Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehnter Abschnitt.


Erstes Kapitel.

Bei Dante findet sich eine schöne und eigenthümliche Stelle (der vielleicht nicht die ihr gebührende Aufmerksamkeit zu Theil geworden ist), in welcher der ernste Florentiner Fortuna gegen die gewöhnlich wider sie erhobenen Beschuldigungen vertheidigt. Nach ihm ist sie eine Engelsmacht, vom höchsten Wesen dazu bestimmt, den Lauf des menschlichen Glanzes zu lenken und zu ordnen; sie gehorcht dem göttlichen Willen, ist gesegnet, hört nicht diejenigen, welche sie lästern, setzt ruhig und erhaben unter den übrigen Engelsmächten ihren Sphärengang fort und freut sich ihrer Seligkeit Dante bringt hier augenscheinlich Fortuna mit den planetarischen Einflüssen der Astrologie in Verbindung. Es ist zu bezweifeln, ob Schiller Dante jemals gelesen hat, aber in einem seiner gedankenreichsten Gedichte übernimmt er dieselbe Vertheidigung Fortuna's, indem er das Glückliche zu einem Theil des Schönen macht. [ Anm.d.Verf.].

Diese Vorstellung ist sehr verschieden von der gewöhnlichen Ansicht, welche Aristophanes in seinem treuen Instinkte für volksthümliche Dinge dem finstern Plutus in den Mund legt In der Komödie »Der Reichtum«.. Dieser Gott erklärt seine Blindheit mit den Worten – »als er noch ein Knabe gewesen, habe er unvorsichtiger Weise gelobt, nur die Guten heimzusuchen.« Jupiter aber war so neidisch auf die Guten, daß er den armen Geldgott blendete. Chremylus frägt ihn nun, »ob er, wenn er sein Augenlicht wieder erhielte, die Gesellschaft der Guten aufsuchen würde?« »Gewiß,« erwiedert Plutus, »denn ich habe so lange keine guten Menschen mehr gesehen.« »Ich auch nicht,« entgegnete Chremylus mit Nachdruck, »obwohl mir beide Augen weit offen stehen.«

Doch, diese misanthropische Antwort des Chremylus berührt uns nicht und lenkt uns nur von der eigentlichen Frage ab, nämlich: »Ob Fortuna ein himmlischer, christlicher Engel, oder eine blind zutappende, alte heidnische Gottheit ist?« Ich für meinen Theil halte es mit Dante und könnte, wenn ich Lust dazu oder in dieser Periode meiner Memoiren ein halbes Dutzend Seiten übrig hätte, viele gute Gründe dafür angeben. Eines jedoch ist vollkommen klar – mag nun Fortuna einem Engel oder Plutus gleichen, so nützt es nichts, auf sie zu schmähen – eben so gut könnte man nach einem Stern mit Steinen werfen. Und ich glaube, wenn man ihre Thätigkeit genau in's Auge faßt, so wird man finden, daß sie jedem Menschen wenigstens einmal in seinem Leben eine Gelegenheit gibt; ergreift und benützt er sie, so wiederholt sie ihre Besuche; wo nicht – itur ad astra Sic itur ad astra – So ruft Apollo dem jungen Krieger Ascanius zu, nachdem dieser einen Gegner getötet hat (Virgil, Aeneis IX, 641); an dieser Stelle hat das »Zu-den-Sternen-Gehen« die Bedeutung: »So erlangt man Ruhm!« – Hier allerdings ist wohl gemeint, dass Fortuna im angesprochenen Fall auf Nimmerwiedersehn entschwindet.! Dies erinnert mich an einen Vorfall, welchen Mariana in seiner »Geschichte von Spanien« Juan de Mariana (1536-1624), spanischer Jesuit; sein Werk » Historiae de rebus Hispaniae« (1592-1621); englische Übersetzung 1699. erzählt. Die spanische Armee wird in den Gebirgen bei dem Paß von Losa aus einer traurigen Verlegenheit durch einen Schäfer befreit, welcher ihr den Weg zeigt. »Uebrigens,« fügt Mariana in einer Parenthese bei, »behaupten Manche, der Schäfer sei ein Engel gewesen, denn, nachdem er dem Heere diesen Dienst erwiesen, sah man ihn nie wieder.« Das heißt, die Engelsnatur des Führers gab sich darin zu erkennen, daß er nur ein einziges Mal gesehen wurde und es der Armee, nachdem er sie aus ihrer Bedrängniß befreit hatte, überließ, zu kämpfen oder davonzulaufen, wie sie eben Lust hatte. Diesen Schäfer oder Engel nun betrachte ich als ein Sinnbild wenigstens meiner Fortuna. Die Erscheinung zeigte mit meinen Weg aus dem Felsen nach dem großen »Kampfplatz des Lebens«; nachher aber – halte Stand und kämpfe tapfer!

Ich befinde mich in London mit Onkel Roland. Meine armen Eltern wünschten natürlicher Weise, mich zu begleiten und dem Abenteurer mit ihren Blicken noch bis an Bord des Schiffes zu folgen; allein ich wußte, daß ihnen der Abschied am häuslichen Herde, und so lange sie sich sagen konnten, »er ist bei Roland – er hat das Vaterland noch nicht verlassen« – weniger schwer fallen würde, und so bestand ich darauf, daß sie zurückblieben, und das Abschiedswort ward gesprochen. Roland aber, der alte Soldat, hatte mir so viele praktische Anweisungen zu geben und konnte mir bei meiner Ausrüstung und bei den Vorbereitungen für die Reise so vielfach behülflich sein, daß ich sein Geleite nicht zurückweisen mochte. Guy Bolding, welcher sich zu seinem Vater begeben hatte, um dieses Lebewohl zu sagen, sollte, wie auch meine bescheideneren Cumberländer Reisegefährten, in London mit mir zusammentreffen.

Da meines Onkels und meine eigenen Ansichten in Beziehung auf Sparsamkeit vollständig übereinstimmten, so nahmen wir unsere Wohnung in der City, und dort war es denn, wo ich zum ersten Mal mit einem Theil von London bekannt wurde, der wohl den meisten meiner vornehmeren Leser fremd sein wird. Ich meine damit keinen Spott über die City selbst – das wäre ein abgenutzter Witz, mein lieber Alderman. Es sind auch keine Straßen, Höfe und Gäßchen, welche ich im Auge habe, sondern etwas, das man auch im Westende sehen kann (allerdings vielleicht nicht ganz so gut), nämlich – die Dachgiebel!


Zweites Kapitel,

welches von Dachgiebeln handelt.

Die Dachgiebel! welch' einen ernüchternden Einfluß übt nicht der Anblick derselben auf den Geist aus! Uebrigens gehören nicht wenige Erfordernisse dazu, um den rechten Gesichtspunkt zu treffen. Es ist nicht genug, sich eine Wohnung unter dem Dache zu verschaffen, denn man darf sich durchaus nicht mit einem vordern Dachstübchen abspeisen lassen, welches nach der Straße herausgeht. Erstlich also mußt Du Dir unfehlbar ein hinteres Dachstübchen wählen; zweitens soll das Haus, in welchem es sich befindet, etwas höher, als die Nachbarhäuser sein; drittens darf das Fenster nicht', wie es gewöhnlich bei Dachstübchen der Fall ist, schräg in das Dach eingesetzt sein, da Du alsdann nur einen Ausblick auf das bleierne Gewölbe gewinnst, welches die verblendeten Londoner Himmel nennen, sondern es muß senkrecht stehen und nicht zur Hälfte durch die Brustwehr jenes Grabens, Rinne genannt, versperrt werden, und schließlich muß die Lage so beschaffen sein, daß sie nirgends eine Aussicht auf das Pflaster gestattet, denn sowie das Auge mit der untern Welt in Verbindung tritt, so ist der Zauber der oberen zerstört. Vereinigt Dein Stübchen alle diese Erfordernisse, so öffne Dein Fenster, stütze die Ellenbogen recht bequem auf das Gesims, das Kinn auf beide Hände, und betrachte die außerordentliche Scene, welche sich vor Dir ausbreitet. Du wirst es schwer finden, zu glauben, daß das Leben hier oben so ruhig sein könne, während es unten so geräuschvoll und verworren ist. Welche staunenerregende Stille! Eliot Warburton Eliot Warburton (1810–1852), irischer Reiseschriftsteller und Dichter., der verführerische Zauberer, empfiehlt eine Thalfahrt auf dem Nil, um den gequälten Geist zu besänftigen. Es ist jedoch einfacher und wohlfeiler, ein Dachstübchen in Holborn zu miethen! Krokodile siehst Du zwar keine, dafür aber andere Thiere, die in Egypten nicht weniger geheiligt sind – Katzen! Und wie harmonisch diese ruhigen Geschöpfe in die Aussicht passen – wie geräuschlos sie in der Ferne dahingleiten, stehen bleiben, umherspähen und verschwinden. Nur von dem Dachstübchen aus vermag man das Malerische zu würdigen, das dem Geschlechte unserer Haustiger eigen ist. Die Ziege muß man auf den Alpen, die Katze auf einem Dachgiebel sehen.

Allmälig erfaßt das neugierige Auge die Einzelnheiten des vor ihm entrollten Bildes, und zunächst fällt ihm die phantastische Abwechslung in der Höhe und Gestalt der Schornsteine auf – die einen gleich hoch in einer Reihe, einförmig und ehrwürdig, aber völlig uninteressant, andere dagegen allen Verhältnissen des Ebenmaßes spottend und dem Geiste die Frage aufdrängend, weßhalb sie sich so hoch in die Lüfte erheben. Der Verstand antwortet, es sei nur ein einfaches Auskunftsmittel, um dem Rauch freieren Abzug zu gestatten; sogleich aber mischt sich die Einbildungskraft darein und vergegenwärtigt Dir all' den Aerger und Verdruß, alle Sorgen und Mühen, mit welchen der Eigenthümer des Schornsteins, jetzt des höchsten von allen, zu kämpfen hatte, ehe er ihn so hoch bauen ließ und dadurch den Rauch los wurde. Du siehst den Jammer der Köchin, wenn der rußige Eindringling, »wie ein Wolf auf den Schafstall,« mit einem kühnen Sprunge auf den Sonntagsbraten niederstürzt; – Du hörst die Schreckensrufe der Hausfrau (sie ist vielleicht kurz erst verheirathet – das Haus ganz neu eingerichtet), wenn sie in ihrem weißen Häubchen und Schürzchen in das Besuchzimmer sich wagt und dort von dem lustigen Tanz jener Monaden begrüßt wird, welche man gemeiniglich Kohlenstaub nennt; – Du fühlst eine männliche Entrüstung über den rohen jungen Ehegatten, der zur Thüre herausstürzt, während besagte Atome ihm nachtanzen, und sich fluchend vernehmen läßt: »Wieder durch den Rauch vertrieben! Bei dem Erz-Raucher selbst, es bleibt mir nichts übrige als fortzugehen und in dem Club zu Mittag zu speisen!« Dies Alles kann sehr leicht geschehen sein, ehe die Schornsteinspitze dem Himmel einige Fuß näher gerückt wurde, und nun besitzt vielleicht die Familie nach langen Leiden die glücklichste Heimath in der Straße. Welch' verschiedenartige Erfindungen, um sich den Rauch vom Halse zu schaffen! Nicht Jeder begnügt sich damit, seinen Schornstein zu erhöhen; die hohlen Quälgeister sind zum Theil mit dem seltsamsten Kopfputz und allen Arten von Kappen versehen. Hier vertreten Patentvorrichtungen die Stelle von Wetterhähnen und schwingen sich im Winde hin und her; dort stehen andere so fest, als hätten sie durch ein » sic jubeo« » Hoc volo, sic iubeo; sit pro ratione voluntas.« (Juvenal, Satiren VI, 223): Dies will ich, so befehle ich; statt eines Grundes gelte mein Wille. die Sache völlig in Ordnung gebracht. Von all' den Häusern aber, an denen man ohne Ahnung, was innerhalb derselben sich zutragen mag, in der Straße vorübergeht, ist unter hundert nicht Eines, wo man nicht seine liebe Noth gehabt hätte, um die Kamine vom Rauchen zu kuriren! Hiermit hält die Philosophie den Gegenstand für erschöpft und entscheidet sich dahin, daß, mag man in der Hütte oder im Palaste wohnen, die erste Sorge auf den Herd und die Beseitigung des Rauches gerichtet sein muß.

