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Rod. Wie lieblich dort ist oft uns die Einsamkeit.
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Ped. Wie sonderbare Töne
Vernimmt man hier von fern.
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Curio. Wir sagten dir ja, wer er ist, wie wir
Ihn oft besucht, so wie sein Wesen auch
Und seinen Namen.
Beaumont und Fletcher.
Eines Tages, als die Damen in Frau Mertons Zimmer saßen, und als Eveline; welche, am Fenster stehend, der kleinen Cäcilie die französischen Wörter überhörte, gerade mit dieser angenehmen Arbeit fertig war, rief sie aus:
»O, sagen Sie mir, wem gehört jenes alte Haus mit dem malerischen Giebel und den gothischen Thürmen – dort, wo man durch die Bäume sieht. Ich habe bis jetzt immer vergessen, Sie zu fragen.«
»Meine liebe Miß Cameron,« sagte Frau Merton, »das ist Burleigh. Sind Sie noch nicht da gewesen? Wie dumm ist Caroline, daß sie Ihnen den Ort noch nicht gezeigt hat; er ist einer der merkwürdigsten der Gegend und gehört einem Manne, von dem Sie oft gehört haben werden – Herrn Maltravers.«
»Wirklich« rief Eveline aus, und blickte mit erneutem Interesse auf den dunkeln, schwermüthigen Bau, als der Sonnenschein einen Gegensatz zu den dunklen, ihn umgebenden Fichten bot, »und Herr Maltravers selbst –«
»Ist noch auf Reisen, wie ich glaube, ob ich gleich gestern hörte, daß er bald in Burleigh zurück erwartet wird. Es ist ein eigenthümlicher, etwas vernachlässigter, alter Bau, obgleich ich glaube, daß er seit Karls I. Zeit nicht mehr mit Möbeln versehen ist (Cäcilie, meine Liebe, beuge den Kopf nicht so). Nach meiner Meinung ist er sehr finster, im Hause findet sich kein schönes Zimmer, mit Ausnahme der Bibliothek, welche einst eine Kapelle war. Doch kommen die Leute meilenweit, um es zu sehen.«
»Wollen Sie heute hin?« fragte Caroline mit matter Stimme; »der Spaziergang ist sehr angenehm durch das Feld und durch den Wald, keine halbe Meile auf dem Fußwege.«
»Es wäre mir lieb.«
»Ja,« sagte Frau Merton, »Sie gehen am besten hin, bevor er zurückkommt; er ist ein sonderbarer Mann; wenn er dort ist, erlaubt er nicht, es zu besehen. Aber er ist auch nur einmal in dem Hause gewesen, seitdem er großjährig wurde (Sophia du wirst Miß Camerons Shärpe zerreißen, sei ruhig, Kind). Das war der Fall, bevor er berühmt wurde. Auch damals war er schon sehr sonderbar; er sah keine Gesellschaft und aß nur einmal bei uns, obgleich Herr Merton ihm alle Aufmerksamkeit erwies. Man zeigt noch das Zimmer, worin er seine Bücher schrieb.«
»Ich erinnere mich noch seiner sehr wohl, obgleich ich noch ein Kind war,« sprach Caroline; »ein hübsches, nachdenkliches Gesicht.«
»Finden Sie, meine Theure? – Gewiß schöne Augen und Zähne, und eine befehlende Gestalt, sonst aber nichts.«
»Gut,« sagte Caroline, »wenn Sie gehen wollen, so stehe ich zu Ihren Diensten.«
»Darf ich auch mit, Eveline, Liebe?« sprach Cäcilie; indem sie sich an Eveline anklammerte.
»Und ich auch,« lispelte Sophie; die jüngste; »es ist ein so schöner Pfau dort.«
»O ja, lassen Sie sie; Frau Merton, wir werden sehr auf sie Acht geben.«
»Ja, meine Theure – Miß Cameron verzieht euch ganz und gar.«
Eveline trippelte fort, um ihren Hut aufzusetzen; die Kinder liefen, mit den Händen klatschend, hinter ihr her. Sie konnten es nicht ertragen, Eveline auch nur einen Augenblick aus den Augen zu lassen.
