Lena Christ
Mathias Bichler
Lena Christ

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Die Hexenjungfer

Es war schon heller Tag, als ich erwachte und mich nach dem Kathreinl umsah; doch ihr Platz war leer, und ich hörte sie schon draußen vor dem Haus am Brunnen werken und waschen. Da stand ich gleichfalls auf und half ihr, das Tägliche zu verrichten. Wir fütterten das Vieh und gaben ihm frische Streu, darauf machte ich mich ans Melken, während das Mädchen die Morgensuppe kochte, mein Bett richtete und den Hausflöz mit dem Tannenbesen auskehrte. Und nachdem wir das Vieh auf den Anger getrieben, unsere Suppe verzehrt und das Haus verschlossen hatten, machten wir uns auf den Weg nach Sonnenreuth.

Das Kathreinl hatte sein bestes Gewand angelegt und prangte in einem rotschillernden Kleid und einer leuchtendblauen Schürze mit schwarzen Blonden. Ihr kunstreich abgenähtes Mieder wurde von einem reichen Silbergeschnür zusammengehalten, und den Hals zierte eine vielreihige Silberkette mit schwerer Schließe. Um die Schultern trug sie ein buntgesticktes Seidentuch, und ihre Füße staken in weißen Strümpfen und feinen, lederbesetzten Zeugschuhen mit großen Schnallen.

Diese Tracht trugen zu jener Zeit alle Mädchen und Frauen der Sonnenreuther Gegend, und dazu setzten sie schwarze Filzhüte mit langen Goldquasten und reicher Goldverschnürung auf.

In einem rotbestickten Sacktuch trug das Kathreinl die Schlüssel des Hauses, eine grobe Schürze und ein Stück trockenen Brotes.

Da wir unter das Kreuz kamen, wo die Mutter lag, blieben wir eine Weile still und wünschten der Toten mit Andacht die ewige Ruh und den Frieden. Dann gingen wir baß drauflos und kamen gegen zehn Uhr in der Früh nach Sonnenreuth und an das Haus des Bürgermeisters. Dem übergab das Mädchen die Schlüssel, sagte, daß die Mutter schon eingegraben sei und daß die Kuh und die Geißen auf den Abend wieder melken brauchten; darauf faßte sie mich bei der Hand und ging rasch und ohne dem Alten auf seine Fragen etwas zu erwidern mit mir hinaus.

Wir hielten uns auch beim alten Schnepfalucka, dem Leichenbeschauer, nicht lange auf; das Kathreinl klopfte rasch an seiner Tür und rief hinein: »Die Irscherin ist schon eingegraben!«

Dann liefen wir wieder davon und kamen gegen den Weidhof.

Meine Ziehmutter wollte eben den Hennen Futter streuen, da traten wir Hand in Hand durch den Gadern in den Hof. Erschreckt schüttelte sie den ganzen Weidling voll Körner unter die Hühner, beschattete die Augen mit der Hand, um besser zu sehen, und schrie: »Daß 's Gott gsegn'! Unser Bub! Und mit der Hexenjungfer!«

Und sie bekreuzte sich und wollte rasch ins Haus; aber ich zog das widerstrebende Mädchen hinter mir her und vertrat meiner Ziehmutter den Weg: »Haltet, Mutter! Bleibt noch ein wenig! Ich bring wen mit – ein Waisl, das Ihr aufnehmen mögt!...«

Aber sie erhob abwehrend beide Hände, wandte das Gesicht weg und lief ins Haus, während dem Kathreinl langsam eine Träne nach der andere über die Wangen rollte.

Das gab mir einen Stich ins Herz, und ich lief der Mutter nach und faßte sie am Gewand und schrie sie an: »Ihr sollt sie nicht weinen machen, Mutter! Ihr sollt gnädig sein und gut, weil sie auch gut ist!«

Und da sie nicht hören mochte, drohte ich: »Wenn Ihr sie nicht nehmt, dann geh ich auch wieder, und Ihr habt die Schuld, wenn was geschieht...!«

Damit lief ich wieder hinaus und fand das Mädchen, als es eben aus dem Hof gehen und den Gadern hinter sich schließen wollte.

»Kathreinl!« schrie ich, »was willst du denn tun? Warum kehrst du um?«

»Weil ich nichts verloren hab da drin!« erwiderte sie rauh und schlug das Türl zu.

