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Der Vorhang ist gefallen. Seht Euch zurecht, meine lieber Zuschauer, und plaudert mit einander. Meine verehrte Dame in der Loge, nehmen Sie Ihr Opernglas zur Hand, und sehen Sie sich um. Gib doch Tom und der hübschen Sally einige von jenen schönen Orangen, Du glücklich aussehende Mutter in der Zweischilling-Gallerie! Ja, Ihr braven Lehrjungen in der obersten Reihe – die Pfeife jedenfalls! und Ihr »hochmögende, ernste und verehrungswürdige Herrn« in der Vorderreihe des Parterre's – erfahrene Kritiker und stehende alte Theatergänger, die Ihr die Köpfe schüttelt über neue Schauspieler und Schauspiel-Dichter und, treu dem Glauben Eurer Jugend (wofür Euch alle Achtung gebührt!), die feste Ueberzeugung hegt, wir seien um einen Kopf kleiner, als jene Riesen, unsere Großväter – lacht oder scheltet, so viel Ihr wollt, während der Vorhang die Bühne noch verbirgt. Es ist nicht mehr, als billig, daß Ihr Euch Alle nach Eurer eigenen Weise vergnügt, meine Zuschauer, denn der Zwischenakt ist lang. Alle Schauspieler haben ihre Kostüme zu wechseln; die ganze Coulissenbedienung ist in Thätigkeit, um die Scenerie einer neuen Welt einzuschieben, und unter völliger Mißachtung von Zeit und Ort werdet Ihr auf dem Theaterzettel sehen, daß man Eurem Glauben viel zumuthet. Ihr sollt nämlich annehmen, daß wir um fünf Jahre älter geworden, seitdem Ihr uns zuletzt auf der Bühne gesehen. Fünf Jahre! Der Autor befiehlt uns ausdrücklich, diesem Glauben dadurch zu Hülfe zu kommen, daß wir den Vorhang länger, als gewöhnlich zwischen der Bühne und den Lampen schweben lassen.
Stille jetzt mit der Pfeife, junger Gentleman! Köpfe nieder in dem Parterre! – die Zeit ist um – die Violinen und Pauken schweigen – der Vorhang geht auf – schaut hin!
Eine heitere, klare, durchsichtige Atmosphäre – heiter und glänzend, wie die Atmosphäre des Ostens, aber kräftig und stärkend, wie die Luft des Nordens. Ein breiter, schöner Fluß zieht sich durch weite, grasige Ebenen; in weiter Ferne dehnen sich endlose Wälder aus, und sanfte Anhöhen unterbrechen die Linie des wolkenlosen Horizontes. Und dort jene Waiden, arkadisch mit Schafen zu Hunderten und Tausenden besät – Thyrsis und Menalcas Siehe Anm. 340. würden Mühe gehabt haben, sie zu zählen, und wenig Zeit, fürchte ich, Lieder auf Daphne Bergnymphe der griechischen Mythologie; beliebte Figur in der bukolischen Literatur (›Schäferpoesie‹); noch Richard Strauss hat im 20. Jh. eine ›Bukolische Tragödie‹ dieses Titels zur Oper gestaltet. zu singen. Aber ach! die Daphnen sind selten; keine Nymphen mit Blumengewinden und Schäferstäben eilen leichten Fußes über jene Triften hin.
Wendet Eure Augen nach rechts in die Nähe des Flusses, nur durch eine niedrige Umzäunung von den etlichen und dreißig Morgen Landes getrennt, welche zum Vergnügen oder zur Bequemlichkeit, nicht aber um des Gewinnes willen – diesen ziehen wir aus den Schafen – angebaut sind, erblickt Ihr einen Garten. Seht nicht so verächtlich auf diese Anfänge der Gartenkunst herab – solche Gärten sind selten in dem Busch. Ich zweifle, ob jener stolze König sich seines berühmten Gewächshauses mehr erfreute, als die Söhne des Buschlandes ihrer Gräser und Blüthen, welche sie aus dem alten Vaterland hierher verpflanzt haben. Und nun betrachtet Euch den Palast der Patriarchen – ich gebe zu, er ist nur von Holz, allein das Haus, das wir mit eigenen Händen errichten, ist stets ein Palast. Hast Du Dir je eines gebaut, da Du noch ein Knabe warst? Und die Herren dieses Palastes sind auch die Herren des Landes beinahe so weit, als das Auge sieht, und die Eigenthümer jener zahllosen Heerden; und, was noch besser ist, sie sind im Besitze einer Gesundheit, um welche ein Antediluvianer sie hätte beneiden können, und das Rumoren der wilden Pferde, das Viehtreiben und die Kämpfe auf Leben und Tod mit den wilden Schwarzen haben ihre Nerven so gestählt, daß, wenn je eine Leidenschaft die Brust dieser Könige von Buschland quält, sicherlich die Furcht wenigstens aus der Liste gestrichen ist.
Rohe Hütten erheben sich da und dort in der Landschaft, kunstlos, wie die Herrenwohnung. Wilde und ungestüme Geister wohnen darin, aber sie sind gezähmt und in Ordnung gehalten durch Ueberfluß und Hoffnung – durch die Hand, die zwar offen, aber fest, durch das Auge, das scharf, aber gerecht ist.
Aus jenen Wäldern, über die grünem wallenden Ebenen jagt mit langen, wildfliegenden Haaren und bärtig, wie ein Türke oder ein Pardel, ein Reiter daher, den Ihr kennt. Er steigt ab, und ein anderer alter Bekannter, der eben mit einem Schäfer über Dinge gesprochen, die Tyhrsis und Menalcas wohl nie gequält haben, da deren Schafe nichts von Klauenseuche und Raude Laut Adelung »die rauhe Haut, besonders über einer eiternden oder nässenden Wunde; […] auch der Schorf«. Das originale englische Wort scab bedeutet jedoch auch »Krätze« (oder »Räude«), was in diesem Zusammenhang den Sinn eher trifft. gewußt zu haben schienen Spielt an auf die Realitätsentrücktheit der Schäferidyllik jener bukolischen Literatur, die, aus der Antike kommend, im Barock wieder auflebte und im Rokoko immer verspielter wurde., wendet sich zu dem Reiter und redet ihn an.
Pisistratus. – »Mein bester Guy, wo in aller Welt bist Du gewesen?«
Guy (triumphirend ein Buch aus der Tasche ziehend). – »Hier! Dr. Johnsons Siehe Anm. 178. Sein Werk The Lives of the Most Eminent English Poets erschien 1779-1781. Leben der Dichter. Ich konnte den Squatter Jemand, der sich ohne Rechtstitel auf unbebautem Land ansiedelt. nicht dazu bewegen, mir Kenilworth Shakespeare-Roman von Walter Scott. zu überlassen obwohl ich ihm drei Schafe dafür bot. Vermuthlich ein langweiliger alter Bursche, dieser Dr. Johnson! Desto besser, um so länger lese ich daran. Und hier ist auch eine Zeitung aus Sidney, nur zwei Monate alt!« (Guy nimmt eine kurze Pfeife, die in seinem Hutbande gesteckt hat, herunter, stopft sie und zündet sie an.)
Pisistratus. – »Du mußt zum wenigsten dreißig Meilen weit geritten sein. Wer hätte geglaubt, daß aus Dir noch ein Bücherjäger werden könnte, Guy!«
Guy Bolding (philosophisch). – »Man erkennt den Werth einer Sache nicht eher, als bis man sie verloren hat. Du brauchst indeß nicht über mich zu spotten, alter Junge; erklärtest Du doch auch, die Bücher seien Dir zum Sterben entleidet, bis Du fandest, wie lang die Abende waren ohne sie. Dann das erste neue Buch, das wir bekamen – ein alter Band des Spectator! – das war lustig!«
Pisistratus. – »Ganz richtig. Die braune Kuh hat während Deiner Abwesenheit gekalbt. Weißt Du, Guy, daß ich glaube, wir werden dieses Jahr keine Raude unter unsern Schafen haben? Und wenn dem so ist, so können wir eine schöne Summe zurücklegen! Unsere Geschäfte gehen recht gut jetzt, Guy.«
Guy Bolding. – »Ja; sehr verschieden von den ersten zwei Jahren. Damals machtest Du ein langes Gesicht. Wie klug war es von Dir, darauf zu bestehen, daß wir zuerst auf der Station eines Andern Erfahrung lernen sollten, ehe wir unser eigenes Kapital auf's Spiel setzten. Aber, beim Jupiter, diese Schafe waren zu Anfang hinreichend, einen ehrlichen Mann um den Verstand zu bringen! Zuerst die wilden Hunde, nachdem die Schafe eben gewaschen worden und geschoren werden sollten; und dann das verwünschte schäbige Schaf des Joe Times, welches so wohlgefällig seine Seiten an unsern arglosen armen Schafmüttern rieb. Ich wundere mich noch heute, daß wir nicht durchgingen. Doch, › patientia fit‹ Horaz, Carmina 1, 24, 19 f.: Levius fit patientia, quidquid corrigere est nefas. (Leichter wird durch Geduld, was zu tadeln Frevel ist.) – wie heißt jene Stelle im Horaz? Doch gleichviel. ›Es ist eine lange, schmale Gasse, die keine Krümmung hat,‹ Englische Redewendung: It is a long lane that has no turning. Im Deutschen etwa: »Alles hat einmal ein Ende.« paßt eben so gut, als was Horaz oder Virgil gesagt haben mögen. – Ist Vivian nicht hier gewesen?«
Pisistratus. – Nein; aber er wird ohne Zweifel heute kommen.«
Guy Bolding. – »Er hat bei weitem das beste Theil. Pferde- und Viehzucht treiben; diesen wilden Teufeln nachgaloppiren; in einem Wald von Hörnern sich verlieren; brüllende Bestien, die rennen und stoßen gleich wilden Büffeln; Pferde, die bergauf, bergab, über Felsen, Steine und Baumstämme dahinjagen; das Knallen der Peitschen, das Schreien der Männer – jeden Augenblick gewärtig, den Hals zu brechen oder von einem wüthenden Stier auf die Hörner genommen zu werden! Das ist lustig! Nach einer Stierjagd oder einer Viehhetze ist die Schafhut eine langweilige Sache.«
Pisistratus. – »Jeder nach seinem Geschmack. Wer abenteuerlustig ist, mag sich allerdings sein Geld leichter und angenehmer im bukolischen Departement erwerben; wer aber bei sorgfältiger Behandlung Glück mit seinen Schafen hat, wird größeren Gewinn erzielen und schneller zu einem Vermögen kommen. Und ich denke, unser Hauptzweck ist, so bald, wie möglich nach England zurückzukehren.«
Guy Bolding. – »Hm! Ich wäre zufrieden, in dem Busch zu leben und zu sterben – ich wüßte mir in der That nichts Besseres – wenn nur das schöne Geschlecht nicht so spärlich vertreten wäre. Zu Hause welch' ein Ueberfluß an jungen und alten Jungfern, und hier ist auf zwölf Stunden Wegs nicht eine einzige zu sehen, Bet Goggins ausgenommen, die nur ein Auge hat. Um jedoch auf Vivian zurückzukommen – warum sollte uns mehr daran liegen, als ihm, so bald wie möglich wieder nach England zurückzukehren?«
Pisistratus. – »Nicht mehr allerdings. Aber Du hast gesehen, daß er einer aufregenderen Beschäftigung bedurfte, als diejenige, welche unsere Schafe uns bieten. Du weißt, daß er kleinmüthig und niedergeschlagen zu werden begann, als eben die Vieh-Station feil wurde. Dazu kamen noch die Durhamer Stiere und die Yorkshirer Pferde, welche Mr. Trevanion Dir und mir zum Geschenk heraussandte, so daß ich der Versuchung nicht widerstehen konnte, der ersten Spekulation eine zweite hinzuzufügen; und da einer von uns für das bukolische Departement nöthig war, und zwei hier bleiben mußten, so dachte ich, Vivian dürfte für das erstere am besten passen. Und bis jetzt haben wir gewiß noch keine Ursache gehabt, diese Wahl zu bereuen.«
Guy Bolding. – »Nun allerdings. Vivian ist ganz in seinem Element – stets in Thätigkeit und stets in Kommando. Laß ihn nur in allem den Ersten sein, so gibt es keinen hübscheren Jungen und angenehmeren Kameraden – gegenwärtige Gesellschaft ausgenommen. Ha! ich höre die Hunde und das Knallen der Peitsche; da ist er. Und nun, denke ich, könnten wir zu Tische gehen.«
Vivian tritt auf.
