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I.

»Lassen Sie nur, Liese; ich werde ohne Mühe schon allein fertig.«

So ganz ohne Mühe geschah es aber doch nicht, denn die schlanke Dame, welche lieber sich selbst helfen als den Beistand der Dienerin annehmen wollte, mußte sich auf die äußersten Fußspitzen erheben und sich weit über den runden Eßtisch vorneigen, um die Majolikaschale in dessen Mitte zu setzen. Die Blumen und Gräser, von den schönen Händen geordnet, schmückten nun die festlich gedeckte Tafel, die zierliche Gestalt richtete sich wieder auf und ein rascher Griff brachte ein zur Seite geschobnes Glas zurück in symmetrische Reihe.

»Sie haben doch Christinen gesagt …« fuhr die Herrin, während sie die durch die frühere Berührung zerknitterte Damastserviette von neuem zum kunstvollen Aufbau formte, in ihren Unterweisungen fort, »daß der Braten nicht zu sehr ausschmoren darf; mein Bruder liebt ihn, wenn er noch im Safte ist, und er soll zu Hause die Table d'hote nicht vermissen. Wir müssen ja auch vor der jungen Frau Ehre einlegen.«

»Es ist alles geschehen, wie das gnädige Fräulein befohlen haben, aber –«

»Und dann soll Fritz immer bei meiner Schwägerin mit dem Servieren beginnen, nicht bei mir …« Ein zufriedner Blick überflog noch einmal den Tisch und so blieben die Zeichen und Mienen des Mädchens unbeachtet. Jetzt faßte sich dasselbe ein Herz und schnitt die weitern Anordnungen kurz ab.

»Ja, gnädiges Fräulein, ich habe es ihm schon eingeschärft, aber – aber der Herr Statthaltereirat stehen schon eine Weile hier …« sagte es und deutete dabei nach der Thüre des kleinen gemütlichen Speisezimmers.

Das Fräulein, das derselben den Rücken zugekehrt hatte, wandte sich überrascht um, hatte aber nur ein flüchtiges Kopfnicken für den auf der Schwelle Stehenden, der jeder Bewegung der zarten Figur, die sich eben in ihrer ganzen Geschmeidigkeit und Grazie gezeigt, mit Blicken voll warmer Bewunderung gefolgt war. Es funkelte ein Feuer in dem blauen Augenpaar unter den starken Brauen, das überhaupt im Widerspruche zum Eindruck der ganzen Erscheinung stand, – der eines Mannes, so ziemlich schon in jenen Jahren, die man beiläufig die »besten« zu nennen liebt. Das kurzgehaltene dunkelbraune Haar stand zwar noch dicht, zeigte aber in scharfer Beleuchtung schon jenen verräterischen Stahlglanz, und zwei Silbersträhnchen teilten glitzernd zu beiden Seiten des Kinns den schönen vollen Bart, in den sich der untere Teil des markig und ansprechend geformten Gesichtes verlor. Auch die gesetzte Haltung, die gelassenen Bewegungen der breitbrüstigen Gestalt standen in scheinbarem Gegensatze zur Lebhaftigkeit des Auges, das zu den Worten, die um Verzeihung baten und das »unangemeldete« Eintreten entschuldigten, einen fast schalkhaften Kommentar blitzte.

»Braucht es das? Guten Abend, lieber Meinhard …« lautete die Entgegnung, aber unmittelbar nach dem familiären Gruß wandte sich die junge Dame wieder an das Mädchen, so daß der flüchtige Uebergang eine gewisse Absichtlichkeit merken ließ. Die Aufträge waren jedoch bald erschöpft und ein letztes: … »Und was ich noch sagen wollte … machte dann den Schluß … »Sorgen Sie für ein kleines Feuer im Schlafzimmer, Liese. Wenn man von der Reise kommt, ist man immer ein wenig frostig.«

»Sie wissen das und lassen mir doch einen so kühlen Empfang zu teil werden? Nicht einmal die Hand haben Sie mir gegeben …« beklagte sich der Eintretende, rief damit aber statt des Mitleids nur ein spottendes Lachen hervor.

»O! o! Sie wollen doch nicht zu den hohen Reisenden gezählt werden? Keine Einschleichereien! …« Dabei hatte sich die kleine Hand aber doch in die dargebotene gefunden und ein ganz kurzes aber herzliches Schütteln stellte das Einverständnis wieder her. Es war nur noch ein vollkommen unschädliches Nachgrollen des kleinen vorübergezognen Ungewitters in der Erklärung … »Eigentlich sollte ich böse sein, wissen Sie, Meinhard. Mich so in der Not zu lassen, ohne zu helfen.«

»Aber Sie wollen ja gar nicht, daß man Ihnen hilft. Ich habe es eben selbst gesehen und gehört. Nicht wahr, Liese, Fräulein Hilda will alles selber machen? Wir werden uns hüten, uns unberufen einzumischen.«

