kommen; wohl aber kommt die Scheinweisheit, welche einen Scheinnutzen erzielt, mit den drei übrigen Tugenden in Konflikt; zuerst also spricht Cicero Kap. 8 bis 25 de iis, quae videntur esse utilitates contra justitiam simulatione prudantiae; dann zeigt er Kap. 26–32 ea, quae videantur esse utilia neque sint, quam sint virtutis inimica, und geht endlich Kap. 33 zum Streite der Afterklugheit und des Afternutzens mit der vierten Tugend über. – Dazu kommen als Zeichen der Unächtheit noch in formeller Hinsicht die Tautologien animi excellentis magnitudo und moderatio temperantiae. der Klugheit, deren Schein die Arglist annehmen will, desgleichen von der Gerechtigkeit, die zu jeder Zeit nützlich ist, habe ich gesprochen. Es bleiben also noch zwei Arten der Sittlichkeit übrig, von denen die eine in Größe und Erhabenheit des Geistes, die andere in Enthaltsamkeit und MäßigungIm Texte steht: altera in conformatione et moderatione continentiae et temperantiae; diese sinnlosen Worte können wörtlich nicht übersetzt werden. S. d. vorherg. Bemerk. besteht.]
XXVI. 97. Dem Ulixes schien es nützlich, wenigstens nach der Erzählung der Griechischen TrauerspieldichterEs wird z. B. von Sophokles ein Οδυσσεὺς μαινόμενος (rasender Ulixes) erwähnt. Auch in des Pacuvius (s. zu I. 31, 113. Anmerk. 242) Trauerspiele, das die Aufschrift: Armorum judicium (Waffengericht) hatte, aus dem wahrscheinlich die folgenden Verse entlehnt sind, wird dieselbe Erzählung erwähnt.; – denn bei Homer, dem glaubwürdigsten Gewährsmanne, findet sich keine Spur eines solchen Verdachtes gegen den Ulixes – also die Trauerspiele beschuldigen ihn, er habe unter dem Scheine des Wahnsinnes sich dem Kriegsdienste entziehen wollen. Nicht edel war dieser Vorsatz; aber vortheilhaft, könnte vielleicht Jemand entgegnen, war es doch auf dem Throne zu sitzen, in Ithaka ruhig mit den Aeltern, mit der Gattin, mit dem Sohne zu leben. Meinst du, irgend ein Ruhm bei täglichen Mühseligkeiten und Gefahren halte den Vergleich aus mit einer solchen Ruhe? – Ich hingegen erkläre eine solche Ruhe für verächtlich und verwerflich; denn sie entspricht nicht der Sittlichkeit, und deßhalb halte ich sie auch nicht für nützlich. 98. Denn welche Urtheile, meinst du, würde Ulixes über sich haben ergehen lassen müssen, wenn er bei dieser Verstellung beharrt hätte? er, der trotz seiner glänzenden Kriegsthaten doch folgende Vorwürfe von AjaxUeber Ajax s. zu I. 31, 113. Anm. 240. anhören mußte:
99. Wahrlich es war besser für ihn nicht nur mit den Feinden, sondern auch, wie er es auch nachher wirklich that, mit den Wogen zu kämpfen, als Griechenland im Stiche zu lassen, das sich zur Bekriegung der Barbaren vereinigt hatte.
Doch lassen wir die Sagen und die ausländischen Beispiele und kommen zu einer Thatsache, und zwar aus unserer Geschichte.
Marcus Atilius RegulusM. Atilius Regulus war 256 v. Chr. zum zweiten Male Consul; im folgenden Jahre wird er als Proconsul geschlagen und gefangen genommen. war in seinem zweiten Consulate in Africa durch Hinterhalt in die Gefangenschaft des Lacedämoniers XanthippusXanthippus war der Führer des Krieges (dux belli), stand aber unter Hamilkar, der den Oberbefehl hatte und daher imperator genannt wird., der unter dem Oberbefehle Hamilkar's, des Vaters von HannibalCicero irrt sich. Der hier erwähnte Hamilkar kann nicht der Vater Hannibal's sein. Die Schlacht, die hier gemeint ist, ist die bei Tunes im J. 255 v. Chr. gelieferte; Hamilkar Barkas aber erhielt erst im J. 247 den Oberbefehl., die Karthager anführte, gerathen und wurde darauf an unseren Senat abgeschickt, um die Auslieferung gewisser vornehmer Punier zu erwirken. Zuvor aber hatte er das eidliche Versprechen gegeben, wenn er die Auslieferung nicht zu Stande brächte, freiwillig wieder nach Karthago zurückzukehren. Er kam nun nach Rom und der in die Augen fallende Vortheil konnte ihm nicht entgehen; aber er erklärte ihn, wie seine That beweist, für falsch. Dieser Vortheil war: er konnte in seinem Vaterlande bleiben, daheim mit seiner Gattin und seinen Kindern leben, die im Kriege erlittene Niederlage als ein gewöhnliches Kriegsunglück ansehen, seinen Rang als Consular behaupten. Wer kann leugnen, daß dieses vortheilhaft ist? Niemand, meinst du? Ja, die Hochherzigkeit und die Tapferkeit leugnen es.
