Raphael Kühner
Cicero's drei Bücher von den Pflichten
Raphael Kühner

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XI. Aber wegen des Scheinnutzens wird in dem Staate sehr oft gefehlt, wie bei der Zerstörung KorinthsS. zu I. 11, 35. Anm. 110. von uns Römern; härter noch verfuhren die AthenerDieß geschah im J. 456 v. Chr., und zwar nach Aelian. Var. Hist. II, 9., damit die Aegineten weder einen Speer noch ein Ruder führen könnten. Die Insel Aegina liegt im Saronischen Meerbusen zwischen Attika und Argolis. Piräus war der berühmte Hafen von Athen., die den Beschluß faßten, daß den Aegineten, die eine große Seemacht hatten, die Daumen abgeschnitten werden sollten. Dieß schien nützlich; denn Aegina war wegen seiner Nähe dem Piräus allzu gefährlich. Aber Nichts, was grausam ist, ist nützlich; denn der Menschennatur, der wir folgen müssen, widerstrebt ganz besonders die Grausamkeit.

47. Unrecht handeln auch die, welche den Fremden den Aufenthalt in ihren Städten wehren und sie daraus verjagen, was PennusMarcus Junius Pennus war im J. 126 v. Chr. Volkstribun. Seine lex de peregrinis wird von Festus p. 445 erwähnt. bei unseren Vätern und PapiusGajus Papius erneuerte als Volkstribun im J. 65 v. Chr. das Gesetz wegen Beschränkung der Fremden in Rom. unlängst gethan haben. Daß der nicht als ein Bürger angesehen werden darf, der kein Bürger ist, verhält sich allerdings ganz recht, und hierüber haben auch die so weisen Consuln CrassusUeber Crassus s. zu I. 8, 25. Anm. 94. und ScävolaUeber Scävola s. zu I. 32, 116. Anm. 248. ein Gesetz gegeben; aber Fremden den Aufenthalt in der Stadt wehren ist wahrlich unmenschlich.

Vortrefflich hingegen sind jene Fälle, wo der scheinbare Nutzen des Staates der Sittlichkeit gegenüber verschmäht wird. Voll von solchen Beispielen ist die Geschichte unseres Staates zu verschiedenen Zeiten und ganz besonders zur Zeit des zweiten Punischen Krieges. Nach der Niederlage bei CannäDie Schlacht bei Cannä in Apulien wurde im Sommer des J. 216 v. Chr. geliefert; in derselben wurden die Römer von Hannibal gänzlich geschlagen und erlitten eine furchtbare Niederlage. bewies er einen höheren Muth als zu irgend einer Zeit des Glückes. Keine Spur von Furcht, keine Erwähnung des Friedens. So groß ist die Kraft der Sittlichkeit, daß sie den Schein des Nutzens verdunkelt.

48. Als die AthenerDies geschah im J. 480 v. Chr. dem Angriffe der Persier auf keinen Fall Stand halten konnten, beschlossen sie die Stadt zu verlassen, Weib und Kind nach TrözenTrözen, eine Seestadt von Argolis am Saronischen Meerbusen. in Sicherheit zu bringen und die Schiffe zu besteigen, um die Freiheit Griechenlands zur See zu vertheidigen. Ein gewisser Cyrsilus gab den Rath, man möchte in der Stadt bleiben und dem Xerxes die Thore öffnen; aber man steinigte ihn. Und doch schien er den Nutzen ins Auge gefaßt zu haben; allein es war kein Nutzen, da die Sittlichkeit dagegen stritt.

49. ThemistoklesUeber Themistokles s. zu I. 22, 75. A. 159; über Aristides s. zu III. 4, 16. Anm. 495. erklärte nach dem Siege in dem Kriege gegen die Persier in einer Volksversammlung, er habe einen für den Staat heilsamen Plan, aber er dürfe nicht allgemein bekannt werden; er verlangte daher, das Volk möchte einen Mann bestimmen, dem er denselben mittheilen könnte. Man bestimmte den Aristides dazu. Themistokles eröffnete ihm nun, die Flotte der Lacedämonier, welche bei GytheumGythēum (Γύθειον), Stadt und Hafen am Lakonischen Meerbusen, in der Nähe der Stadt Sparta. ans Land gezogen war, könne heimlich verbrannt werden, und dadurch müsse nothwendiger Weise die Macht der Lacedämonier gebrochen werden. Als Aristides dieses gehört hatte, kehrte er unter großer Erwartung in die Volksversammlung zurück und erklärte, nützlich sei der Plan, den Themistokles gebe, aber er streite durchaus gegen die Sittlichkeit. Da urtheilten die Athener, was nicht sittlichgut sei, könne auch nicht nützlich sein, und verwarfen auf Aristides' Rath die ganze Sache, ohne sie auch nur gehört zu haben. Edler handelten sie als wir, die wir SeeräuberDem Seeräuberwesen hatte Pompejus zwar ein Ende gemacht; allein durch die Bürgerkriege, wo andere Interessen von den Häuptern des Staates verfolgt wurden, war es wieder sehr mächtig geworden. abgabenfrei lassen, während wir steuerpflichtige BundesgenossenCicero meint die Bundesgenossen, welche auf Seiten des Pompejus gestanden hatten, wie die Massilier und Dejotarus, König von Galatien, welche, obwol sie stäts die größte Treue den Römern bewiesen hatten, von Cäsar aus freien Bundesgenossen zu zinspflichtigen Unterthanen gemacht wurden. haben.

XII. Also bleibe es dabei: was unsittlich ist, das kann nie nützlich sein, auch dann nicht, wenn man zum Besitze des anscheinend Nützlichen gelangt. Denn schon der Gedanke, das Unsittliche könne nützlich sein, ist verderblich.

50. Allein es treten oft, wie ich oben bemerkte, Fälle ein, in denen der Nutzen gegen die Sittlichkeit zu streiten scheint, und alsdann muß man darauf achten, ob er durchaus widerstreite oder sich mit der Sittlichkeit vereinigen lasse. Fragen der Art sind folgende: Zum Beispiel, ein rechtschaffener Mann bringt von AlexandriaAlexandria war der Hauptmarkt für das Getreide, das in dem fruchtbaren Aegypten gewonnen wurde. eine große Schiffsladung Getreide nach Rhodus zu einer Zeit, wo daselbst Mangel und Hungersnoth herrscht und das Getreide einen ungemein hohen Preis hat. Zugleich weiß er, daß mehrere Kaufleute von Alexandria abgefahren sind, und auf seiner Fahrt hat er die mit Getreide beladenen Schiffe Rhodus zusteuern sehen. Soll er nun dieß den Rhodiern sagen oder schweigen und seine Waare möglichst theuer verkaufen? Wir denken uns hier einen weisen und rechtschaffenen Mann und fragen nach seiner Berathung und Ueberlegung. Er wird es den Rhodiern nicht verhehlen, wenn er es für unsittlich hält. Aber er kann zweifeln, ob es unsittlich sei.

