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Zweiter Teil des zweiten Dialogs.

Sofia. Laß uns nun das Thema wieder aufnehmen, in dessen Behandlung wir gestern durch Merkurs Ankunft gestört wurden.

Saulino. Es ist auch hohe Zeit, nachdem du mir den Grund für die Erhebung guter Gottheiten an die Stelle jener Bestien angegeben hast, weiter zuzusehen, was für andere die Plätze der übrigen einnehmen sollen, und wenn es dir gefällig ist, so habe die Freundlichkeit und teile mir auch Grund und Ursache hiervon mit. Wir waren gestern bei der Erzählung stehen geblieben, wie der Vater Jupiter Herkules fortschickte; wir müssen daher folgerichtigerweise zunächst erfahren, was an seine Stelle treten soll.

Sofia. Ich, Saulino, habe in Wirklichkeit im Himmel ein Seitenstück dazu erlebt, was Krantor in seiner Phantasie, im Traum, als Schattenbild, in prophetischem Geiste vom Streite des Reichtums, der Wollust, der Gesundheit und Tapferkeit erblickt hat. Denn als Jupiter den Herkules vom Himmel ausgeschlossen hatte, trat plötzlich der Reichtum vor ihn hin und sagte: »Mir, Vater, gebührt dieser Platz.« »Aus welchem Grunde?« fragte Jupiter. »Ich wundere mich«, versetzte der andere, »daß du so lange gezögert hast, mir einen Platz anzuweisen, und bevor du dich meiner erinnertest, nicht allein anderen Göttinnen und Göttern, die mir nachstehen müßten, einen Platz gegeben, sondern es auch dahin gebracht hast, daß ich von selbst kommen und gegen solche Beeinträchtigung und solches Unrecht, das ihr mir zufügt, entschieden Einspruch erheben muß.« – »Vertritt deine Sache, Reichtum«, entgegnete Jupiter, »denn ich bin mir nicht bewußt, dir unrecht getan zu haben, indem ich dir keinen der bereits vergebenen Plätze anwies, sondern ich glaube, dir auch jetzt kein Unrecht zuzufügen, wenn ich dir diesen, der jetzt zu vergeben ist, verweigere, und vielleicht erhältst du einen viel schlechteren als du denkst.« – »Und was kann und soll mir denn nach eueren Beschlüssen schlimmeres geschehen, als ich schon erfahren habe?« fragte der Reichtum. »Sage mir, mit welchem Rechte hast du mir die Wahrheit, die Klugheit, die Weisheit, das Gesetz, die Rechtspflege vorgezogen? Denn ich bin es, um dessentwillen die Wahrheit geschätzt, die Klugheit geachtet, die Weisheit geehrt wird, das Gesetz herrscht, die Rechtspflege anordnet, und ohne mich ist die Wahrheit wertlos, die Klugheit verachtet, die Weisheit vernachlässigt, das Gesetz stumm und die Rechtspflege lahm. Ich verschaffe der ersten Raum, der zweiten Kraft, der dritten Licht, der vierten Ansehen, der fünften Stärke, allen zusammen Annehmlichkeit‚ Schönheit und Zierde und befreie sie von Kummer und Sorge.« – »O Reichtum«, entgegnete Momus, »in deinen Worten liegt ebenso wahres wie falsches; denn du bist es auch, um dessentwillen die Rechtspflege hinkt, das Gesetz sich in Schweigen hüllt, die Weisheit mit Füßen getreten, die Klugheit eingekerkert und die Wahrheit unterdrückt wird, wenn du dich zum Genossen von Schuften und Unwissenden machst, wenn du mit deiner Macht die Torheit begünstigst, wenn du die Seelen zu Lüsten entflammst und dadurch zugrunde richtest, wenn du der Gewalt dienst, der Gerechtigkeit widerstrebst; ferner verschaffst du dem, der dich besitzt, nicht weniger Sorge als Annehmlichkeit, nicht weniger Häßlichkeit als Schönheit, nicht weniger Roheit als Feinheit; du machst dem Kummer und der Sorge kein Ende, sondern verwandelst sie nur und läßt sie in anderer Gestalt auftreten. Daher bist du dem Rufe nach gut, in Wahrheit aber schlecht; dem Anschein nach wertvoll, aber in Wirklichkeit wertlos‚ der Einbildung nach nützlich, aber in der Tat äußerst schädlich. Denn unter deiner Herrschaft hast du, wenn du dich zu dem Schlechten gesellst – wie ich dich denn auch für gewöhnlich nur in den Häusern von Schuften antreffe, selten einmal bei anständigen Leuten –‚ dort unten die Wahrheit aus den Städten in die Wüsten verbannt, der Klugheit die Beine gebrochen, der Weisheit die Schamröte ins Gesicht gejagt, dem Gesetze den Mund verschlossen, der Rechtspflege den Mut benommen und sie allesamt zu käuflichen Subjekten gemacht.« – »Daran, Momus, kannst du meine Macht und Überlegenheit erkennen«, entgegnete der Reichtum; »denn ich bewirke, je nachdem ich meine Hand öffne oder schließe und meine Gaben bald hier, bald dort verteile, daß diese fünf Gottheiten alles vermögen und zu tun imstande sind oder aber verachtet, verbannt und verstoßen werden, und, um es offen herauszusagen, ich kann sie zum Himmel oder zur Hölle jagen.« – Da erwiderte Jupiter: »Wir wollen im Himmel und auf diesen Sitzen keine anderen als gute Gottheiten haben; fort mit denen, die schuldbeladen sind, sowohl die, die in höherem Grade schuldbeladen als gut sind, wie die, die gleichmäßig gut und schuldbeladen sind; zu diesen letzteren rechne ich auch dich, Reichtum, der du bei Guten gut und bei Schurken die Schlechtigkeit selber bist.« – »Du weißt, Jupiter«, antwortete der Reichtum, »daß ich für mich selbst gut und nur insoweit indifferent oder neutral oder von der einen und der anderen Art bin, wie du sagst, wie andere von mir einen guten oder schlechten Gebrauch machen wollen.« – Hierauf entgegnete Momus: »Du bist also, Reichtum, ein lenksamer, nur zum Dienen geeigneter, käuflicher Gott, der es nicht versteht, selbständig zu regieren, und nicht du bist es in Wahrheit, der über andere herrscht und verfügt, sondern andere verfügen über dich, und du wirst von anderen regiert. Daher bist du gut, wenn andere dich gut handhaben, und schlecht, wenn du schlecht geleitet wirst. Du bist, sage ich, gut in der Hand der Gerechtigkeit, Weisheit, Klugheit, der Religion, des Gesetzes, der Freigebigkeit und anderer Gottheiten; du bist schlecht, wenn die entgegengesetzten Dämonen, zum Beispiel Gewalttätigkeit, Geiz, Unwissenheit und andere sich deiner bemächtigen. Da du also für dich selbst weder gut noch schlecht bist, so glaube ich, wird es das beste sein, wenn Jupiter nichts dawider hat, daß du für dich selbst weder an Ehre noch an Schande einen Anteil hast und daher auch nicht verdienst, einen besonderen Wohnsitz zu bekommen, weder hier oben unter den Göttern und den himmlischen Mächten, noch dort in der Tiefe bei den unterirdischen Göttern, sondern du sollst ewig wandern, von Ort zu Ort, von Land zu Land.«

