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Vor nicht eben vielen Jahren verließ ein Edelmann von vornehmer Abkunft Extremadura, welcher wie ein zweiter verlorener Sohn durch verschiedene Theile von Spanien, Italien und Flandern zog, und auf diese Art seine Zeit und sein Vermögen vergeudete. Nach langen Wanderungen, als seine Eltern bereits gestorben und sein Erbtheil durchgebracht war, kam er nach der großen Stadt Sevilla, wo er hinlänglich Gelegenheit fand, das wenige, was ihm noch übrig blieb, vollends aufzuzehren.
Da er sich nun so ganz von Geld entblößt und auch fast ohne Freunde sah, nahm er zu dem Hilfsmittel seine Zuflucht, welches viele andere lockere Bursche in jener Stadt erwählen; er wollte nämlich nach Indien gehen, dem Schlupfwinkel und Schutz der verzweifelten Spanier, der Kirche betrügerischer Bankeruttierer, der Freistätte der Mörder, dem Heil und Deckmantel der Spieler, welche gewisse Leute die Kunstverständigen nennen, der Lockspeise frecher Weiber, der allgemeinen Täuschung vieler und dem besonderen Helfer so weniger.
Als endlich der Augenblick gekommen war, wo eine Flotte an das Festland abgieng, verständigte er sich mit dem Admiral derselben, rüstete seinen Proviant und seine Binsenmatte, schiffte sich in Cadiz ein und sagte Spanien Lebewohl. Die Flotte lichtete die Anker und unter allgemeinem Jubel spannte man die Segel gegen den Wind aus, welcher ruhig und günstig wehte und in wenigen Stunden ihnen den Anblick des Lands entzog und ihnen dafür die weiten ebenen Räume des großen Vaters der Gewässer des Meeres Ocean enthüllte.
Unser Reisender fuhr in tiefen Gedanken dahin und überlegte in seinem Sinne die vielen verschiedenen Gefahren, die er in den Jahren seiner Wanderungen durchgemacht und die schlechte Wirthschaft, die er im ganzen Verlauf seines Lebens geführt hatte. Aus dieser Rechenschaft, die er sich selbst ablegte, erwuchs endlich der feste Entschluß, seine Lebensweise zu ändern und ein anderes Verfahren einzuschlagen, um das Vermögen zu erhalten, welches ihm Gott in Gnaden verliehen, auch vorsichtiger als bisher mit den Weibern umzugehen.
Die Flotte stand ruhig in der Windstille, indeß dieser Sturm in Felipes von Carrizales Gemüth tobte, denn so hieß der Mann, welcher uns den Stoff zu unserer Novelle bietet. Da blies der Wind von Neuem und trieb die Schiffe mit solcher Gewalt dahin, daß er niemand in Ruhe ließ, und so mußte auch Carrizales seine Phantasieen verlassen und sich einzig mit den Sorgen beschäftigen, welche die Reise darbot.
Diese Reise gieng so günstig von Statten, daß sie ohne den geringsten widrigen Zufall den Hafen von Cartagena erreichten. Um nun alles das auf einmal mitzutheilen, was hierher gehört, sage ich, daß Felipe, als er nach Indien gieng, ungefähr achtundvierzig Jahre alt sein mochte und in zwanzig Jahren, welche er sich dort aufhielt, mit Hilfe seiner Geschicklichkeit und seines Fleißes sich ein Vermögen von mehr als hundertfünfzig tausend vollwichtigen Pesos erwarb.
Wie er sich nun reich und glücklich sah, wurde er von dem, jedem Menschen natürlichen Wunsche belebt, in sein Vaterland zurückzukehren; er setzte also große Vortheile, die sich ihm darboten, aus den Augen, verließ Peru, wo er so großes Vermögen erworben hatte, setzte dieses ganz in Gold- und Silberbarren um, ließ es, um allen Unannehmlichkeiten zu entgehen, registrieren und kehrte nach Spanien zurück. Er stieg in San Lucar ans Land und kam, eben so beladen mit Jahren, wie mit Reichthümern, nach Sevilla. Er nahm seine Habseligkeiten ohne Hindernisse in Empfang, suchte seine Freunde auf, fand sie aber alle todt.
Nun wollte er nach seinem Geburtsort gehen, ob er gleich schon gehört hatte, daß ihm der Tod keinen seiner Verwandten mehr übrig gelassen habe. Und wenn ihn, als er arm und dürftig nach Indien gieng, mitten auf den Wellen des Oceans mancherlei Gedanken bestürmten, ohne ihn einen Augenblick in Ruhe zu lassen, so plagten sie ihn nicht minder jetzt in der Ruhe des festen Landes, obgleich aus einer ganz verschiedenen Ursache; denn wenn er damals nicht schlief, weil er arm war, so konnte er jetzt über seinen Reichthum nicht ruhen; denn der Reichthum ist für den, der nicht gewohnt ist, ihn zu besitzen, und es nicht versteht, ihn anzuwenden, eine eben so schwere Last, als die Armuth für den ist, den sie beständig drückt. Sorgen verursacht das Gold und Sorgen der Mangel daran; doch den einen wird durch Erreichung eines beschränkten Maaßes abgeholfen, die andern aber wachsen, eine je größere Masse erreicht wird.
Carrizales betrachtete seine Barren nicht mit den Augen eines Geizhalses, denn in den wenigen Jahren, wo er Soldat gewesen war, hatte er gelernt, freigebig zu sein; denn er gieng mit sich zu Rathe, was er eigentlich damit anfangen sollte; denn ließ er sie ganz, so waren sie ein unfruchtbarer Schatz für ihn, und behielt er sie zu Hause, so waren sie Habsüchtigen ein Köder und eine Lockspeise für Diebe. Die Lust war ihm bereits vergangen, zu dem unruhigen Handelsgeschäft zurückzukehren, und er glaubte für seine Jahre Geld mehr als genug zu haben, um für seine Lebenszeit auszureichen.
Er wünschte wohl sein Leben in seiner Heimat zu beschließen und, indem er dort sein Geld auf Zinsen lieh, seine alten Tage in Frieden und Ruhe hinzubringen, um so viel möglich Gott zu leben, nachdem er mehr als er sollte der Welt gelebt hatte. Doch auf der andern Seite erwog er die große Armuth, die in seinem Geburtsorte herrschte, und die Dürftigkeit seiner Einwohner, und daß, wenn er dort seinen Aufenthalt wählte, er sich allen Zudringlichkeiten aussetzen würde, mit welchen Arme ihren reichen Nachbar zu bestürmen pflegen, zumal wenn sonst niemand im Orte ist, zu dem sie in der Noth ihre Zuflucht nehmen können.
Er hätte gern jemand gehabt, dem er nach seinem Tode seine Güter hinterlassen könnte; und bei diesem Verlangen fühlte er seiner Kraft den Puls, und es kam ihm vor, er könnte das Joch der Ehe noch auf sich nehmen. Als ihm dieser Gedanke kam, überfiel ihn aber auch gleich eine so heftige Furcht, daß sie denselben zerstob und zu nichte machte, wie der Wind den Nebel, denn er war von Hause aus der eifersüchtigste Mensch von der Welt, selbst ohne verheirathet zu sein, denn schon bei der Vorstellung davon fieng ihn die Eifersucht zu quälen an, das Mißtrauen zu ängstigen und alle möglichen Einbildungen zu erschrecken, und zwar mit solcher Heftigkeit und Gewalt, daß er den festen Entschluß faßte, sich nicht zu verheirathen.
Wie er nun hierüber mit sich einig war, aber noch nicht darüber, was er mit dem Rest seines Lebens zu beginnen habe, wollte es der Zufall, daß er, indem er eines Tags auf der Straße gieng, emporblickte und an einem Fenster oben ein Mädchen sah, dem Anschein nach von dreizehn bis vierzehn Jahren, mit einem so anmuthigen Gesicht und so schön, daß der gute alte Carrizales nicht stark genug war, zu widerstehen, und er die Schwäche seines Alters der Jugend Leonoras unterwarf; denn dieß war der Name des schönen Mädchens.
Sogleich, ohne länger zu zaudern, begann er eine Menge Ueberlegungen zu veranstalten, redete mit sich selbst und sprach:
Diese Kleine ist schön, und wie das Aussehen dieses Hauses zeigt, muß sie nicht reich sein; auch ist sie jung; ihr geringes Alter kann mich gegen Mißtrauen sicher stellen; ich will sie heirathen, will sie einschließen, ich gewöhne sie nach meinen Launen, und sie soll keine andern Gedanken haben, als die, welche ich sie lehre. Ich bin noch nicht so alt, daß ich die Hoffnung aufgeben müßte, Kinder zu bekommen, die mich beerben könnten. Mag sie nun eine Mitgift bekommen oder nicht, so ist mir das gleichgiltig, denn der Himmel hat mir genug gegeben, und reiche Leute müssen bei ihrer Verheirathung nicht nach Vermögen suchen, sondern nach Vergnügen, denn das Vergnügen verlängert das Leben, Mißvergnügen aber unter Eheleuten kürzt es ab. Auf denn! der Würfel ist gefallen, und dieß ist das Loos, welches der Himmel mir bestimmt hat.
Nachdem er dieses Selbstgespräch nicht einmal, sondern hundertmal gehalten hatte, sprach er nach einigen Tagen mit Leonorens Eltern und erfuhr, daß sie, obgleich arm, doch von edler Abkunft seien. Er unterrichtete sie von seiner Absicht, von seinem Stand und Vermögen und bat sie dringend, ihm ihre Tochter zur Frau zu geben. Sie ersuchten ihn um eine Frist, damit sie sich nach seinen Aussagen erkundigen könnten, und er ebenfalls Zeit bekäme, zu ermitteln, ob das wahr sei, was sie ihm über ihren Adel gesagt hatten. Man nahm Abschied von einander, erkundigte sich beiderseits und fand alles bestätigt.
So wurde denn Leonora die Braut des Carrizales, nachdem er ihr vorher zwanzigtausend Ducaten als Leibgeding verschrieben hatte; so sehr stand der Busen des eifersüchtigen Alten in Flammen. Doch kaum hatte er als Bräutigam sein Jawort gegeben, als wie mit einem Schlage eine Schaar wüthend eifersüchtiger Gedanken ihn überfiel und er ohne alle Ursache zu zittern und sich zu fürchten begann mehr als je zuvor.
Den ersten Beweis von seiner eifersüchtigen Gemüthsart gab er dadurch, daß er von keinem Schneider an seiner Braut das Maaß zu den vielen Kleidern wollte nehmen lassen, die er ihr machen zu lassen gedachte. Er suchte daher eine andere Person auf, die ungefähr Leonorens Wuchs und Größe hätte, und fand auch ein armes Mädchen, nach deren Maaß er ein Kleid machen ließ, und da es seine Braut anprobierte und fand, daß es ihr paßte; so ließ er nach diesem Maaße die übrigen Kleider machen, und zwar so viele und kostbare, daß sich die Eltern der Verlobten überglücklich schätzten, einen Schwiegersohn gefunden zu haben, der ihnen und ihrer Tochter so gut aushelfen konnte. Das Mädchen selbst war ganz betroffen beim Anblick so prächtiger Kleider, denn aller Putz, den sie in ihrem ganzen Leben an sich gesehen hatte, beschrankte sich auf einen Rock von grobem Zeug und ein Fähnchen von Taft.
Der zweite Beweis, den Felipe von seiner Eifersucht gab, war, daß er sich nicht eher vermählen wollte, als bis er ein Haus besonders für sie eingerichtet hatte, welches er folgendergestalt ausführte. Er kaufte eines um zwölf tausend Ducaten in einem vornehmen Theile der Stadt, wobei Quellwasser und ein Garten mit vielen Pomeranzenbäumen sich fand. Er verschloß alle Fenster, welche auf die Straße giengen, so daß nur von oben das Licht hereinfiel; ebenso machte er es mit allen andern Fenstern im Hause. In das große Thor gegen die Straße zu, das man in Sevilla das Hausthor nennt, ließ er einen Stall für eine Mauleselin einrichten und darüber einen Strohboden nebst einem Gemach für den, der das Thier zu besorgen hatte, einen alten schwarzen Eunuchen.
Die Wände der Terrasse ließ er so hoch aufführen, daß, wer in das Haus eintrat, in gerader Linie gen Himmel sehen mußte, und sonst nichts erblicken konnte. Dann brachte er ein Drehbrett an, welches das Hausthor mit dem Hofe in Verbindung setzte. Er kaufte kostbares Hausgeräth, um das Innere zu schmücken, so daß es durch seine reichen Tapeten, Estraden und Baldachine dem Besitze eines großen Herrn glich.
Er kaufte ferner vier weiße Sklavinnen und brandmarkte sie im Gesicht und dazu zwei kürzlich herübergebrachte Negerinnen. Er kam mit einem Koch überein, ihm das Essen zu bringen und einzukaufen, aber unter der Bedingung, daß er nicht im Hause schlafe noch hereinkomme, sondern nur bis an das Drehbrett, durch welches er das, was er bringe, hereinbieten könne.
