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Gerade als sich Tarzan von der wieder geschlossenen Türe auf seinen Weg nach der Außenwelt machen wollte, geschah es. Der ganze Vorfall ereignete sich, ohne daß irgendeine Warnung vorherging. Eben war alles noch ruhig und standfest – im nächsten Augenblick schien die Welt zu wanken, die gepreßten Wände des engen Stollens barsten und splitterten, aus der Decke gebrochene Felsklötze stürzten sperrend auf den schmalen Weg und die Wände legten sich unter dem Druck nach innen.
Der Schlag eines aus der Decke fallenden Felsbrockens warf Tarzan an die Türe der Schatzkammer zurück, die sein Gewicht aufstieß, während der Körper hinein auf den Boden rollte.
Im großen Schatzraum hatte das Erdbeben weniger Unheil angerichtet. Einige Barren fielen von höheren Stapeln herab, ein großer einzelner Block löste sich aus der Decke und donnerte zu Boden und die Wände krachten, aber sie hielten.
Es blieb bei dem einen Stoß, denn es folgte kein weiterer, um das Unheil zu vollenden. Werper war durch die Plötzlichkeit und Gewalt der Erschütterung der Länge nach zu Boden geschleudert worden. Als er sich unverletzt fand, raffte er sich wankend auf die Füße und tastete sich durch die Kammer nach der Kerze zu, welche Tarzan mit ein paar Tropfen ihres eigenen Wachses auf das herausstehende Ende eines Goldbarrens geklebt hatte. Nachdem er mehrere Streichhölzer angebrannt hatte, fand er sie, und als gleich danach ihre spärlichen Strahlen das stygische Dunkel erhellten, seufzte er erleichtert auf, denn das undurchdringliche Dunkel hatte die Schrecken der Lage noch erhöht.
Als sich seine Augen wieder an das Licht gewöhnt hatten, dachte er nur noch an Flucht aus diesem entsetzlichen Grab. Da sah er den Körper des nackten Riesen lang ausgestreckt auf der Schwelle liegen. Werper fuhr in plötzlicher Furcht vor Entdeckung zurück. Aber ein zweiter Blick sagte ihm, daß der Engländer tot sein mußte. Aus einer klaffenden Wunde in des Mannes Kopf hatte sich eine Blutlache auf dem Steinboden gesammelt.
Der Belgier sprang eilig über die ausgestreckte Gestalt seines kürzlichen Gastgebers, um sich in Sicherheit zu bringen, ohne auch nur einen Gedanken an Hilfe für den möglicherweise noch nicht ganz Leblosen zu hegen. Aber seine eben erwachten Hoffnungen waren bald erstickt. Schon bald jenseits des Tores fand er den Gang durch zersplitterte Felsteile völlig versperrt und abgeschlossen. Er ging wieder in die Schatzkammer zurück und begann mit der Kerze eine planmäßige Untersuchung des Raumes, bis er auf dem entgegengesetzten Ende eine andere Türe entdeckte, deren krächzende Angeln seinem Körpergewicht nachgaben. Hinter der Türe kam ein anderer enger Stollen. Werper fand eine Steintreppe, welche ihn zu einem neuen, zwanzig Fuß höher liegenden Gang brachte. Die flackernde Kerze leuchtete ihm auf dem Wege und er konnte von Glück sagen, daß er sie hatte, denn sie zeigte ihm gerade zur rechten Zeit einen gähnenden Abgrund, welcher anscheinend den Tunnel abschloß.
Vor ihm war ein kreisrunder Kamin. Er hielt die Kerze darüber und sah hinunter. Weit unten warf eine Wasserfläche das Licht zurück; er war auf einen Brunnen gestoßen. Nun hob er die Kerze über seinen Kopf und spähte in die Dunkelheit, bis er gegenüber die Fortsetzung des Tunnels bemerkte. Aber wie sollte er hinüberkommen?
Er schätzte eben noch die Entfernung bis dahin und war unschlüssig, ob er den Riesensprung wagen könne, als auf einmal ein durchdringender Schrei zu seinen Ohren drang, welcher schwächer und schwächer wurde, bis er endlich in einem klanglosen Stöhnen erstarb. Die Stimme klang wohl menschlich, aber so fürchterlich, daß sie ebensogut aus der gepeinigten Kehle eines Verlorenen im Höllenfeuer stammen konnte.
Der Belgier schauderte und sah voll Angst in die Höhe, aus welcher die Stimme zu kommen schien. Da erblickte er weit entfernt eine Öffnung, durch welche ein Stück Himmel und glitzernde Sterne herabsahen.
