Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

47. Kapitel

Wo weitererzählt wird, wie sich Sancho Pansa in seiner Statthalterschaft benommen

Es erzählt die Geschichte, daß Sancho Pansa aus der Gerichtsstube zu einem prachtvollen Palast geführt wurde, wo in einem weiten Saale eine königlich besetzte Tafel aufs feinste hergerichtet war. Sobald Sancho in den Saal trat, ertönte Oboenklang und erschienen vier jugendliche Diener, ihm Wasser für die Hände zu reichen, was Sancho mit großer Würde entgegennahm. Die Musik hörte auf, und Sancho setzte sich auf den Ehrenplatz an der Tafel, weil kein anderer Sitz und auf dem ganzen Tisch kein andres Gedeck vorhanden war. Ihm zur Seite stellte sich ein Mann, der sich nachher als Arzt zu erkennen gab, mit einem Fischbeinstäbchen in der Hand. Das reichgestickte weiße Leintuch wurde weggenommen, mit welchem das Obst und eine große Auswahl von Schüsseln mit mannigfachen Gerichten zugedeckt war. Einer, der wie ein studierter Mann aussah, sprach den Segen, und ein Hausdiener legte Sancho ein spitzenbesetztes Vorstecktuch um; ein anderer, der das Amt des Truchsessen versah, setzte eine Platte mit Obst vor ihn hin; aber kaum hatte er einen Bissen verzehrt, da berührte der Mann neben ihm die Platte mit dem Stäbchen, worauf sie mit größter Geschwindigkeit abgetragen wurde. Indes setzte der Truchseß dem Statthalter von einem andern Gerichte vor; Sancho machte sich daran, es zu versuchen; allein ehe er noch zur Schüssel gelangte oder sie versuchte, hatte das Stäbchen sie schon berührt und ein Diener sie ebenso schnell wie den Teller mit Obst abgetragen.

Als Sancho dies sah, war er starr vor Staunen, schaute einem nach dem andern ins Gesicht und fragte, ob dies Mahl in ähnlicher Weise verzehrt werden solle, wie bei der Taschenspielerei die Kügelchen verschwinden. Der mit dem Stäbchen antwortete: »Hier darf nicht anders gespeist werden, als wie es Brauch und Sitte auf allen andern Insuln ist, wo Statthalter regieren. Ich, Señor, bin Arzt und werde auf dieser Insul besoldet, um deren Statthalter ärztlich zu behandeln, und auf deren Gesundheit bin ich weit mehr bedacht als auf die meinige. Zu diesem Zweck studiere ich Tag und Nacht und erforsche und ergrüble die Leibesbeschaffenheit des Statthalters, um ihn in richtiger Weise zu behandeln, wenn er in Krankheit verfallen sollte; und meine Haupttätigkeit besteht darin, daß ich seinen Mittags- und Abendmahlzeiten beiwohne, um ihn von den Speisen genießen zu lassen, die ihm nach meiner Meinung heilsam sind, und ihm das wegzunehmen, was ich für ihn und seinen Magen als nachteilig und schädlich erachte. Deshalb auch habe ich die Platte mit Obst wegnehmen lassen, weil Obst allzuviel Feuchtigkeit enthält, und ebenso die Schüssel mit dem andern Gericht, weil es allzu heiß war und viel Gewürze enthielt, die den Durst mehren, und wer zuviel trinkt, der vernichtet und zerstört jene Urfeuchtigkeit, die der Grundstoff des Lebens ist.«

»Dann wird jene Schüssel mit Rebhühnern, die dort gebraten zu sehn und meines Erachtens trefflich zubereitet sind, mir gewiß nicht schaden«, meinte Sancho.

Rasch entgegnete der Arzt: »Die soll der Herr Statthalter nicht zu essen bekommen, solange ich am Leben bin.«

»Aber warum?« fragte Sancho.

Der Arzt antwortete: »Weil unser aller Meister Hippokrates, der Leitstern und das Licht der Heilkunst, in einem seiner Lehrsprüche sagt: Omnis saturatio mala, perdices autem pessima; das heißt: Jede Sättigung ist schädlich, die Sättigung mit Rebhühnern aber am schädlichsten.«

.

