Clemens Brentano
Gockel, Hinkel und Gackeleia
Clemens Brentano

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So nun kam der Zug in die Kapelle, wo unter dem Vortritt Alektryos und Gallinas alles anwesende Federvieh sich tiefneigend Spalier machte. Als sie mit dem Sarg vor den Altar kamen, drehte Gackeleia den Ring, das Grab Urgockels öffnete sich, da sahen sie das Gerippe des alten Herrn auch im reichen Grafenornat gar ehrbar unten ruhen.

Nun legten die acht Ordensgespielinnen, die acht Bänder in die Hand der Ahnfrau im Sarge zurück und ergriffen die ähnlichen Bänder, die zum Gürtel Gackeleias gehörten, und standen eine Weile um sie her. Man senkte den Sarg neben den Sarg des Urgockels hinab, das Grab schloß sich, die Jungfrauen stellten ihre Körbchen mit den Hühnern darauf und legten alle ihre Kränze umher. – Der Geist der Frau Urhinkel schwebte licht gegen den Grabstein Urgockels, die drei Klosterfrauen mit den Lilien standen zu dessen Füssen. Eine Lichtwolke erfüllte die Kapelle und zog sich oben wie in einen offnen Himmel hinauf, dahin schwebte der Geist der lieben Gräfin Amey von Hennegau zwischen den drei Klosterfrauen. – Gackeleia sprach zu den acht Jungfrauen um sich her: »segne euch Gott, liebe Gespielen, ich danke eurer Treue, folget dem liebsten Herzen dahin, wo es noch besser ist als hier in Gockelsruh!« da neigten sie sich gegen ihre rechte Schulter und schwebten in die Lichtbahn des ersten Kindes von Hennegau hinan, und die ganze Prozession der Armen zog hinten nach und man hörte den Gesang:

»O Stern und Blume, Geist und Kleid,
Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!«

immer leiser und leiser, bis er zuletzt ganz verstummte und Alles in der Kapelle wie vorher war; da sah man das Steinbild der Frau Urhinkel mit der Urgallina auf der Schulter neben dem des Urgockels an der Wand und unter demselben schauten drei weiße Lilien über dem Altare hervor. Auf dem Grab vor dem Altar hatten die Kränze der Ordensgespielen Wurzel geschlagen und grünten alle die Kräuter, aus denen sie bestanden. – Gackeleia übergab die verehrten Hühner dem Alektryo, der sie sogleich in Eid und Pflicht nahm und nebst der übrigen Hühnergemeinde in den Hühnerhof führte, wo ihnen ein Hochzeitsschmaus von Waitzenkörnern, Brodsamen, allerlei Grünem, Maikäfern, Regenwürmern und andern Delikatessen zubereitet war. – Während allem diesem wurden fortwährend die Glocken geläutet, lief die Kunstfigur immer mit dem Klingelbeutel umher und endeten der Organist und die Primadonna ihre Fuge nicht. – Hierauf setzte sich der Zug in Bewegung, den Wappenfahnen folgten die blumentragenden Knaben, die blumenstreuenden Mägdlein, die Jünglinge mit den Geschenken Salomos; – dann Kronovus und Gackeleia, welche die Kunstfigur im Arm trug, und zuletzt Gockel und Hinkel, welchen, als sie die Thüre verließen, Alektryo und Gallina auf die Schulter flogen. – So kam der Zug in den herrlichen Raugräflich-Gockelschen Speisesaal, wo eine vortreffliche Mahlzeit aufgetragen war. Im ganzen Schlosse gieng es lustig zu, viele gute Leute aus Gelnhausen, die sich damals über Gockels Pallast so verwundert hatten, waren Extrapost hergefahren. Der Herr Postmeister hatte nichts zu thun, als einzuspannen, der Herr Schirrmeister schmierte unerschöpflich, die Herrn Postillone bliesen sich schier den Athem aus. Alles was in Gelnhausen kurfähig war, wurde zur gräflichen Tafel gezogen, und sogar der geheime Oberhof-Osterhaas, alle Ritter und Ritterinnen des hohen Eierordens; auch viele reisende Künstler und Gelehrte und Standespersonen, welche gerade zu der Frankfurter-Messe durchpassirten, benutzten die seltene Gelegenheit, alle die Herrlichkeit mit