XXVII. 100. Verlangst du gültigere Gewährsmänner? Denn diesen Tugenden ist es eigentümlich vor Nichts in Furcht zu gerathen, alle menschlichen Unfälle gering zu achten, Nichts, was dem Menschen begegnen kann, für unerträglich zu halten. Was that er nun? Er kam in den Senat, setzte seinen Auftrag auseinander, weigerte sich aber seine Meinung auszusprechen; denn so lange ihn der den Feinden geleistete Eid binde, sei er kein Senator. Ja er erklärte sogar – »o des Thoren, der gegen seinen eigenen Vortheil kämpft!«, dürfte wol Einer ausrufen –, die Zurückgabe der Gefangenen sei nicht vortheilhaft; denn diese seien junge Männer und gute Heerführer, er hingegen bereits ein schwacher Greis. Sein Rath drang durch, die Gefangenen wurden zurückbehalten, er selbst kehrte nach Karthago zurück und ließ sich nicht durch die Liebe zu seinem Vaterlande und seinen Angehörigen zurückhalten, und doch wußte er wohl, daß sein Weg ihn zu einem höchst grausamen Feinde und zu ausgesuchten Martern führe; aber er glaubte seinen Eid halten zu müssen, und somit war seine Lage damals, als er durch Schlaflosigkeit ums Leben gebracht wurdeDie Schriftsteller erzählen den Tod des Regulus verschieden; der für diese Zeit wichtigste Historiker, Polybius, erwähnt Nichts. Daher ist in neueren Zeiten die Wahrheit der Erzählung von dem grausamen Tode des Regulus vielfach bezweifelt worden. Das steht aber historisch fest, daß Regulus in der Gefangenschaft der Karthager starb., besser, als wenn er, ein Greis, der kriegsgefangen, und ein Consular, der meineidig gewesen war, daheim zurückgeblieben wäre. 101. – »Aber thöricht handelte er doch, daß er für die Zurücksendung der Gefangenen nicht stimmte, ja sie sogar widerrieth.« – Wie thöricht? Auch wenn es dem Staate zuträglich war? Kann aber, was dem Staate nachtheilig ist, irgend einem Bürger vortheilhaft sein?
XXVIII. Die Menschen stoßen die Grundgesetze der Natur um, wenn sie den Nutzen von der Sittlichkeit trennen. Denn wir alle streben nach dem Nutzen, fühlen uns zu ihm hingerissen, und es ist uns ganz unmöglich anders zu handeln. Wo ist der Mensch, der das Nützliche fliehen, oder vielmehr wo ist der, der es nicht auf das Eifrigste verfolgen sollte? Aber weil wir das Nützliche nirgends als in dem Lobenswerthen, Anständigen, Sittlichguten finden können, deßhalb halten wir dieses für das Erste und Höchste, während wir unter dem Worte »Nutzen« nicht sowol das Erhabene, als das zu einem Zwecke Erforderliche begreifenCicero drückt sich sehr kurz und deßhalb auch dunkel aus: utilitatis nomen non tam splendidum quam necessarium ducimus. Der Sinn der Stelle ist: die Sittlichkeit und der Nutzen sind sich gleich und haben dieselbe Würde; aber in dem gewöhnlichen Sprachgebrauche beziehen wir das Wort Nutzen nur auf das zu einem Zwecke Erforderliche, auf die nothwendigen Bedürfnisse..