Neue Schönheiten nehmen unsere Aufmerksamkeit in Anspruch. Welche endlosen Wellenlinien in den verschiedenen Auf- und Absteigungen – hier schief, dort im Zickzack! Mit welcher majestätischen Verachtung steigt dort zur Linken jenes Dach in die Höhe! Ohne Zweifel ein Palast der Genien oder Gin Das englische Wort gin bedeutet Branntwein. [ Anm.d.Übers. – In Wahrheit handelt es sich um Wacholderschnaps. Seit 1690 ist die Basis von dessen Alkohol ausschließlich Getreide; während der Destillation erfolgt die Würzung mit Wacholder und anderen Zutaten. – Die Dschinn sind nach dem islamischen Glauben übersinnliche Wesen, die aus Feuer erschaffen sind, über Verstand verfügen und neben den Menschen die Welt bevölkern.] (letzteres ist das richtige arabische Wort für die Erbauer von Palästen aus nichts, welche Aladdin beschäftigte). Du siehst von jenem Palaste nur das Dach, welches kühn den Horizont unterbricht – und rein und heiter sind Deine Betrachtungen. Ein Stern funkelt vielleicht gerade über dem Dache, und Du denkst an ein sanftes, fernes Auge, während unten an der Schwelle – nein, Ihr Fantome, wir sehen Euch nicht von unserem Dachstübchen aus! Betrachte dort jenen jähen Absturz – wie rissig und klippig die Dächer-Landschaft in einen Schlund sich verliert. Wer immer den Weg durch diesen Engpaß, von welchem wir nur die malerischen Spitzen sehen, zu Fuße zurücklegen will, hält sich die Nase zu, wendet die Augen ab, bewacht seine Taschen und eilt raschen Schrittes weiter durch den Unflath der grimmigen Londoner Lazzaroni Lazzaroni war vom 17. bis zum 19. Jh. eine Bezeichnung für einen Teil der Unterschicht Neapels. Lazzaroni hatten weder feste Wohnungen noch Arbeit. Aus den Bandenstrukturen dieser ›Unbehausten‹ entwickelte sich später die Camorra, Neapels Mafia.. Aber von oben gesehen, welch' ein edler Bruch in der Linie des Himmels! Es wäre eine Entweihung, diese schöne Schlucht gegen eine todte Fläche langweiliger Dachgiebel auszutauschen. Und dort – wie entzückend! – siehst Du jenes öde, verlassene Haus – es hat gar kein Dach mehr und trägt überall die Spuren des letzten Londoner Brandes. Die armen grün und weißen Tapeten hängen noch theilweise an den Wänden herunter, und schwarze Schatten bezeichnen hier die Oeffnung, wo ehedem ein Schrank, und dort die dunkle Lücke, wo früher der Herd gewesen. Von unten gesehen, wie rasch würdest Du vorübergehen! Jenes Krachen ist der Vorbote einer Lawine Du würdest den Athem anhalten, damit sie sich nicht auf Dein Haupt entlade. Aber von oben gesehen, welch' ein Zauber der Theilnahme und der Neugierde liegt nicht in der gerippartigen Ruine! Wie Deine Phantasie ausschweift – sie bevölkert die Gemächer wieder – sie hört das letzte ›gute Nacht‹ in diesem Pompeji – sie sieht die Mutter auf den Zehenspitzen an das Bettchen ihres schlummernden Säuglings sich schleichen, um ihm noch einen letzten Blick zuzuwerfen. Es ist Mitternacht und alles stille. Dann zuckt die rothe Schlange leckend hervor. Wie sie keucht – wie sie zischt – bald in Schneckenwindungen sich aufwickelnd, bald senkrecht in die Höhe steigend – mit stolzem Kamm und gespaltener Zunge – fürchterlich schön! Und nun das Auffahren vom Schlafe, das ängstliche Erwachen, das Hin- und Herrennen, das Stürzen der Mutter nach der Wiege, die Angstrufe aus dem Fenster, das Klopfen an die Thüre, das Eilen der oberen Bewohner nach der Treppe und der Rauch, der ihnen entgegen qualmt, wie eine Woge aus der Hölle! Halb erstickt und geblendet weichen sie zurück, während der Boden unter ihnen wankt, wie ein Schifflein auf dem Meere. Horch! das dumpfe Gerassel der Räder – näher und näher kömmt die Feuerspritze. Legt die Leitern an – dort! dort! an dem Fenster, wo die Mutter mit dem Säugling sieht! Zischend dringt der Wasserstrahl ein und dämpft auf einen Augenblick die Flamme. Der Feind trotzt dem Feinde, das Element dem Elemente. Welch' ein erhabener Kampf! Doch, die Leiter, die Leiter! dort an dem Fenster! Die Uebrigen sind Alle gerettet – der Gelehrte mit seinen Büchern, der Advokat mit seiner blechernen Urkunden-Kapsel, der Hausbesitzer mit seiner Versicherungs-Police, der Geizhals mit seinem Gold und seinen Banknoten – Alle sind gerettet, Alle, bis auf den Säugling und seine Mutter. Welch' eine Menschenmenge in den Straßen – die Flammen werfen ein grellrothes Licht auf hunderte und hunderte von Zuschauern! Und in allen – diesen Zügen malt sich nur Eine Empfindung – die Angst! Niemand besteigt die Leiter. Doch ja – wackerer Bursche! Gott gibt Dir Muth – Gott wird Dir auch das Gelingen geben! Wie deutlich sehe ich ihn! – seine Augen sind geschlossen, seine Zähne über einander gebissen. Die Schlange hüpft auf, die gespaltene Zunge schießt nach ihm hin, und der Qualm ihres Athems hüllt ihn ein. Die Menge ist zurückgefluthet, wie ein Meer, und der Rauch bedeckt sie Alle. Ha! wer sind jene dunklen Gestalten auf der Leiter? Näher und näher – krachend fallen die Ziegel. Wehe! – Doch nein, ein Freudenruf – ein »Gott sei Dank!« und die Weiber drängen sich vor und umringen Mutter und Kind. Alles ist dahin, nichts übrig, als die gerippartige Ruine. Diese aber muß man von oben sehen! O Kunst, studire das Leben von den Dachgiebeln aus!


Drittes Kapitel.

Meine Hoffnung, Trevanion zu sehen, ward wieder vereitelt. Das Parlament hielt seine Osterferien, und er befand sich auf dem Landsitze eines der andern Minister im Norden von England. Lady Ellinor war jedoch in London und empfing mich sehr freundlich; ihre Herzlichkeit hätte in der That nicht größer sein können, obgleich ihr Geist augenscheinlich gedrückt war, und sie blaß und bekümmert aussah. Nachdem sie sich in liebevollster Weise nach meinen Eltern und dem Kapitän erkundigt, ging sie mit großer Theilnahme auf meine Plane und Entwürfe ein, welche ihr Trevanion mitgetheilt hatte. Die bewährte Güte meines alten Beschützers, welche sich auch jetzt nicht verleugnete, trotz seines erkünstelten Zürnens darüber, daß ich das von ihm angebotene Darlehen zurückgewiesen, hatte nicht nur mir und meinen Begleitern alle Mühe hinsichtlich der Landeszutheilungs-Anweisungen erspart, sondern uns auch den besten, auf praktische Erfahrung gestützten Rath in Bezug auf die Wahl der Lage und des Bodens auszumitteln gewußt, welcher uns in der Folge außerordentlich zu statten kam. Als mir Lady Ellinor das kleine Päckchen Papiere mit Trevanion's scharfsinnigen Randbemerkungen einhändigte, sagte sie mit einem halb unterdrückten Seufzer: »Albert läßt Ihnen sagen, er wünschte, seinem Erfolg im Kabinet ebenso hoffnungsvoll entgegensehen zu können, wie dem Ihrigen in dem Busch.« Sie ging nun auf die Stellung und die Aussichten ihres Gatten über, und allmälig schien sich ihr Antlitz zu verändern – ihre Augen glänzten, und ihre Wangen rötheten sich. »Doch,« unterbrach sie sich plötzlich selbst, »Sie gehören zu den Wenigen, welche ihn kennen; Sie wissen, wie er alles – Freude, Ruhe und Gesundheit – seinem Vaterlande opfert. Es ist nicht ein selbstsüchtiger Gedanke in seinem ganzen Wesen. Und doch so viel Neid, so viele Hindernisse! und –« (ihre Augen hefteten sich auf ihr Gewand, und ich bemerkte, daß sie Trauer trug, obwohl diese keine tiefe war) – »und,« setzte sie hinzu, »es hat dem Himmel gefallen, ihm denjenigen von der Seite zu nehmen, welcher der Verbindung mit ihm würdig gewesen wäre.«

Ich fühlte Theilnahme für Lady Ellinor, obgleich ihre Erregung mehr diejenige des Stolzes, als die des Schmerzes zu sein schien. Daß Lord Castleton der Macht ihres Gatten und ihrem eigenen Ehrgeiz gedient haben würde, war vielleicht sein höchstes Verdienst in ihren Augen gewesen. Ich senkte schweigend mein Haupt und gedachte an Fanny. Grämte auch sie sich um den verlorenen Rang, oder trauerte sie um den ihr entrissenen Geliebten?

Nach einer Pause sagte ich zögernd:

»Ich darf es kaum wagen, Ihnen mein Beileid auszudrücken, Lady Ellinor; allein glauben Sie mir, wenige Dinge haben mich jemals so erschüttert, wie der von Ihnen berührte Todesfall. Ich hoffe, Miß Trevanion's Gesundheit hat in Folge davon nicht zu sehr gelitten. Werde ich sie nicht sehen, ehe ich England verlasse?«

Lady Ellinor heftete ihr klares, durchdringendes Auge forschend auf mich, und der Blick schien sie zu befriedigen, denn sie hielt mir mit einer beinahe zärtlichen Freimüthigkeit die Hand entgegen und sagte:

»Besäße ich einen Sohn, so wäre es der innigste Wunsch meines Herzens, Sie mit meiner Tochter verbunden zu sehen.«

Ich sprang auf – das Blut stürzte mir nach den Wangen und ließ im nächsten Moment eine Todtenblässe zurück. Vorwurfsvoll blickte ich auf Lady Ellinor, und meine Lippen stammelten das Wort »grausam«.

»Ja,« fuhr Lady Ellinor traurig fort, »dies war mein innerster Gedanke, mein unwillkürlicher Schmerz, als ich Sie zum ersten Mal sah. Aber wie die Verhältnisse nun einmal sind, dürfen Sie mich nicht für zu hart und weltlich gesinnt halten, wenn ich das alte, stolze französische Sprüchwort anführe: › Noblesse oblige.‹ Adel verpflichtet. Hören Sie mich an, mein junger Freund – wir sehen uns vielleicht nie wieder, und ich möchte nicht, daß Ihres Vaters Sohn eine schlimme Meinung von mir mitnähme, trotz aller meiner Fehler. Von frühester Jugend an war ich ehrgeizig – nicht, wie Frauen gewöhnlich sind, nach bloßem Rang und Reichthum – sondern ehrgeizig in der Weise edler Männer nach Macht und Ruhm. Solchem Ehrgeize kann eine Frau nur fröhnen, indem sie ihn auf jemand Anderes überträgt. Nicht Reichthum, nicht Rang war es, was mich zu Albert Trevanion hinzog, sondern eine Natur, die den Reichthum entbehren und über den Rang gebieten kann. Ja,« fuhr Lady Ellinor mit einem leisen Zittern in der Stimme fort, vielleicht sah ich in meiner Jugend, ehe ich Trevanion kennen lernte, einen Mann« – sie hielt einen Augenblick inne und setzte dann schneller hinzu – »einen Mann, dem nur der Ehrgeiz mangelte, um mein Ideal zu verwirklichen. Vielleicht selbst, als ich mich verheirathete – und, wie man sagte, aus Liebe – liebte ich nicht sowohl mit meinem ganzen Herzen, als vielmehr mit meinem ganzen Geiste. Jetzt kann ich so sprechen, denn jeder Schlag dieses Pulses gehört nunmehr ganz und ausschließlich ihm, mit dem ich gestrebt und gerungen habe, mit dem ich in Eines verwachsen bin, dessen Kämpfe ich getheilt, und dessen Triumph ich nun mitfeire – die Träume meiner Jugend verwirklichend.«

Wieder brach das Licht aus den dunkeln Augen dieser Tochter der Welt, welche ein so vollkommenes Bild jenes moralischen Widerspruchs war – einer ehrgeizigen Frau.