Seine Gestalt ist athletischer geworden; sein Auge, nicht mehr unstet, wie früher, blickt Einem fest in's Gesicht. Sein Lächeln ist offener, allein es liegt ein schwermüthiger, beinahe düsterer Ausdruck in seinen Zügen. Er trägt denselben Anzug, wie Pisistratus und Guy – weiße Jacke und Beinkleider, ein lose geknüpftes Halstuch von ziemlich bunter Farbe und einen breiten Kohlblatthut. Sein Bart ist sorgfältig gepflegt, sorgfältiger, als Guy und Pisistratus von den ihrigen rühmen können. In der Hand hält er eine große Peitsche, und über seiner Schulter hängt ein Gewehr. Es werden Begrüßungen gewechselt und gegenseitige Erkundigungen in Betreff des Viehs, der Schafe und des letzten nach dem indischen Markte abgegangenen Pferdetransports eingezogen; Guy zeigt das Leben der Dichter; Vivian frägt, ob es nicht möglich sei, eine Biographie von Clive Robert Clive (1725-1774), der Eroberer Bengalens, war ein britischer General und Staatsmann; begründete die britische Machtposition in Indien ( Clive of India). oder Napoleon, oder ein Exemplar des Plutarch Antiker griechischer Schriftsteller (um 45-125); verfasste zahlreiche biographische und philosophische Schriften, von denen die »Parallelbiographien« besonders berühmt wurden, in denen er je einander entsprechende Persönlichkeiten aus der römischen und der griechischen Geschichte einander gegenüber stellt. zu bekommen. Guy schüttelt den Kopf und meint, wenn ein Robinson Crusoe die gleichen Dienste leisten könnte, so habe er ein sehr abgegriffenes Exemplar desselben gesehen, aber keinen Handel abschließen können, weil man sich zu sehr darum gerissen habe.
Die Gesellschaft begibt sich in die Hütte. Junggesellen sind in allen Ländern beklagenswerthe Geschöpfe, am beklagenswerthesten aber im Buschland. In der alten Welt, wo die Frauen zur Tagesordnung gehören, weiß ein Mann gar nicht, welchen Schatz er an einer dem zarteren Geschlechte angehörigen Gehülfin besitzt. In dem Busch aber ist das Weib buchstäblich Bein von Deinen Bein, Fleisch von Deinem Fleisch – Deine bessere Hälfte. Dein hülfreicher Engel, Deine Eva des Paradieses – kurz alles, was die Dichter sagen oder junge Redner uns sagen, wenn sie aufgefordert werden, einen Toast auf »die Frauen« auszubringen.
Wir drei Junggesellen sind übrigens besser daran, als die meisten unserer Leidensbrüder in dem Busch, denn die Frau des Schäfers, den ich von Cumberland mitnahm, erweist mir und Bolding die Ehre, in unserer Hütte zu wohnen und für unsere Behaglichkeit und Bequemlichkeit zu sorgen. Sie hat, seitdem wir in dem Busch leben, einige Kinder bekommen, und ein Flügel wurde um dieses Zuwachses der Familie willen an unsere Hütte angebaut. In England würden die Kinder ohne Zweifel für eine klägliche Last gelten; wenn man aber von Sonnenaufgang bis zum Niedergang von großen, bärtigen Männern umgeben ist, so liegt selbst in dem Schreien des Säuglings etwas Humanisirendes, Musikalisches, ich möchte sagen, Christliches. Da ist der Kleine – Gott segne ihn!
Was meine übrigen Begleiter aus Cumberland betrifft, so hat mich Miles Square, der strebsamste von Allen, schon längst verlassen und befindet sich etwa zweihundert Meilen von uns entfernt als Oberaufseher bei einem großen Schäfereibesitzer. Will Peterson aber ist Vivians Obergehülfe auf der Viehstation und findet hin und wieder Zeit, seiner alten Jagdliebhaberei auf Kosten von Papageien, schwarzen Kakaduen, Tauben und Känguruhen nachzuhängen.
Der Schäfer bleibt bei uns – dem ehrlichen Burschen scheint nicht viel daran gelegen, sich zu verbessern; er bewahrt das alte Gefühl der Clanschaft, welches bei ihm den in Australien so gewöhnlichen Ehrgeiz niederhält. Und sein Weib – welch' ein Kleinod! Der bloße Anblick ihres glatten, lächelnden Frauengesichtes, wenn wir Abends heimkehren sogar der Faltenwurf ihres Kleides, wenn sie die »Dampers« Ein Damper ist ein Kuchen aus Mehl ohne Hefe, der in der Asche gebacken wird. [ Anm.d.Verf.] in der Asche umkehrt und den Theetopf füllt, hat in unsern Augen etwas Heiliges und Engelgleiches. Wie gut, daß unser Cumberländer Freund nicht eifersüchtig ist! Nicht, daß er irgendwie Grund dazu hätte, so beneidenswerth der Schelm auch ist; allein wo die Desdemonen so selten sind, kann man sich etwa denken, wie grün die Augen ihrer Othello's Desdemona – Othello – Cassio: Figuren aus dem Eifersuchtsdrama »Othello« von Shakespeare. in der Regel sein mögen! Treffliche Ehemänner allerdings – auf der ganzen Welt keine besseren; aber man thut wohl, sich zweimal zu bedenken, ehe man im Buschland den Cassio zu spielen versucht!
Doch, da ist sie, das liebe Geschöpf! – rasselt unter Messern und Gabeln, glättet das Tischtuch, setzt das Pökelfleisch auf und jenen seltenen Luxus der Pickles (es ist der letzte Topf in unserer Vorrathskammer!), nebst den Produkten unseres Gartens und Hühnerhofs, deren sich nur wenige Buschmänner rühmen können. Auch die Dampers fehlen nicht, und jeder Tischgenosse erhält seine Kanne mit Thee – aber keinen Wein, kein Bier, keinen Branntwein, welche Genüsse der Scheerzeit allein vorbehalten sind.
Wir haben eben unser Tischgebet gesprochen (eine Sitte des frommen Mutterlandes, die wir beibehalten), als sich draußen ein bunter Lärm vernehmen läßt. Nahende Fußtritte und das Bellen der Hunde verkünden, daß Gäste angekommen sind – stets eine willkommene Erscheinung im Buschland! Vielleicht ein Viehkäufer, der Vivian sprechen möchte, oder jener verwünschte Squatter, dessen Schafe immer zu den unsrigen herüberlaufen. Gleichviel; ein herzliches Willkommen Jedem – Freund oder Feind. Die Thüre geht auf; ein – zwei – drei Fremde. Mehr Teller und Messer – die Stühle zusammengerückt – eben zu rechter Zeit. Zuerst gegessen, dann – was steht zu Diensten?
Gerade als die Fremden sich niederlassen, erschallt eine Stimme von der Thüre her –
»Gebt mir ganz besonders Acht auf dieses Pferd, junger Mann; führt es ein wenig umher und wascht ihm den Rücken mit Wasser und Salz. Schnallt den Sattelranzen los und gebt ihn mir. O, sicher genug, ohne Zweifel – allein es sind Papiere von Wichtigkeit. Die Wohlfahrt der Colonie hängt von ihnen ab. Mich schaudert bei dem Gedanken, was aus uns Allen werden würde, wenn ihnen ein Unfall zustieße.«
Und wer anders tritt nun herein – in einem Jagdwamms mit vergoldeten Knöpfen, auf denen eine wohlbekannte Devise geprägt ist, das Gesicht von einem Kohlblatthut beschattet und so glatt, wie man es im Busch selten sieht – so glatt, als es ein Rasirmesser nur machen kann; hübsch, zierlich und von ehrenwerthem Aussehen, wie immer – den Sattelranzen im Arm und die Nasenlöcher leicht ausgedehnt, um den Dampf des Mahles einzuathmen – wer anders tritt herein, als Onkel Jack?
Pisistratus (aufspringend). – »Ist es möglich! Du in Australien – Du in dem Busch?«
Onkel Jack, der in dem auf ihn zustürzenden, großen, bärtigen Mann Pisistratus nicht erkannt, weicht erschrocken zurück mit dem Ausruf:
»Wer seid Ihr? habe Euch früher nie gesehen. Herr! Ich vermuthe. Ihr wollt mir sagen, daß ich Euch etwas schuldig sei!«
Pisistratus. – »Onkel Jack!«
Onkel Jack (seinen Sattelranzen fallen lassend). – »Neffe! – dem Himmel sei Dank! Komm in meine Arme!«
Sie umarmen sich. Gegenseitige Vorstellungen – Mr. Vivian und Mr. Bolding auf der einen, Major Mac Blarney, Mr. Bullion und Mr. Emanuel Speck auf der andern Seite. Major Mac Blarney ist ein hübscher, stattlicher Mann, spricht mit einem leichten Dubliner Accent und drückt uns die Hand, als wolle er einen nassen Schwamm ausringen. Mr. Bullion, stolz und zurückhaltend, trägt eine grüne Brille und gibt uns den Zeigefinger. Mr. Emanuel Speck – ungewöhnlich stutzerhaft für den Busch, in einer blauen Atlashalsbinde und einem jener in Deutschland gewöhnlichen Reisehemden, worin sich so viele Taschen befinden, daß Briareus Briareos: einer der drei Hekatoncheiren der griechischen Mythologie; jeder von ihnen hat 50 Köpfe und 100 Hände. alle seine Hände zumal in denselben unterbringen könnte – ist schmächtig und höflich, verbeugt sich lächelnd und setzt sich wieder zum Essen nieder mit der Miene eines Mannes, welcher daran gewöhnt ist, die Hauptsache nicht aus dem Auge zu verlieren.
Onkel Jack (mit vollen Backen). –»Vortreffliches Ochsenfleisch! – selbst gezogen, eh? Langweiliges Geschäft, dieses Viehzüchten! – (Leert den Rest der Pickles auf seinen Teller.) Man muß in der neuen Welt lernen, rasch vorwärts zu kommen, Eisenbahnzeiten dies! Wir können ihm einige Vorschläge machen; eh, Bullion? – (Mir zuflüsternd) Großer Kapitalist, dieser Bullion! Sieh' ihn nur an!«
Mr. Bullion (ernsthaft). – »Einige Vorschläge machen! Wenn er Kapital hat – ganz einverstanden, Mr. Tibbets.« (Sieht sich nach den Pickles um – die grüne Brille bleibt auf Onkel Jack's Teller haften.)
