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Ich öffnete das Zelt, sie warf sich am untern Ende meines Bettchens nieder und schloß meine Füße an ihr Herz und wusch sie mit einem Strom von Thränen. – Ich sprach: »Klareta, warum thust du so?« – Sie flüsterte: »aus Dank und Liebe.« – Ich kann nicht sagen, wie sie mich rührte, aber ich that mir Gewalt an. Da sie nun so weinte und ihr Herz so heftig schlug, ward ich freundlich und sagte: »setze dich zu mir, reiche mir deine Hand, ich will dir meinen Traum erzählen.« – Sie setzte sich zu meiner Seite, faßte meine Hand, und ihre Stirne sank wie unwillkührlich auf den Edelstein meiner rechten Schulterspange; denn es ist ein altes Familiengesetz, daß eine Gräfinn von Vadutz diese Kleinode selbst bei Nacht nicht ablegen darf. Ich zuckte etwas zusammen, ihr Schleier war kalt und naß, ich fragte um die Ursache, sie erwiederte: »Lilie kennst du den Thau nicht? – o lasse mich ruhen und nimm mir von der Stirne den Traum und erzähle mir den Traum!« – Ihre Stimme war ganz ruhig, als sie Dieses sprach, auch mir war wohl und friedlich – ich fühlte, daß ich heilte und genaß selbst; da ließ ich sie ruhen und erzählte Nichts als: »ich pflückte rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Löwen an und trugen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde setzten sie mich nieder, und thaten so grimmig gegen mich, da war mir so bang, so bang!« Als ich so weit gesprochen, drückte sie ihre Stirne wie Eisen so schwer auf meine rechte Schulterspange, daß es mich schmerzte und ich sie mit dem Ausruf wegdrängte: »bist du unsinnig?« – Sie bebte aber vor Angst und sprach: »die Löwen sollen mich eher zerreißen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart, wart! da kömmt der Hahn, horch sein Schrei! die Löwen fliehen.« Da krähte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich war erstaunt, daß sie von dem rettenden Hahnenschrei meines Traumes sprach und von dem Raube der Kleinode, wovon ich selbst noch nicht gesprochen hatte, aber ich ließ mir es nicht merken und schwieg, doch wie erstaunte ich erst, als sie fortfuhr: »o armes Kind von Hennegau! das Kleinod meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat – jetzt, jetzt, tausend Dank! sie sind heil, – die lichten Edelsteine von Vadutz sind gerettet und der Hahn steckte dir einen weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde, und Verena mit dem frommen Hühnlein Gallina sah freudig zu, und ich und die Schwestern kamen aus dem Kloster Lilienthal und folgten dem Brautzug und folgten dem Leichenzug und standen am Grabe im Garten, und das arme Kind stand vor uns und wir leuchteten und sangen:
»O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.« |
»O wie bin ich selig, daß Alles so gut geendet!« – So sagte also die gute Klareta den ganzen Schluß meines Traumes, von welchem ich kein Wort erwähnt hatte; – sie hatte also dasselbe geträumt, und woher kam der Reim, den ich drei Tage vorher im Garten bei den Lilien gehört, wieder in ihren Traum? – Alles das machte einen tieferen Eindruck auf mich, als mir lieb war. Ich habe einen eignen Abscheu vor Wunderbarem, das meine Freiheit stört. – Ich äußerte Nichts davon, daß sie Dasselbe mit mir geträumt und sagte ganz unbefangen: »was hältst du von dem Traume?« und sie erwiederte mit ernstem Ton: »einstens wird es keiner mehr seyn.« – Ich fuhr aber fort: »was sagtest du von den Kleinoden auf meiner Schulter, du seyst durch sie geheilt, warum drücktest du so mit deiner Stirne darauf?« da fühlte ich an ihrer Stirne einen tiefen Eindruck von dem spitzen Steine und fuhr fort: »ist dieser unsinnige Eindruck etwa ein Beweis deiner Klugheit?