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Die vornehme Küchenmagd.


In der angesehenen und berühmten Stadt Burgos lebten vor mehreren Jahren zwei vornehme, reiche Ritter. Der eine hieß Don Diego von Carriazo und der andere Don Juan von Avendanno. Don Diego hatte einen Sohn, welchem er seinen eigenen Namen beilegte, und Don Juan hatte ebenfalls einen, den er Don Tomas von Avendanno nannte. Diese beiden jungen Ritter, welche in dieser Erzählung die Hauptrollen spielen werden, wollen wir zur Ersparung von Raum und Buchstaben kurzweg bei ihren Namen Carriazo und Avendanno nennen.

Dreizehn Jahre oder etwas mehr mochte Carriazo alt sein, als er, von einem gewissen Hang zum Landstreicherleben verführt, ohne daß ihn etwa eine Mißhandlung von Seiten seiner Eltern dazu zwang, sondern einzig und allein aus Laune und Neigung, aus dem elterlichen Hause durchgieng, wie die Knaben sagen, und in die weite Welt lief. Er fühlte sich bei seiner ungebundenen Lebensweise so glücklich, daß er mitten unter den Beschwerden und Unannehmlichkeiten, die sie mit sich führte, den Ueberfluß des Hauses seines Vaters nicht vermißte. Das Fußreisen ermüdete ihn nicht, die Kälte drückte ihn nicht und die Hitze wurde ihm nicht lästig; für ihn war jede Jahreszeit ein milder, lieblicher Lenz; auf Stroh schlief er so gut, wie auf Matratzen, und er begrub sich mit eben dem Behagen in den Heuschober irgend einer Schenke, als wenn er sich zwischen seine holländischen Betttücher gesteckt hätte. Kurz er ward ein so vollkommener Landstreicher, daß er dem berühmten von Alfarache »Guzmán de Alfarache« (1599) war ein Roman des Spaniers Mateo Alemán; das Werk, auch wenn es nicht das erste dieser Art ist (dies war » Lazarillo de Tormes«, 1554), machte den Schelmenroman in Spanien populär und fand viele Nachfolger. Alfarache ist also – im Gegensatz zu dem Anschein, den der Novellentext erweckt – eine fiktive Figur, hätte Vorlesungen darüber halten können.

Während der drei Jahre, die er nicht wieder in seinem Hause erschien noch zurückkehrte, lernte er in Madrid das Knöchelspiel, Triumph in den Kneipen von Toledo, und Bassett in den Vorwerken von Sevilla. Aber obgleich Entbehrung und Elend mit dieser Lebensweise nothwendig verbunden sind, zeigte doch Carriazo sich wie ein Fürst in seinen Handlungen. Auf Büchsenschußweite erkannte man an tausend Zeichen, daß er von guter Geburt war, denn er war edel und freigebig gegen seine Kameraden, besuchte selten die Keller des Bacchus, und wenn er auch Wein trank, so war es so wenig, daß er nie unter die Zahl derer gehörte, die man Säufer nennt, und die bei einem einzigen Gläschen, das sie über Durst trinken, schon ein Gesicht haben, als hätten sie sich mit Mennig Bleimennige bzw. Eisenmennige: ein leuchtend rotes Pulver, seit der Antike wird sie auch als Pigment in Malerfarben verwendet. ( Anm.d.Hrsg.) und Zinnober bestrichen. Kurz die Welt sah an Carriazo einen tugendhaften, reinen, wohlerzogenen und mehr als gewöhnlich verständigen Landstreicher.

Er gieng durch alle Grade des Handwerks, bis er die Meisterschaft erreichte in den Thunfischereien von Zahara, wo das finibus terrae der Landstreicherei ist. O ihr schmutzigen, groben und strohköpfigen Küchenjungen, ihr verstellten Armen und falschen Krüppel, ihr Beutelschneider von Zocodover, vom Platz in Madrid, ihr prahlerischen Aufschneider, ihr Korbträger von Sevilla, ihr wälschenden Hurendiener, nebst der ganzen unzähligen Schaar, die unter dem Namen Landstreicher begriffen sind, laßt euren Stolz fahren, ziehet die Segel ein, und nennt euch nicht wahre Landstreicher, wenn ihr nicht zweimal den Curs auf der Akademie der Thunfischerei durchlaufen habt!

Dort, dort ist Arbeit mit der Faulheit wie in ihrem Mittelpuncte vereinigt; dort ist der Schmutz reinlich, dort ist Fett strotzend, der Hunger stets bei der Hand, die Uebersättigung im Ueberfluß, das Laster geht ohne Larve, das Spielen hört nicht auf, Streit jeden Augenblick, Mord bei jedem Schritte, Schimpfreden auf dem Wege, Tänze wie auf Hochzeiten, Reigenlieder wie gedruckt, hochtrabende Romanzen und Poesie ohne Handlung. Hier wird gesungen, dort geflucht, hier gestritten, dort gespielt und überall gestohlen; hier wohnt die Freiheit und haust die Mühsal. Hierher gehen oder schicken viele vornehme Eltern, um ihre Söhne zu suchen und finden sie, und es geht ihnen so nahe, wenn sie aus diesem Leben weggenommen werden, als wenn sie sie in den Tod führten.

Doch aller dieser Süßigkeit, die ich geschildert habe, ist ein bitterer Wermuth beigemischt, der sie vergällt; und der besteht darin, daß man keinen ruhigen Schlaf thun kann ohne die Furcht, plötzlich von Zahara nach der Barbarei versetzt zu werden. Deshalb ziehen sie sich des Nachts auf einige Thürme an der Seeküste zurück und stellen ihre Küstenbewahrer und Schildwachen aus, auf deren Augen vertrauend sie die ihrigen schließen. Freilich hat es sich auch schon ereignet, daß Schildwachen und Küstenbewahrer, Landstreicher, Gesellen, Boote und Netze, nebst dem ganzen Schwarme, der dabei beschäftigt ist, des Abends in Spanien und den Morgen darauf in Tetuan sich befand. Doch die Furcht vor diesen Gefahren schreckte unsern Carriazo nicht ab, drei Sommer hierher zu kommen und sich gute Tage zu machen.

Den letzten Sommer wollte ihm das Glück so, daß er im Kartenspiel gegen siebenhundert Realen gewann, womit er sich zu kleiden und nach Burgos zurückzukehren beschloß, um vor seiner Mutter zu erscheinen, die schon manche Thräne seinetwegen vergossen hatte. Er nahm Abschied von seinen Freunden, deren er viele hatte und mit welchen er sehr gut stand, versprach ihnen, den nächsten Sommer wieder bei ihnen zu sein, wenn ihn nicht Krankheit oder Tod verhindere, ließ ihnen die Hälfte seines Herzens zurück und widmete alle seine Wünsche diesen dürren Sandküsten, die ihm frischer und grüner vorkamen, als die elysischen Gefilde. Weil er an das Fußreisen gewöhnt war, so machte er sich ohne Weiteres auf den Weg und gelangte in einem Paar Binsenschuhe von Zahara bis Valladolid und sang das Lied:

Drei Enten, meine Mutter!

Er blieb dort vierzehn Tage, um die Farbe seines Gesichts etwas herzustellen und es aus einem mulattischen zu einem flämischen zu machen und den Schmutz eines Landstreichers abzuthun und auszuziehen und die Sauberkeit eines Ritters anzulegen. Dieß alles wurde mit der Bequemlichkeit ausgeführt, welche ihm fünfhundert Realen gewährten, die er von Valladolid mitgebracht hatte; ja er behielt noch hundert übrig, womit er sich seinen Eltern ehrenvoll und vergnügt vorstellte. Sie empfiengen ihn voll Freude und alle ihre Freunde und Verwandte kamen, um sie zu beglückwünschen über die glückliche Rückkehr des Herrn Don Diego de Carriazo, ihres Sohnes.

Es ist zu bemerken, daß Diego auf seinen Wanderungen den Namen Carriazo mit Urdiales vertauschte und sich von Leuten, welche seinen wahren Namen nicht kannten, diesen beilegen ließ. Unter denen, welche den Neuangekommenen besuchten, war Don Juan von Avendanno und sein Sohn Don Tomas, mit welchem Carriazo, da beide von gleichem Alter und Nachbarn waren, die engste Freundschaft anknüpfte und pflegte.

Carriazo erzählte seinen Eltern und allen tausend lange prachtvolle Lügen über Dinge, die ihm in den drei Jahren seiner Abwesenheit begegnet seien, nie aber berührte er auch nur entfernt die Thunfischereien, obwohl er sie beständig im Gedächtniß behielt, zumal als er die Zeit herankommen sah, in welcher er seinen Freunden zurückzukehren versprochen hatte. Weder die Jagd unterhielt ihn mehr, womit sein Vater ihn beschäftigte, noch die häufigen ehrenvollen und kostbaren Gastmale, die in jener Stadt Sitte sind, machten ihm Vergnügen; jeder Zeitvertreib langweilte ihn, und den besten Unterhaltungen, die man ihm anbot, zog er diejenigen vor, die er bei den Thunfischereien genossen hatte.

Da ihn nun sein Freund Avendanno oft traurig und tiefsinnig sah, wagte er, im Vertrauen auf ihre Freundschaft, ihn um die Ursache zu fragen, und machte sich verbindlich, dieselbe zu heben, wenn er könne und es möglich sei, und müßte es mit seinem Blute geschehen. Carriazo wollte ihm nicht gern etwas verhehlen, um die Freundschaft, die er für ihn zu hegen erklärte, nicht zu beeinträchtigen. Er erzählte ihm also Punct für Punct das Fischerleben, und sagte ihm, daß seine ganze Traurigkeit und Tiefsinnigkeit aus dem Wunsch entspringe, wieder dorthin zurückzukehren. Er schilderte ihm dieses Leben auf eine Art, daß Avendanno, als er ihn angehört hatte, seinen Geschmack mehr lobte, als tadelte.

Am Ende des Gesprächs hatte Carriazo Avendannos Neigung so erweckt, daß er beschloß, mit ihm zu gehen und einen Sommer hindurch jenes beschriebene glückseelige Leben zu genießen. Carriazo war hierüber außerordentlich vergnügt, weil er einen giltigen Zeugen gefunden zu haben glaubte, der seinen niedrigen Entschluß billige.

Sie berathschlagten sich sofort, wie sie möglichst viel Geld zusammenbringen möchten. Das Beste, auf was sie verfielen, war am Ende, daß Avendanno in zwei Monaten nach Salamanca gehe, wo er zu seinem Vergnügen drei Jahre lang die griechische und lateinische Sprache studiert hatte und wo sein Vater wünschte, daß er seine Studien fortsetzen und irgend ein beliebiges Hauptfach wählen möchte. Von dem Gelde, das ihm sein Vater hiezu geben würde, glaubten sie zu ihrem Vorhaben auszureichen.

Carriazo machte daher seinem Vater den Vorschlag, er wolle mit Avendanno die Universität Salamanca beziehen. Sein Vater gieng mit Vergnügen darauf ein, sprach mit Avendannos Vater und sie beschloßen, ihre Söhne in Salamanca zusammen in einem Hause wohnen zu lassen und sie mit allen Erfordernissen zu versehen, wie es sich für ihren Stand schicke.

Die Zeit der Abreise kam heran, sie versahen ihre Söhne mit Geld und gaben ihnen zu ihrer Aufsicht einen Hofmeister mit, der mehr Gutmüthigkeit besaß, als Verstand. Die Eltern gaben ihren Kindern noch manche gute Lehren mit auf den Weg, wie sie sich aufzuführen und ihre Zeit anzuwenden hatten, um Fortschritte in der Tugend und in den Wissenschaften zu machen; denn das sei die Frucht, die jeder Studierende, besonders von guter Herkunft, von seinen Arbeiten und Nachtwachen zu ernten suchen müsse. Die Söhne zeigten sich demüthig und gehorsam, die Mütter weinten, alle gaben ihnen Seegenswünsche mit auf den Weg.

Sie ritten auf ihren eigenen Maulthieren davon, nebst zwei Dienern außer dem Hofmeister, der sich den Bart hatte wachsen lassen, um sich auf seinem Posten das erforderliche Ansehen zu geben. Als sie Valladolid erreicht hatten, sagten sie zu ihrem Hofmeister, sie wollen zwei Tage in dieser Stadt verweilen, um sie zu sehen, da sie sie noch nie gesehen haben, noch dort gewesen seien. Der Hofmeister verwies ihnen diese Verzögerung scharf und streng, und sagte, Leute, welche so eifrig, wie sie, studieren wollen, dürfen sich keine Stunde aufhalten, um Kindereien zu betrachten, wie viel weniger zwei Tage, und es würde ihm sein Gewissen beschweren, wenn er sie einen Augenblick verlieren ließe; sie sollen daher so schnell als möglich weiter reisen, sonst hätten sie es mit ihm zu thun. Soweit erstreckte sich die Geschicklichkeit des Herrn Aufsehers oder Hofmeisters, wie wir ihn heißen wollen.

Die jungen Bürschchen, welche schon Ernte und Herbst gehalten hatten, denn sie hatten schon vierhundert Goldthaler gestohlen, die ihr Führer mit sich führte, baten ihn, sie nur einen Tag hier zu lassen, damit sie den Brunnen von Argales sehen könnten, dessen Wasser man in großen und geräumigen Aquäducten in die Stadt zu leiten begann. Er gab ihnen wirklich, mit großem innerem Widerstreben, die Erlaubniß, denn er hätte gern den Aufwand für diese Nacht erspart und dieselbe in Valdeastillas zugebracht, um die achtzehn Meilen von Valdeastillas bis Salamanca auf zwei Tage zu vertheilen, statt der zweiundzwanzig, welche man von Valladolid an bis dahin hatte. Aber anders denkt der Braun und anders der, der ihn sattelt, und so ereignete sich alles gerade umgekehrt, als er gewollt hatte.

Die jungen Männer ritten, von einem einzigen Diener begleitet, auf zwei sehr schönen, zahmen Maulthieren nach der Quelle von Argales, die sowohl wegen ihres Alterthums, als wegen ihres Wassers berühmt ist, trotz der vergoldeten Röhre und der hochwürdigen Priorin, ohne Beeinträchtigung des Leganitosbrunnens und der ausgezeichneten castilischen Quelle, in deren Vergleich selbst Corpa und die Pizarra der Mancha schweigen müssen.

Sie kamen nach Argales; als aber der Diener glaubte, Avendanno ziehe aus der Satteltasche ein Geschirr zum Trinken hervor, so war es ein verschlossener Brief. Er befahl ihm, sogleich nach der Stadt zurückzukehren und den Brief seinem Hofmeister zu überbringen und sie alsdann am Thore des Campo zu erwarten.

Der Diener gehorchte, nahm den Brief und begab sich nach der Stadt, sie aber ritten seitwärts und schliefen diese Nacht in Mojados und zwei Tage darauf in Madrid. Nach vier Tagen verkauften sie die Maulthiere auf dem öffentlichen Markte, wo jemand war, der für sechs versprochene Thaler gutsagte, und einer, der ihnen das Geld für ihre Thiere in Gold auszahlte. Sie kleideten sich bäurisch, in kurze Kittel mit herunter hängenden Aermeln und in Pluderhosen und Kamaschen von grauem Tuche. Ein Trödler kaufte ihnen am Morgen ihre Kleider ab und hatte sie Abends dergestalt umgewandelt, daß ihre leiblichen Mütter sie nicht würden wieder erkannt haben.

Als sie sich nun leicht gekleidet hatten und so, wie es Avendanno gewünscht und angegeben, machten sie sich auf den Weg nach Toledo ad pedem litterae ›Bis zum Fuß des Buchstabens‹, d. h. genau so, wie es geschrieben steht, bis aufs I-Tüpfelchen. ( Anm.d.Hrsg.) und ohne Degen; denn diese hatte ihnen der Trödler ebenfalls abgekauft, ob sie gleich nicht in seinen Trödel gehörten.

Lassen wir sie jetzt ihre Straße ziehen, da sie fröhlich und wohlgemuth fort wandern, um uns zudem Bericht dessen zu wenden, was der Hofmeister that, als er den Brief öffnete, den ihm der Bediente überbrachte. Er las darin Folgendes:

 

Herr Pedro Alonso!

Ew. Wohlgeboren beliebe, sich in Geduld zu fassen, und nach Burgos zurückzukehren, um daselbst unsern Eltern zu melden, daß wir, ihre Söhne, nach reiflicher Ueberlegung, wie weit angemessener für Edelleute die Waffen sind, als die Wissenschaften, beschlossen haben, Salamanca mit Brüssel und Spanien mit Flandern zu vertauschen. Die vierhundert Thaler nehmen wir mit: die Maulthiere gedenken wir zu verkaufen. Unser ritterliches Vorhaben und der weite Weg sind eine hinreichende Entschuldigung unseres Fehlers, wofür es jedoch niemand ansehen wird, der nicht eine Memme ist. Wir reisen jetzt ab und kommen wieder, wenn es dem Himmel gefällt, der Ew. Wohlgeboren in seinen allmächtigen Schutz nehme, was wir, Dero unwürdige Schüler, von Herzen wünschen.

Gegeben am Brunnen von Argales, mit dem Fuß schon im Bügel, um nach Flandern zu reisen.

Carriazo und Avendanno.

 

Pedro Alonzo war erstaunt, als er diesen Brief las, und eilte vor allem nach seinem Mantelsack. Da er diesen leer fand, glaubte er vollends an den Inhalt des Briefs, reiste alsbald mit dem übrig gebliebenen Maulthier nach Burgos, um seinen Gebietern in möglichster Eile die Nachricht zu überbringen, damit sie ebenso schnell Gegenmittel ersinnen und Maaßregeln ergreifen möchten, um ihre Söhne einzuholen.

Hierüber sagt jedoch der Verfasser dieser Novelle nichts, denn sobald er Pedro Alonso zu Pferde gesetzt, kehrt er zu dem Bericht der Begegnisse Avendannos und Carriazos zurück, wie dieselben eben nach Illescas kamen, und sagt:

Als sie zum Thore dieses Städtchens hereintraten, begegneten ihnen zwei Maulthierjungen, wie es schien Andalucier, mit weißen leinenen Hosen, geschlitzten Wämsern von Zwilch, Jacken von Büffelleder, Dolchen mit krummem Heft und Degen ohne Gehänge. Wie es schien, kam der eine von Sevilla, der andere gieng dahin. Der, welcher hingieng, sagte zum andern:

Wenn meine Herrschaft nicht so weit voraus wäre, würde ich mich gern noch einige Zeit verweilen, um nach tausend Dingen zu fragen, die ich wissen möchte; denn du hast mich sehr in Verwunderung gesetzt durch das, was du mir von dem Grafen erzählt hast, der den Alonso Genis und Ribera hat hängen lassen, ohne ihnen nur die Appellation zu bewilligen.

Zum Teufel auch, versetzte der Sevillaner; der Graf stellte ihnen ein Bein unter und brachte sie unter seine Gerichtsbarkeit, weil sie Soldaten waren. So bemächtigte er sich ihrer auf Schleichwegen, ohne daß das Obergericht sie ihm nehmen konnte. Wahrlich, Freund, dieser Graf von Punnonrostro hat den Teufel im Leib und spielt uns mit den Fäusten im Gesicht herum. Spanisch puño bedeutet »Faust«, rostro »Gesicht«. Das Wortspiel (im Spanischen » el nos mete los dedos de su puño en el alma« , ›er steckt uns die Finger seiner Faust in die Seele‹ ) ist im Deutschen vielleicht am ehesten nachzuahmen durch »… hat den Teufel im Leib und passt zu uns wie die Faust auf's Auge«. ( Anm.d.Hrsg.) Ganz Sevilla und die Gegend zehn Meilen in der Runde ist von Buschkleppern gereinigt. Kein Spitzbube läßt sich in der Nähe sehen. Alle fürchten ihn wie das Feuer, ob man gleich schon davon spricht, daß er seinen Assistentenposten bald verlassen wird, weil es ihm nicht ansteht, sich bei jedem Schritt in Reden und Gegenreden mit den Herren vom Obergericht verwickelt zu sehen.

