Franz Xaver Bronner
Ein Mönchsleben aus der empfindsamen Zeit. Erster Band
Franz Xaver Bronner

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Neuntes Kapitel:

Auf der Flucht nach der Schweiz.

Abschied vom Kloster – Erster Tag der Flucht – Von Dillingen bis Ulm – Kolik – Beinahe ertappt – Von Ulm nach Niedlingen – Ein Nachtlager – Mit der Post nach Schaffhausen – Angenehme Reisebegleitung – Der Rheinfall – Zu Schiff nach Basel – Ein schöner Empfang – Der Steckbrief – Wirkungen meiner Flucht im Kloster – Meine Mitbrüder – Ein consilium abeundi und Reise nach Zürich.

Erst den 29. August 1785 heiterte sich das Wetter auf, ein schöner Sommertag lockte die Schnitter aufs Feld und der Prälat machte mit dem Bischöfl. Augsburgischen Geistl. Rat und Provikar De Haiden, der sich eben als Gast einige Tage im Kloster aufhielt, eine Spazierfahrt nach Kaisersheim. Da entschloß ich mich, mein Wagestück endlich zu beginnen. Ich ging zu dem Prior und bat um Erlaubnis, nachmittags meine Freunde in Kaisersheim zu besuchen und einige neue mathematische Instrumente, die dort eingetroffen sein sollten, sehen zu dürfen. Er schlug mir's ab, unter dem Vorwande, es wären zu wenige Leute da, um den Chor zu halten. Allein ich wandte dagegen ein: »Der Abgang einer einzigen Person kann nicht wohl in Betrachtung kommen; ich habe von dem Prälaten ausdrücklich die Erlaubnis erhalten, die Instrumente sehen zu dürfen und wollen Sie, Herr P. Prior, auch heute, wie gewöhnlich, meinen Wünschen entgegen sein, so ist's mir leid, daß ich Ihnen sagen muß, ich werde mich durch Ihre Weigerung nicht abhalten lassen, nach Kaisersheim zu wandern und mich dort bei dem Prälaten, so gut ich's vermag, zu rechtfertigen.«

»Sie sind heute sehr trotzig,« sagte er, »und ich sollte kaum Ihrem Eigensinn nachgeben, jedoch, weil Sie sagen, der gnädige Herr habe Ihnen bereits Erlaubnis erteilt, so mögen Sie Ihrem Kopfe folgen, es wird sich Gelegenheit finden, mit Ihnen abzurechnen. Aber da Sie eben Wöchner sind und im Konvente zu Tische dienen müssen, so werden Sie vorher noch Ihre Schuldigkeit tun.«

Ich versprach es, diente zu Tische, aß dann geschwind etwas weniges zu Mittag (denn es wollte mir vor Eile und Unruhe nicht recht schmecken) und schickte mich an, die Flucht zu beginnen. Einem meiner Vertrauten hatte ich schon lange allerlei Winke von meinem Vorhaben gegeben, jetzt rief ich ihn in meine Zelle, kleidete mich ins weltliche Gewand von Kopf bis zu Fuße und fragte den Staunenden: »Nun, Bruder, wie gefall' ich dir?« »Du siehst,« erwiderte er scherzend, »genau einem lustigen Schneiderbürschchen ähnlich!« Ich fuhr fort: »Glaubst du nun, daß ich bald nicht mehr Mönch sein werde?« Er ward ernsthaft und sagte: »Ich weiß nicht, scherzest du oder ist es dein Ernst!«

Ich. Wenn es mir Ernst wäre, eine Reise in die Schweiz zu machen, würdest du wohl auch dann mein Freund noch bleiben?

Er. Ach, du scherzest nur; dies Kleid hast du ja deinem Bruder bestimmt. Aber dein Freund würde ich auf jeden Fall bleiben.

Ich. Und versprichst du mir zu schreiben, was sich hier zugetragen hat, wenn ich einst fort bin?

Er. O gewiß! – Es würde mir Bedürfnis sein, dir es zu sagen! Ach, wie isoliert wäre ich dann! – Aber du gehst nicht.

Ich. Freund! Vielleicht sehen wir uns heute zum letztenmal in unserm Leben. Ich gehe! – Wann – sag' ich dir nicht. Lebe Wohl!

Das Herz brach mir, mit Tränen fiel ich ihm um den Hals. »Ach! ist es denn schon so weit?« sagte er, »o, du hättest mir nichts sagen sollen! – »Wie werde ich's nun verbergen, daß ich etwas um dein Vorhaben wußte, wenn es heißt, du seist entflohen? Wie werden die Mönche mich ansehen?«

Ich. O Freund, ich konnte nicht fort, ohne es dir zu sagen.

Er. Aber weißt du auch, wo du deinen Unterhalt finden wirst?

Ich. Die Vorsehung, Freund! hat noch bisher für mich gesorgt, sie wird mich nicht verderben lassen. Du weißt, wie sehr ich litt und daß ich zugrunde gehen müßte, wenn ich bliebe. Ich gehe nicht aus frevelhaftem Leichtsinn weg. – Nur eins bitte ich dich: Beantworte meine Briefe!

Er. Hier hast du meine Hand darauf!

Ich. Lebe Wohl, treuer edler Freund! Habe Dank für alle deine Treue und Liebe!

Wir weinten, einander am Halse hängend und schieden. Mit einem seidenen Halstuche band ich meinen braunen englischen Hut um das rechte Knie, mit Bindfaden ein Paar Mönchsbeinkleider um das linke, ein abgetragenes Hemd schlang ich um den Leib, steckte zwei Paar Schuhe nebst Strümpfen und allerlei Kleinigkeiten in die Tasche, zog neue Stiefel an und warf über alles her den langen Mönchshabit samt dem Skapulier. Die weltliche Kleidung darunter verriet sich durch nichts, als daß ich etwas dicker war. So gerüstet schrieb ich noch einen Brief an meinen Bruder, als wollte ich ihm einige Kleidungsstücke übersenden, ließ das Blatt unvollendet auf dem Schreibtische liegen, ergriff Hut und Stock und eilte der Pforte zu. Schon beim Nachtische und vormittags in den Zellen einiger meiner Bekannten hatte ich absichtlich ausgesagt, daß ich heute zum Baden gehen würde; nun begegneten mir auf dem Wege die Religiosen, die mich fragten, wohin ich ginge? Ich sagte wieder »zum Baden«. Pater Augustin wollte durchaus mitgehen und bat, ich möchte nur ein Viertelstündchen verziehen. Allein ich beteuerte, daß ich Eile hätte, weil ich nach dem Baden noch in Kaisersheim einen Besuch ablegen und heute wieder zurückkommen wollte, und lief davon.

Um die Leute glauben zu machen, ich habe wirklich den Weg nach Kaisersheim eingeschlagen, ging ich zum Tore hinaus, durch das der Weg dahin führt, wandte mich aber draußen um die Stadt herum und wanderte nach Zusum, wo ich vom Feldmessen her noch alle Plätzchen wußte. Ein sehr gesprächiger Wollenweber von Donauwörth, der sich meinen Vetter nannte, obschon er niemals nähere Bekanntschaft mit mir gepflogen hatte, traf mich auf dem Wege an und wollte mich durchaus auf meinem Spaziergange begleiten. Erst bei der Schwadermühle konnte ich seiner los werden, nachdem ich ihm gesagt hatte, ich müßte in Zusum einige Geschäfte besorgen. Es war hohe Zeit, daß er mich allein ließ, denn der runde, braune Hut, welchen ich um das rechte Knie gebunden trug, wollte sich losmachen und drohte bei jedem Schritte mir vor die Füße zu fallen und mein Geheimnis zum Teil zu verraten.

Aus dreierlei Gründen hatte ich die Gegend um Zusum gewählt, um dort meine Mönchskleider an den Strand zu werfen. Erstens konnte ich da am besten bestimmen, zu welcher Zeit sie gefunden werden sollten, zweitens war ich mit allen Wegen und Stegen dort herum genau bekannt, drittens verbarg ein Wäldchen, das sich an der Donau bis nach Münster hinaufzieht, meine Flucht, so daß es niemand bemerken konnte, wenn ich vom Badeplatze hinwegschlich.

Sobald ich an das erste Häuschen des Dorfes kam, fragte ich die Hirtin, welche dasselbe bewohnte, wo ihr Mann heute die Viehherde weide und wohin er sie morgen treiben werde. Sie gab mir ausführlichen Bescheid und sagte, morgen würde auf dem sogenannten Käseck gehütet. Nun durfte ich nicht sorgen, heute dem Hirten in die Hände zu laufen, und konnte mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit bestimmen, meine Kleider würden erst morgen gefunden werden, denn das Käseck war eine kleine, mit Stauden und Dornen stark bewachsene Heide, hart an der Donau, wohin niemand kam, als etwa der Hirt und die Knaben, denen Pferde entlaufen waren. Es mußte mir daran liegen, beiläufig voraus zu wissen, wann man mein abgelegtes Gewand finden würde. Denn wäre dies zu spät geschehen, so hätte früher, als meine List zu wirken anfing, die Vermutung entstehen müssen, ich sei entwichen. Wäre es aber zu bald geschehen, so hätte auch der Lärm von meinem Ertrinken zu bald begonnen und einige Religiosen eben dadurch auf den Einfall geraten können, mein Ertrinken sei nur eine Erdichtung, um sicherer zu entkommen. In beiden Fällen wären mir zu frühe Häscher und Eilboten nachgeschickt worden.

Ich ging durch das Dorf, grüßte die Leute sehr freundlich und schlich durch einen Umweg auf's Käseck. Die Uhr schlug Zwei, als ich dort anlangte. Sorgfältig durchsuchte ich erst die ganze Gegend, um zu sehen, ob sich niemand hinter dem Gebüsche verborgen halte und mich belauschen könne. Alles war menschenleer und sicher, nur in einiger Entfernung vom jenseitigen Ufer beschäftigten sich mehrere Menschen mit Einsammlung des Getreides. Hinter einem Busche, zunächst am Strande stehend, zog ich mein Ordenshabit ab, legte es auf den Sand am Wasser, die Beinkleider und das Hemd, welche ich umgebunden hatte, dazu, nebst Schuhen und Strümpfen, Hut und Stock, mit aller Zugehör, die immer ein Mönch am Leibe trägt, so daß jedermann glauben mußte, hier hätte sich ein Mönch zum Baden entkleidet. Sogar eine kleine Schreibtafel, die ich immer bei mir zu führen pflegte, und ein wenig Münze ließ ich in den Taschen zurück. In die Schreibtafel hatte ich allerlei Sachen geschrieben, welche die Leser in Absicht auf mein Unternehmen irreführen konnten. Dann band ich mein Halstuch um, setzte eine weiße baumwollne Mütze über mein kurzes krauses Haar, das ich mir, unter allerlei Vorwänden, schon ein paar Monate lang nicht mehr hatte abrasieren lassen und schnitt mir einen Stock von einer Haselstaude. Jetzt trat ich, wie ein Handwerksbursche gekleidet, hinter dem Busche hervor, zog meine Stiefeln aus und machte Tritte in den Sand vorwärts bis ans Wasser, so daß ich auf dem Rückwege, hinter mich gehend, meine Füße in die alten Fußstapfen setzte. Dadurch glaubte ich nicht ohne Grund, die Beobachter dieser Spur würden daraus schließen, derjenige, der seine Kleider hier ablegte, sei zwar hinein in den Strom, aber nicht mehr herausgegangen.