»Ich kann Ihnen nicht sagen,« begann Lady Ellinor in weicherem Tone wieder, »wie sehr ich mich freute, als Sie in unser Haus kamen. Ihr Vater hat Ihnen vielleicht von mir und unserer ersten Bekanntschaft gesprochen?«

Lady Ellinor hielt plötzlich inne und sah mich an. Ich antwortete jedoch nicht.

»Vielleicht auch tadelte er mich?« fuhr sie fort, indem ihre Wangen sich rötheten.

»Er sprach niemals einen Tadel gegen Sie aus, Lady Ellinor!«

»Er hatte ein Recht, es zu thun – obwohl ich zweifle, daß er es aus dem richtigen Grunde gethan haben würde. Doch nein, nie hätte er mir so sehr Unrecht thun können, wie Ihr Onkel vor vielen Jahren in einem Briefe gethan, dessen Bitterkeit allen Zorn entwaffnete, und in welchem er mich beschuldigte, mit Austin – ja, mit ihm selbst ein Spiel getrieben zu haben! Er wenigstens hatte kein Recht, mir Vorwürfe zu machen,« fuhr Lady Ellinor mit Wärme fort, während sich ihre stolze Lippe verzog, »denn wenn ich auch für seinen wilden, romantischen Durst nach Ruhm und Ehre Interesse empfand, so war es nur in der Hoffnung, daß, was den einen Bruder so rastlos machte, in dem andern wenigstens den Ehrgeiz wecken werde, welcher seinem Geiste geziemt und seine Thatkraft angespornt haben würde. Doch, das sind alte Geschichten von vergangenen Thorheiten und Täuschungen. Nur so viel will ich noch sagen, daß ich bei dem Gedanken an Ihren Vater und auch an Ihren strengeren Onkel stets das Gefühl hatte, als ob mich mein Gewissen an eine Schuld erinnerte, welche ich abzutragen mich sehnte, wenn auch nicht an sie selbst, so doch an ihre Kinder. Daher lagen mir denn, sobald ich Sie kennen lernte, Ihr Wohl und Ihre Zukunft aufrichtig am Herzen. Allein, ganz in Anspruch genommen von Entwürfen und Planen, welche weit außer dem gewöhnlichen häuslichen Bereiche des Weibes liegen, beurtheilte ich Sie nicht richtig, und als ich Ihren feurigen Eifer so ernsten Gegenständen zugewendet sah und dabei die frische Schwungkraft Ihres Geistes bemerkte, träumte ich, so lange Sie unser Gast waren, nie von Gefahr für Sie oder Fanny. Ich thue Ihnen wehe – vergeben Sie mir – aber ich muß mich rechtfertigen. Ich wiederhole es, hätten wir einen Sohn und Erben unseres Namens, der die Last tragen könnte, welche die Welt Denen auferlegt, die dazu geboren sind, die Geschicke eben dieser Welt zu beeinflussen, so gäbe es Niemand, dem Trevanion und ich lieber das Glück einer Tochter anvertrauen würden. Allein Fanny ist die einzige Vertreterin des mütterlichen Stammes und des väterlichen Namens; es ist nicht ihr Glück allein, welches ich in Betracht zu ziehen habe, es ist ihre Pflicht – eine Pflicht gegen ihre Geburt, eine Pflicht für die Laufbahn des edelsten Patrioten England's – ja, ohne Uebertreibung darf ich es sagen – eine Pflicht für das Vaterland, dem das Ringen dieses Patrioten gilt!«

»Sagen Sie nichts mehr, Lady Ellinor, sagen Sie nichts mehr. Ich verstehe Sie. Ich habe keine Hoffnung – ich hatte niemals Hoffnung – es war ein Wahnsinn – er ist vorüber. Als Freund nur erlaube ich mir noch einmal die Bitte, in Ihrer Gegenwart Miß Trevanion sehen und ihr Lebewohl sagen zu dürfen, ehe ehe ich einsam hinziehe in diese lange Verbannung, um vielleicht meinen Staub in fremder Erde zurückzulassen! Ja, blicken Sie mir in's Antlitz – Sie können meiner Entschlossenheit, meiner Ehre, meiner Wahrhaftigkeit nicht mißtrauen. Nur einmal noch, Lady Ellinor, ein einziges Mal! Sollte ich vergeblich bitten?«

Lady Ellinor war augenscheinlich sehr bewegt. Ich beugte mich nieder, so daß ich beinahe vor ihr kniete, und während sie mit der einen Hand ihre Thränen abwischte, legte sie die andere auf mein Haupt und sagte mit leiser Stimme

»Ich bitte Sie inständig, verlangen Sie dies nicht von mir – verlangen Sie nicht, meine Tochter zu sehen. Sie haben gezeigt, daß Sie nicht selbstsüchtig sind – überwinden Sie sich auch diesmal noch. Wie, wenn ein solches Wiedersehen, so sehr Sie auch auf Ihrer Hut sein möchten, nur dazu dienen würde, mein Kind aufzuregen, seinen Frieden zu untergraben und –«

»O, sagen Sie das nicht – Miß Trevanion theilte meine Gefühle nicht!«

»Dürfte ihre Mutter es gestehen, wenn sie es that? Doch, bedenken Sie, wie jung Sie beide sind. Wenn Sie zurückkommen, werden alle diese Träume vergessen sein; dann können wir wieder zusammen verkehren, wie früher – dann will ich Ihre zweite Mutter sein, und wieder werde ich die Sorge für Ihre Zukunft als meine Aufgabe betrachten; denn Sie dürfen nicht glauben, daß wir Sie so lange in dieser Verbannung lassen werden, als Sie anzunehmen scheinen. Nein, nein – es ist nur eine Reise, ein Ausflug – nicht ein Ringen nach Glück und Vermögen. Dafür zu sorgen, überlassen Sie uns, wenn Sie zurückkehren!«

»Und ich soll sie also nicht mehr sehen?« murmelte ich, indem ich aufstand und schweigend an das Fenster trat, um mein Antlitz zu verbergen. Die großen Kämpfe im Leben beschränken sich auf Augenblicke. Das Sinkenlassen des Kopfes – der Druck der Hand auf die Stirne nimmt kaum eine Sekunde von unsern siebzig Jahren in Anspruch, aber welche Stürme mögen unser ganzes Wesen erschüttern, während dieses einzige Sandkorn geräuschlos auf den Boden des Stundenglases niedergleitet!

Festen Schrittes kam ich zu Lady Ellinor zurück und begann ruhig:

»Meine Vernunft sagt mir, daß Sie recht haben, und ich unterwerfe mich. Vergeben Sie mir jedoch, und halten Sie mich nicht für undankbar und übermäßig stolz, wenn ich hinzusetze, daß Sie mir den Lebenszweck lassen müssen, welcher mich in allem tröstet und ermuthigt.«

»Und welches wäre dieser Zweck?« frug Lady Ellinor zögernd.

»Unabhängigkeit für mich selbst und ein sorgenfreies, behagliches Dasein für Diejenigen, denen das Leben noch süß ist. Dies ist mein doppeltes Ziel, und die Mittel, es zu erreichen, müssen mein eigenes Herz und meine Hände sein. Und nun bitte ich Sie, Ihrem edlen Gatten meinen aufrichtigsten Dank auszudrücken; Ihnen selbst aber und ihr – welche ich nicht nennen will – sage ich meine wärmsten Wünsche. Leben Sie wohl, Lady Ellinor.«

»Nein, Sie dürfen mich nicht so eilig verlassen; ich habe vieles mit Ihnen zu besprechen – oder Sie wenigstens zu fragen. Sagen Sie mir, wie Ihr Vater den Wechsel seiner Verhältnisse erträgt und sagen Sie mir wenigstens, ob' es nicht irgend etwas gibt, was er uns gestatten würde, für ihn zu thun? Trevanion könnte ihm vermöge seines Einflusses mehr als eine Stelle anbieten, welche selbst der eigensinnigen Indolenz eines Gelehrten zusagen dürfte. Kommen Sie, sprechen Sie offen mit mir.«

So vieler Freundlichkeit konnte ich nicht widerstehen; ich setzte mich daher, beantwortete Lady Ellinors Fragen mit möglichster Fassung und suchte sie zu überzeugen, daß mein Vater seine Verluste nur in so weit fühle, als sie mich selbst betrafen, und daß wohl nichts, was in Trevanions Macht lag, ihn aus seiner Zurückgezogenheit hervorzulocken oder für eine Veränderung in seinen Gewohnheiten zu entschädigen vermöchte. Nachdem wir lange von meinen Eltern gesprochen, frug Lady Ellinor nach Roland, und als sie hörte, daß er mit mir nach London gekommen, drückte sie das lebhafte Verlangen aus, ihn zu sehen. Ich versprach, meinen Onkel von ihrem Wunsche in Kenntniß zu setzen, worauf sie gedankenvoll erwiederte –

»Wenn ich recht weiß, so hat er einen Sohn, mit dem er in einem unglücklichen Zwiespalt lebt.«

»Wer kann Ihnen dies gesagt haben?« frug ich erstaunt, da ich wußte, wie verschlossen Roland in Betreff seines häuslichen Kummers war.

»O, ich hörte davon durch Jemand, der Kapitän Roland kannte – wo und wann es war, kann ich mich nicht erinnern – aber ist es nicht so?«

»Mein Onkel Roland hat keinen Sohn.«

»Wie!«

»Sein Sohn ist todt.«

»Wie schmerzlich muß ihm ein solcher Verlust sein!«

Ich erwiederte nichts.

»Weiß er aber auch gewiß, daß sein Sohn todt ist? Welche Freude, wenn er sich irrte – wenn sein Sohn noch lebte!«

»Nein – mein Onkel hat ein tapferes Herz und ist vollständig ergeben. Doch, verzeihen Sie mir, haben Sie etwas von diesem Sohne gehört?«

»Ich! – Was sollte ich hören? Uebrigens möchte ich wohl von Ihrem Onkel selbst erfahren, was er mir von seinem Kummer mitzutheilen für gut fände – oder ob in der That die Möglichkeit vorhanden wäre, daß –«

»Daß?«

»Daß – sein Sohn noch lebte!«

»Ich glaube nicht,« erwiederte ich, »und ich zweifle, ob Sie viel von meinem Onkel erfahren werden. Indeß liegt etwas in Ihren Worten, was im Widerspruch mit ihrer scheinbaren Bedeutung steht und mich vermuthen läßt, daß Sie mehr wissen, als Sie sagen wollen.«

»Diplomat!« entgegnete Lady Ellinor halb lächelnd; ihre Züge nahmen jedoch einen ernsten, beinahe strengen Ausdruck an, als sie hinzusetzte: »Es ist ein schrecklicher Gedanke, daß ein Vater seinen Sohn hassen könne!«

»Hassen! – Roland seinen Sohn hassen? Was ist das für eine Verläumdung?«

»So ist es also nicht so? Geben Sie mir diese Versicherung, und ich werde mich von Herzen freuen, daß ich falsch berichtet worden.«

»Ich kann Ihnen nur so viel sagen – denn mehr weiß ich selbst nicht – daß, wenn jemals die Seele eines Vaters ganz allein nur an einem Sohne hing, und von den Schatten in dieses Sohnes Leben Furcht und Hoffnung, Freude und Leid in dem Herzen des Vaters sich wiederspiegelten, so war Roland dieser Vater, so lange sein Sohn noch lebte.«

»Ich kann die Wahrheit Ihrer Worte nicht bezweifeln,« rief Lady Ellinor in einem Tone der Ueberraschung. »Nun, sorgen Sie dafür, daß ich Ihren Onkel sehe.«

»Ich will mein Möglichstes thun, um ihn zu einem Besuche bei Ihnen zu veranlassen, damit er von Ihnen erfahre, was Sie augenscheinlich vor mir verbergen.«

Lady Ellinor erwiederte ausweichend auf diese Andeutung, und bald nachher verließ ich das Haus, in welchem ich das Glück kennen gelernt, das die Thorheit zur Folge hat, und den Schmerz, der die Weisheit zurückläßt.