»Wenn dem so ist«, versetzte Sancho, »so seht zu, Herr Doktor, welches unter all den Gerichten auf diesem Tische mir am zuträglichsten und welches mir am wenigsten schädlich ist, und laßt mich davon essen und schlagt mir mit Euerm Stecken nicht darauf, denn so wahr ich Statthalter bin und so wahr mein Leben mir von Gott noch lange soll erhalten bleiben, ich sterbe vor Hunger. Wenn man mich aber am Essen hindert, dann und da mag der Herr Doktor sagen, was er will raubt man mir eher das Leben, als es zu verlängern.«

»Euer Gnaden hat recht, Herr Statthalter«, entgegnete der Arzt, »und sonach halte ich dafür, daß Euer Gnaden nicht von dem Kaninchen-Ragout dort essen darf, denn es ist ein Gericht, in dem man leicht ein Haar findet. Von dem Kalbfleisch hier könntet Ihr schon was versuchen, wenn es nicht ein gedämpftes wäre; so aber darf es nicht sein.«

Und Sancho sprach: »Die große Schüssel, die dort vorne dampft, scheint mir Olla podrida zu sein, und da sich eine so große Mannigfaltigkeit von Eßbarem in derlei Ollas podridas findet, so kann mir's ja nicht fehlen, daß ich irgendwas drin finde, das mir schmeckt und zuträglich ist.«

»Auf keinen Fall!« sagte der Arzt; »fern von uns bleibe ein so böser Gedanke; es gibt nichts in der Welt, das schwerer verdaulich wäre! Das ist recht für Domherren oder für Schulrektoren oder für Bauernhochzeiten, aber nichts für Statthalter, wo nur das Allerbeste und Allerleckerste hinkommen darf; und zwar deshalb, weil stets einfache Heilmittel den zusammengesetzten vorzuziehen sind; denn bei den einfachen kann man sich nicht irren, wohl aber bei den zusammengesetzten, indem man Gewicht und Menge der Bestandteile nicht richtig einhält. Indessen was nach meiner Erfahrung der Herr Statthalter essen soll, um seine Gesundheit zu erhalten und zu stärken, das ist ein Hundert Waffelröhrchen nebst dünnen Scheiben Quittenfleisch, die Euch den Magen in Ordnung bringen und die Verdauung befördern.«

Als Sancho das hörte, stemmte er seinen Rücken gegen die Lehne des Sessels, sah dem so trefflichen Arzt starr und unverwandt ins Gesicht und fragte ihn mit ernstem strengem Ton, wie er heiße und wo er studiert habe.

Er antwortete: »Ich, Herr Statthalter, heiße Doktor Peter Stark von Deutungen, bin gebürtig aus Machdichfort, einem Dorf, das zwischen Caracuel und Almodóvar del Campo zur rechten Hand liegt, und habe promoviert an der Universität Osuna.«

Da sprach Sancho, ganz von Zorn entbrannt: »Also denn, Herr Doktor Peter Stark von bösen Deutungen, gebürtig aus Machdichfort, einem Dorf, das zwischen Caracuel und Almodóvar del Campo zur rechten Hand liegt, der Ihr in Osuna promoviert habt, verschwindet auf der Stelle; andernfalls schwör ich beim Licht der Sonne, ich nehm einen Prügel und treibe zuerst Euch und dann alle anderen Ärzte mit Stockprügeln hinaus, daß mir keiner auf der Insul bleiben soll, wenigstens keiner von denen, welche ich als Dummköpfe erfinde, die nichts verstehen; die gelehrten, einsichtigen und verständigen Ärzte aber, vor denen will ich mein Haupt in Demut neigen und sie als göttliche Männer verehren. Und nun sag ich nochmals, Peter Stark soll verschwinden, sonst nehm ich den Sessel hier, auf dem ich sitze, und schlag ihn an seinem Kopf in tausend Stücke; und wenn meine Amtsführung zur Untersuchung kommt, mag man dafür Rechenschaft von mir fordern, da werde ich erklären, ich hätte Gott einen Dienst damit getan, daß ich einen schlechten Arzt, einen Henkersknecht und Verderber des Gemeinwesens aus der Welt geschafft habe. Aber nun gebt mir zu essen, andernfalls nehmt meine Statthalterschaft wieder an Euch; ein Amt, das seinen Mann nicht nährt, ist keine Bohne wert.«