anzusehen. – Es wurden der Gäste so viel, daß Gackeleia alle Augenblicke den Ring drehen mußte, um den Tisch zu verlängern. Einen großen Tisch allein bedurfte der Oberhof-Osterhaas, denn er hatte eine ihm empfohlene großmächtige, breite Schottländerinn bei sich, deren Gefolge aus einem lebensgroßen Lebkuchenfiguren-Kabinet und einem Leib-Lebküchler bestand, die Alle mit ihr an einer Tafel saßen. – Der Oberhof-Osterhaas stellte sie den hohen Herrschaften mit den Worten vor: »die sehr honorable Kounteß Samsonia Molle Gothol, Meisterinn von St. Eduards Stuhl, auf welchem die Könige von England gesalbt werden, eine Nachkomminn der schottischen Könige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. s. w., welche schon Jahrhunderte vor christlicher Zeit, auf jenem Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz schlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, dessen Pflege ihr anvertraut ist. Diese hohe Dame ist mir von der Akademie der old druidical Superstitions dringend empfohlen, sie hat sich eine schwarze Melancholie durch zu urälterliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem sie schon auf ihrem Kinderstühlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem darin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe spielend zur Wache gesessen und dann durch stätes Brüten über die Herkunft dieses Steins vor lauter Kindern Gottes und der Menschen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit verloren hat. Nun aber reist sie mit ihrem Kinderstühlchen umher, dieselbe wieder zu finden und darauf zu setzen. Da sie Alles vom Ei an ergründen muß, und von meinen geringen Verdiensten als unwürdigem Oberhof-Osterhaas gehört hat, hat sie gehofft, vielleicht in einem Osterei, den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! – Es ist ihr bei längerem Aufenthalt in der Grafschaft Vadutz bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen dieser Grafschaft die Achselspangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und weil sie weiß, daß diese Kleinode mit dem Stein Jakobs zusammenhängen, so wünscht sie für ihre Studien eine nähere Kenntniß dieser Alterthümer aus schriftlichen, gleichzeitigen Urkunden zu erlangen. – Die bei ihr befindlichen Lebkuchen sind ihre theils noch heidnische Vorfahren, die schottischen Könige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und dergleichen. Der sie begleitende Leib-Lebküchler arbeitet mit lauter Honig aus dem Rachen des Löwen Samsons, und da sie eine Vorstellung dieses ihres Namenspatrons, wie er seine Feinde mit dem Eselskinnbacken erschlägt, in Honigkuchenteich poussiren lassen will, hat sie ihn mitgenommen, um Studien zu skitziren, was sehr unterhaltend ist; er hat mich schon portraitirt, und es gleicht, wie kein Osterei dem andern. – Diese würdige Märtyrin der Ernsthaftigkeit empfehle ich nun der theilnehmenden Kind- und Kinds-Kindlichkeit der königlichen und gräflichen Familie, allerunterthänigster, unwürdiger Oberhof-Osterhaas.« Gackeleia empfand eine große Theilnahme für die honorable Kounteß und wollte sie umarmen, sie war aber zu groß und zu breit und wollte sich nicht bücken, da half sich Gackeleia mit dem Ring und drehte die Kounteß herunter, daß sie gerade groß genug war und schloß sie herzlich in ihre Arme, wobei dieser sehr wohl zu Muthe ward, so daß sie lächelnd sagte: »Euer Kindlichkeit können auch mehr als Brod essen!