Clemens Brentano und Sophie Mereau
Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau
Clemens Brentano und Sophie Mereau

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An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Hier die Puppe für Hulden, welche dies ungezogne Mädchen mir gestern abend erst so schnöd anzunehmen versagt hat, ich wünsche, daß Sie ihr dieselbe nur unter der Bedingung geben, artiger gegen mich und Sie zu sein, und daß Sie sie ihr zur Strafe eine Zeitlang entziehen, wenn sie nicht artig ist. Verzeihen Sie mir diesen Detail, der Mensch lebt nur im Ganzen, wenn er im Detaille nicht stirbt. Die Heurat meines Bruders fällt mir vom Himmel herab, ich kenne das Mädchen nicht, daß Gundel mitreist, stimmt nicht für unsre Pläne, ich hoffe aber, nun Betinen dorthin zu gewinnen, und Lotten, was im ganzen besser ist. Was macht Ihre Leidenschaft, Ihre Aufopferung, liebes Weib, Sie setzen mich so sehr in Verwunderung, daß ich dastehe ganz verwundrungsvoll und weiß nicht, was ich denken soll, aber lieben – wen? Dich –


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Liebe, liebe Sophie!

Erschrick nicht, daß ich wieder schreibe, es ist nichts Trauriges in diesem Briefe, es ist ja nur Liebe, lauter Liebe, ich bin krank, und kein Mensch auf Erden kann helfen als Du, ach, wenn Du mich so recht lieben könntest, wer könnte mich dann krank machen. Heute habe ich nun auch keinen Menschen gesehen, Maier ist nach Jena, ich habe mich auf die Erde gesetzt an den Ofen, so sitzt Betine immer, und da habe ich Deinen Brief gelesen und immer gelesen, und auch ein bißchen geweint, daß selbst Betine mich nicht trösten könnte, darüber habe ich geweint, daß Du, Du es allein bist und es nicht verstehen kannst; über den Tränen und der ewigen heftigen Begierde nach Dir, Dir in allem Verstande, nach Deiner Seele, Deinem Jammer, Deiner Freude, nach Deinem Leichtsinn, Deiner Schwermut, ach, nach Dir, und laß es mich zum ersten Male aussprechen, was meine Augen vielleicht auszusprechen zu ernst sind, o wie ich mich ziere! wie ich mich schäme! wäre ich eine Nonne, die Du verführen könntest, mir könnte das Herz so nicht pochen, ich zittre und bebe doch, und soll nicht reden, ich habe alle Bande mit dem Leben gebrochen um Dich, und mich soll ewig die Scheu kindischer Zucht martern. Im armen Heinrich, da steht es geschrieben: »Wir liebten uns, und da hatten wir auch kein Hehl mehr voreinander.« Ach Sophie! wenn Du wüßtest, wie ich nach Dir dürste. Sieh, ich wünschte, Du wärest ein Quell, ich würde mich Dir in den Weg legen, und würdest über mich hinschwellen, da würde ich in der Kühlung ertrinken, und Du würdest nicht vermindert durch mich, und kenntest mich nicht, und flössest Deiner Wege, mir, mir, dem armen glühenden Herzen, wäre dann holfen.

Liebe Seele, lieber Leib, liebe Sophie, o eines nur glaube nicht von mir, glaube nicht, daß ich frech sei, ich habe, was Du vielleicht vergessen hast, nur viermal von solchen Dingen mit Dir geredet, und nie war es mein Wille, die Natur hat es immer gewollt, einmal war es in großen Schmerzen, da saßt Du auf dem Tisch in Jena, und ich bat Dich mit Beben, Du solltest keine Kinder mehr durch Mereau haben, da bat ich für Dich, das zweitemal, da lag ich im Walde in Deinem Schoß, Du hattest mich viel geküßt, und ich war unersättlich geworden und bat Dich, Du solltest mich Dein Herz küssen lassen, da wardst Du ernst und versagtest mir es, o schon in der Minute habe ich Dich darum geehrt, Sophie, ich habe nie Stolz genug besessen, zu glauben, ich sei der Mann, den Du gern umarmtest, aber ich war auch stets zu unschuldig, zu glauben, es habe ein andrer mehr über Deine Zucht vermocht als ich, ach, und selbst meine Marter hast Du Dir schon frühe zum höchsten Reize erwählt, es war Deine Zucht, Deine Treue gegen Deinen Mann, den Du doch nicht liebtest, das drittemal, daß ich von solchen Dingen mit Dir sprach, war in der Verzweiflung, es war, da Du mich verstießest, da sprach ich zu Dir: ob Du mir Deinen Leib für alle das Elend um Dich nicht geben wolltest, wenn Du ja doch mit Mereau bliebst, so wolle ich wiederkommen und wir wollten schlecht sein, weißt Du noch, was Du sagtest, ach, Du warst auch in der Verzweiflung, Du sagtest, ja – und letzt, da ich von Fr. Schlegel sprach, da war es das viertemal, sonst nie, gewiß nie, ich fühle die Gewalt zu sehr, die mich zwingt, ich weiß wohl, was ich Dir sage, denn jedes Wort zersprengt mein Herz, verbrennt meine Zunge. O Sophie, ich werde bald nicht mehr reden, nicht mehr dichten, man kann nicht sagen, was man fühlt, verachte mich nicht, verschmähe mein Ungestümen nicht, es ist ja so jungfräulich, o sei nicht weniger wert, als ich, verzeihe mir diese Worte, die ich mir selbst verziehen. Ich habe einmal Dich gesehen, so sehe ich Dich vielleicht nicht wieder, es war vorgestern, ich machte Dich aufmerksam darauf, da sahst Du mich an wie die Liebe, und da habe ich es begriffen, da hast Du es gestanden und kannst nie mehr es leugnen, daß ich unendlich glücklich durch Dich sein werde, ach wie selig war ich durch diesen Blick, denn ich fühlte auch, daß ich ihn verdient hätte. Sieh, ich verlange ja nichts von Dir, dessen Du Dich schämen müßtest, ich verlange, daß Du mein Weib seist, auf jedem Wege, den Du willst, aber entsage mir nicht so ruhig wie Dein Brief, das schmerzt und macht mutlos. Deinen Brief verstehe ich ganz, Dein Herz verstehe ich ganz, und ich will das meinige mit einem Messer strafen, wenn es Dir nicht bald deutlicher wird, o Du mein Herz, poche nicht so, ach Sophie, ich bin krank, ich muß weinen wie ein kleines Kind nach Dir, und da habe ich so ein verdammtes Zucken in den Nerven dabei, so brennend und taub, ich kann es nicht beschreiben, aber ich will mich zu Bette legen, vielleicht wird es besser. Morgen sehe ich Dich ja vielleicht, ach, morgen willst Du mich ja vielleicht sehen, o Gott warum hast Du mich nicht schön erschaffen, damit sie mich lieber sieht, o warum sehe ich so ernst, so leidend aus, und kann sie nicht erfreuen, kannst Du Dich denn gar nicht an meinen Anblick gewöhnen, liebe Sophie, nur Du hast mich gelehrt, mit allem an mir unzufrieden zu sein, ich werde nie erschwingen können, was Dir genügt, o sei gütig, verlange nicht mehr, als mich, ich will ja gütig sein und artig wie keiner, auch das Bestreben kann ja einnehmend werden. Nochmals liebe Sophie, bitte ich Dich herzlich, denke durch einzelne Worte dieses Briefs nicht schlecht von mir, wenn Du diesen Brief nicht für den Brief eines liebenden Jünglings hältst, der das Herz eines Kindes hat, dann