»Ich habe Sie ja aber berufen …« sagte Fräulein Hilda vorwurfsvoll nickend und mit ein ganz klein wenig Verdruß und dem selbst im Schmollen noch freundlichen Mund … »Aber Fritz wurde gar nicht vorgelassen. Seine Unnahbarkeit der Herr Statthaltereirat hatten Amtsstunde. Und diese währte, wie es scheint, nicht kürzer als von Mittag bis Abend. Irgend eine Audienz der Herren Stadträte oder eine Konferenz zum Wohl unsres ganzen Bezirks oder sonst eine Wichtigkeit, über welche die alten Freunde getrost in Vergessenheit geraten können.«

»Das ist unmöglich, Sie wissen es wohl, Hilda« … der volle tiefe Brustton der Ehrlichkeit, durch die diese Versicherung ungewöhnliche Bedeutsamkeit erhielt, ging jedoch sofort unmerklich wieder in Scherz über. »Uebrigens finde ich auch ohne mich alles gethan. Der ganze Garten ist für Guirlanden geplündert, die stattlichste Triumphpforte wölbt sich über dem Parkthore und erweckte in mir die größte Lust, selbst unter diesem »Willkommen in der Heimat!« meinen Einzug zu halten; ich sehe sogar Blumen auf den Tischen, Silberzeug auf dem Büffet, Lichter in den Fenstern; also auch schon Vorbereitungen zur Illumination getroffen. Was wäre da nur noch übrig geblieben? Sollte ich unter jedem Arm einen Böller mitbringen, die Arkeley einüben oder den Chorgesang der Hirten und Feldbauer einstudieren? Das wäre freilich ein vollkommen ausreichender Grund für jede noch so übel nachwirkende Pflichtverletzung gewesen.«

Die großen grauen Augen vermochten da allerdings nicht weiter zu tadeln, und wenn auch die Hand noch ungnädig winkte, mußte das Köpfchen sich doch rasch zur Seite wenden, um das unbezwingliche Lächeln zu verbergen. Auch fand sich keine andre Antwort, als ein scheinbar unwilliges: »Ach, gehen Sie!« Es konnte aber eigentlich ganz gut für ein »Kommen Sie!« gelten, denn während sich das Fräulein der Thüre zu bewegte, erfolgte an den sich Anschließenden bereits die Einladung in aller Form.

»Wir wollen zu mir hinübergehen.«

Meinhard entschuldigte sich nun in ernsterer Weise, und während er eine ausführlichere Erklärung der Amtsangelegenheit gab, welche ihn nachmittags über Land geführt und solange festgehalten hatte, schritten beide um die Ecke des Korridors, der von dem Haupttrakte des Schlosses nach dem Seitenflügel hinüberführte, in welchem die Schwester des Gutsherrn ihre Wohnung hatte.

Es war ein ungemein traulicher Raum, den sie betraten; das milde Dämmerlicht, in dem die Zeichnung der dunkeln Tapeten und der Vorhänge, die Farben der Bilder und Möbelstoffe, die Formen des alten großen Ofens, des kleinen Sofas und Fauteuils, sowie des breit aus der Ecke hervorstrebenden Klaviers schon allmählich an Bestimmtheit verloren, erhöhte das Gefühl der Behaglichkeit, von der man umfangen wurde, noch mehr. Der rote Schein am Abendhimmel besaß nicht mehr die Kraft, die leisen Schleier zu durchbrechen. Aber er fesselte der Eintretenden Blick.

Sie ging auf einen der Stühle in der Nähe der Fenster zu und ihr Begleiter eilte dienstfertig voraus, die zwischen denselben befindliche Glasthüre, von der einige Stufen in den Garten hinabführten, zu schließen.

»Nicht doch!« wurde er gebeten, »lassen Sie offen.« »Wir sind im September, es wird kühl; Sie selbst bemerkten es zuvor.«

Der sorgliche Einwand fand aber seine Widerlegung.

»Es weht doch noch ein so frischer, wohlthuender Duft herein. Ich will das Jahr genießen, so lange als möglich, wie ich der Sonne nachsehen will, so lange noch ein Schimmer von ihr am Himmel ist. Gerade das ist es, was mir die Zimmer hier so lieb macht; sie gehen nach Westen und das schönste an Waltershofen ist, daß da drüben keine Berge liegen und die Sonne so spät untergeht. Ich möchte sie immer noch länger halten.«

»Das sind recht wehmütige Gedanken.«

»Pfui! wer wird denn sentimental werden, Freund! Nun kennen Sie mich schon so lange Jahre. Sie werden doch nicht glauben, daß ich mich in allegorischen Bildern ergehen will und über das Altwerden kümmern?«

»Des haben Sie wahrlich auch nicht not,« sagte er eifrig und die Beteurung, welche mit einem skeptischen Achselzucken aufgenommen wurde, kam dem Freunde vom Herzen.

Der matte Schein des sinkenden Gestirns, auf dessen purpurnen Mantelsaum sich ihre ernsten, weitgeöffneten Augen gedankenvoll richteten, zauberte hellen Goldglanz auf das braune Haar, das in üppigen Wellen die Stirne umfloß, und rief aus dem lieblichen Gesichtchen, wenn es auch nicht mehr die Fülle und den Samthauch der ersten Jugend hatte, mit dem Spiele der zarten Form wunderbare Reize wach, die nichts mit der Melancholie des Abendrots gemein hatten.

