Franz Xaver Bronner
Ein Mönchsleben aus der empfindsamen Zeit. Erster Band
Franz Xaver Bronner

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Siebentes Kapitel:

Illuminatist in Eichstädt.

Mathematische Studien in Eichstädt – Illuminatismus – Revolution in der religiösen Denkungsart – Der »Minerval« – Erholungen und Nebenarbeiten – Besuch in München – Progression im Illuminatimus – Eine Freimaurerszene – Verdruß mit Pater Beda – Das Diakonat und Presbyteriat – Aufklärertum – Die Primize – Brautwahl.

Als am 2. Januar 1782, morgens um sechs Uhr, die Kutsche, in der ich mit dem Prälaten saß, durch die Hauptgasse rollte, suchten meine Blicke, unter tausend süßen Wünschen, Minchens Wohnung auf, um von ihr noch einmal in Gedanken zärtlichen Abschied zu nehmen. Sie wußte beiläufig die Stunde, in der ich abreisen würde. Das Rasseln des wohlbespannten Wagens nebst dem Kammerdiener, der nebenher ritt, mochten sie nun aufmerksam gemacht haben. Sie schaute aus dem Fenster, als wir vorüberfuhren, mein Herz schlug heftiger, ich hätte ganz Auge sein und Flügel haben mögen. Aber die Nacht verwehrte mir, sie anders als im Schattenriß auf der beleuchteten Zimmerdecke zu sehen. Weiterhin kam auch Malchen ans Fenster und begleitete den Freund ihres Geliebten mit Segnungen. Wenn mich der Prälat nicht durch Gespräche aus meinen stillen Träumen weckte, so schwebte meine Phantasie zu allen den Lieben hin, die ich in Donauwörth zurückließ, und manchmal flog ein warmer Dank zum Himmel empor für die vielen glücklichen Stunden, vorzüglich für die Freuden der Liebe, die ich während meines Aufenthaltes im Kloster genießen durfte.

Die Reise ging über Neuburg. Abends um fünf Uhr saßen wir schon in der Abtei zu Rebdorf, eine starke Viertelstunde von Eichstädt und spielten Lotterie. Der Propst, unser Wirt, ein guter freundlicher alter Wann, vernahm kaum, daß ich ein Mathematiker werden sollte, so hatte er seine Freude daran, mich als einen jungen Kalendermacher, Sterndeuter und Wetterpropheten zum besten zu haben und mich alle Augenblicke zu fragen, ob morgen und übermorgen eine günstige Witterung für die Schweinsjagd einfallen würde. Denn er war ein großer Liebhaber von dieser Art Zeitvertreib und hatte meinen Prälaten, der sich gleichfalls als ein hitziger Jäger auszeichnete, eigens dazu eingeladen.

Sogleich mit dem kommenden Tage führte mich mein Prälat ins Kollegium der Exjesuiten zu Eichstädt, bat den Pater Pickel, mir vollständige Anleitung in der Mathematik zu geben, und erkundigte sich bei ihm um einen guten Tischort, wo ich wohl verpflegt und vor böser Gesellschaft bewahrt bleiben möchte. Man schlug das Haus der Frau Waldvögtin vor, einer guten frommen Witwe von etwa 36 Jahren, die auch andern Geistlichen die Kost reichte. Mein Prälat suchte mit mir ihre Wohnung auf, ward wegen der Preise für Aufenthalt und Verpflegung des Handels bald einig und nahm mein künftiges Wohnzimmerchen in Augenschein, aus dessen Fenster man eine hübsche Aussicht gegen Süden in einen Garten und die Höhen hinan bis zur Klause auf ihrem Gipfel hatte. Dann gingen wir zu einigen Freunden des Prälaten, einem Kanonikus, mit dem er gut bekannt war, und dem Hofmusikus Rehm, dessen Sohn eben damals in Donauwörth studierte. Der Prälat empfahl mich ihnen, erlaubte mir, wenn ich etwas bedürfen sollte, mich an diesen Herrn wenden zu dürfen und bat ihn, mir das Nötige auf des Klosters Rechnung vorzustrecken. Ehe mein Ordensoberer abreiste, traf er Anstalt, daß mir von Zeit zu Zeit aus dem Kloster Rebdorf ein Fäßchen Wein abgeliefert würde, gab mir drei Louisd'ors Taschengeld, befahl mir, ihm offenherzig und öfters alles, was mir am Herzen läge, zu schreiben, nahm mit väterlichen Ermahnungen Abschied und erteilte mir seinen Segen. Mit nassen Augen begleitete ich den Gütigen, der mir wie ein Vater war, an seinen Wagen.

Noch an ebendemselben Tage ließ ich meinen Koffer zur Frau Waldvögtin bringen, packte meine Sachen aus und begann, nicht ohne Aufblick zum Himmel, meine neue Lebensart. Gar leicht lernte ich mich in meine Lage fügen, denn jedermann im Hause tat mir alles, was man mir ansah, zu Gefallen. Meine Sehnsucht nach Minchen und nach meinem lieben Freunde suchte ich sogleich den andern Tag und ebenso auch in der Folge durch Briefe zu stillen. Pater Pickel fing seinen Unterricht bei den ersten Gründen der Arithmetik an, merkte aber bald, daß er es nicht mit einem noch ganz uneingeweihten Anfänger zu tun habe und ward mit mir einig, ich sollte, damit wir die Zeit nicht unnütz verlieren möchten, zuerst die Arithmetik und Algebra, dann die Geometrie und Trigonometrie samt den Kegelschnitten, nach Anleitung seines Lehrbuches und andrer Autoren, auf meinem Studierzimmer noch einmal durchlaufen und ihn nur dann besuchen, wenn ich einen Anstand finden würde, den ich mir nach aller Anstrengung doch nicht selbst zu heben wüßte. Diese Methode behielten wir auch bei, als ich die optischen Wissenschaften, die Anfangsgründe des Infinitesimal- und Integralkalkuls, die Mechanik und die astronomischen Wissenschaften studierte. Auf mein Bitten, das durch P. Pickels Vorsprache wirksamer ward, kaufte mir der Prälat die nötigen Werkzeuge zum Zeichnen und einige kostbare Bücher, deren ich bedurfte. Ich begleitete meinen Lehrer zum Feldmessen, legte selbst Hand an und sparte überhaupt keinen Fleiß, um in der Mathematik jene Fortschritte zu machen, die das Kloster, den auf mich verwandten Kosten gemäß, erwarten konnte. Bald hatte ich nach einer neuen, von Pickel ersonnenen Methode einen Visierstab verfertigt und übersandte ihn nebst den nötigen Tabellen, die ich eigens dazu berechnen mußte, als die erste kleine Probe meiner Arbeiten dem Prälaten, der mich durch ein Geschenk an Geld noch mehr aufzumuntern nicht versäumte. Wenn ich große Rechnungen zu stellen hatte, saß ich gewöhnlich ganze Tage und Nächte unausgesetzt auf meinem Zimmer, aß kaum, schlief nur wenig oder gar nicht und hörte nicht auf zu arbeiten, bis ich damit am Ende war, so daß sich mein Lehrer manchmal wunderte, wie ich mit dem langwierigsten Kalkül ohne Verstoß so bald fertig werden konnte. Freilich hatte ich die Unart an mir, nach einer solchen Überspannung immer ein paar Lumpentage, wie ich sie nannte, zu machen, das heißt, ich ging entweder mit Rehm oder einem andern Bekannten auf ein Dorf spazieren, zechte dort und hüpfte in Wäldern und Gärten umher, oder ich jagte mich allein mit einem Hündchen, das ich mir gekauft hatte, bergauf, bergab, kletterte an Felsenwänden oder lag dichtend im Grünen. Man hatte mir im Kloster die Gegend um Eichstädt immer als einen traurigen Kessel beschrieben, in dessen Tiefe die Stadt läge. Allein mir gefiel die Gegend sehr wohl. Das Tal ist gut bebaut, nicht sehr breit, aber lang genug, um gegen Osten und Westen dem Auge eine hübsche Aussicht zu gestatten. Einige Berge umher sind zwar steil, aber nicht wild. Ich hatte große Freude, bald rechts, bald links einen davon zu ersteigen und mich von seiner Höhe herab am Anblick der schönen Natur zu erquicken. Am liebsten hielt ich mich in einem sehr hochgelegenen Baumgarten zu Wintershof auf, wo ich die reizendste Aussicht über die höheren Gegenden hin, auf die alte Reichsfestung Willibaldsburg hinüber und in das fruchtbare Tal hinab, durch das der Fluß Altmühl sich in manchen Krümmungen windet, am besten genießen konnte. Die Altmühl ist wegen ihrer schmackhaften Krebse berühmt; oft ging ich in Gesellschaft guter Freunde zu einem Fischer unweit Rebdorf und ließ auf einem Schiebkarren ein Fäßchen gutes Bier dorthin bringen, dann setzten wir uns ins Gras, scherzten, lachten, hüpften, zechten und genossen die Krebse, die uns der Fischer im Überfluß bereitete. Das hießen wir denn einen Krebsabend feiern.