»Caroline,« sprach Frau Merton liebevoll, »befinden Sie sich nicht wohl? Seit Kurzem sind Sie blaß und nicht in Ihrer gewöhnlichen heiteren Laune.«
»O ja, ich befinde mich ziemlich gut,« erwiderte Caroline etwas mürrisch; »aber dieser Ort ist jetzt so langweilig; es ist sehr verdrießlich, daß Lady Elisabeth dieses Jahr nicht nach London geht.«
»Meine Theure, ich hoffe, es wird im Juli heiterer werden, wenn das Wettrennen in Knaresdean beginnt. Lord Vargrave hat versprochen, zu kommen.«
»Hat Lord Vargrave Ihnen kürzlich geschrieben?«
»Nein, meine Theure.«
»Sonderbar.«
»Spricht Eveline viel von ihm?«
»Nein,« erwiderte Caroline, indem sie aufstand und das Zimmer verließ.
Der Tag war schön und heiter; der liebliche Mai näherte sich seinem Ende. Die Hecken waren von Blüthen bedeckt, ein leichter Wind rauschte durch die jungen Blätter; Schmetterlinge hatten sich hervorgewagt und die Kinder jagten dieselben auf dem Grase, als Eveline und Caroline (welche Letztere viel zu langsam für ihre Gesellschafterin ging, denn Eveline wünschte rasch zu gehen) mit ruhigem Gange ihnen nach Burleigh folgten. Sie gingen durch die Kornfelder, und eine kleine Brücke über einen rauschenden Bach führte sie in ein Gehölz.
»Dieser Strom,« sagte Caroline, »bildet die Grenze zwischen den Gütern meines Onkels und denen des Herrn Maltravers. Es muß für einen so stolzen Mann, wie Herr Maltravers sein soll, sehr unangenehm sein, das Gut eines andern Grundeigenthümers so nah an seinem Hause zu haben. Er konnte die Jagdflinte meines Oheims sogar aus seinem Ankleidezimmer vernehmen. Indeß, Sir John vermeidet sehr sorgfältig, ihn zu belästigen. Nach der andern Seite zu dehnt sich das Burleigh-Gut einige Stunden weit aus. Herr Maltravers ist nach meinem Onkel der größte Grundbesitzer in diesem Theile der Grafschaft. Sonderbar, daß er sich nicht verheirathet! Dort können Sie sein Haus sehen.«
Das Haus lag etwas niedrig; hinter ihm standen Trauerweiden; die altmodischen Fischteiche glänzten im Sonnenschein und erhöhten, von riesenhaften Bäumen überschattet, die ehrwürdige Stille des Anblicks. Epheu und unzählige Schlingpflanzen überwuchsen eine Seite des Hauses; hohes Unkraut bedeckte den verlassenen Weg.
»Das Gut ist traurig vernachläßigt,« sagte Caroline, »und war es schon bei Lebzeiten des letzten Eigenthümers. Herr Maltravers erbte den Ort von seinem Oheim mütterlicher Seite. Wir müssen durch eine Nebenthür ins Haus treten, der vordere Eingang ist verschlossen.«
Caroline ging voran zum Gebäude auf einem gewundenen Pfade, der durch einen Blumengarten führte. Dieser war vom Park durch eine niedrige Umzäunung getrennt, woran eine kleine Thür zwischen zwei Planken auf den Angeln rostete. Das Haus zeigte von dieser Seite eine große Fenstervertiefung mit einer Thür, welche durch eine Treppe von vier Stufen in den Garten führte. Auf der einen Seite erhob sich ein viereckiger, enger Thurm mit einer vergoldeten Kuppel und einem Wetterhahn. Unter dem Querbalken jener stand eine aus Stein gehauene Sonnenuhr; eine zweite Sonnenuhr befand sich im Garten, mit der häufigen, aber schönen Inschrift:
»Non numero horas, nisi serenas.« Ich zähle nur die heiteren Stunden.
Auf der andern Seite der Fenstervertiefung warf ein gewaltiger Strebepfeiler starken Schatten. In dem Aeußern des ganzen Ortes lag etwas, welches zur Betrachtung und Ruhe aufforderte, beinahe etwas Klosterartiges. Die Heiterkeit des schaffenden Frühlings konnte dem Ort eine gewisse Düsterkeit nicht entziehen, welche jedoch durchaus nicht unangenehm war, und welche sowohl jungen Leuten gefallen mußte, denen durch das unbestimmte Gefühl der Melancholie eine Art Luxus geboten wird, wie auch Denjenigen, welche wirklichen Kummer erfuhren, und die ein Mittel zur Milderung des Schmerzes im Nachsinnen und in der Erinnerung suchen. Die niedrige, bleifarbene, tief in den Thurm gefügte Thür war verschlossen und der Glockenzug daneben abgerissen. Caroline wandte sich ungeduldig hinweg. »Wir müssen zur andern Seite hin, und versuchen, ob wir uns dem alten, tauben Manne hörbar machen können.«
»O Caroline.« rief Cäcilie, »die große Fensteröffnung mit der Thür steht offen«, und mit den Worten lief sie die Treppe hinauf.