Ein kurzes Schweigen trat ein, während so jedes von ihnen in seine eignen Betrachtungen versunken blieb. Sie mochten weit ab von einander liegen, denn ein leiser Seufzer entglitt den Lippen des Mannes, als die junge Dame, langsam den Blick von dem sie fesselnden Schauspiele wendend, im Tone der Unzufriedenheit und gewissermaßen sich selbst zurechtweisend sagte:

»Woher doch manchmal solche einfältige Stimmungen kommen? Aber diesmal sind Sie schuld. Warum unterlegen Sie meinen Worten eine ganz andre Deutung? Ist das alles, was Sie mir an Unterstützung bringen können, nachdem Sie mich den halben Tag in Unruhe allein gelassen?«

»Sie wissen, daß Sie in allem auf mich zählen können, Hilda,« erwiderte der zur Rede Gestellte diesmal ernst und ruhig. »Aber ich kann mir nicht denken, daß Sie meiner wirklich bedurften. Unruhe ist wohl ein zu gewichtiges Wort.«

»Keineswegs!« fiel sie lebhaft ein und langte von einem kleinen Tischchen, auf dem mehrere Photographien zerstreut lagen, ein Blatt Papier. »Da entziffern Sie selbst einmal das Telegramm, das wir heute Vormittag von Franz erhielten.«

»Wir kommen heute abends an. Es bleibt bei den Bestimmungen des Briefes. Zimmer bereit halten,« las er und fast ehe er beendigt hatte, fiel sie schon wieder ein:

»Da soll man nun klug werden daraus! Welches sind diese Bestimmungen? Was ist's mit den Zimmern? Das versteht sich ja von selbst, daß wir die bereit halten, warum gerade das ausdrücklich betonen und uns telegraphisch auf die Seele binden? Stände dafür lieber etwas von den nicht selbstverständlichen ›Bestimmungen‹ da, die mein Herr Bruder zu treffen geruht. Wie sollen wir die erraten? Gott mag wissen, wo der Brief steckt, in welchem sie uns kund und zu wissen gemacht werden! Ich habe keine Zeile gelesen.«

»Warten Sie,« überlegte der zu Rat Gezogne. »Wenn der Brief gestern vormittag geschrieben wurde, dann ist er wohl statt mit dem Nachtschnellzuge mit dem Postzuge gegangen, der jenen überholt. Er ist also erst nach Amtsschluß eingetroffen und wird erst morgen früh ausgegeben. Ein Fall, der, so absurd er auf den ersten Blick erscheint, doch häufig eintrifft. Die letzten werden die ersten werden.«

»Aber der Bibelspruch hätte wohl auch meinem Bruder vorschweben können. Sagen Sie mir, sind denn alle Ehemänner auf der Hochzeitsreise so – so gedankenlos?«

Er sah die Fragestellerin eigentümlich an.

»Wie soll ich das wissen?« entgegnete er, auf das »ich« den Ton legend. »Es ist nicht meine Schuld, daß ich weiter keine Auskunft geben kann.«

»Seien Sie froh, daß Sie davor bewahrt blieben!« lachte Hilda auf. »Statt Kindereien zu treiben und alte längstvergangne Geschichten aufzuwärmen, sollten Sie lieber Ihre Divinationsgabe anstrengen und mir sagen, was dieser fatale nachhinkende Brief enthält.«

»Tantchen, ich hab's!« rief da eine helle Stimme von der Thüre her, die in die weiteren Gemächer derselben Reihe führte.

Das Mädchen, welches vollkommen zum Ausgehen gekleidet, mit halbem Hüpfen über den Teppich glitt, hatte zwar Größe und Toilette einer Dame, Haltung, Figur, Organe und der Ausdruck des muntern Gesichtchens jedoch verrieten noch deutlich den Mangel voller Entwicklung.

»Was hat Fräulein Mimi?« fragte Meinhard wohlwollend, wie etwa ein Vater sein Töchterchen neckt.

»Guten Abend, guten Abend, Onkel Meinhard!« begrüßte ihn die Kleine fröhlich, ohne sich aber in der Mitteilung ihrer Entdeckung aufhalten zu lassen. »Ich hab's, Tantchen! Weißt du, was es ist? Papa bringt uns den Onkel mit.«

»Wilhelm?« rief Hilda leise und mit seltsamem Tonfalle setzte sie hinzu: »Du vergißt, daß Amerika –« hier aber stockte sie ganz. Seufzend schüttelte sie den Kopf und ließ ihn sinken.

»Ach nein, nicht den richtigen,« erklärte Mimi, die letzten Knöpfe ihres rehfarbenen Paletots schließend.

»Doch nicht mich?« fragte Meinhard verwundert.