Einer der Freunde, mit denen ich am liebsten Umgang pflegte, war der Kanonikus, dem mein Prälat mich so väterlich empfohlen hatte. Oft kam er zu mir, ich oft zu ihm. Bei meiner Offenheit mußte es ihm ein leichtes werden, meinen Charakter ausfindig zu machen. Er mochte schon lange einen schicklichen Anlaß gesucht haben, meine Meinung von geheimen Gesellschaften zu erforschen, aber nie wollte es ihm recht damit gelingen. Alles, was er anfangs herausbringen konnte, war, daß ich gern die Mitglieder solcher Gesellschaften gekannt hätte und sie zu erraten strebte. Einst aber bot sich ihm eine günstige Gelegenheit dar, mich über diesen Punkt auszuholen. Ein Hofherr des Bischofes hatte seit mehreren Jahren den Garten der Frau Waldvögtin gemietet, ein niedliches Gartenhäuschen darin nach seinem Geschmacke errichtet und dasselbe mit Gemälden und Aufschriften verziert. Unter den letztern zeichnete sich eine Chiffreschrift aus, über die ich mir oft den Kopf zerbrach, ohne daß es mir gelang, sie zu entziffern. Die Leute sagten mir immer, es sei eine Freimaurerschrift. Doppelt neugierig war ich, seit ich dies glaubte. Da ich Erlaubnis hatte, mich zu jeder Zeit, sowohl im Garten als im Gartenhäuschen aufzuhalten, entschloß ich mich, der Entzifferung des Rätsels einige Stunden zu widmen, zeichnete die Charaktere Zug für Zug nach, zählte dann, wie oft jeder Buchstabe darin enthalten sei, versuchte diejenigen, welche am öftesten wiederkamen, als Vokale zu gebrauchen und Worte zusammenzusetzen, so lange, bis es mir endlich gelang, das Alphabet zu erraten und – mich selbst verlachend – gewahr zu werden, daß das große Geheimnis weiter nichts sei als eine Strophe aus einem Gedichte Friedrichs II.:

C'est ici, que je passerai ma vie
Sans préjuge et sans ambition,
Cherchant le vrai dans la philosophie,
Et me bornant à ma condition.

Frédéric II. R.d.P. au Chanson de Sanssouci.

Der Sinn dieser Verse gefiel mir doch sehr wohl. Eben jetzt besuchte mich der Kanonikus, dem ich sogleich meinen Fund mitteilte. »Interessiert Sie denn,« fragte er, »die Freimaurerei so sehr?« »Wie Sie das nehmen wollen,« erwiderte ich, »im ganzen kann ich keinen andern als einen üblen Begriff von einer Gesellschaft haben, von der man allgemein wenig Gutes spricht. Mein Pater Professor – Sie wissen, daß er ein geschickter Mann ist! – hat mir noch dazu ein sehr schlimmes Bild von ihren Mitgliedern gezeichnet, und er kennt sie aus Erfahrung, wie er mir selbst gestand. Insofern interessieren sie mich aber doch, daß ich gern wissen möchte, wer die Leute sind und was sie treiben.« »Was hat denn Beda von den Freimaurern erzählt?« fragte er weiter. Mit meiner gewöhnlichen Treuherzigkeit erzählte ich nun alles, was er mir gesagt hatte. Da war der Kanonikus im klaren und wußte genau, welche Bedenklichkeiten mir im Kopfe säßen. »Glauben Sie denn,« fuhr er fort, »daß gerade die angesehensten und aufgeklärtesten Männer so ungesittete und verdorbene Menschen sind?« »Nein,« antwortete ich, »aber ob die Freimaurer so angesehene und aufgeklärte Männer sind, als Sie sagen, das ist eben die Frage.« »Sie kennen mich doch?« sprach er mit einem Tone von Selbstgefühl, der seine Wirkung bei mir nicht verfehlen konnte, »bin ich denn ein so schlimmer Mann? Und ich gestehe Ihnen unverhohlen, ich bin ein Freimaurer.« »Aber wahrscheinlich einer von jenen unechten, die besser als die echten sind,« versetzte ich ihm scherzend. »Beda hat Ursache,« erwiderte er ziemlich ernsthaft, »Ihnen von unechten Maurern vorzuschwatzen. Es wundert mich, da er Ihnen doch vertraute, er selbst habe sich in München anwerben lassen, daß er nicht auch gestand, er sei, weil er sich als ein eitler Schwätzer auszeichnete, förmlich wieder ausgestoßen worden. Erinnern Sie sich nur an die große Tafel, die am Namensfeste des Prälaten gegeben wurde, als ich eben auch in Donauwörth war! Damals war Beda von der hohen Ehre, in eine Gesellschaft vortrefflicher Männer aufgenommen zu sein, so sehr entzückt, daß er, uneingedenk seines Schwurs der Verschwiegenheit und ruhmredig genug, an offener Tafel von seiner Aufnahme und dem Glücke, das ihm dadurch zuteil geworden war, laut zu sprechen anfing und sogar sein empfangenes geheimes Ordenszeichen auf einem Teller den Gästen zur Schau herumbot. Mehrere Mitglieder eben derselben geheimen Gesellschaft waren zugegen, sahen mit Verdruß den ausgezeichneten Unfug und zeigten es bei höherer Behörde an. Da ward nun freilich der eitle Prahler mit einer wohlverdienten Strafpredigt ausgestoßen, allenthalben den Brüdern als ein Suspendierter angekündigt und die Ordensinsignien herauszugeben angehalten. Ob er sich nun aus Scham und Furcht, vor Ihnen in einem so ungünstigen Lichte zu erscheinen, oder aus bessern Ursachen so feierlich gegen den geheimen Orden erklärte, dem er anzugehören sich erst so öffentlich rühmte, das mögen Sie selbst entscheiden.«

Daß Beda dies getan hatte, wußte ich wohl, denn das goldene Ordenszeichen war bei der Tafel auch in meine Hände gekommen. Deutlich sah ich nun ein, die Leidenschaft müsse dem guten Beda die Zunge gelöst haben, als er mir von den Eichstädtischen geheimen Gesellschaften ein so häßliches Gemälde entwarf. Unmöglich konnte ich dem Kanonikus etwas Gründliches gegen seine Erzählung einwenden. Alles, was ich zu sagen wußte, war: »Es mag sein, daß den P. Beda im gegenwärtigen Falle eine Schwachheit angewandelt hat, aber schon das Geheimtun dieser Art Leute ist mir anstößig. Warum nicht offen gehandelt, wenn man Gutes vorhat?« Allein da wußte er mir soviel vom Reize des Geheimnisses, vom schädlichen Eindringen der untauglichen Großen in öffentliche Anstalten, von der Wirksamkeit der Bösen gegen bekannte gute Einrichtungen und von der Unmöglichkeit, etwas unbekanntes Gutes zu zerstören usw., zu sagen, daß ich endlich in die Worte ausbrach: »Ich begreife, es könne geheime Gesellschaften geben, deren Zweck edel sein mag, deren Arbeiten aber doch weislich verborgen bleiben müssen.« »Würden Sie den geheimen Orden kennen,« erwiderte er, »den Ihnen Beda so schwarz abgemalt hat, so müßten Sie mit Freuden gestehen, daß es eben eine solche Gesellschaft ist. Wenn Sie sich bequemen wollen, mir einen schriftlichen Revers auszustellen, den ich Ihnen vorlegen werde, so will ich Sie mit der Einrichtung dieses vortrefflichen Ordens bekannt machen. Weigern Sie sich, so ist mir die Zunge gebunden, und Sie bleiben in der alten Finsternis.« Was sollte ich nun tun? Der Vorwitz sprach mächtig in mir. »Wenn ich nur wüßte,« sagte ich, »daß der Orden nichts gegen Staat, Religion und gute Sitten lehrte oder täte, so wünschte ich zu hören, wie der Revers laute, den ich ausstellen soll.« »Daß gegen Staat, Religion und gute Sitten,« sprach er, »in der Gesellschaft, zu der ich gehöre, durchaus nichts unternommen werde, dafür stehe ich Ihnen mit meiner Ehre. – Ist Ihnen das genug? Wollen Sie schreiben?« Ohne erst meine Antwort abzuwarten, die freilich nicht wohl verneinend ausfallen konnte, zog er einige Papiere aus seiner Tasche und las mir den Revers langsam und deutlich vor. Es war ebenderselbe, der in dem echten Illuminaten (oder den wahren, unverbesserten Ritualen der Illuminaten, Frankfurt, 1788. 8 abgedruckt ist, in welchem jeder Aufzunehmende »bei seiner Ehre und gutem Namen, ohne geheimen Vorbehalt,« versprechen mußte, »von den ihm anvertrauten Sachen auf keine mögliche Weise an irgend jemand das geringste zu verraten und alle ihm mitgeteilten Schriften und Briefe zurückzugeben, um so mehr, da man ihm vorläufig versichert hätte, daß in dieser Gesellschaft nichts gegen Staat, Religion und gute Sitten unternommen würde.« Der Inhalt dieser Schrift dünkte mich so unverfänglich und die Forderungen so gerecht, daß ich keinen fernern Anstand nahm, den Revers zu schreiben und zu siegeln. Der Kanonikus steckte ihn in die Tasche und sprach: »Nun, Freund, darf ich freier von der Brust reden: ich weiß, Sie haben ein redliches Herz und werden Ihrem Versprechen getreu bleiben. Sehen Sie, hier ist ein Auszug aus den Statuten des Ordens, wir wollen sie durchgehen.« Dann las er mit mir die Instruktion für die Insinuaten oder Rezepten und lehrte mich, wie ich mein Tagebuch (Ordensdiarium, in welchem alles, was ich vom Orden empfangen oder an denselben abgeben würde, genau aufgezeichnet und von meinen täglichen Geschäften Rechenschaft gegeben werden sollte) einzurichten habe; er zeigte mir ferner die Handgriffe beim Notieren nach der Methode des Ordens, und wie mein Quibus licet, ein Brief an die höhern Obern, nach den Regeln verfaßt werden müßte, in welchem ich monatlich anzeigen sollte, ob und welche Beschwerden ich gegen den Orden habe, was mir für Befehle zugekommen seien, und was ich an Gelde erlegt habe, nebst andern Anmerkungen, die ich etwa nötig finden möchte. Auch gab er mir die Chiffreschrift, las mir die allgemeinen Ordensstatuten, die mir sehr wohl gefielen, vor, trug mir auf, zwei Tabellen, die erste über mich selbst und die zweite über meine Verhältnisse nach Anweisung der mir vorgelegten Formulare zu verfassen und als erstes Pensum eine kleine Abhandlung aufzusetzen über die Frage: »Welche Ursachen kann ein vernünftiger Mann haben, in eine geheime Gesellschaft einzutreten?« Sogleich den andern Tag kam mein Rezipient wieder, erkundigte sich sorgfältig, ob ich meine Gesinnungen noch nicht geändert hätte, sagte mir unter anderm auch, daß er den Ordensnamen Moses führte, und daß ich Aristoteles heißen sollte und nahm meine Tabellen in Empfang.

