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Der Chauffeur fühlte sich besser. Wir stiegen ins Gebirge. An Troglodytenstätten ging die Fahrt vorüber, Füchse flohen in die Höhlengänge, grosse Schildkröten krochen über unsern Weg, manchmal verdunkelte ein Flug von vielen hundert Störchen das Gelände; das durch die Luft ziehende Geschwader sauste. Immer grösser wurde die Landschaft; wir fuhren jetzt auf einem Kamm, der eine Hochebene in zwei Teile trennte. Nach beiden Seiten sah man unbegrenzte Gebirgszüge, weite Täler, namenlose Ströme, in der Ferne die Schneegipfel des Taurus und über diesem gewaltigen in den Farben eines dunkeln Eisenschildes leuchtenden Festlande schwebten vier Adler, jeder allein in seinem unermesslichen Revier.
«Das ist Anatolien,» sagte Irfan, «das schönste Land der Welt, frei, kühn und nichts von mühsam gepflegtem Wachstum und neidischem Treiben und Überlisten, ein Land für Reiter und Herrscher, hervorzubrechen daraus in die fruchtbaren reichen Gefilde der andern und zurückzukehren in diese Weite ohne Namen, Gesetz und alte grämliche Kunde.» Er sah mit kühnem Blick vor sich hin, unablässig schaute er mit Liebe den Umriss der kahlen Berge entlang, von Zeit zu Zeit zeigte er mir wieder einen Adler dessen Gefieder, weit in der hohen Luft gebreitet, bisweilen von der Sonne getroffen, in rotem Glanz aufleuchtete. «Heute verbringen wir die Nacht in einem mohammedanischen Kloster», warf er nachlässig hin.
Um fünf Uhr nachmittags sahen wir auf etwa vierhundert Meter Entfernung eine geschlossene Reiterformation auftauchen und rasch auf uns zu galoppieren. «Die Eskorte die uns der Gouverneur entgegenschickt», rief Lukri. In der Tat parierte gleich darauf eine halbe Eskadron, der Offizier meldete sich, indem er mit gezogenem Säbel grüsste. Nach einer weitern halben Stunde Fahrt – die Reiter ritten zu unsern beiden Seiten – wurden wir einer unbeweglichen Gruppe von Wagen und Reitern gewahr, die auf einer Hügelkuppe in der Richtung unserer Fahrt uns erwarteten. Es waren zwei Mönche mit ihrem Gefolge. In schönbespanntem Wagen standen sie aufrecht – beides Greise, der eine im braunen Kaftan und weissen Turban, sehr gross, dunkel wie Kupfer, mit einem Ausdruck von gesättigter Wildheit, aus der die Leidenschaft jederzeit noch mächtig hervorzubrechen imstande ist; der andere, weissbärtige, wohl achtzigjährige in grüne Seide gekleidet, gütig, mit heiterer Nachdenklichkeit. Der Dunkle, Mächtige, ist der Ordensmeister aller Bektaschjiorden, der Nachkomme Hadji Bektaschs des Gründers; der andre aber, der Weissbärtige, ist der Hüter des Grabes. Sie stiegen aus, wir gingen ihnen auf einige Schritte entgegen und wir tauschten den Gruss. «Heiligkeit» sagten die Türken in der Anrede dem Meister.
