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Unterredner: Smith. Teofilo, der Philosoph. Prudentio, der Pedant. Frulla.
Smith: Sprachen sie gut Latein?
Teofilo: Ja.
Smith: Waren es Gentlemen?
Teofilo: Ja.
Smith: Von gutem Rufe?
Teofilo: Ja.
Smith: Gelehrte?
Teofilo: So ziemlich.
Smith: Wohlerzogene, höfliche, von anständigen Manieren?
Teofilo: Ziemlich mäßig.
Smith: Doktoren?
Teofilo: Ja, mein Herr! ja, beim Zeus, ja, bei der Madonna, ja, ich glaube sogar, von Oxford!
Smith: Waren es prächtige Gelehrte?
Teofilo: Sicherlich! Herren von gewählter, langer Tracht, in Samt gekleidet, einer von ihnen hatte zwei goldene Ketten am Halse, und der andere, bei Gott, mit seiner kostbaren Hand, die allein auf zwei Fingern ein Dutzend Ringe aufwies, erschien mir eher als ein reicher Juwelier, er blendete Augen und Herz, wenn er die Hand bewegte.
Smith: Bezeugten sie etwas Geschmack für Griechisch?
Teofilo: Und ob! mehr freilich noch für Bier!
Prudentio: Fort mit diesem »und ob!«, denn das ist eine veraltete Redensart.
Frulla: Schweigen Sie doch, mein Herr, er spricht ja nicht mit Ihnen.
Smith: Wie sahen sie sonst aus?
Teofilo: Einer sah aus wie der Konstabler der Riesin und des Orkus, der andere wie ein Portier der Göttin des Respekts.
Smith: So waren es also zwei?
Teofilo: Ja; denn dies ist eine geheimnisvolle Zahl.
Prudentio: Ut essent duo testes. Auf daß zwei Zeugen wären!
Frulla: Was versteht Ihr unter testes? Wie die folgende Antwort ergibt, handelt es sich um eine Zweideutigkeit des Wortes » testis« (Zeuge oder Hode).
Prudentio: Selbstverständlich denke ich an Zeugen, Garanten der Nolanischen Fähigkeit und Potenz. Aber, beim Herkules, warum, Teofilo, halten Sie denn die Zweizahl für geheimnisvoll?
Teofilo: Zwei sind die ersten Gegensätze, wie schon Pythagoras bemerkt: Endliches und Unendliches, Geradliniges und Krummes, rechts und links u. s. w. Zweifach der Unterschied der Zahlen: Gerade und Ungerade, von denen das eine das männliche, das andere das weibliche Prinzip darstellt. Zwei Liebesgötter gibt es: den höheren und göttlichen, den niederen und gewöhnlichen. Zwei Hauptlebensbetätigungen: Wille und Intellekt. Zwei Gegenstände derselben: das Wahre und Gute. Es gibt zwei Hauptarten der Bewegung: die geradlinige, in der die Körper nach der Erhaltung streben, die kreisförmige, durch die sie sich erhalten. Zwei Hauptprinzipien aller Wesen: Materie und Form. Zwei hauptsächliche Unterschiede der Stofflichkeit: das dünne und dichte, das einfache und zusammengesetzte. Zwei erste Gegensätze und aktive Kräfte: Das Warme und Kalte. Zwei erste Erzeuger der natürlichen Dinge: Sonne und Erde.
Frulla: Entsprechend den schon genannten Paaren werde ich noch eine andere Stufenleiter der Zweiteilung geben: Zu zwei und zwei traten die Tiere in die Arche Noahs und verließen sie auch so. Es gibt zwei Hauptzeichen im Tierkreis: Widder und Stier. Zwei Arten des nolite fieri: »Wollet es nicht werden!« Pferd und Maultier. Zwei Geschöpfe nach dem Bilde des Menschen: Den Affen auf der Erde und den Nachtkauz in der Luft. Zwei falsche Reliquien in Florenz und Italien: die Zähne des Sassetto und den Bart des Pietruccio. Zwei Tiere, denen der Prophet mehr Verstand zuschreibt, als dem Volke Israel: den Ochsen; denn er kennt seinen Eigentümer, und den Esel; denn er findet den Stall seines Herrn. Zwei geheimnisvolle Reittiere unseres Erlösers, welche seine auserwählten Völker, die Hebräer und die Heiden bezeichnen: die Eselin und ihr Füllen. Zwei davon abgeleitete Namen des Sekretärs des Kaisers Augustus: Asinius und Pollio. Zwei Arten von Eseln: wilde und zahme. Zwei Hauptfarben der Esel: grau und braun. Zwei Pyramiden gibt es, auf denen die Namen dieser beiden und anderer ähnlicher Doktoren geschrieben und der Ewigkeit überliefert werden sollten: das rechte Ohr des Pferdes des Silen und das linke des Antagonisten des Gottes der Gärten. Priapus.
Prudentio: Optimae indolis ingenium! enumeratio minime contemnenda! »Ein vortrefflich er Einfall! Eine keinesfalls zu verachtende Aufzählung!«
Frulla: Ich freue mich, Herr Prudentio, daß Sie meinen Vortrag loben; denn Sie sind klüger als die Klugheit selbst, da Sie prudentia masculini generis Anspielung auf den Namen Prudentius. sind.
Prudentio: Neque id sine lepore et gratia! »Auch dies ist nicht ohne Witz und Anmut gesagt!« Aber wohlan ist haec mittamus encomia! Sedeamus, quia, ut ait Peripateticorum princeps, sedendo et quiescendo sapimus; »Aber lassen wir solche gegenseitige Komplimente! Setzen wir uns, da, wie der Fürst der Peripatetiker (Aristoteles) sagt, man durch Seßhaftigkeit und Geduld (Ruhe) gelehrt wird.« und so laßt uns unser Viergespräch über den Erfolg der Unterredung des Nolaners mit Doktor Torquato und Doktor Mundinio fortsetzen bis zum Sonnenuntergang!
