Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel

So treu wie Stahl.

Johny schlief noch immer, als Käthe wieder in die Kinderstube trat, und da das Baby schrie, so nahm sie es Tante Dorcas vom Arm und versuchte es zu beruhigen.

Sie war noch immer mit dieser nicht so ganz leichten Aufgabe beschäftigt, als Karl mit dem Doktor ins Zimmer trat. Der Doktor war ein lustiger, gemütlicher, väterlich wohlwollender, alter Herr und eine von Barbaras besonderen Schwächen.

Käthe war sich recht gut bewußt, daß es ihr Mühe machte, eine Miene zu zeigen, als sei sie gewöhnt an ihre Stellung, aber es mißglückte ihr doch halb und halb, trotz ihren, als der Arzt die kleine Hand in der seinen hielt, schüchtern emporgerichteten, fragenden Augen.

»Hoffentlich doch nichts von Bedeutung?« fragte sie, denn sein Gesicht hatte sich umwölkt: er war ein Arzt, dem das Herz warm schlug und der an den fröhlichen kleinen Sprößlingen von Mrs. Armadale ein ganz besonders warmes Interesse nahm.

»Hm,« sagte er langsam, »ich will nicht hoffen. Es ist noch ein anderer Kranker da, sagen Sie. Ich möchte mir den doch auch einmal ansehen.«

Seine Stimme war so voll von ernsten Zweifeln, daß Käthe sich beklommen fühlte, und als er sich dann wieder, nachdem er sich Johny angesehen, zu ihr herumdrehte, da war sie ganz blaß geworden.

»Mrs. Armadale ist von Hause fort, sagt mir Mr. Seymour. Wie lange wird sie abwesend sein?«

»Vierzehn Tage,« versetzte Käthe. »Aber wir erwarten heute Abend von ihr einen Brief.«

Es ließ sich aus dem ernsten »Ach!« des Herrn nicht viel heraushören, noch weniger von seinem Gesichte lesen, als er seine Rezepte schrieb und ihr einhändigte.

»Sie haben einen dem Anschein nach erfahrenen Beistand,« meinte er, auf Tante Dorcas blickend: »denn für Sie selbst ist, wie ich wohl sagen darf, diese Verantwortung neuer Art: aber – Sie dürfen sich nicht gleich erschrecken lassen,« setzte er mit freundlichem Lächeln hinzu.

»Dann meinen Sie also, daß Gefahr im Verzuge ist!« fragte sie zögernd.

»Für jetzt nicht, aber sie kann eintreten. Jedenfalls wird es geraten sein, an Mrs. Armadale zu schreiben.«

Er sprach in beruhigendem Tone, aber mit dem raschen Blicke, den Käthe nach ihm hinrichtete, sah sie, daß er ihr nicht alles gesagt hatte, was er befürchtete: und als er nach dem Wohnzimmer gegangen war, um mit Karl zu sprechen, da drückte sie das Baby mit einer Herzlichkeit an sich, die mehr sagte als Worte. Sie hatte gelernt, die liebe Barbara so zu lieben, und war sich so völlig klar geworden, wie sehr diese kleinen Wesen der herzigen kleinen Frau ans Herz gewachsen waren, daß sie den Gedanken, sie solle zu ihnen zurückkommen, wenn sie noch in Gefahr schwebten, oder es am Ende gar (mit leisem Schaudern dachte sie hieran!) schlimmer mit ihnen geworden wäre, nicht ertragen konnte. Auf alle Fälle wollte sie versuchen, ihren Platz getreulich auszufüllen, und wieder bückte sie sich und küßte das zarte Gesichtchen.

Sie hatte den ganzen Abend alle Hände voll zu thun, aber ihre Arbeit nahm sie doch nicht so vollständig in Anspruch, daß sie der Ankunft des Briefträgers nicht mit Unruhe entgegengesehen hätte – und als er kam, da lauschte sie gespannt der Meldung, für wen alles Briefe gekommen seien. Es könnte einer von Mrs. Armadale gekommen sein, und wenn dem so war, dann würde ihr ihre Angst zum nicht geringen Teile vom Herzen genommen werden.