Alle Götter stimmten Momus' Worten zu, und Jupiter fällte folgendes Urteil: »Bist du Reichtum an Gerechtigkeit, so magst du im Hause der Gerechtigkeit wohnen, bist du Reichtum an Wahrheit, dann magst du dort weilen, wo deren Herrlichkeit weilt; bist du Reichtum an Weisheit, so magst du auf deren Trone sitzen; bist du Reichtum an sinnlichen Genüssen, so magst du dich dort aufhalten, wo diese zu finden sind; bist du Reichtum an Gold und Silber, so packe dich in die Börsen und Geldtaschen; bist du Reichtum an Wein, Öl und Getreide, so ziehe dich in die Keller und Speicher zurück; bist du Reichtum an Schafen, Ziegen und Rindern, so gehe mit ihnen auf die Weide und begib dich zu den Herden und Hürden.« Ferner trug ihm Jupiter auf, was er zu tun habe, wenn er bei Toren weile, und wie er sich verhalten solle, wenn er sich im Hause von Weisen befinde; ebenso solle er auch in Zukunft fortfahren, wie er es in der Vergangenheit getan habe (weil er vielleicht nicht anders könne), sich auf gewissen Wegen sehr leicht, auf anderen schwer erreichen zu lassen. Diese Mittel und Wege teilte er aber nur wenigen mit, Momus jedoch erhob seine Stimme und gab dem Reichtum einen anderen, wenn nicht gar denselben Rat, nämlich folgenden: »Niemand soll imstande sein, dich zu erlangen, ohne daß er es vorher bereut hat, gesunden Sinn und gesunden Verstand besessen zu haben.« Ich glaube, er wollte damit sagen, man müsse erst Besonnenheit und klares Urteilsvermögen einbüßen, nie mehr an die Unbeständigkeit und Unsicherheit der Zeiten denken, nicht auf die zweifelhaften und unsicheren Verheißungen des Meeres achten, nicht an den Himmel glauben, sich nicht um Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, Ehre oder Schande, um gutes Wetter oder Sturm kümmern, sondern alles dem Glücke überlassen. »Hüte dich«, sagte er, »dich zu denen zu gesellen, die dich mit allzu großer Überlegung zu erlangen suchen, und noch weniger sollen die dich erblicken, die dir mit allzuvielen Fanghaken, Stricken und Netzen der Vorsicht nachjagen, sondern in der Regel begib dich dorthin, wo die größten und unverständigsten Narren, Toren und Dummköpfe hausen, und solange du überhaupt auf Erden weilst, hüte dich vor den Weisen wie vor Feuer, und schließe dich im Gegenteil stets vertraut an halbvertierte Menschen an und richte dich in deinem ganzen Verhalten nach der Glücksgöttin.«

Saulino. Es ist in der Regel so, daß die Weisesten nicht auch die Reichsten sind, entweder weil sie mit wenigem zufrieden sind und dieses wenige für vollständig ausreichend zum Leben halten, oder aus anderen Gründen, weil sie vielleicht ihr Augenmerk auf würdigere Ziele lenken und daher nicht allzuviel hier und da umherschweifen, um einer jener Gottheiten zu begegnen, die der Reichtum oder das Glück sind. Aber fahre in deiner Erzählung fort.

Sofia. Kaum sah die Armut den Reichtum, ihren Feind, vom Himmel ausgeschlossen, als sie sich auch schon mit ihren mehr als dürftigen Reizen vorstellte und erklärte, daß man aus eben dem Grunde, der den Reichtum dieses Platzes unwürdig mache, sie selbst dessen am würdigsten erachten müsse, weil sie das gerade Gegenteil zu jenem sei. Ihr erwiderte Momus: »Armut, Armut, du würdest nicht in jeder Hinsicht Armut sein, wenn du nicht auch arm wärest an Argumenten, Syllogismen und richtigen Schlußfolgerungen. Daraus, du Bedauernswerte, daß ihr Gegensätze seid, folgt noch nicht, daß du mit dem bekleidet werden mußt, was man jenem ausgezogen und weggenommen hat, und daß du alles das sein mußt, was jener nicht ist. Zum Beispiel müßtest du ja (denn man muß es dir an einem Beispiel klar machen) Jupiter und Momus sein, weil er es nicht ist, und überhaupt müßte alles, was jenem nicht zukommt, dir zukommen. Aber jeder, der reicher an Dialektik ist als du, weiß, daß das gegensätzliche nicht identisch ist mit dem positiven und privativen, dem kontradiktorischen, verschiedenen, Unterschiedlichen, anderen, getrennten, auseinanderzuhaltenden, diversen. Sie wissen auch, daß aus dem Grundsatze des Gegensatzes wohl folgt, daß ihr nicht zusammen an einem und demselben Orte sein könnt, aber nicht, daß, wo jener nicht ist und nicht sein kann, du bist oder sein kannst.« Hier lachten alle Götter, als sie sahen, daß Momus der Armut Logik beibringen wollte, und daher stammt das Sprichwort im Himmel: »Momus ist der Lehrer der Armut« oder vielmehr: »Momus unterweist die Armut in der Dialektik.« Und das wird angewandt, wenn sie ein unnützes Bemühen bezeichnen wollen. »Was meinst du also, Momus, was mit mir geschehen soll?« fragte die Armut; »entscheide dich schnell, denn ich bin weder so reich an Worten und an Begriffen, um mit Momus disputieren zu können, noch von so großem Verstande, um viel von ihm lernen zu können.«

Jetzt bat Momus Jupiter diesmal um die Erlaubnis, mit seiner Genehmigung die Entscheidung treffen zu dürfen. »Auch mich verspottest du, Momus?« entgegnete Jupiter. »In dir steckt soviel Übermut, daß du allein übermütiger bist als alle anderen zusammengenommen und man dich beinahe einen übermütigen Lizentiaten Licentiat war im Mittelalter der niedrigste akademische Grad. nennen könnte. Triff nur aber ruhig deine Entscheidung; denn wenn sie gut ist, werden wir sie bestätigen.« – »Mir scheint es angemessen und gerecht«, erwiderte Momus, »daß auch die Armut auf denselben Plätzen spazieren gehe, auf denen man den Reichtum umherschlendern sieht, und daß sie dieselben Länder durchwandere, betrete und durchstreife wie dieser. Denn nach den Regeln der Logik darf aus dem Grunde des vorhererwähnten Gegensatzes die Armut nur dort eintreten, von wo der Reichtum entweicht, und umgekehrt darf dieser nirgends hin, von wo jene sich nicht entfernt und flieht; stets sei die Armut dem Reichtum auf den Fersen und verdränge ihn und ebenso umgekehrt; nie aber sollen sie sich Auge in Auge gegenüberstehen, sondern die Brust des einen soll stets den Rücken des anderen berühren, als ob sie, wie auch wir es bisweilen tun, das ›Rad des Schusters‹ spielten.«

Saulino. Was sagte Jupiter samt den anderen Göttern dazu?

Sofia. Alle bestätigten und genehmigten das Urteil.

Saulino. Und was sagte die Armut?

Sofia. Sie sagte: »Es scheint mir nicht billig zu sein, Götter – wenn meine Ansicht überhaupt noch etwas gilt und ich nicht in der Tat aller Urteilsfähigkeit beraubt bin –, daß meine Rolle der des Reichtums in allen Punkten gleich sein soll.« – »Aus dem Vordersatze, daß ihr auf demselben Schauplatze auftretet und dieselbe Tragödie oder Komödie spielt«, entgegnete Momus, »darfst du nicht den Schluß ziehen, daß ihr ganz dieselbe Rolle haben werdet, quia contraria versantur circa idem.« – »Ich sehe, Momus«, versetzte die Armut, »daß du mich verspottest, und daß selbst du, der du den Beruf hast, die Wahrheit zu reden und offen herauszusprechen, mich verachtest; damit verstößest du aber, wie es mir scheint, gegen deine Pflicht, denn die Armut verdient es bisweilen, ja meistens, noch mehr in Schutz genommen zu werden als der Reichtum ...« – »Was willst du denn, daß ich für dich tun soll?« fragte Momus, »wenn du wirklich ganz und gar arm bist? Die Armut verdient keinen Schutz, wenn sie arm ist an Urteilskraft, Vernunft, Verdiensten und richtigen Schlüssen, wie du es bist, die du mich genötigt hast, sogar auf die logischen Regeln der ersten und zweiten Analytiker des Aristoteles zurückzukommen.«

Saulino. Was sagst du da‚ Sofia? So nehmen auch die Götter zuweilen den Aristoteles zur Hand und studieren zum Beispiel die Philosophie?

Sofia. Ich will nicht von dem Vorzuge sprechen, den Pippa, Nanna, Antonia, Burchiello‚ Ancroja und ein anderes Buch, von dem man nicht bestimmt weiß, ob es von Ovid oder Vergil ist, und auf dessen Titel ich mich nicht entsinnen kann, sowie noch andere dieser Art genießen. Pippa, Nanna‚ Antonia sind Personen aus den wegen ihrer Schamlosigkeiten berüchtigten »Capricciosi e piacevoli raggionamenti« Pietro Aretinos; Burchiello (eigentlich Domenicodi Giovanni 1404–1448) war Barbier in Florenz und dabei der berühmteste poetische Possenreißer seiner Zeit. Seine Sonette sind sehr derb, mitunter sogar unflätig. – Das zuletzt erwähnte Buch sind die Priapea.

Saulino. Und doch beschäftigen sie sich jetzt mit so ernsten und wichtigen Dingen?