Frulla: Ich möchte aber wissen, was Ihr unter einem Viergespräch versteht.
Prudentio: Ein Viergespräch, Tetralog, id est quatuorum sermo Unterhaltung zu Vieren., wie ein Dialog sagen will duorum sermo Unterhaltung zu Zweien., ein Trilog trium sermo Unterhaltung zu Dreien., usw. Pentalog, Heptalog, und andere, die man mißbräuchlich alle Dialoge nennt.
Smith: Mit Vergunst, mein Herr, lassen wir diese grammatischen Feinheiten und kommen wir zur Sache!
Prudentio: O saeclum! Sie scheinen mir wenig Wert auf die schönen Wissenschaften zu legen. Wie werden wir einen guten Tetralog veranstalten können, wenn wir nicht wissen, was das Wort bedeutet, und quod pejus est, denken, es sei ein Dialog. Nonne a definitione et a nominis explicatione exordiendum Muß man nicht mit einer Definition und Worterklärung beginnen?, wie unser Arpinate Cicero, vgl. de officiis I. e. 3. c. f. uns lehrt?
Teofilo: Sie, Herr Prudentio, sind ein wenig zu klug! Lassen wir, ich bitte Sie, diese grammatischen Erörterungen, und geben Sie zu, daß diese unsere Unterhaltung ein Dialog ist, sofern wir, wenn auch vier Personen der Zahl nach, doch bloß zwei Partei-Rollen darin führen und einer Partei die Rolle des Behauptens und Antwortens, der anderen die des Beweisens und Fragens zufällt. Um nun endlich zu beginnen und unsere Aufgabe in Angriff zu nehmen, so erscheint ihr Musen, um mich zu begeistern! Aber nicht Euch rufe ich, die Ihr auf dem Helikon in schwülstigen und stolzen Versen redet; denn ich besorge, daß Ihr Euch am Ende über mich beklagen würdet, wenn Ihr nach einer so langen und schwierigen Reise, über so gefahrvolle Meere, beim Anblick so rauher Sitten, ohne Schuhe barfuß wieder heimkehren müßtet, da es hier keine Tische für die Lombarden gibt. Ich sehe ganz davon ab, daß Ihr Ausländerinnen und noch obendrein von jener Rasse seid, die ein Dichter mit den Worten kennzeichnet: »Nie war ein Grieche noch frei von Tücken.«
Überdies kann ich mich in kein Wesen verlieben, das ich nicht sehe. Andere, ganz andere haben meine Seele in Banden gelegt. Euch meine ich, Ihr anmutvollen, sanften, jungen, schönen, blondhaarigen, rotwangigen Frauen mit den köstlichen Lippen, den himmlischen Augen, den Brüsten von Elfenbein und Herzen von Diamant, für die ich so große Gedanken in meinem Kopfe erzeuge, so lebhafte Gefühle im Herzen nähre, so viele Tränen aus meinen Augen vergieße, so viele Seufzer aus meiner Brust, so viele Flammen aus meinem Herzen entsende, Euch, Ihr Musen Englands, Euch rufe ich an, Ihr mögt mich begeistern, erwärmen, befreien, mich auflösen und in einen süßen Trank verwandeln, laßt mich aber nicht mit einem kleinen zarten, gedrängten Epigramm, sondern mit einer vollen und reichen Ader fließender, erhabener und männlicher Prosa erscheinen, nicht aus einem kurzen Rohre, sondern aus einem großen Kanal sollen meine Sätze strömen. Und Du, meine Mnemosyne, verborgen unter dreißig Siegeln, verschlossen im unscheinbaren Gefängnis der Schatten der Ideen, flüstre mir Deine Geheimnisse ins Ohr!
In den letzten Tagen kamen zwei Herren zum Nolaner und teilten ihm mit, daß ein königlicher Hofbeamter sich sehr nach einer Unterhaltung mit ihm sehne über Kopernikus und andere Gegenstände seiner neuen paradoxen Philosophie. Der Nolaner erwiderte, er sehe weder mit den Augen des Kopernikus noch mit denen des Ptolemäus, sondern mit seinen eigenen Augen, sowohl was die Urteilskraft als auch die Auffassung angehe; er glaube zwar den Beobachtungen dieser und anderer fleißiger Mathematiker, die im Laufe der Zeit Licht auf Licht schaffend uns mit ausreichenden Beweisgründen versorgt hätten, vieles zu verdanken; denn ein begründetes Urteil in solchen Dingen könne erst durch die Arbeit vieler Zeitalter erzeugt werden. Jene aber glichen doch am Ende nur solchen Auslegern, die sich darauf beschränken, aus einer Sprache in die andere zu übersetzen, denen dann andere folgen, die tiefer in den Sinn der Worte eindringen, als diese bloßen Übersetzer. Sie glichen etwa einfachen Bauern, die einem anwesenden Kriegsherrn über die Gestalt und die Erfolge ihrer Kämpfe Bericht erstatten, ohne selbst viel von den Gründen und der Kunst zu verstehen, die ihnen zum Siege verholfen hat, während jener, der über größere Erfahrung verfügt, eine bessere Einsicht in die Kriegskunst besitzt! In diesem Sinne hat der blinde Tiresias, der aber ein göttlicher Seher war, zur Thebanischen Manto, die zwar sehen konnte, aber nicht begreifen, gesprochen:
Visu carentem magna pars veri latet
Sed quo vocat me patria, quo Phoebus, sequar.
Tu lucis inopem gnata genitorem regens
Manifesta sacri signa fatidici refer!
Dem, der des Augenlichts entbehrt, entgeht
Ein großer Teil der Wahrheit. Aber ich
Will dorthin geh'n, wohin mich Phöbus ruft,
Und wo mein Vaterland ist; Du, o Tochter, magst
Mich, Deinen Vater führen, der des Lichts beraubt!
Beachte mir die Zeichen, die das Schicksal gibt!