Das aufgegebene Pensum arbeitete ich sehr bald aus und erhielt den Beifall meines Rezipienten, der mir sogleich nach Ablieferung desselben eine zweite Abhandlung zu schreiben auftrug. Der Stoff war: »Über die Mittel, durch welche man einem jungen Menschen das Studium der Moral vorzüglich achtungswürdig machen kann.« In einem dritten Pensum mußte ich die Frage abhandeln: »Wie kann man bei Jünglingen Lust zum Selbstdenken erwecken?« Da es nach den Statuten erlaubt war, die Aufsätze in jeder beliebigen Form zu verfassen, so wählte ich die Briefform. Allein mein Rezipient war darüber mit seinem Lobe sehr sparsam und erinnerte, es würde mir besser und nützlicher sein, künftig Formen zu wählen, die eine strengere systematische Ordnung heischten.

Infolge dieser freien und intensiven Beschäftigung mit religiösen und philosophischen Fragen hatte wirklich das Vorurteil, jeder Zweifel in Religionssachen sei eine Todsünde, durch die Erkenntnis, edle Liebe könne keine Sünde sein, in mir den ersten Stoß bekommen. Dann wagte ich mich in Eichstädt, als mich täglich wichtigere Geschäfte drängten, als das Brevierbeten war, an die Meinung, jeder Geistliche, der bereits eine der größeren Weihen empfangen habe, sei unter einer Todsünde verbunden, täglich das ganze Brevier zu beten, ohne eine einzige Hora auszulassen. Dann ging es an die Lehre von der Transsubstantiation und der Ohrenbeicht. So oft ich aber dergleichen Sätze prüfen wollte, lief ich erst in die Kirche und betete inständig zu Gott, er möchte mich doch erleuchten, damit ich nicht auf Irrtümer geriete. Obschon ich gefunden hatte, daß die Ohrenbeicht dem Sünder zur Versöhnung mit Gott nicht notwendig sei, so ging ich doch meiner Gewohnheit zufolge alle Sonn- und Festtage zum Beichten in die Domsakristei, weil ich glaubte, bei meiner geringen Übung im Denken könnte es etwa doch noch möglich sein, daß die Beicht zum Heil erfordert würde, ich wollte also das Sicherste wählen und beichten, nicht eben, weil ich müßte, sondern weil ich dabei ruhiger sein dürfte. Die Gespräche in den Gesellschaften der unbekannten Herren, in die mich Moses manchmal mitnahm, betrafen oft Religionssachen; meine Zweifel häuften sich, ich fühlte mich gezwungen, über Erbsünde, und da ich auch diese als eine unstatthafte Dichtung befand, über das Werk der Erlösung, das mit ihr so enge zusammenhängt, und dann über Trinität, Unsterblichkeit und sogar über das Dasein Gottes usw. meine Untersuchungen anzustellen. Dies verwickelte mich in kurzer Zeit in ein solches Labyrinth von Ängstlichkeiten, Zweifeln und Ungewißheit, daß ich nicht mehr wußte, an was ich mich halten sollte. Es war ein höchst schmerzhafter Zustand für Herz und Kopf. Mit aller Anstrengung vermochte ich kaum Licht zu finden. Ich seufzte und rief Gott mit einer Innigkeit, die ich nur selten empfunden hatte, um Erleuchtung und Hilfe an. Nach und nach legten sich die Stürme, das Chaos der Gedanken entwickelte sich, und ein System von moralisch-religiösen Grundsätzen ging hervor, bei dem ich mich beruhigen konnte, und an dem ich bis diese Stunde bessre. Ich müßte ein besondres philosophisch-theologisches Buch schreiben, wenn ich hier die Gründe und Gegengründe anführen wollte, die ich gegeneinander abzuwägen hatte.

Mein Prälat schrieb mir zu dieser Zeit, ich sollte zur Fastnachtfeier nach Donauwörth kommen. Ich reiste also an einem schönen Wintermorgen von Eichstädt ab. Je näher ich Donauwörth kam, desto wärmer ward mir ums Herz; ich sollte ja Minchen bald wieder sehen! Begierig blickte ich aus dem Wagen, als ich die Hauptgasse hinauffuhr, und wünschte, sie möchte am Fenster stehen. Aber umsonst! Erst nach ein paar Tagen gelang es mir, mit meinem Freunde einen Besuch bei ihrem Vater ablegen zu dürfen. Die Mutter schickte sogleich nach Minchen und ihrem Manne. O, wie flink kam sie daher, wie zärtlich blickte sie mich an und drückte mir innig die Hand! Es war ein glücklicher Abend, den wir beieinander verlebten.

