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63. Kapitel

Von der Unannehmlichkeit, die Sancho Pansa bei dem Besuch der Galeeren erlitt, und von dem sonderlichen Abenteuer mit der schönen Moriskin

Über die Antwort des verzauberten Kopfes stellte Don Quijote vielfache Betrachtungen an, aber mit keiner von allen kam er hinter den Betrug, und alle fanden ihren Abschluß in der Verheißung, die er für untrüglich hielt, Dulcinea werde entzaubert werden. Darum drehten sich alle seine Gedanken, und darüber freute er sich in seinem Herzen, weil er hoffte, die Erfüllung baldigst zu sehen. Sancho aber, sosehr er, wie gesagt, einen Abscheu davor hatte, Statthalter zu sein, wünschte doch wieder zu befehlen und Gehorsam zu finden; das ist die unheilvolle Folge der Macht, mag sie auch nur eine scheinbare sein.

Indessen begaben sich an demselben Nachmittag Don Antonio Moreno, sein Wirt, und dessen beide Freunde mit Don Quijote und Sancho zu den Galeeren. Der Oberbefehlshaber, von ihrer Ankunft benachrichtigt, freute sich sehr, die beiden so berühmten Männer Quijote und Sancho kennenzulernen; und kaum waren sie am Hafen angelangt, als alle Galeeren ihre Sonnenzelte einzogen und die Schiffsmusik ertönte. Sogleich wurde das Boot ausgesetzt, es war mit reichen Teppichen und Kissen von karmesinrotem Samt belegt; und sobald Don Quijote den Fuß daraufsetzte, feuerte die Admiralsgaleere ihr Vordergeschütz ab, und die andern Galeeren taten dasselbe. Als er die Treppe am Steuerbord hinaufstieg, begrüßte ihn die ganze Rudermannschaft mit dem dreimaligen Rufe Hu! Hu! Hu! wie es Brauch ist, wenn eine vornehme Person an Bord kommt. Der General so wollen wir ihn nennen , ein vornehmer valencianischer Edelmann, umarmte Don Quijote und sprach: »Diesen Tag werde ich mit einem roten Strich im Kalender bezeichnen als einen der schönsten, die ich wohl je erleben werde, da ich heute den Señor Don Quijote von der Mancha gesehen, den Mann, in dem aller Glanz des fahrenden Rittertums enthalten und inbegriffen ist.«

In nicht weniger höflichen Ausdrücken antwortete ihm Don Quijote, über die Maßen vergnügt, sich so ganz als großen Herrn behandelt zu sehen. Nun begaben sich alle nach dem Achterdeck der Galeere, das schön geschmückt war, und nahmen auf den Seitenbänken Platz; der Galeerenvogt ging durch den Mittelgang nach der Vorderschanze und gab mit der Pfeife der Rudermannschaft das Zeichen, die Kleider abzulegen, was in einem Augenblick geschehen war. Sancho war starr vor Staunen, soviel pudelnackte Burschen zu sehen, und staunte noch mehr, als er die Sonnenzelte mit solcher Geschwindigkeit aufziehn sah, daß er meinte, es hätten alle Teufel dabei geholfen. Aber alles dieses war nur Zuckerbrot gegen andres, was ich jetzt erzählen will.

Sancho saß ganz still auf der Laufplanke neben dem Vormann auf der Steuerbordseite, als dieser, von seiner Rolle bereits unterrichtet, Sancho um den Leib faßte und ihn mit den Armen in die Höhe schwang; das ganze Rudervolk war auf den Beinen und auf der Lauer und schwang und warf ihn, auf der Steuerbordseite anfangend, von Ruderbank zu Ruderbank, mit solcher Geschwindigkeit, daß es dem armen Sancho vor den Augen nebelte und er glaubte, die Teufel in eigner Person führten ihn von dannen; die Ruderleute aber machten nicht eher halt, bis sie ihn die ganze Backbordseite entlang zurückgeschleudert und auf dem Achterdeck säuberlich hingesetzt hatten. Der arme Mensch war ganz zerschlagen; er keuchte und schwitzte und wußte überhaupt nicht, wie ihm geschehen war.