»Das trifft sich gut,« sagte Caroline, und die Uebrigen folgten Cäcilie.
Eveline stand jetzt in dem Bibliothekzimmer, wovon Frau Merton gesprochen hatte. Das Zimmer war groß, ungefähr fünfzig Fuß lang und verhältnißmäßig weit; es war etwas finster, denn das Licht fiel allein durch die große Fensterthür, durch welche sie eingetreten waren. Obgleich das Fenster sich bis zum Karnies der getäfelten Decke erhob und eine Seite des Zimmers einnahm, war das Tageslicht durch die Schwerfälligkeit der Bildhauerarbeit, womit die schmalen Scheiben besetzt waren, und durch das Glas verdunkelt, welches auf dem oberen Theil des Fensters mit Wappen bemalt war. Auch die Bücherschränke waren von dunkelm Eichenholz verfertigt; die Vergoldung, welche früher bestimmt war, jenen ein heiteres Aeußere zu ertheilen, war durch die Zeit entfernt.
Das Zimmer war beinahe unverhältnißmäßig hoch. Die Decke, sorgfältig gewölbt und mit der Schnitzerei grotesker Masken geschmückt, hatte noch den gothischen Charakter der Zeit, wo der Bau zu religiösen Zwecken bestimmt war. Zwei Kamine mit großen Gesimsen von Eichenholz, worin zwei Porträts eingefügt waren, unterbrachen die Symmetrie der hohen Bücherschränke. Auf einem dieser Kamine lagen halbverbrannte Holzklötze; ein großer Armsessel mit einem kleinen Lesepulte daneben, schien die kürzliche Benutzung des Zimmers zu bezeugen. Auf der vierten Seite, dem Fenster gegenüber, war die Wand mit vergilbter Tapete bedeckt, welche die Zusammenkunft Salomo's mit der Königin von Saba darstellte. Das Gewebe war über der Thür auf beiden Seiten derselben befestigt; die Spalte zwischen der Thür und der Mauer zerschnitten in der Mitte Seine weise Majestät, die einen tiefen Bückling machte, und die Spalte auf der andern Seite nahm der üppigen Königin, wie sie aus dem Wagen stieg, den Boden unter den Füßen weg.
Nahe am Fenster befand sich ein großes Pianoforte, der einzige moderne Artikel im Zimmer, mit Ausnahme eines Porträts, welches noch beschrieben werden soll. Auf Alles dieß blickte Eveline schweigend und andächtig; sie besaß natürlich jene Achtung vor höherem Geiste, welche bei enthusiastischen und jungen Leuten gewöhnlich ist. Außerdem findet sich sogar auch für den Unempfindlichsten ein gewisses Interesse in den Wohnungen Derjenigen, welche neue Gedanken in uns verpflanzten. Hier aber glaubte sie eine seltene und auffallende Harmonie zwischen dem Orte und dem geistigen Charakter des Eigenthümers zu erblicken. Sie glaubte jetzt besser die schattenhafte und metaphysische Ruhe zu erkennen, durch welche die jugendlichen Schriften des Maltravers sich auszeichneten, Schriften, die er an diesem stillen Orte verfaßt oder entworfen hatte.
Besonders aber ward ihre Aufmerksamkeit durch eines der beiden Porträts erregt, welche über dem Kamine eingefügt waren. Das entferntere war mit der reichen und phantastischen Rüstung aus den Zeiten der Elisabeth angethan. Das Haupt war nackt, der Helm stand auf dem Tisch, worauf die Hand ruhte. Es war ein schönes und auffallendes Gesicht; eine Inschrift kündigte an, es sei ein Digby, ein Vorfahr von Maltravers.