Als ich wieder in Eichstädt war, kam einst abends um sechs Uhr der Bruder Moses auf mein Zimmer, hieß mich einen schwarzen Überrock anziehen und ging mit mir in einen Domherrnhof. Dort führte er mich in eine finstre Kapelle, sagte mir, hier sollte ich noch einmal reichlich überdenken, ob ich in die geheime Gesellschaft, deren Mitglied er sei, wirklich aufgenommen werden wollte, und sperrte die Kapellentür hinter sich zu. Nach einer starken Viertelstunde öffnete er die Tür wieder und ließ mich in ein großes unmöbliertes Zimmer mit wohlverriegelten Fensterläden treten, das nur von einem ersterbenden Lämpchen notdürftig erleuchtet ward. »Welchen Entschluß haben Sie gefaßt?« fragte er mich. »Wenn das wahr ist,« erwiderte ich, »was Sie mir von der Gesellschaft Gutes gesagt haben, so ist's mir unmöglich, die Aufnahme nicht zu wünschen.« »Besinnen Sie sich noch einmal,« sprach er dann, »und warten Sie hier, bis man Sie abholt, Ihre Wünsche sollen erfüllt werden.« Da verließ er mich wieder und verschloß die Tür. Es kam mir ziemlich ekelhaft und dabei etwas lächerlich vor, mit so vielen Zeremonien unnützerweise geplagt zu werden. Eigentlich hätte ich sogleich in dieses Zimmer geführt werden sollen. Allein man initiierte, wie ich nachher erfuhr, unmittelbar vor mir ein paar andre junge Männer, mit denen ich in der Folge näher bekannt wurde. Da nun nicht genug finstre Zimmer im Hause waren, so mußte ich indes in die Kapelle wandern, bis die Initiation des einen vorüber sein würde. Endlich rief mich Moses hinaus und trat mit mir in ein schön möbliertes Zimmer. Der Tür gegenüber stand ein Tisch mit Lichtern, an dem ein mir unbekannter Ordensbruder von Adel thronte; an der Wand zu meiner Linken saß ein andrer unbekannter Bruder, den die Schreibmaterialien auf seinem Tischchen als den Sekretär kenntlich machten. Zur Rechten nahm mein Führer seine Stelle ein. Alle waren mit ihren Ordensinsignien geschmückt. Genau dieselben Fragen, die im echten Illuminaten angeführt sind, wurden von dem Obern an mich getan. Dreist antwortete ich; der Sekretär schrieb meine Worte nieder, und mein Pate Moses las diejenigen Antworten her, welche der Rezipiens zu sprechen hat, um den Aufzunehmenden gleichsam dadurch zu belehren, ob er recht oder nicht recht geantwortet habe. Als mir der Initians in einer theatralischen Stellung den Degen auf die Brust setzte und die Worte sprach: »Aber, Aristoteles, solltest du zum Verräter oder Meineidigen werden, so würden alle Mitglieder zur Ergreifung der Waffen gegen dich aufgerufen werden. Glaube nicht sicher zu sein, wo du auch immer hinfliehen würdest, da würden Schande, Vorwürfe deines Herzens, die Rache deiner dir unbekannten Mitbrüder dich verfolgen und dich bis in dein Innerstes peinigen!« – Da konnte ich mich des Lächelns nicht mehr erwehren. – Der Initians fragte, warum, ich lache? »Weil ich's nicht zusammenreimen kann,« antwortete ich, »wie die Mitbrüder, wenn ich auch untreu würde, die Waffen gegen mich ergreifen dürften, ohne einen Eingriff in die Rechte des Staates zu tun, gegen den doch der Orden nichts zu unternehmen verspricht.« Man stutzte, protokollierte meine Antwort und ließ mich die Eidesformel mit einigen Veränderungen stehend ablesen. Die Worte: Ich bekenne vor Gott dem Allmächtigen, und so wahr mir Gott helfe! durfte ich auslassen und an deren Statt sagen: Ich verspreche, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin und solcher immer bleiben will usw. Denn ich hatte schon zum voraus meinem Rezipienten erklärt, daß ich glaubte, einem ehrlichen Manne müsse sein Versprechen ebenso heilig sein, als ein Eid.

Bei der nächsten Versammlung ward ich nach ebendemselben Ritual zum erstenmal in den Kreis der Minervalen eingeführt und hielt, nicht ohne geheimen kindischen Stolz auf mein funkelndes Ordenszeichen am Halse, eine kleine Vorlesung über Unsterblichkeit. –

Die Uslersche Schauspielergesellschaft hielt sich damals in Eichstädt auf, und ich versäumte niemals, das Theater zu besuchen, wenn ein Stück aufgeführt wurde, das ich noch nicht gesehen hatte. Anfangs wollten sich einige andächtige Eiferer darüber ärgern, daß ich als Mönch in das Schauspielhaus ginge, allein der Befehl des Bischofs, daß kein junger Zögling des Priestertums, welcher im Bischöflichen Seminar wohnte, vom Besuch der Bühne abgehalten werden sollte, rechtfertigte auch mich und verschaffte mir das Vergnügen, ohne Scheu vor Tadel manchen fröhlichen Abend genießen zu dürfen.

Andre Abende brachte ich in der Gesellschaft mir bekannter Illuminaten hin; wir lasen meistens anziehende Stellen aus alten oder neuen Philosophen, aus Tobias Knaut, dem Roman meines Lebens von Knigge, aus Weishaupts Alexander von Joch, Abts Abhandlung vom Verdienste usw., machten unsre Anmerkungen darüber, sprachen von Herzens- und Ordensangelegenheiten und vertrieben uns die Zeit auf eine mir sehr angenehme Weise.

Zuweilen fügte es sich, daß auch Frauenzimmer mit von der Gesellschaft waren; dann wurden freilich andre Gespräche auf die Bahn gebracht; aber es war doch immer ein Zirkel von artigen, wohlgesitteten Menschen, in dem ich mich sehr wohl befand. Lebhafter dünkte mich unsre Unterhaltung in Gegenwart schöner Frauenzimmer, jeder Scherz tönte feiner, und jeder Anwesende schien sich von der besten Seite zeigen zu wollen. Je fremder mir ein so froher und doch edler Umgang war, um so mehr Anziehendes hatte er für mich. Ein wohlgewachsenes, sanftes Fräulein, die Tochter eines Geheimen Rates, die ich öfters bei einem Ordensbruder, dessen nahe Verwandte sie war, zu sehen Gelegenheit fand, besaß so viele Vorzüge, daß sie meiner Liebe zu Minchen gefährlich zu werden anfing. Freilich gab ich mir selbst Verweise, wenn ich von ihr nach Hause kam und Minchens Bild wieder lebhaft vor mir stand. Aber das Fräulein war doch so sanft und schön, hatte eine so gebildete, feine Lebensart, begegnete mir so gütig, daß ich einmal auf den Einfall geriet, es könnte vielleicht wohl angehen, beide zu lieben. Allein es regte sich doch etwas in meinem Herzen, das mir hierüber Vorwürfe machte, und als ich bald darauf erfuhr, daß das Fräulein bereits einem meiner Ordensbrüder so gut als versprochen sei, zog ich mich allmählich zurück, besuchte ihr Haus nur, wenn ich mußte und fühlte meine Neigung fast ebenso schnell wieder erkalten, als sie entstanden war. Bei andern Anlässen, wo mich das Ungefähr in die Gesellschaft weiblicher Geschöpfe führte, die eben meiner Hochachtung nicht wert waren, aber meiner Lüsternheit nur desto gefälliger und bereitwilliger entgegenzukommen schienen, beschützte Minchens Liebe immer als eine Ägide mein Herz, und oft hatte ich Anlaß, zu Hause Gott zu danken, daß er mich, noch ehe ich nach Eichstädt zu einer freiern Lebensart verschickt ward, die bessere Liebe empfinden lehrte und mich dadurch vor den Ausschweifungen einer erniedrigenden Wollust bewahrte.

Der Zutritt in bessere Gesellschaften war nicht der einzige Vorteil, den mir der Illuminatismus gewährte; auch jene behagliche Untätigkeit, die den Bequemen so gern nach Vollendung der nötigsten Geschäfte beschleicht, besiegte mein Ehrgeiz, in jeder Minervalversammlung, deren alle Monat eine, höchstens zwei gehalten wurden, mit einer neuen Vorlesung aufzutreten.

Mittags und abends, nach Tische, spielte ich meistens eine Stunde auf der Violine. Der Umgang mit dem Hofmusikus Rehm und seine Anleitung munterten mich immer mehr auf, mich auf diesem Instrumente zu üben, und brachten mich endlich dahin, daß ich in den Vakanzferien zu Donauwörth, wohin mich Rehm begleitet hatte, bei Klostertafeln, öfters nicht ganz ohne Beifall, leichte Konzerte zu spielen wagte.

