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Wunderbarer Mensch, dieser Lothringer! Unbeachtet und unbehilflich bis in vorgerücktere Jahre, zum Koch und Pastetenbäcker in Rom unbrauchbar befunden und von Taso endlich mit Not als Farbenreiber angenommen, lernte er erst mit Mühe zeichnen und malen, schuf dann plötzlich, wie durch Eingebung, ein ganz neues Feld der Kunst und bearbeitete nun dasselbe in einer Weise, daß auch bis in die neueste Zeit niemand an Anmut, Freiheit, Wahrheit und Schönheit ihm darin es zuvorgetan hat. Wie wir sagen durften, daß Raffael das eigentliche Madonnengesicht zuerst in der Kunst dargestellt habe, so daß, sobald wir den eigentlichen Begriff jener wunderbaren Vereinigung von Jungfrau und Mutter denken wollen, wir immer auf ihn zurückkommen müssen, so brachte Claude – im wahrsten Sinne ein Raffael der Landschaft – den Begriff der Schönheit der Erdnatur dergestalt zum ersten Male in die Welt, daß, wenn wir jetzt das Reinste, Mildeste und Schönste landschaftlicher Wirkungen in freier Natur zu bezeichnen versuchen, wir keinen verständlicheren Ausdruck dafür finden, als daß wir sagen, es sei diese Gegend wie ein Bild von Claude.
Man muß sich wirklich manchmal absichtlich in jene Zeiten vor ihm zurückdenken, um das ganze Gewicht seiner Produktionen zu empfinden; man muß die Landschaften von Mathias und Paul Brill aufmerksam betrachten, um zu erkennen, was eben, bevor Claude den Bann der Unnatur brach, als landschaftliche Kunstwerke bewundert zu werden pflegte, ja man muß sich in der Literatur umsehen, um sich zu überzeugen, daß bis zum 17. Jahrhundert überhaupt von Anerkennung der Schönheit landschaftlicher Natur, an und für sich und als solche, wenig oder gar nicht die Rede war, und dann erst wird man das Wunder, was durch jenen Genius gewirkt worden ist, völlig verstehen. – So ist es mir zum Beispiel immer merkwürdig gewesen, des alten Michel Montaigne Reise nach Italien zu lesen und darin die Schönheit der römischen und neapolitanischen Gegenden, die Bläue der Schatten, die edlen Zeichnungen von Wald und Gebirg und die malerische Wirkung der Ruinen nicht einmal erwähnt, geschweige denn gerühmt zu finden; wie denn übrigens ja auch die Dichter des Altertums – eben weil alle diese Zeiten noch keine eigentliche Kunst der Landschaftsmalerei kannten – zwar wohl das Angenehme und Schöne der Natur besingen, allein keine Spur davon bei ihnen vorkommt, daß diese Natur als solche Gegenstand eines besondern Kunstgenusses und Kunstfaches sein könnte. Zuerst also mußte auch hier der Glückliche geboren werden, dem in dem bewußtlosen Leben von Wald und Feld – Gebirg und Tal, Luft und Licht – die Idee der Schönheit wirklich fühlbar und erkennbar wurde – der dann zugleich bestimmt war, dieses Schöne nicht nur in sich aufzunehmen und sich anzueignen, sondern der endlich dadurch, daß er es in seinen Werken Widerscheinen und wiedergeboren werden ließ, dasselbe zugleich seinen Zeitgenossen wirklich näher brachte und es somit erreichte, nach und nach das Auge der bewußten Menschheit überhaupt zu erschließen für das Schöne der unbewußten Natur an und für sich. Und dieser glückliche Sterbliche war nun eben dieser Claude Gelée, der Unbekannte, den man in Rom zuvor nicht einmal in der Küche und Bäckerei gut genug gefunden haben wollte ...