« – Da richtete sich Klareta auf und sprach mit ruhigem Bewußtseyn: »meine Herrinn! ich will dir ein wichtiges Geheimniß von den Edelsteinen sagen, durch welche du mit dem Ländchen Vadutz belehnt und ich dir unterthan geworden. Es ruht in diesen Kleinodien eine wunderbare, schädliche und heilende Kraft, welche ich beide erfahren habe; denn ich ward krank durch sie und bin gesund durch sie geworden vor wenigen Augenblicken. Jetzt aber will ich dir sagen, woher ich das Geheimniß dieser Kleinode kenne. – Mein Vater ist über Meer gezogen gegen die Sarazenen, er ließ die Mutter und uns drei Mägdlein zurück, wir waren nicht reich und lebten von künstlicher Bildweberei. Ach! bald kam eine Botschaft, der Vater sey gefangen, wir sollten ihn auslösen. Es war aber Jürgo, ein Edelknecht des Vaters, unser einziger Schutz und Freund. – Er war ein gar kunstreicher Weber, arbeitete Tag und Nacht für uns und verkaufte auch unsre Arbeit. Er that uns Alles zu Liebe und wir liebten ihn als einen Bruder. Er bot sich uns an, hinein zu reisen und den Vater zu lösen. Wir verkauften alle unsre Habe, um ihn mit dem Lösegeld auszurüsten und sahen ihn mit großer Betrübniß von uns scheiden. Wir beteten viel für ihn und gelobten Gott, so er Jürgos Weg segne, ein Klösterchen zu gründen, das sollte heißen Lilienthal, und darin wollten wir Gott dienen bis an unser Ende. – Nach zwei Jahren kehrte Jürgo heim ins Land Vadutz ohne den Vater, der war gestorben an der Pest im Hospital in Cypern. Der Kummer tödtete die Mutter. Wir drei Waisen waren allein ohne alle Stütze, als den treuen Jürgo. Nach der Mutter Tod schickte es sich nicht, daß er so viel, wie sonst bei uns sey, dennoch lebte und arbeitete er allein für uns. Er verkaufte seine kleine Habe, um uns zu ernähren. Er war der treueste Mensch, er that es dem Vater und mir zu lieb. Er hatte durch einen Sonnenstich auf der Reise gelitten, er arbeitete sich schier zu Tode für uns – wir waren ihm dankbar. Er ward krank und kam von Sinnen. Ich trauerte unaussprechlich um ihn. Das edelste Herz ward aus Treue zu meinem Vater und mir ein Thor vor den Menschen. Ich konnte nicht mehr ruhen, ich glaubte mich schuldig, Alles aufzuwenden, ihm zu helfen. Ich betete Tag und Nacht und zog umher, Aerzte und fromme Männer um Rath zu fragen. Als ich einst einem alten Einsiedler, der Mönch im Kloster Bänderen gewesen war, meine Noth klagte, sagte dieser: »o wäre das Lehnskleinod von Vadutz noch hier im Lande, ihm wäre leicht zu helfen!« – Als ich in ihn drang, mir von diesem Kleinod zu erzählen, sprach er: »mit dem Kloster Bänderen sey ein altes Pergamentbuch verbrannt, in welchem er in seiner Jugend viel Wunderbares von dem Ursprung der Grafen von Vadutz und ihren heiligen Kleinoden gelesen, das später, wie alles Heilige bei den Menschen vergessen worden.« Er erzählte mir hierauf unter vielem Anderen Folgendes: »Wohl mit Recht ist das Ländchen Vadutz kurios zu nennen, denn Curio ein Kaiser aus Rom war sein Stifter im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt. Sein Eheweib hieß Docka und war durch den heiligen Theonestus heimlich getauft und eine eifrige Christin geworden. Durch sie nahm auch Curio den Christenglauben an und half in Rom den Christen manichfaltig in der Verfolgung. Curio aber bekehrte einen alten jüdischen Mann, der war zu ihm gekommen mit vielem köstlichen Geschmeid von Gold und Edelsteinen, dem Kaiser das zu verkaufen. Er war ein sehr eifriger Christ und hatte große Liebe zu Curio und dieser zu ihm. Die Christen aber wurden verfolgt und getödtet, und der hebräische Mann ward auch gefangen und sollte gemartert werden, da gab er alle seine Edelsteine dem heiligen Theonestus, daß er den Armen damit helfen solle. Dem Kaiser Curio aber gab er ein unschätzbares Kleinod, zwei schöne Spangen von Einhorn, worauf zwei kleine Edelsteine; die Spangen dienten das Gewand auf der Schulter zu fassen. Ehe er den Martertod starb, besuchte ihn Curio im Gefängniß und er erzählte ihm, daß er aus dem Stamme Juda sey, und daß diese Achselbänder einstens auf den Schultern Rebeckas geruht und von derselben in gerader Linie auf ihn vererbt seyen. – Er theilte ihm seltsame Dinge mit, die ihm von der Geschichte dieser Kleinode durch seine Vorältern überliefert waren und die alle der Mönch aus dem Buche im Kloster Bänderen ausgeschrieben und mir gegeben hat. Ich gab sie vor einigen Tagen dem ehrwürdigen Jakob von Guise, von welchem du sie begehren magst. So viel gedenk ich noch daraus. Es sind diese Kleinode das höchste Heilthum, denn sie kommen aus dem Paradies, und sind sie von dem Stein, auf welchem Jakob die Himmelsleiter sah und von welchem auch der Siegelring Salomos war, durch den dieser alle seine