Versteh, mein Kind, versteh,
Ich sage Dir ade,
Mein Herz hast Du gebrochen,
Drum kann es nicht mehr pochen,
Bis ich Dich wieder seh!

Gestein abend hast Du zu mir gesagt, »o Sie können hier umwenden«, darüber habe ich nun auch noch weinen müssen, sei doch liebreicher gegen mich. –

Im armen Heinrich steht auch, »alles, was man in der Liebe tut, ist heilig.« Drum bitte ich Dich herzlich, verspotte meinen Brief nicht, ich habe ihn nochmals gelesen, ich schrieb ihn gestern, aber, was ist gestern? Seit ich Dich liebe, sind alle Gestern verloren, alle Heut Sehnsucht, und alle werden zu Gestern werden. Ich bin wieder ruhiger, aber spotte nicht über meinen Brief, es wäre mir schrecklicher, als Dich ganz zu verlieren, wenn Du Deine Ehrfurcht vor meiner Zucht verlörest. Ich will ja gar keine Erklärung über diesen Brief, nur verändre Deine Freundlichkeit darum nicht gegen mich, Gott hat Dir etwas verliehen, was er keinem Wesen auf der Erde gegeben, selbst der Natur und der Kunst nicht, o mißbrauche diese Macht nicht, Du hast eine Macht über mich, Du kannst mich zum Tugendhelden und zum Schurken machen, Tugend und Laster kannst Du mir geben, o sehe auf Deine Arbeit, wisse, was Du tust, lasse mich nicht verderben, um Betinens willen nicht, Sie ist außer Gott das Höchste, was der Mensch lieben kann, und sie ist mein, wenn ich Dir sie zeige, so hast Du alles von mir erhalten, mehr habe ich nicht.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Si vous aimez de me voir aujourdhui, comme on aime toujours de voir ce qu'on aime, faitez me le dire avant midi, parceque Maier ne dine pas chez moi, je vais aller al' Erbprinz, si je ne vous verrez pas, je serois tout seul et betrüblich. Je ne viendrai pas avec Maier chez la Comtesse, il me repugne, de me presenter par la Heerstraße, chez votre amie, et il me flatte plus, d'avoir un Droit de la voir, un peu de plus, qu'un autre, parcequ'elle ce dit votre amie, et de ne pourtant pas la voir, qu'il me serois agreable, de la voir, comme chaque autre homme. Ce billet est en francois, parce que vous saves, ce que je veux en allemend, c'est toi, toi, ame de ma vie, belle ame, ama, a moi, aime, amant, mama!


An Sophie

[Weimar, den 20. Juli 1803.]

Geben Sie mir doch den alten Roman ein wenig, bis der alte Sprachmeister fort ist. Übrigens sei zu tausend Malen gegrüßt, Du göttliche Orthodea, ich habe wieder wunderliche Briefschaften erhalten, von Savigny und der Laroche, ich werde so sehen, ob Du mich recht liebst, denn ich werde nächstens ungestaltet sein, da ich mich nun schon drein ergeben habe, mir einen Buckel zu lachen.

Clemens.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Es hat mir leid getan, Dich nicht zu finden und auch keine Nachricht von Dir, und das alles von Deiner mürrischen Magd so ins Gesicht geworfen, warum weiß ich nicht einmal, wo Du bist? Warum läßt Du mich umsonst laufen, ich habe nie eine niederträchtigere Empfindung, als wenn mich eine freche Magd von der Türe meiner Geliebten weist, wenn Du nach Hause kömmst, so lasse mir es sagen, ich warte, bis es dämmert, dann komme ich und sehe, ob Du Licht hast. –