Das Kloster lag prächtig schimmernd gegen Norden, nochmals blickte ich es mit einer Art wehmütiger Empfindung an und sagte zu mir selbst: »Dies ist der Zeitpunkt, da sich dein Schicksal entscheiden muß. Bedenk' es noch einmal! Willst du jenes prächtige Gebäude, wo du – freilich bei vielen Leiden – ein sichres Unterkommen hast, mit einer Aussicht voll Unsicherheit vertauschen? Willst du dich in die weite Welt wagen, ohne zu wissen, ob nicht noch größeres Ungemach als im Kloster deiner wartet? – Ach! Es kann doch nicht größer sein als die Qual, in einem Stande zu leben, den ich verabscheue, und ich werde gewiß mit meinen Händen so viel gewinnen, als ich zum Leben bedarf. Wohlan, in Gottes Namen will ich es wagen!«

Dann warf ich mich hinter dem Busche auf die Knie nieder und sprach mit Inbrunst ein Gebet, worin ich Gott bat, mir auf meinem fernern Wege beizustehen. Dann sprang ich auf, voll Mutes, bedeckte mich, dem Kloster Abschied winkend, mit meinem Hute und wanderte, ohne jemand anzutreffen, getrost durch den Wald an der Donau hinauf bis zu der Brücke bei dem zum Kloster gehörigen Dorfe Münster. Ein Bauer, dem ich vor kurzem einige im Streit befangene Jauchart Ackers gemessen hatte, kam mir mit einem Leiterwagen auf der Brücke entgegen. Mir ward bange, ich fürchtete erkannt zu werden und wußte in der Eile kein besseres Mittel, dies zu verhüten, als daß ich mein Schnupftuch aus der Tasche zog, unter dem großen runden Hute mehr als das halbe Angesicht damit bedeckte und tapfer schneuzte, bis ich am gefährlichen Posten vorüber war. Es half. Der Bauer, der schon des Aufzuges wegen keinen Mönch unter meiner Gestalt vermutete und nun nicht einmal meine Gesichtszüge zu sehen bekam, ließ mich ziehen, ohne etwas zu ahnen. Dieses einfachen Mittels bediente ich mich dann, so oft ich an jemand vorüberwanderte, von dem ich nur irgend vermutete, er möchte mich kennen.

Ohne die Straße zu suchen, ging ich auf einem Feldwege bis ans Reichsstift-Kaisersheimische Dorf Tapfheim. Da ich in der Eile meine Mittagsportion zu trinken versäumt hatte und der Tag sehr heiß war, so zog ich unten am Fuße des Hügels, auf dem das Schloß des Kaisersheimischen Pflegers steht, meinen Hut vom Kopfe, um damit Wasser aus der klaren Quelle Zu schöpfen, die da hervorrieselte. Sowie ich trank und die Augen zum Schlosse erhob, bemerkte ich am Fenster unsern Pater Großkellerer Benno und erschrak nicht wenig über diesen unverhofften Anblick. Soviel ich mich noch erinnern kann, war vor etlichen Tagen die Pflegerin verstorben, das Kloster H. Kreuz hatte einen seiner Religiosen zu den Exequien dahin geschickt, und nun war das Leichenmahl vollendet, und die Geistlichen genossen am Fenster der schönen Aussicht umher. Geschwind verbarg ich mein Antlitz wieder unter dem großen Hute, ging langsam vorüber und wagte es kaum, durch einen schnellen Blick zum Schlosse hinauf zu erforschen, ob meine Gegenwart keine Bewegungen verursache. Aber niemand änderte seine Stellung, außer daß einer mit dem Fernrohr auf mich zielte. Bange und ohne mich noch einmal umzusehen, schritt ich durch den untern Teil des Dorfes und schlich, als ich mich hinter den Häusern vor dem Fernrohr im Schlosse bereits für gedeckt hielt, geschwind in ein offenes Bauernhaus, bat die Bäuerin um Milch und lauschte, indes ich sie verzehrte, ob nicht eine mir verdächtige Nachfrage gehalten oder Späher ausgeschickt würden. Aber alles blieb ruhig, und ich ging ohne Anstoß nach Schwenningen und von da auf meine Vaterstadt Höchstädt zu. Bei ihrem Anblicke fühlte ich erst lebhaft, wie sehr es meinen Vater erschüttern würde, wenn er vernähme, ich sei ertrunken oder gar entwichen. Daß ihn das letztere noch mehr als das erstere schmerzen müßte, empfand ich nun deutlich. In diesem Momente wünschte ich im Kloster geblieben zu sein. Aber ich war nun einmal auf dem Wege und konnte nicht wohl wieder umkehren. Gerührt und seufzend bat ich Gott um Segen und Trost für meinen Vater, wandte mich um das Städtchen herum durch allerlei mir bekannte Gartengäßchen, ging in der Dämmerung durch das Dorf Steinheim und entschloß mich, im Dorfe Schretzheim, weil es etwa eine Viertelstunde seitwärts von der Straße abgelegen ist und ein artiges Wirtshaus hat, zum erstenmal zu übernachten. Nun war ich fünf Stunden Weges von Donauwörth entfernt. Ich ließ mir Essen und Trinken schmecken und war ziemlich guter Dinge. Da fragte mich der Wirt, der sich zu einem gesprächigen Gaste gesetzt hatte, wer ich sei und woher ich komme. Flink war ich mit der Antwort da: »Ich bin im Kloster Blankstetten Noviz gewesen, aber weil es mir da nicht gefiel, verließ ich wieder den Orden!« Die Augen und Mienen des Wirtes erheiterten sich, er bot mir vergnügt die Hand, schlug ein und sagte frohmütig: »Heißa, lustig, mein Herr! Wenn Sie im Kloster Blankstetten gewesen sind, so müssen wir noch einen guten Schoppen miteinander trinken, ich bin dort viele Jahre lang Konventdiener gewesen! Erzählen Sie mir von meinen alten Bekannten! Was macht der Prälat und der Pater .... und der Pater ...?« »Verwünscht!« dachte ich, »soll ich mich schon bei der ersten Einkehr verraten? – Laß sehen, ob es nicht möglich ist, unentdeckt durchzukommen!« Aber ich wußte vom ganzen Kloster Blankstetten, das im Bistum Eichstädt liegt, eigentlich nichts weiter, als daß der Prälat einen neuen Garten mit Terrassen hatte anlegen lassen, und daß ein junger Religiose dieses Klosters vor ein paar Jahren mit unserm Pater Cölestin in Ingolstadt studierte. Ich half mir also mit Umständen durch, die ich aus dem Mönchsleben überhaupt aushob und an diese beiden Nachrichten, so gut es gehen wollte, anreihte, dabei benutzte ich alle näheren Beschreibungen und Züge, mit denen mich der Wirt selbst durch sein fortgesetztes Gespräch je länger je mehr bekannt machte, und es gelang mir so gut, daß er mich ganz zufrieden in mein Schlafzimmer führte und den andern Tag gleichsam als einen neuen werten Bekannten entließ.

Den 30. August am frühesten Morgen brach ich auf und wanderte an Dillingen vorüber der Stadt Lauingen zu. Weil ich wußte, daß heute der Neuburger Bote, der mich sehr wohl kannte, mit seinem Wagen auf dieser Straße mir gerade entgegenkommen könnte, spähte ich immer eine große Strecke voraus und flüchtete mich, so oft ich glaubte, er komme, beiseite ins Getreide. Unangefochten kam ich nach Lauingen, machte einen großen Umweg rings um die Stadt herum und ging, ohne irgendeinen Gasthof zu besuchen, über Gundelfingen, dessen Mauern ich ebenfalls umschlich, auf Günzburg zu. Ich wollte deswegen nirgends einsprechen, damit mich Nacheilende weniger erfragen könnten. Allein die heftige und lange Bewegung, die ungewohnte Kost und die frische, etwas feuchte Morgenluft, Müdigkeit, Hunger und Durst wirkten auf dem weiten Wege über das breite Donauried so widrig auf meine Eingeweide, das mich erst eine schneidende Kolik und dann eine so große Übelkeit befiel, daß ich meine Zuflucht in einer etwas entlegenen Kiesgrube suchen mußte. Etwa eine Stunde lag ich nicht ohne heftige Schmerzen in der Grube, erholte mich endlich wieder und wanderte meine Straße fort. Allein die Füße waren mir vom ungewohnten Gehen in den Stiefeln so sehr geschwollen, das ich es kaum mehr aushalten konnte. Als ich an eine lichte Stelle im Walde kam, wo man eine schöne Aussicht auf das sehr romantisch gelegene Schloß Reisenspurg hat, fand ich einen Mann, der die Fahrgeleise der Straße ausbesserte. Müde setzte ich mich an den Straßenrand und bat ihn, mich der drückenden Stiefel zu entledigen, aber es war nicht möglich, ihrer los zu werden, ohne die Nähte aufzuschneiden. Ich tat es, schenkte die Stiefel dem Manne und zog die neuen Schuhe an, die ich aus Vorsorge zu mir gesteckt hatte. Aber auch sie waren mir zu enge, und ich ging wie auf Glut bis nach Günzburg. Hier hatte ich zum erstenmal an einer Wache vorüber zu passieren. Sorgfältig wischte ich den Staub von meinen Schuhen, warf den Haselstock weg und ging gerade so, wie wenn ich längst im Städtchen gewohnt hätte und jetzt nur von einem Spaziergange zurückkäme, nachlässigen Schrittes auf das Tor zu, lehnte mich tändelnd ans Geländer neben dem Wege, blickte in die Stadt, um das Schild eines Gasthofes auszuspähen und ihn im Notfalle als meine Herberge angeben zu können, spazierte neben ankommenden Kornwagen durchs Tor und ging von der Wache unbefragt und unbemerkt in das Wirtshaus zum Kreuze. Den Fall, mein Attestat vorzeigen zu müssen, suchte ich auf alle Weise zu vermeiden, weil ich immer einige Furcht hatte, es möchte dasselbe sich durch irgendeine Irrung im Stil oder in der Form als illegal verraten.

Das erste nun, um was ich die Wirtin bat, war, daß sie mir ein Paar Schuhe, die für meinen Fuß paßten, verschaffen möchte. Sie schickte sogleich im ganzen Städtchen herum, aber nirgends wollten sich dergleichen finden. Sehr freundlich unterhielt sie mich, indes ich Speise und Trank mir trefflich schmecken ließ. Es dünkte mich, ich hätte die Frau schon irgendwo gesehen. Allein ich dachte: »Viele Leute sehen einander gleich, du wirst dich irren!« »Darf ich fragen,« sagte sie unter anderm, »wo sind Sie im Kloster gewesen? Ihr Haar ist abgeschoren, wie es die Ordensgeistlichen tragen.« Um nicht mit dem Kloster Blankstetten noch einmal in Verlegenheit zu kommen, antwortete ich: »Zum heiligen Kreuze in Donauwörth bin ich Novize gewesen und nun wieder aus dem Kloster gegangen; meine Eltern haben mir Geld zur Heimreise geschickt, es ist aber lauter Silbergeld, läßt sich nicht gut verbergen und schlägt mich im Gehen sehr schmerzlich auf die Beine, wollen Sie nicht die Güte haben, mir dasselbe gegen einige Goldstücke auszuwechseln?« »Geben Sie nur her,« erwiderte sie und warf scharfe Blicke auf mich, »ich will sehen, ob mein Mann es auswechseln will.« Ich zählte ihr etwa 24 französische Laubtaler hin. »Sie kennen also den Oberamtmann Walter sehr wohl?« fuhr sie indes fort, »es ist mein nächster Anverwandter, und ich dachte schon vorher, ich hätte Sie irgendwo gesehen. Was macht der Herr Prälat?« Die Wirtin müßte keine Frau gewesen sein, wenn sie mir nicht einige Verwirrung angesehen hätte. Schon öfters und erst vor kurzem war sie in Donauwörth mit mir an einer Tafel gesessen. »Das hast du wieder gut ersonnen,« dachte ich, »nun setzest du dich aus dem Regen in die Traufe! Aber laß dich nicht irre machen und beantworte unbefangen alles, was sie dich fragt! Sie wird dich hoffentlich nicht mehr so ganz genau kennen.« – Ohne Anstoß befriedigte ich nun ihre Wißbegierde, so daß ich glaubte, sie könne keinem Zweifel an meiner Aufrichtigkeit Raum geben. Allein, als sie mich verließ, um das Gold zu holen, blieb sie lange weg. Ich stellte mich unter die Tür. Ihr Mann kam vom Felde zurück; sie hatte wahrscheinlich nach ihm geschickt. Kaum war er zu ihr in die Küche getreten, so hörte ich sie sagen: »Mann, sieh doch zu, was das für ein Mensch ist, der in der Stube sitzt. Er gibt sich für einen Novizen vom heiligen Kreuz aus, aber er scheint mir viel zu alt, und ich meine, ich habe ihn schon vor zwei Jahren in Donauwörth gesehen, und das Noviziat dauert doch nicht länger als ein Jahr! Du sollst ihm Gold für dies Silbergeld geben, er kann jetzt nicht wohl fort, ehe er sein Geld hat. Fühle du ihm vorher ein wenig auf den Zahn! Der Mensch kommt mir etwas verdächtig vor. Vielleicht ist er gar ein verkleideter Pater!«. Leise trat ich zurück ins Zimmer; es war mir bei diesem Gespräche in der Tat nicht recht heimlich ums Herz. Der Wirt kam, fragte mich sehr treuherzig aus und ging, als er nichts Ängstliches und keinen Widerspruch in meinen Antworten bemerkte, beruhigt in seine Kammer, um sechs neue Louisd'or zu holen. Freundlich überreichte er sie mir und riet mir, sie in ein Kleidungsstück zu nähen. Ich folgte seinem Rate, nähte sie oben in den Wulst meiner Strümpfe und ward von beiden Eheleuten mit vielen Glückwünschen entlassen. Erst als ich aus der Stadt war, atmete ich wieder recht frei!