« – Gackeleia lächelte und drehte die Kounteß wieder in ihre große, breite Gestalt zurück, worauf sich Alles zu Tisch niedersetzte. – Daß Gackeleia mehr als Brod essen konnte, bewies der Küchenzettel der hochzeitlichen Mahlzeit; denn aus Achtung für die Kounteß verwandelte Gackeleia durch den Ring Salomonis die ganze Gelnhausische Mahlzeit in eine Schottländische, und die Verwunderung der auftragenden Bedienten und die Verlegenheit der Gelnhauser Gäste, die nicht wußten, wie sie die fremden Gerichte anfassen sollten, erlustigte das ganze Fest. – Besonders viel zur allgemeinen Freude trug der Leib-Lebküchler der Kounteß Gothol bei. Sie saß zwischen den Bildern ihrer Vorältern, er neben dem Oberhof-Osterhaas unten an und war in stäter Arbeit, daß ihm der Schweiß ausbrach, er hatte einen großen Kübel Honigteich neben sich, und indem er mit großen Appetit zu essen schien, knetete er mit Löffel, Messer und Gabel, das Bild irgend eines Anwesenden aus Teig auf den Boden seines Tellers, dann begehrte er einen frischen Teller und ließ den andern am Tische von Hand zu Hand gehen, was ein großes Aufsehen unter allen Gästen machte. Als nun Gackeleias Bild zu Kronovus und des Kronovus Bild zu Gackeleia kam, fanden diese sich so getroffen, daß sie sich freßlieb gewannen, und das wurde auf einmal Mode am Tisch, Einer aß des Andern Bild auf. Da drehte Gackeleia, die melancholische Kounteß auch wieder durch eine Artigkeit zu erheitern, den Ring Salomonis, daß alle ihre Lebzelten-Vorältern neben ihr leben und mit ihr sprechen möchten und eben so möchten die neugeformten Gesichter mit dem Lebküchler thun. Das gab nun einen seltsamen Spaß, die alten Schottischen Könige fiengen an mit der Kounteß, und dann unter einander von dem Stein Jakobs zu disputiren und zwar sehr heftig, die Gesichter, welche der Künstler auf die Teller formte, schnitten Gesichter und streckten ihm die Zunge heraus, er wurde unwillig darüber, knetete ihnen die Mäuler zu, da bliesen sie dann die Backen auf, kurz es ward eine stäte Abwechslung von Grimassen. Da nun alle die Könige anfiengen, dem Meth und Aepfelwein tüchtig zu zusprechen und auch dem Lebküchler häufig zutranken, gab es Streit und sie warfen sich die Teller ins Gesicht und modellirten sich ganz grandios mit den Humpen auf den Köpfen herum. Diese alten Schotten-Könige hatten eine Art Bauernkrieg unter einander und bald war dieser bald jener Trumpf, – und dazwischen wurde immer vom Stein Jakobs geschrieen, ohne daß sie irgend einig werden konnten. Alles das ward der guten Kounteß ein Stein des Anstoßes, sie wußte gar nicht mehr, was sie von ihren Altvorderen halten sollte, sie kam zitternd und bebend mit ihrem Kinderstühlchen zu Gackeleia gelaufen und lehnte ihren großen Kopf Hilfe suchend, da Gackeleia, um dem Streite zu zusehen, auf den Stuhl gestiegen war, ganz bequem gegen das Achselband ihrer rechten Schulter mit den Worten: »o mein Gott, welch ein Greul, o wo seyd ihr hin, ihr schönen Tage meiner Kindheit!« – Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunsche, alle die Streitenden möchten sich in unschuldige, belustigende Gegenstände verwandeln und alsbald wurden die Könige und der Lebküchler zu Hollundermännchen, welche sich einander auf den Kopf stellten und wieder auf die Füße purzelten, was allgemeinen Beifall fand. Die Ueberreste der Lebkuchen-Bilder wurden theils von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina verzehrt. – Selbst die Kounteß lächelte darüber und sagte: »seit ich die Achselspange der Rebecka berührt habe, ist mir ein solcher kindlicher Friede, eine solche Lust ins Herz gekommen, daß es mir lächerlich vorkömmt, wie ich so entsetzlich über den Stein Jakobs habe studieren können, o jetzt habe ich keinen Wunsch mehr, als daß ich noch, wie einst auf meinen Kinderstühlchen neben St. Eduards Stuhl sitzen und meine Puppe darauf stellen könnte.