Da eilte ich hinaus, packte sie am Arm und schrie: »Und ich will haben, daß du dableibst! Du gehörst zu mir! Sie müssen dich aufnehmen!«

In diesem Augenblick kam der Meßmer, mein Ziehvater, vom Gottesacker daher und ging auf uns zu und sah, wie ich das Mädchen zurückhielt. Da sagte er: »Wo aus, Jungfer? – Hast ihn jetzt wiedergebracht den Racker? – Wohin denn schon so früh in dem Putz?«

»Eine Heimstatt suchen«, sagte das Kathreinl und wollte sich von mir losmachen. Da rief ich: »Nehmt sie doch Ihr derweil, Vater! Sie soll nicht allein rumtappen! – Gelt, Vater, Ihr behaltet sie derweil, bis sie nimmer verlassen ist!«

Der Weidhofer sah wohlgefällig auf mich nieder, betrachtete das Kathreinl eine Weile und meinte dann: »Wenn sie mit dem Strohsack zufrieden ist in deiner Kammer? Du kannst ja im Ambros seiner Liegerstatt schlafen, so lang er auf der Alm ist. Von mir aus kann sie schon dableiben; Arbeit gibts bei uns für jeden, der sie nicht scheut!«

Herrgott! Wie wurde ich froh! Ich bedankte mich jubelnd beim Vater und sagte darnach zum Kathreinl: »Jetzt mußt du doch bei mir bleiben! Jetzt mach nur geschwind, daß wir's der Mutter sagen!«

Da sagte sie denn ja und dankte dem Weidhofer und ging mit uns.

Die Ziehmutter war schon eine Weile unter der Haustür gestanden und hatte auf uns herübergeschaut; da sie uns aber nun alle drei eintreten sah, schüttelte sie den Kopf und verschwand im Haus.

Ich führte nun das Mädchen in meine Kammer und meinte, da ich das Bett sah, nachdenklich: »Du mußt halt schauen, wie du liegst; ich bring dir schon alles, was du brauchst und gern haben möchtest!«

Ihr Stübchen war ein viel schöneres und ihr Bett ein viel besseres gewesen, und ich sah ängstlich und unruhig auf das Mädchen.

Scheu blickte sie an den kahlen Wänden entlang, betrachtete stumpf den verstaubten Wandherrgott in der Ecke und die große Spinnwebe daneben und setzte sich schließlich seufzend und fröstelnd auf die Truhe, die unter dem niederen Fenster stand und meine paar Habseligkeiten in sich verschloß.

Plötzlich sagte sie: »Wie kalt es in diesem Christenhaus ist! Bei uns daheim ist's viel wärmer gewesen! – Wer wird leicht jetzt das Hexenhäusl kriegen? – Es ist schad drum!« Ich suchte ihr die Kammer ein wenig behaglicher zu machen und lief hinaus, durchsuchte das Haus nach allem möglichen und schleppte es hinein zum Kathreinl: einen alten, wackligen Tisch vom Dachboden, einen geschnitzten Stuhl aus der Kammer des Ambros, das Kopfkissen aus dessen Bett, zwei Blumenstöcke vom Söller und eine alte, blaubedruckte Bettzieche als Tischdecke.

Darauf holte ich aus meiner Truhe etliche Heiligenbilder und nagelte sie alle über das Bett.

»So, Kathreinl, jetzt paßt es schon eher für dich!« sagte ich darnach befriedigt; »jetzt bring ich dir noch einen Spiegel und das Spinnradl von der Mutter, daß du gute Weil und was zu tun hast.«

Nach langem Suchen fand ich einen alten, bemalten Spiegel, in einem Kasten hängend; den brachte ich dem Mädchen und auch etliche Zöpfe Flachs zum Spinnen. Das Spinnrad stand verstaubt am Heuboden, und ich mußte es erst mit dem Flederwisch reinigen, ehe ich es dem Kathreinl in die Kammer stellen konnte.

Derweil ich noch immer nach neuem suchte, um dem Mädchen das Stüblein gut zu richten, läutete es zu Mittag, und ich hörte Türen schlagen, Tritte poltern und Männerstimmen reden und lachen. Der Weidhofer kam über die Stiegen herauf und rief: »Mathiasle, was is's – zum Essen! Bring deine Jungfer auch gleich mit!«

Da holte ich geschwind einen schönen Teller und einen neuen Löffel aus der Künigkammer, damit das Kathreinl nicht mit den Knechten in eine Schüssel zu langen bräuchte, und stellte einen Lederstuhl neben die Bank, auf der ich sonst gesessen war; darnach holte ich die Jungfer hinunter. Die große, bemalte Schüssel mit den Knödeln stand schon auf dem Tisch, als wir eintraten. Knechte und Mägde standen darum, und der Weidhofer betete eben um Gottes Segen zu Speis und Trank und um Gnade und Gedeihen dazu.