Der Hauptmann und ich setzten uns in die Wagen zu den beiden Greisen; die hoch im Blut stehenden Schimmel piafften in den Strängen; der Ordensmeister gab ein Zeichen mit der Hand und wir fuhren in rascher Gangart über den Kamm dahin; die berittene Dienerschaft umkreiste uns im Galopp, die militärische Bedeckung folgte, zuletzt kam der Berlietwagen. Wir gelangten einen Absturz hinunter, auf einer stark gezimmerten Bretterbrücke über einen Graben und jenseits hinauf auf einen runden Hügel der dem Kamme entsteigt. Als Gürtel trägt der Hügel eine enggebaute türkische Stadt, als Krönung das aus weissem Marmor gefügte Kloster. Die Bevölkerung, Greise, Weiber und Kinder standen auf der Stadtmauer, sie betrachteten stillschweigend unser Herannahen. Wie wir in die Strassen einfuhren liefen die Kinder uns nach und neigten sich tief vor den Würdenträgern. Wir fuhren durch ein breites Eingangtor des Klosters und durch drei Höfe; im mittleren Hof sah man hinter vergitterten Fenstern die dunkeln, neugierigen Augen der gefangenen Frauen. Eine breite Marmortreppe führte in einen hohen, mit Scharlach ausgeschlagenen Saal. Kissen liefen die Wände entlang, auf erhöhten Polstern nahmen der Nachkomme und der Grabhüter Platz. Wir setzten uns neben sie. Die türkischen Gäste und Mönche kauerten uns gegenüber. Gelb gekleidete Diener kamen mit silbernen Becken und Kannen, man wusch sich der Sitte gemäss, mit in Rosenwasser getauchten Tüchern trocknete man sich. Die Nargilehpfeifen wurden gebracht, in schönen Bechern kreiste Raki. Der Meister begrüsste uns nochmals in längerer Rede, wir antworteten ihm. Dann kam der Stallmeister und meldete, dass die Pferde bereit seien, um uns in die Gärten der Mönche zu bringen.
Im frischen Wind galoppierten wir von einer grossen Eskorte gefolgt wieder in der Richtung unserer Fahrt auf dem mittleren Rücken der Hochebene. Am Ende des Rittes hielten wir dort, wo der Kamm und die beiden Hochebenen in drei vereinigte, weite Täler abfallen. Diese ganze Senkung des Geländes ist begleitet von unendlich sich aneinanderreihenden Gärten; voll von Quellen und Weihern sind sie, sie bergen uralte Steineichen-, Eschen- und Ahornwälder und in den Wäldern die Kioske die im Sommer von den Frauen bewohnt sind. Saitenspiel, traurige, östliche Lieder tönten von ferne her, Gesang unzähliger Vögel mischte sich darein, und überall klangen auf den umschatteten, weichen Triften und den weithin gelagerten Terrassen die versteckten und die in breiten Becken versammelten, zum tiefen Tale fliessenden Brunnen. Am Rande eines von Treppenstufen eingefassten Teiches, in das saftige Gras wurden Teppiche gebreitet, unter immergrünen Eichen liessen wir uns nieder, und es wurde uns das Mehze, das Voressen, Oliven, kleine gedörrte Stücke Hammelfleisch auf grossen, glatten Blättern eines Teichgewächses gebracht. Fünf Mönche nahmen an dem Mahle teil, sodann auch zwei Offiziere der Eskorte. Ein Mönch begann, während die rasche Dunkelheit einbrach, während man die schwankenden Laternen in den Ästen der Bäume befestigte, mit leiser Stimme Märchen zu erzählen und Gedichte zu sprechen.
Der Ingenieur schien jung und glücklich zu sein an diesem Abend. Mit seiner ausdrucksvollen Hand zog er langsam schwankende, durchsichtige Grashalme aus dem Boden, er hielt sie vors Licht und legte sie weg, alles sehr nachdenklich; gebannt schaute er in die durchleuchteten Eichenblätter im gewölbten Kreise des Laternenscheins; es schien, als sähe man den grünen, duftenden Saft in ihren Adern kreisen, sie schwankten traumhaft an den Zweigen, die Zweige aber, dunkle Kraft aus den Tiefen spendend, wuchsen korallenrot in ihrem leuchtenden Saum aus dem Schatten heran. Und all dies sah man auch auf dem Spiegel des Teiches, der es trug und leise schwankend verwischte, auch das Bild der grossen, zum Lichte stürzenden Nachtfalter zog über die Schauer der Fläche dahin. Der Ingenieur lauschte in seiner Versunkenheit; lächelnd bald, und bald sehr ernst folgte er dem Gang der Erzählung, manchmal mit einem Neigen des Hauptes das ihm eigen war, ähnlich jener Gebärde die man bisweilen bei Musikern sieht, die vor sich hin spielen, völlig hingegeben an die Melodie. Er wandte sich zu mir, er wies auf den zu Boden schauenden Erzähler, den starken, bärtigen Mann mit dem fragenden Blick, «Wenn Sie nur hören könnten!» sagte er mir. Und dann übersetzte er leise.
