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Es war ein schöner Tag, still und warm. Die Platanen standen mit ihren Kronen von Gold da, als ob sie der Stille lauschten; hin und wieder löste sich eines der großen, gezackten Blätter mit einem leisen Seufzer und schwirrte träumend zur Erde, woher es gekommen war. Aus den großen Schornsteinen wirbelte kein Rauch in die Höhe, kein dumpfes Stöhnen klang aus der Fabrik; festlich geschmückt mit Fahnen und Ehrenpforten lag sie in der Sonne, mit zurückgehaltenem Atem wie eine Braut, die ihren Bräutigam erwartet, während ferne Hammerschläge die letzten Nägel in das festliche Werk schlugen.
Die hochstämmigen Rosen um den runden Platz vor dem Hause hingen mit den Köpfen, vom Herbst überwältigt, von einer Fülle niedergedrückt, die sie nicht mehr tragen konnten. Zwischen den Statuen vor der Buchsbaumhecke waren Guirlanden von Lorbeer und Rosen gezogen; über dem Eingang zum Wintergarten prangte eine ungeheure Blumenkrone, von der eine Fülle von Rosen zu beiden Seiten der Tür in goldenen Ketten herabhingen. als ob Blumenarme sich den Eintretenden öffneten. Hinter Ralphs Statue mit der unschönen grauen Verhüllung war vor dem Gebüsch eine Wand errichtet, die mit einer einzigen, mächtigen, amerikanischen Flagge bekleidet war; und darüber erhob sich ein Portal von dunklem, schwerem Lorbeer, das durch ein großes verschlungenes Blumenmonogramm, R. C., H. J., Ralph Cunnings und des Präsidenten Henry Jacksons Anfangsbuchstaben, gekrönt war.
Links vor der Statue stand eine Rednertribüne, mit Tuja bedeckt und von gelben Rosen bekränzt.
In den Gebüschen, zwischen den Bäumen und der Buchsbaumhecke, hingen unzählige kleine, farbige elektrische Lampen, die bei Dunkelheit angezündet werden sollten.
Als Eleanor nach dem Frühstück aus dem Wintergarten kam, begann drüben bei der Fabrik ein Orchester Yankee-doodle zu spielen.
Sie blieb erstaunt stehen und wandte sich fragend zu Ralph um.
»Das Arbeiterorchester hält Generalprobe,« sagte er mit einem beruhigenden Lächeln und ging zur Buchsbaumhecke, um eine Guirlande aufzuhängen, die heruntergefallen war.
»Lorbeer und Blumen – Blumen und Lorbeer,« sagte Fielding, der zuletzt kam; er blieb stehen und blickte sich mit anerkennendem und bewunderndem Kopfnicken um. Darauf blickte er zum Himmel hinauf und fügte zu Eleanor:
»Man sollte nicht glauben, daß wir bereits im Oktober sind.«
Eleanor hörte ihn nicht. Sie war Ralph gefolgt, reckte sich in der Sonne, legte die Hände siegesfroh auf seine Schultern und sagte, von Lächeln und Erwarten erglühend:
»Wie schön, Sie auf dem Gipfel zu sehen!«
»Ich bin ja erst beim Start,« sagte Ralph und beschäftigte sich mit der Guirlande.
Der Diener kam mit einem Servierbrett heraus, ordnete den Kaffee auf dem Tisch beim Wintergarten, schob die Stühle zurecht und meldete, daß der Kaffee serviert sei.
Als Eleanor und Ralph zusammen zum Tisch gingen, fragte sie wie zufällig:
»Was ist eigentlich aus der Prinzessin geworden?«
Ralph zuckte die Achseln, ohne zu antworten.
Fielding aber drehte sich interessiert zu ihnen um. »Haben Sie noch nicht gehört?« sagte er, »Senator Smith erzählte mir neulich, daß er sie in Frau Tillnys Salon getroffen habe. Sie erweckte allgemeine Begeisterung. Der alte Pastor Brown schwärmte von der Insel der Glückseligkeit, von der er sicher noch nie gehört hat. Und Doktor Janßen prophezeite eine große Kulturerneuerung aus Westen, er wollte einen Artikel über ›Van-Zantenismus‹ für sein Magazin schreiben.«
»Und was sagte Smith selbst?« fragte Ralph.
»Er weissagte ihr eine große Zukunft.«
»Als was?« fragte Eleanor mit einem spöttischen Lächeln.
»Als Schriftstellerin, Sie schreibt an einem Werk für den Präsidenten, das hatte Frau Tillny ihm anvertraut.«
Eleanor schüttelte den Kopf und blickte von Ralph zu Fielding.