»Mr. Armadale,« sagte die Stimme des Briefträgers – »zwei für Mr. Seymour, zwei für Miß Davenant. Weiter nichts.«

»Zwei für Miß Davenant?« dachte sie voller Verwunderung bei sich – »von wo kann denn der zweite sein?«

Sie wurden ihr bald nachher gebracht, der eine augenscheinlich von Barbara, der andere ein Schreiben im blauen Umschlag, mit einem alltäglichen, geschäftsmäßigen Aussehen an sich, das ihre Neugierde verjagte.

»Sieht aus wie irgend ein geschäftliches Rundschreiben,« sagte sie gleichgültig. »Die Leute vergessen, daß ich ›nichts weiter als eine Gouvernante‹ bin« – und sie legte den Brief achtlos beiseite und öffnete Barbaras Couvert.

Es war kein sonderlich langer Brief und augenscheinlich unter dem Druck irgend einer kleinen geheimnisvollen Erregung geschrieben, aber er war sehr herzlich und heiter. Käthe fühlte sich fast kranken Herzens, als sie sah, wie fröhlich und frei von Zweifeln er war. Grüße an Johny und Klara und Küsse dem Baby, innige Worte für Karl und zum Schlusse die herzliche Hoffnung, daß Käthe ihre Lage nicht beschwerlich oder gar lästig finden möchte.

Das war alles: und dann kam noch ein Satz, der das arme Mädchen thatsächlich erbleichen machte unter der erneuerten Last ihrer Ahnungen und Befürchtungen.

»Ich weiß nicht, wo ich weilen werde, wenn Sie wieder Nachricht von mir bekommen. Wir verlassen heute Abend Washington, haben aber über unsere Reiseroute noch nichts Festes beschlossen.«

Das war ein unerwarteter Schlag. Denn nach dem, was der Doktor gesagt, hatte Karl sich vorgenommen, nach Washington an seine Schwester zu telegraphieren. Nun würde aber Barbara schon weit fort von Washington sein, ehe das Telegramm sie dort erreichen konnte. Auch konnte sie kein Telegramm früher erreichen, als bis sie in New Orleans angekommen war. Sie ließ den Brief mit dem Ausdruck einer Art von Entsetzen auf dem Gesichte zur Erde fallen.

»Was soll ich thun?« rief sie. »O! was soll ich thun, wenn die Kinder noch schlimmer krank werden?«

Es hatte den Anschein, als wenn ihr keine Erschütterung erspart werden sollte: denn im nächsten Augenblick rührte Johny sich in seinem Bette und fuhr mit leisem Ächzen in die Höhe. Sie stand auf und ging zu ihm, und berührte seine Stirn.

»Bist Du wach, Johny?« sagte sie und bemühte sich, heiter zu ihm zu sprechen. »Möchtest Du nicht den Brief von der Mama lesen?«

Er drehte sich rasch herum, fuhr mit den Händen in die Höhe und starrte leer und fahl in ihr Gesicht mit einem Blicke, der sie im tiefsten Innern erbeben machte.

»Es ist gewiß etwas Schreckliches,« sagte sie zu Tante Dorcas, die gerade eingetreten war. »Ich meine, ich gehe besser selber noch einmal zu Mr. Seymour und spreche noch einmal mit ihm.«

Ein anderer, mit dem sie hätte sprechen können, war nicht zur Stelle. Sie fühlte das in dem Schreck, der sich ihrer plötzlich bemächtigt hatte, und sie vergaß alles bis auf Barbara und Barbaras Kinderchen, während sie die Treppe hinunter stieg, um Karl aufzusuchen.

Er hatte die Briefe gelesen, die er bekommen hatte, und sie auf den Tisch hingeworfen. Er stand am Kamin, und als sie eintrat, drehte er sich jäh herum, und sein von Angst und Sorge erfülltes Gesicht richtete sich betroffen auf sie.

Sie ging zu ihm hin und nahm Barbaras Brief aus der Tasche.

»Der Briefträger hat mir diesen Brief von Mrs. Armadale gebracht,« sagte sie. »Sie hat gestern Washington verlassen und schreibt, sie wisse noch nicht, wo sie zunächst Station machen würden. O! was sollen wir thun? Ich fürchte, die Kinder schweben in großer Gefahr. Johny ist wach geworden und kennt mich nicht.«

Sogar inmitten der Angst und Unruhe, die ihn erfüllte, konnte er nicht umhin, ein kleines Wort, das sie gebraucht hatte, besonders zu bemerken. Was sollen »wir« thun, hatte sie gesagt: und als sie es gesagt hatte, da redete sie, wie jedes andere Mädchen gesprochen haben würde, das eine Empfindung von Erleichterung, von Zuflucht zu seiner größeren Stärke in der Stunde der Prüfung gefühlt haben würde.