51. Ueber dergleichen Fälle hat eine andere Ansicht DiogenesDiogenes aus Babylon, Schüler des Chrysippus, Stoischer Philosoph, Lehrer des Neuakademikers Karneades in der Dialektik. Er, Karneades und Kritolaus wurden im J. 156 v. Chr. von den Athenern als Gesandte nach Rom geschickt, wo sie gelehrte Vorträge über philosophische Gegenstände hielten. Cato aber, der besorgt war, die Römische Jugend möchte durch diese Vorträge dem thätigen Leben für den Staat entzogen werden, bewirkte, daß sie bald Rom wieder verlassen mußten. aus Babylon, ein großer und gewichtiger Stoiker, eine andere sein Schüler AntipaterAntipater von Tarsus, Lehrer des Panätius., ein höchst scharfsinniger Mann. Nach Antipater muß man Alles offenbaren, und dem Käufer darf durchaus Nichts, was der Verkäufer weiß, verborgen bleiben. Nach Diogenes ist der Verkäufer verpflichtet die Fehler seiner Waare nur insoweit anzugeben, als es im bürgerlichen Rechte festgesetzt ist; im Uebrigen handele er ohne Hinterlist, und weil er nun einmal verkaufe, so dürfe er den Wunsch hegen möglichst theuer zu verkaufen. »Ich habe meine Waare hierher gebracht, sie ausgestellt und verkaufe sie nicht höher als die Anderen, vielleicht noch wohlfeiler, indem ich einen größeren Vorrath habe. Wem geschieht Unrecht?«

52. Dagegen erhebt sich Antipater mit seiner Ansicht. »Was sagst du? du bist verpflichtet für das Wohl deiner Nebenmenschen zu sorgen und der menschlichen Gesellschaft zu dienen; deine Lebensbestimmung und die Grundtriebe der Natur, denen du gehorchen und folgen mußt, sind die: dein Nutzen soll der allgemeine Nutzen sein und hinwiederum der allgemeine Nutzen der deinige: und du willst deinen Nebenmenschen verhehlen, welche Vortheile und Vorräthe von Lebensmitteln sich in ihrer Nähe befinden?« – Die Erwiderung des Diogenes dürfte vielleicht also lauten: »Etwas Anderes ist verhehlen, etwas Anderes verschweigen, und nicht verhehle ich dir jetzt Etwas, wenn ich dir nicht sage, was das Wesen der Gottheit sei, was das höchste Gut sei, wiewol die Kenntniß dieser Dinge dir mehr nützen würde als der wohlfeile Preis des Weizens. Aber ich brauche dir nicht Alles zu sagen, was dir zu hören nützlich ist.« – 53. »Allerdings, wird jener erwidern, mußt du es, wenn anders du daran denkst, es bestehe unter den Menschen die von der Natur geschlossene Gesellschaft.« – »Daran denke ich, dürfte der Andere entgegnen; aber ist denn diese Gesellschaft von der Art, daß Niemand ein Eigentum haben soll? In diesem Falle dürfte man Nichts verkaufen, sondern müßte Alles verschenken.«

XIII. Du siehst, bei diesem ganzen Streite wird nicht gesagt: So unsittlich auch dieses sein mag, so werde ich es dennoch thun, weil es mir vortheilhaft ist; sondern der Eine sagt: Es ist vortheilhaft, ohne unsittlich zu sein; der Andere hingegen: Man darf es deßhalb nicht thun, weil es unsittlich ist.

54.Gesetzt, es will ein braver Mann ein Haus wegen einiger Fehler, die er selbst kennt, Andere aber nicht kennen, verkaufen. Es ist ungesund, gilt aber für gesund.. Man weiß nicht, daß sich in allen Gemächern Schlangen zeigen. Es ist aus schlechtem Holze aufgebaut, es ist baufällig; aber dieß weiß Niemand außer dem Hausbesitzer. Ich frage nun, wenn der Verkäufer diese Fehler den Käufern nicht angibt und das Haus theuerer verkauft, als er glaubte es zu verkaufen, würde er in diesem Falle ungerecht oder schlecht handeln? – Ganz offenbar, erwidert Antipater. 55. Denn was sonst heißt einem Irrenden den Weg nicht zeigen, worauf zu Athen der öffentliche Fluch liegtDas Gesetz der Athener lautete: υποφαίνειν οδὸν πλανωμένοις καὶ κοινωνει̃ν κατὰ τὸν βίον ύδατος ὴ πυρός. Der Fluch wird erwähnt von Diphilus bei Atheneaus 6, 238: ’Αγνοει̃ς, εν ται̃ς αραι̃ς ‘Ότ' έστιν, εί τις μὴ φράσει ορθω̃ς οδόν ’Ὴ πυ̃ρ εναύσει ὴ διαφθερει̃ ύδωρ., wenn es dieses nicht ist, einen Käufer zu Falle kommen und durch Irrtum in den größten Schaden hineinrennen lassen? Es ist noch mehr als den Weg nicht zeigen; denn es heißt seinen Nebenmenschen auf einen Irrweg führen.

Diogenes hingegen erwidert: Hat er dich zu kaufen genöthigt, er, der dich nicht einmal dazu aufgefordert hat? Er hat feil geboten, was ihm nicht gefiel; du hast gekauft, was dir gefiel. Wenn Leute ein Landhaus als gut und wohl gebaut zum Kaufe feil bieten, so hält man sie nicht für Betrüger, wenn es auch weder gut ist noch zweckmäßig gebaut, weit weniger aber diejenigen, welche ihr Haus nicht angepriesen haben. Denn wo der Käufer urtheilen kann, wie kann da ein Betrug des Verkäufers stattfinden? Braucht man aber nicht für Alles, was man gesagt hat, zu stehen, meinst du, man müsse für das stehen, was man nicht gesagt hat? Gäbe es wol eine größere Thorheit, als wenn der Verkäufer die Fehler des Gegenstandes, den er verkaufen will, herzählte? Kann man sich etwas Verkehrteres denken, als wenn der Ausrufer auf Geheiß des Hausbesitzers so ausriefe: »Ein ungesundes Haus ist zu verkaufen?«