102. Was liegt nun für eine Bedeutung in dem Eide? könnte Jemand sagen. Fürchten wir etwa den Zorn Jupiters? Aber daß die Gottheit niemals zürne noch schade, daß ist die gemeinsame Ansicht aller Philosophen, nicht nur dererDer Epikureer Diogen. Laert. X, 139: Τὸ μακάριον καὶ άφθαρτον ούτε αυτὸ πράγματα έχει ούτε άλλω παρέχει, ώστε ούτε οργαι̃ς ούτε χάρισι συνέχεται., welche behaupten, Gott selbst habe keine Sorge noch verursache er Anderen Sorge, sondern auch dererDer Akademiker, Peripatetiker, Stoiker., welche annehmen, Gott sei immer thätig und schaffe immer Etwas. Was hätte aber der Zorn Jupiter's mehr schaden können, als Regulus sich selbst geschadet hat? Die Scheu vor den Göttern hatte also nicht die Macht, daß sie einen so offenbaren Vortheil hätte umstoßen sollen.
Oder war es die Furcht unsittlich zu handeln? – Zuerst von zwei Uebeln das kleinste. War nun wol jene Unsittlichkeit mit einem so großen Uebel verbunden als jene Martern? Zweitens heißt es bei AcciusUeber Accius s. zu I. 31, 113. Anm. 241. Die Verse sind aus des Accius Atreus entlehnt. Ueber Atreus und Thyestes s. zu I. 28, 97. Anm. 203.:
(Thyestes.) Du brachst dein Wort. (Atreus.) Einem Frevler gab ich's nie, noch werd' ich's geben. |
Freilich sagt diese Worte ein verruchter König, aber sie sind treffend gesagt.
103. Auch fügen sie hinzu, wie wir behaupteten, Manches scheine nützlich, ohne es in Wirklichkeit zu sein, so behaupteten sie, Manches scheine sittlichgut, ohne es in Wirklichkeit zu sein. Zum Beispiel der eben erwähnte Fall, daß er, um seinen Eid zu halten, zu Martern zurückkehrte, habe den Schein der Sittlichkeit, werde aber unsittlich, weil man nicht verpflichtet sei ein von Feinden erzwungenes Versprechen zu haltenNach diesen Worten, bemerkt Unger, ist ein Satz ausgefallen, der den vorletzten oder sechsten Einwurf enthielt und §. 110 so lautet: Cur igitur ad senatum proficiscebatur (wenn er nicht in Rom bleiben wollte), quom praesertim de captivis dissuasurus esset. Doch ist es auch möglich, daß Cicero diesen Einwurf hier zu erwähnen vergessen und erst später erwähnt hat, da überhaupt diese, wie auch die meisten anderen philosophischen Schriften in großer Eile geschrieben sind.. Ferner fügen sie hinzu, was in hohem Grade vortheilhaft sei, das werde sittlichgut, auch wenn es vorher nicht so geschienen habe.
Diese Einwürfe etwa macht man gegen Regulus. Betrachten wir nun den ersten.
XXIX. 104. »Die Furcht vor Jupiter, er möchte im Zorne schaden, war grundlos; denn er pflegt weder zu zürnen noch zu schaden.« Dieser Grund hat ebenso gegen jeden Schwur wie gegen Regulus Geltung. Aber beim Schwure soll man nicht darauf achten, was zu fürchten sei, sondern, was er für eine Bedeutung habe. Der Schwur nämlich ist eine durch die Religion geheiligte Betheuerung. Was man aber heilig und theuer, indem man Gott gleichsam zum Zeugen nimmt, verspricht, das muß man halten. So hat denn der Schwur mit dem Zorne der Götter Nichts zu thun, sondern bezieht sich auf die Gerechtigkeit und Treue. Vortrefflich sagt EnniusUeber Ennius s. zu I. 8, 26. Anm. 95.:
Holde Treue, hochbeschwingteDie Göttin der Treue (Fides,, Πίστις) wird beschwingt genannt, was man darauf bezieht, daß sie überall gegenwärtig sei., und du, Eidschwur JupitersJupiter ist der Beschützer des Eides; Griechisch: Ζεὺς όρκιος.!
Wer also den Schwur verletzt, der verletzt auch die Göttin der Treue, deren Tempel unsere AltvordernNuma, vgl. Liv. I. 21, Plutarch. Num. 16, und später Atilius Calatinus, 249 v. Chr. Dictator, und nachher Marcus Aemilius Scaurus, 109 Censor, vgl. Cicer. N. D. II. 28, 61., wie in einer Rede Cato'sUeber Cato Censorius s. zu I. 23, 79. Anm. 176. steht, auf dem Capitole einen Platz neben dem des allgütigen und allmächtigen Jupiter angewiesen haben.