Onkel Jack. – »Diese Colonie braucht weiter nichts, als einige Männer, wie wir, mit Kapital und Unternehmungsgeist. Statt den Armen die Mittel zu geben, daß sie auswandern können, sollte man lieber die Reichen bezahlen, daß sie kommen – eh, Speck?«
Während Onkel Jack sich gegen Mr. Speck wendet, steckt Mr. Bullion seine Gabel in eine eingemachte Zwiebel auf Jack's Teller und verpflanzt sie auf seinen eigenen, wobei er, nicht in Bezug auf die Zwiebel, sondern als eine Wahrheit im Allgemeinen, bemerkt:
»Hier zu Lande, meine Herrn, muß man die Augen immer offen haben und den ersten besten Vortheil benützen! Die Hülfsquellen sind unberechenbar!«
Onkel Jack, dessen Blicke auf seinen Teller zurückkehren und die Zwiebel vermissen, kömmt Mr. Speck in Eroberung der letzten Kartoffel zuvor und bemerkt in demselben philosophischen und generalisirenden Geiste, wie Mr. Bullion:
»Die Hauptsache in diesem Lande besteht darin, stets in der Vorderhand zu sein. Entdeckung und Erfindung, Raschheit und Entschlossenheit! So schiert man seine Schäflein. Bei meinem Leben, unter den Eingebornen hier lernt man traurig gemeine Redensarten! ›So schiert man seine Schäflein!‹ Entsetzlich! Was würde Dein guter Vater dazu sagen? Wie geht es ihm – meinem theuern Austin? Gut? – das freut mich. Und meiner lieben Schwester? Ah, dieser schändliche Peck! – kann sie sich noch immer nicht trösten über den Anti-Kapitalisten, eh? Aber ich werde jetzt alles wieder gut machen. Meine Herrn, die Gläser gefüllt – einen Humpen-Toast –«
Mr. Speck (in geziertem Tone). – »Ich erhebe einen überströmenden Becher – Gläser haben wir keine.«
Onkel Jack. – »Einen Humpen-Toast auf die Gesundheit des künftigen Millionärs, den ich Euch in meinem Neffen und einzigen Erben, Pisistratus Caxton, Esquire, vorstelle. Ja, meine Herren, ich erkläre hier öffentlich vor Euch, daß dieser Gentleman der Erbe alles dessen sein wird, was ich besitze – Freigüter und Pachtgüter, Ländereien und Grubenwerke. Und wenn ich im kühlen Grabe liege – (er nimmt sein Taschentuch heraus) und nichts mehr von dem armen John Tibbets übrig ist, so blickt auf diesen Gentleman und sagt: ›John Tibbets lebt wieder auf!‹«
Mr. Speck (singend):
»›Laßt die Becher klirren!‹ Im Original: Let the bumper-toast go round! – Refrainzeile aus dem alten Trinklied » Here's a Health to All Good Lasses«.«
Guy Bolding. – »Hip, hip, hurrah! – Dreimal drei! Das ist lustig!«
Die Ordnung ist wieder hergestellt, der Tisch abgeräumt, und die Herren zünden ihre Pfeifen an.
Vivian. – »Was gibt es für Nachrichten aus England?«
Mr. Bullion. – In Betreff der Fonds, Herr?«
Mr. Speck. – »Ihr meint wohl eher in Betreff der Eisenbahnen. Es wird dort viel Geld damit gewonnen, Herr; dennoch glaube ich, daß unsere Spekulationen hier –«
Vivian. – »Ich bitte um Verzeihung, daß ich Euch unterbreche; allein die letzten Zeitungen schienen mir eine feindselige Haltung der Franzosen anzudeuten. Keine Aussichten auf einen Krieg?«
Major Mac Blarney. – »Ist es der Krieg, für welchen Ihr Euch interessirt, junger Mann? Wenn mein Einfluß bei der Leibgarde Euch nützlich werden könnte – bei meiner Seele, Ihr würdet einen stolzen Mann aus Major Mac Blarney machen!«
Mr. Bullion (gebieterisch). –»Nein, Herr, wir wollen keinen Krieg; die Kapitalisten von Europa und Australien wollen ihn nicht. Die Rothschilds und einige Andere, die ich nicht nennen will, brauchen nur so zu machen. Herr (Mr. Bullion knöpft seine Taschen zu) – und wir werden es so machen – und was soll alsdann aus Eurem Kriege werden, Herr?« (Mr. Bullion zerbricht in dem Ungestüm, mit welchem er seine Hand auf den Tisch bringt, seine Pfeife, läßt die grüne Brille umherschweifen und bemächtigt sich Mr. Speck's Pfeife, welche dieser Gentleman in einem unbewachten Augenblick bei Seite gelegt hat.)
Vivian. – »Aber der Feldzug in Indien?«
Major Mac Blarney. – »O! – wenn Sie Lust haben, in Indien –«
Bullion (Speck's Pfeife aus Guy Boldings Tabaksbeutel füllend und den Major unterbrechend). –»Indien – das ist etwas Anderes. Dagegen habe ich nichts einzuwenden! Krieg dort – eher gut für den Geldmarkt, als das Gegentheil!«
Vivian. – »Nun, und wie lauten denn die Nachrichten von dort her?«
Bullion. – »Weiß nicht – habe keine ostindischen Papiere.«
Mr. Speck. – »Ich auch nicht. Der Tag für Indien ist vorüber. Dieß ist jetzt unser Indien.« (Er vermißt seine Tabakspfeife, sieht sie in Bullions Mund und wirft entsetzte Blicke darauf! – Nota bene, die Pfeife ist nicht von Thon, sondern ein kleiner Meerschaum – unersetzlich im Buschland.)
Pisistratus. – »Nun, Onkel, ich kann mir gar nicht denken, welcher Art Deine neuen Pläne sein mögen. Ohne Zweifel aber beziehen sie sich auf das Wohl Deiner Mitgeschöpfe – auf Philanthropie und Menschheit?«
Mr. Bullion (stutzend). – »Wie, junger Mann, seid Ihr wirklich noch so grün?«
Pisistratus. – »Ich, Herr? – nein – Gott behüte! Aber mein –« (Onkel Jack erhebt flehentlich seinen Zeigefinger und gießt seinen Thee über die Beinkleider seines Neffen.)
Pisistratus, erzürnt über die Wirkung des Thee's und in Folge dessen unempfindlich für den Wink mit dem Zeigefinger, fährt rasch fort: »Aber mein Onkel ist es! – Irgend eine großartige National-Colonial-Anti-Monopol-Gesellschaft –«
Onkel Jack. – »Pah! Pah! Was Du für ein drolliger Junge bist!«
Mr. Bullion (feierlich). – »Mit solchen Ansichten, welche nicht einmal im Scherze diesem meinem ehrenwerthen und einsichtsvollen Freunde zur Last gelegt werden sollten – (Onkel Jack verbeugt sich) – werdet Ihr, wie ich fürchte, in der Welt nicht vorwärts kommen, Mr. Caxton. Ich glaube nicht, daß unsere Spekulationen Euch zusagen werden! Doch, es ist spät, meine Herrn. Wir müssen weiter.«
Onkel Jack (aufspringend). – »Und ich habe dem lieben Jungen noch so viel zu sagen. Entschuldigt uns. Ihr kennt die Gefühle eines Onkels!« (Nimmt meinen Arm und führt mich zur Hütte hinaus.)
Onkel Jack (sobald wir im Freien sind). – »Du wirst uns zu Grunde richten – Dich, mich, Deinen Vater und Deine Mutter. Ja! für wen meinst Du, daß ich arbeite und mich abmühe, als für Dich und die Deinigen? – Ich sage Dir, Du richtest uns Alle zu Grunde, wenn Du in dieser Weise vor Bullion redest. Sein Herz ist so hart, wie die Bank von England – und er hat vollkommen Recht! Nebenmenschen – Possen! Ich habe diesem Wahn, den großmüthigen Thorheiten meiner Jugend entsagt! Ich fange endlich an, für mich selbst zu leben – das heißt, für mich und meine Verwandten! Du sollst sehen, diesmal gelingt es mir!«
Pisistratus. – »Das hoffe ich in der That von ganzem Herzen. Onkel; und um Dir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich sagen, daß Deine Ideen stets eine sehr geistreiche Seite haben – wenn sie nur –«
Onkel Jack (mich mit einem tiefen Seufzer unterbrechend). – »Die Reichthümer, die sich andere Leute durch meine Ideen errungen haben! – der Gedanke ist entsetzlich! Wie! – und ich sollte Vorwürfe verdienen, daß ich nicht länger für eine solche Bande von diebischen, gierigen, undankbaren Spitzbuben leben will? Nein, nein! Nummer Eins soll fortan meine Maxime sein; und Dich will ich zu einem Krösus machen. Junge – ja, das will ich!«
Pisistratus erkundigt sich nach einer dankbaren Anerkennung aller in Aussicht gestellten Wohlthaten, seit wann Jack in Australien sich aufhält, was ihn nach der Colonie geführt, und welches seine gegenwärtigen Absichten sind. Zu seinem Erstaunen erfährt er, daß Onkel Jack schon vier Jahre in der Colonie ist, daß er ein Jahr nach Pisistratus England verließ – veranlaßt, wie er sagt, durch dieses erhabene Beispiel und durch irgend einen geheimnißvollen Auftrag (über den er sich nicht näher ausspricht), entweder von Seiten des Colonial-Ministeriums oder einer Auswanderungsgesellschaft.
Onkel Jack ist wunderbar vorangekommen, seitdem er die Sache seiner Nebenmenschen verlassen hat. In der Colonie angelangt, bestand seine erste Spekulation im Ankauf einiger Häuser zu Sidney, welche er (in Folge jener Schwankungen im Preis, die in den extremen Geistesstimmungen der Colonisten ihren Grund haben – das eine Mal voll der kühnsten Hoffnungen sich emporschwingend, das andere Mal voll Verzweiflung in acherontische Acheron: in der griechischen Mythologie einer der fünf Flüsse der Unterwelt. Abgründe sich stürzend) sehr wohlfeil erwarb und sehr theuer wieder losschlug.
Sein Hauptexperiment stand jedoch in Verbindung mit der jungen Ansiedelung von Adelaide, unter deren erste Gründer er sich rechnet; und da in dem Strom der Auswanderung, welcher sich in den ersten Jahren ihres Bestandes nach dieser beliebten Niederlassung ergoß – in seinen Laufe leichtgläubige und unerfahrene Abenteurer aller Art mit sich fortreißend – ungeheure Summen verloren gingen, so konnte es einem Manne von Onkel Jacks Gewandtheit nicht schwer werden, sich allerlei Bruchstücke und Abfälle davon zuzueignen. Es war ihm gelungen sich vorzügliche Empfehlungsschreiben an die großen Herren der Colonie zu verschaffen, und so kam er in genauen Verkehr mit einigen der Hauptbetheiligten bei dem Versuche, ein Landesmonopol herzustellen – welcher Versuch inzwischen großentheils durch Steigerung des Güterpreises und Ausschließung der ärmlichen Brut kleiner Kapitalisten gelungen ist.