Das andere Porträt was das eines schönen Mädchens von ungefähr achtzehn Jahren, in der jetzt veralteten Kleidung der Mode vor vier Jahrzehnten. Die Züge waren zart, aber die Farben etwas vergilbt, und es lag etwas Trauerndes im Ausdruck. Ein seidener Vorhang an einer Seite über dasselbe gezogen, schien anzudeuten, wie sehr der Besitzer es schätze. Eveline wandte sich an ihre Führerin, um die Erklärung zu erhalten.
»Es ist das zweitemal, daß ich dieses Bild gesehen habe,« sagte Caroline. »denn nur nach großen Bitten und als geheimnißvolle Gunst zieht die Haushälterin den Schleier fort. Irgend ein Anstrich von Sentimentalität bei Maltravers bewirkt, daß er es als geheiligt betrachtet. Es ist das Bild seiner Mutter vor ihrer Verheirathung; sie starb bei seiner Geburt.«
Eveline seufzte – wie wohl verstand sie das Gefühl, das Carolinen so excentrisch schien! Das Gesicht bezauberte sie; das Auge schien ihr zu folgen, als sie sich umwandte.
»Als ein passender Anhang zu diesem Gemälde,« sagte Caroline, »sollte er das Bild des kriegerischen Herrn weglassen, und dieses durch das Porträt der Lady Florence Lascelles ersetzt haben, wegen deren Verlust er sein Vaterland, wie man sagt, verlassen hat; vielleicht aber macht ihm nur der Verlust ihres Vermögens Kummer.«
»Wie können Sie das sagen, pfui!« rief Eveline mit einem Ausbruche edelmüthigen Unwillens.
»Ach meine Theure, ihr reichen Erbinnen habt alle dieselben Gefühle! Nichts destoweniger sind gescheidte Leute nicht so empfindsam, wie wir glauben. Ha, ich fühle eine Anwandlung von Spleen in diesem stillen Gemach.«
»Theuerste Eveline.« flüsterte Cäcilie. »ich glaube, Sie ähneln etwas jenem hübschen Gemälde, nur sind Sie weit schöner. Bitte, nehmen Sie Ihre Mütze ab. Ihr Haar fällt nieder, gerade wie das ihrige.«
Eveline schüttelte ernst ihr Haupt; allein das verzogene Kind löste schnell das Band, riß den Hut hinweg, und Evelinens sonnige Locken wallten herab in schöner Unordnung. Zwischen Eveline und dem Porträt lag keine andere Aehnlichkeit, als in der Farbe des Haars und der sorglosen Form, die es jetzt durch den Wechsel annahm. Eveline aber freute sich bei dem Gedanken, daß eine Aehnlichkeit vorhanden war, obgleich Caroline erklärte, es sei ein gar nicht schmeichelndes Compliment.
»Ich wundere mich nicht,« sagte die letztere, um auf einen andern Gesprächsgegenstand zu kommen, »daß Herr Maltravers so wenig in diesem langweiligen Schlosse wohnt; es ließe sich aber sehr verbessern, z. B. durch französische Fenster und Spiegelscheiben; auch wenn man diesen Plunder von Bücherschränken und von widerlichen, alten Kamingesimsen fortschaffte, und die Decke weiß und goldfarben bemalte, wie meines Onkels Salon; wenn man diese alte Tapete mit reichem, lebhaftem Papier ersetzte, so würde wirklich ein sehr schönes Ballzimmer daraus werden.«
»Wir wollen hier tanzen.« rief Cäcilie aus; »komm, Sophie.«
Die Kinder begannen darauf zu walzen, indem sie über einander fielen und in voller Heiterkeit lachten.
»Still, nur,« sagte Eveline sanft. Sie hatte noch nie zuvor die Heiterkeit der Kinder verhindert, und sie konnte nicht sagen, weßhalb sie jetzt so verfuhr.
»Ich glaube, der alte Kellermeister hat hier den Verwalter bewirthet,« sagte Caroline, indem sie auf die Ueberbleibsel des Feuers zeigte.