(Vermutlich Zitat einer mir unbekannten Stelle aus einem Drama
Senecas oder einer latein. Übersetzung eines Dramas des Euripides.)
Wenn also nicht die vielfachen und verschiedenen Bestätigungen in den Erscheinungen der Himmelskörper uns vor die Augen der Vernunft gebracht würden, was könnten wir schließen? Gewiß nichts! Dank also laßt uns den Göttern erstatten, die die Gaben weiter austeilen, die vom Höchsten ausgehen; und wenn wir die Forschungen jener vortrefflichen Geister verherrlichen, mögen wir zugleich deutlich einsehen, daß man auch für das, was sie beobachtet und gesehen haben, die Augen offen halten muß und nicht einfach das, was sie begriffen, verstanden und festgestellt haben, auf blinden Autoritätsglauben hin billigen darf.
Smith: Mit Vergunst, was haben Sie eigentlich für eine Meinung von Kopernikus?
Teofilo: Er war ein ernster, arbeitsamer und reifer Geist; er steht keinem Astronomen nach, der vor ihm gelebt hat, an natürlichem Scharfsinn überragt er bei weitem einen Ptolemäus, Hipparch, Eudoxus und alle anderen, welche derselben Spur nachgegangen sind. Nachdem er sich von einigen falschen Voraussetzungen der vulgären Philosophie, wenn ich nicht sagen soll Blindheit, befreit hatte, ist er der Wahrheit sehr nahe gekommen, nahe gekommen, ohne sie ganz zu erreichen; denn er war mehr Mathematiker als Naturforscher und hat sich deshalb nicht so sehr vertiefen können, um zur vollen Wahrheit durchzudringen und die unstatthaften und falschen Voraussetzungen an den Wurzeln auszureißen, wodurch er alle gegnerischen Einwendungen vollkommen widerlegt haben und sich und andere so vieler unnützer Untersuchungen über die gewissesten und unzweifelhaftesten Gegenstände überhoben haben würde. – Immerhin wer wird nicht aus vollem Herzen den Hochsinn dieses Deutschen loben können, welcher unbeirrt um das Urteil der stumpfsinnigen Menge dem mächtigen Strome des Zeitgeistes entgegentrat und die längst verworfenen und verwitterten Bruchstücke der antiken Wissenschaft wieder zusammenlas, reinigte und zusammenfügte, um sie zur Grundsteinlegung eines wissenschaftlichen Neubaues zu verwenden, den er mit seinem freilich mehr mathematischen als naturwissenschaftlichen Talente begonnen hat, indem er eine schon lächerlich gewordene, verworfene und mißachtete Weltanschauung durch Theorie und Berechnung wieder aufgerichtet, bewiesen und zu Ehren gebracht hat. So hat dieser Deutsche, obwohl es ihm an ausreichenden Mitteln fehlte, durch die er die falsche Lehre nicht nur hätte bekämpfen, sondern auch völlig besiegen und unterdrücken können, immerhin festen Fuß gefaßt in dem offenen Bekenntnis, daß man notwendig schließen müsse, daß weit eher diese Erde sich bewege im Verhältnis zum Weltall, als daß die Gesamtheit so vieler zahlloser Weltkörper, von denen manche weit größer und herrlicher sind, in Widerspruch mit der Natur, Vernunft und ihrer völlig wahrnehmbaren Bewegung diese Erde als Grund und Schwerpunkt ihrer Kreisbewegungen respektieren müsse. Wer möchte also so unhöflich und undankbar sein, um nicht anzuerkennen, daß dieser Mann von den Göttern gewissermaßen als die Morgenröte eines besseren Tages vorausgesandt ist, um dem Sonnenaufgange der wahren alten Philosophie voraufzugehen, die lange Jahrhunderte in den dunklen Schachten blinder, übelwollender, anmaßender und neidischer Unwissenheit begraben gewesen ist. Wer möchte ihn unter Hervorhebung dessen, was er nicht vermocht hat, noch unter jene große Herde rechnen, die sich durch den bloßen Gehörsinn eines stumpfen und unedlen Glaubens leiten läßt, anstatt ihn zu jenen zu zählen, die mit glücklichem Genie sich richten und erheben lassen durch die treue Führung des Auges der göttlichen Erkenntnis? Was aber darf ich vom Nolaner sagen? Vielleicht, weil er mir so nahe steht, wie ich mir selber, ziemt es sich nicht, ihn zu loben. Gleichwohl dürfte kein Verständiger mich darum tadeln; denn oft ist Selbstlob nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig, wie recht treffend der feingebildete Tansillo sagt:
Wenngleich es sich für einen Mann von Wert
Nur selten schickt, daß von sich selbst er spreche,
Da jeder, der sich selber rühmt und ehrt,
Verdächtig wird der unrühmlichen Schwäche,
Der Eitelkeit: so gibt es doch zwei Gründe,
Daß jemand sein Verdienst mit eignem Munde künde:
Einmal, um vor Verleumdung sich zu schützen,
Sodann auch, wenn man will der Mitwelt nützen.
Vgl. Tansillo,
vendemmiatore, Strophe 53.
Sollte also ein Pharisäer unter keinen Umständen Selbstlob entschuldigen wollen, so möge er bedenken, daß es Fälle gibt, in denen sich der Anschein des Eigenlobs nicht trennen läßt von dem Bericht der erreichten Erfolge. Wer wird z. B. einen Apelles tadeln, wenn er bei Ausstellung eines seiner Gemälde jedem, der danach fragt, bekennt, daß es sein Werk ist? Wer einen Phidias, der jedem, der nach dem Urheber eines seiner herrlichen Bildwerke fragt, antwortet, er sei es selber?
Wenn Ihr also die Bedeutung des vorliegenden Werkes verstehen wollt, so genügt eine Schlußfolgerung, um sie Euch begreiflich zu machen. Wenn jener alte Tiphys gerühmt wird, weil er das erste Schiff erfunden und mit den Argonauten sich auf das Meer gewagt hat:
Audax nimium, qui freta primus
Rate tam fragili perfida rupit,
Terrasque suas post terga videns,
Animam levibus credidit auris;
Allzu Verwegener, der zuerst
Mit gebrechlichem Boote die tückische Salzflut
Zu durchkreuzen unternahm,
Der dem Festland den Rücken kehrend
Sein Leben vertraute den luftigen Winden.