Bekannt genug in ihren Gegenständen, brauchen wir sowohl bei der in Abendlicht gezeigten sogenannten Küste des Zyklopen [Dresden] als bei der in Mittagshelle dargestellten weiten Gegend, in welcher die Reise der Heiligen Familie die Staffage bildet [Dresden], nur auf das aufmerksam zu machen, was bei beiden am leichtesten der Beachtung der Kunstfreunde sich entzieht und doch für die Kenntnis der Bedeutung des Künstlers gerade vorzüglich wichtig genannt werden muß. Ich rechne aber hierher insbesondere teils das entschiedene Hervorheben von Ton im Verhältnis zur Farbe, teils die fast antik zu nennende Abstraktion von der Natur im Einzelnen, bei einem doch, und zwar großenteils unbewußten, energischen Festhalten größter Naturwahrheit im Ganzen. – Zuerst Ton und Farbe, zwei schwer wiegende Begriffe im Bereiche der gesamten Malerei! Es ist hier allerdings eigentlich ein Mangel unserer Sprache (doch welche Sprache böte in dieser Beziehung Besseres), daß wir einen Begriff borgen müssen vom Reiche des Hörbaren für Schilderung eines Verhältnisses im Reiche des Sichtbaren. Alle Welt weiß jedoch jetzt, daß Ton in diesem Sinne stets eine gewisse über ein Natur – oder Kunstbild verbreitete Stimmung, eine gewisse das Allgemeine beherrschende Harmonie des Kolorits ausdrückt, welche überall die spezielle Färbung umstimmt, ja zuletzt gewissermaßen sie völlig aufheben kann. Um indes die ganze Bedeutung von Ton, gegenüber der Farbe, zu fassen, muß man sich erinnern, daß schon in der organischen Welt, je höher und edler die sichtliche Erscheinung eines Wesens sich verklärt, um so weniger von scharfer Färbung die Rede sein kann. Nur niedere Geschöpfe sind daher durch sehr entschiedene, brennende Farben von der Natur bezeichnet; das höchste Geschöpf, der Mensch – der weiße – der Tagmensch –, hat nur einen eignen seinen Ton seiner äußern Bedeckung; aber nirgends im normalen Zustande zeigt sich an ihm mehr Grün und Gelb oder schroffes Rot und Blau oder irgendeine ganz scharf hervortretende besondere Farbe, weshalb ja eben auch nur Meister wie Tizian diese ganze Poesie eines solchen feinen Kolorits zu erreichen imstande waren, dergestalt, daß vielleicht nie so sehr die Unwissenheit eines Neugierigen in diesen Dingen bezeichnet wurde als durch die einem Maler beim Malen einst gestellte Frage, wo er denn auf der Palette die Fleischfarbe habe. Nun also, dasselbe, was den Menschen als höchstes organisches Geschöpf auszeichnet, das wird auch teils der schönen Erscheinung landschaftlicher Natur selbst – teils und vorzüglich aber wird es nicht dem landschaftlichen Kunstwerke fehlen dürfen, wenn hier irgend von höherer Stimmung und echter Schönheit die Rede sein soll. – In der Natur zwar ist wohl auch der Blick auf ein Tulpenbeet schön, ebenso wie das Hören der hunderterlei Vögelstimmen im Frühlinge nie einen Mißklang gibt, eben weil all dies stets nur Glieder eines großen, göttlichen Ganzen sind; aber die Landschaft entzückt uns doch allemal dann am meisten, wenn Morgen- oder Abendduft, eben jenes, was wir Ton nennen, über das Ganze verbreitet und somit der Aufschrei jedes einzelnen Farbigen verstummt ist. An das Kunstwerk hingegen (eben weil es zunächst stets ein Ganzes in sich sein soll) stellen wir geradezu als unerläßliche Forderung, daß darin der Ton die Farbe beherrsche und in solcher allgemeinen seinen Stimmung wirklich ein in sich geschlossenes Ganzes hervortrete. Das schöne Goethesche Wort wird erst alsdann durchaus maßgebend:
Was künstlich ist, verlangt geschloßnen Raum,
Natürlichem genügt das Weltall kaum.
Denn sicher kann ein Bild kaum mehr auseinanderfallen und aufhören, innerlich ein Ganzes zu sein, als indem es hart nebeneinander elementare Farben hinstellt, und ich habe oft meine Betrachtung gehabt, warum die Werke älterer Maler (und zwar nicht bloß etwa dadurch, daß sie von der Zeit gebräunt waren) schon, wenn man sie ganz von weitem sieht, wie etwa beim Eintreten in eine Galerie, so einen viel mehr harmonischen Eindruck machen als so viele der modernen; – ich fand nämlich immer, daß nächst der konzentrierten Lichtwirkung ganz besonders das bestimmtere Vorherrschen von Ton über alles, was man elementare Farbe nennt, dasjenige war, wodurch solche angenehme Wirkung entstand. Jetzt also, um wieder auf unsere beiden Bilder von