Der Weidhoferin ihr Platz war noch leer, und alle blickten nach dem Tischgebet noch unschlüssig, ob sie sich setzen könnten, da gemeiniglich die Sitte bei den Bauern ist, daß erst der Bauer und die Bäuerin niedersetzen und auch als erste in die Schüssel langen.

Der Meßmer setzte sich endlich und sagte: »Fangts nur derweil an; d' Mutter wird schon kommen.«

Nun zog ich das Kathreinl, welches glühendrot geworden war, mit mir an den Tisch und nötigte es an den von mir bestimmten Platz; darauf wollte auch ich mich setzen.

In diesem Augenblick sahen alle neugierig auf das Mädchen; die Oberdirn warf den Löffel mit dem Ruf weg: »Mariand Christi! D' Hexenjungfer!«, bekreuzte sich und lief weg; und sogleich standen auch die andern alle auf, murmelten Verwünschungen und entfernten sich, ohne auf den Unwillen des Weidhofers zu achten. Das Mädchen aber saß starr und ganz schneebleich auf seinem Stuhl, sah einen nach dem andern gehen und seufzte tief auf, als der Vater mit der Faust fluchend in den Tisch schlug und schimpfte: »Gesindel verdammtes! Sollen's bleiben lassen, wenn sie nicht mögen! – Iß, Maidel, und laß dich's nit verdrießen!«

Ich war ihm von Herzen dankbar für seine Worte und rief: »Ihr seid brav, Vater, das Kathreinl tut niemand was.«

Fürsorglich legte ich alsdann dem Mädchen, das stumm zum Fenster hinaussah, einen Knödel auf den Teller, reichte ihr das Schüsselchen mit dem Dotschentauch und bat sie, doch zu essen.

Erst hörte sie nicht auf mich; endlich nahm sie, aß aber nur etliche Bissen und stand darnach mit einem leisen »Vergelts Gott« auf. Auch ich brachte kaum ein wenig Speis in mich, erhob mich gleichfalls und ging mit dem Kathreinl wieder in meine Kammer, während der Meßmer für uns drunten dem himmlischen Vater Dank sagte für alle Wohltaten.

Eine Weile später, während das Mädchen das Mieder und Geschnür ablegte, seine rauhe Schürze umband und sich zum Spinnen rüstete, fiel mir ein, daß drunten im Wandschränklein der Wohnstube eine alte Legende mit vielen wunderlichen Abbildungen liege; ging also hinab, sie zu holen, damit das arme Kathreinl Kurzweil dran hätte. Wie ich nun in die Stube trat, saßen die andern erst beim Essen mitsamt der Weidhoferin und blickten unmutig auf mich. Da sagte ich ganz laut und keck: »Die Hexenjungfer kommt! Wer nicht schnell verschwindet, wird verwunschen!«

Da entstand ein großer Tumult: die Mägde kreischten furchtsam auf, schlugen das Kreuz und wollten fliehen; die Mannsleute fluchten und gaben mir grobe Namen, und die Weidhoferin, meine Ziehmutter, stand auf, daß ihr Stuhl umfiel, wies mit der Hand nach der Tür und schrie mit hochrotem Gesicht: »Marsch, weiter, sag ich! Unser Herr hat lange Arm; der trifft dich schon noch für dein Gspött!«

Ich lachte, nahm das Buch aus dem Schränklein und ging hinaus; doch sagte ich dem Kathreinl nichts von der Sache, um sie nicht noch trauriger zu machen; denn sie weinte ohnedies schon, daß ihre Augen ganz rot wurden.

Sie band eben den Flachs ans Spinnrad und rückte sich den Stuhl dazu, indem sie die Schürze vors Gesicht hielt, damit ich nicht sähe, wie sie weinte. Ich empfand tiefen Schmerz, als ich sie so sah, und auch große Reue, daß ich sie hierher gebracht; doch war es mir unmöglich, dem Mädchen dies zu sagen, noch, sie zu trösten. Es war, als sei etwas Fremdes, Kaltes in mein Herz gekommen, das meine große Liebe für sie zurückschlug, so oft sie daraus emporkommen wollte; und obschon ich immer noch an unser Zusammensein im Haus der toten Irscherin mit stiller Freude dachte, so tat ich doch nichts, um dies Schöne noch einmal zu erleben.

Also saß ich auf der Truhe und beschaute die Bilder der Legende, bis ich, von Müdigkeit übermannt, einnickte.