Sie mögen aber lange leben, sagte der, welcher nach Sevilla gieng, denn sie sind die Väter der Elenden und eine Stütze der Unglücklichen. Wie viele arme Teufel müssen ins Gras beißen, blos wegen des Zorns eines unumschränkten Richters und eines schlecht unterrichteten oder leidenschaftlichen Corregidors Königlicher Beamter des spanischen Reiches, dessen Amt verschiedene Bereiche und Orte umfasste, von der Provinz bis zur Gemeinde, und der das Bindeglied zwischen diesen territorialen Mächten und dem Monarchen darstellte, dies in vielfältigen Funktionen: Strukturierung der Regierung der spanischen Monarchie, Verwaltung der wirtschaftlichen und administrativen Entwicklung der Gemeinden, Vorsitz in den Stadträten, Bestätigung ihrer Entscheidungen, Richter in erster oder zweiter Instanz usw.! Viele Augen sehen mehr als zwei, und das Gift der Ungerechtigkeit bemächtigt sich nicht so bald vieler Herzen, als es ein einziges bewältigt.

Du bist ein Prediger geworden, sprach der von Sevilla, und auf die Weise, wie du einen Faden an den andern knüpfst, wirst du so bald nicht fertig werden; ich habe aber keine Zeit, lange zu warten. Diesen Abend kehre aber nicht in deine gewöhnliche Herberge ein, sondern in den Gasthof des Sevillaners, denn du wirst dort die schönste Magd zu sehen bekommen, die man nur kennt. Die Marinilla in der Ziegelschenke ist ein Pfiff gegen sie. Ich sage dir weiter nichts, als daß das Gerücht geht, der Sohn des Corregidors sei ganz in sie vernarrt. Einer von meinen Herren, die dort gehen, schwört, wenn er nach Andalucien zurückkomme, wolle er zwei Monate in Toledo und in demselben Wirthshause bleiben, bloß um sich an ihr satt sehen zu können. Ich habe ihr bereits zum Aufgelde einen Zwick gegeben, und habe dafür als Bescheinigung eine derbe Ohrfeige mitgekriegt. Sie ist hart wie Marmor, spröde wie eine Bäuerin von Sayago und rauh wie eine Nessel; aber sie hat ein wahres Osterlärvchen und Neujahrsgesichtchen. Auf der einen Wange hat sie die Sonne und auf der andern den Mond; die eine ist von Rosen und die andere von Nelken und zwischen beiden gibt es noch Lilien und Jasmin. Ich sage dir weiter nichts. Sieh sie nur, und du wirst finden, daß ich dir noch nichts gesagt habe gegen das, was ich dir von ihrer Schönheit sagen könnte. Die beiden grauen Mauleselinnen, die ich, wie du weißt, eigen besitze, gäbe ich ihr gern zum Mahlschatze, wenn man sie mir wollte zur Frau geben. Doch ich weiß, man gibt sie mir nicht, denn das ist ein Kleinod für einen Erzpriester oder für einen Grafen. Ich sage dir es noch ein Mal, du wirst es selbst sehen. Und nun leb wohl! Ich gehe fort.

Mit diesen Worten schieden die beiden Maulthiertreiber, deren Gespräch und Unterredung die beiden Freunde, die es mit angehört hatten, ganz stumm machte, besonders den Avendanno; denn die einfache Erzählung des Maulthiertreibers von der Schönheit der Scheuermagd erweckte in ihm den lebhaften Wunsch, sie zu sehen. Auch in Carriazo erwachte dieser Wunsch, allein nicht in dem Grade, daß er nicht doch viel eifriger gewünscht hätte, nach seiner Thunfischerei zu kommen, als sich mit Beschauung der ägyptischen Pyramiden oder eines andern der sieben Wunder oder gar aller zusammen aufzuhalten. Auf dem Wege nach Toledo unterhielten sie sich damit, daß sie die Worte der Maulthiertreiber wiederholten und den Accent und die Gesten derselben, womit sie ihre Geschichte erzählt hatten, nachmachten.

Nach kurzem Marsch, auf welchem Carriazo den Führer machte, weil er schon früher in dieser Stadt gewesen war, kamen sie beim Blut Christi herab und gelangten sogleich in das Wirthshaus zum Sevillaner, wagten aber nicht, ein Zimmer dort zu verlangen, weil ihre Kleidung einen solchen Wunsch nicht unterstützen konnte. Bereits war die Nacht herangekommen, als Avendanno, obgleich ihm Carriazo hart anlag, ein anderes Gasthaus aufzusuchen, sich durchaus nicht von der Thüre des Sevillaners wegbringen ließ, indem er immer hoffte, jene berühmte Scheuermagd müsse sich doch vielleicht zeigen. Es wurde völlig Nacht und die Magd erschien nicht. Carriazo war in Verzweiflung, Avendanno aber blieb ruhig.

Um endlich seinen Zweck zu erreichen, trat er unter dem Vorwand, nach einigen Rittern von Burgos zu fragen, welche nach Sevilla reisen, in den Hof der Herberge, und kaum war er drinnen, als er aus einem Saal, der auf den Hof hinausgieng, ein Mädchen, dem Anschein nach von fünfzehen Jahren, kommen sah; sie war wie eine Bäuerin gekleidet und trug eine brennende Kerze auf einem Leuchter. Avendanno richtete seine Blicke nicht auf die Kleidung und Tracht des Mädchens, sondern auf ihr Gesicht, und er glaubte daran die Blicke zu erkennen, wie man sie Engeln zu malen pflegt. Er stand verwundert und erstarrt über ihre Schönheit da, und wußte keine Worte zu finden, um eine Frage an sie zu richten; so groß war seine Verwunderung und Ueberraschung.

Als das Mädchen den Mann vor sich sah, sagte sie zu ihm: Was sucht ihr, Bruder? Seid ihr vielleicht der Diener eines der Gäste im Haus?

Ich bin der Diener von niemand, als von euch, antwortete Avendanno, voll Verlegenheit und Verwirrung.

Geht, Bruder, sagte das Mädchen, als sie sich auf diese Weise antworten hörte, geht in Gottes Namen, denn wir, die wir Mägde sind, brauchen keine Diener.

Darauf rief sie ihrem Herrn und sagte: Schaut zu, Herr, was dieser Bursche verlangt!

Ihr Hausherr trat heraus und fragte ihn, was er suche.

Er antwortete, einige Ritter von Burgos, welche auf der Reise nach Sevilla begriffen seien. Einer derselben sei sein Herr, und habe ihn nach Alcala von Henares vorausgeschickt, um dort ein Geschäft zu besorgen, das ihnen sehr am Herzen liege. Zugleich habe er ihm befohlen, nach Toledo zu kommen, und ihn in dem Gasthause zum Sevillaner zu erwarten, wo er einzukehren gedenke, und er glaube, es werde noch denselben Abend oder spätestens am folgenden Tag geschehen.

Avendanno gab seiner Lüge ein so natürliches Ansehen, daß der Wirth sie für Wahrheit hinnahm und sagte: Bleibt nur in meinem Gasthause, Freund, und wartet hier auf euren Herrn, bis er kommt!

Großen Dank, Herr Wirth, antwortete Avendanno. Laßt mir nur ein Zimmer anweisen für mich und meinen Gefährten, den ich bei mir habe und der draußen vor der Thüre steht. Wir haben Geld und können so gut bezahlen wie ein anderer.

Schon gut, antwortete der Wirth, wandte sich an das Mädchen und sagte: Costanzchen, sage der Arguello, sie solle diese zwei Bursche in das Eckzimmer bringen und ihnen weiße Betttücher geben.

Es soll geschehen, Herr, antwortete Costanza, denn so hieß das Mädchen. Sie machte ihrem Herrn eine Verbeugung und entfernte sich. Ihr Weggehen aber war für Avendanno gerade das, was es dem Wanderer zu sein pflegt, wenn die Sonne sich entfernt und die finstere dunkle Nacht einbricht. Er gieng indeß hinaus, um Carriazo zu erzählen, was er gesehen und was er bestellt habe.

Carriazo erkannte an tausend Merkmalen, daß sein Freund von der Liebespest angesteckt war. Doch wollte er ihm vor der Hand nichts darüber sagen, sondern erst sehen, ob die Veranlassung so außerordentlicher Lobeserhebungen und großer Hyperbeln, womit er Costanzas Schönheit weit über die Sterne erhob, dieß wirklich verdiene.

Kurz sie gingen in den Gasthof, und Arguello, eine Person von vielleicht fünf und vierzig Jahren, welche Aufseherin über die Betten und Zimmerreinigerin war, führte sie in eine Stube, welche weder für Ritter noch für Bediente recht paßte, sondern für Leute, welche in der Mitte zwischen diesen beiden stehen mochten. Sie verlangten ein Abendbrod, erhielten aber von der Arguello zur Antwort, in diesem Gasthofe werde niemand gespeist, es werde nur dasjenige zugerüstet und gekocht, was die Gäste selbst mitbringen; es seien jedoch Garküchen und Herbergen in der Nähe, wo sie ohne alles Bedenken sich auftischen lassen können, was ihnen beliebe.

Die beiden befolgten den Rath der Arguello und schleppten ihre Leiber nach einem Speisehaus, wo sich Carriazo an dem erlabte, was man ihm vorsetzte, Avendanno aber an dem, was er mitbrachte, nämlich an seinen Gedanken und Träumereien. Carriazo wunderte sich, daß Avendanno wenig oder nichts aß. Um aber ganz in die Gedanken seines Freundes einzudringen, sagte er zu ihm bei der Heimkehr in das Gasthaus: Morgen werden wir recht früh aufstehen müssen, um vor der größten Hitze noch Orgaz zu erreichen.

Der Meinung bin ich nicht, antwortete Avendanno, denn ich gedenke vor meiner Abreise aus dieser Stadt mir alle Merkwürdigkeiten derselben, von denen die Leute so viel sprechen, zu beschauen, zum Beispiel das Sacramenthäuschen, das Kunstwerk des Juanelo, die Aussicht von Sanct Agustin, den Garten des Königs und die Ebene.

Ich habe nichts dagegen, antwortete Carriazo; in zwei Tagen können wir dieß alles sehen.

Nein, ich gestehe, daß ich mir Zeit nehmen will. Wir gehen ja nicht nach Rom, um eine erledigte Stelle nachzusuchen.

Pah pah, versetzte Carriazo; ich lasse mich umbringen, Freund, wenn ihr nicht viel lieber in Toledo bleibt, als ihr unsere begonnene Pilgerfahrt fortsetzen wollt.

Und das ist auch wahr, antwortete Avendanno; denn es ist mir eben so unmöglich, mich von dem Anblick des Gesichtes dieses Mädchens zu trennen, als es unmöglich ist ohne gute Werke in den Himmel zu kommen.

Nun diese Vergleichung gefällt mir, sagte Carriazo, und das ist ein Entschluß, der für ein so großmüthiges Herz, wie das deine, nicht übel paßt. Es paßt sich prächtig für einen Don Tomas von Avendanno, den Sohn des Don Juan von Avendanno, einen Ritter von edlem Geblüt, von ansehnlichem Reichthum, jung genug, daß man eine Freude an ihm haben kann, und geistreich genug, daß man ihn bewundern kann, jetzt bis über die Ohren sterblich verliebt zu sein in eine Scheuermagd, die in dem Gasthaus zum Sevillaner dient.

Es kommt mir ungefähr eben so vor, antwortete Avendanno, wenn ich einen Don Diego von Carriazo betrachte, auch Sohn eines Ritters, dessen Vater das Kleid von Alcantara trägt D. h. dem bedeutenden Ritterorden von Alcántara angehört, der an der Rückeroberung ( reconquista) der von den Mauren im 8. Jh. eroberten Gebiete beteiligt war. Das Ordenskleid des Alcántaraordens bestand seit dem 13. Jh. aus einem weißen Mantel mit einem eingestickten grünen Lilienkreuz. ( Anm.d.Hrsg.) und dem Sohne ein Erbe und Majorat hinterlassen wird, nicht minder edel am Leib als an der Seele, mit allen diesen glänzenden Eigenschaften ausgestattet, diesen verliebt, und in wen glaubt ihr wohl? In die Königin Ginebra So die spanische Form für Guinevere bzw. Gwenhwyfar, die Gemahlin des Königs Artus und Geliebte des Ritters Lancelot in der keltischen Sage. ( Anm.d.Hrsg.)? Nein beim Himmel, sondern in die Thunfischerei von Zahara, die, wie mich deucht, häßlicher ist, als eine Versuchung von Sanct Antonius.

Nun so sind wir quitt, mein Freund, antwortete Carriazo. Mit dem gleichen Schlag, mit dem ich dich verwundete, hast du mich umgebracht. Geben wir unsern Streit auf und gehen jetzt schlafen! Gott wird schon wieder den Tag kommen lassen und dann laßt uns weiter sehen.

Sieh, Carriazo, bis jetzt hast du Costanza nicht gesehen. Wenn du sie aber gesehen hast, so gebe ich dir Erlaubniß, mir alle Schimpf- und Scheltworte zu sagen, die du willst.

Ich weiß schon, wo das hinausläuft, sagte Carriazo.

Und worauf? versetzte Avendanno.

Daß ich nach meiner Thunfischerei gehe und du bei deiner Küchenmagd bleibst, sagte Carriazo.

Ich werde nicht so glücklich sein, versetzte Avendanno.

Und ich nicht so thöricht, antwortete Carriazo, daß ich, um deinem schlechten Geschmack zu folgen, mich enthalte, meinem guten nachzugehen.

 

Unter diesem Gespräch kamen sie in den Gasthof und unter ähnlichem Geplauder vergieng ihnen die halbe Nacht. Als sie darauf, wie es ihnen schien, kaum eine Stunde geschlafen hatten, wurden sie durch den Klang vieler Blasinstrumente aufgeweckt, die auf der Straße ertönten. Sie setzten sich im Bett in die Höhe, horchten aufmerksam und Carriazo sagte:

Ich will wetten, es ist schon Tag, und hier in dem nahe gelegenen Kloster unserer lieben Frauen von Carmen wird irgend ein Fest gefeiert und deshalb macht man solche Musik.

Das ist nicht der Fall, antwortete Avendanno; denn wir haben noch nicht so lange geschlafen, daß es schon Tag sein könnte.

Indessen hörten sie an der Thüre ihres Gemachs klopfen, und wie sie fragten, wer da sei, antwortete man von außen:

Ihr Bursche, wenn ihr eine schöne Musik hören wollt, so steht auf und tretet an das Gitter, das auf die Straße geht von dem Saale gegenüber aus! Es ist niemand dort.

Die beiden standen auf, öffneten die Thüre, fanden aber niemand und wußten auch nicht, wer sie benachrichtigt hatte. Da sie indeß den Ton einer Harfe hörten, glaubten sie allerdings, es habe seine Richtigkeit mit der Musik, und giengen also im Hemde, wie sie waren, in den Saal, wo bereits drei oder vier Gäste an den Fenstern standen. Sie fanden einen Platz und hörten bald darauf beim Klang der Harfe und einer Laute von einer wunderschönen Stimme folgendes Sonnett singen, welches Avendanno nie vergessen konnte:

Einzig demüthig Wesen, das zu schwingen
Vermochte sich zu höchster Schönheit Höhe,
So daß Natur ich übertreffen sehe
Sich selbst, und du zum Himmel dürftest dringen!

Du magst nun reden, lachen oder singen,
Dich milde zeigen oder spröd und zähe,
Gleich viel! denn alles muß in deiner Nähe
Bezaubernd immer uns das Herz bezwingen.

Doch ist in vollem Glanz noch nicht erschienen
Die Schönheit, wie sie keine überträfe,
Die hohe Tugend, die in dir muß wohnen.

Drum laß das Dienen! denn dir sollten dienen,
In deren Händen und um deren Schläfe
Die Zepter schimmern und die Fürstenkronen.

Niemand brauchte den beiden erst zu sagen, daß diese Musik Costanza gelte; denn das Sonnett verrieth es deutlich genug, welches denn auch Avendanno dergestalt in die Ohren klang, daß er lieber gewünscht hätte, taub geboren zu seyn, um es nicht zu hören, und Zeit Lebens vollends taub zu bleiben; denn sein Leben erhielt von dem Augenblick an einen heftigen Stoß, da sein Herz von dem scharfen Pfeile der Eifersucht getroffen war. Und das Schlimmste dabei war, daß er nicht einmal wußte, auf wen er eifersüchtig sein könne und solle.

Dieser Ungewißheit entriß ihn aber bald einer der Gäste, welche am Fenster standen, durch die Bemerkung:

Was ist doch der Sohn des Corregidor für ein Tropf, daß er einer Scheuermagd ein Ständchen bringt! Es ist freilich wahr, sie gehört unter die schönsten Mädchen, die ich gesehen habe, und ich habe deren viele gesehen; deshalb braucht man sie aber doch nicht auf öffentliche Weise zu feiern.

Diesen Reden fügte ein anderer Zuhörer am Fenster noch die Worte bei:

Nun in der That, ich habe für ganz gewiß sagen hören, daß sie sich so wenig um ihn kümmert, als wäre es niemand. Ich wette, sie liegt jetzt in tiefstem Schlaf hinter dem Bette ihrer Herrin, wo sie schlafen soll, wie man sagt, ohne sich weder um Musik noch Gesang zu bekümmern.

Ja, ich glaube auch, daß es wahr ist, erwiederte ein anderer; denn sie ist das ehrbarste Mädchen auf der Welt und es ist ein wahres Wunder, daß man von ihr auch nicht den mindesten Fehler zu erzählen weiß, da sie doch in einem Hause ist, wo so viel Verkehr statt findet und wo jeden Tag neue Gäste kommen und sie alle Zimmer zu besorgen hat.

Bei diesen Worten kehrte Avendanno neu ins Leben zurück; er athmete wieder auf und war im Stande, noch viele Musikstücke zu hören, die mit der Begleitung verschiedener Instrumente von Sängern vorgetragen wurden, und alle an Costanza gerichtet waren, die aber, wie der Gast sagte, schlief, ohne sich im Geringsten um etwas zu bekümmern.

Als der Tag kam, giengen die Musikanten fort und verabschiedeten sich mit ihren Zinken Der ›Zink‹ war vom 15. bis zur Mitte des 17. Jh. eines der wichtigsten Instrumente. Es handelt sich um ein Grifflochhorn, das wie eine Trompete geblasen wird, das heißt, der Ton wird in einem Kesselmundstück mit den Lippen erzeugt, und die so hervorgebrachten Naturtöne werden durch Öffnen und Schließen von 6 bis 7 Grifflöchern verändert. – Andere Übersetzer sprechen an dieser Stelle von ›Schalmeien‹ oder Oboen. Der Ausdruck ›Zinken‹ wurde umgangssprachlich freilich auch summarisch für Blasinstrumente überhaupt verwendet. ( Anm.d.Hrsg.). Avendanno und Carriazo kehrten in ihr Zimmer zurück, wo der, welcher schlafen konnte, bis zum Morgen schlief.

Als dieser gekommen war, standen beide auf und beide mit dem Verlangen, Costanza zu sehen; aber das Verlangen des einen war nur Neugierde, das des andern, Liebe. Costanza befriedigte beide, indem sie aus dem Saale ihres Herrn herauskam, so schön, daß beide anerkannten, alle Lobeserhebungen, die ihr der Maulthierjunge ertheilt, seien viel zu schwach und keineswegs übertrieben.