Claude zu kommen: wie sehr gilt das, was ich vom Ton gesagt habe, von beiden! Es herrscht da eine Keuschheit der Färbung, eine Sparsamkeit des entschieden Blau, Grün oder Rot, und der Ton selbst ist (sogar, wenn wir zugeben, daß der Bolusgrund, auf welchem Claude zu malen pflegte, etwas noch von der Farbe hinweggenommen habe) doch an sich gleich so moderiert gedacht, daß wir weit mehr gerade dadurch in die milde, leicht zu atmende Atmosphäre eines glücklichen Himmelsstriches versetzt werden, als dies jene modernen Künstler erreichen, welche das freilich herrliche Blau des italienischen Himmels und italienischer Fernen eben nur durch eine recht brennende Ultramarinfarbe uns hervorzuzaubern versuchen, uns aber doch dadurch keineswegs jene feinere Natur des Himmels und der Erde in Wahrheit gegenständlich heranbringen. Und so beachte man denn nur hier in diesen beiden schönen Werken, mit welch seiner, melodischer Schwingung auf der Zyklopenküste der Ton des Meeres, der Wolken, der vulkanischen Küste selbst, wie der der tiefen Schatten des Vorgrundes so ganz harmonisch ineinanderklingt und wie wieder auf der Tageslandschaft das sehr moderierte schöne Himmelsblau gerade den Ton anschlägt, der dann durch die Berge und Bäume und Gebäude der Ferne durchzittert, in den breiten Wässern und Wasserfällen sich spiegelt und noch über das milde, stumpfe Grün des Vordergrundes wie ein zarter Hauch sich verbreitet, ja selbst durch die dunkeln, weichen Laubmassen der großen Bäume zur Linken kühlend zu wehen scheint, allwo er übrigens von den zartbraunen Schattentinten noch besonders hervorgehoben erscheint. Kurz, in alledem wird uns somit eine Luft fühlbar werden, ein Äther, welcher überall zwischen Berg und Tal eindringt, uns die Brust erweitert und somit vollkommen das uns gewährt, was die Vorstellung einer vollkommen günstigen irdischen Umgebung uns irgend gewähren kann.
Hier demnach liegt jedenfalls eins der Geheimnisse, welches dem unsterblichen Künstler sich zuerst erschloß und was seine Werke so stark von jenen bloß materiell so genannten Landschaften – wie sie als übereinandergehäufte bunte Bilder von Bergen, Flüssen, Bäumen und Städten uns schon von den Gebrüdern Brill zukamen – unterscheidet. Wer daher unsere beiden Claudes in dieser Beziehung recht nachhaltig betrachten will, wird gewiß große Freude daran erleben.
Das andere Geheimnis aber, was diese Werke so eigentümlich auszeichnet, ist dann die, wie wir es nannten, fast antike Abstraktion von dem Einzelnen der Natur, bei einem doch so mächtigen, unbewußten Festhalten derselben im Ganzen. Ist es doch schon eben jenes ungeheure Detail, was uns entgegenleuchtet, sowie wir hinaustreten und Wald und Feld und Meer im einzelnen betrachten, worin eine der gefährlichsten Klippen für den Künstler verborgen liegt. Ein Unerreichbares steht vor ihm; versucht er wirklich in allen seinen Tiefen einzutauchen, so ist er geradezu verloren, und weicht er im Gegenteil wieder ganz davon zurück und verweilt bei bloßer Oberflächlichkeit, so hört er eigentlich auf, Künstler zu sein, und wird bloßer Dekorateur. Hier ja war es eben, wo die Plastik der Griechen den höchsten Triumph feierte, indem nur sie es erreichte, die menschliche Gestalt von all ihren Zufälligkeiten zu entkleiden und doch die Erscheinung ihrer Idee, gleichsam des Willens der Natur im Menschenbau, in reinster Form dem Auge wieder darzubilden. Nun, ein ganz Ähnliches aber tat Claude zuallererst für die Landschaft. Siehe diese Bäume! Sie sind wirkliche Bäume, aber in einer höhern Verklärung; sie erfüllen den Begriff des Baumes, ohne sich anzumaßen (was sie ja nie erreichen könnten), die Sache selbst geben zu wollen. Ebenso ist es mit diesem Rasen, diesen Wasserfällen, diesen weichen, im Abendlicht weit hinaus glitzernden Wellen des Meeres, diesen Bergen und diesen Wolken. Alles das ist wahr und doch nicht wirklich – wie wir ja wieder von der Natur sagen können, daß sie selbst das Wirkliche und doch nicht an und für sich das höhere, dahinterliegende, transzendentale Wahre, die Idee sei. Und eben das beruhigt uns so, das rettet uns gleichsam das Unvergängliche aus dem Vergänglichen der Welt und erfüllt ganz den großen Ausspruch, den uns der Herr im Vorspiel zum ›Faust‹ zuruft:
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.