Das Gehen ward mir der wunden Sohlen und engen Schuhe wegen so sauer, daß ich froh war, als mich ein Metzger, der mich eine geraume Zeit auf der Straße vor sich herhinken gesehen haben mochte, gutherzig auf seinen einspännigen Karren nahm und mich in Gesellschaft einiger Kälber nach Lipheim transportierte. Auf diesem herrlichen Fuhrwerke hatte ich Zeit, über die Gefahren nachzudenken, denen ich entgangen war. Am lebhaftesten schwebte mir die Verlegenheit vor Augen, in die mich meine Unbesonnenheit gestürzt hätte, wenn mir im Wirtshause zu Schretzheim mein Attestat wäre abgefordert worden. Es lautete von Donauwörth und ich sprach von Blankstetten. Ernstlich nahm ich mir vor, im Falle der Not mich künftig an mein Attestat zu halten; ohne diese Vorsicht fühlte ich wohl, daß ich dann verloren sein müßte.

Mit Schmerzen hinkte ich, bis die Sonne hinabsank, nach Unter- und Ober-Fahlheim und wollte müde und matt meine Nachtherberge in einem Wirtshause, das am Ende des Dorfes liegt, nehmen. Allein ich verzankte mich mit der Wirtin, bezahlte und ging aufgeregt davon. Diesen trotzigen Starrsinn mußte ich ein paar Stunden lang teuer büßen, denn es war mir bei jedem Schritte, wie wenn ich auf Dörner und Nadeln träte. Dennoch besiegte ich den Schmerz, lief in einer Art von verbissenem Grimm durch das nächtliche Dunkel dahin, tröstete mich immer, ich würde bald an ein Dorf kommen, und traf dennoch keins mehr an. Eine Chaise fuhr mir so schnell entgegen, als die Pferde zu laufen vermochten; um nicht überfahren zu werden, trat ich einen Augenblick in den Straßengraben. Eine weiße Figur stand in der Chaise. »Entweder ist's ein Mann im Hemde oder ein kaiserlicher Offizier«, dachte ich. Unbekümmert lief ich weiter, achtete der wunden Sohlen nicht mehr und merkte nach etwa dreiviertel Stunden an einigen in der Ferne flimmernden Lichtern, daß ich endlich einem Orte näher käme. Plötzlich warf mich etwas so unsanft zurück, wie wenn ich den heftigsten Schlag vor die Stirne bekäme. Ich fiel nach der Länge rückwärts zur Erde. Es war weiter nichts als der Schlagbaum eines Zollhauses, wider den ich im Finstern mit aller Gewalt angelaufen war. Wie betäubt lag ich eine Weile im Staube; als ich zu mir selber kam, standen der Zöllner und seine Frau mit Lichtern bei mir, bedauerten meinen Unfall, sagten, ich wäre zunächst an Ulm, und rieten mir, als sie mich unbeschädigt sahen, so schnell als möglich zu laufen, um noch vor der letzten Sperre zum Batzentor eingelassen zu werden und mich von Schrecken und Müdigkeit in einem guten Gasthofe erholen zu können. Ich strengte nochmals, so schwer es mir auch ward, alle Kräfte an und gelangte glücklich, noch zu rechter Zeit, vor 10 Uhr nämlich, ans Tor, ward in die Wachtstube geführt, von einem alten Feldwebel ausgefragt, mußte zum erstenmal mein Attestat vorzeigen, das er echt und gültig fand und durfte unangefochten in die Stadt wandern. Da ich niemals in Ulm gewesen war, hatte ich Mühe, so spät in der Nacht als Fußgänger ein Wirtshaus zu finden, wo man mir ein Nachtlager gönnen mochte. Endlich wies man mich zur Sonne, wo ich mit kalter Küche und einem reinlichen Bette wohl bedient ward.

Sobald ich den andern Tag aufstand und zu den übrigen Gästen ins Zimmer kam, hörte ich erzählen: Eben sei auf dem Posthause die Nachricht eingetroffen, gestern zwischen neun und zehn Uhr nachts wäre ein Reisender in seiner Chaise von Räubern angefallen worden, der Postillon hätte sich durch die Flucht gerettet, der Reisende aber, nachdem er bis aufs Hemde ausgeplündert und halb erschlagen in der Chaise verlassen worden, hätte sich wieder erholt, die Pferde so schnell als möglich angetrieben und wäre, nur mit einem Hemde bekleidet, in Fahlheim angekommen. Ich konnte nicht anders denken, als die weiße Figur, die ich gestern auf dem Wege antraf, müßte der Beraubte gewesen sein, und dankte Gott, daß er mich, der ich der Gefahr so nahe war, nicht auch in Räuberhände geraten ließ.

Die Kellnerin im Hause, die Tochter eines Schuhmachers, hatte außerordentlich viel Ähnlichkeit in der Gesichtsbildung mit Minchen und überdas einen so vollen und schön gewachsenen Busen, wie ich noch nie einen gesehen hatte. Als ich ihr gestern über meine engen Schuhe klagte, riet sie mir, sie über dem Leisten ausschlagen zu lassen und erbot sich sogleich, sie ihrem Vater zu bringen. Beim Frühstücke trieb sie sich in einem leichten Nachtkorsettchen immer vor meinen Augen herum und mochte wohl aus meinen Blicken gemerkt haben, daß mir ihr Wuchs nicht mißfiel. Zuweilen setzte sie sich wohl gar scherzend an meine Seite. Ich meinte manchmal, ich müßte sie umarmen und die anlockenden Halbsphären sanft drückend berühren. Aber der Gedanke: »Sie ist eine Kellnerin!« und: »Tor, der du kaum dem Kerker entronnen bist, du wolltest dich schon der Wollust überlassen? O, so würdest du vom Himmel wenig Segen auf die Reise verdienen!« diese und ähnliche Gedanken hielten mich jedesmal wieder zurück, und ich bat schon um halb sieben Uhr morgens um meine Schuhe. Aber erst um neun Uhr erhielt ich sie nach vielem Drängen und Flehen, samt einem Verweise, daß ich so sehr eilte, da doch die Schuhe länger über den Leisten gespannt bleiben müßten, wenn sie weiter werden sollten und dergl. Sie waren auch beinahe so eng wie gestern, und ich sah mich gezwungen, mit Schmerzen wieder meines Weges zu hinken.

Die Straße nach Erbach, einem Freiherrlich von Ulmischen Dorfe, samt einem auf einer schönen Anhöhe gelegenen, weit sichtbaren Schlosse, führt eine halbe Stunde von Ulm auf einen kleinen Hügel, auf dem mich die reizende Aussicht links nach dem Kloster Söflingen, rechts ins Donautal nach der Reichsprälatur Wiblingen und gerade vor mir hin über die Reichsstadt Ulm zum Ausruhen einlud. Mitleidig gedachte ich der Schwester eines meiner Klosterbrüder, die in Söflingen unter dem Drucke der Klostergelübde seufzte, und eines jungen Ordensmannes von Wiblingen, mit dem ich zu Eichstädt im besten Vernehmen gestanden hatte; auf einmal schreckte mich der Galopp eines heransprengenden Reiters im blauen Mantel aus meinen Betrachtungen auf. »Jagt er vielleicht mir nach?« dachte ich und ging erschrocken einen kleinen Fußweg hinab, der von der Straße abführte, um mich hinter einem Gebüsch am Abhange seinen Blicken zu entziehen. Der Reiter lenkte aber sein Pferd ebenfalls auf den Fußweg, den ich gegangen war. Meine Angst wuchs. An einem Strauch bückte ich mich nieder, wie wenn das Bedürfnis mich dazu nötigte, in der Absicht, wenigstens mein Angesicht unter dem Hute vor ihm zu verbergen. »Guter Freund!« fragte er, als er an mir vorüberritt, »ist das der kürzeste Fußweg nach Erbach?« »Mein Herr!« antwortete ich etwas mutiger, »ich bin in dieser Gegend unbekannt und wandre zum erstenmal des Weges!« Da nahm er seine Peitsche und schnalzte mir eins über den Hut, indem er aufgebracht rief: »Närrischer Kerl! du hast mich irregeführt! Was läufst du denn so weit von der Straße weg, wenn dich weiter nichts dazu drängt, als was jedermann tun muß?« Er sprengte davon. Diese Begegnung verdroß mich zwar, aber da der Peitschenhieb eben nicht schmerzte, so mußte ich wohl noch froh sein, daß sich das Gewitter, welches ich schon über meinem Scheitel donnern hörte, so unschädlich entladen hatte.

Der Fußpfad führte mich nahe am sogenannten Taubenried vorüber. Ich bemerkte dort allerlei sehr regelmäßig angelegte Gräben und dachte, daraus würde wohl Hafnerton gewonnen, wie in unsrer Viehweide zu Höchstädt. Aber als ich näher hinzutrat und schwärzliche Rasenstücke, wie Ziegelsteine mit Zwischenräumen, um den Durchzug der Luft zu befördern, zum Trocknen übereinander gestellt sah, wußte ich gar nicht, was ich aus der Sache machen sollte, denn niemals hatte ich etwas dergleichen gesehen. Lange stand ich dabei und zerbrach mir den Kopf, zu was diese Rasenstücke, deren ich noch eine Menge in ordentlichen Schichten an den Seiten der Gräben erblickte, wohl dienen möchten. Bereits hatte ich in Gedanken eine Art Baumaterialien daraus gemacht, da trat ein Mann mit einem Kästchen auf dem Rücken zu mir und fragte lächelnd: »Was ich hier zu bewundern fände? Er hätte mich schon länger beobachtet.« Ich gestand ihm, daß ich nicht wüßte, zu welchem Gebrauche diese Rasenstücke verwendet würden. Da lachte er hell auf und sagte: »Kennt Er denn nicht, was Torf ist? Man braucht ihn zum Brennen, wie Holz.« Dies verwickelte mich in ein langes Gespräch mit dem Manne und kürzte mir, während wir unsrer Straße zogen, auf eine nicht unangenehme Weise die Zeit. Der Unbekannte war ein Krämer, der mit Federkielen handelte und noch zur Messe nach Zurzach kommen wollte. Er wußte mir ohne Unterlaß allerlei bald schnakische, bald romantische, bald fürchterlich groteske Histörchen zu erzählen, und so kamen wir, so sehr mich auch meine Füße schmerzten, doch früher als ich dachte nach Erbach.