Als Don Quijote seinen Sancho ohne Flügel so fliegen sah, fragte er den General, ob das die Begrüßung sei, die jedem zuteil werde, der zum erstenmal die Galeeren besuche; denn wenn dies der Fall wäre, so wolle er Seinesteils, da er nicht beabsichtige, sich dem Schiffsdienste zu widmen, keineswegs derlei Übungen mitmachen, und er schwöre zu Gott, wenn jemand ihn anfassen wolle, um Fangball mit ihm zu spielen, so werde er ihm mit Fußtritten die Seele aus dem Leib herausstampfen. Mit diesen Worten stand er auf und legte die Hand ans Schwert. In diesem Augenblick zog man die Sonnenzelte wieder ein und ließ mit ungeheurem Krach die Hauptrah von hoch oben herunterfallen. Sancho meinte, der Himmel ginge aus den Angeln und stürze ihm gerade auf seinen Kopf; vor Angst duckte er sich und steckte den Kopf zwischen die Beine. Auch Don Quijote behielt seine Fassung nicht völlig; auch er entsetzte sich, zog den Kopf zwischen die Schultern und verlor alle Farbe aus dem Gesicht. Die Mannschaft hißte die Rahe mit demselben Hasten und Tosen auf, wie sie sie eingezogen hatte, und alles das in tiefem Schweigen, als ob die Leute weder Stimme noch Atem hätten. Der Schiffsvogt gab das Zeichen, den Anker zu lichten, sprang dann mitten in den Gang zwischen den Bänken mit seinem Farrenschwanz, der Sklavengeißel, und begann damit über die Rücken der Ruderknechte hinzufahren, und die Galeere stach langsam in die See.

Als Sancho so viele rotbemalte Füße, denn dafür hielt er die Ruder, sich auf einmal in Bewegung setzen sah, sagte er zu sich selber: Das sind wirklich Zaubergeschichten, nicht aber, was mein Herr für solche ausgibt. Was haben diese Unglücklichen getan, daß man sie so peitscht? Und wie kann dieser Mensch ganz allein, der da umhergeht und pfeift, die Frechheit haben, so viele Leute durchzuhauen? Da sag ich wahrlich, das ist die Hölle oder wenigstens das Fegfeuer.

Don Quijote, der sah, mit welcher Aufmerksamkeit Sancho den Vorgang betrachtete, sprach zu ihm: »Ha, Freund Sancho, wie geschwind und mit wie wenig Mühe könntest du, wenn du wolltest, deinen Oberkörper entkleiden und dich mit unter diese Herrschaften setzen und auf diese Weise Dulcineas Entzauberung vollenden! Denn bei dem Leid und Schmerz so vieler würdest du das deine nicht sonderlich spüren; und zumal könnt es auch sein, daß der weise Merlin jeden von diesen Hieben, da sie von so kräftiger Hand ausgeteilt werden, für zehn von denen anrechnete, die du dir doch am Ende aufzählen mußt.«

Der General wollte gerade fragen, was das für Hiebe seien und was es mit der Entzauberung Dulcineas auf sich habe, als der wachhabende Matrose rief: »Festung Monjuich meldet ein Ruderschiff an der Küste westwärts in Sicht.«

Bei diesen Worten sprang der General auf die Laufplanke und rief: »Drauflos, Kinder! daß es uns nicht entkommt! Es muß eine Brigantine von algerischen Korsaren sein, die uns der Wartturm meldet.«