«Jetzt, ach! welch ein Jammer, dass Sie nicht verstehen,» sagte er, «jetzt nämlich schreibt sie, sie schreibt auf einem seidenen Blatt, der Morgen ist schon nahe, sie sieht im Geist das Gesicht des Geliebten – so nahe kann sie es sehen! – Er aber, er reitet im Morgengrauen der Schlacht entgegen.» Und wieder begann er zuzuhören, dann nahm er mich lebhaft beim Arm; «jetzt» sagte er, er hielt seine Hand an den Mund, «jetzt sieht er den Feind, die Lanzenspitzen leuchten im Frühlicht, das Schwert des Jünglings dürstet nach dem Nacken der Geharnischten, und die Geier, die heranziehen, beschatten das Schlachtfeld auf dem man kämpfen wird, noch liegt es zwischen dem Jüngling und den Feinden.» Die dunkle, harte Sprache des Mönches tönte immer weiter; flüsternd, voll Freude wandelte sie mir der Ergriffene in die eindeutigen Worte seiner Sprache, so, als hebe er für Augenblicke den Schleier von einem fernen Spiel. Und ich sah das Geschehen vor mir völlig aufgetan, wie er eilig sagte: «Jetzt kommt dann gleich der Kampf! aber sie schreibt noch, sie schreibt ihm mit ihrer schönen Schrift auf dem seidenen Blatt bei der Ampel» … «und das dämmernde Land lag weithin zwischen ihnen, und die Ströme wandelten ihres Wegs, und hier und dort erwachte ein scheues Wild, und einer wurde in der einsamen Hütte munter, die verblassenden Sterne gingen darüber hin, und der Morgenwind bewegte den Vorhang im Zimmer der Schreibenden; dort aber in der Ferne, wo er das Schwert aus der Scheide riss und das Pferd zum Sprunge presste, da erfasste der Wind auch seinen Mantel … Und beide sind sie in Allahs Hand und sie können nicht hinaus aus dem Wandel seiner Dinge, und sie gehören der tiefen Erde auf der sie hausen, den Gestirnen, den Gewässern und dem Zug der bewegten Luft; zwischen ihnen aber, der Schreibenden und ihm, der herumfährt im Feind, wie ein Strahl des Verderbens, zwischen ihnen geht die Sehnsucht, die irdische Tochter des Himmels, die im Herzen der Menschen ihre Heimat sucht.» Und immer weiter sprach er zu mir, innig beglückt. Und immer dichter wob sich das Bild des Geschehens, gleichmässig und klar: wunderbares Widerspiel zwischen der fieberhaften, der gefährlichen, der Phantasie der Erkenntnis, und der andern, der kühnen, der Phantasie der Reinheit. Und während jene Armut und Reichtum der Wirklichkeit im Gegenüberhalten grausam enthüllt, ergreift diese den Sinn und drängt Schuld und Unschuld hinweg, und bedarf der Hoffnung nicht, denn nichts anderes ist sie als die dem Reinen vernehmbare Stimme der Wahrheit. In ihr aber handeln alle ihrem Wesen gemäss und so wie sie berufen sind. Aufblickend von diesem Dahinziehen handelnder Gestalten, wenn der Mönch verstummte, sah der kranke und scheue Begleiter mit seligem Staunen in das heimliche Weben der Bäume, der mächtigen, atmenden Pflanzengebilde, die treu dem Schimmer unserer Lampen gesellt, uns wie lauschend umdrängten, wie Riesen seltsamer Art; aus dem Dunkeln schienen sie hervorzukommen, viele und von ferneher, in wundervoller Ruhe wölbten sich ihre Geäste über unserem erleuchteten Kreis, aber oben, fern in den Kronen, unter dem kühlen Nachthimmel dieser hohen und einsamen Landschaft, waren sie bei sich und dunkel und sie rauschten auf, in ihrer eigensten Art.