Onkel Jack wußte sich jenen Herren als einen Mann von ausgedehntem staatsmännischem Wissen darzustellen, welcher das Vertrauen hochstehender Engländer besitze, beträchtlichen Einfluß auf die englische Presse übe u. s. w., u. s. w. Wir wollen damit ihrem Scharfsinn und ihrer Beurtheilungsgabe nicht zu nahe treten, denn Jack besaß, wenn er wollte, eine Art, die wirklich unwiderstehlich war. Auf solche Weise gelang es ihm, sich mit Männern zu verbinden (und sein Kapital mit dem ihrigen zu vereinigen), die wirklich über bedeutende Summen verfügen konnten und durch langjährige Erfahrung über die beste Verwendung derselben belehrt waren. Er hatte sich, so weit seine Mittel reichten, mit Mr. Bullion associrt, welcher für einen der reichsten Schäfereibesitzer und Landeigenthümer in der Colonie galt, da er aber noch viele andere Nester auszunehmen hatte, in Sidney auf großem Fuße lebte und seine Weiden und Felder der Obhut von Aufsehern und Oberaufsehern überließ.
Jacks Hauptvergnügen war jedoch die Landmäklerei, und da ein scharfsinniger Deutscher kürzlich erklärt hatte, verschiedene Erscheinungen in der Umgegend von Adelaide deuteten auf das Vorhandensein von Mineralschätzen (die seitdem wirklich zu Tag gefördert worden sind), so veranlaßte Mr. Tibbets seinen Verbündeten Bullion und die beiden andern Gentlemen, die sich in ihrer Begleitung befanden, eine Landreise von Sidney nach Adelaide zu unternehmen, um in aller Ruhe und Stille die Richtigkeit der Vermuthung des Deutschen, welcher man damals nur wenig Glauben schenkte, zu untersuchen. Wenn nun auch dem Boden die Minen fehlten, so wußte doch Onkel Jack seine Gefährten zu überzeugen, daß nicht weniger einträgliche Gruben in den Taschen unerfahrener Abenteurer zu finden seien, welche das eine Jahr zu den höchsten Preisen einkaufen und im nächsten genöthigt sind, zu den niedrigsten wieder zu verkaufen.
»Aber,« schloß Onkel Jack, indem er einen scharfen Blick auf mich richtete und mir zugleich einen Rippenstoß versetzte, »ich habe schon früher mit Minen zu thun gehabt und weiß, was es ist. Ich werde Niemand, als Dich, in meinen Lieblingsplan einweihen; wenn Du willst, sollst Du Dich dabei betheiligen. Der Plan ist so einfach, wie ein Problem des Euklid – wenn der Deutsche Recht hat und Minen vorhanden sind, so müssen sie natürlich bearbeitet werden. Hiezu sind Leute nothwendig; aber die Arbeiter in den Minen müssen essen, trinken und ihr Geld ausgeben. Die Sache ist nun, dieses Geld zu bekommen. Verstehst Du?«
Pisistratus. – »Ganz und gar nicht!«
Onkel Jack (majestätisch) – »Eine große ›Niederlage von Branntwein und anderen Vorräthen!‹ Die Grubenarbeiter brauchen Branntwein und sonstige Dinge; sie kommen in Deine Niederlage, und du nimmst ihr Geld ein. Q. E. D.! Actien? – eh, Du Schelm? Wenn Du die armselige Summe von ein oder zweitausend Pfund einlegst, sollst Du zur Hälfte betheiligt sein.«
Pisistratus (heftig). – »Nicht um alle Goldgruben von Potosi Bergbaustadt in Bolivien, in der schon die Inka Silber fördern ließen; unter spanischer Herrschaft Hauptquelle des spanischen Silbers, mit der ungeahnten Folge, dass der immense Silberstrom zu einer noch nicht dagewesenen Inflation im 16. Jh. führte..«
Onkel Jack (in bester Laune). – »Nun, es soll Dir nicht zum Nachtheil gereichen. Ich werde mein Testament nicht ändern trotz Deines Mangels an Vertrauen zu mir. Dein junger Freund, Mr. Vivian, glaube ich, nennst du ihn – ein gescheidt aussehender Bursche, schärfer, als der Andere, wie mir scheint – würde er vielleicht sich als Actionär betheiligen?«
Pisistratus. – »Bei der Branntwein-Niederlage? Oho, frage ihn einmal!«
Onkel Jack. – »Was, Ihr wollt die Aristokraten spielen in dem Busch? Zu gut! Ha! ha! – Man ruft mir, wir müssen fort.«
Pisistratus. – »Ich will einige Meilen mit Euch reiten, Was meinst Du, Vivian? und Du, Guy?«
Die ganze Gesellschaft war jetzt zu uns gestoßen.
Guy zieht es vor, sich in die Sonne zu legen und das Leben der Dichter zu lesen; Vivian ist einverstanden, und wir begleiten unsere Gäste, bis die Sonne untergeht. Major Mac Blarney ist äußerst freigebig mit Dienstanerbietungen in allen nur erdenklichen Geschäftszweigen und schließt mit der Versicherung, daß, wenn wir vielleicht im Ingenieurfach – z. B. als Bergwerksbeamte, Kartenzeichner, Geometer u. s. w. – eine Anstellung wünschen sollten, er uns mit größtem Vergnügen behülflich sein werde. Wir vermuthen, in Major Mac Blarney einen Civil-Ingenieur vor uns zu sehen, welcher in dem unschuldigen Wahne sich befindet, einst in der Armee gedient zu haben.
Mr. Speck theilt mir in vertraulichem Flüstern mit, daß Mr. Bullion ungeheuer reich sei, und zwar habe er ganz klein angefangen und sich dadurch ein so großes Vermögen erworben, daß er nie eine gute Gelegenheit unbenützt ließ. Ich denke an Onkel Jacks eingemachte Zwiebel und an Mr. Specks Meerschaum und ziehe daraus mit achtungsvoller Bewunderung den Schluß, daß Mr. Bullion grundsatzmäßig nach einem einzigen großartigen System handelt.
Zehn Minuten später bemerkt Mr. Bullion in ebenso vertraulichem Tone gegen mich, Mr. Speck sei trotz seiner lächelnden Höflichkeit so scharf, wie eine Nadel, und wenn ich bei der neuen Spekulation oder sonst bei irgend einer andern mich zu betheiligen wünsche, so thue ich am besten, sogleich zu Bullion zu kommen, der mich um keinen Preis der Welt hintergehen würde.
»Nicht,« setzt Bullion hinzu, »daß ich etwas gegen Speck zu sagen hätte. Er ist wohlhabend und hat es zu etwas gebracht in der Welt; und wenn ein Mann sich wirklich in guten Verhältnissen befindet, so bin ich der Letzte, der an seine kleinen Mängel denkt und ihm eine kalte Achsel zukehrt.«
»Lebe wohl!« sagte Onkel Jack, noch einmal sein Taschentuch herausziehend; »Grüße an Alle zu Hause.« Dann fügte er mit leiser Stimme bei: »Wenn Du Dich je in Betreff der Branntwein-Niederlage eines Besseren besinnen solltest, Neffe, so wirst Du finden, daß das Herz eines Onkels in diesem Busen schlägt!«
Die Nacht war bereits hereingebrochen, als Vivian und ich langsam nach Hause ritten. Eine Nacht in Australien! Wie unmöglich ist es, deren Schönheit zu schildern! Der Himmel scheint in dieser neuen Welt der Erde so viel näher zu sein! Jeder Stern glänzt so hell und eigenthümlich, als komme er eben aus der Hand des Schöpfers. Und der Mond, gleich einer großen, silbernen Sonne, beleuchtet so ruhig und deutlich auch den kleinsten Gegenstand, auf welchen seine Strahlen fallen »Ich bin oft in einer solchen Nacht gereist,« sagt Mr. Wilkinson in seinem unschätzbaren Werke über Süd-Australien, »und während ich mein Pferd im Schritt weiter gehen ließ, erquickte ich mich damit, im stillen Mondlichte zu lesen.« [ Anm.d.Verf. – Bei dem Zitierten handelt es sich um: George Blakiston Wilkinson, South Australia; Its Advantages and Its Resources. 1848.]. Hin und wieder unterbricht ein Laut das Schweigen, ein Laut jedoch, der so sehr in Einklang steht mit der Einsamkeit, daß er den Zauber derselben noch erhöht.
Horch! der leise Ruf eines Nachtvogels aus jener Schlucht zwischen den schimmernden grauen Felsen. Horch! das Bellen des fernen Schäferhundes, oder das dumpfe, seltsame Geheul eines seiner wilderen Brüder desselben Geschlechts, gegen welchen er den Pferch vertheidigt. Horch! das Echo fängt den Schall auf und trägt ihn spielend von Berg zu Berg – weiter und weiter, bis zuletzt alles wieder stille ist und die Blüthen geräuschlos auf Dein Haupt niederfallen, während Du durch einen Hain riesiger Gummibäume reitest. Die Luft ist jetzt buchstäblich mit Wohlgerüchen überfüllt, so daß das Gefühl davon beinahe peinlich wird. Du beschleunigst Deinen Ritt und entrinnst wieder in die offenen Ebenen, in das volle Mondlicht, um durch die schlanken Theebäume das ferne Glänzen des Flusses wahrzunehmen und durch die dünne Atmosphäre sein beruhigendes Murmeln zu hören.
Pisistratus. – »Und dieses Land ist das Erbtheil unseres Volkes geworden! Mich däucht, indem ich umherschaue, ich sehe den Plan des allgütigen Vaters sich klar vor mir entwirren aus der Geschichte der Menschheit. Wie geheimnißvoll blieben, während Europa seine Völker erzog und seine civilisirende Mission erfüllte, diese Gebiete vor seinen Augen verborgen, um uns erst in dem Augenblick bekannt zu werden, als die Civilisation die Lösung ihrer Aufgabe bedurfte – einen Abzugskanal für fieberische Thatkraft, deren Ringen in den Massen vereitelt wurde, Brod für den Hungernden und Hoffnung für den Verzweifelnden darbietend und in Wahrheit die neue Welt befähigend, das Gleichgewicht der alten wieder herzustellen. Hier, welch' ein Latium für die unsteten Geister,
›Die der wechselnde Sturm auf verschiedenen Meeren umherwarf.‹ Bulwer zitiert im Original Virgils Aeneis (I, 320) in der Übersetzung von John Dryden (zu diesem siehe Anm. 134).