Als dieß geschehen war, legte er einen Theil seines Vermögens an verschiedenen sichern Orten auf Zinsen an, einen andern gab er auf die Bank und einiges behielt er bei sich für mögliche Zufälle. Er schaffte sich einen Hauptschlüssel an zu allen Thüren im Hause und verschloß darin alles, was man im Ganzen und zu bestimmten Zeiten zu kaufen pflegt, so daß er Vorrath hatte für das ganze Jahr. Nachdem er nun alles so vorbereitet und angeordnet hatte, gieng er in das Haus seiner Schwiegereltern, und holte seine Gattin, welche dieselbe ihm mit vielen Thränen übergaben, weil es ihnen vorkam, als würde sie ins Grab gebracht. Die zarte Leonora wußte eigentlich noch gar nicht, was sich mit ihr zugetragen; sie weinte also mit ihren Eltern, bat sie um ihren Segen und nahm Abschied von ihnen. Ihre Sclavinnen und Dienerinnen umgaben sie und so gieng sie an der Hand ihres Gemahls in sein Haus.
Beim Eintritt in dasselbe hielt Carrizales eine Rede an alle, schärfte ihnen die Pflege Leonoras ein und daß sie auf keine Weise und unter keiner Bedingung jemand in die zweite nach innen führende Thür einlassen sollten, und wäre es auch der verschnittene Neger. Am meisten aber empfahl er Leonoras Bewachung und Pflege einer sehr verständigen gesetzten Kammerfrau, die er gleichsam als Wärterin Leonoras annahm und zugleich zur Oberaufseherin von allem, was im Hause vorgieng, und damit sie den Sclavinnen und zwei andern Mädchen von Leonoras Alter die nöthigen Befehle ertheile; die letztern hatte er auch aufgenommen, damit sie eine Unterhaltung von Altersgenossinnen habe. Er versprach ihnen, sie alle so zu behandeln und zu verpflegen, daß sie ihre Einkerkerung nicht empfinden sollten. An allen Festtagen sollten sie ohne Ausnahme nach der Messe gehen dürfen, aber so früh, daß kaum das Tageslicht Gelegenheit fände, sie zu sehen.
Die Mägde und Sclavinnen versprachen, allen seinen Befehlen ohne Widerwillen, gern und freudig nachzukommen. Die junge Frau zuckte die Achseln, verneigte sich und sagte, sie habe keinen andern Willen als den ihres Herrn und Gemahls, dem sie stets gehorsam sein werde.
Als der gute Extremadurer diese Vorkehrungen getroffen und sich in sein Haus zurückgezogen hatte, begann er, so weit es ihm möglich war, die Früchte der Ehe zu genießen, welche Leonoren, da sie von keinen andern Erfahrung hatte, weder angenehm noch zuwider waren. Sie vertrieb sich die Zeit mit ihrer Kammerfrau, ihren Mädchen und Sclavinnen; diese ergaben sich zur Kurzweil der Näscherei und es vergieng kaum ein Tag, wo sie nicht tausenderlei Dinge zugerichtet hätten, denen Honig und Zucker die Würze gaben. Alles, was sie dazu brauchten, stand ihnen in großem Ueberflusse zu Gebot, und ihr Herr gab ihnen dieß aufs willigste, weil er hoffte, daß sie über dieser Unterhaltung und Beschäftigung nicht Zeit haben würden, an ihre Einsperrung zu denken.
Leonora gieng mit ihren Mägden auf gleichem Fuße um und unterhielt sich ebenso wie diese; ja sie beschäftigte sich in ihrer Einfalt mit Verfertigung von Puppen und andern Kindereien, aus welchen die Unschuld ihres Wesens und die Zartheit ihres Alters zu entnehmen war. Dies Alles machte dem eifersüchtigen Gatten das höchste Vergnügen, da er die beste erdenkliche Wahl in Bezug auf die Lebensweise getroffen zu haben glaubte, und der Meinung war, es könne auf keine Weise menschliche List oder Bosheit seine Ruhe stören.
So dachte er auch an nichts, als wie er seiner Frau Geschenke machen wolle, und mahnte sie immer, nur alles von ihm zu verlangen, was ihr in den Sinn komme, denn er wolle ihre Wünsche alle befriedigen. An den Tagen, wo sie zur Messe gieng, was, wie gesagt, noch in der Morgendämmerung geschah, kamen ihre Eltern auch in die Kirche und sprachen dort mit ihrer Tochter in Gegenwart ihres Gatten, welcher sie so mit Geschenken überhäufte, daß wenn sie auch mit ihrer Tochter wegen ihrer eingeschlossenen Lebensweise Mitleid hatten, dieses doch gemildert wurde durch die vielen Geschenke, welche Carrizales ihr freigebiger Eidam ihnen machte.
Carrizales stand des Morgens früh auf und wartete bis der Speisemeister kam, dem man den Abend zuvor mittels eines auf das Drehbrett gelegten Zettels anzeigte, was er am folgenden Tag zu bringen habe. Kam nun der Speisemeister, so gieng Carrizales aus, meist zu Fuß, und schloß die Thüren hinter sich, die auf die Straße und die mittlere, und zwischen beiden blieb der Neger. Nun besorgte er seine wenigen Geschäfte und kam bald wieder zurück, schloß sich ein, und unterhielt sich damit, seiner Frau alle Aufmerksamkeit zu erweisen und ihren Mägden zu schmeicheln, welche ihm alle wohlwollten, weil er sanft und gelassen war und vorzüglich, weil er sich gegen alle so freigebig zeigte.
So legten sie ihr Probejahr zurück, thaten Profeß in dieser Lebensart und beschloßen, dieselbe bis ans Ende ihres Lebens so fortzuführen, was auch geschehen sein würde, wenn der listige Plagegeist des menschlichen Geschlechts sie nicht darin gestört hätte, wie ihr nun gleich hören werdet.
Nun sage mir aber der, der sich für den klügsten und vorsichtigsten hält, welche bessere Sicherheitsmaaßregeln der greise Felipe hätte nehmen können, da er nicht einmal zugab, daß in seinem Hause auch nur ein männliches Thier sein durfte? Die Ratzen darin verfolgte niemals ein Kater, noch hörte man darin das Gebell eines Hundes, denn alle diese Thiere waren weiblichen Geschlechts. Bei Tag dachte er nach, bei Nacht schlief er nicht; denn er war die Runde und die Schildwache seines Hauses und der Argus seines theuren Schatzes.
Nie betrat ein Mann die innere Thür nach seinem Hofe, mit seinen Freunden verhandelte er auf der Straße. Die Figuren auf den Teppichen, welche seine Säle und Gemächer zierten, waren lauter Weiber, Blumen, Landschaften. Sein ganzes Haus hatte den Geruch der Sittsamkeit, Keuschheit und Eingezogenheit. Ja selbst in den Mährchen, welche seine Dienerinnen an den langen Winterabenden am Kamin erzählten, entdeckte man, weil er selbst zugegen war, nie irgend eine Art von Unsittlichkeit.
Das Silberhaar des Greisen war in Leonoras Augen gediegenes Gold, denn die erste Liebe eines Mädchens prägt sich ihrem Herzen, wie ein Siegel dem Wachse ein. Ihre ängstliche Bewachung schien ihr eine kluge Vorsicht; sie dachte und glaubte, allen Neuvermählten gehe es eben so wie ihr. Ihre Gedanken schweiften nie außer den vier Pfählen ihres Hauses und ihr Herz wünschte nichts anderes, als was ihr Gatte wollte. Bloß an den Tagen, wo sie zur Messe gieng, bekam sie die Straßen zu sehen, und das geschah so früh, daß es erst auf dem Rückweg von der Kirche hell genug war, sie in Augenschein zu nehmen.
Nie sah man ein Kloster so gut verwahrt, noch Nonnen in strengerer Eingezogenheit, noch goldene Aepfel so wohlgehütet. Und doch konnte er es auf keine Weise verhüten noch verhindern, daß ihn das gefürchtete Unglück traf, oder daß er wenigstens glaubte davon betroffen zu sein.
Es gibt in Sevilla eine Art müßigen pflastertreterischen Gesindels, das man gemeinhin Straßenvolk zu nennen pflegt. Es sind Söhne der verschiedensten, aber stets der reichsten Häuser, leere, geschniegelte und honigsüße Leutchen, über welche und über deren Tracht und Lebensweise, Charakter und Gesetze, die sie unter sich beobachten, viel zu sagen wäre, was wir aber aus guten Gründen unterlassen.
Einer dieser Ehrenmänner, welche in ihrer Sprache Virote oder Wurfpfeile heißen, wenn sie unverheirathet sind (denn die neuvermählten nennen sie Matones oder Eisenfresser), beschaute zufällig das Haus des vorsichtigen Carrizales, und da er es immer verschlossen sah, kam ihm die Lust zu erfahren, wer denn hier wohne, und bei diesem Verlangen und dieser Neugierde forschte er so eifrig nach, bis er vollständig über alles, was er wünschte, unterrichtet war. Er erfuhr den Charakter des Alten, die Schönheit seiner Gattin, und die Art, wie er sie bewachte.
Dieses alles entzündete in ihm das Verlangen, zu sehen, ob es möglich wäre, eine so wohl bewachte Festung durch Gewalt oder List zu erobern. Er theilte die Sache zwei Wurfpfeilen und einem Eisenfresser aus seiner Bekanntschaft mit, und verabredete mit ihnen, es ins Werk zu setzen; denn nie fehlte es zu solchen Geschäften an Rathgebern und Helfershelfern. Sie waren im Zweifel über die Art und Weise, wie ein so schwieriges Unternehmen anzufangen sei, und nachdem sie mehrfach mit einander zu Rath gegangen waren, kamen sie über folgendes überein.
Loaisa, so nannte sich der Wurfpfeil, stellte sich, als verlasse er die Stadt auf einige Tage, um sich den Augen seiner Freunde zu entziehen. Er that dieß, zog Hosen von reiner weißer Leinwand an und ein reines Hemd; darüber aber legte er eine so zerrissene und zerflickte Kleidung an, daß kein Armer in der ganzen Stadt eine so schmutzige aufzuweisen hatte. Er schor sich einen Theil des Bartes den er trug, bedeckte ein Auge mit einem Pflaster, verband sich ein Bein fest, stützte sich auf zwei Krücken und verwandelte sich so in einen armen Lahmen, daß ihm der echteste Krüppel nicht gleich kam. In diesem Aufzuge erschien er jeden Abend um die Betstunde an Carrizales Hausthüre, welche dann bereits verschlossen war, und der Neger, welcher Luis hieß, war zwischen den zwei Thoren eingeschlossen.
Wenn nun Loaisa dort Platz genommen hatte, ergriff er eine kleine ziemlich schmutzige Guitarre, welcher einige Saiten fehlten, und fieng an, da er etwas Musik verstand, einige lustige muntere Stückchen zu spielen, und, um nicht erkannt zu werden, mit verstellter Stimme vorzutragen. So sang er ohne Unterbrechung eine Reihe von Romanzen über Mauren und Maurinnen, auf eine so närrische und anmuthige Weise, daß alle Vorübergehenden auf der Straße hinstanden; und immer war er, wenn er sang, von Knaben umringt.
Luis der Neger legte die Ohren an die Thür, hatte seine Freude über die Musik des Wurfpfeils und hätte einen Arm von seinem Leibe darum gegeben, wenn er die Thüre hätte öffnen und mehr nach Lust und Liebe zuhören können. So groß ist die Neigung der Neger zur Musik. Wollte Loaisa seine Zuhörer los sein, so hörte er auf zu singen, steckte seine Zitter ein und hinkte auf seinen Krücken von dannen.
Vier oder fünf mal hatte er dem Neger eine Musik gebracht, denn diesem galt es eigentlich, weil er glaubte, daß der Neger derjenige sei und sein müsse, bei dem er anzufangen habe, um dieses Gebäude zu untergraben. Und so glückte ihm denn auch sein Anschlag. Denn als er eines Abends wie gewöhnlich an die Thüre kam, und seine Zitter stimmte, merkte er, daß der Neger bereits in Erwartung dastand. Er legte daher seinen Mund an die Thürschwelle und sagte leise:
Könntest du mir nicht ein wenig Wasser geben, Luis, denn ich verschmachte vor Durst und kann nicht singen.
Nein, versetzte der Neger, denn ich habe keinen Schlüssel zu dieser Thüre, und es ist auch kein Loch da, durch welches ich es euch reichen könnte.
Wer hat denn den Schlüssel? fragte Loaisa.
Mein Herr, antwortete der Neger, und das ist der eifersüchtigste Mensch von der Welt. Wenn er nur wüßte, daß ich jetzt hier mit jemand spreche, so wäre es um mein Leben geschehen. Aber wer seid ihr denn, der ihr mich um Wasser bittet?