»Sie sind ja schon da,« entgegnete Mimi, als ob sie eigentlich sagte: »Wie einfältig!« Dann schlug sie die Händchen zusammen und drückte dieselben, sich niederbeugend, zwischen die Kniee, wobei ihre Augen vor Vergnügen leuchteten. »Erratet ihr's denn nicht? Ich meine den neuen – den jungen Onkel. Wie spaßig das war, als ich ihn beim Gabelfrühstück nach der Trauung so ansprach! – Da war es doch schon in der Ordnung, nicht wahr? – wie hätte ich denn auch sagen sollen? Und wie er sich's so ernstlich verbat, da sagt' ich es erst recht. Das klang so närrisch. Onkel! Hahaha! – Bin ich hübsch so, Tantchen?«

Sie strich mit den Fingern die Falten ihres Kleides glatt und machte dann einen tiefen Knix wie bei Hofe. Das Urteil der Musternden fiel nicht streng aus.

»Es ist recht, daß du dir Mühe gibst, deiner neuen Mama gleich einen guten Eindruck zu machen.«

»Ach, der Stiefmutter –« fiel die Kleine ein, aber der wegwerfende Ton verstummte sogleich unter dem verweisenden Blicke, sie wandte sich errötend zur Seite, im nächsten Momente aber hing sie an dem Halse der stummen Tadlerin. »Ich frage nur nach deinem Urteile, liebes, liebes Tantchen!«

Den Schmeichellauten war schwer zu widerstehen, und was an Vorwürfen die Liebkosungen nicht erstickten, das schnitt die schlaue Mahnung ab, daß Tantchen ja noch immer nicht gerichtet sei und der Wagen gleich vorfahren werde, man dürfe doch nicht zu spät auf dem Bahnhofe eintreffen.

»Das ist bald geschehen; ich brauche nur Hut und Mantel, wir kommen noch lange zurecht,« erwiderte Hilda und band die weiße Wirtschaftsschürze ab, die sich von dem schwarzen Seidenkleide recht hausmütterlich abgehoben hatte. »Sage mir lieber, wie du auf deine sonderbare Vermutung kommst?« – »Du wirst sehen, daß ich recht habe. Ich täusche mich gewiß nicht, die Erinnerung betreffs der Zimmer bezieht sich darauf. Papa hat immer so scharmante Ideen. Oh, ich freue mich so, ich freue mich so auf Papa!«

Und wieder klatschte sie bei dem etwas nachträglich erst hinzugefügten Schlußworte in die Hände und drehte sich dabei wie ein Kreisel um sich selbst.

Hilda schüttelte den Kopf über die Bemerkung Meinhards, daß sich die Sache vielleicht wirklich so verhalte.

»Es ist wohl nur eine Ideenverbindung,« meinte sie, »weil wir vorhin über Edwin von Tonner sprachen, als wir die Photographien durchsahen, um die des jungen Herrn in das Zimmer seiner Schwester zu stellen. Wir haben aber keinen ganz passenden Rahmen gefunden, und dann – wer weiß? – Man hat mit den Brüdern nicht immer seine Freude.« … Sie nickte still vor sich hin und machte sich mechanisch daran, die zerstreuten Photographieen zusammenzuschieben, um sie darnach in das Album einzuschließen. Ein eigentümliches Geräusch ließ sie den Kopf wenden. »Was hopsest du denn wie ein junger Ziegenbock?«

»Aber Tantchen, welch ein Vergleich!« rief die Kleine, bei aller Entrüstung lachend. Ihr hatte die Frage gegolten. Vor einem der Pfeilerspiegel sprang sie mit gleichen Füßen, daß ihr fessellos über den Rücken wallendes Haar wie ein dunkler Schleier flatterte. »Das Band will nicht unter die Haare. Ich kann ja so die Krawatte nicht knüpfen.« Und indem sie das Band nach rückwärts schwang, fuhr sie in der Anwendung ihres drolligen Mittels fort, das sich wie ein Spiel ansah. So hüpfend und lachend blieb an Stelle der verschwundenen Dame nur das harmlose lebensfreudige Kind, für das die von Hilda neuerdings aufgeworfene Frage, was wohl der Brief enthalten möge, nur ein geringes Interesse hatte.

»Wenn Ihnen soviel daran liegt,« riet Meinhard scherzend, »müssen wir wohl eine Somnambule fragen.«

»Woher eine nehmen?«

Der Seitenblick Meinhards nach der Kleinen entging Hilda ebenso, wie der bedeutsame Nachdruck, mit dem er seine Antwort gab:

»Ich glaube, wir haben sie schon; nur der Magnetiseur ist für den Augenblick noch nicht zur Stelle.«

»Darf vielleicht ich meine Erfahrungen und vielfach erprobten Kräfte zur Verfügung stellen? Ich würde es mir zur besondern Ehre anrechnen, wenn mir die Herrschaften dazu Gelegenheit geben wollten. Mesmer, St. Germain, Doktor Balsamo. Un deux trois – sie schläft!«