Ihre Kleidung war ein Rock und ein Leibchen von grünem Tuch mit Verbrämung von demselben Zeuge. Ihr Leibchen war kurz, aber das Hemd hoch, der Kragen gefältelt und mit einem Streifen von schwarzer Seidestickerei umgeben. Eine Schnur von schwarzen Gagathsternen Gagat ist durch Humusgel oder Bitumen imprägniertes tiefschwarzes fossiles Holz, das sich in einem Übergangsstadium von der Braunkohle zur Steinkohle befindet. Da es dem seltenen Onyx ähnelt, wurde er gerne als Grundstoff für Imitationen desselben verwendet. ( Anm.d.Hrsg.) lag auf einem Stück einer Alabastersäule, denn nicht weniger weiß erschien ihr Hals. Als Gürtel trug sie einen Strick des Sanct Franz, und an einem Riemen, der an ihrer rechten Seite herabhieng, war ein großer Bündel Schlüssel befestigt. Sie trug keine Pantoffeln, sondern Schuhe mit zwei farbigen Sohlen, nebst Strümpfen, von welchen man nur einen Rand bemerkte, aus welchem zu erkennen war, daß sie ebenfalls farbig waren.

Ihre Haare waren mit weißen florettseidenen Bändern geflochten, aber die Zöpfe waren so lang, daß sie ihr bis über den Gürtel über den Rücken herabfielen. Die Farbe war nicht ganz kastanienbraun und näherte sich dem goldrothen, das Haar war aber so rein, so gleich, so schön gekämmt, daß nichts sich mit ihm vergleichen konnte, als Flechten von lauterem Gold. An ihren Ohren hingen zwei Birnchen von Glas, die reine Perlen schienen, und die Haare selbst dienten ihr als Kopfputz und Hauben.

Wie sie aus dem Saale trat, zeichnete sie sich mit dem Kreuze und neigte sich tief und andächtig vor einem Bilde der heiligen Jungfrau, welches an einer Wand der Hausflur hieng. Wie sie hierauf die Blicke erhob, und bemerkte, wie die beiden sie betrachteten, hatte sie sie kaum ersehen, so zog sie sich wieder nach dem Zimmer zurück, von wo aus sie der Arguello rief, sie solle aufstehen.

Es bleibt uns noch zu sagen übrig, was Carriazo über Costanzas Schönheit dachte; denn wie Avendanno beim ersten Anblick derselben von ihr dachte, ist schon erzählt worden. Dem Carriazo also erschien Costanza eben so schön als seinem Gefährten; sie reizte ihn aber viel weniger zur Liebe, so viel weniger, daß er nicht mehr in der Herberge zu übernachten, sondern sogleich nach seiner Thunfischerei abzureisen wünschte.

Indem kam auf Costanzas Ruf Arguello mit zwei andern handfesten Mägden, welche auch im Hause dienten und Gallicierinnen gewesen sein sollen, auf den Oehrn Süddeutsch für: Hausflur. ( Anm.d.Hrsg.); denn so viele Leute waren nothwendig, weil immer viele Leute im Gasthof des Sevillaners einkehrten, welches einer der besten und besuchtesten in Toledo ist.

Jetzt kamen auch die Knechte der Gäste und verlangten Gerste. Der Wirth kam heraus, um sie ihnen zuzumessen, und verwünschte seine Mägde, um deren willen ihm ein Bursche davongelaufen sei, der sie sehr ordentlich und pünktlich verabreicht habe, ohne ihn, wie er glaube, um ein einziges Körnchen zu betrügen.

Als Avendanno dieß hörte, sagte er: Bemüht euch nur nicht, Herr Wirth! Gebt mir das Rechnungsbuch, denn so lange ich hier bin, will ich Gerste und Stroh, die man verlangt, so ordentlich verabreichen, daß ihr den Burschen nicht vermissen sollt, der euch, wie ihr sagt, davon gelaufen ist.

Da thut ihr mir wahrlich einen großen Gefallen, Junge, versetzte der Wirth; denn ich kann mich nicht damit befassen, weil ich viel anderes außer dem Hause zu beschicken habe. Kommt herunter, ich will euch das Buch geben, aber schaut auf, denn diese Maulthiertreiber sind wie der leibhaftige Teufel; sie bringen mir nichts dir nichts eine Metze Historisches Hohlmaß für Getreide, auch als ›Meste‹ bezeichnet. ( Anm.d.Hrsg.) Gerste bei Seite und machen sich nicht mehr daraus, als wäre es Häckerling Kurz geschnittenes Heu, Stroh und grobstengliges Grünfutter. ( Anm.d.Hrsg.).

Avendanno begleitete den Wirth in den Hof, erhielt das Buch und fieng an, Gerste wegzumessen wie Wasser, und alles so ordentlich einzutragen, daß der Wirth, der ihm zusah, recht seine Freude daran hatte, und zu ihm sagte:

Wenn es doch Gottes Wille wäre, daß euer Herr nicht käme und ihr hättet Lust, im Hause zu bleiben, denn meiner Treu, es sollte euch bei mir ein anderer Hahn krähen; denn der Bursche, der mir fortgegangen ist, kam vor etwa acht Monaten zerlumpt und ausgehungert zu mir, und jetzt nimmt er zwei paar gute Kleider mit und ist so fett wie eine Fischotter. Denn ihr müßt wissen, Sohn, daß es in diesem Hause noch außer dem Lohne viele Nebenverdienste giebt.

Wenn ich hier bliebe, versetzte Avendanno, so würde ich mich nicht eben an den Gewinn kehren, denn ich kann mit allem zufrieden sein, sondern nur um in dieser Stadt zu leben, von der man sagt, sie sei die beste in ganz Spanien.

Wenigstens, antwortete der Wirth, ist sie eine der besten und reichsten im Königreich. Allein es fehlt uns noch etwas, und das ist das, daß wir jemand suchen müssen, der uns Wasser aus dem Flusse holt; denn mein anderer Knecht ist mir auch davongelaufen, der mit einem vortrefflichen Esel, den ich besitze, meine Wannen füllte und in meinem Hause einen ganzen See von Wasser anlegte. Eine von den Ursachen, warum die Maulthiertreiber gern ihre Herren nach meinem Gasthaus führen, ist eben der schöne Vorrath von Wasser, den sie immer darin finden, daher sie alsdann nicht nöthig haben, ihr Vieh zum Flusse zu treiben, sondern ihre Thiere im Hause aus großen Wannen trinken können.

Diese ganze Unterredung hörte Carriazo mit an, und als er sah, daß Avendanno sich bereits als Diener im Hause hatte anstellen lassen, wollte er hinter seinem Freunde nicht zurückbleiben, zumal da er dachte, wie sehr es Avendanno freuen würde, wenn er seiner Laune folgte. Daher sprach er zum Wirth:

Ueberlaßt den Esel mir, Herr Wirth, denn ich werde ihn eben so gut zu gürten und zu beladen wissen, als mein Gefährte sich auf die Führung seines Rechenbuches versteht.

Ja, rief Avendanno, mein Kamerad Lope der Asturier trägt euch das Wasser herbei wie ein Fürst; ich bürge euch für ihn.

Die Arguello, welche vom Oehrn aus auf das ganze Gespräch gehört hatte, rief, als sie Avendanno sagen hörte, er bürge für seinen Kameraden:

Sagt mir doch, nobler Vetter, und wer wird für euch selber bürgen? denn wahrhaftig, es kommt mir eher vor, als brauchtet ihr einen Bürgen, als daß ihr selbst Bürge sein könnet.

Schweig doch, Arguello, sagte der Wirth; mische dich nicht in Dinge, die dich nicht angehen! Ich hafte für alle beide, und wenn euch das Leben lieb ist, so laßt euch nicht auf Zänkereien mit den jungen Burschen im Hause ein, denn um euretwillen laufen mir alle davon.

Nun wie, sagte ein anderes Mädchen, die zwei Jungen bleiben im Haus? Nun meiner Seele, wenn ich mit ihnen zu schaffen hätte, ich überließe ihnen nie das Faß.

Laßt eure Witzeleien, Jungfer Gallizierin, antwortete der Wirth; thut, was eures Amtes ist, und laßt euch nicht mit den jungen Leuten ein, sonst werde ich euch durchprügeln.

Ei ja doch, erwiederte die Gallizierin; seht nur was es für feine Stücke sind, nach denen man lüstern werden könnte! Wahrlich mein Herr hat noch nicht gesehen, daß ich so viel mit den Burschen in und außer dem Haus gekurzweilt hätte, daß er eine so schlechte Meinung von mir haben sollte. Sie sind Spitzbuben und laufen davon, wann es ihnen beliebt, ohne daß wir ihnen die geringste Veranlassung dazu geben. Wahrlich, es sind feine Leutchen. Denen brauchte man eben nicht erst Lust dazu zu machen, daß sie ihren Herren ein Schnippchen schlagen, wann dieselben am wenigsten daran denken.

Plaudere nicht so viel, Schwester Gallizierin, antwortete der Wirth. Einen Stöpsel auf den Mund! und habt auf das Acht, was eures Amtes ist!

Indessen hatte Carriazo den Esel schon angeschirrt, sprang mit einem Satze hinauf und ritt nach dem Flusse. Avendanno aber war sehr vergnügt über den wackern Entschluß seines Freundes.

Nun haben wir also, in Gottesnamen sei es denn erzählt, Avendanno zum Hausknechte gemacht mit dem Namen Tomas Pedro, denn dieß gab er für seinen Namen aus, und Carriazo mit dem Namen Lope der Asturier zum Wasserträger, zwei Verwandlungen, welche wohl werth sind, über die des großnasigen Poeten gestellt zu werden.

Kaum hatte die verwünschte Arguello gehört, daß beide im Hause blieben, als sie auch schon einen Anschlag auf den Asturier machte, ihn für gute Prise Beute einer Kaperfahrt. ( Anm.d.Hrsg.) erklärte und sich vornahm, ihn so zu verpflegen, daß er, wenn er auch noch so spröde und sittsam wäre, doch geschmeidiger werden sollte, als ein Handschuh. Dasselbe bezweckte die spröde Gallizierin bei Avendanno und da die beide durch Arbeit, Unterhaltung und Zusammenschlafen große Freundinnen geworden waren, so theilten sie sich unverzüglich einander ihre verliebten Absichten mit und beschlossen, noch dieselbe Nacht auf die Eroberung ihrer kaltsinnigen Liebhaber auszugehen. Vor allen Dingen aber fanden sie es für nöthig, sie zu bitten, daß sie auf nichts eifersüchtig werden möchten, was sie sie mit ihren eigenen Personen vornehmen sähen, weil Dienstmädchen die Bursche im Hause nur schlecht verpflegen können, wenn sie sich nicht fremde Bursche zinsbar machen.

Seid nur still, Brüderchen, sagten sie, als ständen sie vor ihnen und wären schon ihre erklärten Liebhaber oder Buhlen, seid still und drückt ein Auge zu, und laßt den die Zimbel schlagen, der es versteht, und den den Reigen anführen, der es kann, und kein Domherr soll herrlicher gehalten werden, als ihr von euren Mägden.

Diese und andere Gespräche dieser Art führten die Gallizierin und Arguello mit einander.

 

Unterdessen ritt unser wackerer Lope der Asturier über den Carmeliterhügel nach dem Flusse und dachte an seine Thunfischerei und an seine plötzliche Standesveränderung. War es nun deshalb oder weil es das Schicksal so fügte, genug, wie er auf einem schmalen Wege den Hügel hinabritt, kam ihm der Esel eines Wasserträgers entgegen, welcher beladen war, und da Lope bergab ritt und sein Esel munter und wohlgenährt und noch wenig angestrengt war, so gab dieser dem abgematteten und ausgehungerten Esel, der herauf kam, einen so heftigen Stoß, daß er zu Boden stürzte, die Krüge zerbrach und das Wasser verschüttete.

Der alte Wasserführer gerieth über diesen Unfall so in Wuth und Aerger, daß er auf den neuen Wasserführer, der noch auf seinem Esel saß, losstürzte, und ihm, ehe er sich noch losmachen und absteigen konnte, ein Dutzend so heftiger Prügel aufmaß und aufzählte, daß sie dem Asturier nicht zum besten schmeckten. Lope kam endlich von seinem Esel herunter, und zwar so wüthend, daß er sich auf seinen Feind stürzte, ihn mit beiden Händen an der Kehle faßte und zu Boden warf. Der Wasserträger schlug aber seinen Kopf so heftig auf einen Stein, daß er sich zwei Löcher einschlug, aus denen so viel Blut floß, daß er glaubte, er habe ihn getödtet.

Nun liefen viele andere Wasserträger, welche dort beschäftigt waren, hinzu, und fielen, als sie ihren Genossen so übel zugerichtet sahen, über Lope her, hielten ihn, so fest sie konnten, und riefen: Gerechtigkeit, Gerechtigkeit! Dieser Wasserträger hat einen Menschen todtgeschlagen!

Bei diesen Beschuldigungen und diesem Geschrei überhäuften sie ihn mit Püffen und Stockschlägen. Andere eilten dem Gestürzten zu Hilfe und bemerkten, daß ihm der Schädel gespalten und er nahe daran war, das Leben auszuhauchen. Das Gerücht lief von Mund zu Mund den Hügel hinauf, und auf dem Platze des Carmen kam es dem Alguacil Subalterner Beamter des städtischen Rechtswesens im damaligen Spanien; der Begriff wird für unterschiedliche Funktionen verwendet, hier jedoch im Sinne von ›Polizei‹. ( Anm.d.Hrsg.) zu Ohren, welcher denn mit zwei Häschern wie im Fluge sich an die Stätte des Streits verfügte, wo der Verwundete eben quer über einen Esel war gelegt worden; den Esel Lopes aber hielten sie fest, und Lope war umgeben von mehr als zwanzig Wasserträgern, welche nicht müde wurden, ihn zu umgeben Bedrängen. ( Anm.d.Hrsg.), vielmehr ihm den Rücken auf eine Weise zerdroschen, daß man noch mehr für sein Leben hätte fürchten sollen, als für das des Verwundeten; so sehr tanzten auf ihm die Fäuste und die Knittel jener Rächer fremder Beleidigung.

Als der Alguacil hinzukam, entfernte er die Menge, übergab den Asturier seinen Schergen, trieb seinen Esel vor sich her und ebenso den Verwundeten auf dem seinigen und führte sie nach dem Gefängniß, begleitet von so vielen Leuten und Straßenjungen, die sich an ihn anschlossen, daß er kaum durch das Gedränge sich Platz zu machen vermochte.

Bei dem Lärm, den die Leute machten, kam Tomas Pedro und sein Herr an die Hausthüre, um zu sehen, wo das Geschrei herkomme. Da entdeckten sie Lope zwischen den zwei Häschern, im Gesicht und Mund voll Blut. Der Wirth schaute sogleich nach seinem Esel aus und da er ihn in den Händen eines andern Häschers sah, der bereits zu ihnen gestoßen war, fragte er nach der Ursache dieser Festnehmung und erhielt zur Antwort einen Bericht, wie die Sache wirklich ergangen war. Es war ihm leid um seinen Esel, denn er fürchtete, er werde darum kommen oder wenigstens mehr Auslagen haben, um ihn wieder zu erhalten, als er werth sei.

Tomas Pedro folgte seinem Gefährten, ohne daß sie ihn indeß dazu kommen ließen, ein Wort mit ihm zu reden; so groß war die Menge, die ihn verhinderte, und die Vorsicht der Häscher und des Polizeibeamten, der ihn führte: Er verließ ihn indeß nicht eher, als bis er sah, daß man ihn in das Gefängniß und in einen Kerker mit doppelten Gittern brachte, den Verwundeten aber in das Krankenhaus, wohin er sich auch begab, um ihn verbinden zu sehen, und er sah, daß die Verletzung gefährlich, ja sehr gefährlich sei, was denn auch der Wundarzt bestätigte. Der Polizeidiener nahm die beiden Esel mit nach Hause und mehr als fünf Achtrealenstücke, welche die Häscher Lope abgenommen hatten.

Ganz verwirrt und traurig kehrte Tomas nach dem Gasthofe zurück, woselbst er seinen neu angenommenen Herrn eben so verdrießlich fand, als er selbst war. Er erzählte ihm die Lage seines Gefährten, die Todesgefahr, in welcher der Verwundete schwebte, und wie es mit seinem Esel stehe. Er sagte ferner, daß zu diesem Unglücke noch ein zweites nicht weniger drückendes gekommen sei, indem ein vertrauter Freund seines Herrn ihm unterwegs begegnet sei und gesagt habe, sein Herr sei, um schnell fortzukommen und zwei Meilen Wegs zu ersparen, mit der Barke von Aceca von Madrid abgegangen und schlafe diese Nacht in Orgaz; er habe ihm zwölf Thaler gegeben, mit dem Auftrag, sie ihm einzuhändigen mit dem Befehl, nach Sevilla zu gehen, wo er ihn erwarte.

Das kann aber nicht sein, fuhr Tomas fort, denn es wäre nicht recht, wenn ich meinen Freund und Kameraden im Gefängniß und in solcher Gefahr verlassen wollte. Mein Herr kann mirs für dießmal nicht übel nehmen, und er ist auch überdieß so gut und edelmüthig, daß er mir jedes Vergehen zu gut halten wird, das ich mir gegen ihn zu Schulden kommen lassen werde, wofern ich nur meinen Kameraden nicht versäume. Thut mir den Gefallen, mein lieber Herr, und nehmt dieses Geld, um euch für ihn damit zu verwenden. Unterdessen werde ich meinem Herrn den Vorfall schreiben, und ich weiß, er schickt mir dann Geld genug, um uns aus jeder Gefahr herauszureißen.

Der Wirth machte große Augen, wie er das Geld sah, und freute sich, dadurch für den Verlust seines Esels zum Theil entschädigt zu sein. Er nahm das Geld und tröstete Tomas, indem er ihn versicherte, er habe in Toledo bedeutende Gönner, die viel bei der Justiz vermögen, namentlich eine vornehme Nonne, eine Verwandte des Corregidors, welche diesen unter dem Pantoffel habe. Eine Wäscherin in dem Kloster dieser Nonne habe eine Tochter, eine sehr gute Freundin von der Schwester eines Klosterbruders, der mit dem Beichtvater der genannten Nonne auf einem sehr freundschaftlichen und vertrauten Fuße lebe. Diese Wäscherin besorge auch das Weißzeug im Hause, und wenn sie, was sie gewiß thun werde, ihre Tochter bitte, der Schwester des Klosterbruders zu sagen, daß sie mit ihrem Bruder rede, damit dieser mit dem Beichtvater rede und der Beichtvater mit der Nonne, und die Nonne, was ihr ja ein leichtes sei, sich dazu verstehe, ein paar Zeilen an den Corregidor zu schreiben, wodurch sie ihm die Angelegenheit des Tomas angelegentlich empfehle, so dürfe man sich gewiß einen guten Erfolg versprechen.

Dieser ist uns aber dann gewiß, wenn der Wasserträger nicht stirbt und wenn es nicht an Salbe fehlt, um alle Diener der Gerechtigkeit damit zu schmieren, denn wenn sie nicht geschmiert werden, knarren sie häßlicher, als Ochsenkärren.

Tomas ergetzte sich sehr an den Anerbietungen der Protection, welche ihm sein Herr gemacht hatte und der unendlichen Verschlingung der Kanäle, durch welche er zum Zweck gelangen wollte. Ob er aber gleich deutlich einsah, daß er mehr als verschmitzter Spötter, als in voller Unbefangenheit so gesprochen hatte, dankte er ihm doch für seinen guten Willen und gab ihm das Geld mit dem Versprechen, bald noch weitere Summen aufzutreiben, denn er vertraue, wie er bereits erwähnt, vollkommen auf die Güte seines Herrn.

Die Arguello aber lief, sobald sie erfuhr, daß ihr neuer Schatz in Banden liege, gleich nach dem Gefängniß, um ihm Essen zu bringen; allein man ließ sie nicht zu ihm, daher sie sehr mißvergnügt und unzufrieden zurückkehrte, ohne jedoch deshalb von ihrem guten Vorsatze abzustehen.