Spielt nicht in der That die Aeneide vor unsern Augen? Von den Hütten der Verbannten, welche über dieses derbere Italien zerstreut sind, wer sieht nicht in der Zukunft
›Der Latier Verwandtschaft,
den Albaneser Senat und die Mauern der mächtigen Roma?‹
Vivian (traurig). – »Soll aus den Auswürflingen der Arbeitshäuser, der Gefängnisse und der Verbrecherschiffe das zweite Rom sich erheben?«
Pisistratus. – »Es liegt etwas in diesem neuen Boden, in der Arbeit, die er hervorruft, in der Hoffnung, die er einflößt, in dem Bewußtsein des Besitzes, welchen ich den Kern der socialen Moral nennen möchte, was das Werk der Besserung mit wunderbarer Schnelligkeit fördert. Faßt man die Gesammtheit in's Auge, woher die Einzelnen auch kommen, oder welche Verhältnisse sie hieher geführt haben mögen, so sind diese Colonisten jetzt ein schönes, mannhaftes, freimüthiges Geschlecht – rauh, aber nicht gemein, namentlich in dem Busch – und ich bin überzeugt, daß sie zuletzt an Biederkeit und Ehrenhaftigkeit jener Bevölkerung nichts nachgeben werden, welche jetzt in Süd-Australien heranwächst, wo die Verbrecher ausgeschlossen sind – und zum Glück ausgeschlossen sind, denn die Auszeichnung wird den Wetteifer schärfen. Was das Uebrige betrifft – und als unmittelbare Beantwortung Deiner Frage – so vermuthe ich, daß selbst der schlimmste Theil unserer Bevölkerung um kein Haar schlechter ist, als das Raubgesindel unter Romulus An die Zitate der Aeneis anknüpfend: Romulus und Remus, von dem aus Troja geflohenen Aeneas abstammend, sind der Sage nach die Gründer Roms; die Bezeichnung »Raubgesindel« hebt auf den »Raub der Sabinerinnen« ab, eine List des Romulus, um den Frauenmangel in Rom zu beseitigen..«
Vivian. – »Aber waren sie nicht Soldaten? – die ersten Römer, meine ich.«
Pisistratus. – »Mein lieber Vetter, wir sind gegen jene grimmigen Geächteten im Vortheil, wenn wir Land, Häuser und Weiber gewinnen können (obwohl das letztere seine Schwierigkeiten hat, und es gut ist, daß keine weißen Sabinerinnen in der Nachbarschaft wohnen!) ohne jenes Soldatenwesen, das für ihre Existenz nothwendig war.«
Vivian (nach einer Pause). – »Ich habe Deinem und meinem Vater geschrieben. In dem einen Briefe sprach ich meinen Wunsch aus, in dem andern, ausführlicheren an Deinen Vater suchte ich die Gefühle zu erläutern, aus welchem er entsprang.«
Pisistratus. – »Sind die Briefe schon abgegangen?«
Vivian. – »Ja.«
Pisistratus. – »Und Du hast sie mir nicht gezeigt?«
Vivian. – »Sprich nicht so vorwurfsvoll. Ich gab Deinem Vater das Versprechen, ihm mein Herz auszuschütten, so oft es bedrückt und von Kämpfen zerrissen sei. Ich verspreche nun Dir, mich ganz von seinem Rathe leiten zu lassen.«
Pisistratus (trostlos). – »Was ist es denn, das Du in diesem militärischen Leben, nach welchem Du Dich so sehr sehnst, zu finden glaubst, und das Deinem Verlangen nach gesunder Aufregung und kühnen Abenteuern mehr Nahrung zu geben vermöchte, als Deine gegenwärtige Beschäftigung?«
Vivian. – » Auszeichnung! Du siehst nicht den Unterschied zwischen uns beiden. Du hast bloß ein Vermögen zu erwerben, ich aber habe einen Namen wieder zu Ehren zu bringen. Du blickst ruhig in die Zukunft, mir aber liegt es ob, einen dunklen Fleck aus der Vergangenheit zu tilgen.«
Pisistratus (besänftigend). – »Er ist ausgetilgt. Fünf Jahre, nicht in schwächlichen Klagen hingebracht, sondern in männlicher Neugestaltung, beharrlichem Fleiß und einem so tadellosen Lebenswandel, daß selbst Guy, den ich als die Verkörperung derber englischer Ehrlichkeit betrachte, halb zweifelt, ob Du schlau genug bist ›für eine Station station hier im Sinne eines eigenen landwirtschaftlichen Betriebes.‹ – ein Leumund, der bereits so hoch steht, daß ich mich nach der Stunde sehne, da Du Deines Vaters fleckenlosen Namen wieder annimmst, und ich mit Stolz unsere Verwandtschaft vor der Welt bekennen darf. – sollte alles dieses nicht die Verirrungen sühnen, welche aus einer unerzogenen Kindheit und einer unsteten Jugend hervorgegangen sind?«
Vivian (sich über sein Pferd beugend und seine Hand auf meine Schulter legend). – »Mein theurer Freund, wie viel verdanke ich dir nicht? (Seine Bewegung unterdrückend und rascher weiter reitend, fuhr er alsdann zu sprechen fort.) Aber mußt Du nicht einsehen, daß gerade in demselben Verhältniß, in welchem meine Erkenntniß des Guten klarer und kräftiger wird, auch mein Gewissen empfindlicher werden und mir um so größere Vorwürfe machen muß? Je mehr ich meinen ritterlichen Vater verstehen lerne, desto angelegentlicher muß ich wünschen, so zu werden, wie er seinen Sohn haben möchte. Glaubst Du, es würde ihn befriedigen, könnte er mich sehen, wie ich Vieh bezeichne und mit Ochsentreibern handle? War es nicht der sehnlichste Wunsch seines Herzens, mich seine eigene Laufbahn betreten zu sehen? und sagtest Du mir nicht selbst, daß er auch dich gerne zum Soldaten gemacht haben würde, wenn Deine Mutter nicht gewesen wäre? Ich habe keine Mutter! Und wenn ich Tausende und Zehntausende durch diesen edlen Beruf gewinnen könnte, würden sie meinem Vater nur halb so viele Freude gewähren, als eine einzige ehrenvolle Erwähnung meines Namens in einer Zeitung? Nein, nein! Du hast das Zigeunerblut in mir verbannt – jetzt fordert das des Soldaten seine Rechte! O, daß mir nur ein glorreicher Tag vergönnt wäre, da ich mir Bahn brechen dürfte zu einem ehrenvollen Ruhme, gleich dem unserer Vorfahren! – ja, daß Thränen stolzer Freude jenen Augen entquellen könnten, welche so heiße Tropfen über meine Schande geweint haben! – daß auch sie in ihrer hohen Stellung an der Seite jenes glatten Lord sagen müßte: ›Sein Herz war doch nicht so schlecht!‹ Spare alle Gegenvorstellungen – sie sind umsonst! Bete vielmehr, daß mir gestattet werde, selbst meinen Weg zum Ziele zu führen; denn ich sage Dir, wenn ich verurtheilt bin, hier bleiben zu müssen, so murre ich vielleicht nicht laut und mache die Runde meiner niedrigen Obliegenheiten durch, wie das unvernünftige Thier, welches das Rad einer Mühle treibt; allein mein Herz muß sich dabei verzehren, und Du wirst bald auf meinem Grabstein die Inschrift jenes armen Dichters setzen, von dem du uns erzähltest, und dessen schlimmste Krankheit der Durst nach Ruhm gewesen – ›Hier liegt Einer, dessen Name in's Wasser geschrieben war.‹ John Keats (1795-1821), bedeutender englischer Dichter der Romantik; starb an Tuberkulose und sah seinen Tod voraus; die Aufschrift auf seinem Grabstein entspricht seinem letzten Willen.«
Ich konnte nichts antworten – Vivians Ehrgeiz hatte mich angesteckt; das Blut rollte mir wärmer durch die Adern, mein Herz pochte mit lauteren Schlägen. Inmitten der idyllischen Landschaft und unter dem ruhigen Mondlicht der neuen Welt machte für eine Weile auch in mir, dem rauhen Buschmann, die alte Welt ihre Ansprüche auf ihren Sohn geltend. Indem wir jedoch weiter ritten, und die Luft so unaussprechlich erquickend und zugleich beruhigend, gleich einem schmerzstillenden Mittel, auf mich einwirkte, fühlte ich mich bald der friedlichen Natur wieder zurückgegeben.
Wir kamen nun in die Nähe der Heerden, welche glänzend, wie frisch gefallener Schnee, unter den Sternen schliefen; das Bellen der Hunde bewillkommte uns – in weiter Ferne blinkte durch den Spalt der Thüre ein Licht uns entgegen! Ich hielt mein Pferd an und sagte laut: »Nein, es liegt mehr Ruhm darin, diese rohen Grundsteine zu einem mächtigen Staate zu legen – obwohl kein Trompetenschall unsern Sieg verkündet, und kein Lorbeer unser Grab einst beschatten wird – als den Fortschritt unseres Geschlechtes über rauchenden Städten und Hekatomben von Menschen zu erzwingen!«
Ich blickte zurück. Vivians Antwort erwartend; allein ehe ich zu sprechen begonnen, hatte er seinem Pferde die Sporen in die Seite gedrückt, und ich sah, wie die wilden Hunde vor dem Hufschlag seines Thieres zurückwichen, während er im Mondlicht rasch über den Rasen dahinritt.
Wochen und Monate vergingen – endlich kam die Antwort auf Vivians Briefe. Meine Voraussetzung in Betreff ihres Inhalts hatte mich nicht getäuscht. Ich wußte, daß mein Vater dem wohlüberlegten Lieblingswunsche eines Mannes nicht entgegentreten würde, der jetzt die volle Kraft seines Verständnisses erlangt hatte, und welchem daher die Wahl seines Lebensweges selbst überlassen bleiben mußte. Viel später erst bekam ich Vivians Brief an meinen Vater zu Gesicht, aber selbst meine Unterredungen mit ihm hatten mich kaum auf dieses ergreifende Bekenntniß eines ebenso sehr durch seine Schwäche, wie durch seine Stärke ausgezeichneten Geistes vorbereitet.
Wäre er in einem Zeitalter religiöser Begeisterung geboren worden oder den Einflüssen derselben preisgegeben gewesen, so würde er sich, aus dem Schlaf der Sünde erwachend, nicht mit der nüchternen Pflichterfüllung, welche die Mittelstraße des Guten verlangt, begnügt, sondern in die wilden Tiefen eines mönchischen Fanatismus gestürzt, in der Einsiedlerklause mit dem bösen Feinde gerungen oder barfuß – im härenen Gewande statt der Rüstung und das Kreuz statt des Schwertes in der Hand – die Wanderung nach dem Lande der Ungläubigen angetreten haben.
So aber schlug das ungeduldige Verlangen nach Sühne eine mehr weltliche Richtung ein, obwohl getragen von einer Inbrunst, welche fast geistig genannt werden konnte. Und diese Glut strömte durch Schichten einer so tiefen Melancholie! Verweigerte man ihr einen Ausweg, so verfiel sie vielleicht in Lethargie oder steigerte sich zum Wahnsinn; gestattete man ihr jedoch, sich Luft zu machen, so konnte sie belebend und befruchtend wirken.
Mein Vater beantwortete diesen Brief, wie sich erwarten ließ. Er wiederholte sanft, aber nachdrücklich die alten Lehren über den Unterschied zwischen dem Ringen nach Selbstvervollkommnung einem Ringen, welches niemals vergeblich ist – und dem krankhaften Trachten nach dem Beifall Anderer, welches nicht an das Gewissen in der eigenen Brust, sondern an die babylonische Verwirrung des großen Haufens sich wendet, um dort den sogenannten »Ruhm« zu suchen. Weit entfernt, in seinen Rathschlägen einem so fest entschlossenen Geiste entgegenzuarbeiten, bemühte sich mein Vater vielmehr, ihn auf der Bahn, die er gehen wollte, zu leiten und zu kräftigen. Die Meere des menschlichen Lebens sind weit. Die Weisheit mag die Richtung der Fahrt andeuten, vorher aber muß sie den Zustand des Schiffes untersuchen und die Beschaffenheit der Waaren, welche ausgetauscht werden sollen, in's Auge fassen. Nicht jedes Schiff, das von Tarsis ausfährt, kann das Gold von Ophir Die in Tarsis stationierte Handelsflotte Salomos soll (nach 1. Könige 10,21) einmal in drei Jahren wertvolle Waren gebracht haben, so auch Gold aus Ophir, dem sagenhaften Goldland. zurückbringen; aber soll es darum im Hafen vermodern? Nein, seine Segel mögen im Winde flatterte!