Es war ein ganz sonderbarer Antrag und eine sonderbare Stimme, die ihn stellte, wie es schien, aus der Tiefe eines Ziehbrunnens herauf. Sie kam aber offenbar nur aus der Brust eines kleinen dicken Mannes in abgetragenem schwarzem Röckchen, das sichtlich für eine weit schlankere Taille angefertigt worden war. Das graue breite Gesicht mit seinen verschlemmten Zügen war in hohem Bogen von einer langen Strähne Haares überklebt, das sich an den Schläfen zu grotesken Locken einbog, während sich die fuchsigen Spitzen im Nacken mit dem echten Eigensinn einer alten Perücke auswärts ringelten. Das Pathos, mit dem er gesprochen, die Haltung der erhobenen Hände, die ausgespreizten Finger gaben der Erscheinung in dem abendlichen Zwielichte etwas unheimlich Groteskes. Sie war so plötzlich aufgetaucht und keines der drei hatte gesehen, woher sie gekommen.

Die muntere Springerin stand starr wie gebannt und Hildas Fingern entfielen die kleinen Karten. Schneller ward Meinhard seiner Ueberraschung Herr.

»Darf ich Sie wohl fragen, wie Sie hereinkommen?« sprach er den Fremden einigermaßen scharf an, wiewohl ihm dessen Stellung in der Nähe der offenen Gartenthüre schon als Antwort genügen konnte.

»Der große Philadelphia fuhr gleichzeitig zu vier Stadtthoren hinaus. Man erscheint und man ist da. Allez vite! Voilà!« … Das war von dem lebendigsten Gebärdenspiel begleitet; gleich darauf aber hatte der kleine Mann seinen abgeschabten Claquehut unter dem Arme hervorgelangt, ließ ihn mit einem Knall springen, drückte ihn mit theatralischer Bewegung an die Brust und schnappte in einer tiefen Verbeugung zusammen.

»Hochansehnliche Anwesende,« begann er dann mit dem demütigsten Lispeln. »Ich komme bloß, meine ergebenste Einladung zu machen, da ich demnächst mir erlauben werde, eine große Vorstellung zu geben, und es mir zur größten Ehre gereichen würde, wenn der hohe Adel der Umgebung mir feine unschätzbare Gönnerschaft zu teil werden lassen wollte.«

Die Damen hatten noch immer ihre Stimme nicht gefunden. Meinhard ergriff für sie das Wort. Seine Anrede klang ziemlich trocken.

»Sie sind wohl Schauspieler?«

Der Gefragte richtete sich achselzuckend auf.

»Der rasierten Maske nach zu schließen? Vorbei, vorbei!« sagte er mit tragischer Deklamation, die alsbald in Ruhmredigkeit umschlug. »Wer hadert mit des Schicksals Mächten? Einst kannte man meinen Namen, ich war gefeiert und gesucht, von der Memel bis zum Rhein und von der Adria bis zur Nordsee. Das Glück war mir günstig und die Leitung eines ansehnlichen Kunstinstituts lag in meinen Händen. Aber wie ich mich hinaufgeschwungen auf die Sonnenhöhe, ging es jenseits wieder hinab. Meine Anforderungen waren zu hoch, meine Ziele zu ideal, das undankbare Publikum wollte sich nicht erziehen lassen. Ich war für meine Zeit zu früh geboren. Was nützt das Klagen? Ich zahlte meinen Zoll dem Menschenschicksal. Die Ungunst der Verhältnisse ruht schwer auf mir; die mich unterstützen sollten, haben mich beraubt und verlassen; die Intrige hat sich gegen mich gewandt, aber sie kriegt mich nicht unter. Die Musen standen an meiner Wiege und meine Gaben sind vielseitig. Ich bin Künstler – Künstler im allgemeinen. Ich spiele Soloszenen – ich beherrsche mehrere Instrumente: die Holzharmonika, die Mundharmonika, die Maultrommel, ich entlocke der Tischplatte sogar musikalische Klänge; ich gebe einem Blatte Papier sechzig verschiedene Formen und ahme aufs täuschendste Tierstimmen nach; mein besonderes Fach aber ist die natürliche Magie. Ich habe Bosco, Döbler – mit dem war ich in Hamburg zusammen. – Mohnhaupt – den kenne ich von Riga – und Kratky Baschik, dem ich ein Gastspiel in Konstantinopel durch meine Konnexionen vermittelte, ihre intimsten Geheimnisse abgelauscht. Damals war es noch meine Privatpassion, aber du lieber Himmel! die Kunst geht nach Brot. Sie erlauben, daß ich den Herrschaften eine Probe meiner Geschicklichkeit gebe.«

Und ohne die Erlaubnis abzuwarten, hatte er sich schon der Photographieen auf dem Tischchen bemächtigt.

»Wir haben jetzt keine Zeit,« wendete Hilda ein und bemühte sich, die Ablehnung so wenig unfreundlich als möglich erscheinen zu lassen. Mimi aber, welcher die putzige Weise des Tausendkünstlers Spaß machte, bat Tantchen, doch noch ein wenig zu warten.

»Ich sehe dergleichen für mein Leben gern.«

Ein Blick, eine Kopfneigung dankten der Fürsprecherin. Der Taschenspieler mischte bereits die Blätter wie ein gewöhnliches Spiel Karten.