(Aus dem Chor der Medea von Seneca. V. 300-305.)
wenn in unseren Tagen Kolumbus gefeiert wird, weil er es sei, dem die alte Prophezeiung gelte:
Venient annis
Saecula seris, quibus Oceanus
Vincula rerum laxet, et ingens
Pateat tellus Tiphysque novos
Detegat orbes nec sit terris
Ultima Thule –
Kommen wird in späten Jahrhunderten die Zeit,
Da der Ozean keine Schranke der Länder mehr sein wird,
Wo die ungeheure Erde offen stehen
Und ein Typhis neue Erdteile entdecken
Und keine äußerste Thule mehr sein wird.
(Aus dem Chor der Medea von Seneca. V. 374-400.)
– die Tiphys haben nur ein Mittel entdeckt, um den Frieden fremder Völker zu stören, die vaterländischen Götter den einzelnen Ländern zu rauben, zu vermischen, was eine vorsichtige Natur getrennt halten wollte, durch Handel und Wandel die Lichter zu verbreiten, die Fehler und Untugenden einer Rasse mit denen einer anderen zu verknüpfen, gewaltsam neue Narrheiten auszubreiten und bis dahin unerhörte Torheiten dort, wo sie noch nicht waren, zu pflanzen, überhaupt den Stärksten für den Weisesten zu erklären, alles Streben auf die Kunst der Eroberung und auf neue Mordwerkzeuge zu richten, und vielleicht kommt einmal ein Wechsel der Dinge, ein Rückschlag, der sich gegen jene, die so verderbliche Erfindungen verbreiten, bei denen vorbereitet, die solche von ihnen lernen:
Candida nostri saecula patres
Videre procul fraude remota:
Sua quisque piger littora tangens,
Patrioque senex fractus in arvo
Parvo dives, nisi quas tulerat
Natale solum, non norat opes.
Bene dissepti foedera mundi
Traxit in unum Thessala pinus
Jussitque pati verbera pontum,
Partemque metus fieri nostri
Mare sepostum.
Sittenrein und frei von Betrug
War die Zeit unsrer Väter,
Da noch jeder an seinem Strande
Seine Grenze fand und mit wenigem reich,
Als Greis noch die ererbte Scholle beackernd
Keine andern Schätze begehrte,
Als die, welche der Boden des Vaterlandes trug.
Eine thessalische Fichte hat,
Was Natur geschieden, verwegen vermengt
Und den Pontus mit frevelndem Ruderschlag
Zur Rache gereizt, und Sorgen und Furcht
Schafft jetzt uns des Meeres
Entlegenste Breite.
(Aus demselben Chor Senecas, V. 229-329.)
– Der Nolaner aber hat, um völlig entgegengesetzte Erfolge zu erlangen, den Menschengeist und die Wissenschaft befreit, die in einem engen, dumpfen Kerker eingeschlossen waren, von wo aus sie kaum durch einige vergitterte Fenster die fernsten Sterne schauen konnten, wo ihre Fittiche beschnitten waren, damit sie nicht durch den Wolkenschleier dringen und das erschauen könnten, was sich jenseits desselben befindet. Er hat sie befreit von den Chimären jener, die, obwohl den dumpfen Höhlen der Erde entstiegen, gleichwohl sich den Anschein gaben, als seien sie wie Merkur oder Apollo vom Himmel herabgestiegen und die Welt mit zahllosen Dummheiten und Lastern angefüllt haben unter dem Vorwande, als seien diese ebenso viele Wissenschaften und Tugenden, die, indem sie das Licht auslöschten, welches die Seelen unserer Altvorderen heroisch und göttlich machte, die finsteren Nebelbegriffe der Esel und Sophisten verbreitet haben. Die so lange Zeit unterdrückte Vernunft, welche in lichten Zwischenräumen so oft schon ihre schmachvolle Lage beklagt hatte, wandte sich an den göttlichen Geist und das ihr im inneren Ohr stets flüsternde Gewissen mit solchen Worten:
Wer, o Madonna, wird für mich gen Himmel fahren,
Um mir von dort meinen verlorenen Verstand zurückzubringen?
Da war er es, der die Luft durchschwebte, in den Himmel eindrang, die Grenzen der Welt überschritt, die phantastischen Mauern der ersten, achten, neunten, zehnten und so weiteren Sphären, die man gern noch hinzugefügt hätte nach dem Wunsche eitler Mathematiker und der Blindheit der gewöhnlichen Philosophen, verschwinden machte; er war es, der mit dem Schlüssel eifriger Forschung das Gefängnis der Wahrheit aufschloß, das verschleierte Angesicht der Natur enthüllte, den Maulwürfen Augen und den Blinden Sehkraft wiedergab, den Stummen, die es nicht wagten, ihre innerste Meinung zu sagen, die Zunge löste, der die Lahmen, die es nicht wagten, einen geistigen Fortschritt zu machen, wieder gehen machte, der sie auf der Sonne, dem Monde und anderen Sternen ebenso heimisch gemacht hat, als ob sie deren Bewohner wären; der uns die Augen öffnet, jene Gottheit zu erkennen, die unsere Mutter ist, die uns auf ihrem Rücken erhält und ernährt, nachdem sie uns aus ihrem Schoße hervorgebracht hat, in den sie uns immer von neuem zurücknimmt, der uns lehrt, daß auch sie ein beseelter Körper und nicht die geringste unter den Welten ist. So wissen wir denn, daß, wenn wir auf dem Monde oder anderen Gestirnen wären, wir keineswegs uns in einer allzu verschiedenen Umgebung befinden würden, möglicherweise zwar auf einer für uns schlechteren, die aber doch an und für sich gut oder gar besser sein könnte in Hinsicht auf die ihr angepaßten eigenen Wesen.