Sofia. Und jene hältst du nicht für ernst? nicht für wichtig? Saulino, wenn du ein besserer Philosoph, das will sagen scharfblickender wärest, würdest du wissen, daß es keine Lektüre, kein Buch gibt, das nicht von den Göttern geprüft würde, das nicht, wenn es nicht ganz ohne Salz ist, durchgelesen, und wenn es nicht ganz albern ist, approbiert und mit Ketten in ihrer gemeinschaftlichen Bibliothek angeschlossen würde. Denn sie finden Vergnügen an der mannigfaltigen Darstellung aller Dinge und an den mannigfaltigen Erzeugnissen aller Geister; sie interessieren sich für alle Dinge, die überhaupt existieren, und alle Darstellungen, die davon gegeben werden, nicht weniger, als sie dafür Sorge tragen, daß sie existieren, und Befehl und Erlaubnis geben, daß sie geschehen. Bedenke auch, daß das Urteil der Götter anders lautet als unser gemeinschaftliches, und nicht alles, was für uns und in unseren Augen Sünde ist, ist es auch für sie und in ihren Augen. Diese Bücher sollten allerdings ebenso wie die theologischen nicht unwissenden Menschen, die zugleich verderbt sind, in die Hand gegeben werden, denn sie würden nur schlechte Lehren daraus ziehen.

Saulino. Gibt es denn nicht auch Bücher, die von übelberüchtigten, ehrlosen und unsittlichen Menschen und vielleicht zu verwerflichen Zwecken geschrieben werden?

Sofia. Das ist wahr; aber auch diese Bücher sind lehrreich und nicht ohne Nutzen für die Erkenntnis des Charakters des Verfassers; man entnimmt aus ihnen, wie er schreibt, warum und aus welchen Gründen er schreibt, wovon er spricht, wie er seinen Gegenstand behandelt, wie er sich täuscht, wie sich die anderen über ihn täuschen, wie er sich von einer tugendhaften oder lasterhaften Empfindung abwendet oder einer von beiden zuwendet, wie er Gelächter, Ärger, Wohlgefallen, Überdruß erregt. Im großen ganzen steckt Weisheit und Vorsehung; in jedem Dinge liegt jedes, und namentlich ist das eine dort anzutreffen, wo sich auch sein Gegenteil befindet, und dieses ergibt sich hauptsächlich aus jenem.

Saulino. Wenden wir uns nun wieder dem Gegenstande zu, von dem uns der Name des Aristoteles und der Ruhm der Pippa abgebracht hat. Wie wurde die Armut von Jupiter verabschiedet, nachdem sie von Momus so verhöhnt worden war?

Sofia. Ich will nicht auf all die lächerlichen Redensarten näher eingehen, die zwischen jenem und ihr hin- und herflogen; denn sie zog nicht minder über Momus her, als er über sie. Endlich erklärte Jupiter, sie solle Privilegien und Vorrechte erhalten, die dier Reichtum in den Dingen dieser Erde nicht besitze.

Saulino. Sage mir, was das für Vorrechte sind.

Sofia. »Ich will«, sprach der Vater, »erstens, daß du, Armut, gute Augen haben und imstande sein sollst, dich leicht wieder dorthin zurückzufinden, von wo du früher einmal hinweggegangen bist; du sollst auch den Reichtum mit größerer Kraft verjagen können, als du im entgegengesetzten Falle von ihm vertrieben werden kannst, der ewig blind sein soll. Sodann will ich, daß du, Armut, beschwingt, gewandt und mit Flügeln versehen bist, die denen des Adlers oder Geiers gleichen; an den Füßen sollst du jedoch sein wie ein alter Ochse, der mit schwerem Pfluge die Adern der Erde aufreißt, während der Reichtum im Gegenteil unbeholfene und schwerfällige Flügel haben soll, ähnlich denen einer Gans oder eines Schwans; seine Füße sollen jedoch wie die des schnellsten Rennpferdes oder Hirsches sein, damit, wenn er mit Hilfe seiner Füße von irgend einem Orte flieht, du dich mittelst deiner Flügel dorthin begeben kannst, und von wo du dich mit Hilfe deiner Flügel entfernst, jener dir zu Fuße nachkommen kann, so daß du mit derselben Schnelligkeit, mit der du von ihm verjagt oder verfolgt wirst, ihn verfolgen und verjagen kannst.«

Saulino. Warum begabt er sie denn nicht beide mit gleich kräftigem Gefieder oder gleich guten Füßen, wenn sie sich doch in der Fähigkeit, einander langsam oder schnell zu verfolgen oder vor einander zu fliehen, gleichkommen sollen?

Sofia. Da der Reichtum stets schwerbeladen einhergeht, so wird er durch seine Last am Gebrauche seiner Flügel behindert, und die Armut, die immer unbeschuht geht, kann sich auf steinigen Wegen leicht die Füße verletzen; daher würde sie die raschen Füße und er die schnellen Flügel nicht gebrauchen können.

Saulino. Diese Entscheidung befriedigt mich. Nun erzähle weiter.

Sofia. Ferner will Jupiter, daß die Armut namentlich dann den Reichtum verfolge und hinwiederum von ihm vertrieben werde, wenn er in den Palästen auf Erden und in jenen Häusern verkehrt, wo Fortuna ihr Szepter führt. »Aber dann, wenn er sich auf hohe Dinge, die der Wut der Zeit und jenes blinden Frauenzimmers entrückt sind, niedergelassen hat, will ich nicht, daß du soviel Kühnheit oder Kraft besitzen sollst, ihn anzugreifen, um ihn in die Flucht zu schlagen und von seinem Platze zu vertreiben. Denn ich will nicht, daß er von dort, wohin er sich mit großer Schwierigkeit und unter großen Verdiensten hat begeben müssen, leicht entfernt werde, und im Gegensatz hierzu sollst du dieselbe Standhaftigkeit in niederen Dingen besitzen, die jener in bezug auf höhere zeigt. Auch will ich«, fügte Jupiter hinzu, »daß in gewisser Hinsicht unter euch sogar ein gewisses Einvernehmen bestehe, das von nicht geringer Art, sondern von der allergrößten Bedeutung sein soll. Damit du nicht glaubst, du seiest aus dem Himmel verbannt, um in die Unterwelt verwiesen zu werden, während du im Gegenteil von der Unterwelt emporgeholt wurdest, um in den Himmel zu kommen, doch unter der Bedingung, daß die Lage des Reichtums, wie gesagt, unvergleichlich besser sein soll als die deine, bestimme ich, daß ihr euch gegenseitig nicht aus euren Herrschaftsgebieten verdrängen, sondern vielmehr einander unterstützen und aufrecht erhalten sollt, so daß zwischen euch die innigste Freundschaft und das beste Einvernehmen herrsche.«

Saulino. Erkläre mir dies etwas deutlicher.

Sofia. Jupiter fügte dem, was er gesagt hatte, noch hinzu: »Wenn du dich auf die niederen Dinge beschränkst, Armut, sollst du mit dem Reichtum an höheren Dingen viel enger verbunden sein dürfen, als es der dir entgegengesetzte Reichtum an niederen Dingen sein darf. Denn mit letzterem wird niemand, der weise ist und verständig sein will, je glauben, zu großen Dingen gelangen zu können, da die Reichtümer der Philosophie Hindernisse in den Weg legen‚ und nur die Armut ihr einen sicheren und bequemen Weg bereitet. Denn die Betrachtung kann nicht dort weilen, wo sie von einer zahlreichen Dienerschaft umgeben ist, wo die Menge der Schuldner und Gläubiger, Rechnungen von Kaufleuten, Berichte der Pächter, die Abfütterung so vieler schlecht erzogener Gäste, die Nachstellungen so vieler Räuber, die Augen gieriger Tyrannen und die Betrügereien treuloser Diener die Gedanken ablenken, so daß niemand eine Ahnung davon hat, wie wohltuend Geistesruhe ist, wenn er nicht arm oder beinahe arm ist.«

