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J. J. Honegger, Die poetische Nationalliteratur der Schweiz. 1876. IV. Band, S. 106-7.
Conrad (Ferdinand) Meyer, geboren den 12. Oktober 1825 in Zürich, Sohn des Regierungsrathes Dr. Ferdinand Meyer, hat nach Abrede mit einem zweiten, gleichen Familien- und Vornamen tragenden schweizerischen Dichter, um die beständige Verwechslung zu vermeiden, dem eigenen Vornamen den des Vaters beigesetzt. Den Vater verlor er schon 1840 und wurde durch eine fast überzarte Mutter von seltener Liebenswürdigkeit und Begabung erzogen, durchlief dann das Gymnasium seiner Vaterstadt, wo das Fach der deutschen Literatur durch Friedrich Haupt und den gewissenhaften Ettmüller vertreten war, welche beide Meyers Freunde geblieben sind. Hierauf verlebte er ein glückliches Jahr in Lausanne, froh, das ihm wenig zusagende Studium der Jurisprudenz, das als Lebensberuf für ihn vorgesehen war, so lang als möglich hinauszuschieben. Dann, nach bestandenem Maturitätsexamen, machte er sich auf der zürcherischen Universität an das Studium der Pandekten, entdeckte aber bald, daß er dazu keinen Beruf habe, und überließ sich, da sich ihm unter den damaligen Umständen und bei seiner einseitig künstlerischen Anlage keine andere lohnende Lebensaussicht darbot, und bei einem gewissen Mangel an selbstbestimmender Initiative, einer fast gänzlichen Muthlosigkeit. Lange Jahre brachte er in isolierten Privatstudien zu, bildete seine Kenntnisse in den alten Sprachen und der Geschichte aus, zeichnete und machte poetische Versuche, die aber aus Mangel an Berührung mit Vorbildern und Mitstrebenden bei vielleicht glücklichen Motiven in der Ausführung etwas Willkürliches und Unvollendetes behielten. Diese lange Abgeschlossenheit begann zuletzt trotz einer übrigens glücklichen und elastischen Konstitution ungünstig auf seine Nerven zu wirken. Der Rath eines Arztes entriß ihn dieser Lebensweise und den heimischen Verhältnissen. Hier ist der Wendepunkt seines Lebens. Die leichtere Atmosphäre in Lausanne und Genf, wohin er sich zunächst zu den Freunden seiner Familie wandte, und die fast väterliche Aufnahme, die er in dem gastfreien Hause des Geschichtschreibers Ludwig Vulliemin fand, ließen ihn aufthauen. Der raschere Austausch der Gedanken und die neuen geselligen Beziehungen lehrten ihn Seiten seines Wesens kennen, die ihm bis jetzt verborgen geblieben waren. Hier hat er die französische Sprache und Literatur mit Vorliebe studiert, Thierry's récits des temps mérovingiens und Anderes in's Deutsche übersetzt und seine ersten Balladen gedichtet. Dabei verlor er aber etwas vom Gefühl seiner in ihrer Fülle der französischen Knappheit entgegengesetzten Muttersprache, und die Balladen in ihrer ersten Gestalt tragen die Spur dieser zeitweisen Entfremdung an sich. Auch ein längerer Aufenthalt in Paris fällt in diese Zeit. Die Schönheit der Form ging ihm eigentlich erst später auf, als er, in seine Vaterstadt zurückgekehrt, mit deutschen Freunden in nahe Beziehung trat, sowie durch wiederholte Reisen nach Italien. Das Jahr 1870, unter dessen Inspiration er »Huttens letzte Tage« schrieb, hat ihn den deutschen Schriftstellern eingereiht.