Und doch, indem wir nun so schon etwas tiefer in diese großartigen Darstellungen der Erdnatur eingedrungen sind, haben wir jetzt immer noch nicht des einen schönen Zuges in diesem Geheimnis gedacht, welchen wir andeuteten, indem wir sagten, diese Erfassung der Natur im ganzen sei ›halb unbewußt‹ erreicht. Es liegt nämlich auch in jener Abstraktion von der Wirklichkeit noch eine andere, schwer zu vermeidende Gefahr verborgen, und das ist die Gefahr der trocknen Reflexion und des bloßen Mechanismus der Darstellung. Sobald nämlich der Verstand über alle diese Formen eine Art von Schema sich macht, sobald der Gedanke bloß zum harten Kreuze wird, an welches die Gestalt des weichen Lebendigen geschlagen wird, kurz, sobald man ›die Absicht‹ allein durchfühlt, so ist aller poetischer Zauber dahin, und das Gemüt wendet sich unwillig ab von etwas, das man jetzt nur ›eine Leiche der Natur‹ nennen könnte. Wie schwer aber nun, ohne Absicht doch die höchste Ansicht und Einsicht zu treffen! Hier kann allein die Magnetnadel des Genius zum Ziele führen, und ist dieser Magnet stark genug, so wird er freilich seines Zieles auch sicher nie verfehlen. So nun hier dieser Claude! Untersucht man das Technische der Behandlung im einzelnen, so ist das meiste mit einer Kindlichkeit, einer unbewußten, ich möchte sagen: zaghaften Sicherheit gemalt, von der man kaum glaubt, daß sie im Ganzen der Darstellung so großartiger Verhältnisse fähig sein könnte. – Schon früher, wenn ich zuweilen von Betrachtung moderner, mit gewaltigster Praktik des Pinsels ausgeführter Landschaften wieder zum Claude kam, habe ich Freunde darauf aufmerksam gemacht, wie hier das meiste Einzelne so unbehilflich und fast nur mühsam zusammengestrichelt erscheine, – und dann kamen wir doch immer überein, daß eben diese im einzelnen so zusammengetüpfelten Bäume und Rasen und Gewässer schöner waren als alles, was wir vorher von Neuern gesehen hatten. Bei alledem möchte man indes (wenn sich eben da so abmessen und markten ließe) wieder oft auch wünschen, daß dieses Unbewußte des Künstlers in anderer Richtung weniger mächtig gewesen wäre und er der Reflexion hier und da hätte mehr Raum gewähren können. Es betrifft dies vorzüglich die Staffagen seiner Bilder, als in denen wieder das Handwerksmäßige, was in alter Zeit der Kunst noch so nahe stand (weshalb auch freilich wieder das Handwerk näher der Kunst), stark sich hervorhebt. Es war da nämlich nun einmal so hergebracht, die Landschaft müsse durch Figuren belebt sein – er selbst malte aber keine wirklich guten Figuren (weshalb er auch zu sagen pflegte, er verkaufe seine Landschaften und gebe die Figuren zu), und so ließ er denn oft von Lauri oder Allegrini sich historische oder mythologische Figuren in seine Landschaften hineinmalen (wie auch eben bei unsern beiden Bildern) und reflektierte dabei dann freilich so wenig über das Ganze, daß er es geduldig litt, wenn die hineingemalten Gestalten durch ihre bunten Farben geradezu jene Schönheit des Tons teilweise zerstörten, welche in dem ruhigen Licht und dem anmutigen, allgemeinen Schimmer seiner Gemälde so großen Reiz übte. Indem ich aber nun gegenwärtig nicht weiter in alles Detail der Betrachtung dieser beiden außerordentlichen Werke Claudes auf unserer Galerie eingehen will, kann ich hier doch nicht schließen, ohne noch meinen Lesern zu empfehlen, wenn sie der harmonischen Farbenwirkung – das ist des Farbentons – derselben sich vollkommen erfreuen wollen, bei ihren Betrachtungen sich durch irgendeinen in der Hand vorgehaltenen kleinen Gegenstand – eine dunkle Schreibtafel etwa oder dergleichen – die vorspringenden, mit falschem Licht erleuchteten und aus der Harmonie gehenden Farben jener Staffagen zu verdecken, worauf sie dann sogleich eine ganz andere und vollkommene, reine Wirkung des Ganzen gewahr werden müssen. Namentlich gilt das von den Figuren des Acis und der Galatea auf der Zyklopenküste, welche ganz unwahr in Ton und Farbe hervortreten und völlig die weiche Harmonie des Bildes zerreißen, so daß dann, sobald gerade sie verdeckt werden, erst die Wirkung des ganzen Bildes mit einer Schönheit hervorgeht, welche wohl an jene Schilderung Siziliens erinnern könnte, wie sie der Zyklop bei Theokrit mit den Worten besingt:
Lorbeerbäume sind dort und schlank gestreckte Zypressen,
Dunkler Efeu ist dort und ein süßtraubiger Weinstock;
Kalt auch rinnet der Bach, den mir der bewaldete Ätna
Aus hell schimmerndem Schnee zum Göttergetränke herabgießt.