56. So wird also in gewissen zweifelhaften Fällen auf der einen Seite die Sittlichkeit in Schutz genommen, auf der anderen von dem Nutzen so gesprochen, daß es nicht nur pflichtmäßig sei das anscheinend Nützliche zu thun, sondern sogar Pflichtwidrig es nicht zu thun. Das ist jener Widerstreit, der oft zwischen dem Nützlichen und dem Sittlichguten einzutreten scheint. Solche Fälle müssen von mir entschieden werden; denn ich habe sie nicht erzählt, um Fragen aufzuwerfen, sondern um sie zu entwickeln. 57. Nicht also durfte nach meiner Meinung jener Fruchthändler den Rhodiern oder dieser Hausverkäufer den Käufern Etwas verhehlen. Allerdings ist nicht jedes Verschweigen ein Verhehlen; aber es ist es, wenn man Etwas, was man weiß, um seines eigenen Vortheiles willen Andere nicht wissen lassen will, denen daran liegt es zu wissen. Wer sieht nicht, was dieses für eine Art des Verhehlens ist, und was für einen Menschen es verräth? Gewiß einen nicht offenen, nicht geraden, nicht aufrichtigen, nicht gerechten, nicht braven Menschen, im Gegentheil einen verschlagenen, versteckten, listigen, betrügerischen, boshaften, schlauen, abgefeimten, verschmitzten. Diese so vielen und noch mehr andere Schandnamen auf sich zu laden, widerstreitet das nicht dem Nutzen?

XIV. 58.Wenn nun diejenigen Tadel verdienen, welche Etwas verschweigen; was muß man über die urtheilen, welche lügnerische Worte zu Hülfe nehmen?

Gajus CaniusGajus Canius ist Zeitgenosse des Marcus Aemilius Scaurus, der, wie wir oben zu I. 22, 76. Anm. 167 gesehen haben, 115 v. Chr. Consul war. Von seinem Witze gibt Cicer. de Orat. II. 69, 280. folgendes Beispiel an: Scaurus klagte den Rutilius, obwol er selbst das Consulat erlangt hatte, dieser hingegen zurückgesetzt worden war, wegen unrechtmäßiger Amtsbewerbung an und zeigte in dessen Rechnungsbüchern die Buchstaben A. F. P. R. vor, die er so deutete: Actum Fide Publii Rutilii, d. h. »aufgewandt auf Kredit des Publius Rutilius«, Rutilius hingegen so: Ante Factum, Post Relatum, d. h. »erst ausgegeben, dann eingetragen«. Da rief Gajus Canius, ein Römischer Ritter, der den Rutilius vertheidigte, mit lauter Stimme aus, weder das Eine noch das Andere werde durch jene Buchstaben bezeichnet. »Was also?« fragte Scaurus. – Aemilius Fecit, Plectitur Rutilius, d. h. »Aemilius ist der Schuldige, Rutilius der Büßende«., ein Römischer Ritter, ein Mann nicht ohne Witz und ziemlich wissenschaftlich gebildet, hatte sich nach Syrakus begeben, um der Geschäfte zu vergessen, wie er selbst zu sagen pflegte, und nicht um Geschäfte zu machenIm Texte: otiandi, ut ipse dicere solebat, non negotiandi causa, ein Wortspiel. Die Römischen Ritter waren, da sie die Einkünfte des Staates pachteten, große Geschäftsleute; auch trieben sie Geldgeschäfte.. Er äußerte hier öfters, er wünsche einen Lustgarten zu kaufen, wo er seine Freunde bei sich sehen und ungestört dem Vergnügen leben könne. Dieß wird bekannt, und ein gewisser Pythius, der in Syrakus ein Wechselgeschäft trieb, läßt ihm sagen, verkäuflich sei ihm zwar sein Garten nicht, doch stehe es dem Canius frei, wenn er wolle, sich desselben ganz wie seines eigenen zu bedienen, und zugleich lud er ihn auf den folgenden Tag zu Tische ein. Dieser sagt zu. Darauf berief Pythius, der als Geldwechsler unter allen Ständen Freunde hatte, Fischer zu sich, ersuchte sie Tags darauf vor seinem Garten zu fischen und sagte ihnen, was sie sonst noch thun möchten. Canius stellt sich zur bestimmten Zeit zum Essen ein; ein kostbares Mahl ist von Pythius bereitet; vor seinen Augen befindet sich eine Menge von Nachen; jeder bringt seinen Fang herbei; vor den Füßen des Pythius werden die Fische hingeschüttet. 59. Da ruft Canius aus: »Ums Himmels willen, was ist das, Pythius? so viel Fische, so viel Nachen!« – »Was Wunder? erwiderte jener; von hier bekommt Syrakus seine Fische, von hier sein Wasser – dieses Landgut ist der Stadt unentbehrlich.« – Canius wird hitzig und dringt in den Pythius es ihm zu verkaufen. Anfangs macht dieser Schwierigkeiten; doch kurz! Canius erhält es. Der reiche Mann kauft es in seinem Eifer so theuer, als Pythius wollte, und er kauft es mit allem Zubehör. Er trägt die Kaufsumme in sein Ausgabebuch und bringt den Handel in Richtigkeit. [60.] Tags darauf ladet Canius seine Freunde ein; er selbst kommt frühzeitig; kein Ruder läßt sich sehen. Er fragt den nächsten Nachbar, ob die Fischer vielleicht Feiertage hätten, weil er gar keine sähe. – »Nein, so viel ich weiß, erwiderte dieser; aber hier pflegen sie auch gar nicht zu fischen. Ich war daher gestern über das, was hier vorging, verwundert.« – Canius war ungehalten; doch was sollte er thun? Denn noch nicht hatte mein Amtsgenosse und Freund AquiliusGajus Aquilius Gallus, Cicero's Amtsgenosse in der Prätur im J. 66 v. Chr., ein berühmter Rechtsgelehrter, gab Rechtsbestimmungen (formulae) heraus, die bei Abschließung von Verträgen zu beobachten seien. die Rechtsbestimmungen über die Arglist bekannt gemacht. In diesen gab er auf die Frage, was Arglist sei, den Bescheid, wenn man etwas Anderes vorgibt, als man vorhat. Dieses ist sehr deutlich ausgedrückt, wie man von einem Manne erwarten kann, der in der Bestimmung der Begriffe erfahren ist. Demnach sind Pythius und Alle, welche etwas Anderes vorhaben, als sie vorgeben, treulos, unredlich, hinterlistig. Keine ihrer Handlungen kann daher nützlich sein, da sie mit so vielen Fehlern befleckt ist.