Wir ritten zurück. Das Festmahl des Nachkommen erwartete uns. Mit Fackeln standen die Diener und Eunuchen an Tor und Türe. Wir wurden nicht sogleich in den Saal geführt diesmal; rechts von der Treppe betraten wir ein Gewölbe, starker Flammenschein lohte uns entgegen, auf breiten, dunkeln Fliesen wogte er. Wir betraten die mächtige Küche des Klosters: auch gewölbt, aber noch höher als der Vorraum; am Spiesse über starken Feuern brieten Schafe und ein junger Stier. Zwei mächtige Neger, fast nackt, – der eine mit einer Schnur aus roten Steinen um den Muskel des Oberarmes, – standen im flackernden Scheine und wendeten die Spiesse. Es platzte die Haut der fetten Tiere, Saft floss hinunter und die Schwarzen fingen ihn auf in grossen Gefässen und gossen ihn, mit Salz vermischt, wieder über die mit brauner Kruste sich bedeckenden Lendenstücke, Schlegel und Rücken. Und dann führte uns der behende, immer lachende Majordomus, ein grosser, fester Mann von fünfzig Jahren mit rotem Gesicht; er rieb die Hände wie ein behäbiger Wirt der Heimat; durch einen steinernen Gang ging er voraus, zwei Stufen hinunter, dann sprang eine Türe auf und der hellerleuchtete Saal, den wir betraten, dampfte schon von Speisen; silberne, goldene Geschirre, mattes Metall, standen mit Hühnern, Tauben, Wild, Gemüsen, Honig, Früchten und Bäckereien gefüllt zwischen den Kandelabern auf dem niedrigen langen Tisch um den die Kissen liefen; Joghurt in grossen Schüsseln wurde hereingetragen, Raki in Kannen, Rosen waren zerstreut auf dem Boden, auf dem Tisch und den Kissen. Die Diener kamen und gingen, die Mönche neigten sich, da wir eintraten, mit verschränkten Armen, dann aber betraten der Nachkomme und der weissbärtige, grüngekleidete Grabhüter mit ihrem Gefolge das Gemach; alles erhob sich und verstummte; der Meister aber lud zum Sitzen ein und begrüsste uns nochmals mit würdigen Worten, er pries unsere Heimat, die er nicht kannte, den Reichtum der Welt, der immer wieder sich erneuert, immer neue Formen schafft, die Kunst, ihre alten Gesetze, und die Freude des Daseins, die sein Orden pflege und hoch halte von einem Geschlecht zum andern. Und wir erwiderten ihm; in der Sprache aber des Ingenieurs, der in heiterer und freier Weise vortrat und fliessend redete an diesem Abend, hatte unser Dank den Wortlaut, den Irfan mir wiedergab. So sagte er: «So lange die Berge dauern auf denen die Burg der Brüder des heitern und frommen Lebens steht, mögen die Karawanen reisen, die über die Erde das Treffliche führen das von Menschen erdacht wird. So lange unter der Sonne Worte der Gastfreundschaft in edelm Sinne getauscht werden, mögen die Kämpfe und bittern Fehden, Entbehrungen und Unrecht nicht den Sinn verdunkeln für die wohlgefälligen Werke die dem edlen Maasse und der kunstvollen Lehre krafterfüllt gehorchen, den Werken, die das Wesen der Harmonie besitzen und somit grosse Heilkraft üben. Der Gruss, den der Beherrscher so vieler Frommer aus weisem Munde uns gespendet hat, ist uns das wahre Zeichen für eine mächtige, die Welt umspannende Gemeinschaft, die über den Wandel des Tages hinweg das Ferne und das Nahe zu binden, das Vortreffliche zu wahren und das Niedrige zu schlagen vermag. Wir entbieten dem Meister und auch dem ehrwürdigen Hüter des Grabes das Geschenk unseres dankbaren Sinnes, die Stetigkeit unseres Gedenkens und unser Lob in allen nahen und fernen Ländern durch die das Geheiss unserer Reise uns führen wird.» So redete er. Sodann liefen die Diener und das Mahl begann.