»Was meinen Sie, Fielding? – Ist sie verrückt?«
»Keineswegs,« entschied er, »sie ist nur aus einer anderen Welt.«
Ralph erhob sich und ging zur Platanenallee.
»Wohin gehen Sie,« fragte Eleanor.
»Ich muß mich umsehen, ob alles in Ordnung ist.«
Als Ralph in der Allee verschwunden war, beugte Eleanor sich zu Fielding und blickte ihm fest in die Augen.
»Sagen Sie mal, Fielding, was ist los?«
»In welcher Beziehung?«
»Es ist etwas mit den Arbeitern im Wege.«
»Fragen Sie doch Cunning.«
»Er wollte nicht mit der Sprache heraus; aber es gährt etwas.«
»Warum glauben Sie das?«
»Ich habe doch Augen zum sehen. – Und das ist auch der Grund, weshalb Sie so häufig herkommen.«
»Ich?« Fielding blickte mit unschuldiger Miene auf.
»Ja, Sie!« nickte Eleanor; sie hatte ihn mit ihren dunklen Augen gefangen und ließ ihn nicht los, bevor er gestanden hatte. »Sie machen gemeinsame Sache mit Ralph – und dem Präsidenten.«
»Ausgezeichnet.« Fielding konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, »und was weiter?«
»Sie stehen ihm mit Rat und Tat zur Seite und halten ihn auf dem Laufenden.«
»Den Präsidenten?« fragte er harmlos.
»Nein, Ralph. Leugnen Sie?«
»Ich bekenne!« – Er ergab sich mit einem Lächeln.
»Sagen Sie mir also, was macht den starken Mann so nervös? Warum freut er sich nicht – warum strahlt er nicht, an diesem dreifachen Festtag?«
Auf dem Kies erklangen Schritte. Ralph kam zurück, von dem Werkführer gefolgt. Hinter ihnen, zwischen den Bäumen der Allee zögerten einige Arbeiter; es waren Pat und Tonny und drei andere, alle im Sonntagsstaat. Eleanor und Fielding sahen gleichzeitig auf; und Fielding sagte, indem er sich erhob:
»Vielleicht werden Sie es jetzt erfahren.«
Darauf schlenderte er wie aufs Geratewohl auf Ralph und Braddon zu.
»Was wollen die Leute?« fragte Ralph halblaut.
»Sie wollen einen Vergleich anbieten,« antwortete der Werkführer.
»Dazu haben sie eine merkwürdige Zeit gewählt.« Ralph drehte den Kopf zu der Gruppe um.
»Das Fest!« bemerkte der Werkführer bedeutungsvoll.
»Ich würde sie an Ihrer Stelle anhören,« bemerkte Fielding halblaut.
Ralph wandte sich den Arbeitern zu.
»Kommen Sie näher,« sagte er kurz.
Die Gruppe setzte sich entschlossen in Bewegung, mit Tonny an der Spitze; man sah den Männern gleich an, daß sie nicht als Bittsteller kamen.
»Was wünschen Sie?« Ralph hob den Kopf und sah Tonny gerade in die Augen.
Tonny sah ihn düster an mit seinen schwarzen, blitzenden Augen.
»Wir kommen im Auftrag unserer Kameraden,« sagte er, »um Ihnen an Ihrem Festtag einen Vergleich anzubieten, Herr Cunning.«
»Ich höre.«
Ralph stand unbeweglich mit gespreizten Beinen, abwartend, während Tonny von Kopf bis Fuß bebte, die anderen hinter ihm atmeten schwer und traten von einem Fuß auf den andern, von seiner Unruhe elektrisiert.
»Wie Sie wissen, Herr Cunning,« begann er, »habe ich nach meiner Entlassung aus der Fabrik für eine Vereinigung der Dagos, die bei Ihnen arbeiten, gewirkt.«
Ralph nickte.
»Ich weiß, daß Sie meine Arbeiter aufgewiegelt haben.«
»Ja, wir entlassenen Arbeiter,« Tonny beugte sich gereizt vor. »Sie haben durch einen Anschlag auf dem Arbeitsplatz den Arbeitern verboten, unserem Verein beizutreten.«
»Da die Statuten Ihres Vereins nicht mit der Arbeitsordnung in meiner Fabrik vereinbar sind, habe ich den Arbeitern klargemacht, daß sie zu wählen haben, das stimmt.«
»Fünf Arbeiter,« fuhr Tonny hitzig fort, »die sich laut den Gesetzen des Vereins vorige Woche weigerten, den Krankenkassenbeitrag zu bezahlen, sind von dem Werkführer entlassen worden.«
»Ja,« antwortete Ralph ruhig, »sie hatten ihre Wahl getroffen und mußten die Folgen tragen.«
Tonny trat ihm herausfordernd einen Schritt näher, Ralph aber rührte sich nicht.