In der Schenke daselbst aß ich zu Mittag und ließ meine wunden Füße eine gute Weile ausruhen. Ein Werber saß bei uns, als ich eben über meine engen Schuhe klagte, nahm dieselben in Augenschein und erbot sich, als er sie neu befand, mir die seinigen dagegen zu überlassen. Sie paßten ziemlich an meine Füße, wenigstens waren sie weit genug. Mein Krämer zupfte mich am Rockschoße, stieß mich an den Ellbogen, räusperte sich und raunte mir endlich, als das alles nicht helfen wollte, ganz leise in die Ohren, ich sollte mich mit dem Werber nicht abgeben, wenn ich einmal seine Schuhe anzöge, müßte ich ohne Gnade dänischer Soldat werden. Ich lächelte über seine Besorgnis, lispelte ihm leise wieder zu: »Ich bin ja zu klein!« und wechselte mit dem Werber die Schuhe, der sich mit vielem Wohlgefallen an der neuen Bekleidung seines Fußes die Stube auf und ab trug. Mir war auch ganz wohl in den weiten alten Schuhen, und ich ging mit meinem Gesellschafter, dem Krämer, über Donaurieden, ein kleines, der Familie Ulm gehöriges Dorf, nach Tischingen, wo die Herrschaft, ein Graf Schenk von Castell, eben ein Zuchthaus baute. In jeder Schenke sprachen wir ein, denn der Krämer war ein großer Liebhaber von Erfrischungen. Vor den Toren des kleinen österreichischen Städtchens Ehingen, wo er Geschäfte hatte, schieden wir uns, und ich wandelte allein und fröhlich an einigen Dörfchen hin nach Marchtal. Auf einer kleinen Anhöhe, dem Städtchen Munderkingen gegenüber, fingen heranziehende Wolken mich wacker zu netzen an, der ganze Himmel umzog sich mit Regen und ließ mir die Aussicht auf eine sehr nasse Wanderung. Ich fühlte wohl, daß ich deswegen nicht stille liegen dürfte, sondern daß ich, ohne mich zu säumen, täglich weiterreisen müßte, um von keinem nachjagenden Donauwörther Mönche ereilt zu werden. Da nun, nach meiner Berechnung, die ans Ufer gelegten Kleider gefunden waren und im Kloster der Lärm bereits begonnen haben mußte, so dachte ich, morgen sei es Zeit, die offene Landstraße zu meiden und auf Nebenwegen zu wandeln, um auch die Möglichkeit, in die Hände eines Verfolgers zu fallen, aufzuheben. Heute, da es noch nicht wohl möglich war, mich einzuholen, wollte ich etwas früher eine Nachtherberge suchen, um dem Regen zu entgehen, von meiner Ermüdung auszuruhen und meine Kräfte auf die künftige Reise durch etwas Gütlichtun zu stärken.

Als ich zu dem Wirtshause kam, das einsam an dem einen Ende der Donaubrücke steht, an deren anderm Ende das den Freiherren von Späth gehörige Schloß und Dorf Untermarchtal liegt, schallte mir eine lustige Bauernmusik daraus entgegen. Der Ton lockte mich an, und ich trat in die Stube. Es ward eben die sogenannte Sichelhenke, das Ende der Ernte gefeiert; ein buckliger Mann mit einem Hackbrettchen (einer Art Zembal), ein andrer mit einem Dudelsack, der sich an die Knie Schellen gebunden hatte, um mit den Beinen den Takt zu rollen, und ein großer Bube, der den Baß dazu sägte, reizten hier alle jungen Füße zum Hüpfen; ich nahm Platz am leersten Tische und belustigte mich an der allgemeinen Freude. Einige Alten saßen bei mir, hatten ein großes hölzernes Gefäß voll Birnmost vor sich und ließen sich's tapfer schmecken. Ich ward sogleich mit Essen und Trinken zum Überfluß versehen. Kaum hatte ich abgespeist, so kam ein kurzes, mutwilliges Mädchen herbei und forderte mich zum Tanze auf. »Das ist unmöglich, mein Kind!« sagte ich, »ich habe so wunde Füße und bin so müde, daß ich kaum gehen kann, wie soll ich tanzen?« »Ei, man ist zum Tanzen nie zu müde, wir haben auch bis zum Abend im Felde gearbeitet und sind nun doch lustig! Komm du nur mit!« Ich versuchte aufzustehen, aber meine Sohlen schmerzten mich so sehr, daß ich mich kaum auf den Beinen zu halten vermochte. »Es ist umsonst, du frohes Mädchen! Ich kann dir nicht folgen. Vergib!« »Ei, so bleib' sitzen, du Totentanz!« sagt« sie schnippisch und böse, »ich glaubte, du seist ein lustiger Kerl, doch ich sehe schon, es ist kein Leben in dir! Merke dir's aber, wenn du nicht tanzest, so sollst du mir auch nicht ruhig schlafen!« Ich lachte, sah dem Spaße noch eine gute Weile zu und ließ mich endlich zu Bette führen. Das schalkhafte Mädchen leuchtete mir in eine Kammer. »Ich wünsche dir keine gute Nacht,« sprach sie; »weil du mich beim Tanze verschmäht hast, so wirst du gewiß nicht ruhig schlafen,« und hüpfte davon. Ich dachte: »Das müßte wunderlich sein, wenn ich mit so müden Gliedern nicht schlafen könnte,« nahm das Bett in Augenschein, fand es reinlich und neu überzogen, verriegelte die Tür wohl, löschte das Licht aus und legte mich zur Ruhe. Sogleich schlief ich ein, aber nicht lange, so erwachte ich wieder. Es war mir, als wenn rieselndes Feuer die Haut meines Körpers um und um sengte. Erschrocken dacht' ich: »Ist dies etwa der Anfang eines hitzigen Fiebers, oder ist es das sogenannte fliegende Feuer, eine Hautkrankheit, die von innerlicher Schärfe herrührt? O wie unglücklich bist du, wenn dich auf dem Wege eine Krankheit ins Bett wirft!« Meine Bangigkeit wuchs mit meinen Betrachtungen. Ich stand auf und schlug ein Licht, denn ich hatte zur Vorsicht Feuerzeug auf die Reise mitgenommen, aber ich konnte keine Spur von Krankheit an meinem Leibe finden. Nur die Blattern an meinen Füßen schmerzten mich sehr, so daß ich fürchtete, ich würde den kommenden Morgen kaum gehen können. Eine Salzbüchse stand auf dem Tischchen neben den Leuchtern. Weil ich einst im Kloster eine Wunde am Finger schnell heilen sah, nachdem ich Salz darein gestreut hatte, so entschloß ich mich, die Blattern aufzuschneiden; ich öffnete sie mit einem Scheerchen und streute Salz darein. O, es war ein unleidlicher Schmerz! Winselnd warf ich mich ins Bett und verwünschte meine tolle Kurart. Aber noch hatte der Schmerz nicht völlig verwimmert, da goß es sich wieder wie Feuer über meinen ganzen Leib. Das Licht brannte noch, schnell warf ich die Decke von mir, um zu sehen, was mich so quälte. Hu! da war es eine solche Menge kleiner, hüpfender und etwas breiter, häßlicher Insekten, daß ihre Heerzüge die Betttücher bräunten und mir alle Lust benahmen, länger eine solche Schlafstätte einzunehmen und ihnen zum Futter zu dienen. Flink sprang ich heraus, verwünschte das Mädchen, das mich zu Bette geführt hatte und durchsuchte den Saal, durch den ich in meine Kammer gekommen war, ob ich nirgends ein besseres Lager vorfinden könnte. Glücklicherweise stand dort auf einem ganz einfachen Schragen ein Bett im Winkel, ich untersuchte seine Beschaffenheit und fand es reinlich. Da ich auf der Reise immer zwei Hemden trug, wovon ich das eine, ehe ich schlafen ging, ablegte, so wechselte ich jetzt die Hemden, um mich der unwerten Gäste, die sich darin einquartiert haben mochten, zu entledigen, und legte mich getrost im Saale zu Bette. Ich mochte ein paar Stunden geschlafen haben, da donnerte mich eine fluchende Baßstimme aus dem Traume, ein starker Arm ergriff meine Schulter und riß mich auf die Erde heraus; ein großer Kerl mit einer Laterne stand vor mir, ballte die Faust und sagte wütend: »Das Bett ist mein, du fremde Kröte, wer hieß dich darein liegen? Gib Antwort oder ich zertrete dich!« Von Schlaf und Schrecken betäubt, erklärte ich mich, so gut ich konnte und sein Ungestüm es erlaubte, aber er fluchte, stampfte und drohte so lange, bis die Wirtin herbeigelaufen kam, ihn besänftigte und zu einer andern Schlafstelle wies. Nun durfte ich endlich ungestört ruhen, bis der Tag anbrach.

Ich hörte einen starken Regen plätschern, als ich erwachte, aber ich ermannte mich doch, verzehrte ein gutes Frühstück und zog herzhaft meiner Straße. Bald fühlte ich mich ganz durchnäßt; aber die Nässe plagte mich weit weniger als meine Schuhe. Die Geschwulst an den Füßen hatte sich über Nacht gelegt, und die Schuhe waren mir zu weit geworden. Fast bei jedem Schritte, den ich auf den weichen Fußpfad setzte, blieb mir der Absatz im zähen Schlamme stecken, der Schuh zog sich von der Ferse, und ich sah mich alle Augenblicke genötigt, mich niederzubücken, um ihn wieder anzuziehen. Dies machte mein Fortkommen so beschwerlich, daß ich mich beinahe entschlossen hätte, solange im Kloster Marchtal, das mir prächtig entgegenglänzte, einzusprechen, bis das schlimmste Wetter vorüber sein würde. Allein die Furcht, dieser Schritt könnte zu meiner Entdeckung Anlaß geben, hielt mich zurück, und ich harrte in einer Feldkapelle am Wege, bis der heftigste Regenguß verrauscht war; dort stach ich in das Hinterteil meiner Schuhe kleine Löcher, zog Bindfäden hindurch und befestigte sie so an dem Fuße, daß ich, ohne sie wieder im Schlamme stecken zu lassen, ruhig und bequem gehen konnte. Im Dorfe Dattenhausen trat ich in die Schenke, um meine Kleider zu trocknen, konnte aber nichts zur Erquickung erhalten als Wasser und Brot, denn an dem Kirschenwasser, das mir vorgesetzt ward, hatte ich Ekel wie an allen gebrannten Wassern. Hier erkundigte ich mich, ob kein kürzerer Weg als die Landstraße nach Riedlingen führe. Ein Mann, der schon lange mein volles Branntweinglas, das ich verschmähte, angelacht hatte, erbot sich, mir über die Wiesen hin einen bequemen Weg zu zeigen, wenn ich ihm mein Kirschenwasser abtreten und noch ein kleines Trinkgeld geben wollte. Da die Wahrscheinlichkeit immer größer ward, daß meine Verfolger, wenn sie mir nachkämen, nun bald an meinen Fersen sein würden, so nahm ich dies Anerbieten um so lieber an, da mich der Mann versicherte, man könnte auf dem Pfade, den er mich führen wollte, weder zu Pferde noch im Wagen fortkommen. Als sich das Wetter ein wenig aufheiterte, begleitete er mich durch den Wald und allerlei wilde Gegenden unweit des Dorfes Zwiefalten auf eine Anhöhe, von der wir eine schöne Aussicht das Donautal hinauf hatten. Hier zeigte er mir die Stadt Riedlingen in der Ferne und einen Bauernhof in der Ebene an der Donau, wohin ich mich wenden müßte, um über diesen Fluß und nach Riedlingen zu kommen. Meinem Plane getreu, die Landstraße zu meiden, ging ich, wohin er mich wies, und kam nach langem Wandern endlich auf einer großen Heide zu einer kleinen Kirche mit einem artigen Gärtchen. Meine Füße waren so wund, daß ich kaum mehr auftreten konnte, und ein schmerzliches Bauchgrimmen stellte sich ein, so daß ich froh war, auf der Bank nahe bei der Kapelle ein wenig ausruhen Zu können. Ächzend saß ich da und glaubte mich mit meinen Schmerzen ganz allein, denn ich sah keine besondere Wohnung hier für irgendeinen Menschen und dachte, es müßte in der Nähe ein Dorf sein, wohin die Kapelle und des Mesners Gärtchen gehörte. Die Sonne wollte untergehen, und ich sah noch kein Ende der Heide. Ich brach in laute Klagen aus. Auf einmal rief mir eine freundliche Stimme vom Kirchendache zu: »Guter Freund! was fehlet Ihm? Kann ich Ihm helfen?« Und eine ehrwürdige Figur mit weißem Barte fiel mir in die Augen; es war ein Eremit, der sich hier angesiedelt hatte und mich nun, da ich nichts weiter verlangte, sehr liebreich auf den rechten Weg wies. »Dort drüben ist die Landstraße,« sagte er und zeigte mir mit dem Finger die Gegend, »bald wird der Postbube mit dem Felleisen auf einem kleinen Wagen vorüberfahren. Ich sehe, der Herr kann vor Mattigkeit kaum mehr gehen. Setz' Er sich dort an die Straße und verspreche Er dem Jungen ein gutes Trinkgeld, so nimmt er Ihn wohl nach Mengen mit, wenn Er vor dem Tore abzusteigen verspricht.« Ich dankte dem freundlichen Greise und wartete an der Landstraße. Der Knabe kam, ließ sich erbitten und setzte mich für einen halben Gulden auf das Felleisen zu seinen Füßen. O, wie wohl war mir da! Wie gern gab ich dem Knaben vor dem Tore von Mengen, wo ich abstieg, mehr als er verlangt hatte! Ohne dies Hilfsmittel hätte ich unter freiem Himmel übernachten müssen, denn ich wäre nicht mehr imstande gewesen, eine Viertelstunde weit zu gehen, so matt hatten mich Grimmen und Durchfall gemacht, und so sehr schmerzten mich meine Füße.