»Ist dieß das Zimmer, das er hauptsächlich bewohnte, und welches man, wie Sie sagten, als das seinige zeigt?«
»Nein, jene Tapetenthür zur Rechten führt in ein kleines Studirzimmer, worin er schrieb.« Bei den Worten suchte Caroline die Thür zu öffnen, die aber innen verschlossen war. Hierauf öffnete sie die andere Thür, welche einen langen, getäfelten Gang zeigte, worin rostige Piken und einige Brustharnische aus den Zeiten der Bürgerkriege hingen. »Dieser Gang führt zum Haupttheil des Hauses,« sagte Caroline. »von welchem der Saal, worin wir uns jetzt befinden, und das kleine Studirzimmer gänzlich getrennt sind; dieß war nämlich eine Kapelle in den päpstlichen Zeiten. Wie ich hörte, hat Sir Kenelm Digby, ein Ahn des gegenwärtigen Besitzers, sie zu dem gegenwärtigen Gebrauch eingerichtet; dafür baute er die Dorfkirche an der andern Seite des Parkes.«
Sir Kenelm Digby, der alte Cavalier und Philosoph! Ein neuer Name, um diesen Ort zu heiligen! Eveline hätte den ganzen Tag im Zimmer verweilen können, und sie eilte vielleicht, um eine Entschuldigung für ihr längeres Bleiben zu haben, zum Fortepiano. Dieß stand offen; sie ließ ihre feenhaften Finger über die Tasten fahren und der Schall des ungestimmten und vernachläßigten Instrumentes drang wild und geistergleich durch das schwermüthige Zimmer.
»O singen Sie uns etwas, Eveline,« rief Cäcilie aus, indem sie zum Instrument lief und einen Stuhl hinzog; »thun Sie das, Eveline,« sagte Caroline matt; »es wird einen der Diener zu uns bringen und uns eine Reise zu dem Verwalter ersparen.« Dieß gerade wünschte Eveline. Einige Verse, welche ihre Mutter besonders liebte, Verse von Maltravers, bei seiner Rückkehr nach Abwesenheit von seiner Wohnung geschrieben, fielen ihr ein, als sie die Saiten berührte. Diese eigneten sich für den Ort und waren schön in Musik gesetzt; somit schwiegen die Kinder und setzten sich still zu ihren Füßen; nach einem kleinen Vorspiel begann sie den Gesang, indem sie die Begleitung dämpfte, damit das verdorbene Instrument die lieblichen Worte und die noch süßere Stimme nicht verderbe.
Mittlerweile saß im Nebenzimmer (indem kleinen Studirzimmer, welches Caroline erwähnt hatte) der Eigenthümer des Hauses! Er war plötzlich und unerwartet am vergangenen Abend zurückgekehrt. Der alte Verwalter war in dem Augenblick bei ihm und brachte eine Menge Entschuldigungen, Glückwünschungen und Geschichten an. Maltravers, der ein strenger und stolzer Mann geworden war, hatte sich schon verdrießlich fortgewandt, als er den plötzlichen Lärm des Gelächters der Kinder und laute Stimmen im Nebenzimmer vernahm. Maltravers blickte finster.
»Was ist das für eine Impertinenz?« fragte er in einem Tone, welcher, obgleich ruhig, den Verwalter bis auf die Zehen erzittern ließ
»Ich weiß es wirklich nicht, Ihro Gnaden; es kommen so viele vornehme Leute bei schönem Wetter, um das Haus zu besehen, daß –«
»Und Sie erlauben, daß das Haus Ihres Herrn wie eine Rarität gezeigt wird? Sie treiben mir schöne Dinge.«
»Wäre Euer Gnaden mehr unter uns, so würde auch hier mehr Disciplin herrschen, erwiderte der Verwalter trotzig; »so lange ich aber hier bin, haben die Eigenthümer sich am wenigsten um diesen alten Ort bekümmert.«
»Sprechen Sie weniger,« sagte Maltravers stolz; »und jetzt gehen Sie und sagen Sie den Leuten, daß ich zurückgekehrt bin und keine anderen Gäste wünsche, als die ich mir selbst einlade.«
»Sir!«