»Prestigiateur, gnädiges Fräulein, nichts als Prestigiateur, kein Hexenmeister,« plauderte er dabei. »Eine Kleinigkeit, braucht keine Minute Zeit. Schnelligkeit ist ja die Hauptsache beim Metier. Darf ich Sie bitten, sich eine der Karten zu merken. Aber den schönsten jungen Herrn, damit mir die Sache nicht zu schwer wird. – Und Sie, mein gnädiges Fräulein – ebenfalls eine – ja? Mein Herr – ach, Sie trauen mir nicht? Nun, ich will Sie nicht zwingen. Eins, zwei, drei – whup!«

Er schlug den Fächer zusammen, blies auf das Paket, schnippte darauf, legte es auf das Tischchen zurück, netzte die plumpen Finger an den Lippen und streckte, wie wenn er damit ein unangenehmes Gefühl auf dem Rücken beseitigen wolle, die Arme so weit aus, daß ein paar schmutzige zerknitterte Manschetten zum Vorschein kamen.

»Un deux trois! Allez, changez, passez!« rief er, mit den Händen durch die Luft fahrend. »Haben Sie sie fliegen gesehen? Nicht? Doch! Hier in Ihren Rock sind sie hineingeflattert, mein Herr. Sie erlauben! Ah, sehen Sie, hier in der Westentasche. Mein schönes Fräulein, ist es diese Karte? Ah, ich sehe, es ist die rechte. – Aber, mein Herr, Sie müssen mir schon noch einmal erlauben. Richtig, hier! – Gnädiges Fräulein – haben Sie diese im Gedächtnis?«

Es war eine ganz merkwürdige Betonung, mit der er die Frage stellte. Auch sein Antlitz hatte – ungesehen von Meinhard, der hinter ihm stand, und Mimi, die errötend noch immer auf die in ihre Hände gelegte Photographie starrte – einen ganz veränderten Ausdruck angenommen. Blitzend hing sein von den niederhängenden Lidern verkleinertes Auge an Hildas Antlitz und zuckte triumphierend, als es die plötzliche Verwandlung in ihren Zügen wahrnahm.

Vorerst nur gleichgültig hatte ihr Blick der Aufforderung Folge geleistet, fast widerwillig, jetzt hing er erschrocken an der ihr zugekehrten Seite des Kärtchens. Eine Bewegung ging durch ihren ganzen Körper, doch ließ der schlaue und in all seiner Schwerfälligkeit doch gewandte Mann ihre Ueberraschung nicht zu Worte kommen.

»Sie erkennen die Photographie nicht? Sollte es eine falsche Karte sein?« fragte er wie verwundert und setzte dann rasch entschlossen hinzu: Fort also! Allez, changez, passez! – Ach, ja natürlich, es war ein stärkerer Magnet da. Sie selbst haben sie angezogen. Daran hätte ich denken sollen. Es ist aber nicht schön, daß das gnädige Fräulein sie im Aermel verstecken, um mich in Verlegenheit zu bringen. Erlauben gefälligst!«

Mit zwei Fingern scheinbar holte er das Blatt an ihrem Handgelenke hervor, ohne dasselbe auch nur zu berühren. Ihr Zucken sagte ihm deutlich, daß sie davor scheue, doch achtete er darauf ebensowenig, als auf die Enttäuschung, mit der sie, nach dem ersten begierigen Blick auf die ihr neu überreichte Photographie, wieder zu ihm aufsah. Geschickt verbarg er ihre Verwirrung vor Meinhard, dessen Aufmerksamkeit er abzulenken wußte.

»Mein Herr, Sie werden sich überzeugt haben, daß Ihre Uhr noch vorhanden ist.« Es lag bei aller gesuchten Höflichkeit eine gewisse impertinente Ironie in der Anfrage, die keck mit dem von seiner Erscheinung vielleicht hervorgerufenen Zweifel spielte.

Mimi drehte noch immer ihr Kärtchen zwischen den Fingern, sie hatte sich noch nicht von ihrem kindlichen Erstaunen erholt.

»Aber das ist doch wunderbar!« äußerte sie.

Der Künstler nahm sofort seinen Vorteil wahr.

»Ich leiste noch Wunderbareres, mein Fräulein,« brüstete er sich. »Ich begnüge mich nicht mit dem Eskamotieren; ich bin Magnetiseur, ich errate Gedanken, ich sehe in die Ferne, ich citiere Geister, ich bringe die Abwesenden zum Sprechen. Meinem Rufe müssen sie folgen. Wenn mir eine kleine Probe gestattet ist –

»Wir werden das ja bei Ihrer Vorstellung sehen,« wollte Meinhard vorbeugen, aber Mimi erhob bittend die kleinen Hände:

»Ach, nur ein klein wenig!«

»Es bedarf gar keiner Vorbereitungen, bitte. Ich habe zum Beispiel einen Bekannten in Amerika, wollen wir den anrufen? – Hollah, Bill! how do you do? Immer aufrecht? Wie geht es deiner Fran?« Er ließ die bei den letzten Sätzen trichterförmig vor den Mund gelegten Hände fallen und neigte, wie um besser zu hören, den Kopf zur Seite, wodurch aber das Gesicht sich so weit abwendete, daß es sich jeder Beobachtung seines kleinen Publikums entzog. Aus großer Tiefe schien eine gänzlich veränderte Stimme zu antworten. »Was weiß ich, ich bin nicht mehr in Amerika.«

Bei dem ersten Ton schrak Hilda von neuem zusammen, es entschlüpfte ihr sogar ein leiser Laut, doch bekämpfte sie die heftige Unruhe, welche sich ihrer bemächtigt hatte. Das Zwiegespräch nahm mittlerweile in derselben Weise wie es begonnen seinen Fortgang.

»Ist's möglich, Bill? Also nicht mehr jenseits des großen Baches? Wo denn sonst?« – »Das hörst du doch; hier.« – »Du meinst doch nicht hier im Hause?« – »Natürlich, im Keller.« – »So komm doch herauf!« – »Daß ich ein Narr wäre; man hält mich ja versteckt.« – »Aber andre werden dich finden, so gut wie ich dich fand.« »Du wirst schweigen und mich nicht verraten.« – »Das hängt von Umständen ab.« – »Komm wieder, wenn ich ausgeschlafen habe, ich bin müde. Gute Nacht!« – »Gute Nacht!« Die Reise scheint ihn angestrengt zu haben. Aber ich darf nichts weiter mitteilen. Sie hörten, meine Herrschaften, er verlangt Diskretion. Wir wollen ihn für heute in Ruhe lassen, den armen Jungen, bis zu meiner nächsten Vorstellung.«

Auf den letzten Worten, mit denen er sich zurück an die Gesellschaft wandte, lag wieder ein eigentümlicher Nachdruck und Hildas fragender Blick begegnete einer noch durchdringenderen Frage in seinem Auge, das sich aber blitzschnell wieder abwandte. Es war eine Art Abschiedsverbeugung, die er inszenierte, während ihm Mimi lebhaft Beifall klatschte.

»Wir kommen jedenfalls, nicht wahr, Tantchen,« versprach sie dem sich langsam der Thüre zu Ziehenden, der murmelnd die Versicherung gab, er werde selbst die Ehre haben, das Programm zu überreichen, sobald der Tag erst festgestellt sei, und unter einer nochmaligen tiefen Verbeugung verschwand, als Hilda sich aufraffte und ihm stockend und hastig die Weisung gab, sich noch einen Augenblick im Flur oder in der Küche aufzuhalten, bis er von ihr Nachricht hätte.

»Soll ich dir vielleicht dein Geldtäschchen bringen?« fragte Mimi, welche die Absicht der Tante zu erraten meinte.

Eine Handbewegung lehnte ab.

»Was ist Ihnen, Hilda?« nahm Meinhard, schärfer beobachtend, das Wort.

»O nichts – nichts – eine Sinnestäuschung wohl nur!«

»Es war aber auch gar zu unheimlich, man vermeinte wirklich ein Gespenst sprechen zu hören,« erklärte Mimi.

»Ein gewöhnliches Kunststück der Bauchredner. Sie werden sich doch darüber nicht alterieren? Dieses Universalgenie arbeitete noch dazu, soviel ich von der Sache verstehe, mit recht derben Mitteln.«

Aber Mimi wollte auf diese »prosaischen Auseinandersetzungen«, wie sie es nannte, nicht eingehen.

»Sie zerstören einem doch immer alle Illusionen, Onkel,« schmollte sie. »Es bleibt immerhin wunderbar. Sagen Sie mir, wie mochte er nur wissen, daß ich mir gerade diese Photographie gedacht hatte? Er konnte doch nicht ahnen, daß mir just Edwin – Onkel Edwin ins Auge gefallen war. Können Sie das auch erklären?«

Unterdes hatte Hilda mit dem Versprechen gleich wieder zurück zu sein, anscheinend wieder ruhig, aber doch von Meinhards sorglichen Blicken begleitet, das Gemach verlassen. Sobald sie das anstoßende Schlafzimmer betreten und die Thüre hinter sich geschlossen hatte, zog sie die Klingelschnur, aber nicht Hut und Hülle, mit denen Liese schon gewartet hatte, verlangte sie, sondern sandte das Mädchen sofort mit dem Auftrage wieder weg, ihr den Taschenspieler hierher zu bescheiden.

Ihre Fassung war nur eine äußerliche gewesen, die Bewegung hielt immer noch nach in ihr.

Was hatte diese Mahnung, die von einem ihr völlig Unbekannten ausging, zu bedeuten? Ihr Auge hatte sich gewiß nicht getäuscht, als es in dem ihr zuerst vorgehaltnen Bildnisse die Züge des Fernen, des Verbannten, des im Hause wie tot Betrachteten erkannte. Unter jenem Häuflein Photographien befand sich diejenige ihres zweiten Bruders nicht, sie konnte auch nicht zufällig darunter geraten sein, das wußte sie bestimmt, denn alle seine Bilder aus früherer Zeit waren ja vernichtet oder weggeschlossen worden; es durfte keines Franz unter die Augen kommen, seit dieser den Unwürdigen aus der Familie, aus seinem Gedächtnisse sogar ausgeschieden. Woher kam nun das Bild?