Ich bin ein armer Mensch, antwortete Loaisa, der an einem Bein lahm ist, und verdiene mein Brod dadurch, daß ich von guten Leuten Almosen erbettle, und zugleich gebe ich einigen Mauren und andern armen Leuten Unterricht im Zitterspielen. Ich habe schon drei Negersclaven von drei vierundzwanzigern Der Rat der Vierundzwanzig: die Munizipalregierung in Sevilla. ( Anm.d.Hrsg.), die ich so gut unterrichtet habe, daß sie auf jedem Ball und in jeder Schenke singen und spielen können, und sie haben es mir in der That sehr gut bezahlt.
Ich würde es euch noch viel besser zahlen, sagte Luis, wenn ich es möglich machen könnte, Unterricht bei euch zu nehmen. Aber es thut sich nicht, denn wenn mein Herr des Morgens ausgeht, schließt er das Hausthor, und ebenso wenn er nach Hause kommt, und läßt mich eingemauert zwischen den zwei Thüren.
Bei Gott, Luis, versetzte Loaisa, welcher schon den Namen des Negers kannte, wenn ihr ein Mittel fändet, daß ich ein paar Nächte zu euch herein könnte, um euch Unterricht zu geben, so wollte ich in weniger als vierzehn Tagen euch zu einem so geschickten Zitterspieler machen, daß ihr ohne Scheu an jeder Straßenecke euch dürfet hören lassen; denn ihr müßt wissen, daß ich die glücklichste Gabe zum Unterricht besitze. Ueberdieß habe ich auch sagen hören, daß ihr sehr gute Anlagen habt und so viel ich aus eurem zarten Organ der Stimme vernehmen und beurtheilen kann, müßt ihr sehr gut singen können.
Ich singe nicht übel, antwortete der Neger. Aber was hilft es? Ich weiß keine Melodie, als die vom Liebesstern und die
Auf einer grünen Wiese
und die andere, die jetzt so in der Mode ist,
An die Stabe eines Gitters
Schaudernd meine Hand gefesselt.
Das ist alles lauter Wind, sagte Loaisa, gegen die, welche ich euch lehren könnte; denn ich weiß alle die Lieder vom Mauren Abindarraez und seiner Dame Xarifa, und alle die, welche von der Geschichte des großen Sosi Tomunibeyo gesungen werden, so wie die göttlichen Zarabanden, welche so schön sind, daß sie die Portugiesen selbst ganz in Erstaunen setzen. Und alles das lehre ich so geschickt und auf so leichte Art, daß ihr, ohne daß ihr euch mit dem Lernen besonders viele Mühe gebt, kaum drei oder vier Scheffel Salz werdet gegessen haben, bis ihr euch als einen gewandten und geläufigen Musiker in jeder Art von Zitherspiel fühlet!
Was hilft aber das alles, sagte der Neger seufzend, da ich nicht weiß, wie ich euch ins Haus bringen soll.
Da wüßte ich schon ein Mittel, sagte Loaisa. Sucht euch nur der Schlüssel eures Herrn zu bemächtigen, dann gebe ich euch ein Stück Wachs, in welches ihr sie so abdrückt, daß der Bart in dem Wachse wiedergegeben ist. Dann will ich, da ich nun zu euch Neigung gefaßt habe, euch von einem Schlosser, der mein Freund ist, die Schlüssel darnach machen lassen, und auf diese Art kann ich dann Abends zu euch hineinkommen und euch besser unterrichten, als den Priester Johann von Indien, denn ich sehe, daß es jammerschade wäre, wenn eine Stimme, wie die eurige, sollte verloren gehen, blos weil ihr die Begleitung der Zither fehlt. Ihr müßt wissen, Bruder Luis, daß die beste Stimme von der Welt an Wohlklang verliert, wenn sie nicht von einem Instrumente begleitet wird, sei es nun eine Zither, ein Clavier, eine Orgel oder eine Harfe. Was sich indeß zu eurer Stimme am besten eignet, das ist eben das Instrument der Zither, da sie das herrlichste und wohlfeilste Instrument ist.
Das gefällt mir nicht übel, versetzte der Neger; aber es ist nicht ausführbar, da die Schlüssel nie in meine Hände kommen können, denn am Tage legt sie mein Herr nicht aus der Hand und des Nachts liegen sie unter seinem Kopfkissen.
Nun so befolgt einen andern Vorschlag, Luis, sagte Loaisa, wofern ihr anders Lust habt, ein vollendeter Musiker zu werden; denn wenn ihr diese nicht habt, so kann ich mir die Mühe ersparen, euch zu rathen.
Wie, ob ich Lust habe? versetzte Luis. So große, daß ich nichts unterlassen will, was menschenmöglich ist, wenn es mir nur dadurch möglich wird, ein Musikant zu werden.
Wenn das ist, sagte der Wurfpfeil, so will ich euch durch diese Thür hindurch, wenn ihr nämlich Platz macht und etwas Erde unter der Thüre wegschafft, ich sage, ich will euch eine Zange und einen Hammer geben, womit ihr des Nachts die Nägel sehr leicht aus dem Wolfsschloß ziehen könnt; ebenso leicht können wir die Platte wieder annageln, so daß niemand es gewahr werden soll, daß sie abgerissen gewesen ist. Und wenn ich erst mit euch auf eurem Heuboden, oder wo ihr sonst schlaft, eingeschlossen bin, dann will ich mir mein Geschäft so angelegen sein lassen, daß ihr mir zur Ehre und zu eurer Zufriedenheit es noch weiter bringen sollt, als ich euch gesagt habe. Wegen unsers Unterhalts macht euch keine Sorge! Ich werde für uns beide Mundvorrath mitbringen, der für mehr als acht Tage hinreicht, denn ich habe Schüler und Freunde, die mich nicht werden Noth leiden lassen.
Was das Essen betrifft, versetzte der Neger, so brauchen wir aus darüber nicht zu beunruhigen; mit der Portion, die mir mein Herr gibt, und den Ueberbleibseln, die mir die Sclavinnen geben, wäre genug da für zwei andere. Gebt nur den Hammer, von dem ihr sprecht, und die Zange! Ich will an der Thürangel ein Loch machen, um sie hereinzuholen, und es nachher wieder mit Erde bedecken und ausfüllen, und wenn ich auch beim Abnehmen des Schlosses ein paar falsche Schläge thue, so schläft mein Herr so weit von dieser Thür, daß es ein Wunder oder ein besonderer Unstern wäre, wenn er es hören sollte.
Nun denn in Gottes Namen, sagte Loaisa, in zwei Tagen, Luis, sollt ihr alles haben, was nöthig ist, um unsern tugendhaften Plan ins Werk zu setzen. Hütet euch, erhitzende Sachen zu essen, denn sie thun der Stimme nicht gut, sondern schaden ihr vielmehr.
Mich macht nichts so heiser, antwortete der Reger, als der Wein; allein den möchte ich um alle Stimmen auf dem Erdboden nicht lassen.
Das sage ich auch nicht, sagte Loaisa, Gott behüte! Trinket, mein Sohn Luis, trinket und wohl bekomm' es euch; denn wenn man den Wein mit Maaßen trinkt, hat er noch niemals geschadet.
Ei mit Maaßen trinke ich ihn wohl, versetzte der Neger, denn ich habe hier einen Krug, der hält wohl ein volles Maaß geeicht. Diesen füllen mir die Sclavinnen, ohne daß mein Herr es weiß, und der Koch bringt mir heimlich eine Flasche, die auch ihre zwei Maaß hält, und damit ersetze ich, was dem Kruge fehlt.
Solch ein Leben, sagte Loaisa, wie dieß, könnte mir auch gefallen; denn wenn die Kehle trocken ist, kann sie nicht grunzen, noch singen.
Nun geht mit Gott, sagte der Neger. Vergeßt aber ja nicht, alle Abende herzukommen und zu singen, bis ihr mir die versprochenen Sachen bringt, daß ich euch hereinlassen kann; denn wahrlich ich fresse mir fast die Finger ab vor Verlangen, sie auf der Zither zu sehen.
Ich werde gewiß kommen, versetzte Loaisa, und zwar mit ganz neuen Liedern.
Ich bitte euch darum, sagte Luis. Jetzt singt aber noch etwas, damit ich mich vergnügt zu Bette legen kann. Und was die Bezahlung betrifft, Herr Bettler, so werde ich euch besser bezahlen, als ein Reicher.
Davon ist die Rede nicht, sagte Loaisa. Ihr sollt mich bezahlen, wie ich euch unterrichte. Jetzt hört noch das Liedchen an, denn wenn ich erst mit euch drinnen bin, sollt ihr Wunder sehen.
In Gottes Namen, antwortete der Neger.
Nach diesem langen Gespräche sang Loaisa ein artiges Liedchen, was den Neger so entzückte und befriedigte, daß er die Stunde nicht erwarten konnte, wo er die Thüre öffnen durfte.
Kaum war Loaisa von dem Thore weg, so eilte er, um ein gutes leichter, als seine Krücken erwarten ließen, zu seinen Rathgebern, um ihnen Nachricht von dem guten Anfang zu geben, der einen guten Ausgang zu verheißen schien. Er fand sie und erzählte ihnen, was er mit dem Neger verabredet hatte, und den folgenden Tag schafften sie Werkzeuge herbei, womit man jeden Nagel brechen konnte, als wäre er von Holz.
Der Wurfpfeil ermangelte nicht, dem Neger wieder aufzuspielen, so wenig dieser verfehlte, ein Loch zu machen, durch welches man die Dinge hereinspielen konnte, die sein Lehrmeister mitbringen wollte, und er bedeckte dasselbe so geschickt, daß man es, wenn man nicht schon mit Verdacht und Argwohn suchte, nicht gewahr werden konnte.
Am zweiten Abend gab ihm Loaisa die Werkzeuge, Luis versuchte seine Kräfte, ohne Anstrengung zwickte er die Nägel ab und die Schloßplatte war in seiner Hand. Er öffnete die Thüre und empfing seinen Orpheus und Meister, und da er ihn mit seinen beiden Krücken, so zerlumpt und mit dem verkrüppelten Beine, sah, war er sehr verwundert. Loaisa trug kein Pflaster mehr auf dem Auge; es war ihm jetzt entbehrlich geworden. So wie er eintrat, umarmte er seinen guten Schüler, küßte ihm das Gesicht, gab ihm sogleich eine große Flasche Wein in die Hand und eine Büchse mit Eingemachtem und andern Süßigkeiten, womit sein Quersack reichlich versehen war. Er warf die Krücken weg, und als hätte ihm nie etwas gefehlt, fing er an, allerlei Bockssprünge zu machen, worüber der Neger sich baß verwunderte.
Aber Loaisa sagte zu ihm: Wißt, Bruder Luis, an meinem Hinken und Lahmsein ist nicht Krankheit schuld, sondern die List, die mir meinen Unterhalt verschafft, indem ich dabei um Almosen bitte. Mit Hilfe dieser List und meiner Musik führe ich das beste Leben von der Welt, denn in diesem Leben müßten alle, die sich nicht auf List und Schlauheit legten, vor Hunger umkommen. Dieß werdet ihr im Verlauf unserer Freundschaft noch weiter sehen.
Das wird sich zeigen, antwortete der Neger. Aber laßt uns nun vor allem sorgen, daß dieses Schloß wieder an seinen Ort kommt, so daß man die Veränderung nicht bemerkt.
Ganz recht, sagte Loaisa, zog Nägel aus seiner Tasche, und sie befestigten das Schloß wieder so, daß es ganz wie zuvor festhielt, was den Neger außerordentlich erfreute. Loaisa gieng sofort in das Gemach hinauf, welches der Neger auf dem Strohboden hatte, und machte es sich bequem so gut er konnte. Luis zündete sogleich ein Wachslicht an und Loaisa nahm ohne Weiteres seine Zither zur Hand und spielte so sanft und lieblich, was den armen Neger so in Erstaunen setzte, daß er, indem er so zuhörte, ganz außer sich gerieth.
Nachdem er ein wenig gespielt hatte, brachte er wieder etwas zu essen hervor und gab es seinem Schüler. Ob es aber gleich lauter süße Sachen waren, so setzte er doch dem Weinschlauche so ernstlich zu, daß ihm dieser mehr, als die Musik, die Sinne zu rauben begann. Als dieß vorbei war, wurde sogleich zum Unterrichte des Luis geschritten, und da dem armen Neger schon der Wein vier Zoll über den Verstand hinausgieng, so traf er keinen Griff. Dem ungeachtet machte ihm Loaisa weiß, daß er wenigstens schon zwei Stücke spielen könne. Das Gute bei der Sache war, daß der Neger es glaubte und die ganze Nacht hindurch weiter nichts that, als daß er auf der verstimmten und nicht mit den nöthigen Saiten versehenen Zither spielte.