Zuerst mit Zurückhaltung, ruhig und mit erbaulichen Reden wurde das Übermaass der Speisen verteilt und belobt, immer neue dampfende Gerichte wurden hereingetragen, der Raki füllte die Becher wasserklar, die Lampen und die Kerzen in den Kandelabern brannten dunkel und rauchten im Luftzug des Kommens und Gehns, an den Mauern zogen die Schatten der tafelnden Mönche; dumpf, in trüber Folge der Töne, klang aus dem Nebenraum ein Preisgesang zum Saitenspiel, geisterhaft griff er ans Herz. Den Mönchen aber erschienen die Töne fröhlich, und wie nun der Meister und der Hüter sich erhoben, uns die Nachtruhe gewünscht und uns verlassen hatten, nach einer kurzen Stille begann das Fest nun wirklich und derb. Zwei Gefrässige sassen mir gegenüber, ein gelbhäutiger Kleiner im Spitzbart und ein listiger Brauner, die stritten sich um eine Hammelkeule; sie lachten, stiessen an den Kandelaber, der schwankte; das Lachen ergriff auch die Gäste, Bassgelächter rauschte auf, es tönte wider vom Gewölbe, doch gleich ward wieder Ruhe, keiner vergass sich; heitere, sinnliche Ruhe war auf allen Gesichtern, in den Bärten ein gemächliches Leuchten, und alle genossen das Mahl, die saftige Fülle, die Lichter, die wohlerwogenen Worte und die Spässe die sie tauschten; und wenn die Beiden, der Braune und der Spitzbärtige mit einem täppischen Scherz bisweilen die Genossen aufscheuchten, so blieben sie stets in den Grenzen eines munteren Gebärdespiels und scheinbar in ihren gewohnten Rollen. Irfan aber glänzte auf erhöhtem Kissen, alle drängten sich um ihn, hielten ihm ihre Gesichter entgegen mit fordernder Neugier. Und jedem gab er etwas, er verteilte, wie ein König sein Reich verteilt, die Züge seiner eitlen Geschichten, dem einen Zug und jenem das Heben der Brauen und dem das halbe Lächeln. Die alten Klosterbrüder drängten mit angehaltenem Atem auf ihn zu und im Gelächter schlug es sie zurück im Kreise. Und einer stand auf, ein fetter Kleiner, der vor Lachen keinen Atem mehr hatte, er hielt sich mit einer Hand am Gürtel, mit der andern winkte er ab; man möge ihn begnadigen, bat er, er wollte auch etwas erzählen, er setzte an, das Lachen zerschlug ihm die Rede, zweimal, dreimal versuchte er, beim vierten Male gelang es ihm; es war als stiegen alle in die Höhe vor der Gewalt des Spasses und dann stürzten sie zurückgeschmettert in sich zusammen und heulten auf den Kissen; Lukri trommelte mit den Fäusten und bellte wie ein Hirtenhund. Der Hauptmann aber rauchte betrachtend seine Pfeife, er trank mir freundlich zu und er meinte vergnügt: «Unsere Sachen stehen gut, wenn sich die Reise so anlässt.» – Der Ingenieur dagegen schwieg, er starrte vor sich hin, er hielt sein Glas zwischen den Fingern, schaukelte es befremdlich und dem Zeitmaass des rauschenden Mahles völlig entgegen. Wieder schüttelte er das Haupt, da ich ihn anschaute, mit seinem matten, um Verzeihung bittenden Kinderlächeln, dann trank er hastig, füllte rasch das Glas und trank nochmals und nochmals. Er wandte sich zu mir, schaute mich von unten an und sagte mit dieser Weichheit, die