XV. 61. Ist nun die Begriffsbestimmung des Aquilius richtig, so muß fälschliches Vorgeben und Verstellung aus dem ganzen Leben entfernt werden. So wird also ein rechtschaffener Mann, um besser entweder zu kaufen oder zu verkaufen, Nichts fälschlich vorgeben oder verheimlichen. Dieser Arglist war auch schon früherEhe Aquilius seine Rechtsbestimmungen herausgab. theils durch Gesetze gesteuert worden, wie dem Betruge bei Vormundschaften durch die zwölf TafelnUeber die zwölf Tafelgesetze s. zu I. 12, 37. Anm. 118., der Uebervortheilung junger noch minderjähriger Leute durch das Plätorische GesetzDas Plätorische Gesetz war von dem Tribun Plätorius um 200 v. Chr. gegeben; dasselbe verbot jungen Leuten bis zum fünfundzwanzigsten Jahre Verträge abzuschließen, setzte ihnen Curatoren und belegte diejenigen, welche junge Leute zu Abschließung von Verträgen verleitet hatten, mit Ehrlosigkeit., theils ohne Gesetz durch die Gerichte, bei denen der Zusatz: »Nach Treu' und Glauben«Diese Formel, sowie auch die folgenden sind nicht auf den Richter zu beziehen; denn der ist schon durch sein Amt verpflichtet, nach Treu' und Glauben, d. h. nach bestem Wissen und Gewissen, zu entscheiden; sondern auf die streitenden Parteien. Der Richter hatte zu entscheiden, ob nach Treu' und Glauben von den streitenden Parteien gehandelt worden sei. gemacht wird. Von den übrigen Gerichten sind folgende Formeln besonders bemerkenswerth, nämlich bei dem Schiedsgerichte über das Vermögen der FrauNämlich in Processen über das Vermögen einer geschiedenen Frau wurde durch ein Schiedsgericht entschieden, wie viel davon herauszugeben sei.: »Auf das Beste und Billigste,« und bei einem Gerichte über anvertrautes Gutbei einem Vertrage über das Eigentum, das an einen Anderen auf Treu' und Glauben überlassen ist. Die Formel steht vollständiger Kap. 17, §. 70.: »Wie es zwischen ehrlichen Leuten ehrlich hergehen muß.« Wie nun? Kann da, wo es heißt: »Nach dem Besten und Billigsten« irgend ein Betrug stattfinden? oder kann da, wo es heißt: »Wie es zwischen ehrlichen Leuten ehrlich hergehen muß« eine arglistige oder böswillige Handlung vorkommen?

Die Arglist besteht aber, wie Aquilius sich ausdrückt, in fälschlichem Vorgeben. Man muß also aus der Abschließung von Verträgen alle Unwahrheit entfernen. Nicht darf der Verkäufer einen Scheinkäufer, der den Preis in die Höhe treibt, nicht der Käufer einen Menschen, der durch ein geringes Gebot den Preis herabdrückt, anstellen. Beide müssen, wenn es zur Aussage des Gebotes kommt, ein für allemal aussagenDie einmal geschehene Aussage muß feststehen, darf nicht verändert werden..

62. Quintus ScävolaUeber Scävola, den Oberpriester, s. zu I. 32, 116. Anm. 248., des Publius Sohn, verlangte, daß ihm der Preis des Grundstückes, das er kaufen wollte, ein für allemal angegeben würde. Der Verkäufer that dieß. Scävola erklärte, er habe es höher geschätzt, und fügte noch hunderttausend Sestertien= 5000 Thaler. hinzu. Niemand wird verkennen, daß er wie ein rechtschaffener Mann handelte; aber klug will man ihn nicht nennen, ebenso wenig, wie Einen, der wohlfeiler verkauft, als er kann. Das ist das Unglück, daß man für etwas Anderes rechtschaffene, für etwas Anderes kluge Männer hält. Daher sagt EnniusEnnius (s. zu I. 8, 26. Anm. 95) in der Medea. Der vollständige Vers ist bei Cicer. ad Famil. VII, 6. aufbewahrt:

Qui ipse sibi sapiens prodesse non quit, nequidquam sapit.

(d. i. Klugheit hilft dem Klugen nichts, wenn er nicht selbst sich nützen kann).

, vergebens sei der Weise weise, der sich selbst nicht zu nützen verstehe. Richtig, wenn ich mit Ennius über den Begriff des Nutzens einverstanden wäre.

63. HekatonAuch Kap. 23 §. 89. wird Hekaton's Werk über die Pflichten erwähnt, und zwar daselbst das sechste Buch, woraus man schließen darf, daß das Werk sehr umfangreich gewesen sein muß. aus Rhodus, ein Schüler des Panätius, sagt, wie ich sehe, in seinen Büchern über die Pflichten, die er dem Quintus TuberoQuintus Aelius Tubero, Schwestersohn des jüngeren Africanus, ein Anhänger der Stoischen Philosophie. gewidmet hat, es sei die Pflicht des Weisen, soweit es ohne Verletzung der Sitten, der Gesetze und bürgerlichen Einrichtungen geschähe, auf sein Vermögen Bedacht zu nehmen. Denn wir wollen nicht allein für unsere Person reich sein, sondern für unsere Kinder, Anverwandten, Freunde und ganz besonders für den Staat. Das Vermögen und der Wohlstand der Einzelnen ist ja der Reichtum des Staates.

Ihm kann die kurz zuvor erwähnte Handlung des Scävola keineswegs gefallen. Denn er erklärt schlechtweg, er werde um seines Vortheiles willen nur so viel nicht thun, als er nicht thun dürfe. Einem Solchen ist weder großes Lob noch großer Dank zu ertheilen. 64. Leider gibt es, wenn Arglist in fälschlichem Vorgeben und in Verstellung besteht, nur sehr wenige Handlungen, bei denen sich nicht Arglist fände, sowie wir auch gewiß einen rechtschaffenen Mann nur selten finden, wenn man unter ihm einen Mann versteht, der so Vielen, als möglich, nützt und Keinem schadet. Also noch einmal: niemals bringt Unrecht thun Vortheil, weil es zu jeder Zeit schimpflich ist, und immer bringt es Nutzen ein rechtschaffener Mann zu sein, weil es zu jeder Zeit sittlichgut ist.