Ich schleppte mich, so gut ich konnte, ins Wirtshaus zum Hirschen, verzehrte mein Nachtmahl und war eben im Begriffe, zu Bette zu gehen, da trat ein Postknecht ins Zimmer und fragte: »Ob niemand zugegen sei, der ihn auf dem Rückwege nach Mößkirch begleiten wolle? Er verlange weiter keine Belohnung, als daß der Reisende für seinen Kameraden und ihn soviel bezahle, als beide bis dahin an Wein und Brot verzehren möchten.« Da ich hoffen durfte, auf diese Weise schnell weiter zu kommen, ohne ermüdet zu werden, so verstand ich mich gern dazu. Sogleich wurden Flaschen für die Postknechte herbeigebracht, und die Kerle zechten nach Herzenslust. Ich legte mich indes auf ein Bänkchen am Ofen und schlief. Als die Glocke zehn Uhr schlug, rüttelten mich die Betrunkenen aus dem Schlafe, ließen mich eine schöne Zeche bezahlen, führten mich zu Fuße vor's Tor und setzten mich in die Chaise; der weniger Berauschte stieg zu Pferde, der andre nahm Platz an meiner Seite. Beide schliefen bald ein, und ich mußte den Reitenden alle Augenblicke wecken, damit er die Pferde antreiben möchte. Es war eine schöne, sternenhelle Nacht. Nebel lagen im Donautale, an dem wir auf einer kleinen Anhöhe hinfuhren. Des ewigen Weckens müde, schlief ich endlich selbst ein und erwachte erst, als ich merkte, daß die Pferde mit dem Wagen in einem Bächlein stünden und stampften, der Postknecht an meiner Seite war verschwunden, der andre hing schnarchend auf seinem Sattel. Ich weckte und ermahnte ihn, weiter zu fahren, und fragte, wohin sein Kamerad geraten wäre? »Ach, er hat ein Mädchen dort im Dörfchen und lief hin, um es geschwind zu besuchen, aber der Tor bleibt verwünscht lange aus. Wenn er nur käme! Meine Pferde sollen den Postwagen nach Stockach führen, und vielleicht folgt uns der Wagen schon in der Nähe!« Er harrte noch eine Weile und nickte wieder ein. Die kalte Morgenluft begann mir etwas beschwerlich zu fallen. Aber was konnte ich tun? Der Entfernte war doch nicht herbeizuzaubern und mußte erwartet werden. Geduldig drückte ich mich in eine Ecke der Chaise und überließ mich meinen Betrachtungen. Der Knecht auf dem Pferde hing wieder schnarchend auf seinem Sattel, nickte immer tiefer und tiefer zur Linken hinab und fiel endlich, ehe ich's dachte, in den Bach. Ich mußte lachen, indes er fluchend sich aufraffte, seine Kleider, so gut es gehen wollte, auswand und zitternd vor Kälte am Ufer stand. Die erste Dämmerung begann zu grauen, und der Ton eines Posthorns tönte kaum hörbar aus der Ferne. »Nun kommt uns der Postwagen schon nach!« rief er und sprang unter Verwünschungen ins Dorf, um seinen Kameraden zu holen. Den Pferden mochte das lange Stehen im Wasser zuwider sein, und sie trabten, als sie sich so ganz frei fühlten, erst langsam, dann immer schneller ihres Weges. Es währte eine gute Weile, bis ich aus der Chaise auf den Bock kriechen, des Leitseils habhaft werden und sie anhalten konnte. Zankend kamen endlich beide Knechte mir nachgelaufen, nahmen ihre Plätze ein und fuhren, so schnell die Pferde galoppieren konnten, nach Mößkirch, das nicht mehr fern war. Um halb fünf Uhr langten wir vor dem Posthause an und hatten also einen wohlgebahnten Weg von etwa drei starken Stunden in mehr als sechs Stunden zurückgelegt. Kaum waren die Pferde in den Stall gezogen, so kam auch der Postwagen. Es fiel mir ein, ein paar Stationen weit mit demselben zu reisen, indes würde sich die Müdigkeit aus meinen Beinen verlieren. Als ich meinen Wunsch äußerte, fragte mich der Posthalter, wohin ich zu reisen gedächte. Ich sagte »nach Schaffhausen«. Da schrieb er mich ohne weiteres ein und forderte mir das Postgeld ab, das meinem Bedanken nach so gering war, daß ich kaum ein paar Stationen dafür mitzufahren hoffte. Allein da ich fragte, »wie weit ich denn eigentlich mitfahren dürfte?« hieß es »bis Schaffhausen.« Halb unzufrieden mit dieser Verfügung legte ich mich auf ein Kanapee, das im Zimmer stand und überdachte, ob diese Art zu reisen mich nicht in die Hände eines Nacheilenden liefern könnte. Allein ich meinte, meine Verfolger müßten sehr schnell reisen, dabei durch ihre Nachforschungen nirgends aufgehalten werden und gerade den rechten Weg einschlagen, den ich nach Basel nahm, wenn sie mich in einer solchen Entfernung einholen wollten. Daß diese Umstände zusammentreffen würden, schien mir nicht wahrscheinlich. Indem war der Platz im Postwagen bereits bezahlt und ich besorgte, den Posthalter sehr unweislich aufmerksam auf mich zu machen, wenn ich mein Geld zum Teil wieder zurückfordern und etwa nur bis Engen fahren wollte. Ich ließ es also bei der Verfügung bewenden, die der Zufall für mich gemacht hatte, frühstückte und stieg getrost zum erstenmal in einen Postwagen.

Meine Reisegefährten waren ein Jurist, der nichts lieber als Zoten vorbrachte, eine Krämerin, die nach Zurzach zu ihrem Manne, der ein Bein gebrochen hatte, eilte, ein Pärchen, das sich für Braut und Bräutigam ausgab, ein Kanonikus nebst seiner Schwester, einer verwitweten Beamtenfrau von Konstanz, die von ihrer Tochter, einem hübschen Fräulein, begleitet ward, eine Freundin in hiesiger Gegend besucht hatte und jetzt nach St. Blasien zu der Primiz eines Verwandten reiste. Als man nach einigen Erörterungen ein wenig näher miteinander bekannt geworden war, begann die Unterhaltung ziemlich lebhaft zu werden. Das Fräulein war stille und sittsam, aber meine ganze Munterkeit erwachte in ihrer Gegenwart; immer gab es etwas zu scherzen. Wenn wir an einem steilen Abhange aus dem Wagen stiegen, um eine Strecke zu Fuße zu gehen, bot ich ihr den Arm, und der Jurist bot ihr den seinigen, aber sie schmiegte sich immer an mich, als wäre sie froh, wenn ich sie vor seinen Zoten in Schutz nähme. So wurden wir in kurzem vertrauter, und ich setzte mich, so oft es anging, im Wagen an ihre Seite, um sie mit allerlei frohen Gesprächen zu unterhalten. Einmal geriet es dem Juristen, sich beim Einsteigen schnell an meinen Platz zu schwingen, ein allgemeines Lachen verkündigte mir seinen Sieg. Da spielte ich den Trotzenden, setzte mich eine Weile neben den Kondukteur in den vordern Korb und benutzte diese Zeit, meine Bemerkungen über die bergige Gegend zu machen, durch die wir hinreisten, und die an Aussehen und Kultur so sehr von der Gegend meines Vaterlandes verschieden war; nur zuweilen sandte ich ein scherzhaftes Wort dem schönen Fräulein zu und ihren Gefährten im Wagen. »Komm herein, Benne!« rief endlich der Jurist, »sonst schlafen wir vor Langeweile ein; seit du fort bist, redet das Fräulein kein Wort! Komm nur wieder an deinen Platz!« Flink saß ich wieder neben dem schönen Kinde, scherzte und lachte wie zuvor. Der Bräutigam und seine Braut mußten einander nicht sehr lieb haben, denn die Braut fand sich fast beleidigt, daß man neben dem Fräulein ihrer ganz vergaß, und der Bräutigam schien mich zu beneiden, daß ich so wohl gelitten war. Die Mutter des Fräuleins und der Kanonikus, die immer zu hinterst im Wagen saßen, machten anfangs finstere Gesichter oder murrten wohl gar, da sie sahen, daß ich meinen Arm zuweilen um die Tochter schlang, um sie auf dem sehr schwankenden, aufgehängten Sitze, den wir einnahmen, vor den Schlägen an die Seiten der Postkutsche zu bewahren. Allein als sie merkten, daß meine Kühnheit nicht zu weit gehe, und meine fröhliche Laune nicht feierte, ihren trüben Ernst in ein Lächeln zu verwandeln, überließen sie mir ruhig das liebliche Kind. Von Herzen vergnügt genossen wir das Mittagsmahl miteinander zu Stockach und tranken, nachdem wir abends in Engen angelangt waren, den Abschiedstrunk. Die Mutter mochte sich dagegen sträuben, so viel sie wollte, ich bezahlte, wo wir einsprachen, für das Fräulein und sparte nichts, um ihr Vergnügen zu machen. In Engen mußten wir uns trennen, denn hier wechselten die Postwagen von Frankfurt und Augsburg. Ich blieb zurück, um erst den andern Tag nach Schaffhausen abzugehen. Meine schöne Gefährtin beschrieb mir ihre Wohnung in Konstanz sehr genau, lud mich freundlich ein, sie dort zu besuchen und schied, als ich sie an den Wagen begleitete, mit so sanftem Händedruck und so gütigem Blicke von mir, daß ich damals nichts sehnlicher wünschte, als geschwinde reich zu sein, um das liebe Mädchen zu einem Brautfeste abholen zu können.

So heiter als an diesem Tage war ich auf der ganzen Reise nicht mehr. Es blieb etwas Leeres in meinem Herzen zurück, als ich sie nicht mehr sah, und ich fühlte von neuem die Gefahr, von Nachsetzenden ereilt zu werden, die ich an ihrer Seite ganz vergessen hatte.

Den 3. September reisten wir von Engen ab, an mehreren zuckerhutförmigen Hügeln vorüber, von deren Höhe einst die Bergschlösser Hohenstofeln, Hohenkrähen und andre das Land umher beherrschten, jetzt aber im Schutte liegen, nur die Festung Hohentwiel prangt noch unzerfallen auf ihrem gelblichen Felsengipfel. Wir hatten sie lange im Auge. Der Weg zog sich über das Dorf Weiterdingen durch manches angenehme Tal in das Schaffhauser Gebiet. Als wir über die Grenze fuhren, ergriff mich der Kondukteur bei der Hand und sagte, indem er sie treuherzig schüttelte: »Ich wünsche Ihnen Glück, Herr Benne! Sie sind in der Freiung! Nun fällt Ihnen gewiß ein Stein vom Herzen, denn wir fahren bereits auf Schweizergrund.« Die Nachricht gefiel mir, aber daß der Kondukteur mich im Verdacht haben könnte, wäre mir nicht zu Sinne gekommen, und da ich nicht wußte, ob er nur etwas aus mir herauslocken möchte, oder ob wir auch wirklich in der Schweiz wären, so sagte ich: »Es sei mir lieb, wieder auf vaterländischem Boden zu sein.« Allein er schüttelte den Kopf und erwiderte: »Verstellen Sie sich nur nicht länger, ich weiß doch so ziemlich, wie es um Sie stehen mag! Im nächsten Dorfe wollen wir eins auf die Freiheit trinken! Sie werden sehen, der Schaffhauser Wein ist gut!« Ich nahm seine Worte als Scherz auf, ließ nichts von meinen wahren Verhältnissen merken und bezeigte meine Freude darüber, daß ich nun bald mit Wein mich erquicken könnte, der im Lande der Freiheit gewachsen wäre. Weil ich besorgte, der Kondukteur möchte etwa an einem deutschen Orte an der Grenze Halt machen und mir zunächst am Ziele meiner Wünsche noch ein böses Spiel anrichten, so streckte ich den Kopf zum Wagen hinaus, besah die schönen Rebhügel voll Trauben, an denen wir hinfuhren und fragte einen Vorübergehenden: »Guter Freund! Gehört dies Gelände schon zum Schaffhauser Gebiet?« Erst als er meine Frage bejahte, war ich beruhigt. Abends trafen wir glücklich in Schaffhausen ein, ich berichtete sogleich an meinen Freund im Kloster ausführlich, welche Schicksale mich betroffen hatten und trug den Brief selbst auf die Post. Öfters schrieb ich in der Folge sehr dringend an ihn. Allein als ich niemals eine Silbe zur Antwort erhielt, besorgte ich, meine Briefe möchten unterschlagen werden, seufzte vergebens nach einem Bericht, was im Kloster nach meinem Verschwinden begegnet sein möchte, und unterließ endlich, ferner hoffnungslos ohne Erfolg Briefe zu schreiben.