Sogleich steuerten die andren drei Galeeren zum Admiralsschiff heran, um Befehle einzuholen. Der General befahl, zwei von ihnen sollten in See stechen; er selbst wolle mit der dritten die Küste entlangfahren, da ihnen auf solche Weise das Schiff nicht entkommen könne. Das Schiffsvolk schlug die Ruder mächtig ins Wasser und trieb die Galeeren mit solcher Gewalt vorwärts, daß sie zu fliegen schienen. Die beiden, die in See gestochen waren, entdeckten auf ungefähr zwei Meilen Entfernung ein Schiff, das sie dem Augenmaß nach auf ein Fahrzeug von etwa vierzehn bis fünfzehn Ruderbänken schätzten, wie es auch wirklich der Fall war; sobald das Schiff die Galeeren gewahr wurde, setzte es alle Ruder bei, in der Absicht und Hoffnung, durch seine Leichtigkeit zu entkommen. Aber dies geriet ihm schlecht, denn die Admiralsgaleere war eines der leichtesten Fahrzeuge auf See und bedrängte es so, daß die Leute auf der Brigantine einsahen, daß an ein Entrinnen nicht zu denken war. Ihr Schiffshauptmann oder Arráez wollte daher, sie sollten die Ruder fallen lassen und sich ergeben, um den Befehlshaber unsrer Galeere nicht zu reizen; allein das Schicksal hatte es anders beschlossen, und als die Admiralsgaleere schon so nah war, daß die Leute auf dem Schiff die Stimmen hören konnten, die ihnen zuriefen, sich zu ergeben, da geschah es, daß zwei Torakis, was ungefähr soviel bedeutet wie zwei besoffene Türken, die mit zwölf andren die Besatzung der Brigantine bildeten, ihre Büchsen abfeuerten und mit ihren Schüssen zwei Soldaten auf unserem Vordersteven töteten. Bei diesem Anblick schwur der General, keinen von allen, die er auf dem Schiffe fangen würde, am Leben zu lassen; er griff mit höchster Wut an, aber das Schiff entschlüpfte ihm unter den Rudern weg. Indessen überholte die Galeere es bald um eine tüchtige Strecke, und die Leute im Schiff sahen sich verloren; noch setzten sie alle Segel, während die Galeere wendete, und taten abermals ihr Äußerstes mit Segeln und Rudern, aber alle ihre Anstrengung half ihnen nicht soviel, als ihre Verwegenheit ihnen schadete, denn die Admiralsgaleere holte sie eine halbe Meile später ein, warf die Enterhaken aus und machte die ganze Besatzung lebendig zu Gefangenen. Inzwischen waren die zwei andern Galeeren herangekommen, und alle vier kehrten mit dem genommenen Schiff nach dem Strande zurück, wo eine unzählige Menge Volk es sie erwartete, begierig zu sehen, was sie mitbrächten.

Der General ging nah am Land vor Anker, wo er erfuhr, daß der Vizekönig von Barcelona am Hafenplatz anwesend war. Er ließ das Boot aussetzen, um ihn an Bord zu holen, und befahl, die Rah herunterzulassen, um auf der Stelle den Arráez und die übrigen Türken, die er auf dem Schiff gefangengenommen, zu hängen; es mochten ihrer gegen sechsunddreißig Mann sein, alles rüstige Leute und meistens türkische Scharfschützen. Der General fragte, wer der Arráez auf der Brigantine sei, und einer der Gefangenen, der nachher als ein spanischer Renegat erkannt wurde, antwortete ihm auf kastilianisch: »Der junge Mann hier ist unser Arráez, Señor.« Und hierbei zeigte er auf einen Jüngling, einen der schönsten und stattlichsten, die die menschliche Phantasie sich nur hätte malen können. Seinem Aussehen nach war er noch keine zwanzig Jahre alt. Der General fragte ihn: »Sag mir, frecher Hund, was bewog dich, mir meine Soldaten zu töten, da du doch sahst, daß es unmöglich war zu entkommen? Ist das die Achtung, die man einer Admiralsgaleere schuldet? Weißt du nicht, daß Tollkühnheit keine Tapferkeit ist? Zweifelhafte Aussichten dürfen den Menschen kühn, aber nicht tollkühn machen.«

Der Arráez wollte antworten, aber der General konnte ihn für den Augenblick nicht anhören, weil er dem Vizekönig zur Begrüßung entgegengehen mußte, der soeben mit mehreren Dienern und einigen Personen aus der Stadt an Bord gestiegen war.

»Die Beute war gut, Herr General«, sagte der Vizekönig.

»Wie gut sie war«, antwortete der General, »werden Euer Exzellenz sogleich sehen, wenn sie an dieser Rah hängt.«

»Warum das?« fragte der Vizekönig.

