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So hat sich indessen der Tag seinem Ende zugeneigt. Müde Sterbliche schleichen von ihrer Feldarbeit nach Hause, der Dorfhandwerker ißt mit Behagen seine Kräutersuppe zum Abendessen, oder schlendert hinaus auf die Dorfstraße, um ein Maul voll frischer Luft und menschlicher Neuigkeiten zu genießen. Stille Sommerabendruhe überall. Die große Sonne hängt noch flammend am äußersten Nordwesten, denn es ist der längste Tag dieses Jahres. Die Hügelspitzen werden bald in ihrer höchsten Glut erscheinen und errötend gute Nacht sagen. In grünen Schluchten, aus lange Schatten werfenden Laubzweigen läßt die Drossel zum lauter werdenden Murmeln der Bäche ihr fröhliches Abendlied ertönen. Stille schleicht sich über die Erde. Die staubige Mühle von Valmy mag wie alle anderen Mühlen und Plagen, ihre Mehlsäcke ausrollen und aufhören zu klappern und ihr Rad zu drehen. Die erschöpften Arbeiter in dieser Tretmühle einer Erde haben wieder einen Tag abgefröhnt und schlendern, wie wir sagten, in Gruppen einher oder sitzen auf geselligen Steinbänken, Rapport de Monsieur Remy (in Choiseul, p. 143). während ihre Kinder, mutwillige Schelme, sich um sie umhertreiben. Leises Summen von freundlichem Geplauder erfüllt die Abendluft hier im Dorfe Sainte-Menehould, wie in allen anderen Dörfern. Meist freundliches, sanftes Geplauder, denn auch die Dragoner sind Franzosen und höfliche Leute, und noch ist die Paris-Verdun-Postkutsche mit ihrem ledernen Briefbeutel nicht dahergerumpelt, um die Gemüter der Leute zu erschrecken.
Eine Gestalt indessen bemerken wir an der letzten Thüre des Dorfes, jene Gestalt in lose wallendem Schlafrock, Jean Baptiste Drouet, den Postmeister hier. Ein bissiger, cholerischer Mann, wohl gefährlich aussehend, noch in den besten Jahren, obwohl er seinerzeit als ein Condé-Dragoner gedient hat. Heute hat Drouet von früher Stunde an Ärger gehabt, und ist in dieser verdrießlichen Laune erhalten worden. Der Husar Goguelat hatte es heute früh aus Sparsamkeit für gut befunden, wegen eines Pferdes zur Rücksendung seines Cabriolets mit seinem eigenen Wirte zu unterhandeln, statt mit Drouet, dem ordentlichen Maître de poste. Als Drouet das merkte, kam er voll Zorn herüber, drohte dem Gastwirte und 26 wollte sich nicht beruhigen lassen. In allem war's ein verdrießlicher Tag, denn Drouet ist auch ein bissiger Patriot, war beim Pikenfest in Paris, und was bedeuten diese Soldaten Bouillés? Kaum sind die Husaren – mit dem Kabriolet, das der Teufel holen soll – hinausgeworfen, so kommt schon wieder Dandoins mit seinen frischen Dragonern von Clermont und streift da herum. Zu was? Der cholerische Drouet im langwallenden Schlafrock geht aus und ein, schaut sich um mit Blicken so scharf, wie sie dem Menschen nur der angeschürte Zorn verleihen kann.
Andrerseits sehe man den Kapitän Dandoins auf der Straße jenes selben Dorfes, mit scheinbarer Gleichgültigkeit hin und her schlendernd, das Herz von schwarzer Sorge gequält. Denn keine Korff'sche Berline erscheint. Die große Sonne flammt tiefer beim Untergehen, das Herz klopft einem vor unausgesprochenen Befürchtungen.
Beim Himmel! Da kommt der gelbe Leibgardenkurier, sprengt daher im roten Abendlicht. Ruhig, o Dandoins, bleibt mit undurchdringlich gleichgültiger Miene stehen, obgleich der gelbe Dummkopf am Posthause vorübersprengt, fragt, um es zu finden, und das Dorf in Aufregung bringt mit dem Entzücken, das seine gelbe Livree verursacht. – Heran rumpelt mit ihren Bergen von Bandschachteln und der Chaise hinterdrein die Berline der Baronin Korff; die ungeheuere Galione mit ihrer Schaluppe ist endlich so weit gelangt. Die Augen der Dorfleute sind weit offen, wie solche Augen immer, wenn eine Kutsche durchfährt, was für sie ein Ereignis ist. Die umherschlendernden Dragoner legen, da die gelben Livreen gar so schön sind, ehrerbietig die Hand an den Helm, und eine Dame in einem Zigeunerhut erwidert den Gruß mit der ihr eigenen Grazie. Déclaration de La Gâche (in Choiseul wie oben). Dandoins steht da mit übereinandergeschlagenen Armen, und mit so gleichgültiger und geringschätziger Garnisonmiene, als nur ein Mensch es vermag, während ihm fast das Herz zerspringt. Verächtlich aufgedrehter Schnurrbart, gleichgültiger Blick – womit er aber die Gruppen der Dorfleute mustert, und die gefallen ihm nicht. Mit den Augen winkt er dem gelben Kurier, sei schnell, sei schnell. Der gelbe Dickkopf kann den Wink der Augen nicht verstehen, kommt murmelnd heran, um in Worten zu fragen, und das sieht das Dorf!