XVI. 65. Was das Recht in Betreff der Grundstücke anlangt, so ist bei uns durch das bürgerliche Recht bestimmt, daß bei dem Verkaufe die Fehler angezeigt werden sollen, welche dem Verkäufer bekannt sind. Nach den zwölf TafelgesetzenDie Worte des Gesetzes lauten nach Festus unter dem Worte Nuncupate also: Quom nexum faciet manicipiumque, utei lingua nuncupasit, ita jus esto. genügt es, wenn man für das haftet, was namentlich angeführt ist; die falschen Angaben aber sollen um den doppelten Werth bestraft werden. Aber von den Rechtsgelehrten ist auch auf das Verschweigen eine Strafe gesetzt. Sie sind nämlich der Ansicht, der Verkäufer sei verpflichtet für alle Fehler des Grundstückes, die er weiß, aber nicht namentlich anführt, zu haften.

66. Zum Beispiel, als die AugurenDie Auguren (augures von avis, Vogel) bildeten einen Verein Römischer Priester, deren Amt darin bestand, daß sie den Flug, das Fressen und das Geschrei der Vögel und andere Erscheinungen beobachteten, um daraus den Willen der Götter zu erforschen. auf der BurgAuf der Burg des Kapitols, welche nach Festus auguraculum genannt wurde, weil daselbst die Auguren den Vogelflug beobachteten, und zwar nach Osten gewendet (Liv. I, 18), so daß sie also auf den Cälischen Hügel, der südöstlich vom Kapitol lag, hinsahen.den Vogelflug beobachten wollten, hießen sie den Tiberius Claudius CentumalusDieser Claudius, sowie der darauf erwähnte Calpurnius sind nicht weiter bekannt., der ein Haus auf dem Cälischen Hügel hatte, so viel davon abbrechen, daß seine Höhe beim Beobachten nicht mehr hinderlich sei. Claudius bot sein GebäudeIm Texte steht insulam, d. h. ein Haus ohne Vorhof und Nebengebäude, meist hoch aufgebaut, um viele Miethleute (inquilini) zu fassen. feil und verkaufte es; Publius Calpurnius Lanarius war der Käufer. Auch diesem wurde das Nämliche von den Auguren angekündigt, und Calpurnius ließ den befohlenen Theil des Hauses abbrechen. Als er aber erfuhr, daß Claudius das Haus später feil geboten hätte, als er von den Auguren den Befehl zum Abbruche erhalten hätte; so brachte er die Sache vor den Schiedsrichter, damit sie nach der Formel: »Jener solle ihm Alles geben und leisten, was er zu geben und zu leisten verpflichtet sei nach Treu' und Glauben,« entschieden würde. Marcus CatoMarcus Porcius Cato, der Vater des berühmten Cato von Utica. sprach das Urtheil, der Vater dieses unseres Cato. (Sowie sonst die Söhne nach den Vätern, so muß hier der Vater eines so berühmten Mannes nach dem Sohne benannt werden.). Dieser sprach nun als Richter sein Urtheil so aus: »Da er beim Verkaufe die Sache gewußt, aber nicht angezeigt habe; so sei er verpflichtet dem Käufer für den Schaden zu haften.« 67. Also nahm er an, es gehöre zu Treu' und Glauben, daß dem Käufer der Fehler bekannt gemacht sein müsse, den der Verkäufer kenne.

Hat er nun richtig geurtheilt, so war das Schweigen jenes Getreidehändlers und jenes Verkäufers des ungesunden Hauses unrecht. Doch alle Arten des Verschweigens kann das bürgerliche Recht nicht umfassen; so weit es aber möglich ist, werden sie sorgfältig genommen. Marcus Marius GratidianusMarcus Marius Gratidianus, der Sohn oder der Enkel des Marcus Gratidius, dessen Schwester die Großmutter Cicero's war, und Adoptivsohn des Marcus Marius, dessen Bruder der berühmte Marius war. Kap. 20, §. 80. wird seine Prätur erwähnt., ein Verwandter von uns, hatte an Gajus Sergius OrataGajus Sergius Orata, im J. 97 v. Chr. Prätor. Ueber die hier erwähnte Sache vgl. Cicer. de Orat. I. 39, 178. ein Haus verkauft, das er selbst von dem nämlichen Manne wenige Jahre vorher gekauft hatte. Es haftete auf demselben eine Zwangspflicht; aber Marius hatte dieß in dem Kaufbriefe nicht angegeben. Die Sache kam vor Gericht. Den Orata vertheidigte CrassusUeber Crassus s. zu I. 30, 108. Anm. 213., den Gratidianus AntoniusUeber Antonius s. zu II. 14, 49. Anm. 376.. Crassus drang auf das Recht: »der Verkäufer sei verpflichtet für jeden Fehler zu haften, den er gewußt, aber nicht angezeigt habe«; Antonius berief sich auf die Billigkeit, »weil dem Sergius dieser Fehler nicht unbekannt gewesen sei, da er selbst jenes Haus früher verkauft habe; so sei es nun nicht nothwendig gewesen denselben anzuzeigen, und nicht sei der hintergangen worden, der die Rechtsverhältnisse des gekauften Gegenstandes gekannt habe.«

Wozu aber diese Worte? Auf daß man einsehe, daß unsere Vorfahren kein Wohlgefallen an hinterlistigen Menschen hatten.

XVII. [68.] Allein anders steuern die Gesetze, anders die Philosophen den hinterlistigen Kunstgriffen: die Gesetze, soweit sie handgreiflich sind, die Philosophen, soweit sie mit der Vernunft und Einsicht gefaßt werden können. Die Vernunft also fordert, daß man Nichts mit Hinterlist, Nichts mit Heuchelei, Nichts mit Betrug thue. Findet nun nicht Hinterlist statt, wenn man dem Wilde Schlingen legt, selbst wenn man dasselbe nicht aufjagt noch aufscheucht? Denn das Wild geräth oft von selbst ohne Verfolgung hinein. Wolltest du nun auf diese Weise ein Haus feil bieten, das Anschlagbrett wie Schlingen aufstellen, das Haus wegen seiner Fehler verkaufen, und soll dann ein Unvorsichtiger in die Schlinge hineinlaufen?

69. Ein solches Verfahren, sehe ich, wird nun zwar in Folge unserer verderbten Denkweise weder nach dem Herkommen für schimpflich gehalten, noch auch durch die Gesetze oder das bürgerliche Recht verboten; aber dennoch ist es durch das Naturgesetz verboten. Es besteht ja, wie ich schon oft bemerkte, aber es kann nicht oft genug gesagt werden, eine Gesellschaft von der weitesten Ausdehnung, welche die Verbindung aller Menschen unter einander umfaßt, dann eine engere von Menschen, die dem nämlichen Volksstamme, und eine noch nähere von solchen, welche dem nämlichen Staate angehören. Daher haben auch unsere Vorfahren einen Unterschied zwischen dem Völkerrechte und zwischen dem bürgerlichen Rechte festgesetzt. Was bürgerrechtlich ist, ist darum nicht sofort auch völkerrechtlich; was hingegen völkerrechtlich ist, das muß zugleich auch bürgerrechtlich sein. Aber von dem wahren Rechte und der ächten Gerechtigkeit haben wir kein gediegenes und deutlich ausgedrücktes Abbild; nur Schattenbilder besitzen wir davon, und möchten wir uns doch nur an diese halten. Denn sie leiten sich von Mustern ab, welche in der Natur und Wahrheit bestehen.

