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Wie wenig vermutete irgend jemand, daß hier nicht das Ende Robespierres allein, sondern des Revolutionssystems war! Am wenigsten von allen vermuteten es die meuterischen Komiteemitglieder, die sich in keiner anderen Absicht aufgelehnt hatten, als um die nationale Regeneration fortzusetzen mit ihren eigenen Köpfen auf den Schultern. Und doch war es wahrhaftig das Ende. Der unbedeutende Stein, den sie herausgerissen hatten, so unbedeutend er irgendwo sonst gewesen wäre, hier erwies er sich als der Grundstein; und das ganze Bogenwerk und Gebäude des Sansculottismus fing an sich zu lösen, zu krachen, zu bersten, und fiel in Stücke mit bedeutender Schnelligkeit, Sturz auf Sturz, bis der Abgrund alles verschlungen hatte und auf dieser Oberwelt kein Sansculottismus mehr vorhanden war.
Denn wenn auch Robespierre selber verächtlich sein mochte, so war doch der Tod Robespierres ein Zeichen, auf das hin eine große Menge Menschen, die bis dahin vor Schrecken verstummt waren, aus ihren Verstecken sich hervorwagten und sozusagen einander sahen, sahen wie groß ihre Menge, und zu sprechen und sich zu beklagen begannen. Die grausames Unrecht erlitten haben, sie sind nach Tausenden und nach Millionen zu zählen. Immer lauter erhebt sich die Klage dieser Menge zu einem gemeinsamen Ton, zu einem langhallenden Getöse der sogenannten öffentlichen Meinung. Camille hatte »ein Komitee der Gnade« gefordert und konnte es nicht erhalten; doch nun erklärt sich die ganze Nation selbst zum Komitee der Gnade: die Nation hat den Sansculottismus versucht und ist seiner überdrüssig geworden. Die Macht der öffentlichen Meinung! Welcher König oder Konvent kann ihr widerstehen? Vergebens sträubt man sich. 442 Was heute als »verleumderisch« verworfen wurde, muß eines anderen Tages mit Triumph als wahr angenommen werden: die Götter und die Menschen haben erklärt, daß der Sansculottismus nicht sein kann. Der Sansculottismus hat sich in jener neunten Nacht des Thermidor selbstmörderisch »die Kinnlade zerschmettert« und liegt da, sich windend, um nie mehr sich zu erheben.
Durch die nächsten fünfzehn Monate haben wir einen Zustand vor uns, den wir die Todesagonie des Sansculottismus nennen können. Der Sansculottismus, die Anarchie des Jean-Jacques-Evangeliums, nun tief genug vorgeschritten, muß untergehen in einem neuen merkwürdigen System des Culottismus und der Ordnung. Denn eine Ordnung ist dem Menschen unentbehrlich, wäre sie auch nur gegründet auf jenes alte Urevangelium der Gewalt, mit einem Scepter in Gestalt eines Hammers. Wir wollen Methode, wir wollen Ordnung, schreit alles, und wäre es Methode und Ordnung eines Drillmeisters! Erträglicher ist eine disciplinierte Reihe von Bajonetten, als diese undisciplinierte Guillotine, die unberechenbar ist wie der Wind. – Wie der in Todeswehen sich windende Sansculottismus zwei- oder gar dreimal sich bemühte, wieder auf die Beine zu kommen, aber im nächsten Augenblick immer wieder fiel und in seine Ohnmacht zurückgeworfen wurde, wie er schließlich sein Leben aushauchte und sich nicht mehr rührte: dies haben wir jetzt aus gehöriger Entfernung und mit gehöriger Kürze zu betrachten. Und dann, o Leser, Mut! Ich sehe Land!
Zwei der ersten Akte des Konvents, die nach diesem Thermidor sehr natürlich und notwendig geworden, sollen hier näher berührt werden: erstens die Erneuerung der regierenden Komitees. Beide, Sûreté générale und Salut public, sind durch die Guillotine gelichtet und bedürfen der Ergänzung. Man ergänzt sie natürlich mit einem Tallien, Fréron, den siegreichen Männern vom Thermidor. Noch zweckmäßiger ist die Verfügung, daß sie, wie das Gesetz es bestimmt, von nun an wirklich und nicht bloß dem Namen nach erneuert und verändert werden sollen; der vierte Teil der Mitglieder wird monatlich austreten. Der Konvent will nicht länger mehr unter der Knechtschaft der Komitees, unter dem Schrecken des Todes sein, sondern ein freier Konvent sein, frei seinem eigenen Urteil und der Macht der öffentlichen Meinung folgen können. Nicht minder natürlich ist es, zu dekretieren, daß Gefangene und Angeklagte das Recht 443 haben sollen, eine »Anklageschrift« zu fordern, und klar zu sehen, wessen sie beschuldigt sind. Sehr natürliche Dekrete, und sie sind die Vorläufer von hunderten nicht weniger natürlichen.