Endlich war nach vierzehen Tagen der Verwundete außer Gefahr und nach drei Wochen erklärte ihn der Wundarzt für völlig genesen. Tomas hatte binnen dieser Zeit bereits Sorge dafür getragen, von Sevilla funfzig Thaler kommen zu lassen. Er zog es aus dem Busen und übergab es dem Wirth, sammt dem vorgeblichen Brief und Wechsel von seinem Herrn; und da dem Wirth wenig daran lag, die Wahrheit dieser Correspondenz zu ergründen, steckte er das Geld ein, das ihm große Freude machte, weil es aus lauter Goldthalern bestand. Für sechs Ducaten stand der Verwundete von der Klage ab und der Asturier wurde zu zehen weiteren Ducaten, zum Verlust des Esels und in die Kosten verurtheilt.

Er verließ das Gefängniß, wollte aber nicht wieder mit seinem Gefährten zusammen wohnen und führte ihm als Entschuldigung an, daß in den Tagen seiner Gefangenschaft die Arguello ihn besucht und ihm Liebesanträge gemacht habe, was ihm so lästig und widerlich sei, daß er sich lieber aufhängen lassen, als den Lüsten eines so gemeinen Weibsbildes entsprechen wollte. Sein Vorsatz sei, da sein Freund nun schon seinen Vorsatz auszuführen und zu verfolgen gedenke, sich einen Esel zu kaufen, und so lange sie in Toledo seien, das Geschäft eines Wasserträgers zu treiben. Unter dem Schutz dieses Vorgebens könne er nicht als Landstreicher vor Gericht gebracht und festgenommen werden, denn mit einer einzigen Ladung Wasser könne er den ganzen Tag nach allen Richtungen durch die Stadt ziehen und nach den Vögeln schauen.

Du wirst eher schöne Weiber in dieser Stadt sehen, versetzte Avendanno, als Vögel; denn sie steht in dem Rufe, die verständigsten Frauen in Spanien zu besitzen, und bei denen Verstand mit Schönheit gleichen Schritt hält. Du darfst nur auf Costanzchen sehen, mit deren überflüssigen Reizen nicht allein alle Schönen dieser Stadt, sondern alle in der Welt sich bereichern können.

Langsam, Herr Tomas, versetzte Lope, laßt uns mit den Lobeserhebungen der Jungfer Küchenmagd fein Schritt für Schritt zu Werke gehen, wenn ihr nicht wollt, daß ich euch, wie ich euch schon für einen Narren halte, auch für einen Ketzer halten soll.

Eine Küchenmagd hast du Costanzan genannt, Bruder Lope? antwortete Tomas. Gott verzeihe es dir, und führe dich zur rechten Erkenntniß deines Irrthums!

Nun, ist sie denn keine Küchenmagd? versetzte der Asturier.

Ich soll sie noch den ersten Teller scheuern sehen.

Darauf kommt es nicht an, versetzte Lope, ob du sie den ersten Teller hast scheuern sehen oder den zweiten oder den hundertsten.

Ich sage dir aber, Bruder, versetzte Tomas, daß sie gar nicht scheuert, und auch weiter nichts macht, als ihre Handarbeit, und daß sie die Aufsicht führt über das viele Silberzeug, das hier im Hause ist.

Warum nennt man sie aber in der ganzen Stadt die vornehme Scheuermagd, sagte Lope, wenn sie nicht scheuert? Nun wahrscheinlich, weil sie Silber scheuert und nicht Thon, nennt man sie die vornehme. Aber lassen wir das bei Seite, und nun sage mir, Tomas, wie stehen denn deine Hoffnungen?

Sehr schlecht, antwortete Tomas; denn so lange du im Gefängnisse gewesen bist, habe ich auch nicht ein Wort mit ihr sprechen können, und auf alles, was ihr die Gäste sagen, antwortet sie nicht anders, als mit niedergeschlagenen Augen und unbewegten Lippen. Sie ist so sittsam und züchtig, daß sie durch ihre Zurückhaltung ebenso, wie durch ihre Schönheit bezaubert. Was mich noch geduldig bleiben läßt, ist, daß ich weiß, daß der Sohn des Corregidors, ein stolzer und ziemlich verwegener Bursche, zum Sterben in sie verliebt ist und sie mit Musiken umwirbt. Er läßt nicht leicht einen Abend vergehen, wo er ihr nicht ein Ständchen brächte und zwar so öffentlich, daß man sie in den Liedern, die gesungen werden, nennt, lobt und verherrlicht. Doch sie hört sie nicht, und kommt vom Abend bis zum Morgen nicht aus dem Zimmer ihrer Frau. Das ist der Schild, der von meinem Herzen den grausamen Pfeil der Eifersucht abwehrt.

Was gedenkst du denn nun zu thun, da du die Unmöglichkeit vor dir siehst, eine Eroberung zu machen an dieser Porzia, dieser Minerva, dieser neuen Penelope, die dich in Gestalt eines Mädchens und einer Scheuermagd bezaubert, entmuthigt und vernichtet?

Spotte meiner wie du willst, Freund Lope! Ich weiß doch, daß ich in das reizendste Gesicht verliebt bin, das die Natur nur bilden konnte, und die unvergleichlichste Sittsamkeit, die es gegenwärtig in der Welt geben kann. Costanza heißt sie, nicht Porzia, Minerva oder Penelope. Sie dient in einem Gasthause, ich kann es nicht leugnen; allein was kann ich thun, wenn mir deutlich ist, daß mein Schicksal mit einer verborgenen Macht mich treibt, und mein Verstand mit den einleuchtendsten Gründen mich zwingt, sie anzubeten. Sieh, lieber Freund, ich weiß nicht, wie ich dir es recht sagen soll, fuhr Tomas fort, wie die Liebe dieses geringe Geschöpf, diese Scheuermagd, wie du sie nennst, mir adelt und so hoch erhebt, daß wenn ich sie sehe, ich sie nicht sehen, und wenn ich sie erkenne, sie doch verkennen kann. Selbst wenn ich mir Mühe gebe, so ist es mir auch nicht einen Augenblick möglich, sie, wenn ich so sagen darf, in der Niedrigkeit ihres Standes zu betrachten; denn könnte je ein Gedanke davon in mir erwachen, so würde diesen sogleich ihre Schönheit, ihre Anmuth, ihre Ruhe, ihre Bescheidenheit und Sittsamkeit auslöschen und mir zu erkennen geben, daß unter dieser rauhen Rinde eine Fundgrube von hoher Trefflichkeit und großem Verdienste verschlossen und versteckt sein muß. Kurz, mag es nun sein wie es will, ich liebe sie, aber nicht mit jener niedrigen Liebe, womit ich andere geliebt habe, sondern mit einer so reinen Liebe, daß sie sich auf nichts weiter erstreckt, als ihr zu dienen und nach ihrer Gegenliebe zu streben, damit sie mir mit ehrbarem Willen das verstatte, was meine ebenfalls ehrbaren Wünsche verdienen.

Bei diesen Worten rief der Asturier mit lauter Stimme aus:

O platonische Liebe, o vornehme Scheuermagd, o hochbeglückte Zeit, in der wir leben, wo wir erfahren, daß die Schönheit verliebt macht ohne alle Bosheit, die Ehrsamkeit Herzen entzündet, ohne sie zu verbrennen, die Anmuth ergetzt, ohne zu reizen, und die Niedrigkeit des Stand es verbindet und zwingt, daß sie sogar über das Rad der sogenannten Fortuna hinausreicht. O meine armen Thunfische, die ihr dieses ganze Jahr hinbringen müßt, ohne von diesem eurem leidenschaftlichen Liebhaber besucht zu werden. Aber im künftigen Jahre will ich gewiß auf eine Weise für mein Vergehen büßen, daß die Obermeister meiner geliebten Thunfischereien sich nicht über mich sollen beklagen können.

Darauf sagte Tomas: Ich sehe schon, Asturier, daß du mich ganz unverholen ausspottest. Das beste, was du thun kannst, ist, daß du in Gottes Namen nach deiner Fischerei gehst, denn ich will hier im Hause bleiben, und hier wirst du mich finden, wenn du wieder kommst. Willst du den Theil unseres Geldes mitnehmen, der dir zukommt, so will ich dir ihn sogleich geben. Geh im Frieden und jeder folge dem Pfade, auf welchen ihn sein Geschick führen will.

Ich hatte dich doch für klüger gehalten, versetzte Lope. Siehst du denn nicht, daß ich blos Scherz treibe? Da ich aber weiß, daß du im Ernst redest, so will ich dir auch im Ernst in allem beistehen, was dir Vergnügen machen kann. Nur eines verlange ich von dir zum Lohn für die vielen Dienste, die ich dir zu leisten gedenke; ich bitte dich nämlich, keine Gelegenheit zu geben, daß Arguello mich mit ihren Liebkosungen quäle, denn eher würde ich die Freundschaft mit dir brechen, als mich in Gefahr begeben, die ihrige besitzen zu sollen. So wahr Gott lebt, Freund, sie schwatzt mehr, als ein Referent, und ihr Athem riecht eine Meile weit wie Weinhefen. Alle ihre Oberzähne sind eingesetzt und ich glaube auch, sie trägt lauter falsches Haar. Um diesen Mängeln abzuhelfen und sie zu verbessern, hat sie sich, seitdem sie mir zuerst ihre unreinen Gedanken entdeckt, aufs Schminken gelegt, und übertüncht nun ihr Gesicht dergestalt, daß es nicht anders, als wie eine Gipsmaske aussieht.

Das ist alles richtig, versetzte Tomas, und die Gallizierin, die mich peinigt, ist nicht so schlimm. Was sich thun läßt, ist, daß du blos noch diese Nacht im Gasthofe bleibst und morgen dir den Esel kaufst, von dem du sagst, und ein anderes Quartier suchst. So weichst du den Angriffen der Arguello aus und ich bleibe denen der Gallizierin ausgesetzt und den unwiderstehlichen, die von den Blitzstrahlen des Anblicks meiner Costanza ausgehen.

Hierüber kamen die beiden Freunde überein und begaben sich in den Gasthof, wo der Asturier von der Arguello sehr liebreich empfangen ward. Denselben Abend war ein Tanz vor der Thüre des Gasthofs, den eine große Anzahl von Maulthierknechten aus diesem und den benachbarten Wirthshäusern ausführten. Die Zither spielte der Asturier; die Tänzerinnen waren, außer den beiden Gallizierinnen und der Arguello, drei Dienstmädchen aus einem andern Gasthofe. Es versammelten sich auch mehrere vermummte Zuschauer, die mehr Costanza, als den Tanz zu sehen wünschten. Doch sie zeigte sich nicht und kam nicht heraus, um zuzusehen, wodurch sie manchen Wunsch vereitelte.

Lope spielte die Zither mit solcher Fertigkeit, daß die Leute sagten, er mache das Instrument sprechen. Die jungen Mädchen baten ihn daher, und am dringendsten die Arguello, daß er eine Romanze singe. Er versprach es zu thun, mit der Bedingung, daß sie dazu tanzten, wie man in den Komödien singt und tanzt, und um nicht zu fehlen, sollten sie genau alles thun, was er singe, und sonst nichts. Unter den Maulthiertreiberjungen waren tüchtige Tänzer und eben so unter den Mädchen. Lope reinigte sich die Kehle, indem er sich zweimal räusperte; unterdessen dachte er nach, was er singen wolle, und begann als ein Mensch von leicht beweglichem Geist und schnellem Witz in leichtem Fluß seiner Improvisation auf folgende Weile zu singen:

Komm hervor, komm, schön' Arguello,
Jungfrau einmal und nicht mehr!
Dann nach zierlicher Verbeugung
Tritt zurück zwei Schritte schnell!

Der, so Barrabas genannt wird,
Führe an der Hand sie weg,
Andalucier, Maulthiertreiber,
Domherr in dem Compasfeld. Viertel in Sevilla mit zweifelhafter Einwohnerschaft. ( Anm.d.Hrsg.)

Von den zwei Gallizierinnen,
Welche diese Schenke nährt,
Komme, die zuerst beleibt ist
Ohne Schürz', im Mieder her.

Sie umschlinge dann Torote,
Alle viere je zu zween:
Sich verschlingend und sich drehend
Führen sie den Walzer jetzt!

Alles, was der Asturier sang, führten die Tänzer und Tänzerinnen buchstäblich aus. Als ihnen aber geheißen wurde, einen Walzer zu beginnen, antwortete der tanzende Maulthierjunge Barrabas, dem man jenes als Spitznamen nach sagte:

Bruder Musikant, bedenke hübsch, was du singst, und hänge niemand ein schlechtes Mäntelchen um! Es will hier niemand etwas vom Walzen. Sehe ein jeder zu, wie er tanzen mag!

Der Wirth, welcher die einfältige Rede des Burschen hörte, sagte zu demselben: Bruder Maulthiertreiber, der Walzer ist ein ausländischer Tanz. Es ist nicht die Rede vom Wälzen.

Wenn das ist, erwiderte der Bursche, so ist weiter nichts darüber zu sagen. Spielt nur eure gewöhnlichen Zarabanden, Chaconen und Folieen, und macht die Anordnung nach eurem Gefallen, denn es sind hier Leute, die alles bis auf den Punct auf dem I ausführen werden.

So fuhr denn der Asturier, ohne eine Silbe zu antworten, also in seinem Gesange fort:

Kommt herbei nun, Tänzerinnen,
Flinke Tänzer kommet her!
Denn der Reigen der Chacone Ein aus Amerika stammender Tanz. ( Anm.d.Hrsg.)
Greifet weiter als das Meer!

Bringet eure Castanneten!
Frisch gehoben und gesenkt
Drauf die Hände bis zum Sande,
Bis zum Miste auf der Erd'.

Alle habt ihr's recht gemacht;
Schelten darf ich nimmermehr.
Kreuzet euch und schlagt dem Teufel
Mit zwei Händen Schnippchen jetzt!

Spuckt dem Hurensohn ins Antlitz,
Der uns unsre Lust nicht gönnt
Und der selbst von der Chacone
Niemals wieder gern sich trennt.

Neues Lied ertön', Arguello,
Du wie ein Spital so schön!
Du bist meine neue Muse,
Laß denn deine Gunst mich sehen!

Ja der Reigen der Chacone
Ist des Lebens heitre Krone.

Eine köstliche Bewegung
Wird dem Körper hier geboten,
Und die trägen Glieder fühlen
Der Erschlaffung sich entnommen.

In dem Busen kocht Gelächter
Bei dem Tanz und Zithertone,
Jedem, der dem Sang und Reigen
Beizuwohnen ist gekommen.

Füße sind quecksilberähnlich,
Schmelzen wollen die Personen,
Und zur Lust verliebter Augen
Müssen brechen die Pantoffeln:

Alte müssen sich verjüngen
In dem Schwung und kühnen Stolze,
Bei den Jungen aber geht es
Noch aus einem höhern Tone.

Ja der Reigen der Chacone
Ist des Lebens heitre Krone.

Ach wie oft hat es versucht
Diese Edelfrau, die hohe,
Mit der muntern Zarabande,
Pesame und Perramore,

Sich durch heimlich nächt'ge Breschen
Einzuschleichen in ein Kloster,
Um, der Mädchen Keuschheit störend,
Fromme Zellen zu bewohnen!

Und wie oft ward selbst von denen,
Die sie lieben, sie gescholten,
Denn es glaubt der Sohn der Freude
Und dem Dummkopf muß es kommen,

Daß der Reigen der Chacone
Ist des Lebens heitre Krone.

Diese indische Mulatttin,
Die, so heißt es, mehr den Frommen
Größers Aergerniß gegeben,
Als Aroba je ersonnen,

Sie, der alle Scheuermägde
Unterwürfig Huldigung zollen,
Und die Schaar der Edelknaben,
Die Lakaien auch am Hofe,

Schwört, betheuret unermüdet,
Daß sie stets, zum Trutz dem stolzen
Zambapalo Ein aus Amerika stammender Tanz. ( Anm.d.Hrsg.), auch die Stange
Halte dem geschicktsten Koche,

Und der Reigen der Chacone
Sei des Lebens heitre Krone.

Während Lope sang, schwenkte sich der Schwarm von Maulthiertreibern und Mägden, deren gegen zwölf sein mochten, tüchtig umher, und wie sich Lope anschickte, andere Dinge von mehr Werth, Gehalt und Bedeutung, als die vorgetragenen, zu singen, rief einer von den zahlreichen vermummten Zuschauern des Tanzes, ohne die Maske abzunehmen:

Halt dein Maul, du Trunkenbold, schweig du Weinschlauch, du Saufaus, alter Reimschmied und elender Klimperer!

Zu diesem gesellten sich noch andere mit so vielen Schimpfreden und Verhöhnungen, daß es Lope für gerathen hielt, zu schweigen. Doch die Maulthiertreiber nahmen es so übel, daß es wohl blutige Köpfe gegeben hätte, wenn der Wirth nicht gewesen wäre, der sie mit guten Worten beruhigte. Und dennoch wären sie wohl einander in die Haare gekommen, wenn nicht in demselben Augenblicke die Polizei gekommen wäre und sie allesammt nach Haus geschickt hätte.

Kaum hatten sie sich zurückgezogen, als die, welche in der Nachbarschaft noch wach waren, die Stimme eines Menschen hörten, der sich dem Gasthaus des Sevillaners gegenüber auf einen Stein gesetzt hatte und mit so wundervoller und lieblicher Melodie sang, daß alles entzückt war und sich bewogen fühlte, bis zum Ende zuzuhorchen. Wer aber am aufmerksamsten lauschte, war Tomas Pedro, den es am meißten berührte, nicht nur die Musik an sich, sondern der Sinn der Worte, denn es war ihm nicht, als ob es Lieder wären, sondern ein Excommunionsbrief, der ihm die Seele ängstete; denn der Sänger trug folgende Romanze vor:

Wo verweilst du, daß ich dich nicht
Seh, der Schönheit höchste Sphäre?
Ueberirdisches Gebilde,
Das dem Leben Reiz gewähret!

Feuerhimmel, wo für immer
Amor selbst ist eingekehret,
Erster Grund Ptolemäus nennt den ›äußersten Himmel, der alle bewegt‹, primum mobile. ( Anm.d.Hrsg.), der mit sich reißet
Mächtig jedes Glückes Wechsel!

Du Krystallgefild, in dessen
Reindurchsichtigen Gewässern
Sich die Glut der Liebe kühlet,
Läutert und zugleich vermehret!

Neue schöne Himmelsdecke,
Der verliehen sind zwei Sterne,
Die, ihr Licht nicht fernher leihend,
Erd und Himmel selbst erhellen!

Freude, die sich jeder Trauer
Allenthalben widersetzet,
Die der Vater bringt, deß Bauch
Grab wird für die eignen Söhne! Die Zeit. ( Anm.d.Hrsg.)

Demuth, die der hohen Gnade
Jupiters will widerstehen,
Der mit seiner reichen Fülle
Dir will spenden seinen Seegen!

Unsichtbares zartes Netz,
Das in Bande, nie zerbrechend,
Schlägt den buhlerischen Krieger,
Der stets sieget in Gefechten! Anspielung auf das Netz, in dem Ares und Aphrodite von Hephaistos gefangen wurden. ( Anm.d.Hrsg.)

Vierter Himmel, zweite Sonne,
Die verdunkelt ganz die erste,
Läßt du dich durch Zufall sehen –
Glück und Zufall ists, dich sehen!

Hoher Bote, ernst und herrlich
Mit so weisem Sinne sprechend,
Der, mehr als er will, durch Schweigen
Zu der Minne überredet!

Von dem zweiten Himmel hast du
Mehr nicht, als den Glanz der Schöne
Und vom ersten weiter nichts
Als des Mondes holdes Glänzen.