105. »Aber auch der Zorn Jupiter's hätte dem Regulus nicht mehr geschadet, als Regulus sich selbst schadete.« Gewiß, wenn es kein Uebel gäbe als den Schmerz. Daß dieser aber nicht das größte, ja gar kein Uebel sei, behaupten die PhilosophenDie Stoiker, welche nur das Laster für ein Uebel hielten. von dem entschiedensten Ansehen. Tadelt mir daher ja nicht den Regulus, der als ein nicht gewöhnlicher, sondern vielleicht als der gewichtigste Gewährsmann für die Behauptung dieser Philosophen dasteht. Denn kann man wol einen vollgültigeren finden als einen der Ersten des Römischen Volkes, der sich freiwillig Martern unterzog, um seiner Pflicht getreu zu bleiben?
Wenn sie ferner sagen: »Von zwei Uebeln das kleinste«, so heißt dieß: du sollst lieber unsittlich handeln als dich dem Unglücke aussetzen. Ist aber wol irgend ein Uebel größer als Unsittlichkeit. Wenn schon Häßlichkeit und Mißgestalt des Körpers Anstoß erregt, wie widrig muß erst jene Verderbtheit und Entstellung eines entsittlichten Gemüthes erscheinen. 106. Daher stehen die Philosophen, die sich hierüber nachdrücklicher aussprechen, nicht an die Unsittlichkeit für das einzige Uebel zu erklären; andere aber, die sich minder stark ausdrücken, tragen dennoch kein Bedenken dieselbe für das höchste Uebel zu erklärenDie Ersteren sind die Stoiker, die Letzteren die Peripatetiker, Akademiker und andere Philosophen. Vgl. III. 8, 35..
Was jene WorteS. Kap. 28, §. 102. anlangt:
Einem Frevler gab ich's nie, noch werd' ich's geben,
so werden sie insofern von dem Dichter recht gesagt, als er bei der Bearbeitung seines Atreus auf dessen Charakter Rücksicht nehmen mußte. Allein wenn sie sich herausnehmen zu behaupten, das Wort, das man einem treulosen Menschen gebe, habe keine Gültigkeit; so mögen sie zusehen, ob nicht hierdurch für den Meineid ein Versteck gesucht werde.
107. Es gibt auch ein Recht des Krieges, und ein eidlich geheiligtes Versprechen muß auch oft dem Feinde gehalten werden. Denn ein Eid, den man mit der Ueberzeugung, daß man zu seiner Erfüllung verpflichtet sei, leistet, muß gehalten werden; im entgegengesetzten Falle ist die Unterlassung des Beschworenen kein Meineid. Zum Beispiel wenn man Räubern das für sein Leben ausbedungene Lösegeld nicht zustellt, so ist es kein Betrug, selbst dann nicht, wenn man nach geleistetem Eide sein Versprechen nicht hält. Denn ein Seeräuber ist nicht unter der Zahl der rechtmäßigen Feindeex perduellium numero. Perduellis von duellum, altertümlich für bellum. begriffen, sondern er ist der gemeinsame Feind Aller. Mit ihm soll weder durch ein gegebenes Wort noch durch einen geleisteten Eid eine Gemeinschaft stattfinden. 108. Denn nicht jeder falsche Eid ist Meineid, sondern nur dann ist es Meineid, wenn man das nicht leistet, was man, wie es in der bei uns üblichen Eidesformel heißt, nach seines Herzens Meinung beschworen hatCicer. Academ. II, 47, 146: majores primum jurare ex sui animi sententia quomque voluerunt; deinde ita teneri (sc. perjurii), si sciens falleret.. Denn treffend sagt EuripidesEurip. Hippol. 611: η γλω̃σσ' ομώμοχ', η δὲ φρὴν ανώμοτος.:
Die Zunge schwur; mein Herz hat keinen Theil am Schwur.
Regulus hingegen durfte die im Kriege und mit dem Feinde eingegangenen Bedingungen und Verträge durch einen Meineid nicht in Verwirrung bringen. Denn man führte mit einem rechtmäßigen und gesetzlichen Feinde Krieg, dem gegenüber das gesammte FetialrechtUeber das Fetialrecht s. zu I. 11, 36. Anm. 113. und viele andere Rechte eine gegenseitige Verpflichtung gebieten. Wäre dieß nicht der Fall, so würde unser Senat niemals angesehene Männer in Fesseln an die Feinde ausgeliefert haben.