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Ich scheue mich beinahe an Dich zu schreiben, Du bist befangen und hast kein Vertrauen zu mir und glaubst, ich sei bald so, bald so, Du hast viele Briefe von mir und viele Worte, ich habe sie alle in tiefer Bewegung geschrieben und geredet, Du liest sie ruhig, sie sind Dir angenehm oder nicht, Du läßt mich reden, bitten, flehen, ich habe Dich dran gewöhnt, Du gibst mir keine Antwort, sitzt von mir gewendet, und meine Augen, die Dich suchen, sehen Deinen Rücken, Du kannst zum Fenster hinaus sehen, mich fremd nennen, in der armen Stunde, um die ich den langen Tag zu vergiften suche, ich soll solche Tage vergessen – was soll ich? Ich fühle, was ich soll, treu soll ich sein und wahr und vertraulich, – oh, was wirst Du sollen? Wenn ich glauben soll, daß Du mich lieben kannst, so sehe nicht lieber an die Erde als in meine Augen, ich bin nicht schön, aber auch nicht schrecklich, und rede mit mir, vertraue Dich mir, sprich Dein Herz aus, Deine Zweifel, Deine Wünsche, wenn Du das nicht kannst, o Sophie, es ist ein Irrtum von Dir, Du liebst mich nicht recht, wie könntest Du sonst wagen nun zu denken, ich sei bös, ich bin gerecht, Du bist nicht kalt, Du bist nur verkaltet, verzeihe mir meine Reden, ich meinte es ja so ehrlich und will nie wieder Dir ein Lied schreiben wie heut, ich will alle die Vertraulichkeiten, die Du mir gibst, annehmen, ohne zu denken, Du räumest mir ein Recht ein, und hebe ich Dein Strumpfband auf (hony soit qui mal y pense). Tue Du umgekehrt, oder wie Du willst, ich schäme mich oft, daß mich manchmal solche Feßlen drücken, da ich doch im Herzen die ewge Freiheit trage, liebe Sophie, gehe um mit mir, wie Du willst.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Dieser Zettel ist nichts als ein Kind der Ungeduld von dem ungeduldigsten Kinde, er soll Dir nichts sagen, als was Du weißt und glaubst und hoffst und liebst, daß ich Dich liebe, ganz närrisch liebe, ich habe die ganze Nacht von Dir geträumt, ein solcher Traum ist eine wunderbar schöne Insel der Liebe, worauf wir zwei Robinsone sind, wenn aber der Tag anbricht, so verschlingt sie das Weltmeer der Liebe, ich weiß auch nicht mehr, was ich träumte, denn ich träume nun wieder wachend von Dir und nur von Dir. O ich werde einen Vogel abrichten, einen schönen bunten Vogel, der Dir den ganzen Tag singt, freue Dich, traut Lieb, Dich liebt er so herzlich, Lieb, Lieb, Lieb, o Du mein! Ach, ich kenne mich nicht mehr, mein ganzes Leben ist verwandelt, eine Menge Flammen, die ich eingekerkert in der Tiefe, schlagen über meinem Haupte zusammen, nächstens sollst Du mich mit glühenden Locken sehen, eine Menge Quellen, die mein Innres fesselte, brachen ihre Bande und strömen durch meine Adern, mein Blut wird ein kastalischer Quell, und mein Herz taumelt, es pocht nicht mehr, bald, bald werde ich singen wie keiner vorher, es ist eine goldne Zeit entstanden, o münze diese Zeit, Sophie, dann sind wir unendlich reich, o mache Dir ein Halsband und Ringe und einen Gürtel daraus, denn alles Irdische werde ich einst an Dir zerbrechen, lege solchen ewigen Schmuck an, einen Talisman gegen alle Zerstörung. –

Ja, es ist wahr, es ist möglich, Du liebst mich (in diesem Augenblick erhalte ich Dein eignes Geständnis). Gott! welche Begegnung! Du antwortest mir, ehe ich Dich anredete, es ist das erstemal, es ist Gott gelungen, Du bist in die Ordnung eingegangen, Du liebst mich, wie ich und Betine lieben.

Dein Clemens.

Wie wunderbar ist es, daß Du mir in demselben Augenblick schriebst, Du weißt nicht, wie mich das rührt, solches herrliches Zusammentreffen ist der wahre Beweis, daß ein Zustand wahr und lebendig ist, daß er ewig ist, und daß Gott sich hineinmischt.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Ich habe nicht geschlafen, ich habe weinend den Morgen kommen sehen, es war Betine, die über die Dächer zu mir stieg, mich zu trösten, aber sie hat mich nicht getröstet, in dieser Minute erhalte ich ihre Briefe, und das Zusammentreffen meiner Worte und ihrer Ankunft erschüttert mich heftig. Ich komme zu Dir noch vor Tisch, ich kann nicht mehr schreiben, ich fühle mich unendlich einsam. O Sophie, hilf mir, o um Gottes willen werde ein Engel und hilf mir, fürchte Dich nicht vor mir, ich werde ganz stille bei Dir sein, aber ich muß mit Dir reden und weinen, o wer weinen könnte, in meinem Gehirne, da ist ein Krebs. O Sophie, was willst Du mir geben, damit ich mehr habe als mein Feind, mehr als meine Liebe, ich schwöre Dir, wenn Du mir wieder sagst, ich liebe Dich nicht, so erwürge ich Dich und mich, denn ich sterbe ja dran, es vergiftet mich ja, ist das dann nicht die Liebe, die Du gibst, doch ich will ein Mann sein, ich bin ruhig, o um Gottes willen laß mich zu Dir kommen, ich werde so freundlich sein wie ein Engel. Meine Seele ist ein biegsames Kind, ich liebe meine Seele, sie ist die Seele eines Engels, Betinens Seele, und ich will sie göttlich erhalten.