Der Doktor geriet in Angst, als er den Statthalter so zornig sah, und wollte eben das Machdichfort aus dem Saal spielen, wenn nicht im nämlichen Augenblick ein Posthorn auf der Straße geblasen hätte; der Truchseß sah zum Fenster hinaus und wandte sich mit den Worten ins Zimmer zurück: »Da kömmt ein Eilbote von meinem Herrn, dem Herzog; er muß eine Meldung von Wichtigkeit bringen.«

Der Eilbote trat schwitzend und ängstlich in den Saal, nahm einen verschlossenen Brief aus dem Busen und überreichte ihn dem Statthalter; Sancho übergab ihn dem Haushofmeister und hieß ihn die Aufschrift lesen, welche lautete: An Don Sancho Pansa, Statthalter der Insul Baratária, zu eigenen Händen oder zu denen seines Geheimschreibers.

Als Sancho dies hörte, fragte er: »Wer ist hier mein Geheimschreiber?«

Einer der Anwesenden antwortete: »Ich, Señor, denn ich kann lesen und schreiben und bin ein Biskayer.«

»Damit könntet Ihr auch beim Kaiser selber Geheimschreiber sein«, sagte Sancho. »öffnet den Brief und seht nach, was er besagt.«

Der neugebackene Geheimschreiber tat so, und nachdem er den Inhalt gelesen, bemerkte er, es sei eine Angelegenheit, die unter vier Augen verhandelt werden müsse.

Sancho befahl, den Saal zu räumen; es solle niemand als der Haushofmeister und der Truchseß dableiben. Die andern entfernten sich, auch der Arzt; und sofort las der Geheimschreiber den Brief vor, welcher folgendermaßen lautete:

 

Es ist zu meiner Kenntnis gekommen, Señor Don Sancho Pansa, daß Feinde von mir und Eurer Insul einen schweren Angriff auf sie unternehmen wollen, ich weiß nicht in welcher Nacht; es gilt also, wachsam und auf der Hut zu sein, damit sie Euch nicht unvorbereitet überfallen. Ich erfahre auch durch zuverlässige Kundschafter, daß vier Leute verkleidet in Eure Stadt gekommen sind, um Euch das Leben zu rauben, weil sie sich vor Eurer geistigen Überlegenheit fürchten; haltet die Augen offen und beobachtet scharf, wer Euch zu sprechen kommt, und eßt von nichts, was man Euch vorsetzt. Ich werde darauf bedacht sein, Euch zu Hilfe zu kommen, wenn Ihr Euch in Nöten seht; Ihr aber werdet in allem handeln, wie von Eurer Einsicht zu erwarten steht.

Gegeben dahier, am sechzehnten August, um vier Uhr morgens.

Euer Freund, der Herzog

 

Sancho geriet in großen Schrecken, und die Umstehenden zeigten die gleiche Bestürzung. Er wandte sich zum Haushofmeister und sagte ihm: »Was jetzo zu tun ist, muß auf der Stelle geschehen: der Doktor Stark muß in ein Kerkerloch geworfen werden, denn wenn irgendeiner mich tot haben will, so ist er es sicherlich, und zwar mit dem langsamsten, ärgsten Tod, nämlich dem Hungertod.«

»Auch ich bin der Meinung«, sagte der Truchseß, »daß Euer Gnaden nichts von alldem essen soll, was hier auf der Tafel steht, denn Nonnen haben es hergeschickt, und wie man zu sagen pflegt, hinter dem Kreuze steht der Teufel auf der Lauer.«

»Das kann ich nicht leugnen«, erwiderte Sancho; »so gebt mir für jetzt ein Stück Brot und etwa vier Pfund Trauben, in denen kann kein Gift stecken; denn wahrlich, ich kann's nicht aushalten, ohne was zu essen. Und wenn wir uns wirklich für die bewußten Schlachten bereithalten sollen, die uns dräuen, so müssen wir notwendigerweise gehörig genährt sein, denn der Magen hält das Herz aufrecht und nicht das Herz den Magen. Ihr aber, Geheimschreiber, verfaßt eine Antwort an den Herzog, meinen Herrn, und sagt ihm, es soll alles ausgeführt werden, was er befiehlt und wie er es befiehlt, ohne daß ein Tüpfelchen daran fehlt. Gebt auch der Herzogin, meiner gnädigen Frau, einen Handkuß von mir, und ich lasse sie bitten, sie möge nicht vergessen, meinen Brief und mein Bündel mit einem besonderen Boten an meine Frau Teresa Pansa zu senden; sie würde mir dadurch eine große Gnade erweisen, und ich würde mich bemühen, ihr in allem, was meine Kräfte vermögen, zu dienen. Ihr könnt auch einen Handkuß für meinen Herrn Don Quijote einflicken, damit er sieht, daß ich für sein Brot dankbar bin. Und als ein guter Geheimschreiber und ein guter Biskayer könnt Ihr noch beifügen, soviel Ihr Lust habt und was sich am besten schickt. Jetzt aber deckt ab oder gebt mir was zu essen, und ich meinesteils will schon mit allen Kundschaftern und Mördern und Zauberern fertigwerden, die etwa mich und meine Insul angreifen wollen.«