Wünsche erfüllen konnte. Als der hebräische Mann dem Kaiser Curio das Kleinod der Achselbänder geschenkt hatte, sprach er zu ihm: »trage diese Kleinode auf deinen Schultern und fliehe mit Weib und Kindern aus Rom, denn ich habe im Gebet erkannt, du wirst des Christenthums angeklagt werden, du sollst aber über die Alpen in Rhätien ziehen, dort sind viele Leute zum Christenthum bekehrt durch St. Lucius, einen König aus Schottland; dort nun sollst du ein Fürst vieler Christen werden, und ein Reich gründen, das Gott wohlgefällig ist. So lange du und deine Erben die Kleinode der Rebecka ungetheilt auf den Schultern tragen, werdet ihr Glück und Friede haben. Ich will aber in der Stunde meines Todes deiner gedenken und sollst du die Kleinode am Tage meiner Marter segnen lassen durch Theonestus. Immer aber bedenke, du mit allen deiner Kinder Kindern, daß Jakob geruhet auf der rechten Schulter Rebeckas und Esau auf der linken, und daß mit geistlicher Stärkung und Heilung und Allem, was dahin gehöret, gefüllt ist das rechte Schulterband, mit leiblicher Kräftigung, irdischem Gedeihen aber bis zur Gewaltthat das linke Schulterband. So sey dann weise und lasse Zeitliches, Irdisches, Leibliches nicht überhand nehmen, neige dein Haupt zur Rechten um Rath und Trost, ehe du zur Linken Lust und Stärke verlangest. Jährlich aber an meinem Sterbetag lasse den Segen über die Kleinode durch einen frommen Priester erneuen. Dann auch magst du seelenkranke Menschen mit ihrer Stirne das Kleinod der rechten Schulter berühren lassen, und so es ihnen zum Heile, werden sie geheilet werden, so aber der Kranke nicht selbst zu kommen vermag und ein Anderer will dessen Leid aus Christenliebe auf sich nehmen, soll es ihm auch gedeihen. – Auch ist eine alte Sage, daß einstens der Siegelring Salomonis, der alle Wünsche erfüllet, mit diesen Kleinoden zusammen kommen werde in den Händen eines Dieners des Messias, und wünsche ich, daß dieses an dir wahr werde!« – Es starb aber der hebräische Mann am Vorabend des Täufers Johannes, und ließ Curio die Kleinode segnen durch Theonestus zu Ehren des Täufers vor 1100 Jahren am heutigen Tage, an dem ich bin geheilt worden durch die Kleinode, zur Ehre Gottes und des Täufers und zur Bestätigung der Worte des hebräischen Mannes. – Aber Curio von seinem Bruder des Christenthums angeklagt, floh mit seiner Gemahlin Docka und seinen Söhnen über die Alpen nach Rhätien und fand dort Alles, wie ihm gesagt worden. Er baute viele feste Schlösser und Flecken und setzte seine Söhne darauf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und sammelte Gottesmänner in Gotteshäusern, und die da reif waren, säete er aus in Gottesäckern und that alle Wege, wie man thut, da man neue Lande und Leute gründet, das Reich Gottes zu mehren auf Erden. – Auf den beiden Schultern aber trug er die heiligen Achselbänder, und wurden sie genannt die Kleinode des Landes. Von Curio kamen diese Kleinode auf seinen Enkel den Grafen Anselm von Montfort. Seine Gemahlinn brachte Zwillingsbrüder zur Welt, den Wolfbrand von Rothenfahn, dessen Schild war weiß mit rother Fahne, und den Hego von Weißenfahn, dessen Schild war roth mit weißer Fahne. Als der Graf Anselm seinem Tode nahe kam, heftete er seiner Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die Schultern und befahl ihr, ihre beiden Söhne gleich vor Gott in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu geben, und wenn sie endlich dem Einen die Lande überlasse, solle sie ihm die beiden Edelsteine auf die Schultern heften und diese niemals trennen, sonst würde großer Haß und Unfriede entstehen. – Die Gräfinn von Montfort that nicht so, sie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augendiener mit rothen Wangen und einem Kirschenmund war viel mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr, aber weiß und bleich von Farbe; und sie hielt den Rothenfahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er schlummerte oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des linken Edelsteins, und sie wiegte ihn mit dem Reime ein:
»Feuerrothe Röselein, Aus der Erde springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein; Roth schwing ich mein Fähnelein.« |