»Weil sie mir«, antwortete der General, »gegen alles Recht und gegen Vernunft und Kriegsbrauch zwei von den besten Soldaten umgebracht haben, die ich auf diesen Galeeren hatte, und ich habe geschworen, alle Gefangenen aufzuknüpfen, besonders diesen Burschen, welcher der Arráez der Brigantine ist.«

Hierbei zeigte er ihm den jungen Mann, der schon die Hände gebunden und den Strick um die Kehle hatte und den Tod erwartete. Der Vizekönig betrachtete ihn, und da er ihn so schön und so stattlich und so demütig dastehen sah und seine Schönheit ihm in diesem Augenblick höchster Gefahr einen Empfehlungsbrief gab, so stieg in dem Vizekönig der Wunsch auf, ihn dem Tod zu entreißen; er fragte ihn daher: »Sag mir, Arráez, bist du ein Türke oder ein Maure oder ein Renegat?«

Darauf antwortete der Jüngling, ebenfalls auf kastilianisch: »Ich bin weder ein Türke noch ein Maure noch ein Renegat.«

»Was bist du denn dann?« entgegnete der Vizekönig.

»Ein Weib, eine Christin«, antwortete der Jüngling.

»Ein Weib, eine Christin, und in solcher Tracht und in solcher Lage? Über so etwas kann man sich eher wundern als es glauben.«

»Verschiebt, o liebe Herren, die Vollstreckung meines Todesurteils«, sagte der Jüngling; »es kann nicht viel verlorengehen, wenn Eure Rache so lange zögert, bis ich Euch meine Lebensgeschichte erzählt habe.«

Wer wäre so harten Herzens gewesen, daß er sich durch diese Worte nicht hätte erweichen lassen oder wenigstens hätte anhören wollen, was der betrübte und kummervolle Jüngling zu sagen wünschte? Der General gestattete ihm vorzubringen, was er zu sagen habe; er möge aber nicht hoffen, Vergebung für seine erwiesene Schuld zu erlangen. Der Jüngling benutzte diese Erlaubnis zu folgender Erzählung: »Ich stamme von jenem Volke, dessen Unglück größer ist als seine Besonnenheit und auf welches in diesen Tagen ein Meer des Unheils herabgeströmt ist; meine Eltern sind Morisken. Im Verlauf ihres unglücklichen Geschickes wurde ich von zweien meiner Oheime nach der Berberei gebracht, ohne daß es mir etwas half, als ich ihnen erklärte, daß ich eine Christin sei, wie ich es wirklich bin, und zwar keine Scheinchristin, sondern eine wahre und echte. Bei den Beamten, die unsre jammervolle Austreibung zu überwachen hatten, half es mir nichts, dieses wahrhafte Bekenntnis abzulegen, und ebensowenig wollten ihm meine Oheime Glauben schenken; vielmehr hielten sie es für eine Lüge, erfunden zu dem Zwecke, daß ich in dem Lande meiner Geburt bleiben könnte; und so schleppten sie mich mit Gewalt fort. Ich hatte eine Christin zur Mutter und einen Vater, der verständig und nicht minder dem Christentum ergeben war; ich sog den katholischen Glauben mit der Muttermilch ein und war im sittlichen Wandel erzogen, und weder hierin, wie ich glaube, noch in der Sprache verriet ich jemals die Moriskin. Mit diesen Tugenden denn ich glaube, daß es solche sind hielten meine Reize, wenn ich einige besitze, gleichen Schritt und wuchsen mit ihnen, und obwohl mein Leben gewiß ein sehr sittsames und eingezogenes war, so genügte meine Zurückgezogenheit doch wohl nicht, um einem jungen Edelmann namens Don Gaspár Gregorio die Gelegenheit zu versagen, mich zu sehen. Er war der Sohn und Majoratserbe eines Herrn, der nah bei unsrem Dorfe seinen Edelsitz hatte. Wie er dazu gelangte, mich zu sehen und mich zu sprechen, wie er sich sterblich in mich verliebte und wie ich mich dennoch nicht ganz von ihm gewinnen ließ, das wäre zu weitläufig zu erzählen, zumal in einem Augenblick, wo ich fürchten muß, daß der grausame Strick, der mich bedroht, sich mir zwischen Zunge und Kehle zusammenschnüren wird; und so will ich nur sagen, daß Don Gaspár mich bei unsrer Auswanderung begleiten wollte. Er mischte sich unter die Morisken, die aus andern Orten auszogen, da er deren Sprache sehr gut verstand, und während der Reise schloß er Freundschaft mit meinen beiden Oheimen, die mich mitgenommen hatten; denn mein Vater, ein kluger und vorsichtiger Mann, hatte bereits nach der ersten Bekanntmachung des Ausweisungsbefehls unser Dorf verlassen und suchte in fremden Landen, wer uns aufnehmen möchte. Er hatte an einer Stelle, die ich allein kenne, viele Perlen und Steine von hohem Wert nebst einigem Barvorrat an goldenen Cruzados und Dublonen vergraben und verborgen zurückgelassen. Er gebot mir, unter keiner Bedingung jemals an diesen Schatz zu rühren, wenn man uns etwa vor seiner Rückkehr vertreiben sollte. Ich gehorchte und zog, wie gesagt, mit meinen Oheimen und andren Verwandten und Bekannten nach der Berberei, und der Ort, wo wir uns niederließen, war Algier; es war, als wären wir in die Hölle gekommen.