Indem trat ein Hausdiener ein und sagte: »Es ist ein Bauer da, der ein Anliegen hat, und er will über das Anliegen, das, wie er sagt, sehr wichtig ist, mit Euer Gnaden sprechen.«

»Das ist ein seltsam Ding mit den Leuten, die ein Anliegen haben«, sprach Sancho; »können sie so dumm sein und nicht einsehen, daß derlei Stunden wie die jetzige nicht die Zeit sind, wo man kommt und über ein Anliegen verhandelt? Sind vielleicht wir Statthalter, wir Richter nicht auch Menschen von Fleisch und Blut? Kann man uns denn nicht so lange ausruhen lassen, als unser Bedürfnis erfordert? Sollen wir denn aus Marmelstein sein? Bei Gott und meiner armen Seele, wenn meine Statthalterschaft länger dauert sie wird aber nicht dauern, wie ich schon merke , so will ich mehr als einen von denen, die mit Anliegen kommen, gehörig vornehmen. Jetzt sagt dem Menschen, er soll eintreten; aber man soll vorher achthaben, daß er nicht einer von den Kundschaftern ist oder gar mein Mörder.«

»Gewiß nicht, Señor«, antwortete der Diener, »denn er sieht aus wie einer, der das Pulver nicht erfunden hat, und ich müßte mich nicht drauf verstehen, wenn er nicht so unschuldig ist wie das liebe Brot.«

»Es ist nichts zu fürchten«, sagte der Haushofmeister, »wir sind ja alle hier zur Hand.«

»Ginge es nicht an, Truchseß«, sprach Sancho, »daß ich jetzt, wo der Doktor Stark nicht da ist, etwas Tüchtiges und Nahrhaftes zu mir nähme, wäre es auch nur ein Stück Brot und eine Zwiebel?«

»Diesen Abend beim Nachtmahl soll die Entbehrung des Mittagessens wiedergutgemacht und soll Euer Gnaden zufriedengestellt und schadlos gehalten werden«, sagte der Truchseß.

»Das gebe Gott«, entgegnete Sancho.

Indem trat der Bauer ein; er sah ganz anständig aus, und man konnte ihm auf tausend Meilen die Ehrlichkeit und Gutmütigkeit aus dem Gesichte lesen. Das erste, was er sagte, war: »Wer ist hier der Herr Statthalter?«

»Wer soll es sein«, antwortete der Geheimschreiber, »als der Herr, der auf dem Sessel sitzt!«

»Dann bücke ich mich in Ehrerbietung vor ihm«, sagte der Bauer, warf sich auf die Knie und erbat sich seine Hand, um sie zu küssen. Sancho verweigerte sie ihm und hieß ihn aufstehen und sagen, was er wolle. Der Bauer tat also und sprach sodann: »Ich, Señor, bin ein Bauer aus Miguel Turra, einem Ort zwei Meilen von Ciudad Real.«

»Haben wir schon wieder ein Machdichfort?« entgegnete Sancho. »Redet nur zu, mein Lieber; ich kann Euch sagen, daß ich Miguel Turra sehr gut kenne und daß es nicht weit von meinem Dorf ist.«

»Die Sache ist die, Señor«, fuhr der Bauer fort, »daß ich durch Gottes Barmherzigkeit mich seinerzeit im Licht und Angesicht der heiligen römisch-katholischen Kirche verheiratet habe; ich habe zwei Söhne, die studieren, und der jüngere studiert auf den Baccalaureus und der ältere auf den Lizentiaten. Ich bin Witwer, denn meine Frau ist gestorben, oder richtiger gesagt, ein schlechter Arzt hat sie mir umgebracht, indem er ihr etwas zum Abführen eingab, während sie schwanger war, und wäre es Gottes Wille gewesen, daß das Kind richtig zur Welt gekommen wäre, und es wäre ein Knabe gewesen, so hätt ich ihn auf den Doktor studieren lassen, damit er auf seine Brüder, den Baccalaur und den Lizentiaten, keinen Neid zu haben brauchte.«

»Demnach«, sagte Sancho, »wäre Eure Frau nicht ums Leben gekommen oder ums Leben gebracht worden, so wäret Ihr anitzo kein Witwer.«

»Nein, Señor, gewiß nicht«, antwortete der Bauer.