einen rührte und ärgerte zugleich: «Das ist nicht schön, das ist nicht gut nach dem Garten und seinem Traum.» Ihm, dem vom Trunk Zerstörten waren die Starken, die unberührt sich herumschlugen in gefahrlos heiterer Völlerei sehr fern und unverständlich, wie dem Schwerverwundeten die Kämpfer, die im Lichte vor ihm noch schreiend streiten, dieweil er schon den Schauer des andern Landes spürt. Er sprach gesteigert, die Worte stürzten ihm über die Lippen: «So war ich nie,» sagte er mir, «an mich kam es ganz anders heran, nicht abschütteln konnte ich es im Gelächter, in der Angst beschlich es mich, in der Qual der Nächte, da sie beim andern mich verlachte; am Tage, wenn die Schönheit mich verliess, und Grauen in hundert Gesichtern, hässlichen Fratzen und Fragen herandrängte, die bösen Geräusche, die fahlen Farben und der modrige Geschmack mich umgaben, die tierischen Spiele der rohen Weiber, der falsche Biedersinn der Männer, die hohen Worte für üble Taten, und dieses schlafende Böse auf dem Grund jenes Herzens für das wir vergehn, dies das Schrecklichste, stets bereit uns zu verraten und zu zerreissen, ob wir sie trippeln sehn und Mienen machend, ob sie den samtenen Schein der sanften Augen zeigen, oder die Lichter aufwerfen ihrer Fröhlichkeit: ich hatte nie die Kraft, dies zum Guten zu wenden, mich verzehrte es, nie fand ich den Schlüssel es zu verschliessen in der Kammer ihres Vertrauens. Sie vertrauten mir nicht, sie glaubten mir nicht, und so gewann mich dies», sagte er. Dann plötzlich legte er den Kopf auf die Arme; er weinte nicht, er zitterte nur und fiel sodann zusammen; er regte sich nicht mehr. Der Hauptmann erschrak, Irfan sprang auf, wir schüttelten ihn – er rührte sich nicht; die Mönche schauten erstaunt, manche waren schon verstohlen zu den Frauen gegangen; wir schütteten ihm Wasser in den Nacken, er schrie auf, erhob sich schwankend, schlug durch die Luft, rief jemand den er sah, geriet in Zorn, schüttelte die Fäuste, dann aber plötzlich schaute er erloschen und mit Grausen in die Runde und er liess sich zu seinem Lager führen ohne ein Wort der Widerrede.
Ein Eunuche bewachte das Zimmer in dem ich schlafen sollte, ein Neger; er sass auf meiner Schwelle, wie eine durchsichtige Maske hing es über seinem feisten, jungen Gesicht, das Gesicht eines Greises. Er war grässlich anzusehn, wie er niederkauerte und traurig grinste. «Du bist ein Mensch» sagte ich ihm in deutscher Sprache, – er verstand meine Worte nicht, jedoch er antwortete: «Ewett Effendi!» «ja Herr» – «und du bist ärmer als ein Tier» sagte ich noch vor mich hin, wie ich das Licht löschte. – «Ja Herr» erwiderte er im Dunkel. Schon nach einer Stunde weckte er mich wieder auf. Es war halb drei Uhr morgens, ich wollte ihn schelten, doch Irfan kam herein, fertig angezogen schon. «Seien Sie nicht ungehalten» bat er, «die Sitte des Klosters verlangt es, dass wir jetzt die Gastfreundschaft des Grabhüters empfangen; am Abend waren wir die Gäste des Ordensmeisters; wir müssen noch in den Morgenstunden weiterfahren, damit wir vor Abend am Ziel sind.»