Und Rolands Brief an seinen Sohn? Ich hatte erwartet, daß er voll Jubel und Freude sein werde; von ersterem war jedoch nichts zu bemerken, und die letztere drückte sich nur ernst und gedämpft aus. Ja die stolze Zustimmung, welche der alte Krieger dem Wunsche seines Sohnes ertheilte, und in das vollkommene Verständniß der seiner eigenen Natur so nahe verwandten Beweggründe, aus denen derselbe entsprang, mischte sich ein sichtlicher Kummer; ja, die erbetene Einwilligung schien sogar mit einem gewissen Widerstreben gegeben zu werden. Erst nachdem ich den Brief mehrmals gelesen hatte, konnte ich die Gefühle errathen, mit welchen er geschrieben worden. Jetzt, nach einem Zeitraum von so vielen Jahren, begreife ich sie vollkommen. Hätte Roland seinen Sohn als feurigen Knaben, von einer so reinen und edlen Begeisterung erfüllt, wie die ritterliche Glut seiner eigenen Jugend gewesen – hätte er ihn als Neuling im Leben und in der Sünde von seiner Seite weg in einen ehrenvollen Krieg senden können, so würde er mit der ganzen Freude eines Soldaten seinen Beitrag zu den Heeren Englands geliefert haben; hier aber erkannte er, wenn auch vielleicht nur unbestimmt, nicht sowohl den kühnen, kriegerischen Eifer, als vielmehr den ersten Drang nach Sühne und bei diesem Gedanken überließ er sich trüben Ahnungen, die er sonst wohl zurückgewiesen haben würde, so daß am Schlusse des Briefes nicht der feurige, kriegslustige Roland, sondern eher eine schüchterne, ängstliche Mutter zu schreiben schien. Warnungen und Bitten, Mahnungen zur Vorsicht und Versicherungen, daß die besten Soldaten stets diejenigen sind, welche sich von der Hitze des Augenblicks nicht hinreißen lassen – waren dies die Rathschläge des kühnen Veteranen, welcher, den Degen zwischen den Zähnen, an der Spitze seiner Tapfern die Mauern von *** erstiegen hatte?
Welcher Art übrigens auch Rolands Ahnungen sein mochten, er hatte der Bitte seines Sohnes sogleich willfahrt und war unmittelbar nach Empfang des Briefes nach London geeilt, wo es ihm gelang, eine Fähnrichsstelle in einem eben in Indien stehenden Regimente für ihn auszuwirken. Das Patent, auf den Namen seines Sohnes ausgefertigt und von dem Befehle begleitet, so bald wie möglich bei dem Regimente einzutreffen, war der Antwort des Vaters beigeschlossen.
Vivian deutete auf die Adresse des Patents und sagte:
»Nun darf ich in der That diesen Namen wieder tragen, und nächst dem Himmel soll mir nichts heiliger sein: Er wird mich zum Ruhen führen, oder aber soll ihn mein Vater ohne Beschämung auf meinem Grabe lesen!«
Ich sehe ihn noch, wie er vor mir stand – die Haltung aufrecht, ein feierlicher Glanz in seinen dunkeln Augen, eine Heiterkeit in seinem Lächeln und eine Größe auf seiner Stirne, wie ich sie früher nie bemerkt hatte! War dies derselbe Mensch, vor dessen cynischem Hohne ich ehedem zurückbebte, den ich schaudernd als einen verwegenen Verbrecher betrachtet und über den ich geweint hatte, als über einen zerknirschten Verstoßenen?
Wie wenig hängt der Adel der äußern Erscheinung von dem Ebenmaße der Züge oder den Verhältnissen der Gestalt ab! Mit welcher Würde ist nicht der Mann bekleidet, den ein erhabener Gedanke erfüllt!
Er ist fort! Sein Weggehen hat eine Lücke in meinem Leben zurückgelassen. Er war mir theuer geworden, und Stolz erfüllte meine Seele, wenn ich ihn loben hörte. Meine Liebe war eine Art Selbstliebe – ich hatte ihn theilweise als das Werk meiner eigenen Hände betrachtet. Es währt lange, bis ich mit frohen Muthe zu meinen Hirtenbeschäftigungen zurückkehren kann.
Ehe mein Vetter abreiste, berechneten wir unsern Gewinn und setzten die einzelnen Theile fest. Als er auf den Jahrgehalt verzichtete, den sein Vater ihm bewilligt hatte, gab mir dieser ohne des Sohnes Wissen eine Summe von demselben Betrage für ihn mit, wie diejenige, welche ich und Guy Bolding zu dem gemeinschaftlichen Grundstock beigetragen hatten. Roland hatte das Geld auf seine Güter aufgenommen, und während die Zinsen in Vergleichung mit dem früheren Abzug sein Einkommen nur unbedeutend schmälerten, wurde das Kapital seinem Sohne ungleich nützlicher, als es ein bloß jährlicher Zuschuß gewesen wäre.
So hatten wir denn mit der für australische Ansiedler nicht unbeträchtlichen Summe von 4500 Pfund begonnen. Die ersten zwei Jahre gewannen wir nichts; ja, den größten Theil des ersten Jahres brachten wir damit zu, auf der Station eines alten Ansiedlers unser Handwerk erst zu lernen. Zu Ende des dritten Jahres jedoch hatten sich unsere Heerden schon so beträchtlich ausgedehnt, daß wir einen Ertrag erzielten, der unsere kühnsten Erwartungen überstieg; und als mein Vetter im sechsten Jahre unserer Verbannung von uns schied, betrug der Antheil eines jeden von uns 4000 Pfund, der Werth der beiden Stationen nicht mit eingerechnet.
Mein Vetter hatte zuerst gewünscht, ich solle die ihm zukommende Summe seinem Vater schicken; doch überzeugte er sich bald, daß Roland dieselbe niemals annehmen würde, und so kamen wir schließlich dahin überein, sie in meinen Händen zu lassen, damit ich sie für ihn verwalten könne; die Interessen, zu fünf Prozent berechnet, sollte ich ihm schicken, was aber mehr gewonnen würde, zu seinem Kapital schlagen. Ich hatte daher jetzt über 12 000 Pfund zu gebieten, und wir konnten uns als sehr achtbare Kapitalisten betrachten.
Die Viehstation behielt ich unter Will Peterson's Beihülfe noch zwei Jahre nach Vivians Abreise (im Ganzen hatten wir sie fünf Jahre besessen) und verkaufte sie nach Ablauf dieser Zeit sammt dem Viehstand mit großem Nutzen. Da inzwischen auch die Schafe, deren »Zeichen« mich in hohen Ruf gebracht hatte, wunderbar gediehen waren, so dachte ich, wir könnten jetzt ohne Gefahr unsere Spekulationen auf neue Versuche ausdehnen. Eine Veränderung des Aufenthaltes kam mir gleichfalls erwünscht, und so ließ ich denn Bolding bei den Heerden zurück und wandte mich nach Adelaide, denn der Ruf dieser neuen Ansiedelung hatte bereits den Frieden des Busches gestört.
Onkel Jack wohnte in der Nähe von Adelaide in einem sehr hübschen Landhaus, umgeben von allen Zeichen des Colonialwohlstandes, und ich glaube nicht, daß das Gerücht den Gewinn, den er gemacht hatte, übertrieb – diesmal schienen in der That alle seine Pfeile in's Schwarze getroffen zu, haben!
Ich hoffte nun hinreichende Sachkenntniß und Vorsicht erworben zu haben, um mir Onkel Jacks Ideen zu Nutzen machen zu können, ohne mich zu Grunde zu richten, indem ich sie in Gemeinschaft mit ihm zur Ausführung brachte, und ich sah eine Art vergeltender Gerechtigkeit darin, daß ich sein Gehirn zum Besten Derjenigen in Bewegung setzte, welche – um mit Squills zu sprechen – seine Idealität und seine Schädelbildung beinahe an den Bettelstab gebracht hatten.
Ich muß hier dankbar anerkennen daß mir dieses unregelmäßige Genie wesentliche Dienste leistete. Das Ergebniß der Untersuchungsreise, soweit sie sich auf die angeblichen Minen bezog, hatte Mr. Bullion nicht befriedigt, und in der That wurden dieselben erst mehrere Jahre später wirklich entdeckt. Allein Jack war von ihrem Vorhandensein fest überzeugt und hatte auf seine eigene Rechnung, und zwar um einen Spottpreis, mehrere unfruchtbare Länderstrecken erworben, welche sich, wie er nicht zweifelte, eines Tages als ein zweites Golconda Ehemalige Festungsstadt in Indien, einst berühmt wegen seiner sagenhaften Schätze (Diamantenmine). ausweisen würden, und denen er daher den wohlklingenden Namen »Tibbets Heil« beilegte. Durch die Verzögerung des Grubenbaues war übrigens glücklicher Weise auch die »Niederlage für Branntwein und andere Vorräthe« aufgeschoben worden, und Onkel Jack hatte sich jetzt an der Gründung des Fort Philipp betheiligt. Seinem Rathe folgend wagte ich in dieser neuen Niederlassung einige schüchterne, vorsichtige Ankäufe, welche mir bei einer späteren Wiederveräußerung bedeutenden Vortheil brachten.
Inzwischen darf ich nicht versäumen, in Kürze zu berichten, wie sich Trevanions ministerielle Laufbahn seit meiner Abreise von England gestaltet hatte.
Die stolze Sprödigkeit und jene Bedenklichkeit des politischen Gewissens, welche ihn schon, da er noch unabhängiges Parlamentsmitglied gewesen, bezeichnet und oft in der Meinung von Freund und Feind dazu gedient hatte, einen Geist, der in allen Einzelnheiten so wesentlich praktisch war, im Allgemeinen als unpraktisch erscheinen zu lassen, würde vielleicht Trevanions Ruf als Minister gegründet haben, wenn er Minister ohne Kollegen hätte sein können – wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, alleinstehend und von der nöthigen Höhe herab seine durchaus redlichen Absichten und den Umfang seiner wunderbar tief gehenden, vollendeten Staatskunst klar und einfach vor der Welt zu entfalten.
Allein Trevanion vermochte nicht, sich mit Andern zu verschmelzen oder die Grundsätze eines Kabinets zu unterschreiben, dessen Führer er nicht war, hauptsächlich in einer Politik, die einer solchen Natur ein wahrer Abscheu sein mußte – einer Politik, welche in den letzten Jahren nicht nur einer Faktion eigenthümlich war, sondern sich den politischen Häuptern beider Parteien in einem Grade aufgezwungen zu haben scheint, daß Diejenigen, welche die Sache von der mildesten Seite betrachten, den Grund vielleicht im Drange der Zeit zu finden glauben, welcher durch die Stimmung des Publikums genährt wird – ich meine die Politik der » Fügsamkeit.«
Ferne sei es jedoch von mir, in diesem Buche das aufregende Element der Parteienpolitik zur Sprache bringen zu wollen – wie sollte ich auch viel davon wissen? Nur so viel will ich bemerken, daß jene Politik, mag sie nun richtig oder unrichtig sein, jeden Augenblick mit allen Grundsätzen von Trevanions Staatskunst in Widerstreit kommen und jede Fiber seiner moralischen Constitution aufreiben mußte.