Dieser Kreis seid ihr, Costanza,
Doch durch Schicksals Neid gesetzet
An unscheinbarn Ort und deines
Glanzes ganz unwürdige Stätte.

Spinne deines Schicksals Faden,
Spinn' ihn selbst mit eignen Händen!
Wandle deine Härt' in Sanftmuth,
Zähme deinen Sinn, den spröden!

Dann wirst dein Geschick, o Herrin,
Bald du dir beneidet sehen,
Von den Stolzen ob dem Adel,
Von den Großen durch die Schöne.

Wollt ihr schnell zum Ziel gelangen,
Biet' ich reiches, reines Sehnen,
Das in meinem Busen glühet,
Wie's nur Amor je gesehen.

In dem Augenblick, wo der Sänger diese letzten Verse vollendet hatte, kamen ein paar Ziegelstücke geflogen. Wären die selben, wie sie neben den Füßen des Sängers niederfielen, ihm mitten auf den Kopf gefallen, so hätten sie leicht Musik und Poesie ihm aus dem Sinn bringen können. Indeß erschrack der arme Teufel und lief so schnell den Hügel hinan, daß ihn auch ein Windhund nicht würde eingeholt haben. Unglückliches Loos der Sänger, die mit den Fledermäusen und Eulen ausfliegen, daß sie stets dergleichen Regenschauern und Unfällen ausgesetzt sind!

Alle, welche die Stimme des Gesteinigten vernommen hatten, fanden sie schön, am schönsten aber fand sie Tomas Pedro, welcher sowohl die Stimme, als das Lied bewunderte. Indeß wünschte er doch, daß eine andere als Costanza Gelegenheit zu so vielen Ständchen gegeben hätte, wiewohl keines derselben je zu ihren Ohren gelangte.

Ganz anderer Meinung aber war der Maulthiertreiber Barrabas, welcher ebenfalls den Gesang mit angehört hatte. Denn wie er den Sänger ausreißen sah, rief er:

Lauf, du Narr, du Judaspoet, daß dir die Flöhe die Augen ausfressen! Welcher Teufel hat dich gelehrt, einer Küchenmagd von Sphären und Himmeln vorzusingen, und sie Sonntag, Montag und Glücksrad zu nennen! Du hättest ihr ins Teufels Namen für dich und diejenigen, welchen deine Reimerei gefällt, sagen sollen, sie sei so spröde als eine Spargel, so stolz wie ein Federbusch, so weiß wie Milch, so ehrbar wie eine Klosternovize, so geziert und unbiegsam wie ein Miethesel und härter als ein Stück Mörtel; alsdann hätte sie es doch verstanden und sich darüber gefreut. Doch daß du sie einen Gesandten, ein Netz, einen Grund, Hoheit und Niedrigkeit nennst, das läßt sich eher zu einem Schuljungen, als zu einer Küchenmagd sagen. Es gibt doch wahrlich Dichter in der Welt, die Reime schreiben, welche kein Teufel versteht. Ich wenigstens bin zwar Barrabas In der Umgangssprache Spaniens damals eine beliebte Umschreibung für ›Teufel‹. ( Anm.d.Hrsg.), doch von dem, was dieser Musikant gesungen hat, verstehe ich lediglich nichts. Seht zu, was Costanza daraus machen wird! Doch die macht es gescheidter. Sie bleibt im Bette und schiert sich den Teufel um ihn und wäre es der Priester Johann von Indien. Dieser Spielmann gehört wenigstens nicht zu den Gefährten des Sohnes des Corregidors, denn deren sind viele, und sie kann man noch bisweilen verstehen. Dieser aber, soll mich der und jener! hat mich ganz verdrießlich gemacht.

Alle diejenigen, die den Barrabas hörten, freuten sich nicht wenig darüber und fanden, daß seine Kritik und sein Gutachten das Ziel genau treffe. Hiermit gieng alles zu Bette, und kaum war alles zur Ruhe gegangen, als Lope vor der Thüre seines Gemaches ganz leise rufen hörte, und auf seine Frage, wer es sei, erhielt er mit gedämpfter Stimme die Antwort:

Wir sind es, die Arguello und die Gallizierin. Oeffnet uns, denn wir erfrieren fast!

Nun in der That, antwortete Lope, wir sind ja in der Mitte der Hundstage.

Sei so gut und laß dieß Geschwätz, Lope, erwiderte die Gallizierin, steh auf und öffne die Thür, denn wir sind im Staat wie Erzherzoginnen.

Was Erzherzoginnen und zu dieser Stunde, antwortete Lope. Ich glaube an keine solche; eher denke ich, ihr seid Hexen oder die allergrößten Spitzbübinnen! Packt euch von binnen, oder beim Leben des … ich schwöre, wenn ich aufstehen muß, so will ich euch mit den Schnallen meines Gurtriemens eure Hintern bearbeiten, daß ihr aussehen sollt wie Klapperrosen.

Die beiden Weibsstücke, welche sich so gröblich antworten hörten und so völlig verschieden von dem, was sie sich bisher einbildeten, fürchteten die Wuth des Asturiers und giengen, um ihre Hoffnungen betrogen und mit gekreuzten Plänen, traurig und mißvergnügt zu Bette. Ehe sie aber von der Thüre weggiengen, rief Arguello, indem sie ihren Rüssel dem Schlüsselloch näherte, hinein: Der Honig ist nicht für den Gaumen des Esels gemacht.

Und nun kehrte sie, als wenn sie eine recht wichtige Sentenz gesagt und eine gerechte Rache genommen hätte, wie gesagt, nach ihrem einsamen Lager zurück.

Als Lope merkte, daß sie fort waren, sagte er zu Tomas Pedro, welcher aufgewacht war:

Hört, Tomas, verlangt von mir, daß ich zwei Riesen bekämpfe oder gebt mir Gelegenheit, euch zu Liebe einem halben Dutzend Löwen oder einem ganzen die Kinnbacken auszubrechen! Ich will es leichter thun, als man ein Glas Wein austrinkt. Wenn ihr mich aber in die Nothwendigkeit bringet, mit der Arguello handgemein zu werden, so willige ich nicht ein, und wollte man mich mit Pfeilen todtschießen. Schaut doch, was für Fräulein von Dänemark Anspielung auf den damals beliebten Ritterroman »Amadis von Gallien«, wo diese vorkommen. ( Anm.d.Hrsg.) uns das Schicksal diese Nacht bescheert hat! Es mag aber nun gut sein, denn Gott wird auch den Morgen kommen lassen, dann wollen wir weiter sehen.

Ich habe dir schon gesagt, Freund, antwortete Tomas, daß du ganz nach deinem Gefallen handeln kannst, du magst nun entweder auf deine Wanderschaft gehen, oder dir den Esel kaufen und ein Wasserträger werden, wie du schon beschlossen hast.

Ein Wasserträger will ich werden, antwortete Lope. Jetzt aber wollen wir die kurze Zeit bis zum Tage noch schlafen, denn ich habe einen Kopf, größer als ein Faß, und ich bin nicht aufgelegt, jetzt noch mit dir zu plaudern.

Sie schliefen ein, es wurde Tag und sie standen auf. Tomas theilte Futter aus und Lope gieng auf den Viehmarkt, der nicht weit entlegen ist, um sich einen guten Esel zu kaufen.

 

Es trug sich nun zu, daß Tomas bei den Gedanken, die ihn beschäftigten, und bei der Muße, die ihm die Einsamkeit der Mittagsruhe gewährte, in ein paar Freistunden einige zärtliche Verse dichtete und sie in dasselbe Buch schrieb, in welchem er Rechnung über die Gerste führte, in der Absicht, sie besonders ins Reine zu schreiben und die beschriebenen Blätter entweder herauszureißen oder zu durchstreichen. Doch ehe es dazu kam, nahm sein Herr, als Tomas gerade ausgegangen und das Buch auf dem Futterkasten liegen geblieben war, dasselbe in die Hand, und wie er es aufschlug, um zu sehen, wie es mit der Rechnung stehe, fielen ihm die Verse in die Augen, und er ward dadurch, wie er sie gelesen hatte, beunruhigt und in Verwunderung gesetzt.

Er gieng damit zu seiner Frau, doch ehe er sie vorlas, rief er Costanza und forderte sie mit eindringlichen, mit Drohungen vermischten Bitten auf, ihm zu sagen, ob Tomas Pedro, der Gerstenmesser, ihr irgend etwas Zärtliches oder etwas Unanständiges gesagt oder angedeutet habe, daß er in sie verliebt sei.

Costanza schwur, sie solle noch das erste Wort in dieser oder einer andern Angelegenheit von ihm hören, und nie habe er ihr auch nur durch Blicke irgend einen sträflichen Gedanken zu erkennen gegeben.

Ihre Herrschaft glaubte ihr, weil sie gewohnt waren, auf alle Fragen immer die Wahrheit von ihr zu hören. Sie ließen sie darauf wegsehen und der Wirth sagte zu seiner Frau:

Ich weiß nicht, was ich über die Sache denken soll. Wißt, liebe Frau, Tomas hat in dieses Gerstenbuch Verse geschrieben, welche mir durchaus den Gedanken in den Kopf setzen, er sei in Costancica verliebt.

Laß einmal die Strophen sehen, antwortete die Frau, so will ich euch sogleich sagen, was daran ist.

Das glaube ich sicher, versetzte ihr Gatte, denn da ihr eine Dichterin seid, werdet ihr bald den Sinn herausfinden.

Ich bin keine Dichterin, antwortete die Frau, aber ihr wißt, ich habe einen guten Verstand und kann die vier Gebete lateinisch hersagen.

Ihr thätet besser daran, ihr sagtet sie spanisch, denn euer Oheim, der Geistliche, hat euch ja schon gesagt, ihr machet tausend Schnitzer, wenn ihr lateinisch betet, so daß es gar kein Beten mehr sei.

Das ist ein Pfeil, der aus dem Köcher seiner Nichte kommt, die neidisch darauf ist, daß ich mein lateinisches Brevier in der Hand habe und darin meine Augen spazieren führe wie in einem bepflanzten Weinberge.

Sei das, wie ihr wollt, antwortete der Wirth. Hört einmal zu! Die Verse lauten so:

Wem ist Amor wohl geneigt?
    Dem, der schweigt.

Wer besiegt die Sprödigkeit?
    Festigkeit.

Wer bat Liebeslust erreicht?
    Wer nicht weicht.

Also dürft' ich hoffen leicht
Amors Sieg auch zu erringen,
Wenn's dem Herzen wird gelingen,
Daß es schweigt, festhält, nicht weicht.

Was ernährt die Liebesbrunst?
    Gegengunst.

Und was schwächet ihre Glut?
    Wilder Muth.

Mein Verschmähen schärft sie leicht,
    Eh' sie weicht.

Klar ersieht man so, mich deucht,
Meine Lieb muß ewig sein,
Da die Quelle meiner Pein
Nicht Verschmähn, noch Gunst mir zeigt.

Was folgt auf Verzweiflungsmacht?
    Todes Nacht.

Was hilft nur in solcher Noth?
    Halber Tod.

Also hilft der Tod wohl sehr?
    Dulden mehr.

Dafür gibt mir ja Gewähr
Jenes Sprüchwort unsrer Alten,
Und daran will ich mich halten:
Nach dem Sturme ruht das Meer.

Sag' ich, welche Qual mich drückt?
    Wenn sich's schickt.

Gibt sich nie ein Anlaß mir?
    Der wird dir.

Dann werd' ich gestorben sein.
    Wenn nur rein

Deine Treu sich stets bewährt
Und Costanza es erfährt,
Wird dein Weinen Lachen sein.

Steht noch etwas da? sagte die Wirthin.

Nein, antwortete ihr Mann. Aber was deucht euch von diesen Versen?

Zuerst, sagte sie, ist zu ermitteln, ob sie von Tomas herrühren.

Daran ist nicht zu zweifeln, erwiderte ihr Mann, denn die Handschrift der Gerstenrechnung und die der Verse ist eine und dieselbe. Das ist nicht zu leugnen.

Seht, lieber Mann, sagte die Wirthin, wenn auch gleich die Verse Costanzchen nennen und man daraus schließen könnte, sie seien für sie gedichtet, so können wir dieß doch deshalb nicht so gewiß behaupten, als hätten wir sie schreiben sehen, zumal da es noch andere Costanzen als die unsrige in der Welt gibt. Doch gesetzt auch, diese sei gemeint, so sagt er ihr darin nichts Unanständiges, noch verlangt er etwas von ihr, was von Bedeutung wäre. Wir wollen ein wachsames Auge haben und das Mädchen warnen, denn wenn er in sie verliebt ist, so macht er sicherlich noch mehr Verse und sucht sie ihr zuzustecken.

Wäre es nicht besser, sagte darauf ihr Mann, wenn wir uns aller dieser Sorgen entledigten und ihn aus dem Hause entfernten?

Dieß liegt in eurer Hand, antwortete die Wirthin; da aber, wie ihr selbst sagt, der Junge euch so gut bedient, halte ich es für eine Gewissenssache, ihn einer so geringfügigen Ursache wegen zu verabschieden.

Nun wohl, sagte ihr Mann. Wir wollen ein wachsames Auge haben, wie ihr sagt, und die Zeit wird uns lehren, was wir zu thun haben.

Dabei blieb es und der Wirth legte das Buch wieder an den Ort, wo er es gefunden hatte.

Tomas suchte, als er zurückkam, sogleich mit ängstlichem Eifer sein Buch und schrieb, nachdem er es gefunden hatte, um jeder weiteren Besorgniß zu entgehen, die Verse ab, zerriß die beschriebenen Blätter und beschloß, bei der ersten Gelegenheit, die sich ihm darböte, Costanza den Wunsch seines Herzens zu entdecken. Da diese aber unverrückt auf dem Pfade ihrer Sittsamkeit und Zurückgezogenheit fortschritt, gab sie keinem Menschen Gelegenheit, sie anzusehen, geschweige denn eine Unterredung mit ihrer anzufangen; und da überdieß so viele Leute und so viele Augen gewöhnlich im Gasthaus aufpaßten, vermehrte sich dadurch noch die Schwierigkeit, sie zu sprechen, worüber der arme Verliebte fast in Verzweiflung gerieth.

An diesem Tage erschien Costanza mit einem Tuche, womit sie das Gesicht verbunden hatte, und als man sie fragte, warum sie so gehe, sagte sie, sie habe heftige Zahnschmerzen. Tomas, dem sein Verlangen den Geist schärfte, verfiel sogleich darauf, was hier zu machen sei und sagte:

Fräulein Costanza, ich will euch ein Gebet aufgeschrieben geben; wenn man dieß zweimal hersagt, so ist einem der Zahnschmerz wie weggewischt.

Ganz recht, antwortete Costanza; ich will es beten, denn ich kann wohl lesen.

Ich mache jedoch die Bedingung, sagte Tomas, daß ihr es niemand zeigt, denn ich achte es sehr hoch, und es wäre nicht gut, daß es, wenn es viele wissen, geringer geachtet würde.

Das verspreche ich, sagte Costanza. Ich will es niemand geben, Tomas. Theilt es mir nur sogleich mit, denn der Schmerz plagt mich gar sehr.

Ich werde es aus dem Kopfe aufschreiben, antwortete Tomas, und es euch sogleich geben.

Dieß waren die ersten Worte, welche Tomas mit Costanza und Costanza mit Tomas sprach während der ganzen Zeit, die er im Hause war, und dieß waren vierundzwanzig Tage. Tomas begab sich hinweg, schrieb das Gebet auf und fand Gelegenheit, es Costanza zu geben, ohne daß es jemand sah. Mit vielem Vergnügen und noch mehr Andacht gieng sie allein nach ihrem Zimmer, schlug das Papier auseinander und las Folgendes:

 

Gebieterin meiner Seele,

ich bin ein Ritter gebürtig aus Burgos. Wenn ich länger lebe, als mein Vater, so erbe ich ein Majorat von sechstausend Ducaten jährlicher Einkünfte. Der Ruf von eurer Schönheit, der sich viele Meilen weit erstreckt, hat mich bewogen, mein Vaterland zu verlassen, meinen Aufzug zu wechseln und in der Tracht, in der ihr mich seht, in die Dienste eures Herrn zu treten. Wollt ihr Herrin über mich werden, auf dem Wege, den eure Sittsamkeit für den angemessensten findet, so überlegt, welche Beweise ich euch beibringen soll, um euch von der Wahrheit meiner Behauptung zu überzeugen. Seid ihr davon überzeugt und ist es euch genehm, so will ich euer Gemahl werden und mich für den glücklichsten Menschen auf der Welt halten. Für jetzt bitte ich euch blos, so zärtliche und lautere Absichten, wie die meinen sind, nicht den Leuten auf der Gasse bekannt werden zu lassen; denn wenn euer Herr sie erfährt und ihnen keinen Glauben beimißt, so wird er mich aus eurer Nähe verbannen, was für mich eben so viel wäre, als wenn er mich zum Tode verurtheilte. Erlaubt mir, Fräulein, daß ich euch sehe, bis ihr mir glaubt, und bedenkt, daß derjenige nicht die harte Züchtigung verdient, euren Anblick zu entbehren, der sich weiter nichts hat zu Schulden kommen lassen, als daß er euch anbetet. Mit den Augen könnt ihr mir antworten, unbemerkt von den vielen Augen, die euch beständig betrachten; denn eure Augen tödten, wenn sie zürnen, und rufen ins Leben, wenn sie mitleidig sind.

 

Tomas, der wußte, daß Costanza sich entfernt hatte, um seinen Brief zu lesen, harrte ihrer mit klopfendem Herzen, getheilt zwischen Furcht und Hoffnung, entweder sein Todesurtheil zu vernehmen oder sein Leben wieder zu erhalten. In diesem Augenblicke kam Costanza heraus und erschien so schön, obgleich sie ihr Gesicht verhüllt hatte, daß, wenn durch irgend einen Zufall ihre Schönheit hatte erhöht werden können, man das Urtheil hätte fällen können, daß die Ueberraschung, die es ihr verursachte, in dem Papier des Tomas etwas so ganz anderes zu finden, als sie gehofft hatte, ihre Schönheit vergrößert habe.

Sie trat mit dem Papier in der Hand heraus, zerriß dieses in kleine Stücke und sagte zu Tomas, der kaum im Stande war, sich aufrecht zu halten:

Bruder Tomas, dein Gebet da erscheint eher als eine Zauberformel und arglistige Lüge, denn als ein heiliges Gebet; daher will ich nicht daran glauben noch es benützen, und ich habe das Papier zerrissen, damit es nicht einem Mädchen zu Gesicht komme, die leichtgläubiger ist, als ich. Lerne lieber andere leichtere Gebete, denn dieses kann dir unmöglich irgend von Nutzen sein.

Mit diesen Worten gieng Costanza nach dem Zimmer ihrer Frau, Tomas aber blieb erstaunt zurück, indeß doch damit einigermaaßen getröstet, daß er sah, daß in Costanzas Busen allein das Geheimniß seiner Sehnsucht verschlossen sei; denn er glaubte, sie werde ihrer Herrschaft nichts davon sagen und so sei er wenigstens außer Gefahr, aus dem Hause gejagt zu werden. Uebrigens glaubte er, daß er durch den ersten Schritt, den er in seiner Sache gethan, über tausend Berge von Hindernissen hinweggekommen sei, denn bei großen und zweifelhaften Unternehmungen besteht die größte Schwierigkeit im Beginnen.

 

Während dieß in dem Gasthofe vorfiel, gieng der Asturier herum, um einen Esel zu kaufen. Er fand viele, allein keiner war ihm recht, ob sich gleich ein Zigeuner viele Mühe gab, ihm einen aufzuhängen, der mehr wegen des Quecksilbers rasch gieng, welches man ihm in die Ohren gegossen hatte, als aus natürlicher Flüchtigkeit. Allein wenn ihm auch der Gang desselben gefiel, so mißfiel ihm doch das ganze Gebäude, denn er war klein und nicht von der Größe und dem Wuchse, wie es Lope verlangte, welcher einen Esel suchte, der stark genug wäre, ihn noch neben seinen Krügen zu tragen, mochten diese nun leer oder voll sein.