Der Ingenieur war krank, wir mussten ihn lassen; wir stiegen die Treppen hinunter, der Grabhüter trat uns mit seinem Gefolge ernst entgegen. Wie wir durch den Hof gingen spürte man, dass die Nacht zur Neige gehe und Morgenluft war nahe, jedoch noch schritten wir zwischen Fackeln durch tiefes Dunkel. Und nun betraten wir das Grabgewölbe. Der Raum war ausgespannt mit schwarzer Seide von silbernen und blauen Streifen durchzogen, die breit auf dem hohen Sarge zusammenlaufend nach der Kuppel zu sich verjüngten. Es roch nach uraltem Staub und Lampenöl. Unhörbar waren die Schritte, auf den Teppichen, in den Stoffen gedämpft, und leise die gesprochenen Worte. Der Sarg mit dem hohen weissen Turban des Heiligen stand dunkel und mächtig zwischen den Särgen der Frauen. Nie waren wir so fern gewesen von der unheilvollen Zeit, die als Gegenwart in unserer Heimat gilt. Wie in einem dieser unterirdischen Reiche der Sage waren wir, wo der Sinn für Irrtum und Kampf der im Lichte sich Treibenden zu reinem schuldlosem Unverstande wird. Unvergesslich aber ist mir, wie nun dies Tor des Heiligtums geöffnet wurde: – Unendliches Morgenlicht strömte hinein und wie wir hinaus auf die breiten Terrassen traten, strahlte die Helle des östlichen Himmels; in der Kühle solch früher Stunden strich die Luft belebend, stark und erfrischend in den Atem; heiter war der Anblick und heiter das Fest, das der Greis uns gab. Die Teppiche auf den Fliesen der Terrasse leuchteten in hellen Farben, die Rosen in den matten Schalen auf den niedern Tischen dufteten stark. Der Greis, unser Gastgeber, sprach allein, er erzählte Irfan die Geschichte des Ordens von Hadji-Bektasch. Er sprach von den vier Stufen, von den Verehrern Allahs, von denen die den Gesetzen nacheifern, von den Wissenden, und von den Höchsten, den Sufis, den Liebenden. Und dann fuhr er fort: «Wie sich der Ruf» sagte er, «von den Wundern des heiligen Bektasch über die Erde verbreitete und aus allen Gegenden zahlreiche Wallfahrer kamen, da ordnete der mit magischen Kräften begabte Sejjid Mahmud Hajran dreihundert nackte Derwische und brach mit diesen gegen Bektasch auf, er ritt an der Spitze seiner Schar auf einem Löwen, und er peitschte die Flanken seines grimmigen Renners mit einer schwarzen Schlange. Bektasch aber ward dies im Geiste kund. Er berief seine Getreuen und sprach zu ihnen: ‹Derwische, zu uns kommt ein gewaltiger Wundertäter, der den Löwen als Reittier und die Schlange als Peitsche gebraucht, er weiss nicht, dass es ein Geringes ist Tiere zu bändigen. Die wahre Kraft aber zeigt sich dort, wo das Leblose lebendig, das Starre beweglich, das Unbeseelte gefügig wird.› Und wie er dies sagte, bestieg er einen roten Monolithen und mit den Worten: ‹Brich auf in Allahs Namen!› liess er ihn wandern; und mit Festigkeit zog er dem grossmächtigen Sejjid Mahmud entgegen.»
So vergingen uns die frühen Stunden des Morgens. In der Ferne an einer blinkenden Furt sah man das Wild zur Tränke gehn, unendlich weit auf den Wellen fliehender Hügel stieg der Rauch von Hirtenfeuern, bisweilen erglänzte ein Tautropfen in den Kelchen der nachts gepflückten Blumen. Wir lauschten der Rede des Alten und Irfans und wir schlürften Milch aus den silbernen Schalen. Dann zogen wir weiter eine Tagesreise lang; wir kampierten abends am Feuer, am nächsten Morgen in der Früh erreichten wir Caesarea.
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