Ich wollte am Sonntage den 4. September einen Rasttag machen. Aber als ich vernahm, daß heute das sogenannte Marktschiff nach Zurzach abgehen würde, auf dem ich um den Preis von 15 Kreuzern ganz bequem mitfahren könnte, entschloß ich mich sogleich aufzubrechen. Zuerst besah ich die schöne Brücke über den Rhein, dann ging ich zum berühmten Rheinfall hinab, unter dem wir zu Schiffe steigen sollten. Schon der kleine Wasserfall, der durch das Hammerwerk am Felsenabhang vom großen Rinnsal getrennt wird, ergötzte mich sehr, aber als ich einen Augenblick darauf den Sturz des ganzen Stromes ins Auge faßte, mit den beiden buschigen Felsen mitten am steilsten Rande, an welche die reißenden Fluten einen Hals gefressen hatten, da fühlte ich mich vom erhabensten Schauspiele entzückt. Bald lief ich hinab ans Ufer, um dem Schaummeere näher zu sein, bald setzte ich mich dem Falle gegenüber oben auf den Rand des Abhangs, um den Fluß, noch ehe er stürzte, in seinem flachen Laufe zu betrachten und das Ganze der prächtigen Szene mit einem Blicke zu übersehen, bald weidete ich mich an den Felsen um das große runde Becken her, das der mächtige Strom sich ausgehöhlt hatte, an den Hammergebäuden auf dem einen Ufer und an dem Schlosse Laufen auf dem andern, das von der Stirne des höchsten Felsens, wie ein Storchennest vom Kirchengiebel, in die brausende Tiefe schaut. Am Ausflusse des großen Beckens ist ein Turm ins Wasser gebaut und mit dem Gestade durch eine hölzerne Brücke, die Geländer hat, verbunden. Ein Wehr zieht sich vom Turme gegen das Hammerwerk hinauf, hinter welchem die Schiffe wohl beschützt am Ufer liegen. Das sogenannte Marktschiff bestand aus mehreren miteinander verbundenen Nachen, voll Kaufmannsgütern, über welche Bretter gelegt und Sitze angebracht waren. Bald hatte sich so viel Volk darin gesammelt, daß der Schiffer mehrere Personen abweisen mußte. Jetzt ruderte man unter der Brücke bei dem Turme hindurch, hielt das Schiff in seinem Laufe an, und der jüngste Ratsherr von Schaffhausen trat mit einer glänzenden Begleitung von Herren und Damen ans Geländer der Brücke und hielt, einem alten Gebrauche zufolge, eine ziemlich lange Ermahnungsrede an die Schiffer, sich nicht zu betrinken und vorsichtig zu fahren; an die Reisenden aber, sich ruhig zu halten und nicht bei jedem Anschein einer Gefahr sich vom Schrecken betäuben zu lassen usw. Dann begann unsre Fahrt. Es war lieblich, zwischen den abwechselnden, meistens sehr steilen Ufern dahinzuschweben, bald einzelne Häuser, bald ein Dorf, bald ein Städtchen in der schönsten Lage näherrücken zu sehen, durch das hellgrüne, klare Wasser, dergleichen die Donau und unsre Flüsse nicht führen, bis auf den Grund zu blicken und das leise Rauschen der übereinander gewälzten Kieselgeschiebe zu behorchen. Die an den Ufern angebrachten Maschinen, um Lachse und Salmen zu fangen, belustigten mich sehr. Anfangs wußte ich nicht recht, was ich daraus machen sollte, aber ich ließ mir endlich deren Gebrauch von einem jungen Kaufmannsdiener erklären, der in dem bunten Gewimmel sich vor allen an mich hielt und allerlei Gespräche anknüpfte. Ich vertraute ihm unter anderm, daß ich in Basel gern mein Unterkommen bei einem Kaufmann fände, da riet er mir, ich sollte meinen Namen und mein Begehren usw. in das Avisoblatt setzen lassen und malte mir die Gewißheit eines guten Erfolgs und die Leichtigkeit, mein Brot zu verdienen, so lebhaft vor Augen, daß die Besorgnisse wegen meines Unterhalts, die in meinem Busen, je näher ich Basel kam, mehr und mehr aufkeimen wollten, wieder einzuschlummern anfingen.

Als wir nachmittags, etwa um 1 Uhr, in Zurzach anlangten, speiste ich im Roten Ochsen und erkundigte mich um allerlei Nachrichten, den Ort und seine Messe betreffend. Einmütig sagten die Leute, sie werde seit einigen Jahren bei weitem nicht mehr so fleißig besucht, als in vorigen Zeiten. Jetzt läutete man mit einigen Glocken zusammen. Ich fragte die Wirtin, was dieses Zeichen bedeute? Sie antwortete, man läute in die Vesper. Betroffen sagte ich: »Sind denn hier auch Katholiken? Hier im Berner Gebiete?« Eine falsche Karte hatte mich betrogen. Sie erwiderte: »Unser Flecken gehört nicht zum Berner Gebiete, er liegt in den freien Ämtern und ist paritätisch. Sind Sie mit dem Herrn Kanonikus, Pater Weißenbach, nicht bekannt?« »Nein!« sagte ich ganz kleinmütig. Sobald ich von dem Verfasser der Vorboten des neuen Heidentums hörte, wollte ich nicht mehr über Nacht bleiben, wie ich anfangs beschlossen hatte, sondern bat, mir die Zeche zu machen und ging, nachdem ich den Markt ein wenig besehen hatte, auf einem schönen Fußpfade am Rhein hinab nach Koblenz, einem Dorfe, bei dem die Aar sich in diesen Strom ergießt. An der Schifflände, wo eine Menge Kaufmannsgüter am Strande lagen, ließ ich mich in einem Kahne über den Rhein setzen, ging am Fuße schöner Hügel hin, zwischen denen mancher Bach hervorbrach, nach Waldshut, einer der vier österreichischen Waldstädte, kam unangefochten durch beide Tore und wanderte nach Togern, einem schönen Dorfe unterhalb Waldshut, nicht weit vom Rheine. Hier trat ich in ein Wirtshaus und bat um eine Nachtherberge. Bis man zu Tische ging, belustigte ich mich am Fenster mit Beobachtung der Kleidertracht und der Manieren des Landvolks. Jünglinge und Mädchen trugen weiße, mit Bändern gezierte und viereckige, ein wenig aufgekrempte Hüte; lange Bänder, die bis auf die Erde reichten, flatterten an den doppelten Haarzöpfen der Mädchen, ihre Röcke, meistens kurz und schwarz, reichten bis unter die Schultern, und rote oder weiße Strümpfe bekleideten ihre derben Waden. Die Jünglinge gingen in steifgestärkten Hemden mit grün- oder rotseidenen Hosenträgern oder hatten, wenn sie älter waren, eine kurze, tuchene Jacke von unförmlichem Schnitte umgeworfen.

Ein paar Fuhrleute verstanden sich mit einem Schiffer, daß er sie in einem Kahne bis Laufenburg führen sollte, und gestatteten, daß ich für 15 Kreuzer ihr Gefährte sein durfte. Manchmal, wenn der kleine Kahn an Stellen geriet, wo ein Felsen am andern quer über dem Rinnsal des heftig wogenden Stromes gesät war und wir so schnell wie ein Pfeil zwischen den Klippen hindurchgerissen wurden, fing es mir an zu grauen, aber der Schiffer lenkte das kleine Fahrzeug mit vieler Geschicklichkeit; ich gewöhnte mich in kurzem an das starke Schaukeln, das mir anfangs gefährlich schien, und freute mich am Ende wohl gar, wenn die Fluten rings um uns her recht brausten und schäumten.

Ein wenig unterhalb Hauenstein wurden wir ans Land gesetzt. Dies ist das kleinste Städtchen, das ich jemals sah; es liegt zunächst am Ufer des Rheins auf einer niedrigen und schmalen Ebene, besteht nur aus zwei Reihen ärmlicher Häuser, die gegen den Strom mit einer Mauer, dieser Mauer gegenüber aber mit einer steilen Felsenwand umgeben sind, und zwischen welchen durch zwei Tore die Landstraße hinläuft. Die Länge läßt sich daraus abnehmen: unsre Fuhrleute hatten acht Kornwagen, die eben, von ihren Knechten geführt, hart hintereinander ins Städtchen fuhren, als wir vorüberschifften. Der erste Wagen kam schon wieder zum obern Tore heraus, als der letzte am untern verschwand.