Die aristokratischen Verbindungen, welche seine Anknüpfung an das Castleton-Interesse ihm zur Verfügung gestellt hatte, dienten vielleicht dazu, seine Stellung in dem Kabinet zu kräftigen; gegen eine Epidemie des Zeitalters, welche in der Luft zu liegen schien, vermochten jedoch aristokratische Verbindungen nicht viel zu nützen. Wie drückend seine Stellung auf seinen Geist wirken mußte, konnte ich aus einem Zeitungsartikel des Inhalts entnehmen, »man wisse aus guter Quelle, daß Mr. Trevanion seine Entlassung eingereicht, sich jedoch habe bestimmen lassen, dieselbe wieder zurückzuziehen, da in diesem Augenblick sein Austritt aus dem Kabinet dessen vollständige Auflösung zur Folge haben würde.«
Einige Monate später berichtete ein anderer Artikel von einer »plötzlichen Krankheit, welche Mr. Trevanion befallen habe und ihn, wie man fürchte, von der Wiederaufnahme seiner amtlichen Geschäfte verhindern werde.« Hierauf wurde das Parlament aufgelöst, und ehe es wieder zusammentrat, meldeten die öffentlichen Blätter Mr. Trevianons Erhebung zum Grafen von Ulverstone (ein Titel, der einst in der Familie gewesen), sowie seinen definitiven Austritt aus dem Ministerium, da er sich außer Stande fühle, den Anforderungen seines Amtes ferner nachzukommen.
Dem gewöhnlichen Menschen mußte die Erhebung in den Grafenstand mit Umgehung der geringeren Grade der Pairswürde als nicht unwürdiger Schluß einer politischen Laufbahn erscheinen; allein ich fühlte, welcher verzweiflungsvolle Kampf gegen die Verhältnisse – welcher Zwiespalt mit seinen Kollegen, die er nicht mit gutem Gewissen unterstützen, denen er sich aber auch, seinen hohen, altmodischen Begriffen von Parteigeist und Etiquette zu Folge, nicht nachdrücklich widersetzen konnte – ihn bewogen haben mochte, von dem stürmischen Schauplatz seiner bisherigen Thätigkeit abzutreten. Für diesen regsamen Geist war das Haus der Lords, was in alten Zeiten für einen Krieger das Zurückziehen in die Zelle eines Klosters gewesen wäre. Die Zeitungsnachricht der Grafenwürde von Ulverstone war zugleich die Verkündigung, Albert Trevanion habe für die öffentliche Welt zu leben aufgehört. Und in der That entschwand von dieser Zeit an seine Laufbahn den Blicken der Oeffentlichkeit, Trevanion starb – und der Graf von Ulverstone gab kein Lebenszeichen von sich.
Ich hatte bis jetzt nur zweimal während meiner Verbannung an Lady Ellinor geschrieben – einmal bei Gelegenheit der Vermählung Fanny's mit Lord Castleton, welche ungefähr sechs Monate nach meiner Abreise von England stattfand, und dann wieder, als ich ihrem Gatten für eine Sendung von Pferden, Schafen und Rindern der seltensten Zucht dankte, welche Bolding und mir als ein Geschenk Trevanions zugekommen war. Nach dessen Erhebung in den Grafenstand schrieb ich abermals und die Antwort auf diesen Brief bestätigte alle meine Vermuthungen – sie war voll Bitterkeit und Galle, voll Anklagen gegen die Welt und Befürchtungen, für das Land. Richelieu selbst hatte die Lage der Dinge in keinem niederen Lichte erblicken können, als er seine Levées verlassen sah, und seine Macht vernichtet schien vor dem »Tag der Bethörten« Als Journée des Dupes oder »Tag der Geprellten« wird in Frankreich der 11. November 1630 bezeichnet. Dabei geht es um Kardinal Richelieu, der von 1624 bis zu seinem Tod 1642 unter König Ludwig XIII. als Erster Minister die französische Politik leitete. Sein wesentliches innenpolitisches Ziel lag in der absolutistischen Stärkung der königlichen Macht. Hierzu hatte er in Frankreich die Freiheit der Hugenotten beschränkt. Als er sich mit den deutschen Protestanten gegen die Habsburger und die Katholiken verbünden wollte, um auch deren Macht und Einfluss zurückzudrängen, leistete die religiöse Partei ( Parti dévot) unter Führung der Königinmutter Maria von Medici Widerstand und vermochte am 11. November 1630 zunächst den König von einem Bündnis mit den katholischen Habsburgern zu überzeugen, was allerdings nur mit einer Entlassung Richelieus möglich gewesen wäre. Um den König vor diesem abzuschirmen, wurden die Tore des Palais du Luxembourg verschlossen. Richelieu gelang es jedoch einzudringen und Louis XIII. umzustimmen. Der König brach daraufhin mit seiner Mutter und seinem Bruder, zog sich ins Schloss Versailles zurück und verließ damit deren Einflussbereich. Richelieu war in seinem Amt bestätigt. In der Folge ging er gnadenlos gegen die Opposition, »die Geprellten«, vor. – Bulwer bezieht sich daher auf den Morgen des Journée des Dupes, bei dessen » levée« (dem zeremoniellen morgendlichen Erwachen mit Empfängen, Frisieren, Ankleiden usw.) seine Verlassenheit auf Machtverlust zu deuten schien.. Nur ein Strahl des Trostes fand Einklang in Lady Ulverstone's Brust und schien sie über die Zukunft der Welt einigermaßen zu beruhigen. Lord Castleton war ein zweiter Sohn geboren worden und auf diesen sollte dereinst die Grafenwürde von Ulverstone übergehen, sowie die Besitzungen, welche vermöge der Rechte seiner erlauchten Großmutter damit zusammenhingen. Nie hatte es ein so vielversprechendes Kind gegeben! Selbst Virgil, da er die sicilianischen Musen aufforderte, die Ankunft eines Sohnes des Pollio zu besingen, ließ sich nicht in einem höheren Schwunge vernehmen. Der kleine Mensch der vielleicht noch kein deutliches Wort auszusprechen vermochte, war berufen –
»Durch der Natur geschäftig Walten,
Der Elemente schwanken Bau zu halten,
Luft, Erd' und Meer zurück in ihre Bahn zu senden
Und goldner Zeiten Glück in reichem Maß zu spenden!«
Virgil, Ekloge 4, 7-9, im Original in der Übersetzung von John Dryden.
Glücklicher Traum, welchen der Himmel den Großeltern sendet! Wiedertaufe der Hoffnung in dem Quell, dessen Tropfen den Enkel besprengen!
Die Zeit schwindet dahin; unsere Geschäfte nehmen einen immer bessern Fortgang. Ich komme eben mit zufriedener Miene von der Bank zu Adelaide und werde in der Straße von sich verbeugenden Bekannten angehalten, welche mir früher nie die Hand gedrückt haben. Jetzt aber drücken sie mir dieselbe und rufen –
»Ich gratulire von Herzen! Der tapfere Jüngling, Ihr Namensvetter, ist natürlich ein naher Verwandter von Ihnen.«
»Was meinen Sie?«
»Haben Sie die Blätter nicht gelesen? Hier sind sie.«
»Tapferes Verhalten des Fähnrichs de Caxton – auf dem Schlachtfeld zum Lieutenant ernannt« – ich wische mir die Augen und rufe: »Dem Himmel sei Dank – er ist mein Vetter!«
Hierauf neues Händedrücken, neue Gruppen sammeln sich um mich. Ich fühle mich um einen Kopf größer, als ich zuvor gewesen! Wir brummigen Engländer liegen uns stets in den Haaren – die Welt ist nicht weit genug für uns Alle; und doch, wenn im fernen Lande eine schöne That von einem Landsmann vollbracht wird, wie fühlen wir uns da als Brüder, wie werden die Herzen so warm! Welch' einen Brief schrieb ich nach Hause! und wie freudig kehrte ich nach dem Busch zurück!
Will Peterson hat es zu einer eigenen Viehstation gebracht, und ich mache einen Umweg von fünfzig Meilen; um ihm die Nachricht mitzutheilen und die Zeitung zu bringen, denn er weiß jetzt, daß sein früherer Gebieter, Vivian, ein Cumberländer – ein Caxton ist. Armer Will! Dein Thee schmeckte an jenem Abend ungemein wie Whisky-Punsch! Vater Mathias Theobald Mathew (1790-1856), irischer katholischer Geistlicher; gründete 1838 den Verein der Abstinenzler. möge uns vergeben! – aber wenn Du ein Cumberländer gewesen wärest und Will Peterson hättest brüllen hören: »Blaue Mützen über Bord,« Blue Bonnets over the Borders, eine berühmte schottische Ballade, die sich auf den Versuch einer Invasion Großbritanniens durch den Stuart Bonnie Prince Charlie (der »hübsche Prinz Charlie«) 1745 bezieht. so glaube ich, auch dein Thee wäre nicht aus der Büchse gekommen!
Eine große Veränderung ist in unserem Hauswesen vorgegangen. Guy's Vater hat das Zeitliche gesegnet, nachdem seine letzten Jahre durch die Berichte über die beharrliche Ausdauer und den Wohlstand seines Sohnes, wie auch durch die rührenden Beweise, die er davon gab, noch sehr erheitert worden. Guy bestand nämlich darauf, seinem Vater die Summe, welche dieser zur Tilgung seiner Universitätsschulden bezahlt, sowie die 1500 Pfund, die er ihm nach Australien mitgegeben hatte, zurückzuerstatten, und bat, das Geld zu dem Erbtheil seiner Schwester zu schlagen. Diese nun beschloß nach dem Tode des alten Herrn, zu ihrem lieben Bruder Guy nach Australien zu kommen und bei ihm zu leben. Ein weiterer Flügel wurde an die Hütte angebaut, zugleich aber auch für nächstes Jahr ein ehrgeiziger Plan zur Errichtung eines neuen steinernen Hauses entworfen.
Zu meinem größten Erstaunen aber hat Guy nicht nur eine Schwester, sondern auch eine Frau von Adelaide mitgebracht, und zwar in der Gestalt einer schönen Freundin, von welcher die Schwester begleitet war. Die junge Dame that ganz wohl daran, nach Australien zu gehen, wenn sie sich zu verheirathen wünschte. Sie war sehr hübsch, und sogleich hatten sich alle Löwen von Adelaide um sie gesammelt. Guy verliebte sich am ersten Tage – war am zweiten wüthend über dreißig Nebenbuhler – am dritten in Verzweiflung – brachte am vierten seine Werbung an – war noch vor dem fünfzehnten ein glücklicher Ehemann und eilte mit seinem Kleinod nach Hause, als fürchte er, die ganze Welt habe sich verschworen, ihn desselben zu berauben.