»Hiermit also wären wir im reinen«, versetzte Sancho. »Weiter, mein Lieber, es ist jetzt eher Zeit zum Schlafen, als derlei Anliegen zu erledigen.«

»Ich sage also«, sprach der Bauer, »daß mein Sohn, derjenige, der Baccalaur werden soll, sich in ein Mädchen in derselben Stadt verliebt hat namens Clara Perlerina, die Tochter des Andres Perlerino, eines sehr reichen Bauern; und diesen Namen Perlerino haben sie nicht ihrer Abstammung oder sonst ihrer Familie wegen, sondern weil alle aus diesem Hause perlatisch, das heißt gichtbrüchig sind, und damit der Name besser klingt, heißt man sie nicht Perlatische, sondern Perlerins. Allerdings ist auch das Mädchen, wenn man die Wahrheit sagen soll, wie eine Perle vom Morgenland, und wenn man sie auf der rechten Seite anschaut, sieht sie aus wie eine Blume im Feld; aber auf der linken ist's nicht ganz so, denn es fehlt ihr das linke Auge, das ist ihr von den Blattern ausgelaufen. Und wiewohl die Pockennarben in ihrem Gesicht zahlreich und groß sind, so sagen doch die Leute, die die Clara liebhaben, es wären keine Narben, sondern Gräber, darin die Herzen ihrer Liebhaber begraben werden. Sie liebt die Reinlichkeit so sehr, daß sie, um ihr Gesicht nicht zu verunreinigen, die Nase sozusagen aufgestülpt trägt, so daß es ganz den Anschein hat, als wollte die Nase vor dem Mund davonlaufen. Trotz alledem sieht sie ausnehmend schön aus, denn sie hat einen großen Mund, und wenn nicht darin zehn oder zwölf Vorder- und Backenzähne fehlten, könnte der Mund unter den schönstgeformten mitgehen, ja sich hervortun. Von den Lippen habe ich nichts zu sagen, denn sie sind so dünn und fein, daß, wenn es der Brauch wäre, Lippen aufzuhaspeln, man sie zu einem Strang Zwirn brauchen könnte; doch da ihre Farbe verschieden von der sonst bei Lippen gewöhnlichen ist, so sehen sie gar wunderbar aus, blau und grün und violett gesprenkelt. Aber verzeiht mir, Herr Statthalter, wenn ich so ins einzelne die Züge des Mädchens male, das am Ende doch immerhin meine Tochter werden soll; ich habe sie sehr lieb, und sie mißfällt mir gar nicht.«

»Malt, was Ihr Lust habt«, entgegnete Sancho; »ich habe meine Freude an Eurem Gemälde, und wenn ich nur gegessen hätte, so gäb's keinen besseren Nachtisch für mich als Eure Konterfeiung.«

»Dafür muß ich ergebensten Dank sagen«, erwiderte der Bauer; »aber was nicht ist, kann noch werden. Und ich sage Euch, Señor, wenn ich ihr liebreizendes Wesen und ihren hohen Wuchs malen könnte, so wäre es etwas Wunderbares; aber ich kann's nicht, weil sie bucklig ist und der Hals ihr in den Schultern steckt und ihre Knie zum Mund heraufgezogen sind, und bei alledem kann man wohl sehen, daß sie, wenn sie sich aufrichten könnte, mit dem Kopf ans Dach stoßen würde. Auch würde sie meinem Baccalaur schon längst die Hand zur Ehe gereicht haben, nur daß sie sie nicht ausstrecken kann, weil sie lauter Knollen an den Gelenken hat; aber trotzdem sieht man an ihren breiten gerieften Nägeln, daß sie vom echten Schlag und von guter Art ist.«