»Ferner will ich, daß der groß sei, der in der Armut reich ist, da er sich an dem genügen läßt, was er hat, und daß der ein niedriger Sklave sei, der mitten im Reichtum arm ist, da er unersättlich ist. Du wirst ruhig und zufrieden sein, jener unruhig, besorgt, argwöhnisch und unzufrieden; du wirst größer und erhabener sein, wenn du ihn verachtest, als er es in seinem Stolze und seiner Eigenliebe je sein kann. Zur Befriedigung deiner Wünsche soll die bloße Vorstellung genügen, aber um jenen satt zu machen, soll der Besitz aller Schätze der Welt nicht ausreichen: Ich will, daß du größer seiest, wenn du deine Begierden mäßigst, als er, wenn er allen Besitz der Erde erhält. Dir sollen nach meinem Willen offenkundige Freunde, ihm versteckte Feinde erwachsen. Du sollst nach dem Gesetz der Natur reich sein, er mit allen Anstrengungen und bürgerlichen Gewerben ganz arm; denn nicht der ist in Wahrheit arm, der wenig hat, sondern der viel begehrt. Dir wird das notwendige genügen, wenn du den Sack der Begierde zusammenschnürst, während ihn nichts zufriedenstellen soll, selbst wenn er alles mit ausgebreiteten Armen umfaßt. Wenn du deine Wünsche einschränkst, so wirst du an Glückseligkeit mit Jupiter wetteifern können, dieser wird in demselben Maße, wie er die Fangarme der Begierde weiter ausstreckt, immer tiefer in den Abgrund des Elends versinken.« Als Jupiter mit diesen Worten seinen Beschluß betreffs der Entlassung der Armut verkündet hatte, bat diese ganz zufrieden um die Erlaubnis, sich auf den Weg machen zu dürfen; der Reichtum aber machte Miene, noch einmal hervorzutreten, um den Götterrat mit einem neuen Antrage zu belästigen. Aber es wurde ihm nicht gestattet, weitere Worte zu machen. »Fort, fort«, sagte Momus zu ihm, »hörst du nicht, wie viele nach dir rufen, nach dir schreien, dich anflehen, dir opfern, sich weinend nach dir sehnen und dich mit so heißen Gelübden und so lautem Geschrei anrufen, daß wir anderen schon taub davon geworden sind? Und du willst dich noch hier verweilen und zögern? Pack dich sobald wie möglich fort zu böser Stunde, wenn du durchaus nicht zu guter willst.« »Rege dich über ihn nicht so auf, Momus«, entgegnete Vater Jupiter, »laß ihn gehen, wann es ihm paßt, und wann es ihm beliebt.« – »Es scheint mir aber in der Tat bedauerlich und eine Art von Ungerechtigkeit zu sein«, erwiderte Momus, »daß ihr, während es doch in eurer Macht steht, nicht Abhilfe dagegen schafft, daß sich der Reichtum gerade am wenigsten dem naht, der am meisten und dringendsten nach ihm ruft, und sich am wenigsten zu dem gesellt, der seiner am würdigsten ist.« »Ich will das«, versetzte Jupiter, »was das Fatum will.«

Saulino. »Mache es anders«, hätte Momus sagen sollen.

Sofia. »Ich will, daß der Reichtum hinsichtlich irdischer Angelegenheiten taub sein und niemals, wenn er gerufen worden ist, antworten oder kommen, sondern vielmehr, von dem Schicksal und von der Fortuna geleitet, blind einhertappen soll, um sich zu dem ersten besten zu gesellen, auf den er in der Menge stößt.« »Dann wird es sich ereignen«, sagte Saturn, »daß er sich weit eher einem der großen Taugenichtse und Schufte zugesellt, deren Zahl wie Sand am Meer ist, als einem auch nur halbwegs anständigen Menschen und weit eher einem von diesen Durchschnittsmenschen, deren es genug gibt, als einem von den hervorragenderen, die sehr dünn gesät sind, vielleicht nie, nein, gewiß nie dem einzigen, der seiner würdiger wäre als alle anderen.«

Saulino. Was sagte Jupiter hierzu?