Sein halber Entschluß, um Hilfe zu rufen, war durch den schrecklichen Schrei wieder wankend geworden. Wo eine solche Stimme erscholl, konnten keine menschlichen Wesen hausen. Was auch für Wesen dort oben lebten, er durfte sich ihnen nicht bemerkbar machen. Er verwünschte seine Narrheit, solche Sendung zu übernehmen und wünschte sich am liebsten wieder in Achmed Zeks Lager zurück. Ja, er hätte sich sogar der Militärgerichtsbarkeit des Kongostaates gestellt, wenn er sich dadurch aus seiner schrecklichen Lage hätte retten können.
Angstvoll lauschte er, aber der Schrei wiederholte sich nicht, und endlich nahm er allen Mut zusammen, um den verzweifelten Sprung über den Abgrund zu wagen. Er ging zwanzig Schritte zurück, nahm einen Anlauf und sprang vom Rande des Brunnens in hohem Bogen ab, um die andere Seite zu gewinnen.
Der Luftzug des Sprunges löschte die flackernde Kerze in seiner Hand aus, er flog in völliger Finsternis durch die Leere und haschte mit den Händen nach vorwärts nach einem Halt, falls seine Füße den unsichtbaren Felspunkt verfehlen sollten.
Er schlug mit den Knien auf die gegenüberliegende Kante, rutschte ab, griff ein paarmal verzweifelt zu und hing schließlich halb im Kamin, halb lag er im Tunnel, aber er war gerettet. Einige Minuten lang wagte er nicht, sich zu rühren; schwach und in Schweiß gebadet blieb er in seiner Stellung hängen. Endlich zog er sich vorsichtig vollends in den Tunnel hinein, lag langgestreckt auf dem Boden und suchte seine verstörten Nerven wieder in die Hand zu bekommen.
Beim Aufschlag seiner Knie auf den Tunnel hatte er die Kerze fallen lassen. In der ziemlich aussichtslosen Hoffnung, sie könnte auf den Tunnelboden statt in den Brunnen gefallen sein, begann er auf allen vieren eine eifrige Suche nach dem kleinen Talgzylinder, der ihm jetzt unendlich wertvoller schien als der ganze fabelhafte Reichtum der Goldbarren von Opar.
Und als er dann schließlich die Kerze fand, da riß er sie an sich und sank schluchzend und erschöpft zusammen. So blieb er längere Zeit zitternd und fassungslos liegen. Aber zuletzt raffte er sich in sitzende Stellung auf, nahm ein Streichholz aus der Tasche und zündete den verbliebenen Kerzenstumpf an. Im Licht hatte er seine Nerven besser in der Gewalt, darum ging er alsbald durch den Tunnel weiter auf die Suche nach einem Ausgang. Der schreckliche Schrei, welcher von oben durch den Brunnenschacht zu ihm gedrungen war, hielt ihn immer noch so sehr im Bann, daß er vor dem Geräusch seiner eigenen vorsichtigen Bewegungen erschrak.
Er war noch nicht weit gekommen, als zu seiner Enttäuschung eine Mauer sein weiteres Vordringen hinderte. Was sollte das? Werper war ein Mann von Bildung und Intelligenz und seine militärische Erziehung hatte ihn gelehrt, nach dem Zweck jeder Sache zu forschen. Als Sackgasse hatte dieser Tunnel keinen Sinn; er mußte jenseits der Mauer weiterführen. Irgend jemand hatte ihn früher aus persönlichen Gründen abgesperrt. Der Mann begann beim Licht seiner Kerze eine Untersuchung des Mauerwerks und fand zu seinem Entzücken, daß die Mauer nur aus dünnen, geglätteten Steinplatten bestand, welche ohne Zement oder Mörtel aneinandergepaßt waren. Er zog an einem Stein und fand, daß er sich leicht entfernen ließ. Er zog die Platten einzeln nacheinander heraus, bis die Öffnung groß genug war, um seinen Körper durchzulassen. Dann glitt er durch und fand sich in einer geräumigen, niedrigen Kammer. Gegenüber schloß wieder eine Tür den weiteren Weg ab, aber da sie nicht verriegelt war, gab sie seinen Angriffen nach. Ein langer, dunkler Korridor zeigte sich, doch ehe er ihn weit hatte verfolgen können, versengte ihm die heruntergebrannte Kerze die Finger. Mit einem Fluch ließ er sie zu Boden fallen, wo sie noch einmal aufflammte und verlöschte.
Nun war er in völliger Dunkelheit und erneut saß ihm die drückende Angst im Nacken. Er konnte nicht ahnen, was für weitere Fallgruben und Gefahren vor ihm lagen. Aber er glaubte sicher weiter als je von der endlichen Freiheit entfernt zu sein; so niederdrückend ist die Abwesenheit von Licht in fremder Umgebung.