Wie es dem seiner musikalisch gebildeten Ohre immer zu wahrem Genüsse gedeihen wird, wenn der Ton durch gut empfundenen und reinen Anschlag oder Bogenstrich recht frisch und klar herauskommt, während das Gegenteil ihm stets zur Qual gereicht und nur den Stümper verkündigt, so auch erwächst dem wahren Bilderkenner jedesmal eine besondere Freude aus den freien, sichern und großen Feder-, Stift- oder Pinselzügen des vollendeten Malers, während unbeholfene, ängstliche oder unsichere Züge stets ihm entweder nur einen stümperhaften Anfang oder das wahre Ende und Untergehen der Kunst verraten. Fragen wir aber nach der Ursache, warum jene Klarheit und Entschiedenheit des Strichs hier wie in der Musik so eigentümlich belebend auf uns einwirkt, so können wir doch nur erwidern: Es sei, weil sie selbst auf einer innern Tüchtigkeit und Sicherheit des Künstlers beruht, eine Tüchtigkeit, welche nun, wie alles der Art, gewissermaßen magnetisch auf den Beschauer zurückstrahlt, ihm gleichsam für den Augenblick etwas von dieser innern Bevorzugung selbst mitteilt und dadurch eine eigne Art von mutigem, freudigem Gefühl erregt. Sogar das ganz Skizzenhafte, wenn es nur sonst durch Kraft der Phantasie und völlige Beherrschung des Strichs geadelt wurde, kann daher durch jenes Magnetische eine hinreißende Wirkung hervorbringen und wird zuweilen in den Werken befähigter Künstler [Rembrand] wahrhaft unwiderstehlich.
Treten wir zuerst vor das Bild, das von der Jagd den Namen hat und schon darum zwiefach merkwürdig genannt werden muß, weil ein Blick auf die ungeheure Wahrheit seiner Darstellung im allgemeinen uns so oft völlig vergessen macht, daß im einzelne die von van de Velde hineingemalte Jagdstaffage mit dem ins Wasser setzenden Hirsch, durch welchen der Wasserspiegel selbst so gar nicht aus seiner Ruhe kommt, eine gewaltige Naturwidrigkeit einschließt. Ich erinnere mich wirklich, daß, als ich in frühern Jahren schon mich vielfach an diesem Werk erfreute, es ziemlich lange gedauert hat, ehe ich auch nur entfernt das Vorhandensein dieses Fehlers gewahr wurde, was denn offenbar nur darin seinen Grund haben konnte, daß dies Bild, wie Ruisdaels beste Sachen überhaupt, den trefflichsten Ausdruck jenes großen Kunstgesetzes bewährt, ›bei allem Festbestehen auf ideeller Naturwahrheit sich doch stets fernzuhalten von jedem bloß realistischen Bestreben, irgendwie eine Naturwirklichkeit erreichen zu wollen‹. Wie wir daher etwa in den großen Werken vom Parthenon gerade darum um so mehr das Gefühl von der ursprünglichen Schönheit griechischen Menschentums erhalten, weil der Künstler von jeder eleganten Marmorglättung und jeglichem zu nahe an die Natur Herantreten sich vorsichtig zurückhielt, so empfinden wir nun in diesem Bilde den unvergänglichen Reiz echt germanischen Waldlebens offenbar deshalb um so mehr, weil der Maler dabei mit einer gewissen innerlichen Keuschheit auf den Triumph absoluter Naturwirkung und auf den Glanz eleganter Farbenspiele, wie sie Herbstlichkeit und Abendlicht gar wohl hier bedingen konnten, in so hohem Grade verzichtete, dagegen um so mehr einer gewissen Abstraktion in der Auffassung dieser Farbenwelt wie einer wahren Kindlichkeit und Naivität des Machwerks nachstrebte, ganz so, wie ich dasselbe schon bei Claude als höchst bedeutungsvoll hervorgehoben hatte. Man studiere daher diese Baumwipfel in ihrer einfachen, jedes Zuviel vermeidenden Verästung, diese Stämme mit der so merkwürdig wahren Rindenbildung, diesen hellgelblichen, lettenreichen Sandboden und dies klare Dunkel solcher still-sumpfigen, schilfreichen Gewässer, und aus allen wird uns der Begriff einer gewissen unbewußten Weisheit von Ruisdaels Künstlernatur auf das deutlichste hervordringen, ja es uns vollständig erklären, warum, nachdem uns hier die innerste Idee der Natur selbst nahegebracht wurde, wir es nun eben weniger beachten, wenn hier und da (zum Beispiel bei den vergessenen Wellen um den durch das Wasser gejagten Hirsch) einzelne Momente ihrer