Sofia. »Es muß so sein. Das Fatum hat bezüglich der Armut die Bestimmung getroffen, daß sie von den wenigsten und am seltensten vorkommenden Menschen mit Sehnsucht herbeigerufen werden, sich aber nichtsdestoweniger den meisten und der bei weitem größten Anzahl zugesellen und aufdrängen soll. Der Reichtum dagegen, der von fast allen gewünscht, ersehnt, herbeigerufen, verehrt und erhofft wird, soll sich zu sehr wenigen gesellen, und zwar zu denen, die sich am wenigsten um ihn kümmern und am wenigsten auf ihn hoffen. Er soll in Wahrheit taub sein, so daß er sich auch bei dem größten Geräusch und Lärm nicht von dannen rührt, und zugleich so hartnäckig und stark, daß er sich kaum mit Haken und Zangen zu dem herbeiziehen läßt, der am eifrigsten hinter ihm her ist. Die Armut dagegen soll sehr scharfhörig, rasch und hurtig sein und sich auf das leiseste Geräusch und den leisesten Wink, mag sie auch aus noch so großer Ferne herbeigerufen werden, unverzüglich einstellen. Ja, sie soll sich in der Regel sogar an das Haus und die Fersen dessen heften, der sie nicht nur nicht herbeiruft, sondern sich sogar mit aller Sorgfalt vor ihr zu verbergen sucht.« Während sich nun der Reichtum und die Armut entfernten, rief Momus aus: »O seht, was ist das für ein Schatten, der diesen beiden Gegensätzen auf dem Fuße nachfolgt und sich sowohl bei dem Reichtum wie bei der Armut befindet? Ich habe schon oft von einem und demselben Körper verschiedene Schatten gesehen, aber noch nie bis zu dieser Stunde habe ich verschiedene Körper einen und denselben Schatten werfen sehen.« Ihm antwortete Apollo: »Wo kein Licht ist, ist alles ein Schatten, auch wenn es verschiedene Schatten sind; wenn sie sich in einem lichtlosen Raume befinden, so verschwimmen sie miteinander und bilden nur einen einzigen; wie viele Lichter in ein einziges Lichtmeer zusammenfließen, wenn sich ihnen nicht irgend ein dichter, schattenwerfender Körper entgegenstellt oder zwischen sie einschiebt.« – »Hier scheint es aber anders sein zu müssen«, entgegnete Momus, »denn dort, wo sich der Reichtum befindet und die Armut tatsächlich ausgeschlossen ist, und dort, wo sich die Armut befindet, deutlich unterschieden von dem Reichtum – sie gleichen nicht zwei Lichtern, deren Glanz auf einer beleuchteten Fläche zusammenfließt – sieht man, wie ein Schatten sowohl zu dem Reichtum wie zu der Armut gehört.« – »Betrachte ihn genauer, Momus«, sagte Merkur, »und du wirst sehen, daß es kein Schatten ist.« – »Ich habe nicht gesagt«, erwiderte Momus, »daß es ein Schatten ist, sondern daß es mit diesen beiden Gottheiten so verbunden ist wie ein und derselbe Schatten mit zwei Körpern. Ah, jetzt erkenne ich es; es scheint mir der Geiz zu sein, der den dunklen Schatten bildet, den sowohl der Reichtum wie die Armut wirft.« – »So ist er«, entgegnete Merkur, »der Sohn und Gefährte der Armut und zugleich der ärgste Feind seiner Mutter, vor der er soviel wie möglich flieht; er ist von leidenschaftlicher Liebe zum Reichtum ergriffen; so eng er aber auch mit diesem verbunden sein mag, so hat er doch stets unter der Strenge seiner Mutter zu leiden, die ihn quält, und obgleich er in der Nähe des Reichtums weilt, bleibt er ihm doch fern, und obgleich er seiner Mutter fernbleibt, weilt er doch in ihrer Nähe; denn wenn er auch in Wirklichkeit von ihr getrennt ist, so bleibt er ihr doch innerlich und nach seiner Denkungsweise nahe. Siehst du nicht, daß er als Gefährte des Reichtums bewirkt, daß der Reichtum nicht mehr Reichtum ist, und daß er, von seiner Mutter entfernt, bewirkt, daß die Armut nicht mehr Armut ist? Dieser schwarze dunkle Fleck, dieser Schatten ist es, was die Armut zum Übel macht und dem Reichtum seinen Wert raubt; er findet sich nirgends, ohne eins von beiden oder beide zugleich zu beeinträchtigen; in den seltensten Fällen läßt sich weder der Reichtum, noch die Armut durch ihn stören, und dieser Fall tritt dann ein, wenn sie sich von allen Seiten mit dem Lichte der Vernunft und des Verstandes umgibt.« Da bat Momus den Merkur, ihm zu erklären, wie es der Geiz bewirken könne, daß der Reichtum nicht mehr Reichtum sei. Dieser antwortete ihm: »Ein reicher Geizhals ist der ärmste Mensch unter der Sonne. Denn der Geiz hält sich nicht dort auf, wo Reichtum herrscht, wenn nicht zugleich auch die Armut vorhanden ist. Denn diese existiert nicht minder wirklich in der Einbildung als in den äußeren Tatsachen, so daß sich dieser Schatten zu seinem eigenen Verdrusse ebensowenig von seiner Mutter entfernen kann wie von sich selbst.« Während sie so sprachen, hatte Momus, der sehr gute Augen besitzt, wenn er auch nicht immer auf den ersten Blick genau sieht, schärfer hingeblickt und sagte: »O Merkur, das, wovon ich zuerst sagte, es habe Ähnlichkeit mit einem Schatten, erkenne ich jetzt als ein Gewühl von zahllosen Bestien; denn ich erblicke ihn als Hund, Schwein, Bock, Affe, Bär, Adler, Rabe, Falke, Löwe, Esel, und was es sonst noch je für Bestien gegeben hat. Und alle diese Bestien bilden einen einzigen Körper. Wahrlich, es kommt mir vor wie eine Zusammenfassung aller Gestalten viehischer Geschöpfe.« – »Sage lieber«, antwortete Merkur, »wie eine vielgestaltige Bestie: sie erscheint als einheitlich und ist es auch, – aber sie ist nicht eingestaltig, wie es überhaupt den Lastern eigentümlich ist, viele Gestalten zu haben, weil sie ungestalt sind und kein eigenes Antlitz haben im Gegensatz zu den Tugenden, wie du an der Feindin des Geizes, der Freigebigkeit, sehen kannst, die einfach und einheitlich ist; auch die Gerechtigkeit ist einheitlich und einfach, und auch die Gesundheit ist, wie du siehst, einheitlich, während es unzählige Krankheiten gibt.« Während Merkur dies sagte, unterbrach Momus seinen Redefluß und sprach: »Ich sehe, daß die Bestie – zum Henker mit ihr! – drei Köpfe hat; zuerst glaubte ich, Merkur, daß meine Augen mich täuschten, als ich bei dieser Bestie auf einem Rumpfe einen, noch einen und einen dritten Kopf bemerkte; aber jetzt, wo ich ganz genau hinsehe und wahrnehme, daß es nicht anders ist, als es mir vorkommt, schließe ich, daß es auch nicht anders ist, als wie ich es sehe.« – »Du siehst ganz richtig«, erwiderte Merkur. »Von diesen drei Köpfen ist der eine die Filzigkeit, der zweite die Gewinnsucht, der dritte die Zähigkeit des Festhaltens.« Momus fragte, ob sie auch sprächen. Merkur bejahte dies und erklärte, der erste sage: »Lieber reich sein, als für allzu freigebig und erkenntlich zu gelten«, der zweite: »Stirb nicht vor Hunger, nur um ein anständiger Mann zu sein«; der dritte: »Bringt es mir auch keine Ehre, so bringt es mir doch Nutzen«. – »Und doch haben sie nicht mehr als zwei Arme?« fragte Momus. – »Es genügen ihm zwei Hände«, antwortete Merkur, »von diesen ist die rechte weit, weit offen und weit, weit ausgestreckt, um zu nehmen, die linke fest, fest geschlossen und fest, fest zusammengepreßt, um festzuhalten und wie aus einem Destillierkolben tropfenweise herzugeben, ohne Rücksicht auf Zeit und Ort, wie auch ohne Rücksicht auf das richtige Maß.« –»Tretet etwas näher zu mir heran, du, Reichtum, und du, Armut«, sagte nun Momus, »damit ich die Reize eurer schönen Begleiterin näher betrachten kann.