So mögen wir denn diese Hunderttausende von Gestirnen und Gottheiten erkennen, die alle der Ehre des ersten, allgemeinen und ewigen Schöpfers dienen. Unser Verstand wird nicht mehr eingeklammert sein in dem Block der phantastischen acht, neun oder zehn beweglichen Beweger. Wir werden einsehen, daß es nur einen Himmel, eine unendliche Ätherregion gibt, in der diese herrlichen Lichter ihre ihnen gesetzten Entfernungen wahren und am ewigen Leben teilnehmen. Diese flammenden Körper sind die Engel, welche die Erhabenheit und Majestät Gottes feiern! So erkennen wir die unendliche Wirkung der unendlichen Ursache, den wahren und wirklichen Abglanz der unendlichen Kraft und brauchen die Gottheit nicht in der Ferne zu suchen, sondern wir haben sie in unmittelbarster Nähe, ja in uns selber; denn wir leben und weben in ihr; ebenso, wie die Bewohner der anderen Welten sie nicht bei uns, sondern in ihrer unmittelbaren Nähe und in sich und sich in ihr haben; denn der Mond ist nicht mehr Himmel für uns, als wir für den Mond. So liegt denn ein tiefer Sinn in den Versen, die Tansillo in einem gewissen Scherze spricht:
Laßt fahren die Schatten, das Wahre ergreift!
Ein Tor, der von heute zu morgen schweift.
Dem Windspiel gleicht er, deß sinnloser Mut
Nach dem Trugbilde schnappt in spiegelnder Flut
Und den Bissen verliert, den im Maul es hält;
Nicht die Weisheit ist's, der solch' Opfer gefällt!
Was sucht Ihr das Paradies in der Ferne?
In der eigenen Brust sind Eure Sterne!
Freut Euch der Gegenwart, denn Eurem Hoffen
Bleibt darum die Zukunft immer noch offen!
So kann ein einzelner, obwohl er allein steht, siegen, und schließlich wird er auch über die allgemeine Unwissenheit den Sieg davon tragen und triumphieren; denn in der Tat, alle Blinden wiegen nicht einen einzigen Sehenden auf und alle Narren können vereint nicht einen einzigen Weisen überwinden.
Prudentio:
Rebus, et in sensu, si non est quod fuit ante,
Fac vivas contentus eo, quod tempora praebent!
Iudicium populi numquam contempseris unus,
Ne nulli placeas, dun vis contemnere multos.
In allen Dingen lebe zufrieden mit dem,
Was Deine Zeit Dir gewährt! Verachte nicht
Als einzelner die öffentliche Meinung
Des Volkes, damit Du nicht, wenn Du
Die vielen verachtest, auch keinem gefallest!
Teofilo: Das ist ein ganz guter Rat mit Rücksicht auf die gesellschaftlichen Sitten und das gemeine Regiment, mit Rücksicht auf den bürgerlichen Verkehr, aber nicht in Ansehung der wissenschaftlichen Wahrheit und Weltanschauung – in dieser Hinsicht hat derselbe Weise gesagt:
Disce, sed a doctis; indoctos ipse doce to! »Lerne, aber von Wissenden, Unwissende belehre Du selber!«
Was Du sagst, mag auch gelten für eine auf die Menge berechnete Lehren denn diese Last eignet sich nicht für jede beliebige Schulter, sondern für eine solche, die sie tragen kann, wie der Nolaner, oder sie wenigstens ihrem Ziele näher bringen kann, ohne auf besondere Schwierigkeiten zu stoßen, wie dies Kopernikus vermochte. Darum sollen allerdings die, welche im Besitze dieser Wahrheit sind, sie nicht allen möglichen Personen aufdrängen – das hieße, einem Esel den Kopf waschen oder die Perlen vor die Säue werfen. Nur solche Ungebildete können wir belehren und solche Blinde sehend machen, die blind heißen nicht zufolge natürlichen Unvermögens und wegen Mangels an Anlage und Erziehung, sondern lediglich, weil sie nicht aufmerken und die Augen nicht offen halten, bei denen also die Unkenntnis einem Mangel der Tätigkeit, nicht zugleich auch des Vermögens entspringt. Von diesen aber sind manche so boshaft und grausam, weil sie in trägem Neide sich entrüsten und in blinde Wut gegen denjenigen geraten, der sich die Mühe geben will, sie aufzuklären, aus dem einen Grunde, weil sie für gelehrt gelten und, was schlimmer ist, sich selber für Gelehrte und Doktoren halten, und daher jeden hassen, der sich erkühnt, etwas zu wissen, was sie selber nicht wissen.
Frulla: So ereignete es sich mit jenen beiden barbarischen Doktoren, von denen wir sprechen werden. Der eine von diesen beiden, als er
nicht mehr wußte, was er erwidern und was für Beweise er anführen sollte, stand auf und schrie mit einer Gebärde, als wenn er die Sache mit den Fäusten zu Ende bringen möchte:
Quid? nonne Anticyram naviges? Tu ille philosophorum protoplastes, qui nec Ptolemaeo nec tot tantorumque philosophorum et astronomorum majestati quippiam concedis? Tune nodum in scirpo quaerites?
Wie? Du wirst doch nicht nach Anticyra fahren? Du willst ein Neubegründer der Philosophie, weder vor dem Ptolemäus noch vor so vielen anderen und so großen Philosophen und Astronomen irgend welche Ehrfurcht haben? Du willst Knoten an der Binse entdecken? (Schwierigkeiten finden, wo es keine gibt?)
»Nach der phokischen Halbinsel Anticyra fahren«, eine sprichwörtliche Redensart im Altertum, weil man glaubte, daß Geisteskrankheiten durch Gebrauch der dort in Menge wachsenden Nieswurz (
elleborus) heilbar seien.
Vgl.
Horat. Sat. 2, 3, 83,
art. poet. 300.