Erscheinung vermißt werden; ganz ebensowenig etwa, als uns Zufälligkeiten in der Verzierung eines Rahmens im Vergleich mit dem davon umfaßten interessanten Bilde besonders irre machen werden ... Nicht minder beachtenswert und bewundernswert als dies Bild ist ferner ein andres kleineres, einen Sandweg und abgeerntete Felder mit aufgestellten Garben darstellend. Der Gegenstand ist gewiß der prosaischste, die Behandlung die einfachste, und doch wird man nicht müde, den Blick an dem stillen, seltsamen Stückchen Erdleben fest haften zu lassen. Jeder erinnert sich ja wohl, in deutschen oder niederländischen Landstrichen solche Wege einmal gefahren zu sein, wo die Räder tief in den weichen Sandboden mahlen und den Reisenden nur langsam vorwärts bringen. Jeder sah solch staubig grünes Erlengehölz, über welchem eine alte Dorfkirche und Windmühle hervorragt, und alle kennen wir auch jene spätern Sommernachmittage trockner Jahre, wo große und doch leicht wie Nebelmassen gestockte Kumuluswolken bei warmem Erntewetter unter blauem Himmel über ein trocknes Land langsam dahinschweben, welches vergeblich von ihnen den feuchtenden Regen erwartet. Es ist ja dann eine eigne Stille in der Natur, die Luft zittert vor Wärme über den Feldern, man hört über den Stoppeln nur die Grillen singen, und das Ganze hat die Stimmung, von der die Griechen gern sagten: ›Der große Pan schläft.‹ Wer, den das schaukelnde Fuhrwerk etwa einmal in solcher Zeit durch solche Flächen getragen hat, überließ sich dann nicht manchen still um Vergangenes und Künftiges schweifenden Gedankenzügen und empfand dabei das wehmütige Glück, sich Erinnerungen oder Hoffnungen auf Augenblicke hinzugeben, die nie zu einem Resultat für Gegenwart mehr ausschlagen konnten! Aber alle dergleichen Gedanken kommen einem wieder, wenn man vor diesem merkwürdigen Bildchen steht und seinem stillen magnetischen Zuge sich hingibt; und dabei ist das Ganze wieder mit so wunderbarer Einfachheit geschaffen, so frei von jeder Ostentation oder absichtlicher Sentimentalität, und behauptet ebenfalls wie jene sogenannte Jagd die eigentümlichste Zurückhaltung von allem peinlichen, kleinlichen Realismus.
War jedoch in diesem Bilde gezeigt, wie der echte Künstler auch der trockensten, fast steril zu nennenden Aufgabe eine bedeutende ästhetische Wirkung abzugewinnen vermag, so gedenke ich jetzt zum Schluß noch zweier andrer Bilder, von denen das eine den Beschauer in jüngere, durchsichtige, wegsame Waldung, das andre ihn in ein kleines, von frischem Gebirgswasser durchfeuchtetes Tal versetzt. Beide haben aber sicher schon die Verzweiflung manches Kopisten erregt, denn wenn es gewiß schwer und ohne mechanische Hilfsmittel fast unmöglich ist, die halb unbewußten Züge einer Handschrift in einer genauen Abschrift wiederzugeben, so werden die farbigen Züge des Pinsels, wie sie in vielfachen Verschlingungen endlich ein Bild gestalten, im einzelnen natürlich noch weit unnachahmlicher, und zwar, je tiefer sie alle von inneren Gefühl durchdrungen sind, um so mehr! Abschattungen bedeutender Originale gehen daher wohl von Nachahmern oft genug hervor, wirkliche zweite Schöpfungen derselben aber werden, gleich vollkommenen Übersetzungen aus einer in die andre Sprache, stets zu den seltensten Erscheinungen gehören.
Man studiere denn namentlich in dem ersten dieser Bilder die frische, leichte Behandlung des Baumschlags! Jeder halb unbewußt hingeworfne Pinselstrich ist hier so imprägniert von der tief in die Seele des Malers eingegangenen Vorstellung von der Eigentümlichkeit unsrer Waldvegetation, daß er immer lebendigst einen Teil derselben uns vergegenwärtigt, so wahrhaft hieroglyphisch auch die Art dieser Striche an sich bleibt. Und was vom Striche als Form gilt, gilt dabei ganz ebenso von ihm in der Farbe. Überall sind nur gleichsam Symbole des Wirklichen gegeben, und doch, wem eben diese Wirklichkeit einigermaßen genauer bekannt ist, der liest dann diese Symbole doch, als wären es vertraute Lettern.