Mein Herr Prälat hatte auch den Exjesuiten Pickel, meinen Lehrer, eingeladen, im Kloster ein paar fröhliche Vakanzwochen hinzubringen. Sein Zeugnis mußte gut für mich ausgefallen sein, denn der Herr Prälat begegnete mir besonders gnädig, rief mich fast immer zum Billard, wenn er spielte, und nahm mich bald hernach auf eine Reise nach München mit sich, welches keine geringe Gunstbezeigung war, indem jeder Religiose diese lebhafte Hauptstadt Bayerns gern gesehen hätte. In München hatte ich mein größtes Vergnügen daran, den Abend im Schauspielhause, so oft es eröffnet ward, hinzubringen, die schöne Bildergalerie zu besehen und täglich neue Bekanntschaften mit Illuminaten zu machen. Ich ging in das Logenhaus und in die Häuser mehrerer Brüder und weidete mich im Genusse aller Vorteile, die ich als Mitglied eines so weit ausgebreiteten Instituts durch die Dienstfertigkeit der Brüder genießen konnte. Einst kam ich abends spät nach Hause. »Wie geht doch das zu,« sagte der Prälat und schüttelte den Kopf, »daß Er in München so viele Bekannte hat? Er studierte nicht hier, hat keine Verwandten hier und läuft doch immer mit allerlei Leuten durch die Gassen, als wäre Er da zu Hause gewesen.« »Gnädiger Herr,« erwiderte ich, »Herrn Brauns Bekanntschaft ist weitläufig, das wissen Sie selbst, und mir ist es lieb, viele brave Leute kennen zu lernen, und Ihnen, glaub' ich, ist es auch lieb.« »Aber,« sagte er und blickte mir scharf in die Augen, »ich sah Ihn heute mit Herren gehen, die in der ganzen Stadt als Freimaurer verschrien sind; wie geriet Er an die?« »Einen derselben lernte ich in Eichstädt kennen, Kanonikus N. ist sein guter Freund. Wenn er und seine Gespannen Freimaurer sind, so kümmert mich das wenig, und ich meine, sie sind deswegen um nichts schlimmer.« Er schüttelte nochmals den Kopf und schwieg. Dies war das einzige Mal, daß er mir seine Vermutung, ich möchte zu einem geheimen Orden gehören, ausdrücklich kundgab. In der Tat besuchte ich auch Herrn Kanonikus Braun, dem Beda mich empfohlen hatte. Derselbe bat einst diejenigen Frauenzimmer, die mir auf dem Theater am besten gefallen hatten, zu Gaste, um mich mit ihnen, als seinen Freundinnen, näher bekannt zu machen und sich selbst einen frohen Abend zu verschaffen. Allein ich war unter den unbekannten Schönheiten so schüchtern und stille und konnte mich so wenig in den Zirkel der allzu geschmeidigen Geschöpfe finden, daß ich mit Sehnsucht die Stunde erwartete, wo die Gesellschaft sich trennen und mir die Freiheit lassen würde, meinen Gedanken – an Minchen ungestört nachzuhängen. Die Schuld der Frauenzimmer war es nicht, wenn ich mich am unrechten Platze fand; einige derselben waren wirklich artig und schön, sangen hübsche Lieder und sprachen scharfsinnig genug über den Wert und Unwert manches Schauspieles ab. Solange sie das taten, hörte ich mit ziemlicher Behaglichkeit zu. Allein wenn das Gespräch hin und wieder durch Stillschweigen unterbrochen ward und dann eine Fragende in mich drang, auch meine Gesänge und Urteile mitzuteilen, so kam ich in Verlegenheit, denn ich dachte immer, für so geübte Kennerinnen möchten meine Lieder nicht gut genug sein und meinen Äußerungen möchte das Treffende mangeln, das sie allein wert machen könnte, in einer artigen Gesellschaft vorgetragen zu werden. Manchmal hatte ich Anlaß, meinen Nachbarinnen etwas Verbindliches zu sagen; ich tat es auch, so gut es angehen wollte, und es schien mir nicht ganz zu mißlingen; aber jedesmal fiel mir dabei ein, ich sei ein Mönch, und Schmeicheleien aus einem solchen Munde könnten nur albern tönen. Kurz, die Furcht zu mißfallen machte, daß ich wegen meiner geringen Teilnahme an der Unterhaltung wahrscheinlich im Ernste mißfiel, und die Eitelkeit ließ mich in den Augen der Gesellschaft das wirklich verlieren, was ich so ängstlich beizubehalten strebte: die gute Meinung von meiner Gabe, unterhaltend zu sein. Es war nicht das einzigemal, daß ich mich in einer solchen Situation befand; ebendasselbe begegnete mir noch öfters, wenn mich das Ungefähr in einen Kreis von Unbekannten führte, deren Achtung ich gern beibehalten hätte, und es währte lange, bis ich mein Betragen nach dem Grundsätze einrichten lernte, ein offenes und ungezwungenes Benehmen ohne Anmaßung und Ängstlichkeit sei das willkommenste in jeder Gesellschaft.

Mein lieber Freund im Kloster war indes zum Professor der Grammatik nach Freysingen ernannt worden, genoß nun, so wie ich, der Freiheit vom Chor, durfte mit mir spazieren gehen und konnte, ohne erst so große Schwierigkeiten wie ehedem auf die Seite räumen zu müssen, einige Besuche im väterlichen Hause unsrer Geliebten abstatten. Zu oft durfte das freilich nicht geschehen, denn wir mußten besorgen, der Prior, der nicht fern vom Hause seine Spione hatte, möchte mit Beisätzen und Vergrößerungen davon unterrichtet werden und dann unsre Freude auf eine verdrießliche Art ganz zu stören suchen. Wenn wir nach Tische aus dem Kloster traten, bestiegen wir meistens den Schellenberg, labten uns an der Schönheit der Gegend und den herrlichen Aussichten, wandten uns dann, von unsern Mädchen plaudernd, gegen die Donau herab, wo gewöhnlich die Salzschiffe standen, und besuchten Minchens Vater und Gatten bei der Arbeit, um ihnen zu sagen, daß wir in ihrer Wohnung einsprechen wollten. Dann begleiteten sie uns zu ihren und unsern Lieben, scherzten und tranken mit uns im traulichen Zirkel umhersitzend und freuten sich beinahe so sehr als wir selbst, daß wir an der Seite unsrer Geliebten so glückliche Augenblicke genossen. An Sonn- und Feiertagen kamen die beiden Männer auf meines Freundes oder meine Zelle, unterhielten uns mit Erzählungen von den lieben Geschöpfen und tranken auf ihre und unsre Gesundheit, bis uns die Nacht schied. Minchen hatte, indes ich zu Eichstädt war, einen schönen Knaben geboren. Mit inniger Mutterfreude trug sie mir ihn beim ersten Besuche lächelnd entgegen und erinnerte mich an die Stelle in einem meiner Briefe, wo ich geschrieben hatte: »Mit Entzücken würde ich einst ihre Kinder küssen, weil sie die ihrigen wären.« Tränen stiegen mir in die Augen, als ich voll Rührung den Knaben küßte, und auch Minchens Blicke wurden feucht.

So flossen uns die acht Wochen der Vakanz fröhlich dahin, und mein Freund und ich schieden diesmal ohne Tränen voneinander, denn beiden schwebte eine schöne Aussicht auf ein glückliches Jahr voll Freiheitsgenuß vor Augen. Unsre Geliebten hatten uns beim letzten Besuche mit guten Wünschen und süßer Freundlichkeit überhäuft und waren so versichert als wir, daß keins das andre vergessen könnte. Nicht ohne stilles Zurücksehnen nach Donauwörth langte ich mit Anfang November in Eichstädt wieder an, besuchte meine Brüder und Freunde und begann meine mathematischen Studien wieder, sowie die Arbeiten für den geheimen Orden. Moses gab mir die Cahiers, welche die vollständigen Rituale der beiden ersten Grade enthielten, öfters zum Abschreiben, damit ich, wie er sagte, doch auch etwas zum Besten des Ordens beitragen möchte, da ich mir ausbedungen hätte, mit Geldabgaben verschont zu bleiben. Wirklich forderte man einige Monate lang kein Geld von mir, aber in der Folge sollte ich doch monatlich 50 Kreuzer bezahlen, welches ich auch zuweilen tat, größtenteils aber unterließ. Von jedem Cahier nahm ich sogleich auch eine Abschrift für mich und, weil ich vermutete, die Obern würden wohl auf den Gedanken geraten, ich hätte wahrscheinlich für mich gleichfalls eine Abschrift in Händen behalten, sie möchten mir also dieselbe abfordern lassen, so schrieb ich jedes Heft heimlich zweimal für meinen Gebrauch ab, damit ich im Falle, wenn mir das eine mit strengem Ernste abgefordert würde, doch noch das andre ohne Verdacht behalten dürfte. Einesteils dachte ich, nach und nach ein ganzes Ordenssystem aus diesen Heften zusammensetzen zu können, welches den Statuten und meinem Versprechen gar nicht entgegen war; andernteils meinte ich, wenn ich im Orden wider Vermuten etwas finden würde, das gegen Moralität anstieße und ich also aus dieser oder aus einer andern Urfache zurücktreten müßte und dann von den Mitbrüdern verfolgt werden sollte, diese Schriften würden mir dann als Waffen dienen, um mich gegen ihre Zudringlichkeit sicher zu stellen und sie durch die Drohung, daß ich im Falle einer weitern Verfolgung alles drucken lassen wollte, in Schranken zu halten. Wirklich hatte ich nicht ganz irre gerechnet: Moses forderte mir bald mit dem Vorgeben, daß es auf Befehl der höhern Obern geschehe, ein paar dieser Hefte ab, sagte geradezu, der Orden wisse aus langer Erfahrung, daß gewöhnlich jeder Abschreiber für sich eine Kopie zurückbehalte, ich sollte also die meinige ohne Umstände herausgeben. Ich sträubte mich, dem Scheine nach, eine Weile, ihm zu willfahren, öffnete aber endlich meinen Schreibtisch, wo ich die Ordenssachen aufzubewahren pflegte und legte sie mit einigem Bedauern in seine Hand. Flink fiel er über meine Schublädchen her, durchsuchte sie, ob er nicht noch eine andre Abschrift finden möchte, und gab sich erst dann zur Ruhe, als er, was er suchte, nicht fand. Denn ich hatte sie auf den Fall, wenn er mein kleines Illuminatenarchiv zu durchstöbern käme, wie jeder Manuduktor tun durfte, längst in meinem Koffer in Sicherheit gebracht. Es lief hier freilich etwas Falschheit und Verstellung mit unter, aber ich weiß nicht, ob jemand in meiner Lage viel anders gehandelt haben würde. Die Art, wie man in geheime Gesellschaften geführt wird, das Mißtrauen und die Zurückhaltung, welche zwischen den Obern und Untergebenen herrschen, und die Ungewißheit, in der jeder Angeworbene in Absicht auf den geheimen Zweck der Gesellschaft unablässig schwebt, sind nicht sehr fähig, offenherzige, gerade Menschen zu bilden.