XXX. 109. Dieß geschah aber wirklich mit Titus Veturius und Spurius PostumiusTitus Veturius Calviuns und P. Spurius Postumius waren im J. 321 v. Chr. zum zweiten Male Consuln, als sie bei Caudium in Samnium (s. zu II. 21, 75. Anm. 435) die schmähliche Niederlage erlitten. Uebrigens drückt sich Cicero hier nicht richtig aus, wenn er sagt, nach der unglücklichen Schlacht bei Caudium (quom male pugnatum apud Caudium esset); denn es war keine Schlacht vorangegangen, sondern die Römer, von Pontius eingeschlossen, ergaben sich.. Diese hatten in ihrem zweiten Consulate nach der unglücklichen Schlacht bei Caudium, wo unsere Legionen unter dem JocheDas Joch war ein auf zwei Pfählen ruhender Balken, unter dem die Besiegten gebückt und halb entkleidet vor den Augen des Feindes durchgehen mußten. durchgehen mußten, mit den Samniten einen Frieden geschlossen, und wurden an diese ausgeliefert, weil sie den Frieden ohne Genehmigung des Volkes und Senates geschlossen hatten. Zu gleicher Zeit wurden Tiberius Numicius und Quintus MäliusTiberius Numicius und Quintus Mälius waren erst zur Zeit der Auslieferung Volkstribunen; zur Zeit des Caudinischen Unglücks aber, als sie noch im Heere dienten, können sie nur designirte Volkstribunen gewesen sein; denn den Volkstribunen war es nicht gestattet auch nur Einen Tag von Rom entfernt zu sein. S. Weißenborn zu Liv. 9, 8. Uebrigens nennt dieser statt des Numicius den Lucius Livius., die damaligen Volkstribunen, ausgeliefert, weil auf ihren Rath der Friede geschlossen worden war, um den Frieden mit den Samniten verwerfen zu können. Und Postumius selbst, der ausgeliefert werden sollte, war es, der diese Auslieferung in Vorschlag brachte und dazu rieth.
Ein Gleiches that viele Jahre später Gajus MancinusGajus Hostilius Mancinus hatte als Consul im J. 137 v. Chr. unglücklich gegen die Numantiner gekämpft und einen schimpflichen Frieden mit ihnen geschlossen., der mit den Numantinern ohne Vollmacht von Seiten des Senates Frieden geschlossen hatte. Lucius Furius und Sextus AtiliusPublius Furius Philus und Sextus Atilius Serranus waren die Nachfolger des Mancinus im Consulate und beantragten die Auslieferung des Pompejus und Mancinus. brachten deßhalb den Gesetzesvorschlag vor das Volk, daß er den Numantinern ausgeliefert würde, und er selbst unterstützte diesen Vorschlag. Man nahm ihn an, und Mancinus wurde ausgeliefert. Er handelte edler als Quintus PompejusQuintus Pompejus Nepos oder Rufus hatte im J. 141 v. Chr. mit den Numantinern einen schimpflichen Frieden geschlossen., der sich in gleicher Lage befand und durch Bitten bewirkte, daß der Gesetzesvorschlag nicht angenommen wurde. Bei diesem galt der Scheinnutzen mehr als die Sittlichkeit; bei den Ersteren hingegen trug das Gewicht der Sittlichkeit über den Scheinnutzen den Sieg davon.
110. »Aber was mit Gewalt erzwungen war, durfte nicht als gültig angesehen werden.« Als ob ein tapferer Mann mit Gewalt zu Etwas gezwungen werden könnte!
»Warum reiste er nun zum Senate, zumal da er die Auslieferung der Gefangenen zu widerrathen beabsichtigte?« Das tadelt ihr, was das Vorzüglichste in seiner Handlung ist. Denn er ließ es nicht bei seinem Urtheile bewenden, sondern er übernahm auch die Vertheidigung der Sache, damit auch der Senat über dieselbe ein richtiges Urtheil hätte. Denn wenn er dem Senate nicht seinen Rath mitgetheilt hätte, so würden in der That die Gefangenen an die Punier ausgeliefert worden sein. Alsdann hätte allerdings Regulus unversehrt in seinem Vaterlande zurückbleiben können; aber weil er dieses als für sein Vaterland nicht vortheilhaft ansah, deßhalb glaubte er, die Sittlichkeit fordere von ihm so zu urtheilen und zu leiden.
Endlich führen sie an, was in hohem Grade vortheilhaft sei, das werde sittlichgut. Aber sie hätten vielmehr sagen sollen, es sei schon sittlichgut, nicht es werde. Denn Nichts ist nützlich, was nicht zugleich sittlichgut ist, und nicht ist Etwas sittlichgut, weil es nützlich ist, sondern weil es sittlichgut ist, ist es nützlich.
Dennoch dürfte man unter so vielen bewunderungswürdigen Beispielen nicht leicht eines anführen können, das rühmlicher und vorzüglicher wäre, als das des Regulus.