Viertes Kapitel.

Ich hatte stets eine warme, beinahe kindliche Zuneigung zu Lady Ellinor empfunden, unabhängig von ihrer Verwandtschaft mit Fanny und von den Gefühlen der Dankbarkeit, welche ihr Wohlwollen mir einflößte; denn es gibt eine in ihrer Art höchst eigenthümliche Zuneigung, die einen sehr hohen Grad erreichen kann und das Ergebniß der Verschmelzung zweier Empfindungen ist, welche man nicht oft vereinigt findet – nämlich des Mitleids und der Bewunderung. Es war unmöglich, die seltene Begabung und die großen Eigenschaften Lady Ellinors nicht zu bewundern, zugleich aber auch sah man sich aufgefordert, die quälenden Sorgen und Unruhen einer Frau zu bemitleiden, welche mit ihrem feinen weiblichen Gefühle thätig in die rauhe Welt des Mannes eingriff.

Meines Vaters Bekenntniß hatte meine Achtung vor Lady Ellinor etwas beeinträchtigt und den unangenehmen Eindruck in meinem Geiste zurückgelassen, daß sie in Wahrheit mit seinem tiefen Herzen und Roland's ungestümen Gefühlen ihr Spiel getrieben habe. Die eben mitgetheilte Unterredung gestattete mir, sie mit mehr Gerechtigkeit zu beurtheilen, und gab mir die Ueberzeugung, daß sie die Neigung des jungen Gelehrten wirklich erwidert hatte, ihr Ehrgeiz aber stärker, als ihre Liebe gewesen war – ein Ehrgeiz, den man vielleicht ungewöhnlich und unweiblich, keineswegs aber gemein und unrein nennen konnte. Ihre Winke und Andeutungen erklärten mir ferner, wie es gekommen, daß Roland ihr scheinbares Interesse an ihm mißdeuten konnte: sie hatte in der wilden Energie des älteren Bruders nur ein Mittel gesehen, um die ruhigeren Fähigkeiten des jüngeren zu wecken – sie hatte in dem seltsamen Kometen, der vor ihr aufblitzte, einen Hebel gesucht, der den Stern in Bewegung setzen sollte. Auch konnte ich meine Verehrung einer Frau nicht versagen, welche, obgleich nicht unbedingt nach der Wahl ihres Herzens vermählt, dennoch vom ersten Tage an ihr ganzes Leben so innig ihrem Gatten weihte, als wäre er der Gegenstand ihrer frühesten Neigung ihrer ersten romantischen Liebe gewesen. Wenn selbst ihr Kind dem Gatten so sehr nachstand, daß sie in dem Schicksal desselben nur ein Mittel sah, der großartigen Bestimmung Trevanions Vorschub zu leisten, so konnte man doch nicht Zeuge dieser Verirrung einer ehelichen Hingebung sein, ohne die Gattin zu bewundern, mochte man auch die Mutter verurtheilen.

Von diesen Betrachtungen mich abwendend, durchzuckte mich bei allem Schmerze darüber, daß ich Fanny nicht mehr sehen sollte, ein Schauer selbstsüchtiger Freude. War es wirklich so, wie Lady Ellinor, wenn auch nur leise, angedeutet hatte, daß Fanny noch immer die Erinnerung an mich im Herzen bewahrte, und daß ein kurzes Wiedersehen, ein letztes Lebewohl ihren Frieden gefährden konnte? Doch, es stand mir nicht zu, diesem Gedanken nachzuhängen.

Was konnte Lady Ellinor von Roland und seinem Sohne gehört haben? War es möglich, daß der Verlorene noch lebte? Während ich diese Fragen an mich stellte, erreichte ich unsere Wohnung und traf den Capitän mit Besichtigung der verschiedenen, für einen australischen Abenteurer nothwendigen rohen Geräthschaften beschäftigt. Der alte Soldat stand am Fenster und untersuchte genau die Beschaffenheit von Handsäge und Spannsäge, Streitaxt und Schneidemesser. Als ich auf ihn zutrat, blickte er mich unter seinen dunklen Brauen mit grimmem Mitleid an, und sagte mürrisch:

»Schöne Waffen das für den Sohn eines Gentleman! Ein einziges Stück Stahl in Gestalt eines Schwertes wäre mehr werth, als sie alle.«

»Jede Waffe, mit welcher wir das Geschick überwinden, ist edel in der Hand eines braven Mannes, Onkel!«

»Der Knabe hat eine Antwort auf Alles,« bemerkte der Capitän lächelnd, als er seine Börse herauszog und den Ladendiener bezahlte.

Als wir allein waren, sagte ich zu ihm:

»Onkeln Du mußt Lady Ellinor besuchen; ich habe den Auftrag, Dich darum zu bitten.«

»Pah!«

»Du willst nicht?«

»Nein!«

»Onkel, ich glaube, sie hat Dir etwas zu sagen in Betreff – verzeihe mir! – in Betreff meines Vetters.«

Roland erblaßte, sank auf einen Stuhl und stotterte –

»In – in Betreff – meines Sohnes?«

»Ja; allein ich glaube nicht, daß es eine schlimme Nachricht ist. Onkel, bist Du gewiß, daß mein Vetter nicht mehr lebt?«

»Ha! – wie unterstehst Du Dich! – wer zweifelt daran? Er ist todt – todt für mich auf immer! Knabe, wolltest Du, daß er lebte, um diese grauen Haare zu beschimpfen?«

»Vergieb mir, Onkel – vergieb mir! Aber ich bitte Dich, gehe zu Lady Ellinor, denn ich wiederhole es – was sie Dir auch mitzutheilen haben mag, gewiß ist es nichts, was Dich verwunden könnte.«

»Nichts, was mich verwunden könnte, und doch bezieht es sich auf ihn

Es ist unmöglich, dem Leser einen Begriff von der Verzweiflung beizubringen, welche in diesen Worten lag.

»Vielleicht,« begann ich nach einer langen Pause und mit leiser Stimme wieder, denn ich war tief ergriffen – »vielleicht – wenn er todt ist – hat er all' sein Unrecht gegen Dich bereut, ehe er starb.«

»Bereut! – ha, ha!«

»Oder wenn er noch lebte –«

»Still, Knabe – still!«

»So lange noch Leben da ist, ist auch noch Hoffnung auf Reue und Besserung vorhanden.«

»Siehst Du, Neffe, sagte der Capitän, indem er aufstand und entschlossen die Arme über der Brust kreuzte – »siehst Du, ich habe gewünscht und gebeten, daß dieser Name nie mehr genannt werde. Ich habe meinem Sohne noch nicht geflucht; könnte er zu den Lebenden zurückkehren, so möchte der Fluch ausgesprochen werden und auf sein Haupt niederfallen! Du weißt nicht, welche Qual Deine Worte mir bereitet haben in dem Augenblick, da ich mein Herz einem andern Sohn geöffnet und diesen Sohn in Dir gefunden hatte. Was den Verlorenen betrifft, so habe ich nur eine Bitte, und Du kennst sie – die Bitte eines gebrochenen Herzens – daß sein Name mir niemals wieder zu Ohren komme!«

Nach diesen Worten, auf welche ich nichts zu erwiedern wagte, ging der Capitän mit langen, unsteten Schritten im Zimmer auf und ab. Plötzlich aber, als werde ihm der Raum zu enge und die Luft zu erstickend, ergriff er seinen Hut und eilte auf die Straße. Sobald ich mich von meinem Erstaunen und meiner Bestürzung erholt hatte, folgte ich ihm; allein er befahl mir mit einer so strengen und doch so traurigen Stimme, ihn seinen Gedanken zu überlassen, daß mir nur die Wahl des Gehorchens blieb. Ich wußte aus eigener Erfahrung, wie sehr wir der Einsamkeit in jenen Augenblicken bedürfen, da der Schmerz am heftigsten ist, und die Gedanken uns am meisten quälen.


Fünftes Kapitel.

Es vergingen Stunden, und der Capitän war noch immer nicht zurückgekehrt. Ich begann unruhig zu werden, und machte mich auf den Weg, um ihn zu suchen, obschon ich nicht wußte, wohin ich meine Schritte lenken sollte. Doch schien mir wenigstens einige Wahrscheinlichkeit dafür zu sprechen, daß er der Versuchung, Lady Ellinor zu besuchen, nicht habe wiederstehen können, und so begab ich mich zuerst nach St. James Square.

Meine Vermuthung war richtig gewesen – der Capitän hatte Lady Ellinor vor zwei Stunden verlassen, und kurz darauf war diese selbst ausgegangen. Während mir der Portier diese Auskunft ertheilte, hielt ein Wagen an der Thüre, und ein Bedienter übergab mit den einfachen Worten: »Von dem Marquis von Castleton« ein kleines Packet, dem Anscheine nach Bücher enthaltend, nebst einem Billet. Als ich jenen Namen hörte, wandte ich mich schnell um und erkannte Sir Sedley Beaudesert, der mit niedergeschlagenem, mißstimmtem Gesichtsausdruck zum Wagenfenster heraussah – sehr verschieden von seinem früheren Aussehen, wenn nicht etwa der seltene Anblick eines grauen Haares oder ein Anflug von Zahnweh ihn daran erinnerte daß er nicht mehr fünfundzwanzig Jahre zählte. Die Veränderung war in der That so groß, daß ich zweifelnd ausrief: – »Ist dies Sir Sedley Beaudesert?« worauf der Bediente an seinen Hut griff und mit einem herablassenden Lächeln sagte: – »Ja, nun Marquis von Castleton.«

Jetzt zum ersten Mal seit dem Tode des jungen Lord erinnerte ich mich Sir Sedley's lebhafter Dankergüsse gegen Lady Castleton und den Emser Brunnen, welche ihn von »diesem schrecklichen Marquisat« errettet hatten. Inzwischen war auch ich von meinem alten Gönner erkannt worden, und mit gewohnter Freundlichkeit rief er mir zu:

»Wie, Mr. Caxton! Ich freue mich herzlich, Sie zu sehen. Oeffne den Schlag, Thomas. Kommen Sie herein, bitte, kommen Sie herein!«

Ich gehorchte, und der neue Lord Castleton machte mir Platz an seiner Seite.

»Haben Sie Eile?« frug er; »und wenn dies der Fall ist, wohin soll ich Sie bringen? – wo nicht, so schenken Sie mir ein halbes Stündchen von Ihrer Zeit, während ich nach der City fahre.«

Da ich nun nicht wußte, in welcher Richtung ich mein Suchen nach dem Capitän fortsetzen sollte und es daher für das Beste hielt, in unserer Wohnung nachzufragen, ob er nicht vielleicht zurückgekehrt sei, so erwiederte ich, daß ich mich glücklich schätzen würde, Seine Gnaden zu begleiten, »obgleich« setzte ich lächelnd hinzu, »die City seltsam klingt von den Lippen Sir Sedley – ich bitte um Entschuldigung, ich wollte sagen, Lord –«

»O, sagen Sie das nicht – lassen Sie mich den angenehmen Klang Sedley Beaudesert wieder hören. Schließe den Schlag, Thomas. Nach Gracechurch Street – Messrs. Fudge und Fidget.«

Der Wagen fuhr weiter.