Oder wenn selbst anzunehmen war, daß bei dem unsichern Dämmerlichte, dem raschen Wechsel der Blätter, das Auge trügte – und das war einen Moment lang auch ihre Idee gewesen, als sie dann das Porträt einer bekannten Dame auf dem ihr hernach dargereichten Kärtchen sah – hatte dann auch später nun die einmal schon erregte Phantasie ihr Spiel getrieben und ihrem Ohre die Ähnlichkeit von Wilhelms Stimme mit der des Citierten vorgespiegelt. Sie war von dem Laute betroffen worden, als antworte in der That ihr Bruder unter den Parketten herauf, auf denen sie stand. Wohl war ihr das Kunststück des Bauchredners nicht so fremd und wunderbar als für Mimi, aber sollte es wirklich nur Zufall sein, daß diese forcierte Stimme jener andern glich, die ihr noch so deutlich im Ohre klang, ohne daß der Täuschende sie je zuvor gehört? Und fanden sich dann eben so leicht Erklärungen für den befremdlichen Sinn der Worte? »Bill« hatte der Mann den Fernen angerufen, Amerika genannt, auf die Gefahr seiner Rückkehr nach Europa hingewiesen. Und das alles sollte wirklich nur ein harmloses Zusammentreffen von Umständen sein, nicht eine beabsichtigte Nachahmung der Stimme, eine bedeutungsvolle Mahnung, ein wohl vorbereitetes Spiel zu ganz bestimmtem Zwecke? Und welches war dieser Zweck?

Darüber sollte der Mann selbst Auskunft geben. Es blieb ja immerhin möglich, daß hier der Hinweis auf eine alte Bekanntschaft als wirksame Unterstützung einer Bettelei benützt wurde, aber vielleicht hatte dieser Mensch den Exilierten doch in neuerer Zeit erst gesehen und konnte Nachricht geben über ihn, – wenn nicht schließlich doch noch alles in Nebel zerrann – ein Traumbild, wie es von einem Wort, einem Laut, irgend einem Anblick hervorgezaubert in des Menschen Innern plötzlich auftaucht, in der Dichter-, in der Künstlerseele sogar greifbare Gestalt annimmt und doch vorüberzieht und verweht – ein Hauch, ein Nichts.

»Aber Tantchen, wo bleibst du denn so lang? Wir warten nur noch auf dich, der Wagen ist schon vorgefahren und du verplauderst dich in einem Kaffeestündchen mit Bußbuß.«

Mimis Stimme weckte die in tiefes Sinnen Versunkene. Ihre Stirne lehnte an der Scheibe und ihre Hand kraute in dem Pelze des schnurrenden Kätzchens, das sich zu ihr aufs Fensterbrett geschmeichelt. – Sie hatte es nicht bemerkt, ebensowenig als die ringsum alles immer tiefer und tiefer einhüllende Dunkelheit.

Es mußte eine geraume Weile verstrichen sein, während sie auf den Mann mit den geheimnisvollen Andeutungen wartete. Aber wo war er geblieben?

Eben kam Liese fast atemlos herein.

»Ich weiß nicht, wo der Mensch hingekommen ist,« berichtete sie. »Im Vorhause ist er nicht, in der Küche hat ihn niemand gesehen und draußen auch nicht. Der Martin ist freilich erst vorgefahren, aber Fritz hätte doch besser aufpassen können. Er stand vor der Thüre und machte noch schnell die Tannenbäumchen fest. Dort sei nichts durchgekommen, sagt er. Wo der hingesehen haben mag? Wie ein Geist kann doch niemand bei lebendigem Leibe verschwinden.«

»Ausgenommen ein Zauberer!« fiel ihr Mimi ins Wort.

»O, auch die lassen eine Wegzehrung nicht im Stich,« schlug die praktisch denkende Liese den Scherz ab.

»Es gibt doch auch stolze Zauberer,« widersprach Mimi lachend. »Wer weiß, ob er nicht beleidigt durch die Zumutung war, sich in der Küche wie ein Handwerksbursche ein Almosen zu holen. Ich lasse mir nun einmal meine gute Meinung nicht nehmen.«

Hilda that keinen Einspruch; sie ließ es auch geschehen, daß ihr das Mädchen Hut und Handschuhe reichte und Mimi ihr den weichen Herbstmantel um die Schultern legte. Die Frage, wie dies Verschwinden zu deuten sei, beschäftigte sie noch, als ihr Meinhard, der sie am Kutschenschlage erwartete, in den Wagen half.

»Vielleicht hat Mimi recht,« dachte sie erleichtert aufatmend, »dann aber hatte er ja auch keinen Zweck und es war doch alles nur eine Täuschung meiner Sinne.«


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