70. Zum Beispiel, wie gehaltvoll sind jene Worte: »Daß ich nicht durch dich und das Vertrauen auf dich berückt und gefährdet sei.Eine bei Abschließung von Verträgen u. dgl. vorkommende Formel, wie auch die folgende, die wir schon Kap. 15, §. 62. gesehen haben.« Wie golden jene: »Wie es zwischen ehrlichen Leuten ehrlich hergehen muß und ohne Gefährde!« Allein was unter ehrlichen zu verstehen sei und was es heiße »ehrlich hergehen«, das ist die große Frage.

Der Oberpriester Quintus ScävolaUeber Scävola s. zu I. 32, 116. Anm. 248. wenigstens erklärte, alle schiedsrichterlichen Fälle, bei denen der Zusatz gemacht werde: »nach Treu' und GlaubenS. oben Kap. 15, §. 61.«, seien von der höchsten Bedeutung, und er war der Ansicht, der Ausdruck: Treu' und Glauben habe die weiteste Ausdehnung und finde seine Anwendung bei Vormundschaften, Handelsverbindungen, anvertrauten Gütern, Aufträgen, bei Kauf und Verkauf, bei Pachtungen und Verpachtungen: worauf der gesellige Verkehr im Leben beruht. In diesen Fällen erfordere es einen tüchtigen Richter, um zu bestimmen, was Einer dem Anderen zu leisten verpflichtet sei, zumal da in den meisten derselben Gegengerichtejudicia contraria, d. h. solche, bei welchen die Klage sich gegen den Kläger, wenn dieser seinen Rechtsstreit verlor, kehrte, indem derselbe die vor dem Beginne des Rechtsstreites deponirte Cautionssumme (sponsio) verlor. stattfinden.

71. Darum muß Hinterlist und jene Arglist, die für Klugheit gelten will, aber von ihr unendlich weit entfernt und verschieden ist, verbannt werden. Denn die Klugheit beruht auf der Wahl zwischen Gutem und Bösem; die Arglist zieht, wenn alles Unsittliche böse ist, das Böse dem Guten vor.

Nicht aber bei den Grundstücken allein bestraft das von der Natur abgeleitete bürgerliche Recht die Arglist und den Betrug, sondern es wird auch bei dem Verkaufe der Sklaven jeder Betrug des Verkäufers ausgeschlossen. Denn wer um den Gesundheitszustand eines Sklaven und sein Entlaufen, seine Diebstähle wissen mußte, der haftet nach der Verordnung der Aedilen»Titulus servorum singulorum uti scriptus sit, curato, ita uti intellegi recte possit, quid morbi vitiive cuique sit, quis fugitivus errove sit, noxave solutus non sit,« nach Gellius IV, 2. dafür. Anders verhält sich die Sache bei den ErbenWenn die Sklaven ererbt waren, so konnte eine so genaue Kenntniß nicht vorausgesetzt werden..

72. Man erkennt hieraus, daß, weil die Quelle des Rechtes die Natur ist, es nicht naturgemäß ist, wenn man darauf ausgeht aus der Unwissenheit eines Anderen Gewinn zu ziehen, und man kann kein größeres Verderben für das Leben finden, als wenn bei der Arglist ein Vorgeben von Einsicht stattfindet. Hieraus entstehen jene unzähligen Fälle, in denen das Nützliche mit dem Sittlichguten zu streiten scheint. Denn wie Wenige finden sich, die bei Gewißheit aller Straflosigkeit und Verborgenheit sich des Unrechtes enthalten können?

XVIII. 73.Wir wollen einen Versuch machen, wenn es dir recht ist, und zwar an solchen Beispielen, in welchen die große Menge vielleicht kein Unrecht finden mag. Denn hier braucht nicht von Meuchelmördern, Giftmischern, Vermächtnißfälschern, Dieben, untreuen Verwaltern öffentlicher Gelder die Rede zu sein; diese sind ja nicht durch Worte und philosophische Erörterungen, sondern durch Ketten und Kerker im Zaume zu halten; nein, wir wollen Handlungen von Menschen betrachten, die für rechtschaffen gelten.

Gewisse Leute kamen mit dem verfälschten Vermächtnisse des Lucius Minucius BasilusDieser Basilus ist sonst nicht weiter bekannt. Auch Valerius Maximus IX. 4, 1. erzählt dieselbe Geschichte., eines reichen Mannes, aus Griechenlandwo Basilus gestorben war. nach Rom. Um dasselbe desto leichter geltend zu machen, hatten sie zu Miterben zwei sehr mächtige Männer ihrer Zeit, den Marcus CrassusUeber Crassus s. zu I. 8, 25. Anm. 94. und Quintus HortensiusUeber Hortensius s. zu II. 16, 57. Anm. 395., eingesetzt. Diese vermutheten allerdings, daß das Vermächtniß verfälscht sei; aber da sie sich keiner Schuld bewußt waren, wiesen sie die kleine Gabe fremden Betruges nicht zurück. Wie nun? Ist dieß hinreichend, um von dem Verbrechen frei gesprochen zu werden? Ich glaube, nein; wiewol ich den EinenObgleich Hortensius ein Nebenbuhler Cicero's in der Beredsamkeit war, so spricht sich doch dieser stäts mit großer Hochachtung über die großen Rednergaben jenes aus. bei seinen Lebzeiten lieb gehabt habe und den AnderenDen Crassus haßte Cicero, so lange jener lebte. Cicer. Famil. I, 9: exarsi non solum praesenti credo iracundia, sed quom inclusum illud odiura multarum ejus (Crassi) in me injuriarum, quod ego effudisse me omne arbitrabar, residuum tamen insciente me fuisset omne, repente apparuit. nach seinem Tode nicht hasse. 74. Aber Basilus hatte seinen Schwestersohn Marcus SatriusDieser Marcus Satrius, welcher nach der hier erwähnten Adoption den Namen seines Oheims führte, nämlich Lucius Minucius Basilus, war Cäsar's Legat im Gallischen Kriege (Caes. B. G. 6, 29). zum Erben seines Namens und seines Vermögens eingesetzt; ich meine den Satrius, welcher Schutzherr des Picenischen und Sabinischen Gebietes warIn den unruhigen Zeiten der Bürgerkriege sahen sich Italische Völker genöthigt in Rom mächtige Bürger von der herrschenden Partei zu ihren Beschützern zu wählen.. – Ach! ihr Name ist ein schimpfliches Zeichen der Zeit.Cicero spielt auf den Namen der beiden Basilus, des Oheims und des Neffen an. Basilus, βασιλεύς (König), erinnert an die Zeit, wo Cäsar nach dem Königtume strebte. Vgl. Kap. 21, §. 83. Die meisten Herausgeber haben das Wort nomen, das die meisten und besten Handschriften haben, mit Unrecht weggelassen. – War es da wol billig, daß vornehme Bürger das Vermögen erhielten, während auf Satrius weiter Nichts als der Name kam? – Wenn nun derjenige, welcher dem Unrechte nicht steuert und es nicht abwehrt, wenn er kann, unrecht handelt, wie ich in dem ersten BucheBuch I. Kap. 7, §. 23. erörtert habe; was soll man von dem halten, der das Unrecht nicht nur nicht zurückweist, sondern ihm sogar Vorschub leistet? Nach meiner Ansicht wenigstens sind selbst wahre Vermächtnisse nicht ehrenvoll, wenn sie durch arglistige Schmeicheleien, durch nicht wahre, sondern geheuchelte Dienstleistungen erschlichen werden.