»Ein trauriges Mißgeschick hat mich befallen,« begann der Marquis, »und Niemand schenkt mir seine Theilnahme!«

»Und doch muß Jedermann, wenn auch nicht persönlich bekannt mit dem verstorbenen Lord, durch den Tod eines so jungen und hoffnungsvollen Mannes erschüttert worden sein.«

»Er war in jeder Weise geeignet, die Last des großen Namens und Eigenthums der Castletons zu tragen, und doch sehen Sie, daß er derselben unterlag! Ja, wäre er nur ein einfacher Gentleman oder weniger gewissenhaft in dem Wunsche gewesen, seine Pflichten zu erfüllen, so hätte er sicherlich ein hohes Alter erreicht. Ich weiß bereits, was es ist! O, wenn Sie die Stöße Briefe auf meinem Tisch sehen würden! Ich fürchte mich wahrhaftig vor jeder Post. Die kolossalen Verbesserungen, die der arme Junge auf dem ganzen Besitzthum begonnen hat, soll ich nun zu Ende führen. Weßhalb glauben Sie wohl, daß ich mich zu Fudge und Fidget Fudge & Fidget: ersteres bedeutet im Slang so viel wie ein »falsches Gerücht«; he has got the fidgets dagegen sagt man von jemandem, der nicht lange auf einem Platz sitzen kann. Von der Pop-Gruppe White Whale gab es 2007 einen Song mit dem Titel Fidget and Fudge. begebe? Sie sind die Agenten für eine höllische Kohlenmine, welche mein Vetter in Durham wieder eröffnet hat, um mir das Leben durch weitere dreißigtausend Pfund im Jahre zu erschweren! Wie soll ich das Geld ausgeben? – wie soll ich damit fertig werden? Da ist ein kaltblütiger Oberrentmeister, welcher die Wohlthätigkeit für das größte Verbrechen erklärt, dessen sich ein hochgestellter Mann schuldig machen könne, weil die Armen dadurch demoralisirt würden. Ferner, als mir ein Halbdutzend Farmer eine Bittschrift um Ermäßigung ihres Pachtes einsandten, und ich ihnen zurückschrieb, ihrem Ansuchen solle entsprochen und der Pacht herabgesetzt werden, hätten Sie das Entsetzen darüber sehen sollen – Sie würden geglaubt haben, Himmel und Erde stürzten zusammen! ›Wenn ein Mann in der Stellung des Marquis von Castleton mit dem Beispiele vorangeht, das Land unter seinem Werthe zu verpachten, wie könnten da die ärmeren Gutsbesitzer in der Grafschaft bestehen? – oder, wenn sie auch bestehen könnten, welche Ungerechtigkeit, sie der Beschuldigung Preis zu geben, als seien sie habsüchtige Grundherrn, Vampyre und Blutsauger! Wenn Lord Castleton den Pacht ermäßige (der jetzt schon zu niedrig stehe), so versetze er augenscheinlich, wenn seine Nachbarn seinem Beispiel folgten, ihrem Eigenthum, und wenn sie ihm nicht folgten, ihrem Charakter den Todesstoß.‹ Niemand kann sagen, wie schwer es ist, Gutes zu thun, wenn ihm nicht das Glück jährlich hunderttausend Pfund zuweist und ihm sagt: ›Nun thue Gutes damit!‹ Sedley Beaudesert durfte seinen Launen folgen, und man nannte ihn höchstens einen ›gutmüthigen, einfältigen Menschen‹; wenn aber Lord Castleton seinen Neigungen nachgeben wollte, so würde man ihn für einen zweiten Catilina Bekannt durch die von ihm angezettelte Catilinarische Verschwörung, einen misslungenen Umsturzversuch im Jahr 63 v.u.Z., mit dem Catilina die Macht in der römischen Republik an sich reißen wollte. halten, der den Frieden einer ganzen Nation umstürze und ihren Wohlstand untergrabe.«

Der unglückliche Mann hielt inne und seufzte tief auf; alsdann bogen seine Gedanken in einen neuen Kanal des Jammers ein, und er fuhr fort:

»Ah, wenn Sie das unheimliche große Haus sehen könnten, das ich bewohnen, die todten Mauern, in die ich mich einsperren soll, statt meiner hübschen Zimmer mit den Fenstern gerade nach dem Park hinaus! Dann erwartet man von mir, daß ich Bälle gebe und das parlamentarische Interesse aufrecht erhalte, und endlich hat man sich nicht gescheut, mir den kläglichen Antrag zu machen, Hofmarschall oder Oberstkammerherr zu werden, weil es sich für meinen Rang passe, eine Art von Bedienter zu sein. O Pisistratus, Sie glücklicher Mensch! – noch nicht einundzwanzig und, ich wette, mit keinen zweihundert Pfund im Jahre belastet!«

In dieser Weise fuhr der arme Marquis fort, sein unglückliches Schicksal zu beklagen! bis er zuletzt in einem Tone noch tieferer Verzweiflung ausrief:

»Und nun sagt noch Jedermann, ich müsse mich verheirathen – der Stamm der Castletons dürfe nicht erlöschen! Die Beaudeserts sind eine gute alte Familie – meines Wissens so alt, wie die Castletons; aber das brittische Reich würde keinen Verlust erleiden, wenn sie in das Grab der Capulets In Shakespeares Tragödie gehören Romeo und Julia zwei verfeindeten Geschlechtern an, den Montagues (Romeo) bzw. den Capulets (Julia). Beide sterben am Ende an Julias Grab. sinken. Daß jedoch die Castleton-Peerage aussterben sollte, wäre ein so verbrecherischer und unmöglicher Gedanke, daß sich alle Mütter in England in Masse dagegen erheben würden. Und so wird denn, statt daß die Sünden der Väter an den Söhnen heimgesucht werden, der Vater geopfert zum Besten der dritten und vierten Generation!«

Obgleich ich Grund genug zum Ernste hatte, konnte ich mich doch eines Lachens nicht enthalten, wurde jedoch durch einen vorwurfsvollen Blick meines Gefährten dafür bestraft.

»Wenigstens hat Lord Castleton einen Trost in seinem Mißgeschick,« sagte ich, indem ich mich bemühte, einen ernsten Ausdruck anzunehmen – »wenn er sich verheirathen muß, so kann er nach Belieben wählen.«

»Das ist es eben, was Sedley Beaudesert konnte, Lord Castleton aber nicht kann!« erwiederte der Marquis ernsthaft. »Der Rang von Sir Sedley Beaudesert war ruhig und behaglich – es stand ihm frei, die Tochter eines Pfarrers oder eines Herzogs zu heirathen und sein Auge zu vergnügen oder sein Herz zu betrüben, wie ihn die Laune anwandelte. Wenn aber Lord Castleton sich vermählt, so darf er nicht eine Gattin, sondern er muß eine Marquise wählen, die für ihn seinen Rang trägt, die Last des Glanzes seinen Händen abnimmt und ihm gestattet, sich in eine Ecke zurückzuziehen und zu träumen, daß er wieder Sedley Beaudesert geworden! Ja, es muß sein – das letzte Opfer muß vor dem Altare gebracht werden! Doch, nun genug meiner Klagen. Trevanion sagt mir, daß Sie nach Australien gehen wollen – kann dies wahr sein?«

»Vollkommen wahr.«

»Man sagt, es herrsche dort ein kläglicher Mangel an Damen.«

»Desto besser – ich werde dann nur um so gesetzter sein.«

»Nun, es liegt etwas Wahres darin. Haben Sie Lady Ellinor gesehen?«

»Ja – diesen Morgen.«

»Arme Frau! – ein schwerer Schlag für sie – wir haben versucht, uns gegenseitig zu trösten. Sie wissen, daß Fanny in Oxton in Surrey bei Lady Castleton ist – die arme Dame liebt sie so sehr, und Niemand vermochte sie so zu trösten, wie Fanny.«

»Ich wußte nicht, daß Miß Trevanion nicht in London ist.«

»Sie bleibt nur einige Tage in Oxton und reist alsdann mit Lady Ellinor in den Norden, um mit Trevanion zusammen zu treffen, welcher sich bei Lord N– aufhält und mit demselben Maßregeln verabredet in Bezug auf – doch ach, sie berathen diese Dinge jetzt auch mit mir und drängen mir ihre Geheimnisse auf. Es stehen mir, der Himmel weiß, wie viele Stimmen zu Gebot! Ich Unglückseliger! Auf mein Wort, wenn Lady Ellinor Wittwe wäre, ich würde mein Glück bei ihr versuchen; sie ist eine sehr gescheidte Frau – nichts langweilt sie. (Der Marquis gähnte – Sir Sedley Beaudesert hatte nie gegähnt.) Trevanion hat seinen schottischen Sekretär untergebracht und steht auf dem Punkte, eine Stelle bei dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten für den jungen Burschen Gower ausfindig zu machen, der mir, unter uns gesagt, gar nicht gefällt. Er hat jedoch Trevanion ganz für sich eingenommen.«

»Was ist dieser Mr. Gower für eine Persönlichkeit? Ich erinnere mich, daß Sie mir sagten, er habe viel Verstand und ein hübsches Aeußere.«

»Allerdings; aber es ist kein jugendlicher Verstand; es ist so viel Härte und beißender Spott dabei, als wäre er fünfzigmal betrogen worden und hätte hundertmal selbst betrogen! Ebenso ist sein hübsches Aeußere nicht jener Empfehlungsbrief, der, wie man sagt, ein hübsches Gesicht sein soll. Der Ausdruck seiner Züge gleicht sehr viel demjenigen von Lord Hertford's Lieblings-Schweißhund, wenn ein Fremder in das Zimmer tritt. Der Schweißhund ist unbestreitbar ein glattes, schönes Thier – gut gezogen und ohne Zweifel sehr zahm; dennoch aber darf man nur seine Augenwinkel ansehen, um zu wissen, daß es allein die Gewöhnung an das Wohnzimmer ist, durch welche der ihm angeborne Hang niedergehalten wird, uns an der Kehle zu packen, statt uns die Pfote zu geben. Gleichwohl ist der Kopf dieses Mr. Gower sehr auffallend – etwa wie ein Gemälde von Murillo Bartolomé Esteban Murillo (1618-1682),bedeutender spanischer Maler des Barock. – an etwas Maurisches oder Spanisches gemahnend. Ich möchte halb vermuthen, daß er eher ein Zigeuner, als ein Gower ist.«

»Wie!« rief ich, nachdem ich mit athemloser Aufmerksamkeit dieser Schilderung zugehört hatte. »Seine Gesichtsfarbe ist also sehr dunkel, die Stirne hoch und schmal, die Züge von sehr feinem, aber leicht adlerartigem Schnitt und die Zähne so blendend weiß, daß das ganze Antlitz zu leuchten scheint, wenn er lächelt, obwohl es nur die Lippe und nicht das Auge ist, welches lächelt?«

»Ganz, wie Sie sagen. So kennen Sie ihn denn?«

»Ich bin dessen nicht gewiß, da Sie sagen, er heiße Gower.«

»Er sagt, sein Name sei Gower,« erwiederte Lord Castleton trocken, indem er eine Prise von Beaudesert-Mischung nahm.

»Und wo ist er jetzt? – bei Mr. Trevanion?«

»Ja, ich glaube so. Ah, hier sind wir – Fudge und Fidget! Aber vielleicht,« fügte Lord Castleton mit einem Strahl von Hoffnung in seinem blauen Auge bei – »vielleicht sind sie nicht zu Hause!«

Doch, dies war ein »Trugbild der Phantasie«, wie die Dichter des neunzehnten Jahrhunderts sich auszudrücken pflegen. Für Clienten, wie der Marquis von Castleton, waren die Herren Fudge und Fidget niemals abwesend, und mit einem tiefen Seufzer und ganz verändertem Gesichtsausdruck stieg dieses Opfer Fortuna's aus seinem Wagen.