Es geschieht oft plötzlich, daß eine Idee, die wir längere Zeit eingehüllt in unserm Innern getragen haben, durch irgendeinen äußeren Anstoß, wie Minerva aus dem Haupt des olympischen Herrschers, hervortritt, ja es haben wohl die Alten selbst jene plötzliche Offenbarung eben nur unter diesem Bilde anschaulich machen wollen. Ungefähr auf gleiche Weise glaube ich auch über jenen Zustand der Landschaftsmalerei in neuerer Zeit meine Gedanken entfesselt gefunden zu haben, seit ich in Goethes drittem Heft zur Naturwissenschaft zuerst seine Betrachtungen über die Wolkenformen und dann das angefügte schöne Gedicht [Howards Ehrengedächtnis] zu guter Stunde gelesen hatte. Fragst du, was eben in diesem Gedichte mich so wunderbar bewegt hat, so wüßte ich mich darüber nur etwa auf die Weise auszusprechen: Wenn wir im tätigen Leben gewahr werden, daß die vollkommene Reinheit des Handelns nur in zweierlei Zuständen hervortritt, einmal im naiven, ursprünglichen Zustande, wo das dunkle Gefühl des uns innewohnenden Göttlichen ohne alles weitere Bedenken unmittelbar auf das Wahre und Rechte hinweist, ein ander Mal dann, wenn nach manchen Abirrungen des Lebens eine klare Erkenntnis unserer Verhältnisse zu Gott und Welt sich erschließt und nun jene frühere, ihrer selbst unbewußte Reinheit mit Klarheit und Bewußtsein im Leben ausgeprägt wird, so leitet dieses alles zu der Ahnung, daß in der Kunst wohl eine ähnliche Zwiefachheit innerer Vollkommenheit gedacht werden könne. – Von dem ersteren Pol der naiven, ursprünglichen Kunstvollendung habe ich mancherlei Gedanken in früheren Briefen verfolgt; ebendieses Goethesche Gedicht aber führte mir mit einem Male recht lebhaft die Idee einer zweiten, auf höhere Erkenntnis gegründeten Kunstschönheit vor, und eben von Goethe haben wir aus seinen späteren Zeiten noch mehrere ähnliche Dichtungen erhalten, in denen die reinste und die vollkommen wissenschaftliche Erkenntnis gewisser Lebensvorgänge die Seele des Dichters durchdrungen hat, um nun zu poetischer Anschauung und Auffassung in höherer geistiger Wiedergeburt sich zu verklären.
Daß dieses Gedicht über die Wolken entstehen konnte, dazu bedurfte es langer, ernster, atmosphärologischer Studien, es mußte hier beobachtet, beurteilt, gesondert werden, bis nicht nur die Kenntnis der Wolkenbildung, wie sie einfache, sinnliche Anschauung gewährt, sondern die Erkenntnis, welche allein Frucht wissenschaftlicher Forschung ist, erreicht war. Nach all diesem faßte nun das geistige Auge alle gesonderten Strahlen des Phänomens zusammen und spiegelte den Kern des Ganzen in künstlerischer Apotheose zurück. – In diesem Sinne gefaßt, erscheint dann die Kunst als Gipfel der Wissenschaft, sie wird, indem sie die Geheimnisse der Wissenschaft klar erschaut und anmutig umhüllt, im wahren Sinne mystisch oder, wie Goethe sie auch genannt hat: orphisch.
›Nun,‹ höre ich dich sagen, ›das soll doch nicht auf Landschaftsmalerei übergehen? Du willst doch nicht mystische und orphische Landschaften?‹ – Und warum nicht? – Freilich mag ich nicht jene kleinliche, ich möchte sagen abergläubische Mystik, welche irgendein durch Konvention und Tradition gegebenes Symbol in den Kreis der lebendigen Kunst einschwärzen möchte ... Nein! Ich meine die Mystik, welche ewig ist wie die Natur selbst, weil sie nur Natur, ›die am lichten Tag geheimnisvolle‹, ist, weil sie nichts weiter will als Naturinnigkeit und Gottinnigkeit und eben darum für alle Zeiten und alle Völker verständlich bleiben muß.
Was bildet denn Landschaftsmalerei als die große irdische uns umgebende Natur – und was ist erhabener als die Erfassung des geheimnisvollen Lebens dieser Natur? Und wird der Künstler, durchdrungen von der Erkenntnis der wunderbaren Wechselwirkungen von Erde und Feuer und Meer und Luft, nicht gewaltiger durch seine Darstellung zu uns reden, wird er nicht reiner und freier die Seele des Beschauenden aufschließen, daß auch ihm sich die Ahnung der Geheimnisse des Naturlebens erschließe, daß auch er erkenne, kein ungeregeltes, leeres Ungefähr bestimme den Zug der Wolken und die Form der Gebirge, die Gestalt der Bäume und die Wogen des Meeres, sondern es lebe in alledem ein hoher Sinn und eine ewige Bedeutung? Denn es sind die Gebilde des Geistes, von dem es heißt:
So schaff ich am sausenden Webstuhl der Zeit
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.