Das Spinnrad schnurrte wieder, als ich erwachte, wie einstmals, und das Kathreinl saß wieder in dem flimmernden Licht der untergehenden Sonne, und ihr rotes Haar glänzte wie lauteres Gold. Sie sah nicht um sich; gedankenvoll hielt sie ihr Haupt über das Spinnrad gebeugt und drehte mechanisch am Faden, dabei von Zeit zu Zeit die Finger an den Lippen netzend.

Eine geraume Weile sah ich ihr zu und hielt, damit sie es nicht bemerkte, meine Augen halb geschlossen; da aber die Sonne hinter den Bergen verschwunden war und nur noch ein dämmernder Schatten von ihr ganz oben an der Wand zitterte, richtete ich mich auf und sagte: »Jetzt hätt ich bald den Feierabend verschlafen; geh, hör auf zu spinnen, Kathreinl, dann hol ich dir dein Nachtessen.«

Ging also hinab in die Kuchel des Hauses, suchte den Teller des Mädchens und den Löffel und trug beides hinauf in die Kammer.

Die Ziehmutter stand derweil am Herd, hatte die große, rußige Eisenpfanne auf dem Dreifuß, unter welchem ein lustiges, offenes Reisigfeuer prasselte, und kochte den Abendschmarren, ein rauhes Gericht aus Mehl und Erdäpfeln. Sie schaute mich unfreundlich an, sagte aber nichts und gab mir, als ich ein weißes Schüsselchen vor sie hinstellte und sagte, daß ich dem Mädchen zu essen bringen wolle, sogleich ein ansehnliches Häuflein Schmarren und einen kleinen Weidling voll süßer Milch.

Dies brachte ich, nachdem ich mich bei der Mutter dafür bedankt, dem Kathreinl, das bei meinem Eintreten am Fenster lehnte und in den nebligen Abend hinaussah. Gemeinsam verzehrten wir darauf diese Mahlzeit, ohne etwas dabei zu reden; darnach wünschte ich ihr eine ruhsame Nacht und trug das Geschirr hinab in die Kuchel.

Der Meßmer wusch sich eben am Brunnengrand Gesicht, Hals und Brust, als ich nach diesem vors Haus ging und mich auf die verwitterte Holzbank setzte; da er mich sah, fragte er, indem er sich einen Strahl Wasser auf den Scheitel pumpte: »He, Racker, wo ist denn deine Jungfer? Sag ihr, der Bürgermeister hätt das Vieh vom Waldhaus geholt und in die Gemeindeställe gewiesen, bis es auseinandergeht mit der Verlassenschaft. Er hat mirs zu wissen gemacht und fragt, wo die Waldhäuslerin eingegraben ist.«

»In Gottes Erdboden«, erwiderte ich und lief hinauf, alles dem Mädchen zu berichten; doch sie hatte ihre Tür schon verriegelt und gab mir auch auf mein Rufen und Pochen keinen Bescheid, so daß ich endlich ging, drunten »Gut Nacht« wünschte und hierauf die Kammer des Ambros aufsuchte und mich zu Bett legte. Mitten in der Nacht, als ich endlich nach langem Denken, Betrachten und Sinnen eingeschlafen war, fuhr ich plötzlich empor. Unter meinem Kammerfenster wurde eine Leiter angelegt, ich hörte jemand keuchend emporsteigen, und im nächsten Augenblick erschien im Rahmen des geöffneten Fensters die Gestalt des langen Ambros. Er hielt sich einen Augenblick ganz still, horchte und schwang sich dann rasch in die Kammer herein. Ich gab keinen Laut von mir und hielt beide Fäuste an die Brust gepreßt, um mein heftiges Herzklopfen zu beruhigen, während ich daran dachte, was ich täte, wenn er mir abermals übel wollte.

Aber er schaute gar nicht auf das Bett; mit größter Hast schloß er eine kleine Truhe auf, warf eine Menge silberklirrender Münzen hinein und verschloß sie darnach wieder sorgfältig. Darauf nahm er die Truhe auf die Schulter und wollte sie nun durchs Fenster forttragen; doch brachte er sie nicht durch den Rahmen und fluchte derowegen ganz wütend.

Indem er sich vergebens abmühte, kam mir ein Gedanke; ich tat plötzlich einen gellenden Pfiff, sprang aus dem Bett und lief aus der Kammer, laut rufend: »Ein Dieb, ein Dieb!«

Als gleich darauf der Weidhofer mit einem Kienspan aus seiner Kammer lief und mir in die des Ambros folgte, lag die Truhe auf dem Boden, die Leiter aber und der Bursch waren verschwunden.