Sie schliefen hierauf noch den kleinen Rest der Nacht hindurch und in der Frühe um sechs Uhr kam Carrizales herunter, öffnete die mittlere und die Straßenthüre und erwartete den Koch, der auch bald darauf kam, das Essen zum Drehfenster hineingab und wieder gieng. Er rief darauf dem Neger, er solle herabkommen, um die Gerste für die Mauleselinn und seinen Mundvorrath in Empfang zu nehmen. Als er dieß gethan hatte, gieng der alte Carrizales fort, verschloß beide Thüren, und sah nicht, was mit der Straßenthüre vorgegangen war, worüber sich Lehrer und Schüler nicht wenig freuten.
Kaum war der Herr aus dem Hause, als der Neger die Zither wieder nahm, und so heftig zu spielen anfieng, daß alle Mägde es hörten und ihn durch das Dreyfenster fragten:
Was ist das, Luis? Seit wann hast du eine Zither hier, oder wer hat sie dir gegeben?
Wer sie mir gegeben hat? antwortete Luis. Der beste Musikant von der Welt, der mir in weniger als sechs Tagen mehr als sechstausend Melodien beibringen wird.
Und wo ist denn dieser Musikant? fragte die Kammerfrau.
Nicht weit von hier, antwortete der Neger; und hätte ich nicht Scheu und Furcht vor meinem Herrn, so machte ich euch vielleicht sogleich mit ihm bekannt, und ihr würdet meiner Treu Vergnügen haben, ihn zu sehen.
Und wo kann denn der sein, daß wir ihn nicht sehen können, versetzte die Kammerfrau, da in dieses Haus noch nie ein anderer Mann gekommen ist, als unser Herr?
Vor der Hand, sprach der Neger, will ich euch nichts sagen, bis ihr sehet, was ich kann und was er mich in der kurzen Zeit gelehrt hat, von der ich sagte.
Wahrlich, sagte die Kammerfrau, wenn euch nicht der Teufel selbst unterrichtet, so weiß ich nicht, wer in so kurzer Zeit dich zum Musikanten machen soll.
Wartet nur, sagte der Neger, ihr sollt es schon eines Tags hören und sehen.
Das ist nicht möglich, sagte ein anderes Mädchen, da wir keine Fenster nach der Straße hin haben, um jemand hören oder sehen zu können.
Schon recht, sagte der Neger! Es giebt für alles ein Mittel, außer für den Tod, zumal wenn ihr schweigen könnt oder mögt.
O ja, wir wollen schon schweigen, Bruder Luis, sagte eine der Sclavinnen; wir wollen schweigen, als wären wir stumm. Ich versichre dir, lieber Freund, daß ich vor Sehnsucht umkomme, eine schöne Stimme zu hören, denn seit wir hier eingemauert sind, haben wir nicht einmal mehr den Gesang der Vögel gehört.
Dieß ganze Gespräch hörte Loaisa mit größtem Vergnügen, da es ihm schien, es ziele geradenwegs auf die Erreichung seines Wunsches und ein guter Stern leite alles völlig nach seinem Wohlgefallen. Die Mägde nahmen Abschied, nachdem der Neger ihnen versprochen hatte, wenn sie am wenigsten daran dächten, wolle er sie rufen, um sie eine köstliche Stimme vernehmen zu lassen. Dann aber verließ er sie, damit nicht ihr Herr bei seiner Heimkehr ihn mit ihnen im Gespräch fände, und zog sich in sein Zimmer oder Zelle zurück.
Gerne hätte er jetzt Unterricht genommen, aber er wagte nicht, bei Tag zu spielen, damit sein Herr ihn nicht höre. Dieser kehrte kurz darauf nach Hause zurück, verschloß die Thüren nach seinem Gebrauch und verschanzte sich in seinem Hause.
Als man diese Nacht dem Neger sein Essen durch den Schieber bot, sagte Luis zu einer Negerin, die es ihm brachte, wenn heute Nacht ihr Herr schlafe, sollen sie gewiß alle an das Drehfenster herabkommen, um die Stimme zu hören, die er ihnen versprochen habe. Ehe er dieß sagte, hatte er nämlich seinen Lehrer inständig gebeten, ihm doch gefälligst diese Nacht an dem Drehfenster zu singen und zu spielen, damit er das Versprechen erfüllen könne, das er den Mägden gegeben habe, ihnen eine vollkommene Stimme hören zu lassen, indem er den Sänger versicherte, er werde aufs schönste von ihnen allen behandelt werden
Der Lehrer ließ sich erst ein wenig bitten, das zu thun, was er doch selbst so sehr wünschte. Endlich aber versprach er, den Wunsch seines guten Schülers zu erfüllen, und zwar blos um ihm Vergnügen zu machen, ohne allen Eigennutz. Der Neger umarmte ihn und küßte ihn auf die Wange zum Zeichen seiner Freude über die versprochene Gunst. Er gab Loaisa an jenem Tage so viel zu essen, als wenn dieser in seinem eigenen Hause gespeist hätte, ja mag sein noch besser, da vielleicht in seinem Hause Schmalhans Küchenmeister war.
Der Abend kam und um Mitternacht oder vielleicht noch etwas früher fieng es an, im Drehfenster zu lispeln, und Luis hörte sogleich, daß es die angekommene Gesellschaft war. Er rief seinen Lehrer, und sie stiegen mit der gut besaiteten und noch besser gestimmten Zither vom Strohboden herab. Luis fragte, wer und wie viele Zuhörerinnen da seien. Man antwortete ihm, es seien alle da, außer die Frau vom Hause, welche mit ihrem Gatten zu Bett gegangen sei.
Dieß war Loaisa unangenehm, aber dennoch begann er die Ausführung seines Plans und befriedigte die Wünsche seines Schülers. Er spielte die Zither ganz sanft und gab solche Melodien preis, daß der Neger erstaunte, und die Weiber, die ihm zuhörten, alle entzückt waren. Was soll ich nun von ihren Empfindungen sagen, als sie das Lied hörten
Es thut mir weh im Herzen
und er mit der wilden Zarabande schloß, welche damals in Spanien noch etwas neues war! Da war keine Alte, die nicht getanzt hätte, kein Mädchen, das nicht gesprungen wäre, daß die Stücke davon fliegen mochten, aber alles in tiefster Stille und nachdem man Wachen und Kundschafter ausgestellt hatte, um zu warnen, falls der Alte erwachte.
Loaisa sang auch Seguidillen, wodurch er seine Zuhörerinnen auf den Gipfel der Wonne erhob, so daß sie den Neger inständig baten, ihnen zu sagen, wer dieser wundervolle Musiker sei. Der Neger sagte ihnen, es sei ein armer Bettler, aber der feinste und artigste Mann von der ganzen Bettlerzunft in Sevilla. Sie baten ihn, er möchte es bewerkstelligen, daß sie ihn zu sehen bekämen, und ihn nicht unter vierzehn Tagen aus dem Hause lassen; sie wollen ihn recht gut bewirthen und es solle ihm an nichts fehlen. Sie fragten ihn, auf welche Weise er ihn in das Haus gebracht habe. Darauf gab er ihnen jedoch keine Antwort. Uebrigens rieth er ihnen, wenn sie den Sänger sehen wollten, ein kleines Loch in den Schieber zu bohren, das sie alsdann mit Wachs verstopfen könnten; er wolle dann sorgen, daß er ihn noch länger im Hause behalte.
Loaisa sprach auch mit ihnen und bot ihnen seine Dienste in so schönen Ausdrücken an, daß sie sogleich bemerkten, daß solche nicht aus dem Munde eines armseligen Bettlers kommen konnten. Sie baten ihn, in der folgenden Nacht wieder an dieselbe Stelle zu kommen: sie wollten ihre Gebieterin bewegen, mit ihnen herabzukommen und ihm zuzuhören, trotz des leisen Schlafs ihres Herrn, dessen Sanftheit nicht von seinem Alter, sondern von seiner heftigen Eifersucht herrührte.
Loaisa antwortete ihnen, wenn sie Lust haben, ihn zu hören, ohne sich vor dem Alten dabei fürchten zu müssen, so wolle er ihnen ein Pulver geben, das sie ihm in seinem Wein beibringen sollten, und das ihn länger als gewöhnlich und in einen ganz tiefen Schlaf werfen werde.
Herr Jesus, rief eines der Mädchen, wenn das wahr wäre, welches günstige Geschick wäre in unser Haus eingekehrt, ohne daß wir es merkten, noch verdienten. Das wäre nicht ein Schlafpulver für ihn, sondern ein Lebenspulver für uns alle und für meine arme Gebieterin Leonora, seine Frau, die er weder in der Sonne, noch im Schatten verläßt, noch einen Augenblick aus dem Gesicht verliert. Ach mein Herzensherr, bringt dieses Pulver und Gott möge euch alles Gute ertheilen, was ihr verlangt! Geht schnell und zögert nicht! Bringt es! Ich erbiete mich, es in den Wein zu mischen und die Mundschenkin zu machen. Wollte Gott, der Alte schliefe drei Tage und drei Nächte aneinander, so könnten wir so lange wahrhaft im Paradies leben!
Ich will euch das Pulver schon bringen, sagte Loaisa. Es ist so beschaffen, daß es dem, der es einnimmt, kein anderes Leides noch Schaden thut, als daß es ihn zum schwersten Schlaf unwiderstehlich einlädt.
Alle baten ihn, das Pulver baldigst herbeizuschaffen, und es wurde verabredet, daß sie den andern Abend ein Loch in den Laden bohren und ihre Frau mitbringen wollten, damit dieselbe ihn sehen und hören könne, worauf sie sich verabschiedeten. Der Neger wollte, ob es gleich schon zu tagen begann, noch eine Lehrstunde haben, welche ihm auch Loaisa gab, und wobei er ihn versicherte, es habe keiner von allen seinen Schülern ein so feines Ohr; dessenungeachtet lernte aber der gute Neger weder damals noch später einen Griff.
Loaisas Freunde trugen Sorge, Abends an der Straßenthür zu lauschen, und hatten Acht, ob ihr Freund ihnen etwas sagen wolle oder ob er etwas bedürfe. Wenn sie nun ein verabredetes Zeichen machten, vernahm Loaisa, daß sie an der Thür waren; er gab ihnen durch die Oeffnung an der Schwelle kurz Nachricht von dem guten Stande seiner Angelegenheit und bat sie dringend, ihm irgend ein schlaferregendes Mittel zu verschaffen, um es Carrizales zu geben, denn er habe gehört, daß es ein Pulver gebe, welches diese Wirkung hervorbringe.
Sie sagten ihm, sie haben einen Arzt, der ihr Freund sei, und ihnen das beste Mittel dieser Art bereiten werde, welches er nur wisse, wenn es anders ein solches gebe. Sie feuerten ihn an, sein Unternehmen fortzusetzen und versprachen ihm, in der folgenden Nacht wieder zu kommen und alles Erforderliche mitzubringen, worauf sie eilig von ihm Abschied nahmen.
Die Nacht kam und die Taubenschaar flog der Lockpfeife der Zither zu. Mit ihnen kam auch die einfältige Leonora, voll Furcht und Zittern, ihr Eheherr möchte erwachen. Ob sie gleich anfangs wegen dieser Besorgniß nicht hatte mitgehen wollen, so wußten doch ihre Dienerinnen, und namentlich die Kammerfrau, ihr so viel Schönes vorzuschwatzen von der Lieblichen Musik und der Schönheit des armen Spielmanns, den sie, ohne ihn gesehen zu haben, über Absalon stellte und über Orpheus erhob, daß die arme Frau sich von ihnen bereden und bewegen ließ, zu thun, was ihr sonst wohl nie in den Sinn gekommen wäre.
Vor allen Dingen bohrten sie ein Loch in das Drehfenster, um den Musiker zu sehen, der bereits seinen Bettleranzug abgelegt hatte und große Hosen von dunkelrothem Tafft, weit nach Matrosenart, ein Wamms von demselben Zeug mit Goldschnüren, eine Atlasmütze von der gleichen Farbe und einen steifen Halskragen mit breitem Saum und Spitzen trug. Dieß alles hatte er in einem Quersacke mitgebracht, weil er im Voraus auf eine Gelegenheit rechnete, seinen Anzug verändern zu müssen. Er war jung, einnehmend und hübsch, und da sie alle so lange Zeit nur ihren alten Herrn gesehen hatten, so kam er ihnen wie ein Engel vor.
Eine um die andere drängte sich an das Loch, um ihn zu sehen, und um ihn desto mehr in die Augen fallen zu machen, beleuchtete ihn der Neger, indem er den brennenden Wachsstock bald oben, bald unten hinhielt. Nachdem ihn alle gesehen hatten, auch die neuen Negerinnen, nahm Loaisa die Zither und sang in jener Nacht so ausgezeichnet, daß er alle, die alten wie die jungen, vollends ganz in Verwunderung und Staunen versetzte.
Alle baten Luis, es so anzustellen und einzurichten, daß sein Herr Lehrer ganz in das Haus hereinkomme, damit sie ihn mehr in der Nähe sehen und hören können, und nicht so verstohlen, wie durch ein Nadelloch, und ohne die Furcht, so weit von ihrem Herrn entfernt zu sein, daß er sie unvermuthet und an der That ertappen könne, was nicht so der Fall wäre, wenn man ihn im Innern der Wohnung verborgen hielte.