In solchen Fällen scheint freilich bisweilen etwas Anderes nützlich und etwas Anderes sittlichgut zu sein. 75. Aber man irrt sich; denn für den Nutzen wie für die Sittlichkeit gibt es nur Eine Richtschnur. Wer dieß nicht einsieht, dem wird kein Betrug, keine Schandthat fremd bleiben. Denn wenn er so denkt: »Jenes ist allerdings sittlichgut, aber dieses ist vortheilhaft,« so wagt er in seinem Wahne zwei von Natur eng verknüpfte Dinge auseinanderzureißen, und das ist die Quelle von allen Betrügereien, Schlechtigkeiten und Frevelthaten.

XIX. Gesetzt also, der rechtschaffene Mann besäße eine solche Zauberkraft, daß, wenn er mit den Fingern ein Schnippchen schlüge, sein Name sich in die Vermächtnisse wohlhabender Menschen einschleichen könnte: so würde er von dieser Kraft keinen Gebrauch machen, selbst wenn er die volle Gewißheit hätte, daß durchaus nie irgend Jemand eine Ahnung davon haben werde. Aber hätte man dem Marcus CrassusUeber Marcus Crassus s. zu I. 8, 25. Anm. 94. die Kraft verliehen durch einen Fingerschlag als Erbe eingesetzt zu werden, ohne in Wirklichkeit Erbe zu sein; er würde, glaube mir, auf dem Forum getanzt habenD. h. er würde vor Freude die unschicklichste Handlung vor Aller Augen begangen haben. Vgl. Cicer. p. Mur. 6, 13: Nemo ferer saltat sobrius, nisi forte insanit, neque in solitudine neque in convivio moderato atque honesto. Vgl. unten Kap. 24, §. 93 zu Anfang..

Der gerechte Mann hingegen, der, den wir unter einem Biedermanne verstehen, wird keinem Menschen Etwas entziehen, um es sich zuzuwenden. Wer sich darüber verwundert, der mag bekennen, daß er nicht weiß, was ein rechtschaffener Mann ist. 76. Und doch kann Jeder, der den Begriff, welcher davon unentwickelt in der Seele schlummert, entwickeln will, sofort sich selbst belehren, daß ein rechtschaffener Mann derjenige ist, welcher nützt, so Vielen er kann, und Niemandem schadet, außer wenn er durch ihm zugefügtes Unrecht gereizt wird. Wie nun? Der sollte nicht schaden, der durch ein Zaubermittel es möglich machen könnte rechtmäßige Erben zu verdrängen und in ihre Stelle einzurücken?

Sollte er also, dürfte Jemand einwenden, nicht thun, was vortheilhaft ist? – O ja, nur mag er einsehen, daß Nichts weder vortheilhaft noch nützlich sei, was ungerecht ist. Wer diese Einsicht nicht gewonnen hat, kann kein rechtschaffener Mann sein.

77. Der Consular FimbriaGajus Flavius Fimbria, Amtsgenosse des Marcus in dessen zweitem Consulate 104 v. Chr. – so hörte ich als Kind von meinem Vater – war Richter über Marcus Lutatius PinthiasDieser Lutatius Pinthias ist sonst unbekannt., einen ganz ehrenwerthen Römischen Ritter, nachdem dieser eine bestimmte Summe Geldes niedergelegt hatteBei Streitigkeiten über Mein und Dein mußten die Parteien im Voraus eine bestimmte Summe Geldes niederlegen; dieß hieß sponsionem facere. Diese Summe ging für den verloren, der den Prozeß verlor. für den Fall, daß man ihn nicht für einen Biedermann erkennen würde. Fimbria erklärte nun, er werde in dieser Sache nie sein Urtheil fällen, um nicht entweder einen geachteten Mann um seinen guten Ruf zu bringen, wenn er gegen ihn entschiede, oder den Schein zu geben, als ob er Jemanden für einen Biedermann erklärt habe, da das Wesen eines Solchen in unzähligen Dienstleistungen und lobenswerthen Eigenschaften bestehe.

Ein solcher Biedermann also, wie ihn auch Fimbria, nicht nur SokratesS. oben III. 3, 11. sich vorstellte, kann unmöglich irgend Etwas für nützlich halten, was nicht sittlichgut ist. Daher wird ein solcher Mann Nichts thun, ja nicht einmal zu denken wagen, was er nicht öffentlich auszusprechen wagen dürfte. Ist es nicht eine Schande, daß Philosophen solche Dinge in Zweifel ziehen, welche nicht einmal Bauern bezweifeln? Denn von diesen stammt das alte bekannte Sprüchwort, das sie gebrauchen, wenn sie Jemandes Rechtlichkeit und Güte loben wollen: »Er ist ein Mann, mit dem man im Dunkeln das Fingerspiel spielen kannDieses Fingerspiel (micare) ist noch jetzt in Italien unter dem Namen la mora bei den Landleuten üblich. Zwei Menschen stehen mit geballter Faust einander gegenüber. Indem jeder einen oder mehrere Finger in die Höhe hält, ruft er zugleich eine Zahl aus. Wessen Zahl mit der Summe der von Beiden in die Höhe gerichteten Finger zusammentrifft, der hat gewonnen..« Was hat dieß für eine andere Bedeutung als die: Nichts ist vortheilhaft, was nicht anständig ist, wenn man es auch erlangen kann, ohne von Jemandem zurückgewiesen zu werden.