Clemens.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Ich bin ein wenig krank, liebe Seele, aber doch noch gesund genug, eine hinlängliche Armee Deiner Feinde im Falle der Not totzuschlagen. Im ganzen bin ich sehr betrübet in den Teilen. Deine schöne Sorge richtet mich gewissermaßen auf, meine schöne Sorge aber richtet mich gewissermaßen hin. – Da ich gestern vor Deiner Türe war, da lag der gesternte Himmel über der Erde, und ich war die Erde und vergaß Dich, ich war glückselig und erinnerte mich eines alten Bundes, den ich oft erneute, und gestern wieder, da ich Deine Liebe zu besitzen glaubte, war ich bei Jena abends auf einen Berg gestiegen und des Nachts dort geblieben, da lernte ich die Sterne kennen, und sie liebten mich, da Du mich verstoßen hattest, blieben sie mir treu. Da ich über Betinens Geschick verzweifelnd einstens in der Nacht von Offenbach ging, waren die Sterne sehr ruhig, ich öffnete Rock und Weste und nahm Halsbinde und Hut ab und sang ein helles Lied und ward ruhig, so auch habe ich gestern gefühlt, was ich soll auf Erden, und die Sterne haben mich getröstet, Sophie, die Sterne sind wie Betine so bedeutungsvoll, sie lieben mich, und sollten sie sich selbst zerstören, sie werden mich glücklich machen. Da ich an den Brunnen am Zuchthaus kam, sah ich ein Mädchen auf mich zugehn, mich ergriff eine große Angst und dann eine sehr ernsthafte Freude, ich blieb stehen, das Mädchen auch, dann ging sie zurück, ich auch. Wenn es eine Hure war, so habe ich sie wahrhaftig für die Unschuld gehalten, und warum soll auch gar nichts Gutes an so ein Wesen kommen, närrisch ist es, daß ich einigemal die Lippen bewegte, ihr Betine zuzurufen, aber ich konnte nicht sprechen. Sonst habe ich gut geschlafen und bin ganz so gestimmt wie damals, als wir von Dornburg abfuhren, sehr mild. Ich habe noch eine große Bitte an Dich, sei mir im ganzen liebreicher, sanfter und vertraulicher, ohne Scherz, ohne Neckerei, und mache den Bund mit mir, etwas sparsamer in unsren jetzigen Liebkosungen zu sein, sie haben kein End, sie haben keine Sättigung und doch alle das Zerstörende des Heißhungers, den Mann vernichtet so etwas mehr als der völlige Genuß, denn er ist die gehemmte Tätigkeit, doch, liebes Kind, muß dies Entsagen einen Ersatz haben, sonst werde ich gar betrübt, lasse mich Dich liebevoller, ruhiger, aufmerksamer, anhänglicher an mich sehen, und schminke Dich nicht mehr, doch wir wollen das Gott überlassen. Vertrau mir, vertrau Gott, sei ein Kind, aber ohne falsche Wangen, ich will Dich mit meinen Augen schminken, in meinem Herzen sollst Du jung sein, so fliehe dann die andern, sie sehn Dich verblüht und verwelkt.

Dein Clemens.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Liebes, gütiges Weib, ich will heute zu Oberweimar essen, ich habe es dem Pfarrer schon so lange versprochen, und er hat mich heute nun zum dritten Male gebeten, schicke mir doch Deine Gitarre, daß ich dem Menschen eine Freude machen kann. Soll ich Dich heute sehen, ach, ich möchte Dich immer sehen, wie Du mir gestern den Schlüssel herabwarfst, das ist nun das zweitemal, daß Du mir etwas vom Fenster herabwirfst, weißt Du – in Jena das Schnupftuch – ich war schon auf dem Wege, nach Jena zu gehen und dort zu schlafen, denn in der ganzen Stadt war alles zu Bette, nur die Liebe, meine Liebe, Deine Liebe, die liebste Liebe, wachte noch, kennst Du mich noch, Sophie, nach solcher Vertraulichkeit, wenn Du wüßtest, wie schön, wie allmächtig schwach Du bist, in meinen Armen so ergeben, so gebend, Du könntest noch besser verstehen, wie ich so kühn bin, alles zu durchbrechen, ach, es ist mir dann, als hätte ich die Welt in Flammen gesteckt, und Du allein seist unzerstörbar, und ich müßte mich flüchten in Dich, um Dir Deinen Geliebten zu erretten, und wenn alles ausgeglüht sei, so lägen wir geschmolzen in eins, ein goldner Kern voll unendlicher Kraft, im Mittelpunkt, und Gottes Wille sei in uns gefangen, so daß eine neue Welt sich um uns anlegen müsse. Wenn es Dir möglich ist, Geliebte, so sage mir, ob ich heute abend zu Dir kommen soll, um mit Dir spazierenzugehen, es wird heute gewiß ein schöner Abend, wir wollen dann vertraulich miteinander reden über unsre Liebe, unser Glück auf Erden, ich will mild sein und ruhiger, wenn Du unter dem freien Himmel bist, in so göttlicher Gesellschaft Deiner lieben, unschuldigen Freunde, der grünen Bäume, dann bin ich schüchterner, und Du herrschest durch meine Nebenbuhler, schreibe mir ein paar Worte, soll ich nach acht Uhr zu Dir kommen, liebe Sophie? Ich schicke Dir hier Betines Briefe, ich glaube, mehrere davon last Du noch nicht, lies sie doch und freue Dich ihrer, wie glücklich wäre ich, wenn Du in einem vollen, liebevollen Momente Deines Herzens Betinen schriebst, so recht innig, wie Du mich liebst, was würde ihr das eine Freude sein.


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Genz plagt mich, ich soll ihm mein Lustspiel lesen, und Du kannst Dir nicht denken, wie ungern ich lese, was ich bis zum Ekel gelesen, aber es muß sein, und ich bin so betrübt, daß ich nun nicht frühe zu Dir kommen kann, aber ich habe kapituliert, und um neun Uhr, wie es schlägt, bin ich gewiß bei Dir. So lustig war ich lange nicht, als da ich Dir gestern den Hut abzog, der Mond kneipte mir ordentlich in die Wangen. Wenn Du es weißt, Sophie, wie ganz gewaltig ich Dich liebe, dann weißt Du, wie glücklich Du zu sein schuldig bist. Lebe wohl bis um neun, o Du! mein –


An Sophie

[Weimar, Juli 1803.]

Liebe Sophie!