Der König erhielt von meiner Schönheit unverzüglich Nachricht, und der Ruf gab sie ihm auch von meinen Reichtümern, was teilweise mir zum Glück ausschlug. Er berief mich zu sich und fragte mich, aus welcher Gegend von Spanien ich sei und was für Geld und Kleinodien ich mitbrächte. Ich nannte ihm das Dorf und fügte bei, Geld und Kleinodien seien dort vergraben; sie seien aber mit Leichtigkeit in Besitz zu nehmen, wenn ich selber zurückkehrte, sie zu holen. Alles dieses sagte ich ihm aus Furcht, daß meine Schönheit, und in der Absicht, daß vielmehr seine Habsucht ihn verblenden möchte. Während er sich so mit mir unterhielt, meldete man ihm, mit mir zusammen sei einer der stattlichsten und schönsten Jünglinge gekommen, die man sich denken könne. Es war mir sogleich klar, daß damit Don Gaspár Gregorio gemeint sei, dessen Schönheit in der Tat die herrlichste und gepriesenste übertrifft. Ich geriet in Bestürzung, da ich die Gefahr erwog, in welcher Don Gáspar schwebte; denn unter jenen türkischen Barbaren wird ein schöner Knabe oder Jüngling höher gehalten und geschätzt als ein Weib, und wenn es noch so reizend wäre. Der König befahl sogleich, den Jüngling herbeizuführen, um ihn zu sehen, und fragte mich, ob es wahr sei, was man von dem jungen Mann sage. Ich nun, als hätte ich plötzlich vom Himmel eine Eingebung erhalten, sagte, es sei allerdings so, aber ich müsse ihm mitteilen, er sei kein Mann, sondern ein Weib wie ich, und ich bäte ihn, mir zu gestatten, daß ich ihm die Kleidung seines Geschlechts anlege, damit seine Schönheit sich in ihrem vollen Glanze zeigen und er ohne Verlegenheit vor seinen Augen erscheinen könne. Er antwortete mir, ich möchte nur immer hingehen und dies tun, und am nächsten Tage wollten wir besprechen, wie man es anfangen solle, daß ich nach Spanien zurückkehren könne, um den verborgenen Schatz zu heben. Ich sprach mit Don Gaspár, erzählte ihm die Gefahr, die ihm drohe, wenn er sich als Mann zeige, kleidete ihn in die Tracht einer Maurin und führte ihn noch an dem nämlichen Nachmittag vor den König, welcher das vermeinte Mädchen voll Bewunderung sah und sich vornahm, es als Geschenk für den Großherrn zu behalten. Da er die Gefahr vermeiden wollte, die ihr im Serail seiner Frauen drohen konnte, und da er sich vor sich selbst fürchtete, befahl er, sie zu vornehmen maurischen Damen zu bringen, welche sie bewachen und bedienen sollten, und so geschah es unverzüglich. Was wir beide empfanden denn ich leugne nicht, daß ich ihn liebe , mögen diejenigen würdigen, welche voneinander scheiden mußten, wenn sie sich von Herzen liebten.