Auch Postmeister Drouet hat unterdessen beobachtet, geht 27 aus, geht ein mit seinem langwallenden Schlafrock im sinkenden Sonnenlichte, erspäht verschiedene Dinge. Wenn eines Menschen Fähigkeiten zur rechten Zeit durch Ärger geschärft sind, so kann dies zu vielem führen. Die Dame da im heruntergeklappten Zigeunerhut, wenn sie sich auch im Rücksitz des Wagens befindet, gleicht sie nicht einer, die wir einmal gesehen haben – am Pikenfest oder sonstwo? Und dieser große – tête in rundem Hut und Perücke, der sich von Zeit zu Zeit hinausstreckt und nach rückwärts schaut, mich dünkt, er hat Ähnlichkeit – Schnell, Sieur Guillaume, Schreiber des Direktoire, holt mir eine neue Assignate! Drouet prüft die neue Assignate, vergleicht das Papiergeldportrait des Königs mit dem dicken Kopf dort im runden Hut, und – beim Tag und bei der Nacht! man könnte sagen, der Kopf dort sei ein Nachahmungsversuch des Bildes. Und diese Truppenmärsche, dieses Umherschlendern und Flüstern, – ich sehe, was das ist!
Drouet, Postmeister dieses Dorfes, eifriger Patriot, ehemaliger Condédragoner, paß auf darum, was du thun willst! Und sei schnell, denn, sieh, die neue Berline, rasch bespannt, rollt schon unter Peitschenknallen davon! – Drouet wagt es nicht, der ersten Eingebung des Augenblicks zu folgen, die Zügel mit seinen eigenen zwei Händen zu ergreifen; Dandoins, mit seinem Säbel, könnte ihn weghauen. Unsere armen Nationalfreiwilligen, von denen nicht ein einziger zugegen, haben wohl dreihundert Gewehre, aber kein Pulver dazu; zudem ist man seiner Sache nicht gewiß, nur moralisch überzeugt. Drouet thut, als ein gewandter ehemaliger Condédragoner, was am ratsamsten ist, bespricht sich im Geheimen mit dem Schreiber Guillaume, der auch ein ehemaliger Condédragoner ist, schlüpft in aller Stille, während Schreiber Guillaume zwei der schnellsten Rosse sattelt, hinüber ins Stadthaus, um hier ein Wort zu wispern, setzt sich dann mit Schreiber Guillaume zu Pferde, und die beiden sprengen ostwärts der neuen Berline nach, um zu sehen, was sich thun läßt.
Sie sprengen ostwärts in scharfem Galopp, während ihre moralische Überzeugung in geschäftigem Geflüster vom Stadthaus aus das Dorf durchläuft. Ach! Kapitän Dandoins befiehlt wohl seinen Dragonern aufzusitzen, aber die, sich über langes Fasten beklagend, verlangen erst Brot und Käse – bevor diese kurze Mahlzeit eingenommen, ist das Gerücht durchs ganze Dorf gelangt, nicht mehr flüsternd, sondern 28 brüllend und kreischend! Nationalfreiwillige, sich eilig sammelnd, schreien nach Pulver, die Dragoner schwanken zwischen Patriotismus und Kriegszucht, zwischen Brot und Käse und aufgesteckten Bajonetten. Dandoins übergiebt heimlich sein Taschenbuch mit geheimen Depeschen dem strengen Quartiermeister. Sogar die Stallknechte kommen jetzt daher mit Mistgabeln und Dreschflegeln. Der gestrenge Quartiermeister, der erst halb gesattelt hat, haut sich mit dem Säbel seinen Weg durch gefällte Bajonette, patriotisches Schreien und Fluchen und Dreschflegel und reitet wie wütend dahin. Déclaration de La Gâche (in Choiseul, p. 134). Wenige oder sogar keine folgen ihm, die übrigen ergeben sich dem so sanften Zwang und bleiben.
Und so rollt die neue Berline dahin, und ihr nach galoppieren Drouet und Guillaume, und ihnen nach Dandoins wenige Dragoner oder der Quartiermeister allein. Und Sainte-Menehould und die Landstraße auf einige Meilen Weges sind in Aufruhr, und die militärische Gewitterkette ist losgegangen in selbstzerstörender Weise; es ist zu befürchten, mit den schlimmsten Folgen.