Indessen gewann ich durch den Fleiß, mit dem ich jeden Monat einen Aufsatz lieferte, durch Äußerungen meines Wohlgefallens an den Einrichtungen der mir bekannten Grade und durch aufrichtige Anhänglichkeit an den Orden bald den Beifall der Obern so sehr, daß ich sowohl in den sogenannten Reprochezetteln manches aufmunternde Lob erhielt, als auch durch schnellere Beförderung belohnt wurde. Moses erhielt die Weisung, mir die drei Freimaurergrade tête-à-tête zu erteilen, das heißt, er forderte mir ein Handgelübde ab, daß ich dasjenige, was er mir anvertrauen würde, verschweigen wollte. Dann las er mir die Hefte des Lehrlings, Gesellen und Meisters vor, erklärte, was mir unverständlich war, zeigte mir die Handgriffe und einige Zeremonien und lachte herzlich mit mir über die Abgeschmacktheit aller dieser Torheiten. »Es ist einfältiges Zeug,« sagte er, »was ich Ihnen da lese, aber diesen Weg müssen Sie betreten, wenn Sie kleiner Illuminat werden wollen. Die Gesetze der Gesellschaft verlangen, daß jeder Minerval, ehe er zu einer höheren Stufe emporsteigt, erst alle drei Freimaurergrade durchlaufe, und Sie haben es als eine vorzügliche Gunstbezeigung anzusehen, daß die Obern Sie tête-à-tête einweihen wollen, ohne erst die kostspieligen Initiationsgebühren bezahlen, sich feierlich in die Versammlung einführen lassen und langweilige Interstitien zwischen jedem Grade halten zu müssen.« Zur Dankbarkeit mußte ich die drei Hefte einigemal abschreiben und behielt auch für mich, wie gewöhnlich, eine Abschrift zurück. Den 19. Juni 1783 ward ich wirklich als Illuminatus minor initiiert, wohnte hierauf zum erstenmal einer Versammlung dieses Grades bei und erhielt die Aufsicht über den Sekretär eines Domherrn, Bruder Dryden, der mit mir, weil er auch ein Mathematiker war, ohnehin Umgang pflegte und seit langem die Minervalversammlungen besuchte. Indessen mußte auch ich in diesen Versammlungen noch, wie vorher, erscheinen, in den Illuminaten-Zusammenkünften aber meine Bemerkungen über die Sitten, Gaben und Äußerungen sowohl der Minervalen überhaupt, als besonders des Bruders Dryden vortragen und mich über die Maßregeln, welche zur bessern Leitung jedes Untergebenen zu ergreifen sein möchten, mit den Brüdern beraten. Bei dieser Gelegenheit sah ich, daß es den meisten Illuminaten mit der Besserung ihrer Zöglinge ernst sei. Man wandte alle Mittel an, um Wollüstlinge von Ausschweifungen abzuhalten, Träge zur Tätigkeit anzufeuern, Schüchterne aufzumuntern und jeden zum Selbstdenken zu reizen usw.

Einst, als eben eine dergleichen Zusammenkunft geendigt war, schickten sich einige Mitglieder an, die Freimaurerloge zu besuchen, und neckten mich so lange, daß ich mitgehen sollte, bis ich endlich einwilligte. Genau hatten sie mich unterrichtet, wie ich mich benehmen müßte, und ich wußte die nötigen Sprüche ziemlich gut auswendig. Ich ward als ein fremder Lehrling dem Meister vom Stuhle gemeldet. Der erste Vorsteher, Bruder Moses, kam sogleich ins Präparationszimmer gelaufen, gab mir in der Stille einen derben Verweis meiner unvorsichtigen Kühnheit wegen, fürchtete, ich würde die Prüfungsfragen nicht beantworten können, beruhigte sich aber, als er merkte, daß ich wohl unterrichtet und mein kleines Wagestück ein abgeredeter Handel sei und gab mir einen Degen und Handschuhe nebst der nötigen Schürze. So erschien ich im Logensaal, ward sogleich von einigen Maurern, die nicht Illuminaten waren, schärfer auf's Korn genommen, strenge befragt, und nach Maurerart sorgfältig geprüft. Ich rezitierte ohne Anstand meine Sprüche her, gab mich für ein Mitglied der Loge Theodor vom Guten Rate im Morgen von Athen aus, versprach, ihnen bei Gelegenheit mein Patent vorzuweisen und sagte: »Jetzt, da mich unversehens einige Brüder, die mich als Maurer kennten, auf dem Wege angetroffen und überredet hätten, ohne weiteres mit ihnen zu kommen, sei ich nicht imstande, ihren Wünschen, wie ich sollte, sogleich zu entsprechen.« Meine Bekannten beteuerten dasselbe, und so ließ man mich unangefochten der Loge beiwohnen. Es fügte sich, daß eben ein geistlicher Rat und Kanonikus von Eichstädt aufgenommen werden sollte. Der Zeremonienmeister führte den Aufzunehmenden auf die gewöhnliche, geheimnisvolle Weise herein, indem er ihm die Degenklinge vorhielt. Die verbundenen Augen, die entblößte linke Brust, das nackte rechte Knie, der übergetretene linke Schuh, kurz das ganze zerrüttete Aussehen des Geführten mahnten mich lebhaft an die Vorstellung eines Malefikanten, den man zur Richtstätte führt. Es war mir in der Tat ein häßlicher Anblick, einen sonst angesehenen Mann so schimpflich degradiert zu sehen. Das Degengeklirre und Rauschen der Schurzfelle, als er den fürchterlichen Eid samt allen Verwünschungen, die ihn im Falle des Verrates treffen sollten, mit gebrochener Stimme nachsprach, dünkte mich kindisch-fürchterlich, als aber die Lichter ausgelöscht wurden und nur mehr eine Lampe, mit Weingeist gefüllt, in Form einer Urne auf dem Tische des Meisters düster flammte, jeder Bruder die Spitze seines Degens gegen das Angesicht des Eingeweihten ausstreckte, der Meister ernsthaft rief: »Man gebe ihm das erste Licht!« und: »Sehen Sie hier eine Menge Arme zur Bestrafung des Meineids bewaffnet!« und nun die Binde fiel, und der Aufblickende mit Entsetzen zurückfuhr, indem alle Brüder riefen: »Rache dem Verbrecher!« da konnte ich mich des Unmuts nicht mehr erwehren, der in mir aufglühte; ich verwünschte alle diese schreckenvollen Gaukeleien, mit denen man arglose ehrliche Männer schändlich betört. Kaum war die Lehrlingsloge geschlossen, so ging ich voll Unwillens davon. Der neueingeweihte Kanonikus schritt, ohne zu merken, daß ich ihm folgte, murrend vor mir her. »Bübisch ist diese Behandlung,« wiederholte er so laut, daß ich alle Worte deutlich verstehen konnte, »unverschämt haben sie mich um 15 fl. geprellt! Mußte ich nur darum alles Metall ablegen, damit sie sich meiner Börse bemächtigten und sich daraus für ihre törichten Possen sogleich bezahlt machen könnten? Die Betrüger! Sie sollten keinen Heller erhalten haben!« Ich meinte, ich müßte meine Empfindungen, die so sehr mit den seinigen harmonierten, laut werden lassen und war schon im Begriff, seiner Unzufriedenheit Beifall zu geben, als er merkte, daß jemand hinter ihm herging, sich plötzlich umwandte, mich grüßte und sprach: »Ha! Sie sind es, Herr Bruder? Es ist doch etwas Frappantes um eine solche Initiation; noch kann ich mich kaum erholen! Wie war es Ihnen zumute, als Sie initiiert wurden?« Seine behende Verstellung, und die letzte Frage setzten mich in einige Verlegenheit, und ich wußte in der Eile weiter nichts vorzubringen, als: »Die Aufnahme ist nach meinem Sinne immer eine fatale Operation.« »Nach meinem Sinne auch,« erwiderte er schnell, schwieg wieder, nahm Abschied von mir und trat in sein Haus.

Je verächtlicher mir, von diesem Tage an, die Freimaurerei vorkam, weil sie mir nichts als kahle Tändeleien darbot, desto mehr gewann der Illuminatenorden in meiner Hochachtung, indem ich so viel Reelles und Nützliches in seiner Einrichtung fand.