« Als dies geschehen war, fuhr Momus fort: »Es ist ein Gesicht, es sind mehrere Gesichter, es ist ein Kopf, es sind mehrere Köpfe, es ist ein Frauenzimmer, es hat einen sehr kleinen Kopf, obgleich das Gesicht plump und groß ist, es ist alt, es ist gemein, es ist schmutzig, es hat ein eingefallenes Gesicht, schwarzen Teint – viele Runzeln, borstige, schwarze Haare, einen lauernden Blick, einen offenen, weit aufgerissenen Mund, krumme Nase und krumme Klauen – alle Wetter! –‚ und obgleich es ein winziges Geschöpf ist, hat es einen so großen und gefräßigen Bauch, es ist schwächlich, käuflich und kriechend und senkt sein Antlitz, das es zu den Sternen erheben sollte, nach unten. Es kratzt, es scharrt sich ein, und um etwas zu finden, wühlt es sich tief in die Erde hinein, dreht dem Lichte den Rücken und verbirgt sich in Höhlen und Grotten, wo kein Unterschied zwischen Tag und Nacht zu bemerken ist. Es ist undankbar, denn seine krankhafte Begehrlichkeit läßt ihm nichts als viel, genügend oder ausreichend erscheinen, was man ihm auch schenke, und jemehr es bekommt, desto mehr will es haben, wie die Flamme, die um so gefräßiger wird, je größer sie ist. Rasch, rasch, Jupiter, schicke sie beide fort und vertreibe sie von den Sitzen der Himmlischen, die Armut mitsamt dem Reichtum, und gestatte ihnen nicht, sich wieder den Hallen der Götter zu nahen, wenn sie nicht ohne dieses gemeine und scheußliche Vieh wiederkommen.« Darauf antwortete Jupiter: »Sie werden von euch entfernt oder in eurer Nähe leben, je nachdem ihr selbst gesonnen seid, sie zu empfangen. Für jetzt mögen sie gehen mit dem ihnen bereits mitgeteilten Bescheide, und wir wollen uns zu unserer Aufgabe wenden, die Gottheit zu bestimmen, der dieser Platz gehören soll.« Und siehe da, während der Vater der Götter sich im Kreise umblickte, trat dreist ganz von selbst und mit ihrer gewohnten Arroganz Fortuna vor ihn hin und sprach: »Es ist nicht wohlgetan, ihr konsularischen Götter und du, oberster Richter Jupiter, daß an einer Stelle, wo die Armut und der Reichtum soviel sprechen und so aufmerksames Gehör finden, ich kleinmütig und verzagt aus Feigheit schweigen und mich nicht vielmehr zeigen und auf alle Weise bemerklich machen sollte. – Ich, die ich so würdig und mächtig bin, daß ich den Reichtum vor mir herschiebe, ihn leite und dorthin stoße, wohin es mir paßt und gefällt, ihn vertreibe, von wo ich will, und ihn hinführe‚ wohin ich will, auch seine Ablösung und Ersetzung durch die Armut bewirke – jedermann weiß doch, daß das Glück in äußeren Dingen ebensosehr auf den Reichtum als seinen Anfang zurückzuführen ist wie auf mich: wie die Schönheit der Musik und die Vortrefflichkeit der Harmonie von jedermann nicht sowohl der Laute und den Instrumenten wie vielmehr der Kunst und dem ausübenden Künstler zugeschrieben wird. Ich bin jene erhabene und hehre Göttin, so sehr ersehnt, so sehr gesucht, so hoch geschätzt, für deren Walten selbst Jupiter in den meisten Fällen Dank erntet, aus deren offener Hand der Reichtum herabsteigt, und unter deren geballten Fäusten die ganze Welt stöhnt und Städte, Königreiche und Kaiserreiche in den Staub sinken. Wer richtet jemals Gebete an den Reichtum oder die Armut? wer dankt ihnen jemals? Jedermann, der jene will und ersehnt, ruft nach mir, fleht mich an, opfert mir; jedermann, der durch jene zufriedengestellt ist, dankt mir, huldigt der Fortuna, für Fortuna streut er Weihrauch in die Flamme, für Fortuna dampfen die Altäre. Ich bin ein Wesen, das, je unbeständiger es ist, destomehr verehrt und gefürchtet wird, und ich bin um so erstrebens- und wünschenswerter, je seltener ich als Gefährtin und Freundin erscheine; denn in der Regel wird den Dingen mehr Würde und Majestät beigemessen, je weniger sie sich offen zeigen, je verborgener und geheimnisvoller sie sind. Ich bin es, die ich mit meinem Glanz die Tugend überstrahle, die Wahrheit verdunkele, den größeren und angeseheneren Teil dieser Göttinnen und Götter, die ich hier versammelt und gleichsam in Reih und Glied gestellt sehe, um ihren Platz im Himmel einzunehmen, bezwinge und verachte. Und ich bin es auch, die in Gegenwart eines so hohen und zahlreichen Senates euch allen Furcht einjagt, denn wenn ich auch keine Augen habe, deren ich mich bedienen könnte, so habe ich doch Ohren, mittelst deren ich höre, wie einem großen Teil von euch die Zähne klappern vor Furcht, mit der sie meine schreckliche Gegenwart erfüllt. Und bei alledem besitzen sie die Kühnheit und Anmaßung, sich hier vorzudrängen und sich um einen Platz zu bewerben, wo doch noch nicht über meine Ehrenstellung entschieden worden ist. Ich bin es auch, die oft und mehr als oft die Vernunft, Wahrheit, Weisheit, Gerechtigkeit und andere Gottheiten unter ihre Herrschaft gebeugt hat. Wenn diese nicht ableugnen wollen, was der ganzen Welt bekannt ist, mögen sie erklären, ob sie die Anzahl der Male angeben können, in denen ich sie von ihren Lehrstühlen, Sitzen und Gerichtshöfen vertrieben und nach meinem Belieben unterdrückt, gefesselt, eingekerkert und in Ketten gelegt habe. Und dann haben sie auch zu anderen Malen nach meinem Gutdünken aus dem Kerker herauskommen, sich befreien und wieder zu Amt und Würden gelangen können, niemals aber haben sie die Furcht vor meiner Ungnade verlernt.« Darauf entgegnete Momus: »Gewöhnlich, blinde Dame, erwarten alle anderen Gottheiten die Zuerteilung eines Platzes um der guten Werke willen, die sie getan haben, tun und tun können, und für solche hat auch der Senat beschlossen, sie zu belohnen, während du deine Sache führst, indem du uns die Liste und den Verlauf deiner Verbrechen vorführst, wegen deren du verdientest, nicht nur aus dem Himmel, sondern auch von der Erde verbannt zu werden.« Fortuna antwortete, sie sei nicht minder gut als die anderen guten Gottheiten, und daß sie so sei, wie sie sei, geschehe nicht aus Bosheit; denn alles, was das Fatum bestimme, sei wohlgetan, und wenn ihre Natur der der Viper gleiche, die von Natur aus giftig sei, so sei das nicht ihre Schuld, sondern die der Natur oder einer anderen Macht, die dies so angeordnet habe. »Außerdem ist nichts an sich böse, denn die Viper ist nicht für die Viper todbringend oder giftig, noch der Drache, der Löwe, der Bär für den Bären, den Löwen, den Drachen, sondern alles ist nur böse in bezug auf ein anderes, wie ihr tugendhaften Götter böse seid in bezug auf die lasterhaften, die des Tages und des Lichtes böse in bezug auf die der Nacht und der Finsternis. Ihr seid für euch gut und sie für einander, wie es sich auch bei den feindlichen Sekten in der Welt verhält, wo sich auch die Anhänger der entgegengesetztesten Sekten untereinander Kinder Gottes und Gerechte nennen; ebenso wie die Anhänger der einen Partei gerade die hervorragendsten und geehrtesten Mitglieder der anderen für die schlechtesten und tadelnswertesten erklären und umgekehrt. Mag ich, Fortuna, daher auch in den Augen vieler tadelnswert erscheinen, so bin ich doch in den Augen anderer eine gute Gottheit, und es ist eine über den größten Teil der Welt verbreitete Meinung, daß Fortuna den Menschen vom Himmel herabkommt, an dem kein Stern, er mag der kleinste oder der größte sein, strahlt, von dem es nicht heißt, daß ich die Verfügung über ihn habe.« – Da antwortete Momus, ihr Name sei in allzu doppelsinniger Bedeutung zu verstehen; denn einmal bezeichne Fortuna nichts anderes als den ungewissen Ausgang der Dinge; diese Ungewißheit sei aber für das Auge der Vorsehung keine, wenn sie es auch im höchsten Grade für das Auge der Sterblichen sei. Fortuna hörte nicht hierauf, sondern setzte ihre Rede fort und führte weiterhin aus, daß die größten und hervorragendsten Philosophen der Welt, wie zum Beispiel Empedokles und Epikur, ihr größere Macht zuschrieben als dem Jupiter selbst, ja als dem ganzen Rat der Götter insgesamt. »Und so erkennen mich auch alle anderen«, sagte sie, »sowohl als Göttin wie als himmlische Göttin an, wie ich denn auch glaube, daß euren Ohren jener Vers nicht neu sei, den jeder ABC-Schüler aufsagen kann:

    Te facimus Fortuna deam caeloque locamus Dich, Fortuna, versetzen als Göttin wir in den Himmel.

Und ich möchte, daß ihr einsähet, o Götter, mit welchem Recht ich von einigen töricht, dumm, unverständig gescholten werde, während sie selbst so töricht, so dumm, so unverständig sind, daß sie sich von meinem Wesen keine Rechenschaft ablegen können. Allerdings finde ich auch solche, die für gelehrter zu halten sind als die übrigen, und die in der Tat das Gegenteil beweisen und folgern, da sie von der Wahrheit dazu genötigt werden. Diese nennen mich zwar auch vernunft- und gedankenlos‚ bezeichnen mich aber damit nicht als tierisch und dumm, da sie mich mit dieser Benennung nicht herabsetzen, sondern mir mehr Ehre erweisen wollen, wie denn auch ich bisweilen kleine Gaben zu verweigern pflege, nur um größere zu gewähren. Ich werde daher von ihnen nicht als ein Wesen dargestellt, das unter der Vernunft oder mit ihr gleichstehe und demgemäß handele, sondern als eins, das über alle Vernunft, über allem Denken, allem Verstande stehe. Ich spreche nicht besonders darüber, daß man in der Tat bemerkt und eingesteht, daß ich meine Herrschaft und Gewalt hauptsächlich über vernünftige, intelligente und göttliche Wesen behaupte und ausübe, und es gibt keinen Weisen, der behaupten wollte, daß ich Dinge, die der Vernunft und der Einsicht bar sind, wie zum Beispiel Steine, Tiere, Kinder, Wahnsinnige und andere, die keinen Begriff von Endzwecken haben und nicht nach Zwecken handeln können, meinen Arm fühlen lasse.« – »Ich will dir sagen, Fortuna«, entgegnete Minerva, »aus welchem Grunde man dich vernunft- und gedankenlos nennt. Dem, welchem irgend ein Sinn fehlt, fehlt auch ein bestimmtes Wissen und namentlich das, das diesem Sinne entspricht. Bedenke nun, daß du des Lichtes der Augen beraubt bist, und daß diese die hauptsächlichste Quelle des Wissens sind.« Fortuna erwiderte darauf, Minerva täusche sich entweder selbst oder wolle die Fortuna täuschen und getraue sich, dies zu tun, weil sie sehe, daß diese blind sei. »Wenn ich aber auch des Augenlichtes beraubt bin«, sagte sie, »so bin ich deswegen nicht auch des Gehörs und des Verstandes beraubt.«

Saulino. Und glaubst du, daß dies richtig ist, Sofia?

Sofia. Höre weiter, und du wirst sehen, wie fein sie zu unterscheiden weiß, und wie ihr die philosophischen Systeme und unter anderem die Metaphysik des Aristoteles nicht unbekannt sind. »Ich weiß«, sagte sie, »daß es manchen gibt, der da behauptet, daß der Gesichtssinn die Aneignung des Wissens bedeutend erleichtere, ich habe aber noch keinen gekannt, der so dumm wäre, daß er behauptete, der Gesichtssinn vermittele hauptsächlich die Erkenntnis. Und wenn wirklich einer sagte, dieser Sinn sei zu diesem Zwecke höchst erwünscht, so will er damit nur sagen, daß er zur Erkenntnis gewisser Dinge wie zum Beispiel Farben, Figuren, körperlicher Abmessungen, schöner, reizender Gestalten und anderer sichtbarer Gegenstände, die die Phantasie viel eher zu verwirren und den Verstand abzuziehen geeignet sind, in hohem Grade notwendig, aber nicht, daß er für alle oder die höheren Arten der Erkenntnis absolut unentbehrlich ist; denn er weiß sehr wohl, daß viele, um weise zu werden, sich die Augen ausgestochen haben, und daß unter denen, die infolge eines Unglücksfalles oder von Geburt aus blind gewesen sind, sich viele große Männer befunden haben, wie dir Demokrit, Tiresias, viele Homere und der Blinde von Adria zur Genüge beweisen können. Sodann glaube ich, wenn du Minerva bist, wirst du auch unterscheiden können, daß, wenn ein gewisser Philosoph aus Stagira sagt, daß der Gesichtssinn die Aneignung des Wissens in hohem Grade erleichtere, er den Gesichtssinn nicht mit anderen Erkenntnisorganen wie dem Gehör, dem Denken, dem Verstande vergleichen will, sondern einen Vergleich zwischen dem Zweck des Gesichtssinnes, der in dem Wissen besteht, und einem anderen Zwecke, den sich ebenderselbe setzen kann, anstelle. Wenn es dir daher nicht zuviel Mühe macht, zu den elysischen Gefilden zu wandern, um dich mit ihm zu unterreden, falls er sich nicht etwa von dort wieder zu einem anderen Leben gewandt und aus den Fluten des Lethestromes getrunken hat, so würdest du folgenden Schluß von ihm hören: »Wir brauchen den Gesichtssinn hauptsächlich zum Zwecke des Erkennens«, nicht aber folgenden: »Wir brauchen zum Zwecke des Erkennens von allen Sinnen hauptsächlich den Gesichtssinn.«

Saulino. Es ist erstaunlich, Sofia, daß die Fortuna besser zu disputieren und die Gewährsmänner zu verstehen vermag als Minerva, die doch die Leiterin dieser Disziplinen ist.