Er las den Brief bis zu Ende, und dann gab er ihn wieder zurück.

»Es ist zu spät, auch für eine telegraphische Nachricht,« sagte er. »Gerechter Himmel! wenn ein Unglück geschehen sollte –«

»Ich sehe nicht ein, wie wir etwas anderes thun könnten, als auf das Beste hoffen,« unterbrach sie ihn. »Tante Dorcas ist sehr zuverlässig, und – und ich will versuchen –« und da brach sie ab, weil die Aufregung ihrer Stimme den Halt nahm und sie ihr nicht vertrauen konnte.

Der Doktor hatte versprochen, spät am Abend noch einmal vorzusprechen. Er kam um acht Uhr und fand Mrs. Armadales »Juno« neben Johnys Bett sitzen, während sie ihm die kleinen süßen Händchen mit Kölnisch Wasser rieb.

Was er über die Sache dachte, mag aus einer Bemerkung geschlossen werden, die er bei seiner Heimkehr zu seiner Frau äußerte.

»Ich habe junonische Damen sehr gern, meine Liebe,« sagte er, »und hatte diese Juno immer im besondern gern; wenn ich aber sehe, wie sie mit ihrem schönen Gesicht, so zart wie das eines niedlichen Mädchens, über dieses Kind wacht, dann wünschte ich, ich könnte sie küssen. Mrs. Armadales Kinderchen werden gut gehütet sein, das weiß ich bestimmt.«

Nachdem er das Krankenzimmer verlassen, blieb er ein Weilchen auf dem Flure stehen und unterhielt sich mit Karl. Als er fortgegangen war, schickte Mr. Seymour ein Mädchen herauf mit der Meldung, daß er Miß Davenant bitten lasse, ihm noch ein paar Minuten zu vergönnen.

Er hielt in seinem ungeduldigen Auf- und Ablaufen inne, als sie kam, und bot ihr einen Stuhl.

»Ich kann nicht verweilen,« sagte sie ernst – »Sie wünschten mich zu sprechen, weil –«

Es schien, als wenn er zu sehen wünschte, welche Wirkung die Worte, die er sprach, auf sie machen würden, denn er kam und trat hinter den Stuhl und legte die Hände auf die Lehne und blickte sie an mit seinen kalten, hochmütigen Augen.

»Ich meinte, es sei bloß recht und in Ordnung, Ihnen zu sagen, daß mir Dr. Chaloner gesagt hat, was für eine Krankheit eingetreten zu sein scheint. Es ist Scharlachfieber, Miß Davenant, und es liegt große Gefahr dabei vor. Wir können natürlich nicht von Ihnen erwarten, daß Sie Ihr Leben in Gefahr setzen –«

Sie fiel ihm in die Rede, indem sie den Kopf stolz in die Höhe warf und bis zur Stirn herauf errötete.

»Verbindlichen Dank für Ihre Vorsicht,« sagte sie, mit einem leisen Anflug von Bitterkeit im Tone. »Ihre Absicht ist ja freundlicher Natur, aber wenn Sie gestatten, so werde ich mich der Gefahr unterziehen. Mrs. Armadale hat die Kinder meiner Obhut überlassen, und ich denke, meiner Aufgabe getreu zu bleiben. Ich weiß nicht, was Sie von mir denken, Mr. Seymour,« setzte sie hinzu, sich plötzlich umdrehend, »aber ich bin nicht ganz herzlos und liebe die Kinder, und weil ich sie liebe, will ich zusehen, Mutterstelle bei ihnen zu vertreten.«

Sie drehte sich um und verließ das Zimmer, wo sie ihn allein stehen ließ.

Es war kein sonderlich ruhiges Gesicht, aber doch immer noch ein Gesicht fest und entschieden genug, das sie den kritischen Äußerungen der Tante Dorcas entgegenstellte, als sie wieder hinauf kam.

»Die Sache ist ernster, als ich gedacht habe,« sagte sie – »die Kinder haben Scharlachfieber, Tantchen – wir müssen uns auf ein hartes Stück Arbeit gefaßt machen.«


 << zurück weiter >>