»Hören Sie mich nicht? Sagen Sie den Leuten, daß diese alten Ruinen, wenn es ihnen gefällig ist, mein Eigenthum sind, und daß ich nicht für die Unverschämtheit der öffentlichen Neugier darum schachere. Gehen Sie, Herr.«
»Aber ich bitte um Verzeihung, Euer Gnaden, aber wenn es vornehme Leute sind?«
»Vornehme Leute, ja, ja, die vornehmen Leute. Wenn es vornehme Leute sind, so besitzen sie selbst große Häuser, Herr Justis.«
Der Verwalter blickte starr. »Vielleicht, Euer Gnaden,« fiel er mit flehentlicher Stimme ein, »sind die Leute aus Herr Mertons Familie; diese kommen sehr oft, wenn Herren aus London dort sind.«
»Merton, ha! der kriechende Pfaff! Noch ein Wort, Sir, und Sie verlassen morgen meinen Dienst.«
Herr Justis hob Augen und Hände zum Himmel; in der Stimme und im Blicke seines Herrn lag aber ein Ausdruck, welcher alle Erwiderung verbot; er wandte sich langsam zur Thür, als man plötzlich draußen eine Stimme von so himmlischer Süße vernahm, daß er seinen eigenen Schritt anhielt, und daß der finstere Maltravers von seinem Sitze auffuhr. Er gab mit der Hand dem Verwalter ein Zeichen, daß dieser die Botschaft verzögere, und horchte entzückt und gleichsam bezaubert. Seine eigenen Worte trafen sein Ohr, Worte, mit denen er längst nicht mehr betraut war, und an die er sich anfangs nur unvollkommen erinnerte; Worte, die mit den ersten und jungfräulichen Jahren der Poesie und Begeisterung verknüpft waren, Worte, welche wie die Geister von Gedanken jetzt eine zu große Lieblichkeit seiner veränderten Seele boten. Er beugte das Haupt und der dunkle Schatten schwand von seiner Stirn. –
Der Gesang war beendet. Maltravers stand auf mit einem Seufzer und seine Augen ruhten auf der Gestalt des Verwalters, der die Thür in der Hand hielt.
»Soll ich Euer Gnaden Botschaft überbringen?« fragte Herr Justis ernst.
»Nein, tragen Sie nur für die Zukunft Sorge und verlassen Sie mich jetzt.«
Herr Justis machte einen Kratzfuß und ging vergnügt fort. »Hm« dachte er, »wie doch die Reisen einen Herrn verderben. Früher war er so mild; ich muß die Rechnungen in Ordnung bringen; ich sehe, der Gutsherr ist scharf geworden.«
Als Eveline ihren Gesang beschloß, sie, deren Reiz beim Singen in dem Gefühl bestand, ward sie durch die Schwermuth der Melodie und Worte so gerührt, daß ihre Stimme stockte, und daß der letzte Vers unhörbar auf ihren Lippen erstarb. Die Kinder sprangen auf und küßten sie.
»Oh!« rief Cäcilie, »dort ist der schöne Pfau!« Auch stand wirklich vor den Stufen im Garten der malerische Vogel, vielleicht durch die Musik herbeigelockt. Die Kinder liefen hinaus, ihren alten Günstling zu begrüßen, der sehr zahm war. Cäcilie kehrte aber sogleich wieder zurück.
»O Caroline, sehen Sie, welch prächtige Pferde dort den Park heraufkommen«
Caroline; die als gute Reiterin Pferde gern sah, und deren Neugier durch Alles erregt wurde, was mit Prunk und höherer Stellung zusammenhing, erlaubte den kleinen Mädchen, sie in den Garten fortzuziehen.
Zwei Stallknechte, wovon jeder ein Pferd von reiner, arabischer Race ritt, und Jeder ein anderes führte, das mit Wickeln und Binden umwunden war, trabten langsam den Weg hinab; Caroline war durch den neuen Anblick der Thiere an einem so verlassenen Orte so überrascht, daß sie, den Kindern folgend, auf jene zuging, um zu erfahren, wer der beneidenswerthe Eigenthümer sei. Eveline, im Augenblick vergessen, blieb allein; sie war darüber erfreut und wandte sich noch einmal zu dem Bilde, welches sie früher so angezogen hatte.