Trinke Dir keinen Rausch und sei nicht zu lustig, denke, daß ich nicht bei Dir bin. Gestern abend war ich recht betrübt, Du bist doch in der Liebe lange nicht so wohltätig als Betine, die würde sich bei Ahlefeld nicht so in einen Winkel gesetzt haben, daß ich hätte ferne von ihr sein müssen, die hätte das nicht ausgehalten, sie wäre stolz gewesen, vor allen Leuten hätte sie sich zu mir gesetzt, auch wäre sie nicht so lustig nach Haus gegangen und hätte mich hinterdrein gehen lassen, auch wäre es ihr unmöglich gewesen, so froh ihrer Türe hineinzuschlupfen, ohne mir vorher wenigstens die Hand zu reichen, ich weiß nicht, aber solche Vernachlässigungen sind es, die mich schwer verwunden. Ich schwöre Dir, Liebe, solange Du nicht öffentlich vor allen Menschen mit mir einsam zu sein verstehst, und solange Dir dies nicht eine rechte Wollust ist, solange liebst Du mich nicht, ich erschrecke oft darüber, daß die Liebe Dir noch immer etwas Verbotnes scheint, es ist mir oft, als stehe ein Gespenst Deines Mannes vor Dir und erlahme solche Vortrefflichkeit in Dir, Du kennst mich nicht, Sophie, rühre Dich, ich bitte Dich um Gottes willen, um Betinens willen.


An Sophie

[Weimar, den 5. August 1803.]

O der wunderschöne Brief Betinens, suche die schönsten Stellen Shakespeares und Goethens, und immer doch der wunderschöne Brief, o welche Wahrheit, Unschuld und Tiefe, Du weißt nicht, wie mir bei einem solchen Brief wird, es sind meine Worte, meine Gefühle in einem klaren See abgespiegelt, ich schwöre Dir bei Gott, ich bin wie dieser Brief Betinens. Ich werde ihr heute schreiben, daß Du mein Weib nicht wirst, daß wir Freunde sein wollen, wie glücklich wird sie dadurch wieder werden. O schicke mir diesen Brief wieder. Für Deine lieben Worte innigen Dank, wenn ich von Hause gehe, geht Betine immer bis zur Türe mit, gestern lehrte Dich es der Zufall, aber Du sahst außer mir auch noch dem Mondschein, der Musik nach, Du warst aber dennoch natürlicher als je. – Leb wohl, mein Guter.

Clemens.


An Sophie

[Weimar, August 1803.]

Liebe Sophie!

Binde doch meine Papiere zusammen, lege Betinens Brief dazu und ihr Bild, ich bin einsam und ohne Trost, wenn Arnims Briefe und dies Bild nicht bei mir sind. Ich muß etwas im armen Heinrich ausstreichen, was nicht vor die Menschen, wie sie jetzt sind, darf gebracht werden, ach, es stand auch in jenen Briefen, die Du, die Feuer nicht verbrannt hat, und wenn ich das nicht ausstreiche und geheimhalte, auf ewig, bis ich es Gott wiederbringen kann, der mir es gegeben hat, mir allein aus unendlicher Liebe, um die ich hier auf Erden leiden muß und gerne leiden will, wenn ich das je wieder ausspreche, was Betinen so an mich bannt und mich an Sie, so muß auch dieses gute Buch zugrunde gehn. – Ich habe an Savigny geschrieben, wie Du es wünschtest, aber am Ende des Briefs ward ich bewegt wie nie, und meine letzten Worte waren, ich wiederhole sie, denn ich habe kein Hehl vor Dir: Ach, Savigny, Arnim und Betine! ach wärt ihr bei mir, wer wird mich ermorden, wer wird mich begraben, wer wird mit mir sterben und wer um mich weinen! Sophie, ich habe eine schreckliche Nacht gehabt, o hättest Du die Briefe nicht verbrannt, sie waren alle an Gott, sie waren nicht Dein, Du hast die Gebete vernichtet und hast mir die Zunge ausgerissen, ach, ich hätte ja unter seinem freien Himmel beten können, wenn Du gleich meinen Tempel und sein Ebenbild in ihm, Dich, in Dir zerstört hast. Mich treffen alle Schläge, kein Kuß küßt mich, ich verstehe das Schicksal, ich werde zu kämpfen wissen und zu unterliegen. O Sophie! Du mußt vieles vergessen, vieles erlernen, die Kunst ist lang, das Leben klein, wer nicht unter freigebigen Gestirnen geboren ist, der muß viel vergessen, viel erlernen, o Sophie, verstehe diese Worte, vernichte sie nicht wie jene Briefe, ich fühle, daß ich nicht wahr gegen Dich bin, wenn ich Dir verschweige, was mich allein durch Dich beglücken kann, ach, und ohne Dich ist mir kein Glück. Lieben mußt Du mich, lieben, unendlich lieben, wie Du nie geliebt, stumm mußt Du werden, fühlen mußt Du, was Deine Zunge nicht sprechen kann, alles mußt Du um mich aufopfern können, ohne mich mußt Du nicht leben können, ringen und streben mußt Du nach mir wie ich nach Dir, Betinens Herz mußt Du gewinnen, sie muß Dich mir geben, sie muß Dich lieben wie mich, ach Sophie, was wollen wir anfangen, daß Du so wirst, sage, weißt Du gar noch nicht, wie Du es machen wirst, fühlst Du nicht, ob Gott wieder in Dein Herz steigt, der Dich verließ, da Du aufhörtest, jungfräulich zu sein, o bete recht zu Gott, vertraue auf Gott, er verläßt keinen Menschen, er hat mich auch nicht verlassen, da Du mich verließt. O welche Qual auf Erden, o wie göttlich ist die Erschaffung, wie teuflisch die Zerstörung, wie freudig wird der Himmel sein, Sophie, erschaffe Dich mir wieder, erbaue meinen Tempel wieder, daß ich wieder Gott lieben kann, ach, Du wirst mich wohl nie recht lieben, Du willst wohl nicht leben, Du willst Dir nur die Zeit vertreiben, aber die Zeit ist ewig, der Tod ist ewig, ewig sterben, ewig kämpfen, ewig lieben, ewig siegen, ach, und dann die Ruhe und der Friede. In Betinens Brief steht auch geschrieben von diesem Frieden, ich bitte Dich, Sophie, verführe Gott, daß er Wunder tut, o werde vortrefflich, fülle Dein Herz wieder überschwenglich an, nur das Überschwengliche kann erschaffen, nur im Überschwenglichen ist der Genuß und die Arbeit und das Werk und die Ruhe. Ich liebe Dich, sei stolz darauf, ach, daß ich Dich liebe, es ist mir die Hoffnung, daß alles Verlorne in Dir wiedergefunden wird, daß alle die Krämer aus dem Tempel werden vertrieben werden, o knüpfe Dein Vertrauen an diese Liebe und an die Güte des Himmels, ich verzweifle allein nicht an Dir, weil ich Dich liebe, weil ich Dich so liebe, wie Betine lieben kann, und woran ein solches Leben angewiesen ist wie das meine, das kann Nie verderben. Sophie, ich schwöre Dir, wenn Du mich verlierst, so bist Du zugrunde gegangen, o halte mich fest ohne alle Liebeskünste, halte mich fest, wie das Auge das Licht hält und das Licht das Leben.