Der König befahl sogleich, ich solle auf dieser Brigantine nach Spanien zurückkehren, begleitet von zwei seiner türkischen Soldaten; es waren dieselben, die Eure Soldaten erschossen haben. Auch fuhr dieser spanische Renegat mit mir herüber und hierbei deutete sie auf den, welcher zuerst gesprochen hatte ; »ich kenne ihn als einen heimlichen Christen, der weit lieber in Spanien bleiben als nach der Berberei zurückkehren möchte. Die übrige Mannschaft der Brigantine besteht aus Mauren und Türken, die nur zum Rudern zu gebrauchen sind. Die beiden Türken, habgierige und freche Leute, wollten dem Befehl nicht Folge leisten, mich und diesen Renegaten an der nächsten spanischen Küste in der Tracht von Christen, mit welcher wir versehen sind, an Land zu setzen; vielmehr beabsichtigten sie, erst an dieser Küste auf Kaperei zu kreuzen und womöglich irgendein Schiff zu erbeuten. Sie fürchteten, wenn sie uns vorher ans Land setzten, so könnten wir zwei durch irgendeinen Zufall verraten, daß die Brigantine noch auf See kreuze, und wenn etwa Galeeren an der Küste wären, würden diese das Schiff aufbringen. In letzter Nacht kam uns der Strand hier in Sicht, und ohne diese vier Galeeren zu bemerken, wurden wir von ihnen aufgespürt, und dann geschah, was Ihr gesehen habt. Es ist mithin so gekommen, daß Don Gaspár Gregorio in Frauenkleidern unter Frauen weilt, in augenscheinlicher Gefahr, ins Verderben zu geraten, und daß ich hier mit gebundenen Händen stehe, in der Erwartung, mein Leben zu verlieren, welches mir ohnehin schon zur Last wird. Dies ist, meine Herren, das Ende meiner traurigen Geschichte, die ebenso wahr als traurig ist. Ich bitte Euch: laßt mich als Christin sterben; denn, wie ich schon gesagt, in keinem Punkt war ich mitschuldig an der Schuld, in welche die Angehörigen meines Volkes gefallen sind.«

Hier schwieg sie, ihre Augen füllten sich mit schmerzlichen Tränen, und viele von den Anwesenden weinten mit ihr. Der Vizekönig, gerührt und voll Mitleid, trat zu ihr hin, ohne ein Wort zu sagen, und löste mit seinen eignen Händen den Strick von den schönen Händen der Maurin, der sie zusammengebunden hielt.

Während aber die christliche Moriskin ihre merkwürdige Geschichte erzählte, hielt ein alter Pilger, der zugleich mit dem Vizekönig an Bord der Galeere gekommen, die Augen auf sie geheftet, und kaum hatte die Moriskin ihre Rede beendet, als er sich vor ihr niederwarf, ihre Füße mit den Armen umfaßte und, von Schluchzen und Seufzen tausendmal unterbrochen, zu ihr sprach: »O Ana Felix, meine unglückliche Tochter, ich bin dein Vater Ricote, der zurückgekehrt ist, um dich aufzusuchen, weil ich ohne dich nicht leben kann, die du meine Seele bist!«

Bei diesen Worten riß Sancho seine Augen weit auf und hob den Kopf in die Höhe, den er im Nachsinnen über das Mißgeschick seiner Luftfahrt bisher gesenkt hielt, sah den Pilger aufmerksam an, erkannte in ihm denselben Ricote, den er an dem Tage angetroffen, wo er seine Statthalterschaft verließ, und erkannte nun auch seine Tochter, welche, jetzt ihrer Bande ledig, ihren Vater umarmte und ihre Tränen mit den seinigen mischte.