Dagegen sträubte sich jedoch ihre Gebieterin ernstlich und sagte, man solle daran und an einen solchen Einfall nicht denken, denn es würde ihr in der Seele wehthun; es können ja von hier aus ihn alle sehen und hören in voller Sicherheit und ohne Gefahr für ihre Ehre.
Was Ehre? sagte die Kammerfrau. Der König hat Ehre genug. Bleibt, gnädige Frau, hier eingeschlossen bei eurem Methusala und erlaubt uns, daß wir uns ergötzen, so gut wir können, zumal da dieser Herr so ehrenwerth aussieht, daß er nichts von uns begehren wird, als was wir selbst wollen.
Meine Damen, sagte hier Loaisa, ich bin in keiner andern Absicht hierher gekommen, als um euch allen mit Leib und Seele zu dienen, weil es mich dauert, daß ihr auf eine so unerhörte Art eingekerkert seid, und eure beste Zeit über diesem eingeschränkten Leben verloren geht. Ich bin, bei dem Leben meines Vaters, ein so aufrichtiger, sanfter, gutmüthiger und gehorsamer Mensch, daß ich nichts weiter thun werde, als was man mir befiehlt, und wenn eine von euch sagt: Meister, setzt euch hierher! Meister, geht dorthin! Macht, daß ihr dahin kommt! Geht in jene Ecke! so würde ich es thun, wie der zahmste, gelehrteste Hund, der für den König von Frankreich springt.
Nun wenn es so ist, sprach die unwissende Leonora, wie fangen wir es denn an, daß wir den Herrn Lehrmeister hereinbringen?
Das geht leicht, sagte Loaisa. Sucht nur den Schlüssel dieser inneren Thür in Wachs abzudrucken, dann will ich dafür sorgen, daß morgen Abend ein gleicher fertig ist, dessen wir uns bedienen können.
Wenn wir diesen Schlüssel haben, sagte eines von den Mädchen, so haben wir alle zum ganzen Haus, denn es ist der Hauptschlüssel.
Nun, dadurch würde die Sache eben nicht schlimmer, versetzte Loaisa.
Allerdings, sagte Leonore; indeß muß dieser Herr erst schwören, daß er, wenn er herein ist, nichts weiter thun will, als spielen und singen, wenn man es ihm befiehlt, und daß er ruhig da will eingeschlossen bleiben, wo wir ihn verbergen werden.
Ich schwöre, sagte Loaisa.
Dieser Schwur reicht nicht hin, antwortete Leonora. Er muß beim Leben seines Vaters schwören und auf das Kreuz, und es küssen vor unser aller Augen.
Ich schwöre beim Leben meines Vaters, sagte Loaisa, und bei diesem Zeichen des Kreuzes, das ich mit meinem unreinen Munde küsse.
Dabei machte er mit zwei Fingern ein Kreuz, das er dreimal küßte. Als dieß vorbei war, sagte eines von den Mädchen:
Seht zu, mein Herr, daß ihr das mit dem Pulver nicht vergeßt, denn das ist die Hauptsache.
Hier endigte sich das Gespräch für diesen Abend und alle waren sehr vergnügt über die getroffene Abrede.
Das Schicksal, das Loaisas Angelegenheiten immer so sehr begünstigt hatte, führte um diese Zeit, es war zwei Uhr nach Mitternacht, seine Freunde durch die Straße. Sie gaben ihm das gewöhnliche Zeichen, indem sie ein Pariser Brummeisen Maultrommel. ( Anm.d.Hrsg.) ertönen ließen; Loaisa sprach mit ihnen, erzählte ihnen, wie weit seine Bestrebungen gediehen seien, und fragte sie, ob sie das Pulver oder sonst etwas dergleichen, wie er es verlangt hatte, um Carrizales schlafen zu machen, mitbringen; dann sagte er ihnen auch seinen Wunsch in Betreff des Hauptschlüssels.
Sie gaben ihm zur Antwort, das Pulver oder eine Salbe werde in der folgenden Nacht kommen, und zwar etwas so wirksames, daß man einen durch Bestreichung des Pulses und der Schläfe in so tiefen Schlaf bringe, daß er in zwei Tagen nicht wieder erwache, wenn man nicht alle bestrichenen Theile mit Weinessig wieder abwasche. Den Schlüssel möge er ihnen nur in Wachs abgedrückt geben, so wollen sie ihn leicht nachmachen lassen.
Damit nahmen sie Abschied und Loaisa und sein Schüler schliefen den kurzen Rest der Nacht hindurch, und Loaisa erwartete mit großem Verlangen die kommende, um zu sehen, ob man ihm mit dem Schlüssel Wort halte. Und wenn auch den Wartenden die Zeit träge und langsam erscheint, so hält sie am Ende doch den Gedanken selber gleichen Schritt und der ersehnte Augenblick erscheint, dieweil sie nie inne hält noch still steht.
So kam denn die Nacht heran, und die gewöhnliche Stunde, um sich nach dem Drehfenster zu begeben, wohin alle Dienerinnen des Hauses kamen, große und kleine, schwarze und weiße, denn sie glühten alle von demselben Verlangen, den Herrn Musikanten in ihrem Serail zu haben. Aber Leonora kam nicht, und als Loaisa sich nach ihr erkundigte, antwortete man ihm, sie sei mit ihrem Gatten zu Bett gegangen, welcher die Thür seines Schlafgemachs, ehe er einschlafe, verschließe, und wenn er geschlossen, den Schlüssel unter sein Kopfkissen lege; ihre Frau habe aber gesagt, sobald der Alte eingeschlafen sei, wolle sie sich bemühen, den Hauptschlüssel herauszuholen und in weichem Wachs, das sie schon bereit gelegt hatte, abzudrücken; in wenigen Augenblicken könne man ihn dann durch das Katzenloch in Empfang nehmen.
Loaisa wunderte sich über die Vorsicht des Alten, gab aber seinen Plan deshalb doch nicht auf. Indem hörte er das Brummeisen, eilte an den gewöhnlichen Ort und fand seine Freunde, die ihm ein Büchschen mit Salbe von der bezeichneten Eigenschaft gaben. Loaisa nahm es und sagte, sie möchten ein wenig warten, er wolle ihnen das Muster zum Schlüssel geben. Er kehrte nach dem Drehfenster zurück und sagte zu der Kammerfrau, welcher man anmerkte, daß sie sein Hereinkommen am meisten wünschte, sie solle die Salbe der Frau Leonora bringen, ihr die Eigenschaft derselben bekannt machen und sie veranlassen, daß sie ihren Gemahl so leise, daß er es nicht fühle, einsalbe, wo sie dann Wunder sehen werde.
Die Kammerfrau that es, und als sie an das Katzenloch kam, fand sie Leonore schon daselbst harrend, der ganzen Länge nach auf der Erde ausgestreckt und mit dem Gesicht am Katzenloche. Die Kammerfrau näherte sich, streckte sich auf dieselbe Art nieder, legte ihren Mund an Leonoras Ohr und sagte ihr mit leiser Stimme, sie bringe hier eine Salbe, und auf welche Weise sie ihre Eigenschaft versuchen solle.
Sie nahm die Salbe und antwortete der Kammerfrau, sie könne auf keine Weise ihrem Mann den Schlüssel wegnehmen, weil er ihn nicht wie gewöhnlich unter dem Kopfkissen, sondern zwischen zwei Matratzen und fast mitten unter seinem Leib verborgen habe; indeß möge sie nur dem Meister sagen, wenn die Salbe auf die angezeigte Art wirke, so würde sie mit leichter Mühe den Schlüssel jedesmal hervorziehen, wenn sie ihn wollte, und es wäre also nicht nöthig, denselben in Wachs zu drücken. Sie sagte, sie solle dieß sogleich ausrichten und dann wieder kommen, um zu sehen, ob die Salbe wirke, denn sie gedachte ihren Eheherrn sogleich einzureiben.
Die Kammerfrau ging zum Meister Loaisa, um ihm dieß zu sagen, und er verabschiedete seine Freunde, die noch auf den Schlüsselabdruck harrten. Zitternd und leise nahte sich Leonora, die kaum zu athmen wagte, ihrem eifersüchtigen Gatten, um ihm den Puls zu bestreichen, und ebenso bestrich sie ihm die Nasenlöcher. Als sie an diese kam, schien er sich zu rühren und sie gerieth in Todesangst, sie glaubte, auf der That ertappt zu sein. Sie brachte indeß, so gut sie konnte, die Salbung zu Stande an allen Stellen, welche man ihr für nöthig erklärt hatte, und es war nicht anders, als wenn sie ihn zu seinem Begräbniß einbalsamirt hätte.
Die Opiumsalbe äußerte in Kurzem deutlich ihre Kraft, denn der Alte fieng gleich an, so heftig zu schnarchen, daß man es auf der Straße hören konnte, welche Musik in den Ohren seiner Gemahlin noch harmonischer erklang, als die des Lehrers ihres Negers. Da sie indeß ihren Augen noch nicht recht traute, gieng sie zu ihm und rüttelte ihn ein wenig, und dann heftiger, und dann wieder ein bischen mehr, um zu sehen, ob er erwache; und zuletzt wurde sie so dreist, daß sie ihn auf die andere Seite legte, ohne daß er darüber erwacht wäre. Wie sie das sah, gieng sie nach dem Katzenloche in der Thüre und flüsterte der Kammerfrau, welche hier ihrer wartete, zu:
Du mußt mir ein Trinkgeld geben, Schwester! Carrizales schläft fester, als ein Todter.
Nun worauf wartest du, um den Schlüssel zu nehmen, meine gnädige Frau? sagte die Kammerfrau. Denke doch, daß der Musiker seit länger als einer Stunde darauf wartet.
Warte, Schwester, antwortete Leonora, ich will ihn holen.
Sie kehrte zu dem Bette zurück, fuhr mit der Hand zwischen die zwei Matratzen und zog den Schlüssel hervor, ohne daß der Alte es bemerkte. Als sie ihn in der Hand hielt, fieng sie an, vor Freude zu springen; öffnete ohne Verweilen die Thüre und überreichte ihn der Kammerfrau, welche ihn mit der größten Freude von der Welt empfieng.
Leonora befahl nun, dem Musikanten zu öffnen und ihn in die Gallerie zu führen, denn sie wage nicht, sich von hier zu entfernen, aus Furcht, es möchte etwas vorfallen; vor Allem aber müsse man ihn von Neuem den bereits geleisteten Schwur bekräftigen lassen, nichts zu thun, als was man ihm befehle, und wenn er sich weigere, ihn zu wiederholen und zu bestätigen, dürfe man ihm auf keine Weise öffnen.
Es soll geschehen, sagte die Kammerfrau. Wahrlich er soll nicht hereinkommen, ehe er geschworen und wieder geschworen, und das Kreuz sechsmal geküßt hat.
Eine Vorschrift brauchst du ihm nicht zu machen, sagte Leonora, denn wenn er es nur küßt, so ist es gleichgiltig, wie oft. Gib aber Acht, daß er bei dem Leben seiner Eltern schwöre, und bei allem, was ihm lieb ist. Dadurch werden wir in Sicherheit gesetzt und können uns zur Genüge singen und spielen hören; denn bei meiner Seele, er macht es ganz vortrefflich. Geh nun und halte dich nicht auf, damit die Nacht nicht in Gesprächen vergehe!
Die gute Kammerfrau hob die Schleppe auf und eilte mit beispielloser Geschwindigkeit nach dem Drehladen, wo die ganze Bewohnerschaft des Hauses sie erwartete. Als sie den Schlüssel vorzeigte, den sie mitbrachte, war die Freude Aller so groß, daß sie sie wie einen neuen Professor emporhoben und riefen: Vivat, Vivat!
Ueberdieß sagte sie ihnen, es sei gar nicht nöthig, den Schlüssel nachzumachen, weil der eingesalbte Alte so fest schlafe, daß sie sich des Hauptschlüssels bedienen dürfen, so oft sie wollen.
Geschwind also, Freundin, sagte eines von den Mädchen, öffnet diese Thüre, und der Herr trete herein, denn er wartet schon lange! Dann wollen wir uns an der Musik belustigen, daß es nichts Schöneres geben soll.
Aber er muß uns zuvor noch etwas geben, versetzte die Kammerfrau, nämlich das Versprechen und den Schwur muß er erneuen, wie in der letzten Nacht.
Er ist ja so gut, sagte eine von den Sclavinnen, daß er keinen Anstand nehmen wird, zu schwören.