Gellius, noctes atticae 17, 1, 56. und andere Redensarten, würdig, mit jenen Stöcken beglichen zu werden, mit denen die Gepäckträger das Maß für die Jacken ihrer Esel zu nehmen pflegen.
Teofilo: Lassen wir für jetzt diese bei Seite! Andere sind von der Art, daß sie in ihrer gläubigen Einfalt fürchten, im Erkennen ihr Seelenheil zu gefährden und darum hartnäckig in der Finsternis verharren, die sie nun einmal unglücklicherweise gefaßt hat. Endlich aber gibt es doch auch glücklich veranlagte Geister, die keinerlei achtbare Forschung vernachlässigen; die nicht blindlings aburteilen, sondern vorurteilsfrei denken und einen freien Sinn besitzen, dies Geschenk des Himmels – diese sind, wenn nicht selbst Pfadfinder, so doch würdige Prüfer, Richter und Zeugen der Wahrheit. Diese sind es, deren Beifall und Liebe der Nolaner sich stets erfreut hat, erfreut und erfreuen wird. Diese allein sind befähigt, ihn zu hören und mit ihm zu disputieren. Denn fürwahr, niemand kann mit ihm über diese Gegenstände in eine Erörterung sich einlassen, ihm schließlich, wenn anders er sich nicht völlig überzeugen läßt, doch wenigstens in vielen wichtigen Punkten recht zu geben, und zu gestehen, daß das, was er nicht für wahr anerkennen mag, doch mindestens wahrscheinlich ist.
Prudentio: Sei dem, wie ihm wolle! Ich für meinen Teil will mich nicht von der Anschauung der Alten abwendig machen lassen. Denn der Weise sagt: Im Altertum liegt die Weisheit.
Teofilo: Und er fügt hinzu: In vielen Jahren die Klugheit. Wenn Sie, was Sie da sagen, richtig verständen, so würden Sie aus diesem Grundsatze das Gegenteil dessen erschließen, was Sie meinen. Ich bin nämlich der Meinung, daß wir sog. Jüngeren älter sind und über eine reifere Erfahrung für die Beurteilung solcher Fragen, wie die uns vorliegende, verfügen, als die sog. Alten, unsere Vorgänger. Unmöglich konnte das Urteil eines Eudoxus, der noch im Kindesalter der Astronomie lebte, schon so gereift sein, als das des Calippos, der dreißig Jahre nach dem Tode Alexanders des Großen lebte; und mit demselben Grunde konnte wiederum ein Hipparch mehr wissen, als Calippos, da er die ganze Entwicklung übersah, die sich in den 196 Jahren seit dem Tode Alexanders vollzogen hat. Der römische Mathematiker Menelaos endlich, der den Unterschied der Bewegungen in 462 Jahren seit Alexanders Tode überschaute, konnte besser urteilen, als Hipparch. Noch mehr mußte 1202 Jahre später der Astronom Mahomed Aracensis erkennen. Kopernikus aber in unseren Tagen verfügte über einen Zeitraum von 1849 Jahren seit jenem Zeitpunkte. Gleichwohl sind freilich manche von den später Geborenen um nichts klüger gewesen, als die früher Geborenen, und die große Masse unserer Zeitgenossen hat darum nicht mehr Geist als jene. Das kommt aber nur daher, daß jene und diese die Lebenserfahrungen der anderen sich nicht angeeignet haben, vielmehr sogar, was noch schlimmer ist, schon tot waren bzw. sind in den Jahren ihres eigenen Lebens.
Prudentio: Sagt, was Ihr wollt, legt es aus, wie es Euch beliebt! Ich bleibe ein Freund des Altertums und was Eure Ansichten und Paradoxien betrifft, so glaube ich nicht, daß so viele Weise so unwissend gewesen sein können, wie Ihr und andere Freunde der modernen Anschauung denkt!
Teofilo: Bester Herr Prudentio, wenn diese gewöhnliche und von Ihnen vertretene Weltanschauung nur insofern wahr ist, als sie alt ist, dann war sie ja jedenfalls falsch, als sie selber noch neu war! Denn bevor diese Ihrem Geschmacke entsprechende Philosophie in Mode kam, herrschte die der Chaldäer, Ägypter, Magier, Orphiker, Pythagoräer und anderen Denker der Urzeit, die unserer Anschauung näher steht, und gegen die sich jene bloßen Logiker und Mathematiker erst aufgelehnt haben, die nicht sowohl Feinde des Altertums als vielmehr Irrlichter der Wahrheit waren. Lassen wir also die Autorität des Alten oder Neuen beiseite, da es keine noch so alte Sache gibt, die nicht einmal neu gewesen wäre, wie Euer Aristoteles schon richtig bemerkt hat!
Frulla: Wenn ich jetzt nicht zu Worte komme, so muß ich platzen! Sie sagen da: Euer Aristoteles, indem Sie mit Herrn Prudentio sprechen! Wissen Sie denn, daß Aristoteles seiner ist, d. h. daß er ein Peripatetiker ist? – Mit gütiger Erlaubnis, gestatten Sie mir eine kleine Abschweifung!