»Ich kann Ihnen nicht zumuthen, auf mich zu warten,« sagte er, »denn der Himmel weiß, wie lange sie mich aufhalten werden! Nehmen Sie den Wagen mit, wohin Sie wollen, und schicken Sie mir ihn dann wieder zurück.«

»Taufend Dank, mein theurer Lord; ich möchte lieber zu Fuße gehen – Sie erlauben mir aber doch, Sie zu besuchen, ehe ich London verlasse?«

»Erlauben! – ich bestehe darauf. Meine Wohnung ist noch die alte, unter dem Vorwand,« bemerkte der Lord mit einem schlauen Blinzeln seines Augenliedes, »daß Castleton-House neu gemalt werden müsse!«

»Also um zwölf Uhr morgen?«

»Um zwölf Uhr – ah, das ist die Stunde, auf welche ich Mr. Screw, den Agenten für das Londoner Besitzthum (zwei Squares, sieben Straßen und eine Gasse!) bestellt habe.«

»Zwei Uhr ist vielleicht eine gelegenere Stunde?«

»Zwei Uhr? – um diese Zeit will Mr. Plausible Wörtlich: einleuchtend, glaubwürdig., eines der Castletoner Parlamentsmitglieder, zu mir kommen, um mir zu sagen, weßhalb ihm sein Gewissen nicht erlaube, mit Trevanion zu stimmen.«

»Drei Uhr?«

»Drei? – da erwarte ich den Secretär der Schatzkammer, welcher versprochen hat, Mr. Plausible's Gewissen zu beruhigen! Doch, kommen Sie zu Tisch zu mir – Sie treffen die Testamentsvollstrecker.«

»Nicht doch, Sir Sedley – das heißt, mein theurer Lord – ich will es darauf ankommen lassen und nach Tische vorsprechen.«

»Thun Sie das; meine Gäste sind nicht sehr lebhaft! Welch' einen festen Tritt dieser Schelm hat. Erst zwanzig, glaube ich – zwanzig! und nicht ein Morgen Landes, der ihn quält!«

Mit diesen Worten schüttelte der Marquis traurig seinen Kopf und verschwand durch die geräuschlosen Mahagonythüren, hinter welchen die Herren Fudge und Fidget mit dem Rechenschaftsbericht über die große Castleton'sche Kohlenmine den unglücklichen Mann erwarteten.


Sechstes Kapitel.

Auf dem Wege nach unserer Wohnung beschloß ich, in dem bescheidenen Wirthshaus einzusprechen, in dessen Kaffeezimmer Roland und ich in der Regel unser Mittagsmahl einzunehmen pflegten; es war jetzt eben unsere gewöhnliche Essenszeit, und vielleicht wartete er dort auf mich. Ich hatte die Stufen schon erreicht, als ein Postwagen über das Pflaster rasselte und vor einem anspruchsvolleren Wirthshaus, welches einige Thüren von dem unsrigen entfernt lag, anhielt. In demselben Augenblick fielen meine Blicke auf die Trevanion'sche Livree, welche ziemlich eigenthümlich war. Um mich jedoch zu überzeugen, daß ich mich nicht täuschte, näherte ich mich dem Träger der Livree, welcher eben von seinem Außenplatz heruntergestiegen war und, während er den Kutscher bezahlte, dem aus dem Hause auftauchenden Kellner den Befehl ertheilte: »Halb-und-halb; es ist kalt hier außen!«

Der Ton der Stimme schien mir bekannt, und als der Mann aufblickte, erkannte ich Mr. Peacock. Ja – es konnte kein Zweifel sein – Mr. Peacock stand vor mir. Der Backenbart war geschoren. Spuren von Puder zeigten sich in den Haaren oder der Perrücke, und statt der würdevolleren Amtstracht eines Büttels, in welcher ich die stattliche Figur zuletzt gesehen, trug er die Livree der Trevanions. Peacock war zwar travestirt – Peacock war es aber dennoch.

Ehe ich mich von meinem Erstaunen erholt hatte, stieg aus einem Cabriolet ein Frauenzimmer, welches auf die Ankunft der Postkutsche gewartet zu haben schien, eilte auf Mr. Peacock zu und sagte in dem lauten, ungeduldigen Ton, welcher auch der Schönsten unter dem schönen Geschlecht eigenthümlich ist, wenn sie Eile hat –

»Wie spät Ihr kommt – ich wollte eben wieder fort, denn ich muß diesen Abend wieder in Oxton sein.«

Oxton – Miß Trevanion befand sich in Oxton! Ich trat dicht hinter das Paar ich lauschte mit ganzer Seele.

»Das sollst Du auch, meine Liebe – das sollst Du auch. Jetzt aber komm' hier herein, willst Du?«

»Nein, nein; es sind nur noch zehn Minuten, bis der Wagen abfährt. Habt Ihr einen Brief an mich von Mr. Gower? Wie kann ich sicher sein, wenn ich nicht von seiner eigenen Hand lese, daß –«

»Bst!« versetzte Peacock, indem er seine Stimme so sehr dämpfte, daß ich nur die Worte verstehen konnte – »keine Namen – Brief – pah, ich will Dir's mündlich sagen.«

Dann zog er sie auf die Seite und flüsterte ihr noch einiges zu. Ich beobachtete während dessen die Züge des Frauenzimmers, welche ihrem Gefährten zugewandt waren und schnelles Verständniß auszudrücken schienen. Mehr als einmal nickte sie, gleichsam wie in ungeduldiger Zustimmung, mit dem Kopfe und eilte hierauf nach einem mit Mr. Peacock gewechselten Händedruck dem Cabriolet zu. Plötzlich aber kam sie wieder zurück und sagte:

»Für den Fall jedoch, daß meine Lady nicht ginge – daß der Plan abgeändert wurde?«

»Der Plan wird nicht geändert, verlasse Dich darauf – morgen ganz bestimmt – nicht zu frühe hörst Du?«

»Ja, ja; lebt wohl.«

Und das Frauenzimmer, deren bescheidener und doch dabei zierlicher Anzug die Zofe nicht verkennen ließ (schwarzer Mantel mit langer Kapuze von jenem eigenthümlichen Seidenstoff, der ausdrücklich für Kammerjungfern gewoben zu sein scheint, und dazu passender Hut mit rothen und schwarzen Bändern) eilte abermals hinweg, und im nächsten Augenblick fuhr das Cabriolet mit rasender Schnelligkeit davon.

Was konnte dieses alles bedeuten? Inzwischen war Mr. Peacock sein Halb-und-halb gebracht worden, und nachdem er hastig getrunken, begab er sich nach einem in der Nähe befindlichen Miethkutschenstand. Ich folgte ihm, und als er einem der Wagen herbeigewinkt und in demselben Maß genommen hatte, sprang ich nach und setzte mich an seine Seite.

»Mr. Peacock,« begann ich, »Ihr werdet nun die Güte haben, mir ohne Umschweife mitzutheilen, wie Ihr dazu kommt, diese Livree zu tragen; andern Falls gebe ich dem Kutscher Befehl, zu Lady Ellinor Trevanion zu fahren, damit ich an sie diese Frage stellen kann.«

»Und wer zum Teufel – ah, Ihr seid der junge Gentleman, der mich hinter den Coulissen aufsuchte – ich erinnere mich.«

»Wohin, Herr?« frug der Kutscher.

»Nach – nach der Londoner Brücke,« erwiederte Mr. Peacock.

Der Mann stieg auf den Bock und fuhr weiter.

»Nun, Mr. Peacock, ich erwarte Eure Antwort. Ich sehe es Eurem Gesichte an, daß Ihr mich anlügen wollt; allein ich rathe Euch bei der Wahrheit zu bleiben.«

»Ich weiß nicht, welches Recht Ihr habt, mich auszufragen,« versetzte Mr. Peacock mürrisch, erhob alsdann den Blick von seinen geballten Fäusten und ließ ihn mit einem so rachsüchtigen Ausdruck über mich hingleiten, daß ich die Musterung mit den Worten unterbrach:

»›Wollt Ihr dem Hause unter die Augen treten?‹ Shakespeare, Was ihr wollt, III, 1. wie der Schwan sich fragend vernehmen läßt – soll ich dem Kutscher befehlen, nach St. James Square zu fahren?«

»O, Ihr kennt meine schwache Seite; wer den süßen Will citiren kann, hat mich gewonnen,« versetzte Mr. Peacock, indem er die Handflächen über seinen Knieen ausbreitete, und die Falten seines Gesichtes sich glätteten. »Wenn aber ein Mensch in der Welt herunterkommt und, nachdem er seine eigene Dienerschaft gehalten, genöthigt ist, selbst zu dienen, so

– ›schäm' ich mich nicht,
Zu sagen, was ich bin.‹ Wie es euch gefällt, IV, 3.«

»Der Schwan sagt, ›Zu sagen, was ich war,‹ Mr. Peacock. Doch genug dieser Spielereien. Wer brachte Euch in Mr. Trevanions Dienst?«

Mr. Peacock blickte einen Moment zu Boden, sah mich hierauf fest an und erwiederte

»Nun, ich will es Erich lagen. Ihr frugt mich, als wir uns zuletzt sahen, nach einem jungen Gentleman – Mr. – Mr. Vivian.«

Pisistratus. – »Weiter.«

Peacock. – »Ich weiß, Ihr wollt ihm keinen Schaden zufügen. Ueberdies,versteht er die Kunst, das Glück zu bannen, und eines Tages – merkt auf meine Worte, oder vielmehr auf diejenigen meines Freundes Will –

›Wird er die enge Welt durchschreiten
Wie ein Koloß.‹ Julius Caesar, I, 2.«

Ja, bei meinem Leben, das wird er – wie ein Koloß,

›Und wir kleine Menschen –‹ Ebd.«

Pisistratus (unmuthig), – »Fahrt fort in Eurer Erzählung.«

Peacock (schnippisch). – »Ich fahre ja fort! Ihr bringt mich daraus; wo blieb ich – o – ah, ja. Ich war eben ganz ausgezogen – kein Penny in meiner Tasche; und wenn Ihr meinen Rock hättet sehen können – doch er war noch besser, als die Beinkleider! Gut, es war in Oxford Street – nein, in dem Strand, nicht weit von dem Lowther Lowther House, einst ein Arkaden-Bauwerk am ›Strand‹.

›Die Sonne stand am Himmel, und der Tag
War stolz geleitet von der Luft der Welt.‹ König Johann, III, 3.«

Pisistratus (das Fenster niederlassend). – »Nach St. James Square.«

Peacock. – »Nein, nein; nach der Londoner Brücke,
›Wie die Gewöhnung doch Gewohnheit zeugt!‹ Zwei Herren aus Verona, V, 4.

Doch ich will fortfahren – auf Ehre! So traf ich mit Mr. Vivian zusammen, und da er mich in besseren Tagen gekannt hatte und ein gutes Herz besitzt, so sagte er –

›Horatio – wenn ich selbst mich kenne.‹ Hamlet, I, 2.«

Pisistratus legt seine Hand an den Zug.

Peacock (sich verbessernd). – »Ich wollte sagen: ›Wie, Johnson, mein guter Freund –‹«

Pisistratus. – »Johnson! – so ist dies Euer Name nicht Peacock?«

Peacock. – »Beides – Johnson und Peacock. (Mit Würde.) Wenn Ihr einmal die Welt so gut kennt, wie ich, so werdet Ihr finden, daß es in dieser ›schlechten Welt‹ nicht gut reisen ist ohne eine Auswahl von Namen in Eurem Reisesack.›Johnson,‹ sagt er, ›mein guter Freund,‹ und zieht seine Börse heraus. ›Herr,‹ sage ich, ›wenn ich doch nur etwas zu thun bekommen könnte, wenn dies alle ist.‹ In London predigen allerdings die Steine, aber – wie ich mir erlauben würde, gegen den Schwan zu bemerken, wenn –«

Pisistratus. – »Nehmt Euch in Acht!«

Peacock (hastig). – »Dann sagt Mr. Vivian: ›Wenn Ihr Euch nichts daraus macht, eine Livree zu tragen, bis ich besser für Euch sorgen kann, mein alter Freund, so ist eben jetzt eine Stelle bei Mr. Trevanion offen.‹ Ich nehme den Vorschlag an, und so kömmt es, daß ich diese Livree jetzt trage.«

Pisistratus. – »Und was hattet Ihr mit dem jungen Frauenzimmer zu verhandeln, die, wie ich vermuthe, Miß Trevanion's Dienerin ist? – weßhalb mußte sie von Oxton kommen, um Euch zu sehen?«

Ich hatte erwartet, daß diese Fragen Mr. Peacock in Verwirrung bringen würden; wenn aber auch wirklich etwas darin lag, was ihn in Verlegenheit setzen konnte, so war der vormalige Schauspieler zu sehr in der Verstellungskunst geübt, um sich irgend etwas merken zu lassen. Er lächelte nur, strich sich einen sehr zerknitterten Busenstreif nieder und sagte:

»O pfui, Herr,

›Aus solchem Stoff
Ist Amors schlauer Pfeil geschnitzt.‹ Viel Lärm um nichts, III, 1.