»Dieß schöne Geschöpf,« dachte sie, »erlebte nicht mehr den Ruhm ihres Sohnes, erfreute sich nicht mehr über seinen Erfolg oder versüßte seinen Gram. Und er, jener Sohn, lebt in seiner Hoffnung getäuscht und einsam auf fernem Boden, während Fremde in seiner verlassenen Halle stehen!«
Die so beschworenen Bilder belebten sich vor ihr; sie versank in Sinnen und blieb vor dem Gemälde stehen, welches sie mit nassen Augen anschaute. So bot sie eine schöne Erscheinung, mit ihrer zarten Blüthe, ihrem üppigen Haar (der Hut war noch nicht wieder aufgesetzt worden), ihren elastischen Formen, so voll Jugend Gesundheit und Hoffnung – die lebendige Gestalt neben der verwelkten Leinwand der Todten, die einst jung, zart und liebenswürdig wie sie selbst war! Eveline wandte sich mit einem Seufzer hinweg; der Seufzer fand einen noch tieferen Wiederhall. Sie stutzte, die Thür, welche in das Studirzimmer führte, stand offen und in der Oeffnung befand sich die Gestalt eines Mannes in der Kraft des Lebens. Sein Haar, noch so üppig wie in seiner frühesten Jugend, obgleich durch die Sonne des Ostens verdunkelt, fiel gelockt über eine Stirn von majestätischer Form. Die hohen und stolzen Züge; die einem über das gewöhnliche Maß sich erhebenden Wuchse geziemten – die blasse, aber gebrannte Gesichtsfarbe, die großen Augen von tiefem Blau, von dunkeln Brauen und Wimpern beschattet, und vor Allem der Ausdruck der Leidenschaft und Ruhe, welcher die alten italienischen Porträts charakterisirt, und die unerforschliche Gewalt anzudeuten scheint, welche die Erfahrung dem Verstande ertheilt: – Alles dieß bot ein Ensemble, welches, wenn nicht fehlerlos hübsch, außerordentlich auffallend und geeignet war, Interesse zu erwecken und Befehle zu ertheilen. Es war ein Gesicht, welches man nie wieder vergißt, sobald man es einmal gesehen hat, ein Gesicht, welches lange Zeit den jungen Träumen Evelinens vorgeschwebt hatte, obgleich sie nur zur Hälfte sich dessen bewußt war; ein Gesicht, das sie einst erblickt hatte, obgleich es jünger, milder und schöner, damals einen verschiedenen Anblick darbot. Eveline stand an den Ort geheftet, indem sie empfand, wie sie bis zu ihren Schläfen erröthete – ein bezauberndes Bild schamhafter Verwirrung und unschuldiger Unruhe.
»Lassen Sie mich nicht meine Rückkehr bereuen,« sprach der Fremde näher tretend, nach einer kurzen Pause, mit viel Sanftmuth in Lächeln und Stimme, »und erwecken Sie mir nicht den Glauben, daß der Eigenthümer verurtheilt ist, die schönen Geister zu verscheuchen, welche auf dem Orte während seiner Abwesenheit umgingen.«
»Der Eigenthümer?« wiederholte Eveline beinahe unhörbar und in gesteigerter Verlegenheit; »sind Sie der – der –?«
»Ja,« unterbrach sie höflich der Fremde, als er ihre Verlegenheit sah; »mein Name ist Maltravers, und ich bin zu tadeln, daß ich Sie über meine plötzliche Rückkehr nicht benachrichtigt habe; oder daß ich jetzt mich in Ihre Gegenwart eindränge. Sie sehen jedoch meine Entschuldigung,« er zeigte aufs Instrument, »Sie haben dort den Zauber, welcher sogar die Schlange aus ihrer Höhle zieht; Sie sind aber nicht allein?«
»Nein, allerdings nicht, Miß Merton ist bei mir; ich weiß nicht, wohin sie gegangen ist; ich will sie aufsuchen.«
»Miß Merton? Sie gehören also nicht zu der Familie?«
»Nein, ich bin nur ihr Gast; ich will sie aufsuchen; sie muß statt meiner die Entschuldigung anbringen.«
»Das ist eine grausame Entschuldigung« sprach Herr Maltravers, indem er über ihren Eifer lächelte. Das Lächeln und der Blick erinnerte sie noch eindringlicher an die Zeit; als er sie auf seinen Armen trug, ihre Leiden milderte, ihren Muth rühmte und beinahe wie ein Liebhaber ihr die Hand küßte. Bei dem Gedanken erröthete sie noch tiefer und suchte mit noch größerem Eifer zu entkommen.