Indem näherte sich ihm ein Bursche und sagte ihm ins Ohr: Guter Freund, wenn ihr ein Thier zum Wasserträgerhandwerk sucht, so habe ich einen Esel hier in der Nähe auf einer Wiese, wie kein besserer und größerer in der ganzen Stadt ist.

Er rieth ihm ferner, kein Thier von einem Zigeuner zu kaufen; denn wenn diese auch gesund und gut zu sein scheinen, so seien sie doch alle falsch und voll Fehler.

Wenn ihr etwas anständiges kaufen wollt, fuhr er fort, so kommt mit mir und haltet reinen Mund.

Der Asturier glaubte ihm und sagte, er möge ihn nur dahin führen, wo der Esel sei, den er so sehr rühme.

Sie giengen beide Hand in Hand, wie man zu sagen pflegt, bis sie beim königlichen Garten ankamen, wo sie im Schatten einer Wasserkunst viele Wasserträger fanden, deren Esel auf einer nahen Wiese weideten. Der Verkäufer zeigte ihm seinen Esel, welcher dem Asturier in die Augen stach, und alle Anwesenden priesen das Thier als einen kräftigen Träger, Läufer und Fresser über die Maaßen.

Sie wurden Handels einig, die übrigen Wasserführer machten die Mäkler und Unterhändler, und ohne weitere Gewährleistung zu verlangen oder nähere Erkundigung einzuziehen, gab er für den Esel, nebst allem Zubehör des Dienstes, sechzehn Ducaten, die er baar in Goldthalern auszahlte. Man wünschte ihm Glück zum Kauf und zum Eintritt in die Zunft, und versicherte ihn, er habe einen sehr guten Kauf an dem Esel gemacht, denn sein bisheriger Herr habe, ohne sich zu übernehmen, neben dem anständigen Unterhalte für sich und den Esel, in weniger als Jahresfrist sich zwei paar Kleider verdient und noch diese sechzehn Ducaten, mit welchen er in seine Heimath zu gehen gedenke, wo man ihm eine weitläufige Verwandte zur Frau ausgesucht habe.

Außer den Unterhändlern bei dem Eselhandel waren noch vier andere Wasserführer zugegen, die, auf dem Boden gelagert, Primera spielten, wobei ihnen die Erde als Tisch und ihre Mäntel als Teppich dienten. Der Asturier sah ihnen zu und bemerkte, daß sie nicht wie Wasserführer, sondern wie Erzdiakone spielten, denn der Rest eines jeden betrug über hundert Realen an Silber- und Kupfergeld. Ein einziges Spiel drohte alle andern in Rest zu versetzen, und wenn nicht einer die Partie des andern genommen hätte, so hatte jener Spieler reinen Tisch gemacht.

Endlich verloren jene beiden bei dem Reste all ihr Geld und standen auf. Als dieß der Verkäufer des Esels sah, sagte er, wenn er einen vierten Mann hätte, würde er gern weiter spielen, denn er spiele nicht gern zu dreien. Der Asturier, der eine so zarte Zuckerseele hatte, daß er keine Suppe verderben konnte, wie der Italiäner sagt, erklärte, er wolle der vierte sein.

Sogleich setzten sie sich nieder, die Sache gieng recht gut, aber es wurde mehr darauf gesehen, viel Geld, als viel Zeit auf das Spiel zu verwenden und in kurzer Zeit verlor Lope die sechs Thaler, die er noch hatte. Da er sich nun ohne einen Heller Geld sah, sagte er, wenn sie um den Esel spielen wollen, so halte er mit. Seine Mitspieler nahmen den Vorschlag an und Lope setzte den vierten Theil seines Esels auf einmal, und sagte, er wolle ihnen ein Viertel um das andere ausspielen. Er bekam aber so schlechte Karten, daß er auf vier Sätze hinter einander die vier Viertel seines Esels verlor, und derselbe, welcher den Esel an ihn verkauft hatte, gewann ihm denselben auf diese Weise wieder ab.

Er stand nun auf, um sich des Esels wieder zu bemächtigen, der Asturier aber sagte, sie möchten beachten, daß er nur die vier Viertel des Esels verspielt habe, den Schwanz aber müssen sie ihm überlassen und dann können sie in Gottes Namen den Esel hinnehmen.

Alle mußten lachen über das Ansprechen des Schwanzes; einige aber, die etwas von den Gesetzen verstehen wollten, waren der Ansicht, diese Forderung sei ganz unstatthaft, und sagten, wenn man einen Hammel oder irgend ein anderes Stück Schlachtvieh verkaufe, so reiße man auch nicht den Schwanz heraus und nehme ihn zurück, denn dieser gehe nothwendig mit einem von den beiden Hintervierteln weg.

Lope versetzte, die Hämmel aus der Berberei haben gewöhnlich fünf Viertel und das fünfte sei der Schwanz, und wenn solche Hämmel zertheilt werden, so sei der Schwanz so viel werth, als jedes der Viertel. Wenn übrigens das Vieh lebendig verkauft und nicht getheilt werde, so gehe der Schwanz darein, das gebe er zu; sein Esel aber sei nicht verkauft, sondern verspielt worden, und es sei nie seine Absicht gewesen, den Schwanz mit zu setzen; sie möchten ihm also denselben sogleich zurückgeben mit allem, was dazu gehöre und daran hänge, nämlich vom Nackenwirbel an mit allen Knochen des Rückgrats von oben bis hinunter zu den letzten Härchen.

Angenommen, sagte einer der Gegenwärtigen, es wäre so, wie ihr sagt, und man gäbe euch den Schwanz, wie ihr verlangt, was bleibt dann noch Gutes an dem Esel?

Sei das, wie es will! versetzte Lope, gebt mir nur meinen Schwanz! Wo nicht, so sollt ihr bei Gott auch den Esel nicht hinwegnehmen, und wenn alle Wasserträger in der Welt kämen, um mir ihn abzunehmen. Und denkt nur ja nicht, weil ihr hier zu so vielen um mich hersteht, werdet ihr mich in Furcht jagen; denn ich stehe gewiß meinen Mann, und verstehe wohl, einem den Dolch zwei Spannen lang in die Gedärme zu stoßen, ohne daß er weiß wie und woher und von wem es kommt. Ich will ja nicht, daß man mir den Schwanz nach seinem Werthe bezahlen soll, sondern ich verlange nur, daß man mir ihn giebt wie er ist und von dem Esel losschneidet, wie ich gesagt habe.

Der Gewinner und die übrigen hielten es nicht für gerathen, Gewalt zu gebrauchen, weil sie den Asturier für viel zu hochfahrend hielten, um etwas damit bei ihm auszurichten.

Dieser aber, der in der Schule der Thunfischerei gebildet war, wo allerlei Gefahren und Hinterlist mit Fluchen und Schreien zu Hause sind, warf jetzt den Hut in die Luft, faßte einen Dolch, den er unter dem Kittel trug, und nahm eine Stellung an, die der ganzen wasserführenden Gesellschaft Furcht und Achtung einflößte. Zuletzt that einer von ihnen, der der klügste und vernünftigste unter ihnen zu sein schien, den Vorschlag, man solle den Schwanz gegen ein Viertel vom Esel im Guinolaspiel aussetzen. Man war es zufrieden, Lope gewann das Spiel, der andere ärgerte sich, setzte das andere Viertel und nach drei weiteren Partieen hatte er den ganzen Esel wieder verloren. Er wollte um Geld spielen, Lope weigerte sich, doch lagen ihm alle so an, daß er nachgeben mußte. Er gewann dem Bräutigam sein Reisegeld ab, und ließ ihm nicht einen einzigen Heller. Dieser zog sich seinen Verlust so zu Herzen, daß er sich zur Erde warf und mit dem Kopf gegen den Boden zu schlagen begann.

Lope aber als ein wohlerzogener und eben so edelmüthiger als mitleidiger Charakter erhob ihn vom Boden, und gab ihm alles gewonnene Geld zurück nebst den sechzehn Dukaten für den Esel. Außerdem vertheilte er noch anderes Geld, das er bei sich hatte, an die Umstehenden und erregte durch diese außerordentliche Freigebigkeit das Staunen aller, und wäre dieß in den Zeiten und Verhältnissen Tamorlans Tamerlan, so die europäische Form von Temür ibn Taraghai Barlas (1336-1405); zentralasiatischer islamischer Militärführer eines in Samarkand ansässigen turko-mongolischen Stammesverbands und Eroberer am Ende des 14. Jh. Timurs Herrschaft ist gekennzeichnet durch Brutalität und Tyrannei. Gleichzeitig galt er als großzügiger Kunst- und Literaturförderer. ( Anm.d.Hrsg.) geschehen, so hätten sie ihn zum König der Wasserträger ausgerufen.

Unter großer Begleitung gieng Lope nach der Stadt zurück, und erzählte Tomas das Vorgefallene, und Tomas gab ihm seinerseits Nachricht von dem guten Erfolge seiner Werbung. In der ganzen Stadt aber gab es keine Kneipe, Bude, noch Eckensteherplatz, wo man nicht von dem Spiel um den Esel hörte, von dem Gegenspiel um den Schwanz, sowie von dem Eifer und der Freigebigkeit des Asturiers. Wie aber die schändliche Bestie Publicum großen Theils schändlich, verrucht und verläumderisch ist, so war die Erinnerung an die Freigebigkeit, den edeln Stolz und die guten Eigenschaften des großen Lope bald verschwunden und nur die an den Schwanz geblieben. Kaum war er daher zwei Tage lang Wasser verkaufend durch die Stadt gegangen, als er schon von vielen mit Fingern auf sich deuten sah und sagen hörte: Dieß ist der Wasserträger mit dem Schwanze.

Die Straßenjungen, auf alles aufmerksam, wußten bald die ganze Geschichte, und Lope durfte sich nur am Eingang irgend einer Straße zeigen, als sie von allen Seiten, der eine von da, der andere von dort, auf ihn zuriefen:

Asturier gib den Schwanz her! Gib den Schwanz her, Asturier!

Lope, der sich von so viel Zungen und so viel Stimmen anfallen sah, hielt es fürs beste, zu schweigen, denn er glaubte, diese große Unverschämtheit werde an seinem beharrlichen Stillschweigen scheitern, allein es half ihm gar nichts, denn je mehr er schwieg, desto mehr schrieen die Jungen und er versuchte es, seine Geduld in Zorn zu verwandeln. Er stieg vom Esel und schlug mit einem Knittel unter die Buben, was aber eben so gut war, als wenn er Pulver gerieben und Feuer daran gelegt oder die Köpfe der lernäischen Schlange Hydra: vielköpfiges Ungeheuer der griechischen Mythologie. Wenn sie einen Kopf verliert, wachsen ihr zwei neue, zudem ist der Kopf in der Mitte unsterblich. Ihr Hauch soll tödlich sein. ( Anm.d.Hrsg.) abzuhauen versucht hätte; denn statt eines Kopfes, den er abhieb, indem er einen Jungen durchprügelte, entstanden in demselben Augenblicke nicht sieben, sondern siebenhundert andere, die noch eifriger und anhaltender den Schwanz von ihm begehrten.

Endlich fand er es für gut, sich in eine Schenke zurückzuziehen, wo er, um der Arguello zu entfliehen, entfernt von seinem Gefährten seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte. Er wollte da bleiben, bis der Einfluß dieses unglücklichen Planeten vorüber wäre, und die Jungen vergessen hätten, auf so boshafte Weise von ihm den Schwanz zu verlangen. Sechs Tage lang verließ er das Haus nicht eher, als bei Nacht, wo er Tomas besuchte und ihn nach dem Zustande seiner Angelegenheit befragte.

Tomas erzählte ihm, seit er Costanza das Papier gegeben habe, sei es ihm nicht mehr möglich gewesen, ein Wort mit ihr zu reden, und es scheine ihm, als ob sie sich noch mehr zurückziehe, als gewöhnlich, denn wie er einmal Gelegenheit gefunden habe, mit ihr zu reden, habe sie, noch ehe er dazu gekommen sei, zu ihm gesagt:

Tomas, ich habe keine Schmerzen und bedarf also weder deiner Worte noch deiner Gebete. Sei zufrieden, daß ich dich nicht bei der Inquisition verklage, und im Uebrigen gib dir keine Mühe!

Bei diesen Worten aber habe sie weder Zorn im Blicke noch sonst Widerwillen gezeigt, der Sprödigkeit verrathen hätte.

Lope erzählte ihm, wie angelegen es sich die Gassenbuben sein lassen, ihm den Schwanz abzufordern, weil er den seines Esels verlangt habe, und dadurch auf so köstliche Weise wieder zu seinem Verluste gekommen sei. Tomas rieth ihm, nicht auszugehen, wenigstens nicht auf dem Esel, und wenn er es je thue, einsame und abgelegene Gäßchen zu wählen. Helfe das nicht, so bleibe ihm weiter nichts übrig, als diese Beschäftigung ganz aufzugeben, dieß wäre das äußerste Mittel, um einer so beschimpfenden Forderung ein Ende zu machen. Lope fragte ihn, ob die Gallizierin sich wieder an ihn gemacht habe. Tomas sagte nein, doch ermangle sie nicht, ihn mit allerlei Geschenken und Leckereien zu kirren, die sie in der Küche den Gästen stehle.

Lope zog sich darauf in seine Herberge zurück, mit dem Vorsatze, innerhalb fernerer sechs Tage nicht auszugehen, wenigstens nicht mit dem Esel. Es mochte elf Uhr in der Nacht sein, als man ganz unerwartet und unvorhergesehen eine Menge Gerichtsdiener mit dem Corregidor an der Spitze in den Gasthof eintreten sah. Der Wirth und seine Gäste waren hierüber sehr bestürzt, denn gleich den Kometen, welche, sobald sie erscheinen, Angst vor künftigem Unglück und Noth verursachen, verbreiten auch die Diener der Gerechtigkeit, sobald sie plötzlich und in großer Anzahl in das Haus treten, Bestürzung und Schreck, selbst über Gemüther, welche sich rein von Schuld fühlen.

Der Corregidor trat in einen Saal und rief den Wirth des Hauses, welcher zitternd herbeieilte, um zu fragen, was der Herr Corregidor wünsche. Sobald ihn der Corregidor erblickte, legte er ihm mit großem Ernst die Frage vor:

Seid ihr der Wirth?

Ja, mein Herr, antwortete dieser, Euer Gestrengen zu Befehl, was ihr mir immer auftragen wollt.

Der Corregidor befahl, alle im Saale Anwesenden sollen hinausgehen und ihn mit dem Wirth allein lassen. Es geschah, und als sie allein waren, sagte der Corregidor zum Wirth:

Wirth, was für Dienerschaft habt ihr in eurem Gasthause?

Mein Herr, antwortete dieser, ich habe zwei junge Gallizierinnen, eine Haushälterin und einen Jungen, der Rechnung führt über Gerste und Stroh.

Sonst niemand? versetzte der Corregidor.

Nein, mein Herr, antwortete der Wirth.

Nun so sagt mir, Wirth, sagte der Corregidor, wo bleibt denn ein gewisses Mädchen, das in diesem Hause dienen soll, und die so schön sei, daß man sie in der ganzen Stadt die vornehme Küchenmagd nennt. Zugleich hat man mir erzählt, mein Sohn Don Periquito sei in sie verliebt, und es vergehe keine Nacht, daß er ihr nicht ein Ständchen bringe.

Gnädiger Herr, antwortete der Wirth, diese vornehme Küchenmagd, von welcher man spricht, ist wirklich in meinem Hause, allein sie ist weder meine Magd noch ist sie es nicht.

Ich verstehe nicht, was das heißen soll, Herr Wirth, daß die Küchenmagd eure Magd ist und auch nicht.

Ich habe ganz richtig gesprochen, fuhr der Wirth fort, wenn ihr es mir erlaubt, will ich euch den Zusammenhang der Sache sagen, den ich noch nie jemand entdeckt habe.

Zuvor will ich die Scheuermagd sehen, sagte der Corregidor, ehe ich etwas anders zu wissen begehre. Ruft sie hierher.

Der Wirth gieng an die Thüre des Saals und sagte: Höre, Frau, laßt sogleich Costanzchen hereinkommen!

Als die Wirthin hörte, daß der Corregidor Costanza zu sehen verlange, erschrack sie, fieng an die Hände zu ringen und rief:

Ach ich unglückliche! der Corregidor verlangt Costanza und allein! Ein großes Unheil muß sich ereignet haben, denn die Schönheit dieses Mädchens bezaubert alle Männer.

Costanza, welche dies hörte, sagte: Habt nur keine Sorge, liebe Frau! Ich will sehen, was der Herr Corregidor verlangt, und wenn irgend ein Unglück vorgefallen ist, so seid nur versichert, daß ich keine Schuld daran habe!

Sie wartete nicht, bis man sie noch einmal rief, ergriff einen silbernen Leuchter mit einer brennenden Kerze und gieng mehr verschämt als furchtsam in das Zimmer, wo sich der Corregidor befand. Wie der Corregidor sie erblickte, befahl er dem Wirthe, die Thüre des Saals zuzuschließen. Als dies geschehen war, stand der Corregidor auf, nahm Costanza den Leuchter ab, den sie mitbrachte, hielt ihr das Licht vors Gesicht und beschaute sie vom Kopf bis zur Zehe. Da Costanza hierüber bestürzt wurde, erglühte die Farbe ihres Gesichts und sie sah so schön und züchtig aus, daß der Corregidor die Schönheit eines Engels auf Erden zu sehen glaubte. Nachdem er sie genug betrachtet hatte, sprach er:

Wirth, für dieses Kleinod schickt sich nicht die gemeine Einfassung eines Gasthauses. Ich muß gleich gestehen, mein Sohn Periquito verräth Geschmack, daß er seine Neigung auf einen so passenden Gegenstand zu lenken wußte. Ich kann dir sagen, Mädchen, man kann und darf dich nicht blos vornehm, sondern sehr vornehm nennen; doch diese Beiwörter passen nicht zu dem Namen Küchenmagd, sondern eher zu dem einer Herzogin.

Sie ist keine Küchenmagd, gnädiger Herr, versetzte der Wirth; sie hat keinen andern Dienst in meinem Hause zu versehen, als daß sie das Silberzeug unter ihrem Verschlusse hat, dergleichen ich durch Gottes Güte einiges besitze, und womit man den vornehmsten Gästen aufwartet, die in diese Herberge kommen.

Dennoch, sagte der Corregidor, muß ich euch sagen, Herr Wirth, daß es sich nicht ziemt noch schickt, daß sich dieses Mädchen in einem Gasthofe aufhält. Ist es etwa eine Anverwandte von euch?

Sie ist eben so wenig eine Anverwandte, als mein Dienstmädchen. Wenn aber Euer Gnaden Lust hat zu erfahren, wer sie ist, so sollt ihr, wofern sie nur nicht gegenwärtig ist, Dinge hören, die nicht nur angenehm, sondern sehr erstaunenswerth sind.

Ich bin es zufrieden, sagte der Corregidor. Costanzchen mag das Zimmer verlassen und von nun an an mich dieselben Ansprüche geltend machen, wie an ihren leiblichen Vater, denn ihre überaus große Ehrbarkeit und Schönheit nöthigt alle die, welche sie sehen, ihr ihre Dienste anzubieten.