Der Orden hatte mich sogleich beim Eintritt in denselben bewogen, eine Reform mit meinen Meinungen vorzunehmen, und noch hörte ich nicht auf, täglich an meinem Gedankensysteme zu ändern. Praktische Philosophie war eine meiner Lieblingsstudien, und ich mußte mich sehr verwundern, warum man ehemals in den katholischen Schulen diejenige Wissenschaft, die mir zur Gründung des Menschenglücks am meisten beizutragen schien, beinahe ganz vernachlässigen konnte, so daß kaum etwas davon unter dem Namen Ethik vorgetragen wurde, und es jedem Studenten freistand, diese Ethik nach Belieben zu hören oder nicht zu hören. Dergleichen Bemerkungen gaben meiner vorteilhaften Meinung von dem guten Willen der Jesuiten, durch ihre Lehren der Welt zu nützen, welche bisher nur gewankt hatte, den letzten Stoß und ich fing an zu begreifen, daß herrschsüchtigen Leuten daran liegen könnte, das Volk über gewisse Punkte vorsätzlich in Unwissenheit zu erhalten und sorgfältig jeden Anlaß beiseite zu räumen, damit dasselbe ja nicht über seine Rechte und Pflichten aufgeklärt würde. Um so strenger und eifriger musterte ich die Grundsätze, die ich in den Schuljahren eingesogen hatte, und fand mit Vergnügen, daß alle Veränderungen, die ich mit meiner Denkensart vornehmen müßte, nur die Dogmatik, nicht die Sittenlehre beträfen. Alle Antriebe zur Tugend blieben mir, und ich genoß des Vorteils, die vornehmsten praktischen Wahrheiten gleichsam selbst erfunden und aus meinem eigenen Innern entwickelt zu haben, weswegen sie nun doppelt starken Eindruck auf meine Seele machten.

Nie empfand ich so innig die Größe des Schöpfers, als da ich Astronomie studierte und die Sternbilder kennen lernte. Einsam, in warme Kleider gehüllt, hielt ich mich nachts im Gartenhause meiner Kostwirtin auf, hatte eine Himmelskugel, ein Dollondisches Fernrohr und Baiers Sternkarten auf dem Tische ausgebreitet vor mir und verglich die Abbildungen mit den Gestirnen am Firmament. Manchmal, wenn ich mich satt gesehen hatte, überließ ich mich meinen Betrachtungen. Am liebsten zog ich von meinem Standpunkte aus, als aus einem Mittelpunkte, in Gedanken Linien nach allen Richtungen hin, verfolgte eine und die andre mit den Augen und mit meiner Phantasie und bemerkte die vielen Sterne, an denen sie hinlief. Dann nahm ich das Fernrohr zu Hilfe und erblickte neben den sichtbaren Lichtern in eben dem Raume, der dem unbewaffneten Auge leer schien, noch viele entfernte Sterne und dachte sie als ebensoviel Sonnen, um die sich, der Analogie gemäß, so wie um unsere Sonne mehrere Planeten bewegen würden. Endlich verlängerte ich die Linien, soweit ich in Gedanken vermochte, und fragte mich: »Warum sollen sie eben da aufhören, wo meine Vorstellungskraft ermüdet? Und wo ist das Ende des Raums?« Mein Verstand faßte dann alle Linien zusammen und konnte mit aller Anstrengung nichts weiter denken, als eine unermeßliche Kugel, die sich bei jedem Versuche, sie größer zu denken, in den unendlichen Raum weiter ausdehnte und wieder weiter ausdehnte und doch nie an Grenzen gelangte. Ich dachte dann alle diese Gestirne bevölkert, dachte an die unendliche Menge von Geschöpfen, denen täglich ein gewisses Maß von Glückseligkeit zuflösse, an die Gnade und Größe Gottes, sank in Anbetung hin, empfand meine Nichtigkeit tief und dankte unter Tränen seiner allumfassenden Huld, die auch das geringste Geschöpf zum Freudengenusse bestimmte und mich verschwindenden Punkt im Unermeßlichen nicht nur nicht vergäße, sondern täglich mit Segen freigebig erquickte und mich fähig machte, so große, entzückende Gedanken zu denken. Dann fühlte ich's recht, wie klein und wie groß der Mensch ist, und ward überzeugt, ein Wesen, das soviel von der Unendlichkeit des Schöpfers begreifen könne, müsse demselben für sein Dasein, auch wenn es im höchsten Grade unglücklich würde, dennoch danken.

Bis jetzt hatte Beda mit mir ununterbrochen Briefe gewechselt, aber in der Fastnacht 1783 befahl mir der Prälat, diese lustige Zeit im Kloster bei Schmaus und Spiel zu verleben und meine Kostfrau mitzubringen. Da machte sich Beda an diese gute Frau, fragte ihr manchen Umstand meines Lebens ab, erfuhr so, daß mich sehr oft Leute besuchten, die man für Freimaurer halte, daß ich manchmal Zusammenkünfte und Trinkpartien im Gartenhause mit ihnen veranstaltete und abends wirklich auch in Häuser ginge, wo vermutlich Logen gehalten würden. Von dieser Zeit an schrieb mir Beda keine Zeile mehr, entzog mir seine Freundschaft ganz und wandte alles an, um mich bei meinen Mitbrüdern in Mißkredit Zu bringen. –

Schon im Jahre 1782 erhielt ich in Eichstädt die zweite der größern Weihen, nämlich das Diakonat. Da ich nun mein 25. Lebensjahr bereits angetreten und also das gehörige Alter zum Priestertum hatte, bewarb sich mein Prälat um einen Entlassungsbrief, das heißt, um eine schriftliche Bewilligung des Bischofs von Augsburg, zu dessen Sprengel ich gehörte, daß ich vom Bischofe in Eichstädt zum Priester geweiht werden dürfte. Dies geschah durch den Weihbischof Felix von Stubenberg, den 19. April 1783. Zu dieser Zeit hegte ich bereits vom Priestertum eine Meinung, die schwerlich mit derjenigen übereinstimmte, welche die katholische Kirche von ihren Neugeweihten erwartet. Manchmal konnte ich nur mit Mühe ein Lächeln verbergen, das mir die seltsamen Zeremonien und Sprüche ablockten. Schon der feierliche Vorruf anfangs der Priesterweihe, daß derjenige, der irgend etwas Wichtiges wider einen von uns Einzuweihenden vorzubringen wüßte, kühnlich hervortreten und sprechen sollte, indes die Kapelle doch sorgfältig verschlossen blieb, damit ja niemand außer uns dem Akte beiwohnen möchte, – befremdete mich und schien mir mit Recht ganz zwecklos zu sein. Das schnelle und unehrerbietige Herbrummen der Gebete, bei denen man nur immer bald ans Ende zu kommen trachtete, dünkte mir beinahe zu beweisen, der Bischof halte nicht viel mehr von der Sache, als ich selbst. Als mir die Altardiener die Stola über der Brust verschränkten und dann ziemlich unsanft und verächtlich das hinten bis an den Nacken aufgerollte Meßgewand über meinen Kopf rissen, indes der Bischof sprach: »Empfange das Joch des Herrn, denn sein Joch ist sanft und seine Bürde leicht!« und wieder: »Empfange das priesterliche Kleid, unter welchem die Liebe verstanden wird, denn Gott vermag dich in der Liebe und Vollkommenheit zu stärken«, so konnte ich teils der sinnlosen Anwendung biblischer Sprüche, teils der nachlässigen Behandlungsart halber, die den an sich selbst faden Zeremonien alle Wirksamkeit vollends benehmen mußte, meine Mienen kaum genug hüten, daß sie meine Gedanken nicht durch irgendeinen verzogenen Muskel verraten möchten. Die Salbung der Hände mit dem geheiligten Öle, als die Haupthandlung des ganzen Aktes, nahm der Bischof ängstlich nach gewissen vorgeschriebenen Strichen vor, indem er sprach: »Würdige, o Herr, seine Hände durch diese Salbung und unsern Segen zu weihen und zu heiligen, damit alles, was sie segnen, gesegnet sein und, was sie weihen, geweihet und geheiliget werden möge, im Namen unsres Herrn Jesu Christi. Amen.« Dann mußte ich mir die beiden Hände mit einem Tüchlein enge zusammenbinden lassen, damit ja die heilige Zauberkraft des Öles tief hineindringen und nichts verdunsten möge. Alles dies schien mir von so rohen Begriffen abzustammen, daß ich nicht umhin konnte, zu seufzen und ein Volk zu bedauern, welchem seine Geistlichkeit weismachen darf, sie könne durch einige Sprüche und das Bestreichen mit Öle jedem Manne die Gewalt mitteilen, aus einem kleinen, sichtbaren Stückchen Brot einen unsichtbaren, eßbaren Gott zu machen und etwas zu leisten, was nicht nur die Vernunft, sondern jeder Sinn als unmöglich angibt.

Man wird vielleicht fragen, warum ich bei diesen Überzeugungen mich zum Priester weihen ließ? Allein man bedenke, daß ich damals, bei meinen noch nicht genug befestigten Grundsätzen, zum Teil noch dachte, wie Rousseaus geistlicher Savoyarde: »Wir begreifen vielleicht nicht, was durch Gottes Kraft alles möglich ist«, daß ich mich also der Leitung der Vorsehung blindlings überließ, indem ich zu mir selbst sagte: »Gott wird durch die Einweihung zum Priestertum dennoch das in dir wirken, was seiner Gnade gemäß ist, obschon du es jetzt nicht fassen kannst«, und daß es mir zur selben Zeit noch gar nicht einfiel, es gebe einen Ausweg, den unauflöslichen Fesseln des Mönchsstandes zu entrinnen. Dies letzte war gewiß die Hauptursache. Ich folgte daher den Umständen, wohin sie mich zogen.