»Gut jetzt«, fiel Sancho ein, »und bedenkt, daß Ihr sie bereits von Kopf zu Fuß abgeschildert habt. Was wollt Ihr eigentlich? Kommt zur Sache ohne Umwege und Nebenwege, ohne Lappalien und Anhängsel.«

»Ich wünschte, Señor«, erwiderte der Bauer, »Euer Gnaden möchte mir die Gnade erweisen, mir einen Empfehlungsbrief an meinen Gegenschwäher mitzugeben und ihn zu bitten, er möchte die Gewogenheit haben und in diese Heirat willigen, da wir an Gütern des Glücks und der Natur nicht ungleich sind; denn die Wahrheit zu sagen, Herr Statthalter, mein Sohn ist vom Teufel besessen, und es vergeht kein Tag, wo ihn die bösen Geister nicht drei- oder viermal heimsuchen. Und weil er einmal ins Feuer gefallen ist, davon hat er das Gesicht verrunzelt wie Pergament, und die Augen tränen und fließen ihm ein wenig. Aber er hat ein Gemüt wie ein Engel, und wenn er sich nicht manchmal selbst zerprügelte und sich Faustschläge gäbe, wäre er ein gottseliger Junge.«

»Wünscht Ihr sonst noch was, braver Mann?« sprach Sancho dagegen.

»Ich wünschte wohl noch was«, antwortete der Bauer, »nur wage ich es nicht zu sagen; indessen heraus damit, denn zuletzt soll mir's doch nicht im Leibe verfaulen, mag's nun glücken oder mißglücken. Ich sage also, Señor, Ich wünschte, Euer Gnaden gäbe mir dreihundert oder sechshundert Taler für die Ausstattung meines Baccalaur, ich meine für die Einrichtung seines Hauses, denn am Ende müssen sie doch selbständig für sich leben, ohne den bösen Launen der Schwiegereltern ausgesetzt zu sein.«

»Überlegt Euch, ob Ihr sonst noch was wollt«, sagte Sancho, »und laßt Euch nicht etwa durch Blödigkeit oder Verschämtheit abhalten, es zu sagen.«

»Nein, gewiß nicht«, antwortete der Bauer.

Und kaum hatte er das gesagt, als der Statthalter auf beide Füße sprang, den Sessel ergriff, auf dem er gesessen hatte, und ausrief: »Ich schwör's bei dem und jenem, Er Klumpfuß, Er Bauernlümmel, Er Esel, wenn Er mir nicht gleich aus den Augen geht und verschwindet, so will ich Ihm mit diesem Stuhl den Kopf zerschlagen und entzweispalten! Du Schelm von einem Hurensohn, du Hofmaler beim Teufel selber! Jetzt kommst du und verlangst sechshundert Taler von mir? Wo soll ich sie denn hernehmen, du Rotzbub? Und warum soll ich sie dir geben, selbst wenn ich sie hätte, du Gauner, du hirnverbrannter Kerl? Was liegt mir an Miguel Turra und der ganzen Sippschaft der Perlerins? Fort mit dir, sag ich; oder, beim Leben des Herzogs, meines Herrn, ich tue, was ich gesagt. Du bist sicher nicht aus Miguel Turra, sondern bist so ein Spitzbube, den die Hölle hergeschickt hat, um mich zu versuchen. Sag mir doch, Verruchter, es ist noch nicht einmal anderthalb Tage her, seit ich Statthalter bin, und du willst, ich soll schon sechshundert Taler haben?«

Der Truchseß winkte dem Bauern, er solle den Saal verlassen; der ließ den Kopf hängen und ging, scheinbar voller Furcht, der Statthalter möchte seine Drohung ausführen; der arge Schelm wußte seine Rolle aufs beste zu spielen.

Aber lassen wir Sancho jetzt mit seinem Zorn, lassen wir Frieden im Kreise dort walten und kehren wir zurück zu Don Quijote, den wir mit verbundenem Gesicht verlassen haben, der Heilung seiner Kratzwunden obliegend, von welchen er in acht Tagen noch nicht völlig hergestellt war. An einem dieser acht Krankentage begegnete ihm etwas, was Sidi Hamét mit derselben Genauigkeit und Wahrheitsliebe zu erzählen verspricht, wie er alle Umstände in dieser Geschichte zu erzählen pflegt, so geringfügig sie auch seien.


 << zurück weiter >>