Costanza erwiederte keine Silbe, sondern machte mit großer Bescheidenheit eine tiefe Verbeugung vor dem Corregidor, verließ den Saal und gieng zu ihrer Herrin, welche sie mit offenen Armen empfing und vor Begierde brannte, zu erfahren, was der Corregidor von ihr verlange. Sie erzählte ihr, was vorgefallen war, und daß ihr Herr beim Corregidor geblieben sei, um ihm von gewissen Dingen zu erzählen, von welchen sie nichts hören solle. Dadurch kam die Wirthin keineswegs außer Sorgen und betete die ganze Zeit, bis der Corregidor fort gieng und sie ihren Mann frei hereinkommen sah.

Dieser aber erzählte dem Corregidor, während er mit ihm zusammen war, Folgendes:

Heute, mein Herr, sind es nach meiner Rechnung fünfzehn Jahre, ein Monat und vier Tage, als eine Frau in Pilgerstracht, auf einer Sänfte, von vier Dienern zu Pferd und von zwei Kammerfrauen und einem Mädchen in einer Kutsche begleitet in diesem Gasthaus ankam. Sie hatte zugleich zwei Lastthiere bei sich, welche mit überaus reichen Decken versehen waren, und außerdem ein reiches Bett und Küchengeräthschaften trugen. Kurz ihre ganze Ausstattung war sehr beträchtlich und die Pilgerin zeigte durch alle Stücke, daß sie eine vornehme Frau sei; und obgleich sie dem Ansehen nach schon ein Alter von vierzig Jahren oder etwas darüber erreicht haben mußte, so war sie demungeachtet noch außerordentlich schön.

Sie war krank und blaß und so ermüdet, daß sie sogleich ihr Bett zurecht zu machen befahl, welches auch ihre Diener in diesem Saale hier bewerkstelligten. Sie fragten mich, welches der berühmteste Arzt dieser Stadt sei. Ich nannte ihnen den Doctor von la Fuente. Man schickte sogleich nach ihm und er kam sogleich. Sie theilte ihm ihre Krankheit unter vier Augen mit, und das Ergebniß ihrer Unterredung war, daß der Arzt das Bett an einem andern Ort zu bereiten befahl, wo man kein Geräusch hörte.

Wir brachten sie sogleich in ein anderes Zimmer, welches ganz abgesondert im obern Stockwerke befindlich ist und die Bequemlichkeit gewährt, welche der Doctor verlangte. Keiner von den Dienern betrat das Zimmer der Frau und nur die beiden Kammerfrauen und das Mädchen besorgten sie. Ich und meine Frau fragten die Diener, wo die Frau sei, wie sie heiße, wo sie herkomme, wohin sie gehe, ob sie verheirathet, Wittwe oder noch ledig sei und warum sie solche Pilgerkleider trage.

Auf alle diese Fragen, die wir mehr als einmal an sie richteten, erhielten wir weiter keine Antwort, als daß diese Pilgerin eine vornehme reiche Frau aus Altcastilien sei, verwitwet und ohne Kinder, die sie beerben könnten, und weil sie seit einigen Monaten an der Wassersucht leide, habe sie das Gelübde gethan, zur heiligen Jungfrau von Guadalupe zu pilgern, und deßhalb reise sie in dieser Tracht. In Betreff ihres Namens sei ihnen befohlen, sie nicht anders, als die Frau Pilgerin zu nennen. So viel erfuhren wir damals.

Doch nach drei Tagen, welche die Frau Pilgerin als krank in dem Hause gewesen war, rief uns eine der Kammerfrauen in ihrem Namen, mich und meine Frau. Wir giengen zu ihr, um zu sehen, was sie wünsche, und bei verschlossener Thüre, in Gegenwart ihrer Dienerinnen sagte sie fast mit Thränen in den Augen zu uns folgende Worte, deren ich mich noch einzeln zu erinnern glaube:

Meine Freunde, der Himmel ist mein Zeuge, daß ich mich ohne meine Schuld in der traurigen Lage befinde, die ich euch jetzt entdecken will. Ich bin schwanger und der Entbindung so nahe, daß schon die Wehen sich eingestellt haben. Keiner von den Bedienten, welche ich bei mir habe, weiß um meine Noth und mein Unglück; diesen meinen Frauen konnte und wollte ich es nicht verhehlen. Um den boshaften Blicken der Leute in meiner Heimat auszuweichen und nicht dort von dieser Stunde überrascht zu werden, gelobte ich eine Wallfahrt zur heiligen Jungfrau von Guadalupe. Sie muß es so gefügt haben, daß in diesem eurem Hause eine Niederkunft erfolgen soll. Bei euch steht es jetzt, ob ihr mir mit der Verschwiegenheit helfen und beistehen wollt, welche diejenige verdient, die eure Ehre euch anvertraut. Wenn der Lohn für eure Dienste, darf ich es anders Lohn nennen, nicht der Größe der Wohlthat entspricht, welche ich von euch erwarte, so wird er wenigstens meinem Willen entsprechen, mich euch dankbar zu erweisen, und ich wünsche, daß ihr diese zweihundert Goldgulden in diesem Beutelchen, als einen vorläufigen Beweis meiner Gesinnungen ansehen möget.

Sie nahm nun unter dem Kissen ihres Bettes eine grüne und goldene gestrickte Börse hervor und händigte sie meiner Frau ein, welche in aller Einfalt und ohne zu bedenken, was sie that bei ihrer Verwirrung und ihrem Erstaunen über die Pilgerin die Börse nahm, ohne ein Wort des Dankes oder der Höflichkeit zu erwiedern. Ich selbst erinnere mich, ihr gesagt zu haben, es sei gar nichts der Art vonnöthen, denn wir seien nicht Leute, die sich mehr durch den Vortheil als durch das Mitleid bewegen lassen, Gutes zu thun, wenn sich dazu Gelegenheit biete.

Die Frau aber sagte darauf: Ihr müßt darauf denken, lieben Freunde, daß ihr so schnell wie möglich einen Ort ausfindig macht, wo ihr das Kind, welches ich gebären werde, unterbringen könnt, und zugleich müßt ihr auf einige gute Ausreden sinnen, um bei den Personen, denen ich es anvertraut, keinen Verdacht zu erregen. Für jetzt will ich, daß es in der Stadt bleibe; später mag es nach einem Dorfe gebracht werden. Was nachher zu thun ist, werde ich euch sagen, wenn Gott meinen Geist erleuchtet hat und ich nach Erfüllung meines Gelübdes von Guadalupe zurückkomme. Bis dahin habe ich Zeit, nachzudenken und das passendste Mittel auszuwählen. Eine Hebamme brauche ich nicht und will auch keine haben, denn andere in größeren Ehren vollbrachte Geburten, haben mich überzeugt, daß ich allein unter Beihülfe meiner Dienerinnen alle Schwierigkeiten zu überwinden im Stande sein werde und mir einen weiteren Zeugen meines Unglücks ersparen kann.

Hier schloß die unglückliche Pilgerin ihre Rede und begann schmerzlich zu weinen; sie wurde indeß durch das viele und passende Zureden meiner Frau einigermaaßen getröstet, welche nun wieder zur Besinnung gekommen war. Ich gieng dann sogleich fort, um einen Zufluchtsort für das Kind zu suchen, es möchte nun geboren werden, wann es wollte; und noch zwischen zwölf und ein Uhr in derselben Nacht, als alle Leute im Hause im tiefen Schlafe lagen, brachte die gute Frau das schönste Mädchen zur Welt, welches bis dahin meine Augen erblickt hatten, und dieß ist dieselbe, die Euer Gnaden so eben gesehen hat.

Die Mutter klagte nicht während der Geburt, und das Kind ward nicht unter Thränen geboren. Alles gieng in einer so wunderbaren Ruhe und Stille vorüber, wie das Geheimniß dieses seltsamen Falls es erforderte. Sechs Tage noch hütete sie das Bett und täglich besuchte sie der Arzt, dem sie jedoch die Ursache ihres Uebelbefindens nicht entdeckte. Die Arzneien, die er verschrieb, wendete sie nie an, denn sein Besuch sollte nur ein Blendwerk für die Bedienten sein. Das alles erzählte sie mir späterhin selbst, wie sie sich außer Gefahr sah und am achten Tage mit derselben Bürde aufstand oder mit einer andern, welche derjenigen glich, mit der sie sich niedergelegt hatte.

Sie begab sich auf ihre Wallfahrt, von der sie nach zwanzig Tagen fast völlig gesund zurückkehrte, nachdem sie sich nach und nach die künstliche Erhöhung abgelegt hatte, durch welche sie sich nach ihrer Entbindung für wassersüchtig ausgab. Bei ihrer Rückkehr war das Kind bereits durch meine Veranstaltung unter dem Namen einer Nichte von mir in einem Dorfe zwei Meilen von hier in die Pflege gegeben. In der Taufe erhielt es den Namen Costanza, wie es ihre Mutter angeordnet hatte. Diese war zufrieden mit meinen Maaßregeln und gab mir beim Abschied eine goldene Kette, die ich noch besitze, nachdem sie sechs Glieder davon abgenommen hatte, durch welche sich die Person beglaubigen sollte, die sie nach dem Kinde schicken würde.

Auch zerschnitt sie ein weißes Pergament in zwei wellenförmige Theile, ganz so und auf die Art, wie man die Hände zusammenfaltet und etwas auf die Finger schreibt, was lesbar ist, wenn man die Finger zusammenlegt, sobald aber die Hände auseinander sind, unverständlich bleibt. Denn die Buchstaben werden getrennt, und wenn man die Finger wieder in einander fügt, kommen sie wieder zusammen und passen so, daß man sie im Zusammenhang lesen kann. So ist ein Pergamentblatt die Seele des andern; zusammengefügt lassen sie sich lesen, getrennt ist es unmöglich, wofern man nicht die fehlende Hälfte des Pergaments erräth.

Ich behielt die goldene Kette beinahe ganz und habe beides bis jetzt aufgehoben und gewartet, bis jemand mit den Gegenstücken dazukommen solle, ob sie mir gleich sagte, sie wolle inner zwei Jahren nach ihrer Tochter schicken. Sie trug mir zugleich auf, sie nicht ihrem Stande gemäß zu erziehen, sondern auf die Art, wie man eine Bäuerin zu erziehen pflegt. Ferner befahl sie mir, sollte sie durch irgend welche Verhältnisse abgehalten werden, in so kurzer Zeit nach ihrer Tochter zu schicken, dieser niemals etwas von ihrer Herkunft zu sagen, wenn sie auch an Körper und Geist heranreife. Endlich bat sie mich, sie zu entschuldigen, daß sie mir weder ihren Namen noch ihren Stand anvertrauen könne, denn sie verspare dieß auf eine andere wichtigere Gelegenheit. Kurz sie gab mir noch vierhundert Goldthaler, umarmte meine Frau unter zärtlichen Thränen und reiste ab, indem sie uns voll Staunen über ihren Geist, ihren Muth, ihre Schönheit und ihre Vorsicht zurückließ.

Costanza blieb zwei Jahre lang in dem Dorfe, wo sie erzogen wurde. Nach dieser Zeit nahm ich sie zu mir und habe sie immer, wie ihre Mutter mir anbefohlen, als Landmädchen gehen lassen. Seit fünfzehn Jahren, einem Monat und vier Tagen warte ich nun, daß jemand komme und sie abhole; allein die lange Zögerung hat mir die Hoffnung dazu benommen, und wenn man nicht in diesem Jahre noch kommt, so bin ich entschlossen, sie an Kindesstatt anzunehmen und ihr mein ganzes Vermögen zu übergeben, welches, Gott sei gelobt! mehr beträgt, als sechstausend Ducaten.

Jetzt, Herr Corregidor, bleibt es noch übrig, Euer Gnaden, wenn mir das anders möglich ist, die Herzensgüte und alle trefflichen Eigenschaften Costancicas zu beschreiben. Erstens, und das ist die Hauptsache, betet sie stets andächtig zur heiligen Jungfrau, sie beichtet und communiciert alle Monate, sie kann schreiben und lesen, es gibt in Toledo keine bessere Spitzenklöpplerin; dabei singt sie an ihrem Klöppelkissen wie die lieben Engelein; an Sittsamkeit kommt ihr keine gleich, und was ihre Schönheit betrifft, so habt ihr sie selbst gesehen.

Euer Gnaden Sohn der Herr Don Pedro hat in seinem Leben nicht mit ihr gesprochen; er bringt ihr zwar von Zeit zu Zeit eine Musik, aber sie hört sie niemals. Viele Herren, und zwar vornehme, sind in diesem Gasthof eingekehrt und haben, ausdrücklich um sich an ihr satt zu sehen, ihre Reise um mehrere Tage verschoben; allein ich weiß gewiß, daß keiner sich mit Wahrheit wird rühmen können, sie habe ihm Gelegenheit gegeben, entweder allein oder vor Zeugen ein Wort mit ihr zu reden. Dieß, gnädiger Herr, ist die wahrhaftige Geschichte der berühmten Scheuermagd, die nicht scheuert, und ich bin dabei kein Haar breit von der Wahrheit abgegangen.

Der Wirth schwieg und es dauerte eine geraume Zeit, ehe der Corregidor etwas darauf erwiederte. So hatte ihn die Erzählung des Wirths in Staunen versetzt. Endlich bat er ihn, die Kette und das Pergament zu holen, weil er es zu sehen wünsche. Der Wirth holte beides herbei und der Corregidor fand es so, wie jener es zuvor beschrieben hatte. Die Kette war kunstvoll bereitet und gegliedert. Auf dem Pergament standen hinter einander mit Lücken, je in einer Entfernung, welche die andere Blatthälfte ausfüllen mußte, folgende Buchstaben:

D E E I T A W H E E K A.

Er sah hieraus, daß zu ihrem Verständnisse nothwendig die andere Hälfte des Blattes angefügt werden müsse. Er fand dieses Merkmal der Wiedererkennung klug ausgesonnen und hielt die Frau Pilgerin für sehr reich, da sie dem Wirth eine solche Kette zurückgelassen hatte. Er war willens, das schöne Mädchen aus dem Gasthofe wegzunehmen, sobald er ein Kloster wüßte, in welchem er sie unterbringen könnte. Vor der Hand aber begnügte er sich, allein das Pergament mitzunehmen, und er trug dem Wirthe auf, im Fall jemand Costanza abholen wolle, die Kette, die er in seinen Händen ließ, nicht eher vorzuzeigen, als bis er ihn benachrichtigt und ihm angesagt habe, wer es sei, der Costanza abholen wolle. Nach diesen Anordnungen gieng er, eben so verwundert über die seltsame Lebensgeschichte der vornehmen Scheuermagd, als über ihre unvergleichliche Schönheit, hinweg.

Die ganze Zeit, während der Wirth mit dem Corregidor verkehrte, und während Costanza, als sie sie gerufen hatten, mit ihnen eingeschlossen war, war Tomas außer sich, denn seine Seele durchkreuzten tausend verschiedenartige Gedanken, ohne daß er je einen angenehmen darunter treffen konnte. Als er aber sah, daß der Corregidor gieng und Costanza blieb, schöpfte er wieder Athem und nun erst kehrten seine Pulse, die bisher beinahe unterdrückt waren, wieder zurück. Er wagte indessen nicht, den Wirth darüber zu befragen, was der Corregidor wolle, und der Wirth sprach mit niemand als mit seiner Frau etwas darüber. Diese kam durch die Nachricht ihres Mannes auch erst wieder recht zu sich selbst und dankte Gott, daß er sie glücklich aus einer so großen Bestürzung befreit habe.

 

Am folgenden Tag gegen ein Uhr kamen in Begleitung von vier Reitern zwei alte Ritter von ehrwürdigem Ansehen vor dem Wirthshause an, und traten, nachdem sie erst einen der Fußgänger, welche mit ihnen des Wegs gekommen waren, gefragt hatten, ob dieß das Wirthshaus zum Sevillaner sei, in dasselbe ein. Die vier stiegen ab und halfen den beiden älteren Herren von ihren Pferden, woraus zu erkennen war, daß jene die Gebieter der sechs waren.

Costanza trat mit ihrer gewohnten Artigkeit heraus, um die neuen Gäste zu sehen. Kaum hatte sie aber einer der alten Herren gesehen, als er zum andern sagte:

Ich glaube, Herr Don Juan, wir haben hier alles gefunden, was wir suchen wollten.

Tomas, der herbeigelaufen war, um die Thiere zu besorgen, erkannte sogleich die beiden Bedienten seines Vaters und im Augenblick darauf seinen Vater, sowie den des Carriazo, denn diese beiden waren die alten Leute, welche von den übrigen mit so viel Rücksicht behandelt wurden. Obgleich er sich sehr wunderte, daß die beiden Herren ankamen, machte er doch die Betrachtung, sie wollen ihn und Carriazo bei der Thunfischerei aufsuchen, da es wohl nicht an dienstfertigen Leuten möchte gefehlt haben, die ihnen gesagt hätten, daß sie ihre Söhne dort und nicht in Flandern finden würden. Er wagte es indeß nicht, sich in dieser Tracht erkennen zu lassen, sondern setzte alles bei Seite, hielt die Hand vor das Gesicht, lief an ihnen vorüber und suchte Costanza auf.

Sein gutes Schicksal fügte es, daß er sie allein fand. Eilig, mit unsicherer Stimme und in Furcht, daß sie ihn nicht anhören würde, sagte er zu ihr:

Costanza, einer dieser zwei alten Ritter, die eben hier angekommen sind, ist mein Vater, und zwar der, den du wirst Don Juan von Avendanno nennen hören. Erkundige dich bei seinen Dienern, ob er nicht einen Sohn hat, welcher Don Tomas von Avendanno heißt! Dieser Sohn bin ich. Hieraus kannst du sehen und erkennen, daß ich dir in Betreff meines Stands und meiner Person die Wahrheit gesagt habe, und daß ich sie dir auch in allem sagen werde, was ich dir anbiete. Behüte dich Gott, denn bis diese wieder fort sind, gedenke ich nicht in's Haus zurückzukommen.

Costanza gab ihm keine Antwort, und er wartete auch nicht darauf, sondern gieng mit bedecktem Gesichte, wie er herein gekommen war, auch wieder hinaus, um Carriazo Nachricht von der Ankunft ihrer Väter in dem Wirthshause zu geben.

Der Wirth rief laut nach Tomas, er solle kommen und Gerste hergeben; doch da er nicht zum Vorschein kam, that er es selbst.

Einer von den beiden Alten rief eine von den zwei gallizischen Mägden bei Seite und fragte sie, wie das schöne Mädchen heiße, das sie gesehen haben, und ob es eine Tochter oder Verwandte des Wirths und der Wirthin des Hauses sei.

Die Gallizierin antwortete: Das Mädchen heißt Costanza und ist weder mit dem Wirth noch mit der Wirthin verwandt, und ich weiß auch nicht, wer sie ist. Nur das kann ich sagen, daß ich sie zum Henker wünsche, weil sie, ich weiß nicht was besitzt, das keines von uns Mädchen im Hause neben ihr aufkommen läßt, und wir haben doch wahrlich auch unsere Gesichter, wie sie uns Gott gegeben hat. Kein Fremder kehrt ein, der nicht gleich fragt: Wer ist das schöne Kind? Oder der nicht ausruft: Die ist niedlich! Die sieht hübsch aus! Wahrlich die ist nicht übel! Gute Nacht, ihr eingebildeten Schönen! Der Himmel bescheere mir nur so etwas Hübsches! Aber zu uns sagt nicht einer: Wer seid ihr? Teufel oder Weibsbilder oder was sonst?

Nun dieses Mädchen, antwortete der Ritter, läßt sich wohl um diesen Preis von den Gästen hätscheln und liebkosen?

Ja, antwortete die Gallizierin, probiert es, ob sie sich den Fuß beschlagen läßt! Das dumme Ding ist zu nichts zu brauchen. Bei Gott, Herr, wenn sie sich nur wenigstens anschauen lassen wollte, so könnte sie in Gold schwimmen. Aber sie ist rauher als ein Igel. Sie ist eine Kopfhängerin, die immer ihr Ave Maria im Munde führt. Den ganzen Tag nichts als arbeiten und beten! Ich möchte wohl an dem Tage, wo sie einmal Wunder verrichtet, eine Million Realen haben! Meine Herrin sagt, das Stillschweigen sei ihr an den Leib angewachsen, beim Leben meines Vaters!