Wenn Ihr meine Liebesangelegenheiten wissen müßt, so will ich Euch sagen, daß dieses junge Frauenzimmer mein Schatz ist, wie das gemeine Volk zu sagen pflegt.«

»Euer Schatz!« rief ich, sehr erleichtert, indem mir diese Angabe wahrscheinlich genug erschien. »Doch« setzte ich argwöhnisch hinzu, »wenn es so ist, weßhalb erwartet sie dann, daß Mr. Gower ihr schreibe?«

»Ihr habt ein feines Ohr, Herr; aber wenn auch
›Voll Pflichtgefühl, voll Liebe und Gehorsam,
Voll Demuth und Geduld und Ungeduld, Wie es euch gefällt, V, 2.

will doch das junge Frauenzimmer keinen Livreebedienten heirathen – ein stolzes Geschöpf, sehr stolz! – und Mr. Gower, seht Ihr, der um die Sache wußte und Mitleid mit mir hatte, sagte, er wolle mir für eine Stelle beim Stempelamt besorgt sein. Das einfältige Mädchen aber wollte es schwarz auf weiß haben – als ob Mr. Gower ihr schreiben würde!

Und nun, Herr,« fuhr Peacock mit einfacherem Ernste fort, »steht es Euch natürlich frei, meiner Gebieterin zu sagen, was Euch beliebt; allein ich hoffe, Ihr werdet mir nicht das Brod vor dem Munde wegnehmen wollen, weil ich eine Livree trage und thöricht genug bin, mich in ein Kammermädchen zu verlieben – ich, der ich hätte Damen heirathen können, welche die ersten Rollen im Leben spielten – auf der Bühne der Hauptstadt.«

Ich konnte auf diese Darstellungen nichts erwiedern – sie klangen glaubwürdig genug; und obgleich ich anfangs den Verdacht gehegt hatte, Mr. Peacock nehme nur deßhalb seine Zuflucht zu der Possenreißerei seiner Citationen, um Zeit zum Erfinden zu gewinnen oder meine Aufmerksamkeit von irgend einem Mangel in seiner Erzählung abzulenken, so war ich doch am Schlusse geneigt, diesen Verdacht fallen zu lassen, da die gegebene Auskunft den Anschein der Wahrheit hatte. Ich begnügte mich daher mit der Frage –

»Und woher kommt Ihr jetzt?«

»Von Mr. Trevanion mit Briefen an Lady Ellinor.«

»Ah, und das junge Frauenzimmer wußte, daß Ihr nach London kommen würdet?«

»Ja, Mr. Trevanion hatte schon vor mehreren Tagen die Zeit meiner Abreise bestimmt.«

»Und was habt Ihr und die junge Person für morgen im Sinne, wenn keine Aenderung des Planes eintritt?«

Hier glaubte ich ganz entschieden eine leichte, kaum bemerkbare Veränderung in Mr. Peacocks Zügen wahrzunehmen; er erwiederte jedoch sogleich:

»Für morgen? – eine kleine Bestellung, wenn wir beide abkommen können

›Wirb um mich, ich bin jetzt in Festtagsstimmung
Und werd' am ehesten willfahren.‹ Wie es euch gefällt, IV, 1.

Wiederum der Schwan, Herr.«

»Hm! – Mr. Gower und Mr. Vivian ist also ein und dieselbe Person?«

Peacock zögerte.

»Das ist nicht mein Geheimniß, und ›ein heiliges Gelübde bindet mich‹ Maß für Maß, IV, 3.. Doch, Ihr seid zu sehr Gentleman, um mir – der ich kurze Plüschhosen und Achselquasten trage – die Geheimnisse eines andern Gentleman entlocken zu wollen, an den ›ich gebunden bin durch meine Pflicht.‹ König Lear, I, 2.«

Welch' einen Vortheil hat nicht ein Mann von dreißig über einen solchen von kaum zwanzig! Welche Ueberlegenheit gibt nicht die bloße Thatsache, länger gelebt zu haben, dem einfältigsten Menschen! Ich biß mich auf die Lippe und schwieg.

»Und,« fuhr Mr. Peacock fort, »wenn Ihr wüßtet, wie Mr. Vivian, nach dem Ihr Euch erkundigt habt, Euch liebt! Als ich ihm zufällig erzählte, daß mich ein junger Gentleman hinter den Coulissen aufgesucht habe, um nach ihm zu fragen, mußte ich ihm eine Beschreibung von Euch geben, worauf er ganz wehmüthig sagte: ›Wenn ich jemals das erreicht, was ich anstrebe, wie glücklich werde ich sein, diese freundliche Hand noch einmal zu drücken‹ – seine eigenen Worte, Herr – auf Ehre!

›Nie gab es, glaub' ich, in der Christenheit
Solch einen Mann, der weniger vermag
Sein Hassen zu verbergen oder Lieben.‹ Richard III., III, 4.

Und wenn Mr. Vivian seine Gründe dafür hat, sich noch immer verborgen zu halten – wenn sein Glück oder sein Untergang davon abhängt, daß Ihr sein Geheimniß noch eine Zeitlang bewahrt, so kann ich nicht glauben, daß Ihr der Mann seid, den er zu fürchten hat. Bei meinem Leben

›Wär' ich nur eines guten Mahls so sicher,‹ Der Widerspenstigen Zähmung, I, 2.

wie der Schwan rührend ausruft. Ich möchte darauf schwören, daß dieser Wunsch oftmals auf den Lippen des Schwans geschwebt, wenn er sich in der Zurückgezogenheit seines häuslichen Lebens befand.«

Mein Herz war milder gestimmt, nicht durch das Pathos des viel entweihten und mißbrauchten Schwanes, sondern durch Mr. Peacocks schmucklose Wiederholung von Vivians Worten. Ich wandte mein Gesicht ab von den scharfen Augen meines Gefährten, und in demselben Moment hielt das Cabriolet am Fuß der London-Brücke.

Ich hatte nichts mehr zu fragen; aber dennoch lastete eine unruhige Neugierde auf meiner Seele, die ich mir kaum zu erklären wußte. War es nicht Eifersucht? Vivian mit seinem hübschen Aeußern und mit seiner Kühnheit – er durfte wenigstens die reiche Erbin sehen; Lady Ellinor dachte dabei vielleicht an keine Gefahr. Aber ich – ich hatte meine Liebe noch nicht überwunden und nein, solche Gedanken waren in der That Thorheit!

»Mein guter Freund,« sagte ich zu dem vormaligen Komödianten, »ich wünsche weder Mr. Vivian (wenn ich ihn so nennen soll), noch Euch, der Ihr in Betreff der Aneignung verschiedener Namen seinem Beispiel folgt, zu schaden. Allein ich erkläre Euch offen, daß mir Euer Aufenthalt in Mr. Trevanions Hause nicht gefällt, und rathe Euch, dasselbe so bald als möglich wieder zu verlassen. Mehr will ich für jetzt nicht sagen, denn ich brauche Zeit, um wohl zu erwägen, was Ihr mir mitgetheilt habt.«

Mit diesen Warten trennte ich mich rasch von Mr. Peacock, welcher allein seine Wanderung über die Londoner Brücke fortsetzte.


Siebentes Kapitel.

Nach all' dem, was an diesem ereignißreichen Tage mein Herz zerrissen und meine Gedanken gequält hatte, fühlte ich wenigstens eine freudige Erregung, als ich beim Eintreten in unser kleines Wohnzimmer meinen Onkel daselbst antraf.

Auf dem Tische, an dem der Capitän saß, lag eine große Bibel, welche er von der Hauswirthin geborgt hatte. Er reiste zwar niemals ohne seine eigene, allein der Druck derselben war klein, und seine Augen leisteten ihm bei Licht nicht mehr die früheren Dienste. Dies war denn eine Bibel mit großem Druck, und zu jeder Seite derselben stand ein Licht. Der Capitän stützte seine Ellenbogen auf den Tisch und hielt beide Hände fest an die Stirne gepreßt – gleichsam, als wolle er den Versucher ausschließen und mit Gewalt seine ganze Seele dem Inhalt der aufgeschlagenen Seiten zuwenden.

So saß er da – ein Bild ehernen Muthes, und in jeder Linie der unbeweglichen Gestalt sprach sich Entschlossenheit aus. »Ich will nicht auf mein Herz hören – ich will in diesem Buche lesen und dulden lernen, wie es einem Christen ziemt.« Es lag ein solches Pathos in der Haltung des ernsten Dulders, daß sie diese Worte so deutlich ausdrückte, als hätten seine Lippen sie ausgesprochen.

Alter Krieger. Du hast Dich als Held gehalten auf manchem blutigen Schlachtfeld; aber wenn ich den Augen der Welt Deine tapfere Soldatenseele enthüllen könnte, so würde ich Dich malen, wie ich Dich damals gesehen!

Bei dem Geräusch, welches ich machte, blickte der Capitän auf, und deutlich las ich in seinen Zügen den Kampf, den er durchgekämpft hatte.

»Es hat mir gut gethan,« sagte er einfach und schloß das Buch.

Ich rückte meinen Stuhl nahe zu dem seinigen und legte meinen Arm über seine Schulter.

»Also keine guten Nachrichten?« frug ich in flüsterndem Tone.

Roland schüttelte den Kopf und drückte sanft den Zeigefinger auf seine Lippen.


Achtes Kapitel.

Es war mir unmöglich, mich Rolands Gedanken, welcher Art sie auch sein mochten, mit einem umständlichen Bericht über die Ereignisse aufzudrängen, welche ein tiefes und ängstliches Interesse an Dingen, die seinem Leide fremd waren, in mir geweckt hatten.

Unruhig warf ich mich auf meinem Bette hin und her, ohne die Augen schließen zu können. Vivians Wiederaufnahme einer Verbindung mit einem Manne von so zweideutigem Charakter, wie Mr. Peacock – die Unterbringung dieses seines ebenso fähigen, als gewissenlosen Werkzeuges im Dienste Trevanions – die Sorgfalt, womit er die Veränderung seines Namens und die freundliche Aufnahme, welche er in demselben Hause gefunden, in dem ich ihn einzuführen mich offen erboten hatte, vor mir verbarg – die Vertraulichkeit zwischen Mr. Peacock und Miß Trevanions Dienerin, sowie die Worte, welche sie gewechselt, und deren Erklärung allerdings wahrscheinlich geklungen, dennoch aber meinen Argwohn nicht ganz besiegt hatte – vor allem meine schmerzliche Kenntniß von Vivians rücksichtslosem Ehrgeiz und seiner aller gediegenen Grundsätze baaren Gesinnung, sowie endlich meine Erinnerung des Eindrucks, welchen einige hingeworfene Worte über Fanny's Vermögen und das Glück, eine Erbin zu gewinnen, auf seine erhitzte Phantasie und seinen kühnen Sinn hervorgebracht hatten – diese Gedanken stürmten mit aller Glut und Stärke im Dunkel der Nacht auf mich ein, und ich sehnte mich nach einem Vertrauten, der mehr Welterfahrung besaß als ich, und mir über die einzuschlagenden Schritte Rath ertheilen konnte. Sollte ich Lady Ellinor warnen? Doch, wovor? – vor dem Charakter des Dieners oder vor den Entwürfen des falschen Gower? Gegen Ersteren konnte ich, wenn auch nichts Bestimmtes, so doch genug vorbringen, um seine Entlassung als räthlich erscheinen zu lassen. Allein was durfte ich von Gower oder Vivian sagen, ohne zwar nicht sein Vertrauen zu verrathen – denn dieses hatte er mir nie geschenkt – aber ohne die Versicherungen von Freundschaft Lügen zu strafen, mit welchen ich so freigebig gegen ihn gewesen war? Vielleicht auch hatte er Trevanion in seine wirklichen Geheimnisse eingeweiht, und wenn nicht, so mußte ich jedenfalls fürchten, seine Aussichten zu vernichten, indem ich seine verschiedenen Namen zur Sprache brachte. Aber weßhalb sie zur Sprache bringen? weßhalb warnen? Wegen eines Argwohns, über den ich mir selbst keine Rechenschaft geben konnte, und der sich auf Umstände gründete, welche großentheils – scheinbar wenigstens – bereits erklärt worden waren?