Maltravers suchte nicht sie aufzuhalten, sondern folgte schweigend ihren Schritten. Sie hatte kaum die Fensterthür erreicht, als die kleine Cäcilie mit den Worten hereinlief: »Denken Sie sich, Herr Maltravers ist zurückgekehrt und hat die schönen Pferde mitgebracht.«
Cäcilie hielt plötzlich an, als sie den Fremden sah; im nächsten Augenblick erschien Caroline selbst. Ihre Welterfahrung und ihr schneller Verstand erkannte sogleich, was vorgegangen war; sie eilte, sich bei Maltravers zu entschuldigen und ihm wegen seiner Rückkehr Glück zu wünschen, mit einer Leichtigkeit, welche die arme Eveline in Erstaunen setzte, und welche Maltravers selbst gar nicht zu würdigen schien. Er erwiderte mit kurzer und stolzer Höflichkeit.
»Mein Vater,« fuhr Caroline fort, »wird mit Freuden vernehmen, daß Sie zurückgekehrt sind; er wird sich beeilen, Ihnen seine Aufwartung zu machen und seine Müßiggängerinnen entschuldigen. Ich habe Sie jedoch noch nicht förmlich bei dieser Dame eingeführt, welche mein Vergehen theilt. Meine Theure, lassen Sie mich Ihnen einen Mann vorstellen, mit welchem der Ruhm Sie schon bekannt gemacht hat, Herr Maltravers, dieß ist Miß Cameron, Stieftochter,« fügte sie in leiserem Tone hinzu, »des verstorbenen Lord Vargrave.« Bei dem ersten Theil dieser Einleitung blickte Maltravers finster, beim zweiten vergaß er alles Mißvergnügen.
»Ist es möglich! Ich dachte, Sie schon früher gesehen zu haben, aber nur im Traume; wir sind uns also nicht gänzlich fremd.«
Evelinens Auge begegnete dem seinigen; obgleich sie erröthete und ernst zu blicken strebte, rief ein halbes Lächeln wieder die Grübchen hervor, die um ihre schlauen Lippen spielten.
»Erinnern Sie sich denn meiner noch?« fügte Maltravers hinzu.
»O ja!« rief Eveline aus, mit plötzlicher Regung, alsdann hielt sie sich zurück.
Caroline kam ihrer Freundin zu Hülfe.
»Was ist das? Sie sehen mich in Erstaunen; wo haben Sie jemals früher Herrn Maltravers gesehen?«
»Ich kann die Frage beantworten, Miß Merton. Als Miß Cameron noch ein Kind war, so groß wie meine kleine Freundin dort, verschaffte mir ein Vorfall auf der Landstraße ihre Bekanntschaft; die Lieblichkeit und der Muth, den sie damals zeigte, ließ bei mir einen Eindruck zurück, der sich sogar bis heute noch nicht verloren hat. So also treffen wir uns wieder,« setzte Maltravers murmelnd hinzu, als ob er mit sich selbst spräche; »wie sonderbar ist das Leben!«
»Gut,« sagte Miß Merton, »wir müssen uns Ihnen nicht aufdringen; Sie haben so viel zu thun. Es thut mir leid, daß Sir John nicht hier ist, um Sie zu bewillkommnen, ich hoffe jedoch, daß wir gute Nachbarn sein werden. A revoir.«
Caroline verbeugte sich, lächelte und ging mit ihrem Gefolge fort, indem sie sich für sehr entzückend hielt. Maltravers blieb unentschlossen stehen. Hätte Eveline zurückgeblickt, so würde er die Damen nach Haus begleitet haben; diese aber blickte nicht zurück, und er blieb.
Miß Merton neckte ohne Gnade ihre junge Freundin, als sie nach Haus gingen, und entlockte ihr eine kurze und unvollkommene Geschichte des Abenteuers, welches die erste Bekanntschaft gebildet hatte, und der Unterredung, womit, dieselbe erneut worden war. Eveline aber achtete nicht auf sie; sobald sie zur Pfarrei gelangt war, eilte sie auf ihr Zimmer, schloß sich ein und schrieb ihrer Mutter einen Bericht ihres Abenteuers. Wie oft hatte sie in ihren kindischen Träumereien an jenen Vorfall und jenen Fremden gedacht! Und jetzt begegnete sie, gleichsam zufällig, nach so manchen Jahren dem Unbekannten an seinem eigenen Herde! Und jener Unbekannte war Maltravers! Es schien ihr, als ob ein Traum erfüllt wäre. Während sie so sinnend da saß, und den Brief noch nicht begonnen hatte, vernahm sie ein Freudengeläute in der Ferne; sie errieth sogleich die Ursache; es war die Begrüßung des Wanderers in seiner einsamen Heimath.