Seine Schwester war ebenso hübsch, wie ihre Freundin, und erhielt, nachdem sie kaum an's Land gestiegen, gleichfalls Anträge genug; allein sie war romantisch und spröde, und ich vermuthe, Guy hatte ihr gesagt, daß »ich ganz für sie geschaffen sei«. So lieblich sie übrigens auch ist – mit ihren hübschen blauen Augen und dem offenen Lächeln ihres Bruders – so bin ich doch nicht in ihren Reizen gefangen. Ich glaube, sie verlor alle Aussicht, mein Herz zu gewinnen, als ich sie in seidenen Schuhen über den Hof gehen sah. Wenn ich in dem Busch bleiben sollte, so müßte ich eine Frau haben, die gut reiten, über einen Graben springen und, das Gewehr in der Hand, mit mir auf die Känguruhjagd ausziehen könnte. Doch, ich wage es nicht, alle weiteren Erfordernisse aufzuzählen, welche ich für die Frau eines Buschmanns unerläßlich halte!
Die genannte Veränderung in unseren Hauswesen dient übrigens aus verschiedenen Gründen dazu, den Wunsch, in die Heimath zurückzukehren, immer lebendiger in mir werden zu lassen. Zehn Jahre sind nun vergangen, und ich habe bereits ein viel größeres Vermögen erworben, als ich ursprünglich in Rechnung genommen. Zu Guy's aufrichtigem Leidwesen schließe ich daher unsere Geschäfte ab und sage mich von allem weiterer Antheil los; denn Guy ist entschlossen, sein Leben in der Colonie zuzubringen – was mich gar nicht wundert, mit seiner hübscher kleinen Frau, die ihn sehr lieb gewonnen hat. Die Station und der Viehstand ist in Guy's alleinigen Besitz übergegangen; wir haben abgerechnet, und ich sage dem Busch Lebewohl.
Ungeachtet aller Beweggründe, die mein Herz nach Hause zogen, konnte ich doch von meinen alten Gefährten, welche ich wahrscheinlich diesseits des Grabes nie wiedersehen werde, nicht Abschied nehmen, ohne ihren Schmerz zu theilen. Der Geringste in meinem Dienste war mir ein Freund geworden, und als jene rauhen Hände die meinigen faßten, und aus mancher Brust, die einst in wildem Kampfe mit der Welt gelebt, sanfte Segenswünsche für den Heimkehrenden emporstiegen – Alt-Englands mild gedenkend, das ihnen nur eine harte Stiefmutter gewesen – da bemächtigte sich meiner ein überwältigendes Gefühl, ziemlich verschieden, wie ich vermuthe, von den Freundschaftsgefühlen in Mayfair und St. James. Alles, was ich hervorbringen konnte, waren einige abgebrochene Worte, obwohl ich beabsichtigt hatte, mit einer langen Rede zu scheiden. Vielleicht aber gefielen meiner Zuhörerschaft die abgebrochenen Worte besser! Ich gab meinem Pferde die Sporen, erreichte eine kleine Anhöhe und blickte zurück. Dort standen die treuen Bursche im Kreise, mit abgenommenen Hüten mir nachsehend und mit den Händen ihre Augen vor der Sonne beschattend. Guy hatte sich auf die Erde niedergeworfen, und ich hörte deutlich sein lautes Schluchzen. Seine Frau beugte sich über seine Schulter und suchte ihn zu beruhigen. Vergieb ihm, schöne Gefährtin – morgen schon wirst Du sein Alles in der Welt sein!
Und die blauäugige Schwester, wo war sie? Hatte sie keine Thräne für den rauhen Freund, der über die seidenen Schuhe gelacht und sie gelehrt hatte, die Zügel zu halten und nicht zu fürchten, das alte Pony möchte mit ihr durchgehen? Gleichviel; wenn Zähren geflossen, so geschah es im Verborgenen. Du brauchst Dich ihrer nicht zu schämen, schöne Ellen! – inzwischen hast du glückliche Thränen über deinem Erstgebornen geweint, und diese haben längst alle Bitterkeit aus der unschuldigen Erinnerung an die erste Neigung des Mädchens hinweggenommen.
Von Adelaide aus.
Wer beschreibt mein Erstaunen? – Onkel Jack ist eben bei mir gewesen, und – doch, ich lasse unser Gespräch folgen.
Onkel Jack. – »So willst Du also wirklich nach dem rauchigen, nebligen alten England zurück, während Du hier auf dem besten Wege bist, ein Millionär zu werden? Wenigstens ein Millionär, Neffe! Alle sagen, es gebe keinen jungen Mann mit bessern Aussichten in der ganzen Colonie. Ich glaube, Bullion würde Dich zum Theilhaber seines Geschäftes annehmen. Warum bist Du denn in so großer Eile?«
Pisistratus. – »Um meinen Vater wiederzusehen und meine Mutter und Onkel Roland und – (er ist im Begriff, noch einen Namen auszusprechen, hält aber inne). Du siehst, lieber Onkel, ich kam nur hierher, um die Verluste meines Vaters in jener unglücklichen Spekulation mit dem Kapitalisten wieder gut zu machen –«
Onkel Jack (hustet und ruft aus:) – Der spitzbübische Peck!«
Pisistratus. – »Und einige Tausende zur Verwendung auf Onkel Rolands Ländereien zu gewinnen. Mein Zweck ist erreicht – weßhalb sollte ich länger bleiben?«
Onkel Jack. – »Einige armselige Tausende – während Du spätestens nach zwanzig weiteren Jahren im Golde schwimmen könntest!«
Pisistratus. – »Man lernt in dem Busch, wie man mit reichlicher Beschäftigung und sehr wenig Geld glücklich sein kann. Ich will diese Lehre in England zur Ausübung bringen.«
Onkel Jack. – »Dein Entschluß ist unwiderruflich gefaßt?«
Pisistratus. – »Und mein Platz auf dem Schiffe genommen.«
Onkel Jack. – »Dann ist nichts mehr darüber zu sagte (Er murmelt einige unverständliche Worte vor sich hin, betrachtet seine Nägel – musterhaft gehalten und fleckenlos, wie immer – wirft dann plötzlich den Kopf in die Höhe und fährt fort:) Dieser ›Kapitalist‹ hat mir inzwischen das Gewissen beschwert, Neffe; und ich glaube, seitdem ich die Sache meiner Mitmenschen aufgegeben habe, liegt mir die Sorge für meine Verwandten näher am Herzen.
Pisistratus (erinnert sich lächelnd der schlauen Prophezeiungen seines Vaters in dieser Beziehung). – »Natürlich mein lieber Onkel; jedes Kind, das einmal einen Stein in einen Teich geworfen hat, weiß, daß der Kreis allmälig verschwindet, je weiter er wird.«
Onkel Jack. – »Sehr richtig – ich werde mir eine Notiz davon machen, bei meiner nächsten Rede zur Vertheidigung des sogenannten ›Landmonopols‹ zu gebrauchen. Danke schön – Stein – Kreis! (Er schreibt einige Worte in sein Taschenbuch.) Doch, um auf die Hauptsache zurückzukommen – ich bin jetzt in guten Verhältnissen, habe weder Weib noch Kind, und fühle, daß ich meinen Theil an dem Verlust Deines Vaters tragen sollte, denn es war unsere gemeinschaftliche Spekulation. Und Dein Vater, der gute, liebe Austin, bezahlte noch dazu meine Schulden! Und wie herrlich der Punsch an jenem Abend war, als Deine Mutter so gute Lust hatte, den armen Jack zu schelten! Endlich die 300 Pfund, die Austin mir beim Abschied borgte – Neffe, diese haben etwas aus mir gemacht; sie waren die Eichel des Baumes, den ich hierher verpflanzte. Hier sind sie (setzte Onkel Jack mit einer heroischen Anstrengung hinzu, indem er Wechsel im Betrag zwischen drei- und viertausend Pfund aus seinem Taschenbuch nahm). So, nun ist es geschehen – und ich werde desto besser schlafen.« (Mit diesen Worten sprang Onkel Jack auf und stürzte aus dem Zimmer.)
Soll ich das Geld nehmen? Ich denke, ja – es ist nicht mehr, als billig. Jack muß in der That reich sein und kann die Summe wohl entbehren; und wenn er sie je wieder brauchen sollte, so weiß ich, daß mein Vater sie ihm nicht vorenthalten wird. Ueberdies trug Jack die Schuld an dem ganzen durch den ›Kapitalisten‹ &c. verursachten Verlust, und dies ist nicht ganz die Hälfte von dem, was mein Vater bezahlen mußte. Aber ist es nicht schön von Onkel Jack? Nun, mein Vater hatte ganz Recht, Jacks schiefwinklige Bildung milder zu beurtheilen, und es ist hart, über einen Menschen abzusprechen, der sich in dürftigen Verhältnissen befindet. Wenn man zu der Ausführung seiner Ideen das Geld des Nachbars bedarf, so können sie sicherlich nicht so großartig sein, als wenn man eigene Mittel dazu verwendet.
Onkel Jack (den Kopf zur Thüre hereinstreckend). – »Und Du siehst, Du kannst das Geld verdoppeln, wenn Du es noch ein paar Jahre in meinen Händen lassen willst. Du hast keinen Begriff, was ich aus ›Tibbets Heil‹ machen werde! Habe ich es Dir schon gesagt? – Die Vermuthung des Deutschen war vollkommen richtig – man hat mir bereits eine siebenmal größere Summe geboten, als ich für das Land bezahlt. Allein ich sehe mich jetzt nach einer Gesellschaft um; laß mich Dich wenigstens für den armseligen Wechsel als Actionär einzeichnen. Hundert Procent – ich verbürge Dir hundert Prozent!« (Und Onkel Jack streckte seine glatten Hände aus mit einer zitternden Bewegung der beredten zehn Finger.)
Pisistratus. – »Ah, mein lieber Onkel, wenn es Dich reut –«
Onkel Jack. – »Mich reuen! wenn ich dir unter meiner persönlichen Bürgschaft hundert Prozent anbiete?«
Pisistratus (steckt sorgfältig die Wechsel in die Brieftasche seines Rockes). – »Nun, wenn es Dich nicht reut, mein lieber Onkel, so erlaube mir, Dir die Hand zu drücken und zu sagen, daß ich meine Achtung und Bewunderung vor der hohen Gewissenhaftigkeit, welche Dich zu diesem Ersatz veranlaßt, nicht vermindern will, indem ich Gedanken an Actien-Interessen und Kupferminen damit in Verbindung bringe. Ueberdies habe ich, wie Du siehst, kein Recht, diese Summe, welche Eigenthum meines Vaters ist, ohne dessen Wissen und Willen anzulegen.«
Onkel Jack (sichtlich bewegt). – »Achtung, Bewunderung, hohe Gewissenhaftigkeit! – dies sind angenehm klingende Worte aus Deinem Munde, Neffe. (Hierauf schüttelt er den Kopf und lächelt.) Du schlauer Spitzbube hast ganz Recht; laß Dir sogleich die Wechsel ausbezahlen und dann bleibe mir aus dem Wege – hörst du? – und laß Dir keinen Heller mehr von mir abschwatzen!« (Onkel Jack schlägt die Thüre zu und stürzt fort, Pisistratus zieht die Wechsel behutsam aus seiner Tasche, halb vermuthend, sie möchten sich bereits wie Hexengold in welke Blätter verwandelt haben, überzeugt sich jedoch allmälig, daß die Wechsel gut sind, und gibt sein frohes Erstaunen durch lebhafte Geberden zu erkennen.)
Die Scene wechselt.