Ricote sprach zu dem General und dem Vizekönig: »Dies, verehrte Herren, ist meine Tochter, die minder glücklich in ihren Schicksalen als in ihrem Namen ist. Ana Felix heißt sie, mit dem Familiennamen Ricote, und war weitbekannt um ihrer Schönheit wie um meines Reichtums willen. Ich habe mein Vaterland verlassen, um in fremden Reichen zu suchen, wer uns Herberge und Aufnahme gewähren wolle, und als ich dies in Deutschland gefunden, kehrte ich in dieser Pilgertracht in Gesellschaft andrer Deutscher zurück, meine Tochter zu suchen und die großen Reichtümer auszugraben, die ich versteckt zurückgelassen hatte. Meine Tochter fand ich nicht, ich fand nur den Schatz, den ich bei mir habe, und jetzt, auf dem seltsamen Umweg, den Ihr mit angesehen, habe ich den Schatz gefunden, der mich am reichsten macht, meine geliebte Tochter. Wenn unsre Schuldlosigkeit und ihre Tränen und die meinigen in Eurem strengen Gerechtigkeitsgefühle dem Erbarmen eine Pforte zu öffnen vermögen, so lasset es uns zuteil werden, die wir niemals daran gedacht haben, Euch zu beleidigen, und niemals an den Anschlägen der Unsrigen teilgenommen, die mit Recht des Landes verwiesen wurden.«

Hier fiel Sancho ein: »Ich kenne den Ricote ganz gut und weiß, daß er die Wahrheit sagt in betreff dessen, daß Ana Felix seine Tochter ist; was aber die anderen Lappalien betrifft mit dem Fortreisen und Wiederkommen, mit den guten und bösen Anschlägen, das geht mich nichts an.«

Alle Anwesenden waren über den merkwürdigen Fall hocherstaunt, und der General sagte: »Ganz gewiß hindern mich Eure Tränen an der Erfüllung meines Schwures; lebet, schöne Ana Felix, soviel Lebensjahre Euch der Himmel beschieden hat. Aber jene zwei frechen, zuchtlosen Kerle sollen das Verbrechen büßen, das sie begangen haben.«

Sogleich befahl er, die beiden Türken, die seine Soldaten erschossen hatten, an der höchsten Rah aufzuknüpfen, aber der Vizekönig bat ihn inständig, sie nicht hängen zu lassen, da ihre Tat eher von Verrücktheit als von Rauflust zeuge. Der General erfüllte den Wunsch des Vizekönigs, denn Rache wird selten bei kaltem Blute geübt.

Dann beriet man, auf welche Weise Don Gaspár Gregorio aus der Gefahr, in der er schwebte, gerettet werden könnte. Ricote bot dafür eine Summe von über zweitausend Talern an, die er in Perlen und Kostbarkeiten bei sich hatte. Man ersann mancherlei Anschläge, aber keiner erschien so zweckmäßig wie der, welchen der vorher erwähnte spanische Renegat angab. Dieser erbot sich nämlich, in einer kleinen Barke von etwa sechs Ruderbänken mit christlichen Ruderern nach Algier zu fahren, da er wisse, wo, wie und wann er landen könne und müsse; auch sei ihm das Haus wohlbekannt, in dem Don Gaspár sich aufhalte. Der General und der Vizekönig hatten Bedenken, sich auf den Renegaten zu verlassen und ihm die Christen anzuvertrauen, welche die Ruder führen sollten, aber Ana Felix verbürgte sich für ihn, und ihr Vater Ricote erklärte, er werde das Lösegeld für die Christen bezahlen, falls ihnen etwa ein Unglück begegnen sollte. Nachdem sie sich für diesen Plan entschlossen hatten, fuhr der Vizekönig wieder an Land, und Don Antonio Moreno nahm die Moriskin und ihren Vater mit nach seinem Hause, wobei der Vizekönig ihm auftrug, sie nach bestem Vermögen zu bewirten und liebevoll zu pflegen, und ihm seinerseits alles anbot, was sich zu diesem Zwecke in seinem eigenen Hause finden würde. So groß war das Wohlwollen und das Mitgefühl, das die Schönheit der Ana Felix in seiner Brust erweckt hatte.


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