Clemens.


An Sophie

[Weimar, August 1803.]

Von den Mauern Widerklang –
Ach! – im Herzen fragt es bang:
Ist es ihre Stimme?
Und vergebens sucht mein Blick:
Kehret mir ein Ton zurück? –
Ist's nur meine Stimme? –

Auf der Mauern höherm Rand
Sind die Blicke hingebannt,
Doch ich seh nur Sterne;
Und in hoher Himmelssee
Ich die Sterne küssen seh –
Wären's unsre Sterne!

Recht ist voller Lug und Trug,
Nimmer sehen wir genug
In den schwarzen Augen;
Heiß ist Liebe, Nacht ist kühl,
Ach, ich seh ihr viel zuviel
In die schwarzen Augen.

Sonne wollt' nicht untergehn,
Blieb am Berg neugierig stehn;
Kam die Nacht gegangen.
Stille Nacht, in deinem Schoß
Liegt des Menschen höchstes Los,
Mütterlich umfangen.


An Sophie

[Weimar, August 1803.]

Willst Du mir Trost verleihen,
Laß mich aus Deinen Augen
Der Liebe Schwärmereien,
Minutenwahrheit saugen.

Laß um des Lichtes Quelle
Die trunkne Fliege schwirren,
Laß, wird es ihr zu helle,
Sie in die Flamme irren.

Du sahst im Nektarkelche
Die heitre Psyche sterben.
Wenn ich noch länger schwelge,
Läßt Du mich auch verderben?

Aus Deines Herzens Raume
Möcht' ich nur einmal trinken
Und dann zum kühnsten Traume
Im Götterrausche sinken.

Du bist die Zaubervase,
Die meinen Geist umhüllet,
Und im Champagnerglase
Ist schon mein Los erfüllet.


An Sophie

[Weimar, August 1803.]

Sieh, dort auf dem Wiesengrunde
Tanzen jetzt die Elfchen munter
Unterm Rosenbusch hinunter,
Der die Blätter niederstreut.

Elfchen spielen Lotto heut,
Schreiben auf die Blätter Nummern.
Ja, Du darfst nur kühnlich schlummern.
Denn Dein Glück kommt Dir im Schlummer.

Du gewinnst die beste Nummer:
Eine Braut wirst Du im Schlummer.
Drum erwachst Du ohne Kummer,
Hochzeit, Hochzeit, hohe Zeit! –

Sieh, wie scheint der Mond so weit,
Und die Frösche und die Unken
Singen bei Johannisfunken
Ihre Metten ganz betrunken.

Brünstig glühn Johannisfunken,
Sternlein kühl am Himmel prunken,
Und das Irrlicht hüpft betrunken
Wo Du gingst, ein Jungfräulein.

Auf dem Acker glüht ein Schein.
Wo beim Drachen eingetruhet
Kaltes Gold, das rot erglutet,
Fiel dein Kränzlein unvermutet

In des Drachen Gruft hinunter,
Und der Drache ist gebunden,
Und der Schatz ist Dir gefunden:
Gold und Silber, Edelstein
Und drei Rosen, die sind Dein.


An Sophie

[Weimar, den 22. August 1803.]

Ich zeige Dir mit diesen trostreichen Zeilen an, daß ich armer Schelm hier in Weimar gezwungen bin, Dich zu überleben, denn der Lauf der Postwagen nimmt mich erst in der andren Woche mit, also gehst Du von mir, ich nicht von Dir, und Du kannst mich im Stiche lassen, wirst Du die Hulda mitnehmen können, wirst Du die auch im Stich lassen, o mein göttlicher Sophus, sei kein Unmensch, ich lieb Dich so sehr, so sehr, wie die Fische im Meer, ich hab' Dich so lieb, so lieb, wie der Krämer den Dieb. – Ich hoffe und weiß es gewiß, daß ich heute nachmittag nicht von Dir weiche und wanke, ich bitte Dich um Gottes willen, schicke mir, was Du mir gestern nicht geben wolltest, ach, und zur Belohnung mache es noch ärger als es war, oft ist es mir so drollig, wenn ich bedenke, wie Deine Ohren so ganz Deinem übrigen Leibe abtrünnig auf ihre eigne Hand züchtig sind, ich werde sie Dir noch abschneiden und als einen rechten Tugendspiegel in ein Kloster schicken müssen, o Du Engel, bei dem ich auf die Heirat gehe.


An Sophie

[Weimar, den 22. August 1803.]