Unterdessen schloß die Kammerfrau auf und rief durch die halbgeöffnete Thüre Loaisa zu, welcher durch das Loch des Drehfensters alles mit angehört hatte, und nun, auf die Thüre zugehend, geradezu hineintreten wollte. Doch die Kammerfrau legte ihm die Hand aufs Herz, und sagte:
Ich kann euch bei Gott und meinem Gewissen versichern, mein Herr, daß wir alle, die innerhalb der Mauern dieses Hauses leben, so reine Jungfrauen sind, wie die Mütter, die uns geboren haben, meine Gebieterin ausgenommen; und ob ich gleich wie eine Vierzigerin aussehen mag, während ich doch noch nicht volle dreißig bin, denn es fehlen mir noch zwei und ein halber Monat, so bin ich doch noch leider eine Jungfrau. Komme ich euch etwa alt vor, so wißt, daß Aerger, Widerwärtigkeiten und Verdruß den Jahren leicht eine Null, ja auch wohl zwei hinzufügen können. Bei diesem Stande der Dinge wäre es unrecht, wenn wir, um zwei, drei oder vier Liedchen zu hören, so viel Jungfräulichkeit in Gefahr bringen wollten, als in diesem Hause verschlossen ist, denn selbst diese Negerin, welche Guiomar heißt, ist eine Jungfrau. Darum, mein Herzensherr, müßt ihr, ehe ihr unser Reich betretet, einen ganz feierlichen Eid ablegen, daß ihr nichts weiter thun wollt, als was wir euch befehlen. Scheint euch das zu viel verlangt, so bedenkt, daß noch weit mehr gewagt wird, und wenn ihr in guter Absicht kommt, so braucht ihr euch auch einen Eid nicht sehr leid thun zu lassen; denn den guten Zahler dauert kein Pfand.
Gut, sehr gut, sagte eines von den Mädchen. Fräulein Marialonso hat wie eine verständige Person gesprochen und die die Sachen von der rechten Seite ansieht. Und wenn der Herr nicht schwören will, so darf er gar nicht hereinkommen.
Darauf sagte die Negerin Guiomar, die noch nicht sehr in der Landessprache bewandert war: Wegen mir, mag er schwören, oder nicht! Er herein komm mit all Teufel; er auch sehr geschworen, ist er hinnen, er doch alles vergessen haben.
Loaisa hörte mit großer Ruhe die Standrede des Fräuleins Marialonso und antwortete mit gesetztem Ernst und großer Haltung:
Wahrlich, meine lieben Damen, Schwestern und Gesellschafterinnen, niemals war meine Absicht eine andere, noch ist sie, noch wird sie sein, als euch Vergnügen und Freude zu verschaffen, so weit meine Kräfte reichen. Darum wird mir auch dieser Eid, den man von mir verlangt, nicht schwer fallen. Doch hätte ich gewünscht, daß man etwas auf mein Wort vertraut hätte, denn ein förmlich gegebenes Wort von einer Person meines Gleichen ist dasselbe, wie eine gerichtliche Verschreibung; und ich will euch nur sagen,
Unter grobem Kanevaß,
Steckt oft 'was,
und unter einen schlechten Mantel steckt sich meistens ein guter Trinker. Damit ihr aber alle vollkommen versichert seid von der Redlichkeit meiner Absichten, bin ich bereit zu schwören als guter Katholik und als ehrlicher Mann, und so schwöre ich bei der unbefleckten Wirksamkeit, in allem ihrem heiligsten und ausgedehntesten Wesen, und bei den Ein- und Ausgängen des heiligen Bergs Libanon und bei allem, was die wahrhaftige Geschichte Caroli Magni in der Vorrede enthält, mit sammt dem Tode des Riesen Fierabras, nicht zu überschreiten noch zu verletzen den Eid, den ich gethan, noch den Befehl der kleinsten und geringsten dieser Frauen, bei Strafe, wenn ich anders thue oder thun will, daß ich es von nun an und immerdar für null, nichtig und ungiltig erkläre.
So weit kam der gute Loaisa mit seinem Schwur, als eines von den beiden Mädchen, welches mit Aufmerksamkeit zugehört hatte, laut ausrief:
Nun das ist doch ein Schwur, der Steine erweichen könnte. Gott soll mich bewahren, daß ich euch weiter schwören lasse, denn schon durch das, was ihr bis jetzt geschworen habt, könnt ihr selbst in die Cebrahöhle Vermutlich ist das andalusische Cabra gemeint. Aus archäologische Funden in den zahlreichen Höhlen der umliegenden Karstgebirge geht hervor, dass die Region um Cabra schon im Mittelpaläolithikum besiedelt war. ( Anm.d.Hrsg.) kommen.
Sie faßte ihn bei seinen weiten Hosen und zog ihn herein; sogleich umringten ihn alle übrigen. Darauf gieng eine von ihnen fort, die Gebieterin zu benachrichtigen, welche als Schildwache den Schlaf ihres Mannes beobachtete; und als die Abgesandte ihr sagte, der Musikant komme schon herauf, freute sie sich und erschrack zu gleicher Zeit, und fragte, ob er geschworen habe. Das Mädchen bejahte es und sagte, er habe den seltsamsten Eid geleistet, den sie in ihrem Leben gehört habe.
Nun, wenn er geschworen hat, sprach Leonora, so haben wir ihn ja gefangen. Das war doch ein gescheidter Einfall von mir, daß ich ihn schwören ließ.
Indem kam die ganze Gesellschaft mit dem Spielmann in ihrer Mitte. Der Neger und die Negerin Guiomar leuchteten ihnen. Als Loaisa die Leonora erblickte, wollte er sich ihr zu zu Füßen werfen, um ihr die Hände zu küssen. Sie gab ihm stillschweigend ein Zeichen, aufzustehen, und alle waren still, als wären sie stumm, und wagten kein Wort zu sprechen, aus Furcht, ihr Herr möchte sie hören.
Als Loaisa dieß bemerkte, sagte er, sie können immerhin laut sprechen, denn die Salbe, womit ihr Herr bestrichen sei, habe die Eigenschaft, zwar nicht das Leben zu nehmen, aber doch den Menschen wie todt hinzustrecken.
Das glaube ich, sagte Leonora, denn wenn das nicht wäre, so müßte er schon zwanzigmal erwacht sein, da er durch sein vielfältiges Uebelbefinden einen sehr leisen Schlaf bekommen hat; aber seit ich ihn bestrichen habe, schnarcht er wie ein Thier.
Nun wenn das ist, sagte die Kammerfrau, so wollen wir in den Saal hier gegenüber gehen; dort können wir den Herrn hier singen hören und uns ein wenig vergnügen.
Das wollen wir, sagte Leonora; doch Guiomar bleibe als Wache hier, damit sie uns Nachricht geben kann, wenn Carrizales erwacht.
Darauf erwiderte Guiomar: Ich Negerin bleibe, Weiße gehen, Gott verzeih allen!
Die Negerin blieb, alle giengen in den Saal, wo eine reiche Estrade war. Sie nahmen den Herrn in die Mitte und ließen sich alle nieder. Die gute Marialonso nahm ein Licht, begann den guten Musikanten von oben bis unten zu beschauen und eine der Mädchen rief aus:
Ei, was für einen hübschen Haarbüschel er über der Stirn trägt und wie gut frisiert.
Ha, rief eine andere, und welches Weiß an den Zähnen! Die Pest doch! Geschälte Pinienkerne können nicht so weiß und glatt sein.
Eine dritte: Und was für große und schön gespaltene Augen! Und beim Leben meiner Mutter, sie sind grün, als wären es echte Smaragde.
Diese lobte den Mund, jene die Füße, und alle zusammen zergliederten und anatomirten ihn ganz genau. Leonora allein schwieg und betrachtete ihn, und er schien ihr weit besser gebaut, als ihr Eheherr.
Unterdessen nahm die Kammerfrau die Zither, welche der Neger hatte, gab sie Loaisa in die Hand und bat ihn, darauf zu spielen und ein Lied zu singen, welches damals in Sevilla sehr beliebt war und so anfieng:
Mutter, meine Mutter,
Setzet ihr mir Wachen?
Loaisa erfüllte ihren Wunsch. Sie erhoben sich alle und fiengen an zu tanzen, daß die Stücke davon fliegen wollten. Die Kammerfrau kannte den Text und sang ihn, mehr mit eigenem Vergnügen, als mit schöner Stimme. Das Lied lautet so:
Mutter, meine Mutter,
Setzet ihr mir Wachen?
Wenn ich selbst nicht wache,
Ists doch nur zum Lachen.
Steht ja doch geschrieben,
Und so will's Natur,
Daß Entziehung nur
Reiz verleiht den Trieben.
Eingeschloßnes Lieben
Sucht endlosen Raum;
Drum ist's möglich kaum
Schließen und bewachen,
Wenn ich selbst nicht wache,
Ist's doch nur zum Lachen.
Wenn der Wille frei
Sich nicht mag beschützen,
Werden auch nichts nützen
Rücksicht, Furcht und Scheu.
Liebe bricht und Treu
Durch des Todes Schrecken,
Bis sie Glück entdecken
Höher's als zu sagen.
Wenn ich selbst nicht wache,
Ist's doch nur zum Lachen.
Wer der Liebe Wonne
Kennt, das süße Ding,
Fliegt ein Schmetterling,
Stets um diese Sonne,
Will gleich einer Nonne
Wächter man auch setzen;
Nie ist's durchzusetzen,
Wie ihr es wollt machen.
Wenn ich selbst nicht wache,
Ist's doch nur zum Lachen.
So sehr kann beschweren
Heftiger Liebe Kraft,
Daß sie bald umschafft
Schöne zu Chimären.
Feuer wird ihr Begehren,
Wachs die Brust, die volle,
Ihre Hände Wolle,
Filz der Fuß der Schwachen.
Wenn ich selbst nicht wache,
Ist's doch nur zum Lachen.
Die Mädchenschaar kam mit ihrem Gesang und Tanze, unter Anführung der guten Kammerfrau, zu Ende, als die Schildwache Guiomar ganz erschrocken gelaufen kam und an Händen und Füßen zitterte, als hätte sie die fallende Sucht.
Der Herr aufgewacht, Frau! rief sie mit heiserer, gedämpfter Stimme; Frau! der Herr aufgewacht, und steht auf und kommt.
Wer schon eine Schaar Tauben gesehen hat, die auf einem Acker sorglos den Saamen aufpickten, welchen fremde Hände gestreut haben, wie sie durch den furchtbaren Knall eines losgehenden Feuergewehrs aufgeschüchtert, sich erhebt und das Futter vergißt, und verwirrt und bestürzt sich in die Lüfte zerstreut, der kann sich eine Vorstellung machen von dem Zustande, in welchen die Schaar des tanzenden Reigens gerieth, als sie blaß vor Furcht die unerwartete Kunde vernahmen, welche ihnen Guiomar brachte.
Indem jede auf ihre Entschuldigung und alle auf ihre Rettung bedacht waren, schlüpfte die eine dahin und die andere dorthin, um sich auf den Böden und in den Winkeln des Hauses zu verstecken, und ließen den Musikanten allein, welcher Zither und Gesang einstellte und in seiner Bestürzung nicht wußte, was er anfangen sollte; Leonora rang ihre schönen Hände; Fräulein Marialonso schlug sich ins Gesicht, aber nicht allzu heftig; kurz alles war lauter Verwirrung, Schrecken und Angst.
Die Kammerfrau indeß, listiger und besonnener, ordnete es so an: Loaisa sollte in eines ihrer Zimmer treten, sie selbst und ihre Gebieterin aber im Saale bleiben; es werde dann nicht an Entschuldigungen für den Herrn fehlen, wenn er sie so hier treffe.
Loaisa verbarg sich im Augenblick, und die Kammerfrau lauschte aufmerksam, ob ihr Gebieter komme. Da sie aber durchaus kein Geräusch vernahm, gewann sie wieder Muth und trat allmählig Schritt für Schritt dem Zimmer näher, wo ihr Herr schlief, welchen sie denn schnarchen hörte, wie zuvor. Sobald sie sich überzeugt hatte, daß er schlafe, nahm sie die Schleppe auf und kehrte in vollem Lauf zu ihrer Gebieterin zurück, um ihr die frohe Kunde vom Schlafe ihres Herrn zu bringen, wofür diese ihr denn auch von Herzen erkenntlich war.
Die gute Kammerfrau wollte die günstige Gelegenheit nicht versäumen, die ihr das Geschick anbot, zuerst alle die Reize zu genießen, welche ihrer Vorstellung nach der Spielmann besitzen mußte. Sie sagte daher zu Leonora, sie möge nur im Saale warten, bis sie ihn hereinrufe, verließ sie und trat in das Gemach, in welchem er sich befand, nicht minder verwirrt als nachdenklich die Nachrichten erwartend, was der eingesalbte Alte beginne. Er verwünschte die Trüglichkeit der Salbe, klagte über die Leichtgläubigkeit seiner Freunde und seine Unachtsamkeit, daß er nicht vor Carrizales an einem andern ihre Wirkung erprobt habe.