78. Siehst du nicht, daß nach diesem Sprüchworte weder jener GygesS. oben III. 9, 38. eine Entschuldigung finden kann, noch der, von dem ich kurz zuvor annahm, daß er durch einen Fingerschlag alle Erbschaften zusammenscharren könne? Denn sowie das Unsittliche, mag es auch noch so sehr verborgen werden, unmöglich sittlichgut werden kann, ebenso ist es unmöglich, daß das, was nicht sittlichgut ist, nützlich wird, da die Natur sich widersetzt und dagegen streitet.

XX. 79. Aber, könnte Jemand entgegnen, wenn der Preis sehr groß ist, alsdann läßt sich doch das Unrecht entschuldigen.

Als Gajus MariusUeber Gajus Marius s. zu I. 22, 76. Anm. 168. Sein erstes hier erwähntes Consulat fällt in das Jahr 107 v. Chr.; nach dieser Zeit war er noch sechsmal Consul. wenig Hoffnung hatte Consul zu werden, da er schon ins siebente Jahr seit seiner Prätur hintangesetzt worden war und man glaubte, er werde sich nie mehr um das Consulat bewerben: da verleumdete er den Quintus MetellusQuintus Cäcilius Metellus, mit dem Beinamen Numidicus, den er wegen seiner Siege über den Numidischen König Jugurtha erhielt; er war 109 v. Chr. Consul., dessen Unterfeldherr er war, einen als Mensch und Bürger ausgezeichneten Mann, als er von diesem, seinem Oberfeldherrn, nach Rom geschickt war, bei dem Volke, indem er sagte, er ziehe den Krieg in die LängeSiehe Sallust. Jug. 64, wo Marius sagt: ab imperatore (bellum) consulto trahi, quod homo inanis et regiae superbiae imperio nimis gauderet.; wenn man ihn zum Consul mache, so werde er in Kurzem den Jugurtha entweder lebendig oder todt dem Römischen Volke in die Hände liefern. So wurde er zwar zum Consul gewählt; aber er verleugnete Redlichkeit und Gerechtigkeit, da er dem besten und würdigsten Bürger, dessen Unterfeldherr und Abgeordneter er war, durch eine falsche Beschuldigung den Haß des Volkes zuzog.

80. Auch unser Anverwandter GratidianusUeber Marius Gratidianus s. zu Kap. 16, §. 67. Anm. 566. Er war im J. 86 v. Chr. (im siebenten Consulate des Marius) zum ersten Male Prätor, dann im J. 82. erfüllte zu der Zeit, als er Prätor war und die Volkstribunen die Genossenschaft der Prätoren zu Rathe zogen, um das Münzwesen nach gemeinsamem Beschlusse anzuordnen, die Pflicht eines Biedermannes nicht. Zu jener Zeit nämlich schwankte der Werth des Geldes dergestalt, daß Niemand wissen konnte, was er hatteDieses Schwanken des Geldwerthes war durch Verfälschung der Silberdenare bewirkt worden. Um daher den Geldwerth festzustellen, mußte der Silbergehalt geprüft werden.. Sie verfaßten daher gemeinschaftlich eine Verordnung zugleich mit Bestimmung der Strafe und gerichtlichen Untersuchung gegen die Uebertreter, und sie trafen die Verabredung, daß sie alle zugleich Nachmittags die Rednerbühne besteigen wolltenum in Gemeinschaft die Verordnung dem Volke bekannt zu machen.. Die Anderen gingen weg, der Eine dahin, der Andere dorthin; aber MariusMarius Gratidianus. begab sich von dem Versammlungsorte gerades Weges auf die Rednerbühne und verkündete daselbst allein die gemeinschaftlich abgefaßte Verordnung. Hierdurch erntete er in der That große Ehre ein: in allen Straßen BildsäulenSeneca de Ira III. 18. pr. M. Mario, cui vicatim populus statuas posuerat, cui ture et vino Romanus populus supplicabat, Lucius Sulla perfringi crura, erui oculos, amputari manus jussit. Vgl. Plin. 33, c. 9, §. 46 a. E., vor denselben Weihrauch und Wachskerzen. Kurz, es stand noch nie Jemand bei dem Volke in größerer Gunst.

81. Solche Fälle sind es, welche uns zuweilen bei der Berathung irre machen, wenn die Verletzung der Billigkeit nicht eben bedeutend erscheint. So hielt es Marius nicht eben für schimpflich seine Amtsgenossen und den Volkstribunen die Volksgunst für sich vorwegzunehmen, aber für sehr vortheilhaft dadurch Consul zu werden, was er sich damals zum Ziele gesetzt hatte.

Doch für alle Fälle besteht nur Eine Vorschrift, und ich wünsche, daß du dich mit ihr recht vertraut machst, nämlich: entweder darf das, was man für nützlich hält, nicht unsittlich sein, oder wenn es unsittlich ist, so darf man es nicht für nützlich halten. Wie nun? Können wir entweder den ersteren oder den letzteren Marius für einen Biedermann halten? Durchforsche und untersuche deinen Verstand, um einzusehen, welches Bild, welche Vorstellung und welchen Begriffquae sit in ea species, forma et notio. Mit Unrecht hat Klotz das Wort species als unächt in Klammern eingeschlossen. Daß et bei dem dritten Worte steht, kann hier nicht auffallen, da species und forma gewissermaßen nur einen Begriff ausdrücken. du in demselben von einem Biedermanne hast. Verträgt es sich also mit einem Biedermanne, daß er um seines Vortheiles willen lügt, verleumdet, übervortheilt, täuscht? Fürwahr, Nichts weniger. Ist also irgend eine Sache von so großem Werthe oder irgend ein Vortheil so wünschenswerth, daß man deßhalb den Glanz und den Namen eines Biedermannes verloren geben sollte? Kann jener sogenannte Nutzen uns Etwas geben, was so bedeutend wäre als das, was er uns nimmt, wenn er uns den Namen eines Biedermannes raubt, Redlichkeit und Gerechtigkeit entzieht? Denn was ist es für ein Unterschied, ob sich Jemand aus einem Menschen in ein Thier verwandelt, oder ob er in Menschengestalt die Rohheit eines Thieres in sich trägt.


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