Vor dem Tore des erzbischöflichen Palastes in Neapel trafen einmal zwei halbblinde Bettler zusammen, von denen sich der eine als Welfen, der andere als Ghibellinen bezeichnete, und die dieserhalb so aneinandergerieten und sich dermaßen mit ihren Stöcken bearbeiteten, daß ich nicht weiß, was der Kampf noch für einen Ausgang hätte nehmen können, hätte man sie nicht getrennt. Diese ließ nun einer der vorüberkommenden Herren zu sich rufen und sagte: Kommt einmal her, ihr blinden Straßenbummler, und sagt mir: Was ist ein Welf? was ist ein Ghibellin? Was bedeutet es, ein Welf, oder ein Ghibellin zu sein? Natürlich wußte weder der eine noch der andere etwas darauf zu antworten. Schließlich kam der eine mit folgender Erklärung heraus: Ich kenne einen Herrn Victor Costanzo, der mir sehr wohlwollend ist und dem ich wohlgesinnt bin, er ist ein Ghibellin! Genau so verhält es sich mit vielen sog. Peripatetikern, die sich für ihren Aristoteles ins Geschirr legen, sich für ihn erwärmen, ja leidenschaftlich entrüsten und jeden, der kein Freund des Aristoteles ist, tödlich hassen, die leben und sterben wollen für ihren Aristoteles, ohne auch nur die Titel der Bücher des Aristoteles angeben zu können, geschweige denn, je eine Zeile von ihm begriffen zu haben. Wollen Sie, daß ich Ihnen einen solchen vorstelle, so ist es dieser Herr hier, zu dem Sie sagen: Ihr Aristoteles! und der selber alle Augenblicke loslegt mit einem Aristoteles noster, Peripateticorum princeps, mit einem Plato noster, usw.«
Prudentio: Ich mache mir nichts aus Ihrer Anekdotenkrämerei, an Ihrer Achtung ist mir nichts gelegen!
Teofilo: Mit Verlaub, warum unterbrechen Sie meine Rede!
Smith: Fahren Sie bitte fort, Herr Teofilo!
Teofilo: Ihr Aristoteles hat also, sage ich, schon bemerkt, daß derselbe Wechsel, der über den Dingen und Geschehnissen waltet, auch die Anschauungen und ihre verschiedenen Wirkungen beherrscht. Wollte man also die Philosophien nach ihrem Altertum einschätzen, so würde das soviel bedeuten, als zu entscheiden, ob der Tag der Nacht oder umgekehrt die Nacht dem Tage vorausgeht. Das einzige also, worauf wir unser Augenmerk zu richten haben, ist dies, ob wir selber uns im Tageslichte befinden, ob die Sonne der Wahrheit an unserem Horizonte steht oder ob sie den Horizont unserer Gegenfüßler erhellt, ob wir uns in der Finsternis befinden oder jene; kurz, wenn wir die antike Philosophie wieder erneuern wollen, ob dies bedeutet, daß wir einen neuen Morgen heraufbrechen sehen oder ob damit die Abenddämmerung hereinbricht, um dem Tage ein Ende zu machen. Das ist aber sicherlich nicht leicht zu entscheiden, auch wenn wir die Früchte der einen oder der anderen Denkweise nur sozusagen in Bausch und Bogen würdigen wollen. Laßt uns aber immerhin einige Unterschiede zwischen den Alten und den Neueren feststellen! Jene waren in der Lebensführung mäßig, in der Heilkunst erfahren, in der philosophischen Anschauung urteilsfähig, in der Vorhersehung ausgezeichnet, in der Magie bewundernswert, im Aberglauben vorsichtig, in der Gesetzgebung erhaltend, in der Sittlichkeit untadelhaft, in der Gotteslehre göttlich, in allen Werken heldenhaft; ihre Körperkräfte waren weniger geschwächt, wie ihre längere Lebensdauer beweist, sie besaßen eine bedeutende Erfindungsgabe, eine vollendete Vorausschau des Zukünftigen, vermochten es, die Natur durch ihre Werke umzugestalten, friedlich war der Verkehr unter den Völkern, unverletzlich waren ihre Eide, höchst gerecht ihre Strafen, sie erfreuten sich des Wohlwollens schützender und guter höherer Wesen ( intelligenze), und noch zeugen die Spuren ihres Daseins von ihren bewundernswerten Vorzügen. Dem gegenüber die Späteren zu prüfen, stelle ich dem Urteile jedes Verständigen anheim.
Smith: Was werden Sie aber dazu sagen, daß die Mehrheit unserer Zeitgenossen vom Gegenteil überzeugt ist, zumal was die Wissenschaft betrifft?
Teofilo: Mich nimmt's nicht wunder; denn gewöhnlich bildet jeder sich um so mehr ein, zu wissen, je weniger er versteht, und die ganz Dummen sind von ihrer Weisheit am meisten eingenommen!
Smith: Wie kann man diese eines besseren belehren?
Prudentio: Man müßte ihnen schon den Kopf abschlagen und einen anderen aufpflanzen!
Teofilo: Zunächst müßte man ihnen durch irgend eine Art der Beweisführung ihren Wissenshochmut nehmen und sie wenigstens, soweit möglich, soweit von ihren Vorurteilen frei machen, daß sie wenigstens Gehör geben. Der Brauch unserer pythagoräischen Schule fordert, daß niemand früher Fragen stelle und disputiere, bevor er den Zusammenhang unserer Philosophie gehört hat; denn wenn diese ein vollendetes System ist, so muß sie, vollkommen verstanden, alle Zweifel erledigen und alle Widersprüche beseitigen. Niemand kann sachverständige Fragen stellen, niemand ein guter Untersuchungsrichter sein, der nicht zuvor den ganzen Tatbestand sich hat vortragen lassen! Handelt es sich um eine Lehre, die von Satz zu Satz vorschreitet, die auf gewissen Anfangsgründen und Fundamentalsätzen ein vollkommenes Gebäude errichtet, so muß der Hörer schweigsam sein und bis dahin, daß er alles gehört und verstanden hat, stets voraussetzen, daß alle seine Bedenken sich im Fortgange der Entwicklung des Systems heben lassen. Eine ganz andere Methode befolgen jene Pyrrhoniker, die von der Voraussetzung aus, daß man gar nichts wissen könne, stets mit Fragen und Einwürfen bereit sind, ohne jemals etwas zu finden. Die unseligsten Köpfe aber sind solche, die auch über die klarsten Dinge disputieren und darauf mehr Zeit verschwenden, als man glauben möchte, und die lediglich, um scharfsinnig zu erscheinen, anstatt zu lehren und zu lernen, immerfort tifteln, kritisieren und die Wahrheit bekämpfen.