Indessen kam die Kammerfrau und versicherte ihn, der Alte schlafe so gut als möglich. Darüber beruhigte sich sein Herz und er hörte aufmerksam den vielen verliebten Reden zu, womit Marialonso ihn bestürmte und aus welchen er auf ihre bösen Gelüste schließen konnte; er nahm sich aber vor, sie zur Angel zu gebrauchen, womit er ihre Gebieterin fischen wollte.
Während nun die beiden so im Gespräch begriffen waren, kamen die übrigen Dienerinnen, welche an verschiedenen Orten des Hauses, die eine hier, die andere dort versteckt waren, wieder hervor, um zu sehen, ob ihr Herr wirklich aufgewacht sei. Da sie nun sahen, daß alles in Stillschweigen vergraben lag, kamen sie in den Saal, wo sie ihre Frau gelassen hatten, von welcher sie erfuhren, daß der Herr schlief. Wie sie sie nun nach dem Musikanten und der Kammerfrau fragten, sagte sie zu ihnen, wo sie seien, worauf sie alle, eben so leise, als sie hergekommen waren, näher traten, um an der Thüre zu horchen, was zwischen den beiden vorgehe.
Die Negerin Guiomar fehlte nicht unter der Zahl, wohl aber der Neger; denn sobald er hörte, daß sein Herr erwacht sei, nahm er die Zither in den Arm und eilte, sich auf seinem Heuboden zu verstecken, wo er unter der Decke seines armseligen Lagers von einem Angstschweiß in den andern fiel. Trotz dem aber konnte er es nicht lassen, auf den Saiten seiner Zither zu fingern. So groß war seine verwünschte Neigung zur Musik.
Die jungen Mädchen hörten halb vernehmlich die verliebten Reden der Alten, und jede taufte sie mit einem besondern Namen. Keine nannte sie die Alte, ohne ihr das Epithet und den Beinamen Hexe, Bärtige, Mannstolle und anderes hinzuzufügen, was das Zartgefühl zu berichten verbietet. Was aber am meisten lachen gemacht hätte, wer sie dort hatte sprechen hören, das waren die Reden der Negerin Guiomar, welche als Portugiesin und mit der Landessprache nicht sehr vertraut, ihre Scheltworte auf die seltsamste und ergetzlichste Weise vorbrachte.
Der Schluß des Gesprächs der beiden lief endlich darauf hinaus, daß er ihr zu Willen sein wolle, wenn sie ihm zuerst ihre Frau ganz seinen Wünschen überliefert habe. Die Kammerfrau willigte nur äußerst ungern in den Antrag des Musikers; doch um die Leidenschaft zu befriedigen, die sich schon ihres ganzen Herzens bemächtigt und Mark und Bein durchdrungen hatte, hatte sie ihm die unmöglichsten Dinge von der Welt versprochen.
Sie verließ ihn und gieng weg, um mit ihrer Frau zu sprechen, und wie sie alle Mägde vor ihrer Thüre versammelt fand, befahl sie ihnen, sich auf ihre Kammern zurückzuziehen, es werde ein anderes Mal Abends Gelegenheit geben, mit weniger oder gar keiner Störung den Musiker zu genießen, da ihnen doch für diesen Abend der Schrecken die Freude verwässert habe. Alle merkten wohl, daß die Alte allein sein wollte, sie konnten aber nicht umhin, ihr zu gehorchen, da sie über sie alle Befehl hatte.
Die Mägde zogen sich zurück und die Kammerfrau kam in den Saal, um Leonora zu überreden, sich Loaisas Willen zu fügen, was sie mit einer so ausführlichen und wohlgesetzten Anrede that, daß es schien, sie habe dieselbe seit vielen Tagen studiert. Sie rühmte ihr seine Artigkeit, sein männliches Wesen, seinen Witz und alle seine Reize; sie schilderte ihr, wie viel mehr Genuß ihr die Umarmungen eines jugendlichen Liebhabers gewähren würden, als die ihres alten Gatten; sie sicherte ihr Verschwiegenheit und Dauer des Genusses zu, nebst andern dergleichen Dingen, die ihr der Teufel auf die Zunge legte, voll so eindringlicher und wirksamer rhetorischer Farben, daß sie nicht allein das zarte und unachtsame Herz der einfältigen und unvorsichtigen Leonora, sondern das eines harten Marmors rühren konnten.
O ihr Zofen, die ihr in die Welt geboren und gesetzt seid, um tausend keusche und gute Absichten zu Grunde zu richten! Ihr lange gefältelte Hauben, die man erkiest hat, um den Sälen und Estraden vornehmer Frauen Ansehen zu geben, wie ganz anders, als ihr solltet, gebraucht ihr euer fast schon nothwendiges Amt!
Kurz, die Kammerfrau sprach so viel, die Kammerfrau überzeugte so sehr, daß Leonora sich ergab, Leonora sich täuschen ließ, Leonora sich zu Grunde richtete und alle Vorsichtsmaaßregeln des klugen Carrizales, welcher den Todesschlaf seiner Ehre schlief, mit Füßen trat.
Marialonso nahm ihre Gebieterin an der Hand und führte sie, deren Augen mit Thränen gefüllt waren, fast mit Gewalt in das Zimmer, wo sich Loaisa befand, gab ihr mit dem falschen Lächeln eines Teufels den Segen, schloß die Thüre hinter sich zu und ließ sie allein, worauf sie sich auf den Polster warf, um zu schlafen, oder vielmehr, um den versprochenen Lohn zu erwarten. Da aber die Ermattung der vergangenen schlaflosen Nächte sie überwältigte, konnte sie nicht widerstehen und fiel auf der Estrade in Schlaf.
Wenn man nicht gewußt hätte, daß Carrizales jetzt schlief, hätte man jetzt schicklicherweise ihn fragen können, wo nun alle seine sorgsame Vorsicht bleibe, sein Mißtrauen, seine Maßregeln, seine Ueberredungen, die hohen Mauern seines Hauses, und daß er darin auch nicht dem Schatten eines Wesens Zutritt verstatten wollte, das den Namen eines Mannes führte; wozu das enge Schiebfenster, die starken Mauern, die Fenster ohne Licht, der vollkommene Verschluß, die große Morgengabe, womit er Leonora beschenkt hatte, die beständigen Geschenke, die er ihr machte, die gute Behandlung seiner Mägde und Sclavinnen und das Bemühen, es ihnen an nichts fehlen zu lassen, wovon er vermuthete, daß sie es brauchen oder wünschen können.
Allein, wie schon gesagt worden ist, es war nicht nöthig, ihn zu fragen, denn er schlief mehr, als eben nöthig war; und wenn er es gehört und darauf geantwortet hätte, so hätte er keine bessere Antwort geben können, als die Achseln zucken, die Stirn runzeln und sagen: Dieß alles ward, deucht mich, von Grund aus zerstört durch die List eines müßiggängerischen lasterhaften Burschen und die Bosheit einer falschen Kammerfrau, nebst der Unachtsamkeit eines überredeten und mit Bitten gequälten jungen Weibes. Gott bewahre jedermann vor solchen Feinden, gegen welche kein Schild der Klugheit schützt und die kein Schwert der Vorsicht abschneidet.
Doch Leonore besaß so viel sittliche Kraft, daß sie dieselbe in dem gefährlichsten Augenblicke gegen die frechen Zudringlichkeiten ihres schlauen Verführers zu bewahren wußte, da diese nicht hinreichten, um sie zu besiegen. Er mühte sich vergeblich ab; sie trug den Sieg davon und beide schliefen zuletzt ein.
Hier fügte es der Himmel, daß Carrizales trotz der Salbe erwachte und nach seiner Gewohnheit überall im Bette umherfühlte. Da er nun darin sein geliebtes Weib nicht fand, sprang er erschrocken und entsetzt aus dem Bette, mit einer Leichtigkeit und Gewandtheit, wie es sich nicht von seinen hohen Jahren erwarten ließ. Und als er auch im Zimmer seine Gattin nicht fand, die Thüre offen sah und den Schlüssel unter der Matratze vermißte, da dachte er von Sinnen zu kommen.
Doch als er sich etwas gefaßt hatte, ging er in die Galerie und schlich von dort ganz leise, um nicht gehört zu werden, weiter bis in den Saal, wo die Kammerfrau schlief. Da er sie allein, ohne Leonore fand, begab er sich nach dem Zimmer der Kammerfrau, öffnete ganz leise die Thür und sah, was er nie wünschte gesehen zu haben, er sah, wofür er gern das Licht seiner Augen hingegeben, wenn er es nicht hätte sehen müssen, er sah Leonore in Loaisas Armen in so tiefem Schlafe, als wenn an ihnen und nicht an dem eifersüchtigen Alten die Salbe ihre Wirkung gethan hätte.
Carrizales stand regungslos vor dem bittern Schauspiel, das sich ihm darbot, die Stimme stockte ihm in der Kehle, die Arme sanken kraftlos und er war ganz in eine Bildsäule von kaltem Marmor verwandelt. Wenn auch der Zorn sein natürliches Amt übte, wonach er fast erstorbene Lebensgeister wieder zur Wirksamkeit ruft, so war doch der Schmerz über ihn so mächtig, daß er ihn lange nicht Athem holen ließ.
Dessen ungeachtet hätte er die Rache genommen, welche jene große Schlechtigkeit erforderte, wenn er Waffen bei sich gehabt hätte, durch welche es ihm möglich geworden wäre, Rache zu nehmen. Er beschloß daher in sein Gemach zurückzukehren und einen Dolch zu holen, um die Flecken seiner Ehre in dem Blute seiner beiden Feinde rein zu waschen, ja in dem Blute aller Leute in seinem ganzen Hause. Mit diesem ehrenhaften und unausweichlichen Entschlusse kehrte er eben so still und vorsichtig, als er gekommen war, in sein Zimmer zurück. Dort aber überwältigte ihn Schmerz und Bedrängniß dermaaßen das Herz, daß er, unfähig zu allem, ganz ohnmächtig auf das Bett sank.
Indessen brach der Tag an, und fand die neuen Ehebrecher verstrickt in dem Netz ihrer Arme. Marialonso erwachte und wollte eilen, um nun auch an die Reihe zu kommen; als sie aber sah, daß es schon spät war, gedachte sie es auf die kommende Nacht aufzusparen. Leonora erschrack, als sie sah, daß es schon heller Tag war, verwünschte ihre Sorglosigkeit und die der verwünschten Kammerfrau. Mit furchtsamen Schritten näherten sich beide dem Gemach, wo ihr Gatte sich befand, und baten im Stillen den Himmel, daß sie ihn noch schnarchend finden möchten. Als sie ihn nun schweigend auf dem Bett liegen sahen, glaubten sie, die Salbung wirke noch immer fort, und er schlafe, weshalb sie einander in großem Entzücken umarmten.
Leonore trat zu ihrem Manne, ergriff ihn beim Arme und wendete ihn von einer Seite zur andern, um zu sehen, ob er erwache, ohne daß sie nöthig hätten, ihn mit Essig zu waschen, wie man ihnen gesagt hatte, daß es erforderlich sei, um ihn wieder zu sich selbst zu bringen. Carrizales erwachte aber aus seiner Ohnmacht, stieß einen tiefen Seufzer aus und sagte mit kläglicher schwacher Stimme: Ich Unglücklicher! zu welchem traurigen Ende hat mein Schicksal mich geführt!
Leonora verstand nicht recht, was ihr Gatte sagte. Da sie aber sah, daß er wachte und redete, war sie ganz verwundert zu sehen, daß die Wirkung der Salbe nicht so lange daure, als man ihr bemerklich gemacht hatte. Sie ging indeß zu ihm, legte ihr Gesicht an das seinige, hielt ihn fest umarmt und sagte zu ihm:
Was habt ihr, mein Gemahl? Scheint es doch, als wenn ihr euch beklagtet!
Als der unglückliche Alte die Stimme seiner süßen Feindin hörte, öffnete er die Augen weit, heftete ganz verwundert und entsetzt die Blicke auf sie und betrachtete sie eine gute Weile angestrengt und ohne nur eine Miene zu verziehen. Dann sprach er:
Tut mir den Gefallen, Frau, und laßt gleich auf der Stelle eure Eltern in meinem Namen rufen, denn ich fühle etwas, das mir das Herz drückt und mich sehr bekümmert. Ich fürchte, es wird mir in Kurzem das Leben nehmen. Aber ich wünschte sie vor meinem Tode noch zu sehen.
Leonora glaubte zwar, ihr Gemahl habe im Ernst gesprochen, dachte aber mehr, die Stärke der Salbe, als das, was er gesehen hatte, habe ihm dieses Uebelbefinden zugezogen. Sie versprach, sein Geheiß zu erfüllen, und befahl sogleich dem Neger, fortzugehen und ihre Eltern zu rufen. Darauf umarmte sie ihren Gemahl und überhäufte ihn mehr als je mit Zärtlichkeiten, und fragte ihn in so theilnehmenden und liebreichen Ausdrücken, was ihm denn fehle, als wäre er ihr das Liebste auf Erden. Er sah sie mit dem vorbeschriebenen, starren Blicke an und jedes Wort und jede Liebkosung von ihr war ihm wie ein Stich durchs Herz.