Ich weiß nicht, ob Du heut viel Besuche machst oder erhältst, aber ich bitte Dich von Herzen, bedenke, daß Du heute abend um 6 Uhr fortfährst, daß ich Dich lange nicht mehr sehe, daß ich unendlich liebe, und spare mir noch einige Stunden auf, in denen ich Dich anschauen und mit Dir reden kann, mir ist es so tiefsinnig, ich liebe Dich so herzinnig, o geliebtes, herrliches Weib, wie bin ich unendlich glücklich durch Dich, sprich, wann soll ich zu Dir kommen, ißt Du zu Haus? Ich bin ganz außer aller Zeit gerückt, es ist mir, als träumte ich, ich wäre gestorben. In mir ist eine Sehnsucht nach Dir, ich möchte in jeder Minute zu Dir hin, mein Herz drängt gegen die Wand der Brust wie ein Lebendigbegrabener gegen seinen Kerker, o liebes Weib, mir ist, als hätte ich Dich in tausend Jahren nicht gesehen, o hilf mir, mache, daß ich bald bei Dir sein darf, ich fühle mich so treu und freundlich, ach, du Gott, und nun von Dir scheiden.

Bricht's nicht in Freud, bricht's doch in Leid,
Bricht es uns alle beiden,
Ach, Wiedersehn geht fern und weit,
Und nahe geht das Scheiden.


An Clemens

[Weimar, August 1803.]

                                1.

Durch Wälder und Felder, dem Tale entlang
    o weh,
da schallt aus dem Grünen des Liebchens Gesang:
    Ade,
»Du hast mich verlassen, o Liebster mein!
Muß dennoch ewig dein Eigentum sein,
Ade, o weh, ade, ja Scheiden und Leiden tut weh.«

                                2.

»Es singen und springen die Vögelein,
    im Hain,
und munter spielet der Sonnenschein,
    so rein.
Die Bäume, sie flüstern und tun darauf
mit Freuden die grünen Äuglein auf,
im Hain, so rein, im Hain, im Frühlingssonnenschein.«

                                3.

»Doch nimmer, im Schimmer er kehret zurück,
    o weh
er sucht in der Fremde das flüchtige Glück,
    ade,
im Frühling nur stärker die Sehnsucht entglüht,
solange die Blume der Liebe nicht blüht.
Ade, o weh, ade, ja Scheiden und Leiden tut weh.«

                                4.

»Wenn Schwalben aus falben Gebüschen ziehn
    Ade,
wird dann nicht mir wieder sein Augenlicht glühn,
    o weh
so leg ich mich sterbend mit treuem Sinn
wohl unter die sterbenden Blumen hin,
Ade, o weh, Ade, ja Scheiden und Leiden tut weh.«


An Clemens

[Auf der Reise von Weimar nach Dresden, 22./23. August 1803.]

Ich schreibe Dir schon, mein Lieber, und ich habe Dir eigentlich den ganzen Weg über geschrieben, denn ich dachte immer an Dich, die einzigen Augenblicke ausgenommen, wo ich recht inbrünstig betete, und zwar nicht für Dich, sondern für mein Kind. Ich habe ernste Gelübde für sie getan, und ich schwöre Dir, ehe ich nicht mit meiner Liebe zu ihr alle die eisernen Banden schmelze, alle die Giftpflanzen ausrotte, die schlechte Gesellschaft in ihr kindlich Herz gepflanzt, und sollte ich sie mit meinen Lippen aussaugen, eher will ich Dich nicht wiedersehen.

Meine Reisegesellschaft ist besser, als ich dachte, und meine Natur hat alles schnell besiegt. Ich fühle, daß es der A. recht ernst gewesen ist, mich zur Reise zu bereden, denn wir fühlen uns recht kindisch wohl beisammen. Wir waren auch wegen des Sitzens gar nicht geniert, denn ich und die A. stiegen ganz wohlgemut auf dem unbedeckten Sitz unter dem lieben feinen Abendhimmel und ließen die Dame mit ihrer üblen Laune von dem ledernen Kutschhimmel bedecken. Ich glaubte, Dich noch irgendwo sehen zu müssen, aber vergebens, und das war auch gut, denn ich hätte wohl mit keinem schönren Eindruck scheiden können. O! wie hast Du soviel Liebe und Seligkeit in diese letzten Minuten gehäuft! ich habe jetzt alles andre vergessen, alle die Schmerzen und Wunden; aus Deinen Augen hat sich eine Brücke über den tiefen Abgrund geschlagen, den ich zwischen uns fühlte, und ich gehe nun sicher zu Dir hinüber! – Ich kann Dir nicht sagen, wie ich für Dich fühle, aber ich glaube, Du hast es begriffen, weil mein Herz so selig ruhig ist.

Ich schreibe wohl sehr verwirrt, denn um mich her sind eine Menge Erkennungsscenen vorgefallen – das erste Abenteuer – woher nur eigentlich dies Wort kommen mag? – Wir werden recht vergnügt sein, denn die A. und ich sind die gesundesten, lustigsten, bequemsten Seelchen von der Welt. Und so

will ich die Grillen, die alten, vertreiben,
du sollst mir, gaukelnde Jugend, noch bleiben!

Die Nacht ist froh und sternvoll, ich mache oft die Augen zu und sehe Dich dann ganz lebendig neben mir sitzen, du Sonne und Mond, Sommernacht, und weil ich der Traum Deiner Augen bin, bin ich ein Sommernachtstraum. – Gute Nacht, Lieber – ich kann doch auf der Welt nichts als beten und lieben, und so bin ich ewig eine arme Frau, aber ein überschwenglich reiches Kind.


An Clemens

Dresden, Mittwochs, [den 24. August 1803.]

Nun sind wir hier! – Ach! Clemens, wie sehne ich mich nach Dir! Wenn ich nicht bald Briefe von Dir habe, wird meine Liebe Hungers sterben. – Ich bin ganz erschöpft von Nachtluft, Fahren und Bekannten. Überall stößt man auf welche – ich habe mir schon bald den Kopf an ihnen eingestoßen, und ich finde, daß das Leben nur interessant ist, wenn es unbekannt ist. Auch eine Art von Abenteuer, eine Art von Anbetern fand sich, ich bin aber heute zu verdrossen, um es zu erzählen. – –

Die Gegend bis hieher hat mir gar nicht sehr gefallen; das Marburger Tal ist gewiß weit romantischer, und die Menschen sehen hier alle aus, als wenn sie Langeweile hätten – so kurzweilig wie Du ist kein einziger.