Smith: Aber ich habe nicht geringe Bedenken hinsichtlich dessen, was Sie da sagen, im Hinblick auf die große Menge derer, die sich anmaßen, etwas zu wissen und fortwährend Gehör für ihre Weisheit verlangen. Sind doch alle Universitäten und Akademien voll von Aristarchen, die selbst dem hochdonnernden Zeus nicht das mindeste glauben würden, ihre Zuhörer aber dahin führen, daß sie sich einbilden, bei ihnen etwas gelernt zu haben! Wer soll mir nun eine Gewähr dafür bieten, daß ich bei allem Aufwande von Zeit und Mühe mir nicht schließlich doch nur den Kopf mit Dummheiten vollstopfen lasse? Wie soll ich, der ich nichts weiß, über den Wert oder Unwert dessen urteilen, der sich selbst für weise hält und dafür von anderen anerkannt wird? Wir alle wachsen ja aus völliger Unwissenheit zunächst hinein in die gewohnten Lehren unserer Umgebung, wo wir die Gesetze, die Gebräuche, den Glauben, die Sitten unserer Gegner und Fremden nicht minder verurteilen lernen, als jene die unseren!
Jene danken ihren Schöpfer mit nicht geringerer Inbrunst dafür, daß er ihnen allein das Licht verliehen hat, um deswillen sie ein Anrecht auf das ewige Leben haben, als wir ihm dafür Dank sagen, daß wir uns nicht in derselben Finsternis und Blindheit befinden, wie jene. An diese Überzeugungen der Religion und des Glaubens reihen sich die der Wissenschaften. Teils von der Wahl meiner Erzieher, meiner Eltern und Lehrer, teils von eigener Laune und Phantasie, teils von dem überwältigenden Ruhme irgend eines Gelehrten hängt es ab, was aus meiner anmaßenden und glückseligen Unwissenheit werden soll, genau so wie das Schicksal und die Tugend oder Untugend eines rohen Pferdes davon abhängt, ob es einem ungeschickten oder ob es mehr oder weniger geschickten Reiter in die Hände kommt. Wissen Sie nicht, welch eine Gewalt die Glaubensgewohnheit und das Aufwachsen in einer mit bestimmten Vorurteilen erfüllten Umgebung über uns erlangen kann, wie diese uns am Verständnis der einfachsten Dinge verhindern, uns gewissermaßen mit geistigen Scheuklappen versehen kann? Es verhält sich in diesen Dingen genau so wie mit solchen Personen, die sich allmählich daran gewöhnen, gewisse Gifte zu essen; schließlich bringen solche es dahin, daß ihre Leibesverfassung die darin erzeugten schädlichen Wirkungen nicht nur gar nicht mehr empfindet, sondern daß das Gift ihnen geradezu so unentbehrlich wird, daß sie dessen Entziehung nicht mehr ertragen und daß das Gegengift ihnen todbringend wird. Nun sagen Sie mir einmal, über was für eine Kunst Sie verfügen, um die Ohren solcher Personen eher zu gewinnen, als ein anderer! Glauben Sie wirklich, der Geist einer solchen Person werde für Ihre Behauptungen empfänglicher sein, als für tausend andere abweichende?
Teofilo: Es ist freilich ein Gnadengeschenk der Götter, ob sie einen leiten und einem Manne zuführen, der selber nicht nur das Ansehen eines wahren Führers genießt, sondern auch in Wahrheit ein solcher Geistesführer ist, der den Geist aufklärt und zur Auswahl der Besten befähigt!
Smith: Dann ist es doch am besten, sich mit der allemal herrschenden allgemeinen sogenannten öffentlichen Meinung zu befreunden; denn wenn diese auch vielfach irrt, läßt sie einen doch nicht ohne den Trost und die Annehmlichkeit einer großen Gesellschaft!
Teofilo: Welch eine unwürdige Denkweise Sie da äußern! Aus diesem Grunde freilich ist die Zahl der weisen und edlen Männer so gering; es scheint freilich Gottes Wille zu sein, da sonst Weisheit und Tugend an Wert verlieren würden.
Smith: Ich glaube gern, daß die Wahrheit nur von wenigen erkannt wird und daß gerade die wertvollsten Dinge von den wenigsten besessen werden; aber es verwirrt mich dabei der Umstand, daß viele Dinge sich auch bei wenigen finden, vielleicht nur bei einem, die keinen Wert haben, die sogar nicht nur nichts wert sind, sondern nur von um so größerer Torheit und Verkehrtheit zeugen.
Teofilo: Mag sein! aber immerhin bleibt es sicherer, das Wahre und Angemessene abseits der Menge und breiten Heerstraße zu suchen; denn die Menge hat noch niemals eine wertvolle und kostbare Sache besessen, vielmehr haben sich die wertvollen und preiswürdigen Dinge stets bei wenigen gefunden, und käme es bloß auf Seltenheit an, so würde sie jeder, auch wer sie nicht zu finden versteht, hier wenigstens erkennen können. Kostbarkeit scheint hier noch freilich eine Wirkung des Besitzes, als der Erkenntnis zu sein.
Smith: Lassen wir diese Betrachtungen, um endlich etwas von den Gedanken des Nolaners zu hören! Jedenfalls verdient dieser, der bislang sich schon manchen Anhänger erworben hat, auch von uns gehört zu werden.
Teofilo: Das genügt ihm vollkommen. Vernehmt also, wie seine Philosophie sich zu behaupten und zu verteidigen weiß, wie sie die Wahrheit aufdeckt und die Trugschlüsse der Sophisten und die Blindheit des großen Haufens und der gewöhnlichen Philosophie an den Tag bringt!
Smith: Zu dem Zweck schlage ich vor, morgen um dieselbe Stunde wieder zusammenzukommen.
Prudentio: Sat prata biberunt; nam jam nox humida caelo praecipitat. »Genug schon sind die Wiesen berieselt; schon senkt sich vom Himmel die feuchte Nacht«. (Ebenfalls irgend ein mir unbekanntes Zitat aus einem alten Klassiker.)