Der Ritter war über das, was er von der Gallizierin gehört hatte, sehr zufrieden, und rief ohne zu erwarten, daß man ihm seine Sporen abnehme, dem Wirth, zog ihn im Saale auf die Seite und sagte zu ihm:

Ich komme, Herr Wirth, um bei euch ein Pfand von mir auszulösen, das schon seit einigen Jahren in eurem Besitz ist. Zur Auslösung desselben überliefere ich euch tausend Goldgulden, diese Kettenglieder und dieses Pergament.

Bei diesen Worten zog er die sechs verabredeten Kettenglieder hervor, die er mitgebracht hatte. Ebenso erkannte der Wirth das Pergament, und höchlich erfreut über das Anerbieten der tausend Thaler antwortete er:

Mein Herr, das Pfand, welches ihr auslösen wollt, ist in meinem Hause; aber nicht ebenso die Kette und das Pergament, womit die Probe der Wahrheit anzustellen ist, von welcher ihr wie mich deucht redet. Ich bitte euch daher, habt einen Augenblick Geduld, bis ich wieder komme.

Er benachrichtigte sogleich den Corregidor von dem, was vorging, und daß zwei Ritter in seinem Gasthofe seien, welche Costanza abholen wollen. Der Corregidor hatte eben abgespeist, und voll Verlangen, den Ausgang dieser Geschichte zu sehen, stieg er sogleich zu Pferde und eilte nach dem Gasthof des Sevillaners, wohin er auch das beweisende Pergament mitnahm. Kaum hatte er aber die zwei Ritter erblickt, als er mit offenen Armen auf einen derselben zueilte, ihn umarmte und ausrief:

Mein Gott, welch schönes Zusammentreffen ist das, mein Herr Don Juan von Avendanno, mein Vetter und Herr!

Der Ritter umarmte ihn ebenfalls und sagte: Gewiß, Herr Vetter, ist dieses Zusammentreffen ein Glück für mich, da ich euch sehe und zwar in solcher Gesundheit, wie ich sie euch immer wünsche. Umarmt aber diesen Ritter, mein Vetter! Er ist der Herr Don Diego von Carriazo, mein vertrauter, hochgeschätzter Freund.

Ich kenne schon den Herrn Don Diego, antwortete der Corregidor, und bin sein ergebener Diener.

Beide umarmten sich, nachdem sie sich mit großer Liebe und Artigkeit bewillkommt hatten. Hierauf begaben sie sich in einen Saal, wo sie mit dem Wirthe allein blieben, der die Kette bei sich hatte und sagte:

Der Herr Corregidor weiß schon, weshalb ihr gekommen seid, gnädiger Herr Don Diego von Carriazo. Bringt also gefälligst die Gelenke herbei, welche an dieser Kette fehlen, und der Herr Corregidor wird das Pergament hergeben, welches er in seiner Verwahrung hat. Dann können wir die Probe machen, auf welche ich schon so viele Jahre warte.

Sonach, antwortete Don Diego, wird es nicht nöthig sein, den Herrn Corregidor erst über den Zweck unserer Ankunft aufzuklären, da er sich wohl denken wird, daß uns das hierher geführt hat, was ihr ihm erzählt haben werdet, Herr Wirth.

Etwas hat er mir mitgetheilt, sprach der Corregidor, aber über Vieles vermisse ich noch Aufklärung. Hier ist das Pergament.

Don Diego zog das andere Stück hervor, und wie man beide Stücke zusammenhielt, paßten sie genau zu einander, und die Buchstaben auf dem Blatte des Wirths, welche wie gesagt folgende waren: DEEITAWHEEKA, entsprachen den Buchstaben des andern Pergaments: ISSSDSARMRML, so daß alle zusammen lauteten: Dieses ist das wahre Merkmal.

Man hielt nun auch die Glieder der Kette zusammen und fand, daß das Merkmal eintraf.

Das wäre nun im Klaren, sprach der Corregidor. Nun müssen wir wo möglich noch dahinter kommen, wer die Eltern dieses reizenden Pfands sind.

Ihr Vater, antwortete Don Diego, bin ich. Ihre Mutter ist nicht mehr am Leben, und es genügt zu wissen, daß sie so vornehm war, daß ich ihr Bedienter hätte sein können. Und damit nicht, wie auf ihrem Namen so auch auf ihrem Rufe ein unverdientes Dunkel ruhe, noch ihr dasjenige beigemessen werde, was von ihrer Seite ein offenbarer Fehltritt und eine anerkannte Schuld zu sein scheint, so müßt ihr wissen, daß die Mutter dieses Pfandes die Wittwe eines hohen Ritters war, die sich auf eines ihrer Dörfer zurückgezogen hatte, wo sie in strenger Eingezogenheit und Ehrbarkeit unter ihren Bedienten und Unterthanen ein stilles und ruhiges Leben führte. Nun wollte das Schicksal, daß ich eines Tages auf der Markung ihres Ortes jagte und den Entschluß faßte, sie zu besuchen. Es war gerade die Zeit der Mittagsruhe, als ich vor ihrem Schloß anlangte; denn so kann man billig ihr großes Haus nennen. Ich übergab mein Pferd meinem Reitknecht, stieg, ohne auf jemand zu stoßen, die Treppe hinauf und drang in ihr Gemach, wo sie auf einer schwarzen Estrade der Mittagsruhe genoß. Sie war außerordentlich schön. Die Stille, die Einsamkeit, die gelegene Zeit erweckten in mir ein Verlangen, das mehr verwegen als ehrsam war. Nicht in der Stimmung, vernünftigen Gedanken Gehör zu geben, verschloß ich die Thüre hinter mir, näherte mich ihr, weckte sie auf und sagte zu ihr, indem ich sie fest gefaßt hielt:

Theure Frau, rufet nicht, denn eure Stimme, wenn ihr sie hören laßt, verkündigt euren Fall! Niemand hat mich in das Zimmer eintreten sehen, und mein Schicksal, das ich für ein gütiges halte, weil es mich euch genießen läßt, hat die Augen aller eurer Diener mit Schlaf bethaut. Wenn sie aber auf euer Rufen auch herbeikommen, so können sie mir nichts anderes nehmen, als mein Leben, und dieß sollen sie nicht anders thun, als in euren Armen. Durch meinen Tod aber könnt ihr den Makel eures Rufes nicht tilgen.

Kurz ich genoß sie gegen ihren Willen, und bloß durch Gewalt. Ermüdet, erschöpft und voll Verwirrung konnte oder wollte sie kein Wort mit mir reden. Wie ich sie verließ, war sie ganz betäubt und entsetzt, und ich gieng auf demselben Wege wieder fort, auf welchem ich gekommen war, und begab mich nach dem zwei Stunden von dem ihrigen entfernten Dorfe eines meiner Freunde.

Die Frau vertauschte diesen Wohnort mit einem andern, und ohne daß ich sie jemals sah oder mich auch nur bemühte sie zu sehen, vergiengen zwei Jahre, nach deren Verlauf ich erfuhr, daß sie gestorben sei.

Vor ungefähr drei Wochen nun schrieb mir ein Haushofmeister jener Dame und bat mich dringend, zu ihm zu kommen, indem er mir etwas zu entdecken habe, was für meine Zufriedenheit und meine Ehre höchst wichtig sei. Ich gieng zu ihm, um zu vernehmen, was er von mir wollte, war aber weit entfernt, das zu erwarten, was er mir sagte. Ich fand ihn im Begriffe zu sterben, und um es kurz zu machen, sagte er mir mit wenigen Worten, daß seine Gebieterin ihm kurz vor ihrem Tode alles entdeckt habe, was ihr mit mir begegnet sei, sie sei nämlich durch meine Gewaltthätigkeit schwanger geworden; um nun ihre Leibesstärke zu verbergen, habe sie eine Wallfahrt zu der heiligen Jungfrau von Guadalupe unternommen, sei aber in diesem Hause hier von einer Tochter entbunden worden, welche den Namen Costanza führen müsse. Er übergab mir die Merkmale, mittelst welcher ich sie finden würde, und die ihr eben gesehen habt, nämlich die Kette und das Pergament, sowie auch dreißig tausend Goldthaler, welche seine Gebieterin zur Verheirathung ihrer Tochter hinterlassen hatte.

Er gestand ferner, daß blos Geiz und die Absicht, dieses Geld zu seinem Nutzen zu verwenden, ihn bewogen habe, mir nicht gleich nach dem Tode seiner Gebieterin dasselbe zuzustellen und das ihm anvertraute Geheimniß zu entdecken. Doch da er jetzt im Begriff stehe, Gott Rechenschaft zu geben, händige er mir zur Beruhigung seines Gewissens das Geld ein, und gebe mir Nachricht, wo und wie ich meine Tochter finden könne. Ich nahm das Geld und die Wahrzeichen, erzählte die Sache dem Herrn Don Juan von Avendanno und wir machten uns zusammen auf den Weg hierher.

So weit war Don Diego in seiner Erzählung, als man an dem Hausthor laut rufen hörte:

Sagt doch dem Gerstenmesser Tomas Pedro, sein Freund, der Asturier sei verhaftet und er solle geschwind nach dem Gefängnisse kommen, wo er von ihm erwartet wird.

Wie der Corregidor von Gefängniß und Verhaften hörte, befahl er, den Gefangenen und den Polizeidiener, der ihn führte, hereinkommen zu lassen. Man sagte diesem, daß der hier anwesende Corregidor befehle, mit dem Verhafteten hereinzukommen und so konnte er nicht umhin, zu gehorchen. Der Asturier kam, die Zähne in Blut gebadet und auf das Schlimmste zugerichtet und der Polizeidiener hielt ihn fest angepackt. Wie er in das Zimmer trat, und seinen und Avendannos Vater erkannte, gerieth er in Bestürzung und hielt, um nicht erkannt zu werden, das Tuch vors Gesicht, als wenn er das Blut abwischen wollte.

Der Corregidor fragte, was der Bursche gethan habe, den sie so übel zugerichtet von hinnen führen.

Hierauf erwiederte der Alguacil, der Bursche sei ein Wasserträger, gewöhnlich der Asturier genannt, dem die Gassenbuben zuzurufen pflegen: Gib den Schwanz her, Asturier! Gib den Schwanz her! Dabei erzählte er in kurzen Worten die Ursache, warum sie den Schwanz verlangten, worüber alle nicht wenig lachten.

Der Gerichtsdiener erzählte weiter, als der Asturier durch das Alcantarathor gegangen sei, habe ein ganzes Herr von Gassenbuben ihn mit der Forderung des Schwanzes verhöhnt; darauf sei er von seinem Esel gestiegen, habe sich unter die Jungen geworfen, und endlich einen gepackt, dem er mit Stockprügeln dermaßen zugesetzt habe, daß er halbtodt liegen geblieben sei.

Als man ihn habe ergreifen wollen, sei er widerspenstig gewesen, daher er so übel zugerichtet erscheine. Der Corregidor befahl ihm, sein Gesicht zu zeigen; als er aber hartnäckig darauf bestand, sich nicht sehen lassen zu wollen, trat der Alguacil auf ihn zu und nahm ihm das Tuch.

Sogleich erkannte ihn sein Vater und rief ganz bestürzt und ärgerlich aus: Mein Sohn, Don Diego, wie kommst du in diesen Zustand? Was ist das für eine Tracht? Hast du deine Schlingeleien noch nicht vergessen?

Carriazo warf sich auf die Kniee vor den Füßen seines Vaters und umarmte sie eine gute Weile unter Thränen.

Don Juan von Avendanno, da er wußte, daß Don Diego mit seinem Sohne Don Tomas gereist sei, fragte nach diesem, worauf Carriazo antwortete, Don Tomas von Avendanno sei der Junge, der in diesem Gasthaus die Abgabe der Gerste und des Strohs besorge. Diese Aussage des Asturiers machte das Maaß der Verwunderung aller Anwesenden voll; der Corregidor aber befahl dem Wirth, den Jungen, der die Gerste verwalte, herkommen zu lassen.

Ich glaube, er ist nicht zu Hause, sagte der Wirth. Indeß will ich ihn suchen.

Damit gieng er fort. Don Diego fragte Carriazo, was das für Verwandlungen seien und was sie bewogen habe, den einen, Wasserträger, und Don Tomas, Hausknecht zu werden. Worauf Carriazo erwiederte, er könne diese Fragen nicht so öffentlich beantworten, allein unter vier Augen werde er alles entdecken.

Tomas Pedro hatte sich in seiner Kammer verborgen, um von dort aus unbemerkt sehen zu können, was sein und Carriazos Vater unternehmen würde, denn die Ankunft des Corregidors und der Aufstand im ganzen Hause hatte ihn in Furcht gesetzt. Es wurde aber dem Wirthe gesagt, daß er sich dort versteckt habe. Jener gieng also zu ihm und brachte ihn mehr gewaltsam als gutwillig in den Saal herunter, und auch dieß würde ihm nicht gelungen sein, wenn nicht der Corregidor selbst in die Hausflur herausgekommen wäre, ihn beim Namen gerufen und gesagt hatte:

Kommt nur herunter, edler Herr Vetter! Hier erwarten euch weder Bären noch Löwen.

Tomas kam und warf sich mit niedergeschlagenem Blicke und demüthiger Gebärde seinem Vater zu Füßen, welcher ihn mit größter Wonne in die Arme schloß, wie der Vater des verlorenen Sohns, als er ihn wiedergefunden.

Unterdessen war bereits die Kutsche des Corregidors eingetroffen, die dieser zur Heimkehr bestellt hatte, weil ein so großes Fest ihm nicht erlaubte, zu Pferde heimzukehren. Er ließ Costanza rufen, nahm sie bei der Hand, und sagte, indem er sie ihrem Vater vorstellte:

Nehmt dieses Kleinod, Herr Don Diego, und achtet es für das kostbarste, das ihr nur wünschen könnt. Und ihr, schönes Fräulein, küßt eurem Vater die Hand, und dankt Gott, daß er euch durch eine so ehrenvolle Wendung eures Schicksals aus eurem niedern Stand erhoben, geziert und beglückt hat.

Costanza, die nicht wußte und begriff, wie ihr geschah wußte in ihrer Verwirrung nichts anders zu thun, als sich zitternd ihrem Vater zu Füßen zu werfen und seine Hände zu ergreifen, welche sie zärtlich küßte und mit einem reichen Thränenstrom benetzte, der ihren schönen Augen entquoll. Inzwischen hatte der Corregidor seinen Vetter Don Juan eingeladen, ihn mit der ganzen übrigen Gesellschaft in seine Wohnung zu begleiten; und obgleich Don Juan es anfangs ausschlug, so wußte doch der Corregidor ihm so nachdrücklich zuzureden, daß er nachgeben mußte. So stieg die ganze Gesellschaft in den Wagen.

Wie aber der Corregidor Costanza aufforderte, auch einzusteigen, ward es ihr schwer ums Herz; sie und die Wirthin umarmten sich und fiengen an, so bitterlich zu weinen, daß alle Anwesenden gerührt wurden.

Wie ist es möglich, Tochter meines Herzens, sagte die Wirthin, daß du gehst und mich verläßt? Wie kannst du den Muth haben, mich, deine Mutter, zu verlassen, die dich mit so viel Liebe erzog?

Costanza weinte und antwortete ihr mit nicht weniger zärtlichen Worten. Aber der Corregidor, der gerührt worden war, befahl der Wirthin, ebenfalls in die Kutsche zu steigen und sich nicht von ihrer Tochter zu trennen, da sie sie nun dafür ansehe, bis diese Toledo verlasse. Nach diesem stieg die Wirthin und alle in die Kutsche, worauf sie nach dem Hause des Corregidors fuhren, wo sie von seiner Gattin, einer vornehmen Frau, sehr freundlich empfangen wurden.

Sie speisten reichlich und kostbar; nach der Mahlzeit aber erzählte Carriazo seinem Vater, wie Don Tomas aus Liebe zu Costanza sich entschlossen habe, in dem Gasthaus in Dienste zu gehen, und er sei so sehr in sie verliebt, daß er sie selbst, wenn er nicht entdeckt hätte, daß sie als seine Tochter von so vornehmem Stande sei, als Scheuermagd geheirathet hätte.

Die Frau des Corregidors versah Costanza sogleich mit Kleidern von einer Tochter, die sie hatte, und die in demselben Alter und gleicher Größe mit Costanza war; und wenn sie in Bauernkleidern schön gewesen war, so erschien sie in höfischer Tracht wie ein Geschöpf des Himmels. Auch stand ihr alles so gut, daß es aussah, als wäre sie von dem Augenblick ihrer Geburt an ein Edelfräulein gewesen und hätte die auserlesensten Modekleider getragen.

Unter so vielen Fröhlichen fehlte aber auch ein Trauriger nicht, und dieß war Don Pedro, der Sohn des Corregidors, welcher sich sogleich vorstellte, Costanza werde die seinige nicht werden. Und so geschah es auch; denn der Corregidor und Don Diego von Carriazo und Don Juan von Avendanno kamen darin überein, daß Don Tomas sich mit Costanza vermählen solle, wozu ihr Vater ihr die dreißigtausend Thaler geben werde, welche ihre Mutter für sie hinterlassen habe; der Wasserträger Don Diego von Carriazo solle die Tochter des Corregidors heirathen und Don Pedro, der Sohn des Corregidors, eine Tochter des Don Juan von Avendanno; ihr Vater erbot sich, die Dispensation wegen der Verwandtschaft auszuwirken. Auf diese Art waren alle zufrieden, vergnügt und beruhigt.

Die Nachricht von den Verlobungen und von dem Glücke der vornehmen Küchenmagd verbreitete sich in der Stadt und es kamen unzählige Leute herbei, um Costanza in ihrer neuen Tracht zu sehen, in welcher sie sich so edel ausnahm, wie schon gesagt worden. Man sah den Gerstenknecht Tomas Pedro in Don Tomas von Avendanno verwandelt und als Herr gekleidet. Man bemerkte, daß Lope, der Asturier, ein feiner Edelmann geworden war, seit er die Kleider gewechselt und den Esel und die Wasserkrüge im Stiche gelassen hatte. Aber trotz alle dem fehlte es mitten unter seinem Prunk, wenn er auf der Straße gieng, nicht an Knaben, die ihm den Schwanz abforderten.

Sie blieben einen Monat in Toledo. Dann reiste Don Diego von Carriazo mit seiner Gemahlin und seinem Vater, und Costanza mit ihrem Gatten Don Tomas und auch der Sohn des Corregidors, der seine Base und Braut sehen wollte, nach Burgos ab. Der Sevillaner war reich im Besitz der tausend Thaler und der vielen Kleinode, welche Costanza ihrer Gebieterin schenkte, denn so nannte sie immer die, welche sie erzogen hatte.

Die Geschichte des vornehmen Dienstmädchens gab den Dichtern des goldenen Tajo Veranlassung, ihre Federn in Bewegung zu setzen zum Lob und Preis der unvergleichlichen Schönheit Costanzas, welche noch lebt an der Seite ihres wackern Hausknechts, so wie auch Carriazo, mit drei Söhnen, die aber nicht in die Fußstapfen ihres Vaters getreten sind, noch sich darum bekümmern, ob es Thunfischereien in der Welt gibt, sondern alle drei in Salamanca studieren.

So oft ihr Vater den Esel eines Wasserträgers ansichtig wird, so denkt er auch an den zurück und stellt sich ihn vor, den er in Toledo hatte, und fürchtet, es werde einmal, wenn er am wenigsten daran denke, in einer Satire die Spottrede wieder zum Vorschein kommen:

Gib den Schwanz her, Asturier! Asturier, gib den Schwanz!

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