« – Diese Rede gefiel der ganzen gräflichen Familie so wohl, daß Gockel ihr Kinderstühlchen auf den Tisch und die Puppe daraufstellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei, Kronovus den Orden des goldnen Ostereis mit zwei Dottern, und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder umhängten, sie rückten zusammen und nahmen sie in die Mitte und tranken Gesundheiten und Alles war voll Lust und Herrlichkeit. – Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der Ahnfrau, das vor ihnen bei den Geschenken Salomos und der Königin von Saba auf dem Tische lag und überreichte es der Kounteß mit der Bitte, da sie sich so sehr für schriftliche Urkunden interessire und eine so schöne Aussprache habe, möge sie mit der Vorlesung die Mahlzeit beschließen; wahrscheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeichnet seyn. – Sie nahm das Buch, blätterte ein wenig darin hin und her, wie ein Kind, das keine Lust zu lesen hat, und sagte: »es sind gar keine Bilder darin, das ist Schade, es ist mir auch jetzt ganz unleserlich zu Muthe; mir ist so lustig und kindisch, daß ich mich ordentlich zusammennehmen muß, um mich nicht da auf den Tisch hinauf auf mein Kinderstühlchen zu setzen und mit den Füßen zu pampeln. So lächerlich, ja unmöglich dieses bei meiner allzu großmächtigen Figur nun scheint, muß ich dennoch leiblich dagegen kämpfen; denn mein Seelchen sitzt wirklich schon darauf und läßt jedermann seine schönen, neuen, rothen Schuhe bewundern. Nein, jetzt lese ich nicht – ich habe eine große Angst, wieder in die Untersuchungen alttestamentarischer Antiquitäten zu fallen, mir ist, als verstünde ich jetzt erst den Stein Jakobs recht, mir ist, als stiege ich mit den Engeln auf der Himmelsleiter, die er auf diesem Steine schlafend im Traume gesehen, auf und nieder, und wir spielten zusammen und einer von ihnen hat mir gesagt: »sey ein frommes Kind, laufe nicht in alle Gassen hinein, halte dich hübsch fest an der Schürze der Mutter und trau den falschen Ammen nicht – die treuen Kinder wird die Mutter gewiß zum lieben Vater bringen, und da giebt es Kuchen und Herz, was verlangst du?« – seht, so ist mir – ich will mir keine neuen Skrupel in den Kopf setzen; aber ich will Euch hernach doch aus dem Buche lesen – jetzt nun hätte ich vor mein Leben gern, daß die liebe Gackeleia mir und uns Allen das wünsche, was ihr das Liebste und uns Allen das Nützlichste und Gott das Wohlgefälligste, am Ende aber ein wenig plaisirlich für jedermann wäre. – Wünsche, Gackeleia, wünsche, bitte, bitte, bitte!« – Die große majestätische Schottländerin sagte dies so von ganzen Herzen, so ganz wie ein unschuldiges Kind, das erst der Flamme des Lichtes mit den Händchen winkt, und weil sie nicht gleich naht, unbesorgt hinein greift, ja so ganz von Herzen, daß sie in ihrer jetzigen Aeußerung einem schönen, schimmernden Schmetterling glich, der sich aus der finsteren Hülle einer Puppe, wie aus einem Kerker hervorwindet; die Flügel träumend entfaltet, und rührt und ruft: o Blumen her, Rosen, Lilien, mich zu schauckeln! – o es war rührend, leicht hätte er das Licht selbst für eine in der Nacht leuchtende Lilie halten und den Tod darin finden können. – Gackeleia fühlte das Alles so tief, daß sie die gute Samsonia Molle Gothol ans Herz drückte, mit den Worten: »gewiß, gewiß, du bist die erste liebste Ordensgespielin des armen Kindes von Hennegau!« – Da blickte Gackeleia den Kronovus und Vater und Mutter und alle Gäste gar lieblich, schlau und kindlich lächelnd der Reihe nach an und hob den Ring an dem Finger mit der Frage empor: »wollt ihr von Herzen mit Allem zufrieden seyn, was ich wünsche?« und alle riefen einstimmig: »ja, ja, von Herzen zufrieden, wünsche Gackeleia, wünsche!«


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