In Mumpf, einem Dorfe unterhalb dem Städtchen Säckingen, das ich von fern auf seiner Rheininsel liegen sah, mietete ich um ein paar Gulden einen Kahn (Weidling genannt), der nur aus drei miteinander verbundenen Brettern bestand, wovon zwei die Seitenwände, das dritte aber den Boden des Fahrzeugs formierten. Der junge Schiffer, der mich darin nach Basel bringen sollte, warf ein Bund Stroh in das Vorderteil, hieß mich darauf liegen, legte ein Brettchen quer über das Hinterteil des Kahns und setzte sich mit seinem Ruder in der Hand darauf. Anfangs wollte ich eine Weile stehen, allein er gestattete es durchaus nicht und hatte gute Ursache dazu, denn das Schiffchen war so klein, daß wir bei sehr geringem Übergewicht in Gefahr geraten wären, umzuschlagen. Der Lauf des Stroms ist sehr schnell; bald schwammen wir der Brücke bei Rheinfelden entgegen. »Betrüg' ich mich nicht,« sagte der Schiffer, »so ist's dem Herrn lieb, wenn er dort nicht aussteigen und sich von den Östreichern examinieren lassen muß. Es sitzt so was Ängstliches in seinen Blicken. Landen wir an und lassen den Weidling, so wie wir sollten, eine Strecke über Land unter die Brücke ziehen, so kommt der Herr vielleicht in Verdruß. Die Fahrt unter der Brücke durch ist zwar ein wenig schauerlich, aber nicht gefährlich; wenn's dem Herrn recht ist, so wagen wir's! Die Wache mag schreien, so viel sie will, wir tun, als hörten wir nichts. Das Wasser rauscht ja ohnehin laut genug zwischen den Jochen. – »Ist's nicht gar zu gefährlich,« erwiderte ich, »und können uns die Östreicher nicht wider Willen auffangen so mag er's versuchen, ich bin's zufrieden, obschon mir auch nicht bange wäre, wenn ich der Wache Rede und Antwort geben müßte.« Sowie wir näher kamen, entdeckte ich eine Reihe Klippen, die quer über den Strom gestreut waren und auf welchen die Joche der Brücke ruhten. Das Wasser brach sich überall mit fürchterlicher Wut an den Felsen und ich sah keine Lücke, durch die wir ohne Gefahr und unbenetzt durchschiffen könnten. Mein Schiffer sprach mir Mut ein, ruderte erst, wie wenn er anlanden wollte, dreht aber schnell den Kahn und fuhr mitten durch die schäumenden Wogen hin, die sich rechts und links brüllend in den Felsen zerschlugen. Das Wasser spritzte von beiden Seiten in das Fahrzeug und benetzte uns von oben bis unten. Die Wache auf der Brücke schrie: »Halt, halt! Land' an! oder ich schieße!« Aber nach wenigen Augenblicken hatte uns der Strom so weit getragen, daß alles Rufen vergebens war. Die Wache schoß zwar ihr Gewehr wirklich auf uns los, doch ohne zu treffen, und der Schiffer war verwegen genug, unter niedrigen Ausforderungen dem Soldaten das Zentrum zu weisen. Froh, der dreifachen Gefahr des Grenzexamens, Scheiterns und Schießens so glücklich entgangen zu sein, überließ ich mich der Freude, nun bald das Ziel meiner Reise zu erreichen, ergötzte mich inniger am Anblick der schönen Landschaft umher und an der reizenden Aussicht auf Basel hinab und ward etwa um vier Uhr nachmittags an der kleinen Stadt ans Land gesetzt. Nachdem ich einige Gassen durchstrichen hatte, ging ich über die Brücke und suchte das Posthaus, um meinen Koffer abzuholen und in ein Wirtshaus bringen zu lassen. Ich freute mich sehr, mich nun in neue Wäsche kleiden zu können. Man wies mich zuerst auf die Briefpost, und es verfloß seit meiner Ankunft in Basel beinahe eine Stunde, ehe ich mich durch die verschiedenen Gassen endlich zu den Drei Königen fand, wo der Postwagen expediert wird. Sobald ich ins Haus trat, zog ich aus meiner Brieftasche den Empfangsschein hervor, den mir der Posthalter in Donauwörth für den Koffer an Gottlieb Neuleben ausgefertigt hatte, und fragte einen Kellner, der zu mir getreten war, ob ich meinen Koffer nicht gegen Schein und Bezahlung der Fracht erhalten könnte. Kaum las der Kellner den Namen im Scheine, so lief er durch die Küche ins Zimmer, und ich hörte ihn öfters den Leuten zuflüstern: »Sieh doch, der Gottlieb Neuleben ist draußen!« Gäste, Knechte, Köchinnen und Mägde kamen unter die Tür und begafften mit verbissenem Lächeln den neuen Ankömmling. Das dünkte mich sonderbar. Ich stand schüchtern und betroffen da, meinen Hut unterm Arme, mit abgeschertem Kopfe und einer weißen beschmutzten Mütze in der Hand. Jetzt trat ein ältlicher Mann, vom Kellner herbeigeholt, aus dem Zimmer, nahte sich mir mit ernster Miene und fragte in derbem Tone: »Wer sind Sie?« »Ich heiße Gottlieb Neuleben,« sprach ich, »und bitte mir gegen die Gebühren meinen Koffer abfolgen zu lassen.« »Sie heißen nicht Gottlieb Neuleben,« erwiderte der Mann, noch ernster als zuvor, indem er mich auf die Schulter klopfte und scharf ins Auge faßte; »Sie heißen P. Bonifacius Bronner, sind ein entlaufener Mönch aus dem Kloster zum heil. Kreuz in Donauwörth und haben gestohlen!« Jedermann kann sich vorstellen, was ich da für große Augen machte. Stumm blieb ich einige Augenblicke, faßte mich aber sogleich wieder und sagte kühn und fest: »Wie kommt es, daß Sie meinen Namen wissen? Ich bin der, von dem Sie sagen, aber gestohlen hab' ich nicht!« »Das wird sich zeigen!« sprach der Mann und fing ein wenig zu lächeln an; »sehen Sie Ihren Koffer dort? Prüfen Sie, ob das Siegel daran noch unversehrt ist!« Sogleich hob ich das Deckleder hinweg und besah das Siegel. Aber ich fand noch ein andres neben dem meinigen aufgedrückt. »Was bedeutet das?« fragte ich erstaunt. »Es ist nur unser Stadtsiegel,« antwortete der Mann mit kaltem Scherze, »wenn Sie um eine halbe Stunde früher gekommen wären, hätten Sie das Ihrige noch allein gefunden. Eben ist der Herr Stadtmajor aus dem Hause gegangen, der es aufgedrückt hat. Es ist heute ein Steckbrief angelangt, der Sie nicht als den besten Menschen schildert, deswegen hat unsre Polizei diese Verfügung getroffen. Ist niemand da, der den Herrn Stadtmajor zurückholen will? Lauf ihm einer nach, er kann noch nicht weit sein.« »Herr! ich bin kein Verbrecher,« sagte ich mit dem Tone der Wahrheit, »die Not hat mich aus dem Kloster getrieben. Man wird mich doch nicht gefangen setzen und ausliefern?« »Nur getrost, mein Herr!« sprach er wieder und wurde freundlicher; »ich sehe schon, daß Sie ein gutes Gewissen haben. Ausgeliefert zu werden, dürfen Sie nicht fürchten, aber ob Ihnen Ihr Koffer gelassen wird, das ist eine große Frage. Kommen Sie her da! Trinken Sie ein Glas Wein auf diesen Schrecken und erzählen Sie mir, wie es Ihnen ergangen ist, bis der Herr Stadtmajor zurückkommt!«

Hiermit führte er mich ins Zimmer, setzte mir eine Flasche vor, nahm Platz an meiner Seite und horchte. Ich hatte aber gar keine Lust zu trinken, erzählte ihm jedoch einen Teil meiner Schicksale und sah bald den Herrn Stadtmajor zur Tür hereintreten. Er nahm mich in ein besonderes Zimmer, tat an mich die allgemein bei jedem Verhör gewöhnlichen Fragen, ließ sich meine Flucht und deren Veranlassung erzählen und notierte alles in seine Schreibtafel. Dann zog er den Steckbrief aus der Tasche und reichte ihn mir zum Lesen. Ich staunte und wußte mich vor Ingrimm kaum zu fassen, da ich mich darin als einen überall berüchtigten Betrüger, der schon mehrere sehr schlimme Streiche gespielt haben sollte, geschildert und des Einbruchs in die Abtei mit Hilfe nachgemachter Schlüssel und noch andrer Diebstähle beschuldigt fand. Daß der Mönchshaß so weit gehen und mich so grober Verbrechen bezichtigen könnte, hatte ich mir nie vorgestellt. Ich sollte die besten Bücher aus der Bibliothek, die teuersten mathematischen Instrumente aus dem Armarium, den größten Teil Münzen aus dem Münzkabinette und weiß Gott welche Kirchenschätze entwendet, mehrere Koffer damit gefüllt und ins Ausland verschickt haben. Die Hauptprobe dieser Beschuldigungen war: als mich meine Laster flüchtig zu gehen drangen und mir das Geld mangelte, um die Reisekosten zu bestreiten, hätte ich alle Schlüssel so lange zugefeilt, bis ich in Abwesenheit des Prälaten die Abtei erbrechen und soviel stehlen konnte, als ich zu nehmen für gut fand; angefeilte und wahrscheinlich mißlungene Schlüssel wären in Menge samt Feilen und andern Schlosserinstrumenten auf meiner Zelle gefunden worden. Punkt für Punkt widerlegte ich diese Beschuldigungen, sagte, daß ich froh sein müßte, einen einzigen Koffer glücklich auf die Post gebracht zu haben, nie wäre mir zu Sinne gekommen, mehrere wegzuschicken. Ich leugnete nicht, daß ich Schlüssel angefeilt hätte, sondern erklärte, daß ich es tat, um meinem guten Freunde und mir Schlüssel zu verschaffen, welche unsre Zellen wechselseitig öffneten, damit wir im Notfall einander Hilfe zu leisten vermochten, und, daß unmöglich einer der gefundenen Schlüssel bei näherer Untersuchung tauglich befunden werden könnte, an ein einziges Schloß der Abtei gesteckt zu werden; die Bücher, welche ich mitnahm, seien entweder ganz neue, die ich erst vor kurzem aus meinem Ersparten gekauft hätte, oder solche, die mir vom Kloster schon längst als Lehrbücher meiner Lieblingswissenschaft, der Mathematik, angeschafft wurden und durch das Studieren selbst mein Eigentum geworden wären. Von mathematischen Instrumenten würde sich nichts in meinem Koffer finden, als ein Reißzeug und ein Stangenzirkel, die man mir ebenfalls, als die nötigsten Werkzeuge zum Zeichnen, eigens zu meinem Gebrauche überlassen habe. Münzen und Kirchenschätze seien von mir ganz unberührt geblieben; P. Bernard besitze einen Katalog derjenigen Münzen, die man mir bei der Übernahme des Armariums anvertraute, es müsse sich finden, daß keine einzige mangele. Geld zur Reise habe mir der Prälat selbst gegeben, indem er mir meine Bücher abkaufte usw. Nachdem Herr Stadtmajor alles angehört und summarisch in seine Schreibtafel aufgezeichnet hatte, trug er mir auf, bis zum Ausgang der Sache Hausarrest zu halten; zeigte mir an, morgen würde über den Einschluß meines Koffers ein Inventarium verfaßt werden und die Untersuchung ihren Anfang nehmen, und verließ mich unter trostreichen und ermunternden Zusprüchen.

Als ich allein war, überließ ich mich mit einer Art Raserei dem Verdrusse über die boshaften Beschuldigungen des Steckbriefes. Es schmerzte mich unaussprechlich, mich als einen Bösewicht in einem Steckbriefe angeschwärzt zu sehen. Mein erregter Zustand darüber und über die Skrupellosigkeit, mit der meine sogenannten Mitbrüder wissentlich Falsches gegen mich angebracht hatten, dauerte noch tief bis in die Nacht hinein fort.

So wenig der Steckbrief von den Umständen angab, unter denen die Entdeckung meiner Flucht nach Basel gemacht worden war, so konnte ich doch einiges daraus abnehmen. Allein sie waren doch nicht hinreichend, um mir eine vollständige Geschichte daraus zusammenzureimen; ich seufzte bange nach einem freundschaftlichen Berichte von meinem Freunde. Vergebens war all mein Seufzen. Erst später, nachdem ich in Augsburg mit Leuten aus dem Kloster mündlich zu sprechen Gelegenheit hatte, wurden mir die wahren Umstände gemeldet. Der Hirt hatte das Vieh aufs Käseck getrieben, die Kühe erblickten die Kleider am Strande, muhten scheu um sie her und lockten den Hirten herbei. Er lief erschrocken zum Dorfküster, rief dessen Frau herbei und zeigte ihr seinen Fund. Beide erinnerten sich, daß man mich gestern nachmittag in Zusum gesehen hätte und dachten sogleich, ich müßte der Ertrunkene sein; die Bäurin packte die Kleider in einen Korb und trug sie bestürzt in die Klosterkanzlei. Tränen entflossen dem P. Großkellerer und andern der weichmütigern Religiösen, die man mit der Miene des Geheimnisses herbeigerufen hatte. Es würde allzu stolz klingen, wenn ich erzählen wollte, welche Lobrede damals einstimmig von allen dem vermeintlichen Toten gehalten ward. Man hielt Rat, wie man die Trauerbotschaft dem Prälaten auf die beste, am mindesten schmerzende Weise beibringen könnte, und befahl den Fischern, mit Haken und Stangen meinen Leichnam in der Donau zu suchen; worauf sie nach dem Ausdruck dessen, der mir dieses erzählte, das ganze Käseck abforschten. Endlich kamen auch P. Beda und P. Augustin in die Kanzlei. Der erstere horchte eine Weile nachdenkend den Gesprächen seiner Mitbrüder zu, schüttelte stillschweigend den Kopf und sagte leise murmelnd vor sich hin: »Bonifacius ist ein unternehmender Mensch, er äußerte längst manchen kühnen Gedanken vor mir und trachtete des Klosterhabits los zu werden; ich glaube nicht, daß er tot ist!« P. Augustin vernahm, was Beda sprach, erinnerte sich des Koffers, den er mich fortliefern gesehen hatte und rief auf einmal aus: »Wahrlich, mir geht ein Licht auf! Ich glaube auch, Bonifacius ist nichts weniger als tot; ich sah ihn etwa vor einem Monat einen Koffer wegschicken! Er ist fort! mehr als wahrscheinlich ist er fort!« »Was? einen Koffer hat er aus dem Kloster geschickt?« hieß es von allen Seiten her, und die Trauer um mich verwandelte sich zusehends in Zorn. Sogleich rief man den Diener herbei, den der P. Augustin den Koffer abführen gesehen hatte, setzte ihn auf die strenge Frage, ließ den Posthalter kommen, erkundigte sich auch bei ihm um alle Umstände und ließ sich die dahin einschlagende Note aus dem Postbuche vorzeigen, durchsuchte meine Zelle, hörte den Schneider ab und sandte den Pater Augustin ungesäumt nach Kaisersheim an den Prälaten, um ihn nach Hause zu rufen. Kaum langte derselbe in Donauwörth an, so mußte vom Oberamtmann ein Steckbrief ausgefertigt werden, in welchem man mich deswegen als einen Dieb angab, damit ich an das Kloster ausgeliefert werden möchte, denn man stand in der Meinung, Diebe und Mörder würden von den Schweizern ausgeliefert. P. Großkellerer Benno erhielt Befehl, mich sogleich auf dem Wege nach Ulm zu verfolgen; P. Beda aber ging mit gleichem Auftrage nach Augsburg. Man meinte, ich müßte auf einer dieser zwei Reiserouten gewiß zu erfragen sein, und empfahl jedem die möglichste Eile. Der erste erfragte mich auch wirklich in Günzburg und ließ sich von der Wirtin, die es recht sehr bedauerte, daß mich ihr Mann nicht strenger behandelt hatte, weitläufig erzählen, wie ich gekleidet war, unter welchen Umständen und zu welcher Zeit ich abreiste und ob ich nichts von meinem Vorhaben laut werden ließ. Allein er konnte über Günzburg hinaus keine weitere Spur von mir finden und mußte, ohne den Flüchtling einholen zu können, nach Hause kehren.