Sofia. Wundere dich nicht, denn wenn du es dir genauer überlegt, wenn du praktische Erfahrung gesammelt und das Treiben der Menschen kennen gelernt haben wirst, so wirst du finden, daß die graduierten Götter der Wissenschaften, der Beredsamkeit und der Rechtskunde nicht rechtskundiger, beredter, gelehrter sind als die anderen. Doch ich will dir weiter berichten, wie Fortuna ihre Sache vor dem Senat verfocht; sie sagte nämlich, indem sie das Wort an alle richtete: »Nichts, nichts, o Götter, raubt mir die Blindheit, nichts, was Wert hätte, nichts, was meine Vollkommenheit zu erhöhen vermöchte; denn wenn ich nicht blind wäre, so würde ich nicht Fortuna sein, und weit entfernt, daß ihr mir wegen dieser Blindheit den Ruhm meiner Verdienste schmälern und verkürzen könnt, so sehe ich in ihr nur einen weiteren Beweis für deren Größe und Vorzüglichkeit. Denn auf Grund dieser Blindheit kann ich euch davon überzeugen, daß ich weniger von der Tätigkeit des Denkens abgelenkt werde und bei der Verteilung meiner Gaben nicht ungerecht sein kann.« Da antworteten ihr Merkur und Minerva: »Es würde dir wohl schwer fallen, uns dies zu beweisen.« Fortuna fuhr fort: »Meine Auffassung von Gerechtigkeit ist folgende: der Gebrauch der Augen entspricht nicht der Gerechtigkeit und paßt nicht zu ihr, sondern widerstrebt ihr und handelt ihr entgegen. Die Augen sind dazu geschaffen, zu unterscheiden und die Verschiedenheiten zu erkennen (ich will augenblicklich nicht näher darauf eingehen, wie oft das Urteil durch das Gesicht irregeführt wird). Ich vertrete eine Art von Gerechtigkeit, die nicht zu unterscheiden, keine Unterschiede zu machen hat, sondern wie alle wesentlich, wahrhaftig und endgiltig ein Wesen, ein und dasselbe Ding sind (denn das seiende, das eine und das wahre sind identisch), so habe ich zwischen allen eine gewisse Gleichheit herzustellen, alle in gleicher Weise zu beurteilen, alles für ein Wesen zu halten, ich darf nicht geneigt sein, den einen vor dem anderen zu begünstigen und zu berücksichtigen, dem einen mehr zu schenken als dem anderen und den Nächsten dem Fernen vorzuziehen. Ich sehe nicht auf Priesterbinden, Togen, Kronen, Künste und Talente, achte nicht auf Verdienste oder Sünden, denn wo immer diese vorkommen, sind sie nicht die Folgen einer Verschiedenheit der Natur bei dem einen und bei dem anderen, sondern auf jeden Fall durch Umstände, Gelegenheiten oder Zufälle bedingt, die sich bei dem einen oder bei dem anderen einstellen und ereignen. Wenn ich daher gebe, so sehe ich nicht darauf, wem ich gebe; wenn ich nehme, so sehe ich nicht darauf, wem ich nehme, so daß ich dazu gelange, alle gleichmäßig und ohne jeden Unterschied zu behandeln. Und damit gelange ich sicherlich auch dazu, alles gleichmäßig und gerecht zu verstehen und zu tun und teile allen in gleichmäßiger und gerechter Weise zu. Ich tue sie alle in eine Urne, mische, schüttele und rüttele sie in deren weitem Bauche – und dann: Wagen gewinnt, Wagen verliert, wer Glück hat, um so besser für ihn, wer Unglück hat, um so schlimmer für ihn. Auf diese Weise unterscheidet sich im inneren der Urne der Größte nicht von dem Kleinsten, im Gegenteil, alle sind gleich groß und gleich klein, weil nur andere einen Unterschied zwischen ihnen machen, ich nicht, das heißt, bevor sie in die Urne getan werden und nachdem sie wieder herausgekommen sind. Während sie darin sind, werden sie alle von derselben Hand in dieselbe Urne geschüttet und mit derselben Kraft herausgeschleudert. Wenn sich daher dann die Lose entschieden haben, so ist es unvernünftig, daß der, den ein schlechtes getroffen hat, sich über den beklagt, der die Urne hält, oder über die Urne, den Wurf oder den, der die Hand an die Urne gelegt hat, sondern er muß mit der größten, sanftesten Geduld, über die er verfügt, das tragen, was das Fatum verfügt hat, und wie es verfügt hat oder gegen ihn gesinnt ist. Denn was das übrige betrifft, so war er in gleicher Weise beschrieben worden wie alle anderen, sein Los war ebenso groß wie das aller anderen, in gleicher Weise numeriert, hineingetan und umgeschüttelt. Ich daher, die die ganze Welt auf dieselbe Weise behandele und sie für eine gleichmäßige Masse halte, von der ich keinen Teil für würdiger oder unwürdiger halte, ein Gefäß der Schande zu werden, ich, die ich alle in dieselbe Urne der Veränderung und Bewegung bringe, gegen alle gleichgesinnt bin, alle in derselben Weise beachte und keinen einzigen dem anderen vorziehe – ich kann mich rühmen, die allergerechteste zu sein, wenn auch alle übrigen der entgegengesetzten Meinung sind. Und daß der Hand, die in die Urne greift, die Lose ergreift und für den einen ein glückliches, für den anderen ein unglückliches zieht, eine große Menge Unwürdiger und selten Verdienstvolle in den Wurf kommen, das rührt von eurer Ungleichmäßigkeit, Unbilligkeit, Ungerechtigkeit her, ihr anderen Götter, die ihr nicht alle gleich macht, und alle für Vergleiche, Unterschiede, Ungleichmäßigkeiten, Rang Augen habt, mit denen ihr die Unterschiede wahrnehmt und schafft. Von euch, von euch, sage ich, stammt alle Ungleichheit, alle Unbilligkeit her, weil die Göttin Güte sich nicht allen gleichmäßig schenkt, die Weisheit sich nicht allen in demselben Maße mitteilt, die Mäßigkeit sich bei wenigen findet, und die Wahrheit sich nur den wenigsten enthüllt. So geizig, so parteiisch seid ihr guten Götter, indem ihr die größten Unterschiede, die maßlosesten Ungleichheiten, die unsinnigsten Mißverhältnisse in den einzelnen Dingen hervorruft. Nicht ich, nicht ich bin ungerecht, die ich alle ohne Unterschied behandle und für die alle gleichsam von einer Farbe, einem Verdienste, einem Schicksale sind. Ihr seid schuld daran, daß, wenn meine Hand die Lose zieht, ihr nicht nur für die schlimmen, sondern auch für die guten, nicht nur für die unglücklichen, sondern auch für die glücklichen viel häufiger Schurken als Gute, häufiger Toren als Weise, häufiger Lügner als Wahrhafte in den Wurf kommen. Warum dies? warum? Es kommt die Klugheit und wirft nicht mehr als zwei bis drei Namen in die Urne. Es kommt die Weisheit und wirft nicht mehr als vier bis fünf hinein. Es kommt die Wahrheit und läßt nicht mehr als einen, womöglich noch weniger hineinfallen – und dann wollt ihr, daß von den hunderttausenden Losen, die in der Urne geschüttelt werden, von der schicksalsverteilenden Hand eher eins von diesen acht bis neun als von den acht- bis neunhunderttausend gezogen wird. Ihr seid es, die ihr das Gegenteil bewirkt. Sorge du dafür, Tugend, daß die Tugendhaften zahlreicher sind als die Lasterhaften, sorge du dafür, Weisheit, daß es mehr Weise als Toren gibt, sorge du dafür, Wahrheit, daß du dich der Mehrzahl enthüllst und offenbarst – und dann werden ganz unzweifelhaft die gewöhnlichen Belohnungen und Glückszufälle mehr an eure Schützlinge als an Leute von entgegengesetzten Eigenschaften fallen. Sorgt dafür, daß alle gerecht, wahrheitsliebend und gut sind, und ganz sicher wird es keinen Rang und keine Würde, die ich verteilen kann, mehr geben, die an Schurken, Ungerechte, Toren fällt. Ich, die ich alle gleichmäßig behandle und in der Urne herumschüttele, bin daher nicht ungerechter als ihr anderen, die ihr nicht alle gleich macht. Wenn es also vorkommt, daß ein Dummkopf oder ein Schurke zur Herrschaft oder zu Reichtum gelangt, so geschieht dies nicht durch meine Schuld, sondern durch eure Ungerechtigkeit, die ihr zu sparsam mit eurem Lichte und Glanze umgeht und ihm nicht schon vorher die Last der Schurkerei und Dummheit abgenommen habt oder dies jetzt tut oder wenigstens nachher dazu schreitet, ihn von seiner schurkischen Dummheit zu befreien, damit nicht ein solcher die Herrschaft führe. Es liegt kein Unrecht darin, daß ein Fürst ernannt worden ist, sondern darin, daß ein Schurke Fürst geworden ist. Da Fürstentum und Schurkerei nun zwei getrennte Dinge sind, so besteht der Fehler offenbar nicht in dem Fürstentum, das ich verleihe, sondern in der Schurkerei, die ihr zulaßt. Wenn ich die Urne schüttele und die Lose herausgreife, sehe ich nicht mehr auf den einen als auf den anderen, und daher habe ich niemand vorher zum Fürsten oder reichen Mann bestimmt (obgleich einer schließlich notwendigerweise vor allen anderen meiner Hand begegnen muß), sondern ihr, die ihr die Unterschiede mit sehenden Augen macht und den einen mehr, den anderen weniger begünstigt, dem einen zuviel, dem anderen nichts zuerteilt, ihr habt es zugelassen, daß dieser am Ende ein Schurke und ein Dummkopf geworden ist. Wenn daher die Ungerechtigkeit nicht darin besteht, jemand zum Fürsten zu machen und zu bereichern, sondern darin, einen schurkischen und dummen Menschen dazu zu bestimmen, so werde nicht ich ungerecht sein, sondern ihr. So hat mich also das Fatum äußerst gerecht geschaffen, und auch gar nicht ungerecht schaffen können, weil es mich ohne Augen geschaffen hat, damit ich dadurch in den Stand gesetzt werde, alle gleichmäßig zu erhöhen.« Hierauf erwiderte Momus und sagte: »Wir nennen dich nicht deiner Augen, sondern deiner Hand wegen ungerecht.« »Noch weniger meiner Hand wegen«, entgegnete Fortuna, »denn ich bin durchaus nicht die Urheberin der Übel, die ich im Gegenteil nehme, wie sie kommen, sondern jene sind schuld daran, die da kommen, wie ich sie ergreife; ich will sagen, daß sie nicht ebenso ohne Unterschied kommen, wie ich sie ohne Unterschied ergreife. Nicht ich bin die Urheberin der Übel, wenn ich sie ergreife, wie sie mir unter die Hand kommen, sondern jene, die sich mir darbieten, wie sie sind, und die anderen, die sie nicht anders gemacht haben. Nicht ich handle verkehrt, die ich blind und unterschiedlos meine Hand nach allen ausstrecke, sie mögen weiß oder schwarz sein, sondern der, der sie so macht, der sie so läßt und der sie mir so zusendet.« – »Wenn dir aber auch alle unterschiedslos, gleich und ähnlich unter die Hände kommen«, antwortete ihr Momus, »so würdest du doch nicht aufhören, ungerecht zu sein, denn wenn auch alle des Fürstentums würdig wären, so könntest du doch nicht alle zu Fürsten machen, sondern nur einen einzigen aus ihnen.« Lächelnd erwiderte ihm Fortuna: »Wir sprechen, lieber Momus, von dem, der ungerecht ist, und nicht von dem, der ungerecht sein könnte, und ganz sicher glaube ich aus deiner Art, mir Einwendungen zu machen und zu antworten, schließen zu können, daß du völlig besiegt bist; denn von dem, was in Wahrheit ist, bist du zu dem übergegangen, was sein könnte, und weil du nicht sagen kannst, ich sei ungerecht, behauptest du nun, ich könnte ungerecht sein. Es bleibt also sogar nach deinem Eingeständnis dabei, daß ich gerecht bin, aber ungerecht sein könnte, und daß ihr ungerecht seid, aber gerecht sein könntet. Trotzdem will ich dem gesagten noch hinzufügen, daß ich nicht allein nicht ungerecht bin, sondern es auch dann nicht sein würde, wenn ihr mir alle als gleich vorführtet; denn auf das, was unmöglich ist, läßt sich weder der Begriff der Gerechtigkeit noch der der Ungerechtigkeit anwenden; nun ist es nicht möglich, daß ein Fürstentum allen verliehen wird, ebenso ist es nicht möglich, daß alle ein und dasselbe Schicksal haben; wohl aber ist es möglich, daß es allen auf gleiche Weise dargeboten wird. Aus dieser Möglichkeit folgt die Notwendigkeit, daß von allen nur einer Erfolg hat, und darin liegt keine Ungerechtigkeit und kein Übel, weil es nicht möglich ist, daß dieses Los mehr als einen trifft, sondern der Fehler liegt in dem, was darauf folgt, nämlich darin, daß dieser eine gemein ist, daß dieser eine ein Schuft ist, daß dieser eine nicht tugendhaft ist. Die Urheberin dieses Übels ist aber nicht die Fortuna, die das Fürstentum und den Reichtum verleiht, sondern die Göttin Tugend, die ihn nicht dazu befähigt oder befähigt hat, tugendhaft zu sein.« – »Ganz ausgezeichnet hat Fortuna ihre Gründe vorgetragen«, begann jetzt der Vater Jupiter, »und in jeder Weise scheint sie mir eines Platzes im Himmel würdig zu sein. Daß sie aber einen festen Sitz erhalten soll, will mir nicht passend erscheinen, da sie soviel Sitze hat, wie Sterne vorhanden sind. Denn Fortuna weilt auf all diesen nicht weniger als auf Erden, da die Sterne ebensolche Weltkörper sind, wie die Erde einer ist. Übrigens soll ja nach der allgemeinen Auffassung der Menschen das Glück von allen Sternen abhängen, und wenn sie mehr Verstand besäßen, so würden sie sicherlich damit etwas Zutreffendes sagen. Da mir nun deine Ausführungen, Göttin (mag Momus sagen, was er will) äußerst beweiskräftig vorkommen, so verfüge ich, daß, wenn sich nicht gegen deinen Anspruch andere Einwände erheben lassen, die begründeter sind als die bisher vorgebrachten, ich es nicht wagen möchte, dir einen festen Sitz anzuweisen, als wollte ich dich auf diesen beschränken oder verbannen, sondern gebe dir die Erlaubnis, oder vielmehr ich lasse sie dir, deine Macht, wie du sie kundgibst, im ganzen Himmel ausüben zu dürfen. Denn schon für dich allein hast du soviel Einfluß, daß du dir selbst die Plätze erschließen kannst, die sogar dem Jupiter zusamt den anderen Göttern verschlossen sind. Und ich will hierüber kein Wort mehr verlieren, da wir dir alle zusammen zu ganz besonderem Danke verpflichtet sind. Indem du dir alle Pforten aufschließest, dir alle Wege öffnest und über alle Sitze verfügst, machst du alles fremde Eigentum zu dem deinen, und daher kann es nicht fehlen, daß die Sitze, die den anderen gehören, auch die deinigen sind. Denn alles, was dem Fatum der Veränderung unterworfen ist, alles, alles geht durch die Urne, durch den Umschwung und durch die Hand deiner erlauchten Person.«

 

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