»Jetzt kommen wir Arbeiter zu Ihnen, Herr Cunning, um Ihnen an Ihrem Festtag ein Vergleichsangebot zu machen. Wollen Sie uns anhören?«
»Ich habe ja schon einmal gesagt, daß ich höre.«
»Es ist unser erstes und letztes Angebot,« sagte Tonny durch Ralphs Ueberlegenheit gereizt, während er in seiner Brusttasche suchte, »verhandelt wird nicht. Unser Angebot muß verworfen oder angenommen werden.«
»Gut!« sagte Ralph, ohne eine Miene zu verändern.
Tonny hatte das Papier gefunden, entfaltete es und las:
»Wenn die Fabrik die verabschiedeten Arbeiter wieder annehmen und von Entlassungen wegen der neuen Maschinen Abstand nehmen, ferner die fünf Leute, die vorige Woche verabschiedet wurden, weil sie sich weigerten, den Krankenkassenbeitrag zu bezahlen, wieder anstellen, wenn die Fabrikleitung ferner das freie Vereinsrecht der Dagos unter denselben Bedingungen, die für eingeborene Arbeiter gelten, anerkennen will, dann wird der von uns gegründete Verein seinerseits das Verbot gegen den Beitrag zur Krankenkasse aufheben, insofern, als es freier Entschluß der Mitglieder sein soll, ob sie bezahlen wollen oder nicht. – Das ist unser Angebot.«
»Und wenn ich es ablehne,« fragte Ralph ruhig, »was dann?«
»Darüber wünschen wir uns nicht zu äußern.« Tonny versuchte Ralphs überlegenen, höflichen Ton nachzuahmen, »wir möchten Ihnen nur mitteilen, daß wir uns den Beistand der Gewerkschaften zum Kampf für unser Recht gesichert haben.«
Ralph wandte sich zum Werkführer um, der zurückgetreten war, als Tonny begann.
»Verhält es sich so, Braddon?«
Braddon trat neben Tonny und antwortete:
»Die Gewerkschaften haben den neuen Verein anerkannt. Das ist alles.«
»Wieviel Mitglieder hat Ihr Verein?« fragte Ralph und wandte sich wieder an Tonny.
Der Arbeiter warf den Kopf in den Nacken und antwortete großspurig:
»Darüber wünschen wir nichts näheres mitzuteilen.«
»Wieviele sind es, Braddon?«
Der Werkführer zog ein Papier aus seiner Brusttasche.
»Hier sind alle Namen und Adressen verzeichnet. Es sind alles in allem elfhundert und sechszehn.«
Tonny drehte sich verdutzt um; die anderen wurden unruhig, und Pat versuchte hinter Braddons Rücken einen Blick in die Liste zu werfen.
Tonny warf sich in die Brust und fragte in herausforderndem Ton:
»Wo haben Sie diese Liste her?«
»Das geht Sie nichts an!« antwortete Braddon ruhig, ohne einen Blick von Ralph zu verwenden.
Tonny fuhr ihn an:
»Die Liste ist gestohlen!«
Braddon beachtete ihn nicht; für ihn war außer dem Chef niemand zugegen.
»Ich habe Befehl gegeben,« berichtete er geschäftsmäßig, »mit allen, die auf diesem Papier stehen und sich weigern, das Krankenkassengeld zu bezahlen, abzurechnen.«
»Gut!« Ralph nickte Beifall.
Tonny faltete sein Papier zusammen, steckte es demonstrativ ein und schlug sich auf die Tasche.
»Also abgelehnt!« sagte er mit Nachdruck und nickte seinen Genossen zu, die ebenfalls düster nickten.
»Sie kennen unsere Arbeitsordnung,« sagte Ralph mit unveränderter Ruhe, »daran wird nichts geändert.«
»Ist das Ihr letztes Wort?« fragte Tonny ordnungshalber, bevor sie gingen.
»Ja.«
»Dann können Sie Ihre Fabrik schließen!« sagte er, indem er seinen Trumpf ausspielte, »denn von morgen an werden sämtliche Dagos die Arbeit niederlegen.«
Ralph wandte sich zum Werkführer und fragte:
»Haben Sie Ihre Verhaltungsmaßregeln getroffen, Braddon?«
»Ja. Harrison hat zwölfhundert Arbeiter bereit, die innerhalb eines halben Tages hier sein und die Arbeit aufnehmen können.«
Tonny zuckte zusammen. Seine Augen blitzten, es sah aus, als ob er sich auf Braddon stürzen wollte. Im selben Augenblick trat Ralph einen Schritt näher heran, und Tonny begegnete einem grauen Blick mit kleinen Pupillen, kalt und scharf wie ein Messer – und er wich zurück.