Ein Exjesuite in Eichstädt unterrichtete mich, wie ich die fast unzähligen zeremoniösen Vorschriften der Messe mit Anstand und kritischer Genauigkeit in Ausübung bringen sollte. Dies kam mir in meiner Laufbahn als Priester so gut zu statten, daß mir die geistlichen Kenner sowohl als die andächtigen Matronen überall nachrühmten, ich lese eine schöne Messe. Im Grunde hing alles davon ab, daß ich die vorgeschriebenen Formeln vernehmlich, aber sehr schnell hersagte, alle Bewegungen aber mit einer gewissen Bedächtlichkeit machte, so daß ich mit der Messe, ohne unanständig zu fuchteln, bald endigte, welches allen, auch den frömmsten Leuten, vorzüglich im Winter, gar lieb war. Am Sonntage nach Ostern las ich die erste Messe, (primizierte) in der Klosterkirche zum heil. Kreuze in Donauwörth. Der Kanonikus, Bruder Moses, hielt mir die Primizpredigt, hatte mir aber versprechen müssen, nichts zu meinem Lobe, wie es sonst gewöhnlich war, einfließen zu lassen. Ich hatte bereits von Eichstädt aus meine Eltern und Brüder, meinen Taufpaten, Minchen mit ihrem Manne, Malchen samt ihren beiden Eltern und ein paar Illuminaten von Eichstädt, die ich dem Prälaten als meine Freunde vorstellte, nebst noch andern Verwandten und Bekannten, die aber nicht erschienen, zu Gaste gebeten und war nun von der Feierlichkeit des Tages, von der Menge des Volkes, das meinen Segen erwartete, von dem prächtigen Kirchengeschmeide, in dem ich steckte, von der hallenden Musik und dem Pomp, der mich umgab, so betäubt, daß ich kaum wußte, wie mir zumute war. Nur wenn auf dem Chore ein Musikstück lange dauerte, hatte ich Zeit, meine Gedanken zu sammeln. Noch erinnere ich mich, wie ich während des sogenannten Benediktus, eines rührenden Solos, das sogleich nach der Wandlung gesungen ward, mit inniger Empfindung und nassen Augen zu Gott rief: »Du weißt es, Allgütiger, warum du mich in diesen Stand gesetzt hast, du siehst, daß all dieser Pomp meinem Herzen ein Tand ist! Aber was soll ich tun? Ich allein vermag die Götzen nicht umzustoßen. O, füge du es so, daß sie fallen müssen! Weihe mich zum Priester der Wahrheit, zum Lehrer der Tugend! Erleuchte mich, daß ich die Wahrheit erkenne und stärke mich, daß ich sie überall verkündige!«

In rotbekleideten Kirchenstühlen knieten nicht fern vom Altare rechts die männlichen, links die weiblichen Primizgäste. O, wie zitterte mir die Hand, als ich meinen lieben Eltern, denen die Freudentränen über die Wangen strömten, und meinem sittsamen Minchen das Abendmahl reichte! Es ist gebräuchlich, daß die Katholiken sich vor einem neugeweihten Priester, wo sie ihn immer antreffen, auf die Knie werfen und ihn um den heiligen Segen bitten. Da legt ihnen denn der junge Geistliche beide Hände einen Augenblick auf das Haupt, schlägt dann mit der rechten ein Kreuz über sie und spricht in lateinischer Sprache: »Allen Himmelssegen gieße Gott der Vater, der Sohn und der heilige Geist über dich aus!« Diese Segenssprechung, die man für kräftiger hält, als die eines ältern Priesters, war anfangs für mich eine wahre Plage. Es schmerzte mich innig, die Leute in so abergläubischer Erniedrigung vor mir kriechen zu sehen. Erst nach und nach machte mir die Gewohnheit diese Zeremonie erträglicher, und am Ende beruhigte mich die Bemerkung einigermaßen, daß ich doch den Bittenden allen Himmelssegen aufrichtig wünschen könnte. Und ich wünschte ihn jedem von Herzen.

Bei der Tafel mußte ich, wie gewöhnlich, den Ehrensitz zur Rechten des Prälaten einnehmen. Wäre es mir aber freigestanden, meinen Platz nach Belieben zu wählen, so hätte ich mich zwischen meine Mutter und Minchen gesetzt. Um diesen beiden und meinem Vater, der mich schon lange gern öffentlich auf der Violine spielen gehört hätte, eine Freude zu machen und – ich will es nur gestehen – auch um meine Kunst ein wenig vor ihnen sehen zu lassen und ihren Beifall zu ernten, spielte ich ein leichtes Violinkonzert. Dann ging es ans Gesundheittrinken. Bei Primizen ist es gebräuchlich, daß der Primiziant als geistlicher Hochzeiter sich eine Braut erkieset, welche meistens ein kleines Mädchen aus seiner Verwandtschaft von etwa sieben bis zu zwölf Jahren ist. Ich wollte keine Rücksicht auf diese Gewohnheit nehmen und sagte Minchen, als ich sie zur Primiz mündlich einlud, im Scherze: Wenn sie schon nicht mehr Jungfrau sei, so sehe ich sie doch als meine Braut an. Aber der Prälat hatte noch verschiedene Gäste gebeten, unter denen sich ein hübsches Fräulein von 18 Jahren, seine nahe Verwandte befand. Auf einmal ergriff er sein Trinkglas und sagte: »Herr Primiziant, wo ist denn Ihre Braut, daß wir auf ihre Gesundheit trinken?« Ich stockte ein wenig und blickte an der Tafel hin nach Minchen. Er glaubte, ich suche ein Mädchen, um sie zu meiner Braut zu erklären. Flink deutete er auf das hübsche Fräulein und sprach: »Die wird es wohl sein müssen, Sie könnten nicht leicht eine schönere wählen. Soll ich sagen: Fräulein Braut! Auf Ihre Gesundheit?« »Die Braut, die Sie mir wählen möchten, ist wirklich recht schön,« erwiderte ich, »aber ich habe in meinem Herzen schon eine zu diesem Posten ernannt, vergeben Sie! der kann ich nicht untreu werden!« Dann sagte ich laut: »Auf die Gesundheit meiner Braut, die ich in petto habe!« Und beugte mich gegen Minchen hin. Jedermann glaubte, es gelte ihrer Schwester Malchen, die in eben der Reihe saß. Nur Minchen, die lieblich errötete, und meine Freunde verstanden mich. Ich hätte es für eine Art Hochverrat gehalten, mein Minchen in diesem Augenblick zu verleugnen und eine andre als sie zu meiner Braut zu erklären. Aber der Prälat stutzte und nahm es nicht wenig übel, daß ich die Kühnheit hatte, die Braut zu verschmähen, die er mir anbot, und die noch dazu seine nahe, geliebte Verwandte war. Von dieser Stunde an forschte er nach, was ich mit Minchens Familie für Bekanntschaft hätte, erfuhr gar bald von dienstfertigen Religiosen, daß wahrscheinlich schon lange eine Liebschaft zwischen einem der beiden Mädchen und mir statthaben müßte, rief mich in die Abtei und nahm mich auf die strenge Frage. Offenherzig erklärte ich ihm das ganze Verhältnis, in dem Minchen und ich gegeneinander standen. Ernst und strenge verbot er mir allen ferneren Umgang mit meiner Geliebten und ihrem ganzen Hause. Eifriger und kühner, als ich sonst zu sprechen wagte, nahm ich nun alle mir möglichen Vorstellungen, Erörterungen, Widerlegungen, Bitten und Rednerkünste zu Hilfe und ruhte nicht, bis er endlich nach langem Kämpfen und Weigern sich ergab und erkannte, meine Bekanntschaft sei unschuldig und könnte nicht getrennt werden. »So sei es denn!« sprach er gerührt; »wenn Ihre Neigung so rein und unüberwindlich ist, wie Sie mich glauben machen, so will ich ihr nichts in den Weg legen! Aber lassen Sie sich warnen! Geben Sie den Leuten kein Ärgernis! Nicht jedermann kann wissen, in welchem Verhältnis Sie mit dieser Frau stehen, wie ich es jetzt weiß. Hüten Sie sich, daß keine Klagen kommen, sonst muß ich wider Willen strenger sein!« »Damit soll es keine Not haben, gnädiger Herr!« antwortete ich, »Sie werden nie Anlaß finden, Ihre Güte zu bereuen.«

So entließ er mich, und ich reiste in Gesellschaft meiner drei Gäste vom Illuminatenorden nach Eichstädt zurück, wo ich meine Studien mit Ausgang des Heumonats endigte und dann von meinen Freunden und Ordensbrüdern mit Wehmut Abschied nahm.


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