Schon hatte die Kammerfrau den Leuten im Hause und Loaisa von der Krankheit ihres Herrn gesagt, und ihnen versichert, die Sache müsse von Bedeutung seyn, da man vergessen habe, ihr zu befehlen, das Thor nach der Straße zuzuschließen, als der Neger hinausgieng, um die Eltern seiner Frau zu rufen. Auch wunderten sie sich überhaupt über diese Aussendung, denn seit sie ihre Tochter vermählt hatten, war keines von ihnen in das Haus gekommen. Kurz alle waren in stummer Erwartung, verfielen aber nicht auf den wahren Grund der Unpäßlichkeit ihres Herrn, welcher von Zeit zu Zeit tief und schmerzlich aufseufzte, als ob ihm mit jedem Seufzer die Seele sich aus ihren Banden loßreißen wollte. Leonore weinte, ihn in solchem Zustande zu sehen, er aber lachte wie ein Wahnsinniger, da er die Falschheit ihrer Thränen beachtete.
In diesem Augenblicke kamen Leonoras Eltern, und als sie die Thüre der Straße und des Hofs offen und das Haus verlassen und in Schweigen begraben fanden, waren sie überrascht und nicht wenig verwundert. Sie giengen nach dem Zimmer ihres Eidams und fanden ihn, wie gesagt, die Augen beständig auf seine Gattin heftend, die er mit den Händen fest hielt, und beide in Thränen gebadet, sie aus keinem andern Grunde, als weil sie ihren Gatten weinen sah, ihn, weil er sah, wie verstellt sie selbst weinte.
So wie die Eltern eintraten fieng Carrizales an zu reden und sagte: Setzt euch nieder, meine Freunde, ihr andern aber verlaßt alle das Zimmer! Nur Fräulein Marialonso bleibe!
Sie thaten es und ließen die fünf allein; und ohne zu warten, bis jemand anders redete, sprach Carrizales, indem er sich die Augen trocknete, mit ruhiger Stimme also:
Ich bin fest überzeugt, meine Eltern und Gebieter, daß ich euch keine Zeugen aufzuführen brauche, damit ihr mir einen Vorfall glaubt, den ich euch jetzt erzählen will. Ihr werdet euch wohl noch besinnen, denn unmöglich kann es eurem Gedächtniß entfallen sein, mit welcher Liebe, mit welchen zärtlichen Empfindungen ihr mir vor einem Jahr einem Monat fünf Tagen und neun Stunden eure geliebte Tochter als rechtmäßige Gattin übergeben habt. Eben so gut wißt ihr auch, mit welcher Freigebigkeit ich sie beschenkte, denn die Mitgabe belief sich so hoch, daß mehr als drei Mädchen ihres Standes sich als reich damit hätten verheirathen können. Auch müßt ihr euch des Eifers noch erinnern, den ich anwendete, um sie in Kleidung und Schmuck mit allem dem zu versehen, was sie nur wünschen konnte, und wovon ich erfuhr, daß es ihr anstehe. Ebenso habt ihr auch gesehen, meine Verehrten, wie ich hingerissen von meiner natürlichen Gemüthsart, aus Furcht vor dem Unfalle, der mich ganz sicher das Leben kosten wird, und wegen meiner vieljährigen Erfahrung in den seltsamen und verschiedenen Begebenheiten dieser Welt, das Kleinod, das ich mir wählte und das ihr mir gabet, mit der möglichsten Vorsicht bewahren wollte. Ich erhöhte die Mauern um dieses Haus her, benahm den Fenstern die Aussicht nach der Straße, verdoppelte die Schlösser an den Thüren, ließ ein Drehfenster machen, wie in einem Kloster, verbannte für immer alles aus dem Hause, was nur den Schatten oder Namen eines männlichen Geschöpfs hatte, ich gab meiner Frau Mägde und Sclavinnen zur Bedienung, und versagte weder ihnen noch ihr die Gewährung irgend einer Bitte, ich ging mit ihr auf gleichem Fuße um, theilte ihr meine geheimsten Gedanken mit und ließ sie über mein ganzes Vermögen schalten. Das alles sind Dienste, für welche ich, billig betrachtet, im ruhigen und ungestörten Besitz desjenigen hätte bleiben müssen, was mir so theuer zu stehen kommt, und sie hätte sich bemühen sollen, mir keine Veranlassung zu geben, daß irgend eine Art von eifersüchtiger Befürchtung in mir Platz griffe. Doch da keine menschliche Sorgfalt die Züchtigung abwenden kann, die der göttliche Wille über diejenigen verhängt, die nicht mit ungetheiltem Vertrauen ihre Wünsche und Hoffnungen ihm anheimstellen, so ist es kein Wunder, daß ich mich in dem meinigen betrogen sehe und mir selbst das Gift gemischt habe, welches mir das Leben rauben wird. Doch da ich sehe, wie ihr alle gespannt seid und die Worte erwartet, die aus meinem Munde kommen sollen, so will ich den langen Eingang meiner Rede schließen und euch mit einem Worte sagen, was sich nicht mit tausenden sagen läßt, nämlich, meine Verehrten, daß alles, was ich gesagt und gethan, nichts weiter gefruchtet hat, als daß ich heute Morgen diese zum Verderben meiner Ruhe und zur Abkürzung meines Lebens in die Welt geborene (dabei deutete er auf seine Frau) in den Armen eines artigen Burschen gefunden habe, der noch jetzt in dem Zimmer dieser verpesteten Kammerfrau eingeschlossen ist.
Kaum hatte Carrizales diese letzten Worte vollendet, als Leonora es schwindelte und sie ohnmächtig vor ihrem Gatten auf die Kniee sank. Marialonso verlor die Farbe und Leonoras Eltern schnürten sich die Kehle zusammen, so daß sie kein Wort vorbringen konnten. Carrizales aber fuhr fort und sprach:
Die Rache, die ich für diesen Schimpf zu nehmen gedenke, ist und soll nicht der Art sein, wie man gewöhnlich sich zu rächen pflegt. Wie ich in meinem Benehmen von der gewöhnlichen Weise abgewichen bin, so will ich es auch in der Rache thun, die ich zu nehmen gedenke, und zwar will ich sie an mir selbst nehmen, da ich am meisten Schuld trage bei diesem Vergehen. Denn ich hätte erwägen sollen, wie übel sich die fünfzehn Jahre dieses jungen Weibes mit meinen nahezu achtzig vertragen und dabei befinden mochten. Ich habe wie der Seidenwurm mir selbst das Haus gezimmert, in welchem ich sterben soll, und dir messe ich keine Schuld bei, übelberathenes Mädchen!
Indem er dieß sagte, neigte er sich herab und küßte das Gesicht der ohnmächtigen Leonora.
Dir gebe ich keine Schuld, fuhr er fort, denn Ueberredungen listiger alter Weiber und die zudringlichen Reden verliebter Jünglinge besiegen und überwinden gar leicht die Einfalt unerfahrener Jugend. Damit aber die ganze Welt sehe, wie groß die Neigung und das Vertrauen ist, womit ich dich liebte, will ich sie in diesem letzten Augenblicke meines Lebens auf eine Weise zeigen, daß ich der ganzen Welt ein Beispiel bleibe wo nicht von unerhörter Güte, so doch von beispielloser Einfalt des Herzens. Man soll deshalb sogleich einen Notar herbeirufen, damit er mir ein neues Testament mache, in welchem ich Leonoras Morgengabe verdoppeln und sie bitten will, nach meinem Tode, der bald erfolgen wird, ihre Neigung dahin zu richten, was sie ohne Zwang wird thun können, daß sie sich mit jenem jungen Burschen verheirathet, den die weißen Haare dieses unglücklichen alten Hauptes nie beleidigt haben. Auf diese Art wird sie sehen, daß ich wie im Leben so im Tode nie ein Haar breit von dem abweichen will, was ihr nach meiner Ansicht Vergnügen machen konnte, und dieses Vergnügen mag sie denn bei dem finden, den sie so sehr lieben muß. Mein übriges Vermögen will ich zu andern frommen Werken verwenden, und auch ihr, meine verehrten Eltern, sollt so viel bekommen, daß ihr für eure übrige Lebenszeit ehrenvoll euer Auskommen habt. Laßt aber den Schreiber sogleich kommen, denn mein Leiden ängstigt mich so sehr, daß er, wenn es noch länger dauert, mir den Faden meines Lebens abschneiden wird.
Bei diesen Worten überfiel ihn eine schwere Ohnmacht und er sank so dicht neben Leonora hin, daß sich ihre Gesichter berührten, ein seltsamer und schmerzlicher Anblick für die Eltern, in diesem Zustande ihre geliebte Tochter und ihren theuern Schwiegersohn zu sehen.
Die schlimme Kammerfrau mochte die Vorwürfe nicht abwarten, die sie von den Eltern ihrer Gebieterin befürchtete, sondern sie verließ das Zimmer und hinterbrachte Loaisa alles, was vorgefallen war. Sie rieth ihm, eiligst das Haus zu verlassen, und versprach ihm, dafür zu sorgen, daß sie ihn durch den Neger von den weiteren Vorfällen benachrichtige, da es ja jetzt keine Schlösser und Schlüssel mehr gebe, die es verhinderten.
Loaisa wunderte sich über diese Neuigkeiten, befolgte ihren Rath, legte sein Bettlerkleid an und suchte seine Freunde auf, um sie von dem seltsamen und nie gesehenen Liebeshandel zu benachrichtigen.
Während nun die beiden in Ohnmacht lagen, schickte Leonoras Vater nach einem Notar, mit welchem er befreundet war, und dieser traf gerade ein, als Tochter und Schwiegersohn eben wieder zur Besinnung gekommen waren. Carrizales machte sein Testament, wie er gesagt hatte, ohne jedoch Leonoras Fehltritt zu erwähnen; sondern es hieß darin, er bitte und ersuche sie aus guten Gründen, sich im Fall seines Todes mit dem jungen Manne zu verheirathen, den er ihr insgeheim genannt habe.
Als Leonora dieß hörte, stürzte sie ihrem Gatten zu Füßen, ihr Herz schlug hoch im Busen und sie rief: Lebet noch viele Jahre, mein Herr und mein einziges Gut; denn wenn ihr gleich nicht verbunden seid, mir etwas von dem zu glauben, was ich euch sage, so kann ich euch doch versichern, daß ich euch nur in Gedanken beleidigt habe.
Sie wollte sich sofort entschuldigen und den wahren Hergang der Sache ausführlich erzählen; sie vermochte aber ihre Zunge nicht zu rühren und fiel zum andern Mal in Ohnmacht. Der arme Alte faßte sie so ohnmächtig in seine Arme, ihre Eltern umarmten sie gleichfalls, alle weinten so bitterlich, daß sie den Notar, welcher das Testament machte, auch rührten und mitzuweinen zwangen.
Carrizales vermachte in demselben allen Mägden seines Hauses hinlänglichen Lebensunterhalt und den Sclavinnen, so wie dem Neger, die Freiheit; der Schelmin von Marialonso aber hinterließ er nichts, als den Betrag ihres Lohns.
Wie dem nun auch sein mochte, der Schmerz peinigte ihn dermaaßen, daß sie ihn am siebenten Tag darauf zu Grabe trugen. Leonora blieb Witwe, reich an Thränen und an Vermögen, und als Loaisa erwartete, sie werde den Befehl erfüllen, den, wie er bereits wußte, ihr Mann in seinem Testament hinterlassen hatte, erfuhr er nach einer Woche, daß sie als Nonne in eines der strengsten Klöster der Stadt trat. Er selbst gieng ärgerlich und fast erzürnt nach Indien.
Leonoras Eltern waren sehr traurig, obgleich sie sich mit dem trösteten, was ihr Schwiegersohn ihnen durch sein Testament hinterlassen und zugewiesen hatte. Die Mägde trösteten sich auf dieselbe Art und die Sclavinnen und der Sclave mit der Freiheit; die böse Kammerfrau aber blieb arm und in allen ihren bösen Erwartungen getäuscht.
Ich aber wünschte das Ende dieser Erzählung herbei, welche ein Beispiel und einen Spiegel darbietet, wie wenig man auf Schlüssel, Drehfenster und Mauern sich verlassen kann, wenn der Wille frei bleibt, und wie noch viel weniger auf grüne frische Jugend zu trauen ist, wenn ihr die Aufmunterungen jener Kammerfrauen mit weiten schwarzen Trauerkleidern und langen weißen Schleiern zu Ohren kommen.
Nur eines weiß ich nicht, was nämlich die Veranlassung war, daß Leonora sich nicht eifriger entschuldigte und ihren eifersüchtigen Gatten zu überzeugen suchte, wie rein und tadellos sie bei dieser Begebenheit geblieben sei. Die Befangenheit mochte aber wohl ihre Zunge fesseln, und der schnelle Tod ihres Gatten gab ihr überdieß keine Zeit zu Entschuldigungen.