Der Morgen kam heran und fand mich noch immer unschlüssig, was ich thun sollte. Ein Ausdruck schwerer Sorge lagerte auf Rolands Stirne, so daß mir keine andere Wahl blieb, als für jetzt noch mein Verlangen zu unterdrücken, ihm alles mitzutheilen und von seinem scharfen Verstande und nie irrenden Ehrgefühle mich leiten zu lassen. In der Hoffnung, meine Gedanken in der freien Luft sammeln und so das Räthsel, welches mich verwirrte, eher lösen zu können, verließ ich das Haus. Einige Stunden wurden durch verschiedene, auf meine Reise bezügliche Bestellungen, sowie durch Besorgungen für Bolding ausgefüllt. Nachdem dies bereinigt war, lenkten sich meine Schritte westwärts, denn ich war – so zu sagen unwillkührlich – zu dem unbestimmten Entschluß gekommen. Lady Ellinor aufzusuchen und sie gleichsam zufällig und absichtslos über Gower und den neuen Bedienten zu befragen.

So befand ich mich in Regent Street, als ein Wagen mit Postpferden rasch über das Pflaster dahinsauste, alle geringeren Equipagen nach rechts und links zerstreuend und auf der breiten Straße, welche Portland-Place zuführt, hinjagend, als ob es sich um Leben und Tod handle. So rasch aber auch die Räder dahin rollten, so hatte ich doch deutlich in dem Wagen Fanny Trevanions Züge erkannt, in denen sich ein seltsamer Ausdruck von Angst und Kummer kund zu geben schien; und an ihrer Seite – war dies nicht das Frauenzimmer, welches ich bei Peacock gesehen hatte? Das Gesicht konnte ich zwar nicht unterscheiden, glaubte jedoch, den Mantel, den Hut und die eigenthümliche Haltung des Kopfes zu erkennen. Wenn ich mich indeß auch hierin täuschen mochte, so irrte ich mich wenigstens nicht in Betreff des Dieners, welcher hinten auf dem Sitze saß und sich eben nach einem Fleischerjungen umsah, der beinahe überfahren worden wäre und sich dafür durch alle Verwünschungen, welche der Londoner Pöbel-Dialekt eingeben konnte, zu reihen suchte. Ja, es war unzweifelhaft das Angesicht Mr. Peacocks, welches sich meinen erstaunten Blicken darbot!

Sobald ich mich von meiner Ueberraschung erholt hatte, war mein erster Gedanke, dem Wagen nachzustürzen, und in der Hast und Aufregung des Augenblicks rief ich »Halt!« Allein schon im nächsten Moment verlor ich die Equipage aus dem Gesichte, und mein Ruf verhallte in der Luft. Ich blieb stehen – voll schlimmer Ahnungen irgend eines unbekannten Uebels – dann aber schlug ich eine andere Richtung ein und hielt nicht eher wieder an, als bis ich mich keuchend und athemlos in St. James Square und an der Thüre von Mr. Trevanion's Hause befand. Der Portier, welcher mir öffnete und mich in die Halle eintreten ließ, hielt ein Zeitungsblatt in der Hand.

»Wo ist Lady Ellinor? ich muß sie augenblicklich sehen.«

»Doch hoffentlich keine schlimmeren Nachrichten von meinem Herrn?«

»Schlimmere Nachrichten von was? – von wem? – von Mr. Trevanion?«

»Wußten Sie nicht, daß er plötzlich krank geworden ist? Ein Bedienter kam gestern Nacht, um die Kunde zu überbringen, und Lady Ellinor reiste darauf hin um zehn Uhr ab.«

»Um zehn Uhr gestern Abend?«

»Ja; der Bericht des Bedienten erschreckte die gnädige Frau so sehr.«

»War es der neue Bediente, den Mr. Gower empfohlen hat?«

»Ja – Henry,« erwiederte der Portier und sah mich dabei erstaunt an. »Wenn Sie vielleicht selbst lesen wollen – hier ist ein Bericht über den Anfall meines Herrn in der Zeitung. Ich vermuthe, Henry trug ihn in die Druckerei, ehe er hierher kam, was sehr unrecht von ihm war; aber ich fürchte, er ist ein sehr thörichter Mensch.«

»Kümmert Euch jetzt nicht darum. Miß Trevanion – ich sah sie soeben – sie ging nicht mit ihrer Mutter; wohin ging sie denn?«

»Nun – aber wollen Sie nicht in das Zimmer treten?«

»Nein, nein, sprecht nur!«

»Nun, ehe Lady Ellinor abreiste, fürchtete sie, es möchte vielleicht etwas in den Zeitungen kommen, wodurch Miß Fanny beunruhigt werden könnte, und deßhalb sandte sie Henry zu Lady Castleton und ließ Ihre Gnaden bitten, die Sache Miß Trevanion so leicht als möglich vorzustellen; es scheint jedoch, daß Henry das Schlimmste gegen Mrs. Mole ausgeplaudert hat.«

»Wer ist Mrs. Mole?«

»Miß Trevanion's Kammermädchen – erst kürzlich in Dienst getreten; und Mrs. Mole plauderte gegen die junge Lady, so daß diese in ihrem Schrecken darauf bestand, sogleich nach London zu kommen. Lady Castleton, welche selbst krank zu Bette liegt, konnte sie vermuthlich nicht zurückhalten – namentlich, da Henry sagte, obgleich er es hätte besser wissen sollen, sie werde noch hier eintreffen, ehe unsere gnädige Frau abreise. Die arme Miß Trevanion war ganz trostlos, als sie ihre Mama nicht mehr antraf, und bestellte sogleich frische Pferde, um derselben nachzureisen, obgleich Mrs. Bates – die Haushälterin, wie Sie wissen – sehr böse auf Mrs. Mole war, welche Miß Fanny zuredete und –«

»Gütiger Himmel! Warum ging nicht Mrs. Bates mit ihr?«

»Nun, Sie wissen ja, wie alt Mrs. Bates ist, und da meine junge Lady im Sinne hatte, Tag und Nacht zu reisen, so wollte sie aus freundlicher Rücksicht nichts davon hören; überdies sagte Mrs. Mole, sie habe mit ihrer letzten Gebieterin die ganze Welt durchreist und –«

»Ich durchschaue alles. Wo ist Mr. Gower?«

»Mr. Gower?«

»Ja! Könnt Ihr mir nicht antworten?«

»Nun, ich glaube bei Mr. Trevanion.«

»Im Norden – wie ist die Adresse?«

»Lord N–, C– Hall, bei W–«

Ich hörte nichts weiter.

Wie ein Blitz durchzuckte mich die Ueberzeugung, daß es sich hier um eine bübische Falle handle. Warum, wenn Trevanion wirklich krank war, hatte es der falsche Diener vor mir geheim gehalten? warum mit mir seine Zeit verschwendet, statt zu Lady Ellinor zu eilen? Wenn Mr. Trevanion's plötzliches Erkranken ihn nach London geführt hatte, wie konnte er den Tag seiner Ankunft so lange vorauswissen, um mit dem Kammermädchen ein Stelldichein zu verabreden? Wenn kein auf Miß Trevanion bezüglicher Plan obwaltete, weßhalb vereitelte er die sorgliche Vorsicht ihrer Mutter, um aus der natürlichen Sehnsucht der kindlichen Liebe und aus der raschen Entschlossenheit der Jugend Vortheil zu ziehen und ein Mädchen von Hause wegzulocken, welchem schon seine Stellung verbot, eine solche Reise ohne passenden Schutz zu unternehmen – abgesehen davon, daß es ganz gegen den Wunsch, ja offenbar gegen die ausdrücklichen Weisungen Lady Ellinor's geschah? Allein – allein! Fanny Trevanion befand sich in den Händen zweier Dienstboten, welche die Werkzeuge und Vertrauten eines Abenteurers waren, wie Vivian; und die Unterredung zwischen jenen beiden – die abgebrochenen Hindeutungen auf den andern Tag, in Verbindung mit dem Namen, den Vivian angenommen hatte – bedurfte der niemals irrende Instinkt der Liebe weiterer Gründe zum Erschrecken – zu einer um so tieferen Besorgniß, weil die Gestalt, in welcher sie auftrat, so dunkel und unbestimmt war?

Ich stürzte aus dem Hause.

Auf Haymarket angelangt, nahm ich ein Cabriolet, fuhr, so schnell ich konnte, nach unserer Wohnung (denn ich hatte für die Reise, welche ich beabsichtigte, nicht Geld genug bei mir), ließ durch den Diener des Hauses einen vierspännigen Wagen bestellen, eilte auf unser Zimmer, wo ich Roland zum Glück noch antraf, und rief:

»Onkel, komm mit mir! – nimm Geld mit, viel Geld! Eine Schurkerei, die ich entdeckt habe, obgleich ich sie nicht erklären kann, ist auf dem Punkte, an Trevanions verübt zu werden. Vielleicht können wir sie noch vereiteln. Unterwegs will ich Dir alles erzählen – komm, komm!«

»Gewiß. Aber eine Schurkerei – und gegen Leute in solcher Stellung – pah! – besinne Dich. Wer ist der Schurke?«

»O, der Mensch, den ich wie einen Freund liebte – dem ich selbst zu seiner Bekanntschaft mit Trevanion half – Vivian – Vivian!«

»Vivian! – ah, der junge Mann, von dem ich Dich sprechen hörte. Aber wie? – Schurkerei gegen wen? – gegen Trevanion?«

»Du folterst mich mit Deinen Fragen. So höre – dieser Vivian (o, ich kenne ihn!) – er hat einen Menschen als Diener im Hause untergebracht, der jeden Betrugs und jeden Bubenstücks fähig ist. Dieser Diener ist ihm behülflich gewesen, ihr Kammermädchen für seine Zwecke zu gewinnen – Fanny's – Miß Trevanion's Kammermädchen. Miß Trevanion ist eine Erbin, Vivian ein Abenteurer. Der Kopf schwindelt mir – ich kann Dir jetzt nicht mehr sagen. Ha, ich will eine Zeile an Lord Castleton schreiben und ihm meine Befürchtungen und meinen Argwohn mittheilen. – ich weiß, er wird uns folgen oder wenigstens die geeignetsten Maßregeln treffen.«

Ich griff hastig nach Papier und Tinte und begann zu schreiben, Mein Onkel trat neben mich und blickte mir über die Schulter.

Plötzlich faßte er meinen Arm und rief:

»Gower. Gower – was ist das für ein Name? Sagtest Du nicht ›Vivian‹?««

»Vivian oder Gower – eine und dieselbe Person.«

Mein Onkel verließ rasch das Zimmer. Es war natürlich, daß er in Eile die nöthigen Vorbereitungen zu unserer Abreise traf.

Ich beendigte mein Schreiben, siegelte es und übergab es, als fünf Minuten später der Wagen anfuhr, dem mit den Pferden gekommenen Stallknecht mit der Weisung, den Brief sogleich an Lord Castleton selbst abzuliefern.

Ich hatte mich bereits in den Wagen geworfen, als mein Onkel herunterkam und festen Trittes die Schwelle verließ.

»Beruhige Dich,« sagte er beim Einsteigen, »vielleicht gründen sich Deine Vermuthungen doch auf einen Irrthum.«

»An, einen Irrthum? Du kennst diesen jungen Mann nicht. Er besitzt alle Eigenschaften, um ein Mädchen, wie Fanny, zu bestricken, und, wie ich fürchte, nicht einen Funken von Ehrgefühl, das ihn in seinen ehrgeizigen Planen hemmen könnte. Ich beurtheile ihn jetzt wie aus einer höheren Eingebung – zu spät o Himmel, wenn es zu spät wäre!«

Ein Stöhnen brach von Roland's Lippen. Ich sah darin einen Beweis seiner Theilnahme und ergriff seine Hand; sie war kalt, wie Marmor.



 << zurück weiter >>