Da schloß der Vater das Fenster und meinte: »Nachlaufen hat keinen Wert; der ist jetzt doch schon Gott weiß, wo. Aber wissen möcht ich doch, wer es war.«

Ich sagte: »Der Ambros selber war's« und berichtete, was ich gesehen, worauf der Vater erwiderte: »Dem komm ich schon drauf, was er hätt wollen, wenn er's war; und die Truch trag ich derweil zu mir.«

Damit hob er sie auf und ging, sie unter dem Arm haltend, wieder schlafen.

Am anderen Morgen schickte er sogleich einen Knecht auf die Alm mit dem Befehl, daß er den Ambros vor ihn bringe. Dies geschah, und ich stand dabei, als der Hausl mit ihm eintrat. Kaum hatte mich der Böswicht erblickt, als er auch schon weiß wie der Kalk an den Wänden wurde; seine Augen weiteten sich und sahen unstät und angstvoll von einem zum andern. Da trat der Vater herzu und sagte: »Wo ist der Schlüssel zu deiner Truch?«

»Droben in der Kammer«, erwiderte der Bursch stockend und sah wieder ängstlich nach mir, so daß der Vater unwillig fragte: »Was scheust dich denn vor dem Buben so? Hat er dir leicht was getan, heut nacht?«

Da kam eine furchtbare Bewegung über mich; bebend trat ich vor den langen Ambros hin und schrie ihm ins Gesicht: »Hast's wohl nicht gehofft, daß ich noch laut bin – daß ich noch einmal abrechnen könnt mit dir, du Mordbub!«

Wie ein Hieb war mir das Wort entfahren – wie ein Hieb traf es alle, am ärgsten aber den, welchen es anging. Der bleiche Schelm wankte und mußte sich anlehnen, um nicht zusammenzufallen; aber seine bläulichen Lippen murmelten: »Was bin ich? – Willst das zrucknehmen, du...«

»Zrucknehmen!« schrie ich da in höchster Wut; »zrucknehmen soll ich was! – Draufhelfen tu ich dir lieber, wann du's nimmer weißt: Droben am Bergrinnl, beim Weidhofer seiner Alm hat einer einen hinunter... jawohl... z'erst 'n Räuber gmacht, darnach 'n Mörder!« Ich streckte den Finger nach ihm aus, und ein hartes Weinen schüttelte mich, indem ich mich an die Umstehenden wandte: »Der war's; meine Red ist wahr. Laßt's die Kathrein von der Irscherin reden!«

Heiser brüllte der Bursch und beteuerte seine Unschuld und wand sich doch vor Ängsten; da trat die Jungfer, welche schon eine Weile im Flöz gestanden war, herzu, ganz bleich, und sagte mit bebendem Mund: »Es ist wahr, er lügt nicht.«

Und sie berichtete allen, wie die Irscherin mich in der Bergrinne beim Wasserfall gefunden hätte, wie ich in meinem Fieber mit dem Burschen gerungen und dabei den Namen Ambros gerufen hätte, und er solle mich doch schonen und mir mein Sach wiedergeben...

Sie gab also allen Zeugnis von der Übeltat des Schelmen, so daß dieser nicht mehr vermochte, eine Ausred oder Widerrede zu finden, vielmehr als ein feiger und furchtsamer Böswicht plötzlich sich aufrichtete und, derweil wir alle auf die Jungfer hörten, einen Sprung nach der offenen Haustür tat und verschwand, obgleich ihm der Vater und der Knecht auf dem Fuße folgten. Am End sagte der Vater, man solle ihn nur derweil laufen lassen, der käme schon von selber noch dahin, wohin er gehöre. Darauf ging man ins Haus, sprengte die Truhe und fand darin nicht nur meine Groschen vor, sondern auch noch einen großen Haufen Gelds, Silberzeugs und sonst kostbarer Dinge, die er alle geraubt hatte und die teils in den Weidhof, teils andern Leuten zu Sonnenreuth gehörten.

Der Weidhofer übergab alles dem Pfarrer, und dieser forderte am darauffolgenden Sonntag in der Predigt alle jene, denen etwas abhanden gekommen war, auf, sich ihr Sach bei ihm zu holen; doch blieb noch mehreres liegen und wurde später unserer lieben Frau zu Birkenstein auf den Altar gelegt. Ich aber schenkte meine ganzen Silbergroschen dem Kathreinl und bat sie, dieselben zu nehmen als eine Verehrung und ein Andenken. Von dem Schelmen, dem Ambros, aber war nichts mehr zu hören und zu sehen, und es schien, als habe er die Gegend verlassen.


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