Langsam tastete er seinen Weg entlang, fühlte mit den Händen die Wände des Ganges ab und betastete immer erst vor jedem weiteren Schritt den Boden vor sich. Wie lange er so weitergeschlichen war, wußte er nicht mehr; aber als der Tunnel gar kein Ende nehmen wollte, entschloß er sich, völlig erschöpft durch Anstrengung, Schrecken und Mangel an Schlaf, wie er war, sich niederzulegen und vor weiterem Vordringen auszuruhen.
Als er erwachte, hatte sich an der umgebenden Dunkelheit nichts geändert. Ob er einen Tag oder nur eine Sekunde geschlafen hatte, wußte er nicht. Aber die Tatsache, daß er sich erfrischt und hungrig fühlte, bekundete doch, daß er einige Zeit geschlafen haben mußte.
Er begann wieder sein tastendes Vordringen, aber diesmal kam er schon nach ganz kurzer Zeit an die Mündung des Tunnels in einen Raum, zu dem aus einem Lichtschacht eine Betontreppe auf den Boden herunterführte.
Durch die Öffnung oben konnte Werper sonnenbeschienene, weinumrankte Säulen sehen. Er lauschte, aber er hörte nichts als das Sausen des Windes in den belaubten Zweigen, den heiseren Schrei der Vögel und das Schnattern von Affen.
Kühner geworden stieg er die Treppe hinauf und fand sich in einem kreisrunden Hofe. Gerade vor ihm stand ein steinerner Altar mit rostbraunen Flecken. Werper gab sich über diese Flecken zunächst keine weitere Rechenschaft – nachher wußte er ihren schlimmen Ursprung nur allzu genau.
Abgesehen von dem Treppenschacht im Boden gerade hinter dem Altar bemerkte der Belgier noch mehrere Türen, welche in gleicher Höhe wie der Hof durch dessen Umfriedigung in das Freie führten. Oben rund um den Hof herum war eine Reihe von Balkonen. Affen trieben sich in den verlassenen Ruinen herum und bunte Vögel schossen zwischen den Säulen durch und über die Galerien, aber keine Menschenseele ließ sich sehen. Werper fühlte sich erleichtert. Er seufzte, wie wenn ihm eine große Last vom Herzen gefallen wäre.
Dann schritt er auf einen der Ausgänge zu, aber mit aufgerissenen Augen voll Staunen und Entsetzen blieb er stehen, denn zu gleicher Zeit öffneten sich ein Dutzend Türen in der Mauer des Hofes und eine Horde von scheußlichen Männern stürzte sich auf ihn.
Es waren die Priester von Opar, die gleichen zottigen, plumpen, schauerlichen Männer, welche vor Jahren Jane Clayton an demselben Fleck zum Opferaltar geschleppt hatten. Ihre langen Arme, die kurzen, krummen Beine, die engstehenden boshaften Augen und die niedrigen flachen Köpfe gaben ihnen ein so tierisches Aussehen, daß ein lähmender Anfall von Furcht die angegriffenen Nerven des Belgiers befiel.
Zwar wollte er mit einem Schrei in die eben erst verlassenen düsteren Gewölbe zurückfliehen, aber die schauerlichen Männer kamen ihm zuvor. Sie versperrten ihm den Weg, sie packten ihn, er warf sich auf die Knie und bettelte um sein Leben, aber sie banden ihn und warfen ihn auf den Boden im Inneren des Tempels.
Das weitere war nur eine Wiederholung von dem, was Tarzan und Jane Clayton durchgemacht hatten. Die Priesterinnen kamen mit der Hohepriesterin La an der Spitze, Werper wurde aufgehoben und auf den Altar gelegt. Als dann La das Opfermesser über ihm erhob, drang ihm der kalte Schweiß aus allen Poren. Der Todesgesang scholl marternd in seine Ohren und seine stieren Augen wanderten über die goldenen Becher, aus welchen die schauerlichen Andächtigen bald ihren unmenschlichen Durst mit seinem warmen Blut stillen würden.
Er wünschte schon, eine Ohnmacht möge ihm das Bewußtsein des endlich kommenden scharfen Dolchstiches ersparen, da scholl ihm ein fürchterliches Brüllen in die Ohren. Die Hohepriesterin ließ ihren Dolch sinken und öffnete vor Entsetzen weit die Augen. Die Priesterinnen schrien und flohen wild nach den Ausgängen, während die Priester je nach dem Grade ihres Mutes vor Grimm oder Angst brüllten. Werper reckte den Hals, um den Grund ihrer Flucht zu erkennen, und als er ihn endlich zu Gesicht bekam, überfiel auch ihn neue Furcht, denn vor seinen Augen stand ein riesiger Löwe inmitten des Tempels, und ein Opfer lag bereits zermalmt unter seinen grausamen Pranken.
Wieder brüllte der Beherrscher der Wildnis und richtete seine unheilvollen Augen auf den Altar. La taumelte vorwärts, drehte sich halb und fiel dann ohnmächtig über Werper.