»Dann haben wir uns wohl nichts mehr zu sagen?« Er unterdrückte seine Erregung.
»Nein.«
Einer der Arbeiter wandte sich halb fragend, halb drohend an Braddon und sagte:
»Dann können wir unsere Sachen wohl gleich holen?«
»Ja,« sagte Ralph, »noch heute, während die Fabrik stillsteht, denn in der Arbeitszeit werden nur die eingelassen, die arbeiten wollen.«
»Kommt, Kameraden!« Tonny breitete seine Arme um sie, wie zum Schutz.
Ohne zu grüßen, machten sie kehrt und gingen in einem Haufen über die Terasse. Als sie die Platanenallee erreicht hatten, drehte Tonny sich um, nahm den Hut tief ab und rief zurück:
»Meinen besten Glückwunsch zum Festtag, Herr Cunning.«
»Vielen Dank!« rief Ralph zurück, er stand noch auf demselben Fleck.
»Hoffentlich werden Sie nicht bereuen, daß Sie unser Angebot abgelehnt haben.«
»Hoffentlich!« gab Ralph zurück und behielt den Klang von Tonnys Worten in seinem Ohr; Drohung und Triumph hatten gleichzeitig herausgeklungen.
Fielding, der der Szene beigewohnt hatte, entfernte sich, während Ralph mit Braddon beriet; er ging durch den Wintergarten, ohne auf Eleanor zu achten, die noch am Kaffeetisch saß und aufsah, um ihn zu fragen, als er vorbeiging.
»Sonst alles in Ordnung?« fragte Ralph Braddon.
»Jawohl, Herr Cunning!« antwortete Braddon, »unter den Kesseln ist geheizt, die Vorführung kann innerhalb fünf Minuten beginnen.«
»Schön! – Von heute ab sind Sie Inspektor und bekommen das doppelte Gehalt.«
»Vielen Dank, Herr Cunning, ich werde mein Bestes' tun.«
»Es ist gut, Braddon.«
Er nickte freundlich, zum Zeichen, daß Braddon sich entfernen könne, als ihm noch etwas einfiel.
»Sorgen Sie dafür, daß der Präsident im Gedränge nicht belästigt wird.«
»Ein Polizeikordon wird vor der Einfahrt Aufstellung nehmen.«
»Es ist gut!«
Braddon grüßte und ging durch die Allee.
Ralph trat zu Eleanor.
»Wo ist Fielding geblieben?« fragte er erstaunt.
»Er ist ins Haus gegangen,« sagte sie und erhob sich.
Als er neben ihr stand, legte sie die Hände auf seine Schultern, sah ihm liebevoll in die Augen und sagte:
»Lieber Freund, warum haben Sie es vor mir verborgen?«
Ralphs Augen wurden unruhig.
»Was?«
»Das mit den Arbeitern.«
»Ach so, das!« sagte er mit nachlässigem Ton und blickte über den Park.
»Gibt es denn sonst noch etwas?«
Er starrte ins Weite, ohne zu antworten.
»Sehen Sie doch, wie alles um Sie herum strahlt! – Nur Sie sind voller Wolken.«
Er nahm sich zusammen, hob ihre Hände von seinen Schultern und hielt sie von sich ab.
»Bedenken Sie, welche Verantwortung ich trage!« sagte er und versuchte ihr zu erklären, um was es sich handelte, »der Präsident will mir und meiner Fabrik eine Ehre erweisen, und wenn die Vorführung mißlingt, fällt das Ganze in sich zusammen, die Rede wird lächerlich und meine Feinde, von denen ich viele habe, werden jubeln.«
»Sie meinen die Arbeiter?«
»Sie – und die andern!« sagte er düster und blickte wieder fort.
Sie schwieg, während sie über den Ausdruck um seinen Mund nachdachte; in der letzten Zeit hatte er etwas Gequältes, ja, fast Verzweifeltes gehabt; sobald er die Augen anderer auf sich fühlte, verschwand es sofort, Eleanor aber hatte es doch bemerkt.
Sie löste ihre Hände aus den seinen und fragte:
»Warum haben Sie dem großen Publikum den Zugang gestattet?«
»Sie dürfen die Enthüllung nicht vergessen,« er blickte zur Statue hin, »der dort drüben, mein großer Namensvetter, dem ich alles verdanke, ist ja ein Kind dieser Stadt, das Eigentum der Bürger, das ich geliehen habe.«
Eleanor sah ihn fest an.
Ralph verstand sofort, was sie meinte und wich ihrem Blick aus.
»Kommt sie?«
»Sie ist nicht eingeladen,« antwortete er und bemerkte wieder eine Guirlande, die sich von ihrem Platz gelöst hatte.