O! die arme, arme Ahlefeld! – ich muß sie alle Tage mehr lieben und mehr bedauren. – Diese Mutter – es ist kaum auszuhalten. Es hat schon mehrere furchtbare Auftritte gegeben, und nur meine Gutmütigkeit hat manches vermittelt. – Die A. ist auch sehr verändert, sie ist sehr niedergeschlagen und gar nicht mehr, wie sie in Weimar war; ich fürchte, ihr Unglück wird sie noch ganz prosaisch machen.

Sie hat hier eine Jugendfreundin gefunden und hat mich nun schon in eine Menge Bagage verwickelt, daß mir Hören und Sehen vergeht. Denn ich fühle es, ich bin nicht mehr tolerant, ich bin heftiger geworden und kann vieles nicht mehr ertragen.

Gegen Abend gingen wir ins Bad. Das war eine sehr vergnügte halbe Stunde, ich war auch da allein und konnte ungestört An Clemens denken. Darauf gingen wir mit der schon erwähnten Bagage spazieren – aber wie selig ward mir zumute, als ich auf einmal Tieck erblickte! – Ich weiß selbst nicht, warum ich mich so unendlich freute; ich war wie verrückt, und es war mir fast, als hätte ich Dich gesehen. Wir sprachen unaufhörlich zusammen, unaufhörlich von Clemens, und kehrten uns an die andern gar nicht. Auch er fand die A. ganz anders als in Weimar, doch ich hoffe, sie soll nicht immer so sein. Morgen verreist er, dann aber erwarte ich, daß wir ihn täglich sehen. Gute Nacht! ich sterbe fast vor Müdigkeit.


Donnerstags. Abend.

Guten Abend, lieber Clemens! Ei! wie froh bin ich, daß ich bei Dir bin! Ich bin aus einer Gesellschaft, wo die andern noch sind, fortgegangen, ich sagte ganz naiv: ich müsse schreiben, ließ mich von einem garstigen Hofrat, der mich immer neckt und mir ganz pedantisch die zärtlichsten Sachen sagt, nach Hause führen, wo ich mich aufs Sofa warf, mir von einem artigen Markeur das Abendessen bringen ließ und nun zum erstenmal frei atme und Dir schreibe. – Die Menschen hier gefallen mir gar nicht. Ich habe noch keinen einzigen Mann gesehen, mit dem ich nur ein Wort hätte sprechen mögen, und keine Frau, in die Du Dich nur einen Augenblick hättest verlieben können. – Den Morgen waren wir auf der Galerie, wo wir nun täglich hingehen. Die Menge Eindrücke betäubt mich ganz, und ich weiß für diesmal nichts, als daß ich ein Gemälde sah, von dem Du mir viel gesprochen. Ein spanischer König hat seine Geliebte als Venus malen lassen und sich selbst vor ihr, auf der Laute spielend. Des Mittags waren wir in Gesellschaft, ich glaube, es war sehr langweilig, aber ich habe nicht viel an das gedacht, was mich umgab. Dann sahen wir den japanischen Palast. Ich mußte mich über vieles wundern. Die kolossalischen japanischen Gefäße und die abenteuerlichen chinesischen Formen, Blumen, Farben und Pagoden machten mich nachdenklich. Auch waren einige allegorische Abbildungen aus Biskuit da, über die ich mir recht den Kopf zerbrach. Du möchtest sie vielleicht zu leicht finden, sonst schrieb ich sie Dir. Das Merkwürdigste war ein ganzes Service, welches Rafael in früher Jugend gemacht haben soll, als er, in eine Töpferstochter verliebt, für ihren Vater arbeitete, und worauf bald ein Apostel, bald ein Liebesgott zu sehen ist. – Auch sahen wir einen von indianischen Vogelfedern wunderbar gewirkten Bettumhang, der erst jetzt wieder aus dem Staub des Alters hervorgezogen wird. Die südliche Glut und Schönheit der Farben ist ganz unbeschreiblich; es war mir, als fühlte ich mich auf einmal in einen Amrawald versetzt, ich fühlte die göttliche Luft und sah das schimmernde Gefieder neben und über mir flattern und scherzen. – Wir machten noch einen weiten Spaziergang, die Gegend ist schön, mir aber nicht anziehend genug; doch hoffe ich noch auf einige romantische Partien, die uns Tieck anordnen soll.

Ich will Dir noch ein Liedchen schreiben, welches ich schon unterwegs in Gedanken dichtete. Ich dachte an unsern letzten Spaziergang in Weimar, und wie ich nun allein den Bach besuchen würde, und dabei fiel es mir ein.

In Tränen geh' ich nun allein
am Quell – Du kennst ihn wohl.
Ich blicke in den Bach hinein,
daß er mich trösten soll.

Du freundlich Liebesangesicht,
wie bist du doch so fern!
Dich bringt mir nun kein Tageslicht,
bringt nicht der Abendstern.

Mein Leben schließt die Augen zu,
weil es Dich nicht mehr sieht,
indes in Träumen ohne Ruh
mein Herz stets zu Dir zieht.

Die leise Welle rinnet klar
und zeigt den grünen Grund.
O! Welle, mache offenbar,
was wohl mich macht gesund!

Die Welle schweigt und fliehet bald,
doch unten frisch und hell
grünt wundervoll ein Pflanzenwald,
bedeckt vom klaren Quell.

Und aus dem frischen Wasserreich
steigt hell der Trost zu mir:
»Es grünet so der Hoffnung Zweig
auch unter Tränen Dir.«

Gute Nacht, Clemens! – Strafe mich für meine schlechten Briefe bald mit einer guten Kritik, aber setze sie, ich beschwöre Dich, keiner fremden aus. – Die Augen fallen mir zu, und ich eile in Träumen zu Dir.


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