Welche Landschaften lassen in dieser Beziehung nicht sich denken! Wenn die ältesten naiven Landschaftsmaler entweder an die täglich uns umgebende Natur unbedingt sich hielten und eben durch ihr treues Anschließen an diese ihre Umgebung unbewußt manches Bedeutungsvolle darbildeten oder durch Beziehung auf Geschichte und Mythe der Menschen ihren Bildern höheres Interesse verleihen wollten, so würde dem Maler, dem die Erkenntnis des Naturlebens aufgegangen wäre, der reinste und erhabenste Stoff von allen Seiten zufließen. Wie redend und mächtig spricht nicht die Geschichte der Gebirge zu uns, wie erhaben stellt sie nicht den Menschen unmittelbar als Göttliches in Beziehung zu Gott, indem sie jede vergängliche Eitelkeit seines irdischen Daseins gleichsam mit einem Male vernichtet, und wie deutlich spricht sich diese Geschichte in gewissen Lagerungen und Bergformen aus, daß selbst dem Nichtwissenden dadurch die Ahnung einer solchen Geschichte aufgehen muß; und steht es nun dem Künstler nicht frei, solche Punkte hervorzuheben und im höheren Sinne historische Landschaften zu geben? – Wie bedeutungsvoll ist nicht die Art der Vegetation für den Charakter der Gegend; und die Geschichte der großen Formationen der Pflanzenwelt uns im schönen und sinnigen Gewände vorzuführen, wäre sicher eine edle Aufgabe der Kunst: denn es gibt ein geheimes Verhältnis unter diesem stillen Geschöpfen, und ein reiches poetisches Leben verbirgt sich in ihren Blättern und Blüten. Wie unendlich mannigfaltig und zart sind nicht endlich die atmosphärischen Erscheinungen! Alles, was in des Menschen Brust widerklingt, ein Erhellen und Verfinstern, ein Entwickeln und Auflösen, ein Bilden und Zerstören, alles schwebt in den zarten Gebilden der Wolkenregionen vor unsern Sinnen; und auf die rechte Weise aufgefaßt, durch den Kunstgenius vergeistigt, erregt es wunderbar selbst das Gemüt, an welchem diese Erscheinungen in der Wirklichkeit unbemerkt vorübergleiten. –
Du würdest freilich zuviel verlangen, wenn ich dir nun schildern sollte, wie im einzelnen ein solches landschaftliches Kunstwerk beschaffen sein sollte, welche besonderen Gegenstände gewählt werden, wie die Ausführung in Form und Farbe sein müßte; denn dann müßte ich ja selbst schon der Künstler sein, von dem ich nur erwarte, daß er einst kommen wird; aber kommen wird er sicher. Es werden einst Landschaften noch höherer, bedeutungsvollerer Schönheit entstehen, als sie Claude und Ruisdael gemalt haben, und doch werden es reine Naturbilder sein, aber es wird in ihnen die Natur, mit geistigem Auge erschaut, in höherer Wahrheit erscheinen, und die steigende Vollendung des Technischen wird ihnen einen Glanz verleihen, den frühere Werke nicht haben konnten.
Allem, was wir empfinden und denken, allem, was ist und was wir sind, liegt eine ewige, höchste, unendliche Einheit zugrunde. Ein tiefes, innerstes Bewußtsein, welches, eben weil durch dasselbe die Möglichkeit alles Erkennens, Beweisens und Erklärens gegeben ist, selbst nie erklärt oder bewiesen werden kann, gibt uns davon, und zwar nach dem Grade unserer Entwicklung, bald dunkler, bald klarer die feste Überzeugung. Offenbar ist uns dieses Höchste in Vernunft und Natur als Inneres und Äußeres, wir selbst aber fühlen uns als einen Teil dieser Offenbarung, das ist als Natur- und Vernunftwesen, als ein Ganzes, welches Natur und Vernunft in sich trägt, und insofern als ein Göttliches. Im höheren geistigen Leben wird uns hierdurch eine doppelte Richtung möglich, entweder nämlich sind wir bestrebt, das Mannigfaltige und Unendliche in Natur und Vernunft zurückzuführen zu ursprünglicher göttlicher Einheit; oder indem das Ich selbst produktiv wird, stellt die innere Einheit durch äußere Mannigfaltigkeit sich dar. Im letzteren Falle zeigt sich das Können, im ersteren Falle das Erkennen. Aus dem Erkennen geht das Wissen, die Wissenschaft hervor, aus dem Können die Kunst. In der Wissenschaft fühlt der Mensch sich in Gott, in der Kunst fühlt er Gott in sich.