Nach ihrer Zurückkunft ging's erst an ein Lärmen; man schrie die Personen aus, die mir zur Flucht Adressen an die Hand geschafft haben sollten – man nannte mich den großen Dieb, der einen Koffer, einen großen Verschlag und noch einen großen Pack – schon vom 4. Juli an – unter zweierlei Adressen nach Basel zu liefern gewußt habe, und zuletzt beteuerte man mit großer Zuversicht: ich würde doch noch bei ihnen sterben usw. – Das alles und noch viel mehr wurde gegen mich verhandelt, und man kann sich denken, daß der Vorfall Anlaß zu wochenlangem Geklatsche gab. –

Es war sehr gut, daß ich in Basel von allem dem nichts wußte, sonst wäre mein Schmerz auf einen noch höhern Grad gestiegen. So aber erwartete ich, durch die gütige Teilnahme des Herrn Gastwirts zu den Drei Königen, seiner angenehmen Gattin und des Herrn Kleindorf, Postdirektors (der mich anfangs so sehr erschreckt hatte) täglich mehr gestärkt, mit wachsendem Gleichmut die Entscheidung meines Schicksals. Sogleich den 6. September, morgens, kamen der Herr Stadtmajor und ein Sekretär der Staatskanzlei nebst zwei Ratsdienern in den Gasthof, befahlen mir, den arretierten Koffer in ihrer Gegenwart mit dem Schlüssel zu öffnen, ließen sich ein Stück nach dem andern daraus vorzeigen und verfaßten das genaueste Inventarium darüber. Dem Herrn Sekretär entfuhr bei Auszeichnung der Bücher die Rede: »Wenn Sie solche Schriften lasen, so ist's begreiflich, warum Sie im Kloster weder beliebt noch vergnügt sein konnten.« Es erquickte fühlbar mein Herz, als ich dieses vernahm. Bald zeigte es sich augenscheinlich, daß die Beschuldigungen von Diebstahl und Einbruch bare Lügen seien. Als auch meine Musikalien und Schriften inventiert wurden, fand sich ein verschlossenes Päckchen, auf das ich äußerlich ein Freimaurerzeichen gemacht hatte. Man zeigte es vor; einer der beiden Deputierten ergriff meine Hand, drückte sie und sagte mit einem freundlichen Blicke ganz leise: »Herr Bruder!« Am Ende sprachen die Herren mir Trost ein und erlaubten sogleich, daß ich etwas weißes Zeug und ein Buch zu meiner Unterhaltung aus dem Koffer nehmen durfte. Ich wählte Herders Ideen, welche mir die trüben Stunden, die ich allein auf meinem Zimmerchen hinbrachte, sehr angenehm und lehrreich kürzten.

Den 7. September, nachmittags, kam einer der beiden Deputierten wieder in den Gasthof, zeigte mir an, daß mir die Erlaubnis, in Basel zu bleiben, vom Senate verweigert sei, aus dem Grunde, weil man einen Menschen, der Schlüssel anzufeilen pflege, in einer kaufmännischen Stadt nicht wohl dulden könnte, und erlaubte mir, aus dem Koffer alle Schriften, Musikalien und alles Leinenzeug wegzunehmen. Das übrige sollte so lange im Arrest behalten werden, bis das Kloster namentlich anzeigen würde, was ihm von seinen Instrumenten und Büchern mangelte. Ebenderselbe Deputierte tröstete mich, als ich klagte, daß ich nicht wüßte, wohin ich mich wenden sollte, und riet mir, ich sollte nach Zürich gehen, wo viele Leute von Kenntnissen und Wissenschaften anzutreffen wären, bei denen ich vielleicht ein Unterkommen finden könnte, zugleich versprach er, mir ein Empfehlungsschreiben an einen der angesehensten Herren daselbst mitzugeben. Er hielt auch Wort und schickte mir sogleich den andern Tag einen Brief an Herrn Ratsherrn H. H. Füßli in Zürich zu. Nun fühlte ich mich wirklich aus dem Wasser gezogen, nähte meine Sachen in ein Bettuch, setzte meinen wahren Namen auf die Adresse, die nach Zürich lautete und nahm mit schwerem Herzen Abschied von meinen gütigen Hauswirten. Es war eben ein allgemeiner Bettag in Basel. Der Greis Kleindorf rief mich in sein Kontor, sprach mir Mut ein, ermunterte mich zur Tugend, drückte geschwind ein Papier mit Geld in meine Hand und eilte mit einer Träne im Auge zur Tür hinaus in die Kirche. Gerührt verfolgte ich ihn mit meinem Dank. Im Papier fand ich ein artiges Sümmchen eingewickelt. Herr Iselin, mein freundlicher Gastwirt, wollte anfangs keine Bezahlung von mir annehmen, weil er vermutete, ich leide Mangel an Geld. Erst als ich beteuerte, daß ich ohne Unbequemlichkeit meine Zeche bezahlen könnte, nahm er mir etwas weniges ab, welches aber kaum die Hälfte des Genossenen am Werte betragen mochte. Zum Abschied wollten sie mir noch mit einer hübschen Perücke von Herrn Kleindorf ein Geschenk machen, um meinen geschornen Mönchskopf darunter zu verbergen; allein ich fand sie zu klein und hatte überhaupt einigen Abscheu vor allen Perücken. Sobald nach dem letzten Abendgottesdienste die Tore von Basel geöffnet wurden, setzte ich meinen Wanderstab nach Liestal fort, wo ich im Goldenen Schlüssel übernachtete.

Den 9. September ging ich von Liestal durch das schöne Tal von Sissach nach Gelterkinden und Tecknau und stieg von dort durch ein waldiges Felsentobel nach Wenslingen hinauf, wo ich zu Mittag speiste. Diesen Weg hatte ich deswegen gewählt, damit ich weder durch das Fricktal, noch durch einen katholischen Kanton reisen und mich nicht der Gefahr, angehalten zu werden, aussetzen müßte. Nachmittags wanderte ich über Oltigen die Schafmatt hinan; es war ein sehr heitrer Tag, und überall traf ich fröhliche Leute an, die mit der Grummeternte beschäftigt waren. Da mir das Bergsteigen noch ganz fremd war, so ergötzte es mich ungemein, neben rieselnden Bächlein durch die Felsentäler emporzuklimmen, an schönen Stellen auszuruhen, auf die niedrigern Gegenstände herabzusehen und den mannigfaltigen, sich immer erweiternden Gesichtskreis mit forschenden Blicken zu bestreichen. Ich hatte meinen Rock der Hitze wegen ausgezogen und trug ihn nachlässig über die Schulter hängend, als ich auf den höchsten Gipfel der Schafmatt kam. Nicht weit von der Stelle, wo ein Markstein die Gebiete von Basel und Solothurn von dem österreichischen Fricktal scheidet, sah ich zwei Pferde auf einem Hügel unter Bäumen angebunden und blickte wundernd umher, ob ich den Eigentümer nirgends sähe, denn es deuchte mich seltsam, auf dieser Höhe Pferde zu finden. Ich sah niemand. Aber nach wenigen Schritten tat sich im Walde ein Tälchen auf, und ich entdeckte eine Bettlergesellschaft von etwa 30 Personen, die um ein großes Feuer saßen, sotten und brieten und scherzten. Schon in Wenslingen hatte man mir gesagt, es sei jetzt nicht ganz sicher über die Schafmatt zu reisen. Ich besorgte, an die Räuberbande, von der ich erst heute viel Schlimmes erzählen gehört hatte, geraten zu sein und ging schüchtern meines Weges. Aber die Freileute mochten mich eher erblickt haben, als ich sie. Eine dicke, alte Frau, die ein Kind an ihrer Hand führte, wälzte sich zu mir heran, und ein paar Kerle stellten sich an die Schranken, wo ich den Wald betreten sollte. »Guter Freund,« sagte sie und streckte mir die offene Hand hin, »schenk' Er meinem Kinde etwas! Wo kommt Er her?« »Von Basel,« antwortete ich, griff in die Tasche und suchte aus lauter kleiner Münze einen Basler Halbbatzen hervor, den ich ihr darreichte. »Ich dank' Ihm,« fuhr sie fort; »aber es scheint mir, der Herr ist in einem Zuchthaus gewesen.« »Freilich, – in einem geistlichen«, sagte ich. »Das hab' ich mir gleich eingebildet, sobald ich Seine abgestutzten Haare sah,« erwiderte sie lachend, »Er wird wohl froh sein, daß Er wieder los ist?« »Von Herzen froh,« sagte ich, »lebet wohl!« »Laßt ihn ziehen, Leute!« rief sie nun den beiden Burschen am Wege zu, »der ist einer unsers Gelichters!« Und ich ging unangefochten in den Wald, erst im gewöhnlichen Schritte, dann, als ich etwas weiter entfernt war, immer schneller, und rannte endlich in vollem Laufe den Berg, hinab. In Aarau hörte ich wieder von Angriffen, die in der Gegend umher stattgehabt hätten und war froh, daß ich für einen entlaufenen Züchtling angesehen worden war. Ein Kaufmannsdiener begleitete mich unter allerlei kurzweiligem Geschwätz noch denselben Abend nach Lenzburg, wo ich im Bären neben Handwerksburschen, welche die ganze Nacht durch lärmten, zankten und Possen rissen, übernachtete, ohne ruhig schlafen zu können.

Den 10. September wanderte ich nach Mellingen, erblickte das Schild eines Chirurgen, hielt es für das Schild eines Wirtshauses, trat hinein und verlangte zu essen. Zum Glücke bemerkte ich sogleich an den Heiligentäfelchen, die im Zimmer hingen, daß ich an einem katholischen Orte sei, was ich beim Eintritt ins Städtchen nicht gewußt hatte. Der Hausherr examinierte mich sogleich sehr strenge und beruhigte sich nicht eher, bis ich ihm mein Attestat vorwies. Ohne dies hätte er mich, wie er sagte, bei der Obrigkeit als einen verdächtigen Menschen angegeben, der wahrscheinlich aus einem Kloster entsprungen sei und nun in der Schweiz umhervagiere. Dann ließ er mir, weil es Samstag war, eine Eierspeise kochen, setzte Wein auf den Tisch und ließ mich, als ich richtig bezahlt hatte, ruhig meines Weges ziehen. So war ich noch am Ziele meiner Reise in Gefahr, der Geistlichkeit in die Hände zu fallen.

Auf der Höhe des Heiterspergs setzte ich mich hin und labte mich recht am Anblick des schönen Tales der Limmat, das wie ein Paradies ausgebreitet vor mir lag. Mit warmer Empfindung grüßte ich den See und die Türme von Zürich, das Ziel meiner Reise und seufzte zu Gott, er möchte mich dort Glück und Ruhe finden lassen. Abends in der Dämmerung langte ich ziemlich müde bei der Sihlpforte an; die Wache wollte mich nicht einlassen, bis ich meinen Brief an Herrn Ratsherrn Füßli vorwies. Ich kam in mehrere Wirtshäuser, aber nirgends ward ich aufgenommen, denn es waren eben des Herbstmarktes wegen bereits alle Gastzimmer besetzt. Endlich wies man mich zum Leuen, wo ich eine günstige Aufnahme fand.


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