Denn nun ist Fouquiers Geschäft, da es von einer Anklageschrift und gesetzlichem Beweise in Fesseln gelegt ist, so gut wie zu Grunde gerichtet, nur noch wirksam gegen Robespierres Schweif. Die Gefängnisse geben ihre Verdächtigen heraus, entlassen sie schneller und schneller. Die Komitees sehen sich von Freunden Gefangener belagert, beklagen sich, daß sie dadurch an ihrer Arbeit verhindert würden; es ist wie beim Herausdrängen von Menschen aus einem überfüllten Raum, sie versperren einander den Weg. Das Blatt hat sich gewendet, Gefangene fluten in Menge heraus, Kerkermeister, Moutons und der Schweif Robespierres gehen nun dahin, wohin sie zu senden gewohnt waren! – Die hundertzweiunddreißig Republikaner von Nantes, die wir in Ketten dahermarschieren sahen, sind angekommen, zusammengeschmolzen auf vierundneunzig, da der fünfte Mann unterwegs zu Grunde gegangen. Sie kommen an, und finden sich plötzlich verwandelt aus um ihr Leben bittenden Angeklagten in Ankläger auf Tod und Leben. Ihr Prozeß endigt mit Freisprechung und mehr. Wie ein Posaunenton schallt ihr Zeugnis weit und breit, verkündet die Greuel der Schreckenszeit. Neunzehn Tage währt der mit aller Feierlichkeit und Öffentlichkeit geführte Prozeß. Der Repräsentant Carrier und die Compagnie Marat, die Noyaden, Loire-Hochzeiten, was im Dunklen geschehen, kommt jetzt ans Licht des Tages. Klar ist die Stimme dieser armen wiederauflebenden Republikaner von Nantes, und Journale und Reden und das allgemeine Komitee der Gnade lassen sie wiederhallen, laut genug, in alle Ohren und Herzen. Eine Deputation kommt von Arras, erhebt Anklage gegen die Greuel des Repräsentanten Lebon. Der gezähmte Konvent liebt zwar sein eigenes Leben, doch was hilft's? Der Repräsentant Lebon, Repräsentant Carrier müssen doch vor das Revolutionstribunal, wir mögen uns sträuben und zögern, wie wir wollen; der Empörungsschrei der Nation verfolgt sie lauter und lauter. So muß denn Tinville auch diese vernichten – wenn nicht Tinville selbst vernichtet wird.
Wir müssen hier ferner den abgelebten Zustand bemerken, in den die einst allmächtige Muttergesellschaft verfallen ist. Legendre warf die Schlüssel des Jakobinersaales auf den 444 Konventstisch, der Präsident der Jakobiner wurde mit Robespierre guillotiniert. Die einst so mächtige Mutter kam einige Zeit nachher mit unterwürfiger Miene, um Rückgabe ihrer Schlüssel bittend. Die Schlüssel wurden ihr wiedergegeben, aber die Kraft konnte ihr nicht wiedergegeben werden, die Kraft war dahin für immer. Ach, die gute Zeit ist dahin, vergebens erdröhnt ihre hohe Tribüne wie ehedem; dem Ohr der Welt ist sie ein Greuel, ja auch zum Überdruß geworden. Nach und nach werden die Tochtergesellschaften verboten; die mächtige Mutter sieht sich plötzlich kinderlos, stimmt Klagen an, wie eine so heisere Rachel es eben kann.
Die Revolutionskomitees, die keine Beute von Verdächtigen mehr machen können, gehen schnell, sozusagen durch Hunger, zu Grunde. In Paris werden die alten Achtundvierzig auf zwölf reduziert, ihre vierzig Sous abgeschafft; nur noch eine kleine Weile, und Revolutionskomitees giebt's nicht mehr. Das Maximum der Lebensmittelpreise wird abgeschafft; der Sansculottismus mag zusehen, wo er was zu essen findet. 24. Dezember 1794 ( Moniteur, No. 97). Auch giebt es keine Munizipalität mehr, kein Centrum im Stadthause, nachdem der Maire Fleuriot und Compagnie guillotiniert sind; man beeilt sich nicht, ihn zu ersetzen. Das Stadthaus bleibt in einem gebrochenen, unterwürfigen Zustande, weiß nicht recht, was aus ihm werden wird; weiß nur, daß es schwach geworden ist und gehorchen muß. Wie wäre es, wenn man Paris in etwa ein Dutzend getrennte Munizipalitäten teilte, die dann unfähig wären, gemeinsam zu handeln? So wären die Sektionen in einem Zustande, wobei man ihrer sicher wäre; – oder könnten nicht wirklich auch die Sektionen selber abgeschafft werden? Dann hätte man lediglich zwölf wohl zu behandelnde friedliche Stadtgemeinden ohne Centrum oder Unterabteilung, Oktober 1795 ( Dulaure, VIII, 454-456). und das »geheiligte Recht der Insurrektion« käme in Wegfall!
So vieles wird abgeschafft, flieht schnell ins Leere. Denn die Presse spricht und die menschliche Zunge, ernste und leichte Journale sprechen in Philippiken und Burlesken, der Renegat Fréron und der Renegat Prudhomme, beide so laut wie immer, nur auf entgegengesetzter Seite. Und Ci-devants zeigen sich, machen beinahe Parade, nun, da sie wie aus einem Todesschlafe wiederbelebt sind; sie verkünden öffentlich, welche Todesqualen sie ausgestanden haben. Sogar die »Sumpffrösche« 445 quaken mit Nachdruck. Die protestierenden Dreiundsiebzig werden, nach einigen Kämpfen, aus dem Gefängnis entlassen, gelangen wieder auf ihre Parlamentssitze; die Louvet, Isnard, Lanjumais und die Trümmer des Girondismus, aus ihren Heuböden und ihren Höhlen in der Schweiz zurückgerufen, werden ihren Platz im Konvent wieder einnehmen, Deux Amis, XIII, 3-39. und dies als natürliche Feinde des Schreckens!
Thermidorehelden, wie Tallien, und ausgesprochene Feinde des Schreckens herrschen in diesem Konvent und außerhalb. Der zusammengedrängte Berg geht schweigend immer mehr und mehr zusammen. Der Moderantismus erhebt sich immer lauter und lauter, nicht wie ein Sturm und unter Drohen, sondern eher wie das Brausen eines mächtigen Orgeltons und wie die melodische Kraft der öffentlichen Meinung, die aus fünfundzwanzig Millionen Kehlen einer in ein Komitee der Gnade verwandelten Nation dringt. Wie sollte dem eine vereinzelte Gruppe widerstehen können?