Clemens Brentano und Sophie Mereau
Briefwechsel zwischen Clemens Brentano und Sophie Mereau
Clemens Brentano und Sophie Mereau

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++


An Sophie

[Weimar, Dezember 1801.]

Es liegt eine Hexerei in Ihnen und mir, nichts können Sie mir sagen, was mich tröstet, nichts, was meinem Unglück nicht das Leben nähre, die Liebe ist ein ewiger Baum in meinem Herzen, Sie schneiden kalt die grünen Zweige nieder, die Wunden weinen und schießen freundlicher, sehnsüchtiger hervor, und mir, o Gott beschied mir kein Wort, das Sie rührt, auch keine Silbe haben Sie für mich gehabt, die mich kränkte, keine, die mich erquickte. Sie haben diesen Brief nicht an mich geschrieben. So ist Ihr Herz nicht. Einst, wie schrecklich können Sie dies Wort gebrauchen, schien ich von Ihren Leiden gerührt zu sein, und keine Liebe, war keine Liebe in mir? die ich jahrelang im Herzen nähre, zu Ihren Füßen nur war Gott in mir, nur dort war mir Schmerz so lieb wie Lust, und stehe ich leer und bloß im Leben, o Sophie, Sie haben mich erfüllt und gekleidet, und alles das, war es ein Spiel in Ihrem Leid? Sie sind nicht so, Sie sind nicht ruhig, wenn Sie so höfliche Briefe an einen Menschen schreiben, dem Sie nicht begegnen wollen, um nicht wahr zu sein. Oh, sollte ich Ihr Leid nicht lieben, da Ihr Leid mich nur erquickte, Ihr Leben meines Elends Bedingnis war, und nun kein Leid in Ihnen, und immer bleibt Ihr Leben, was es mir gewesen. Sie glauben mir nicht, so stehe es für Gott hier, der mir Tränen gibt, durch die ich Sie erblicke, wahrlich, seit Sie mich verwandelten, ist keine frohe Minute in mein Herz gekommen, ich habe nur in Tränen gelächelt, und alle Welt ist gestorben, außer Ihnen, seit Sie mich berührten, blind stehe ich, sehe keine Sonne und kein Grün, Ihr Bild nur sehe ich, mit feindlicher Gewalt von mir gewendet, denn es ist nur Gewalt, Sie sind nicht so, nie ist ein treues liebendes Herz so gemißbraucht als das meine, Sie haben es nicht getan, aber Schlegel hat mich betrogen, und der bezauberte Drache, der ihn mit starrer, angebannter Liebe besitzt. – Das Wesen, das ich lieben soll, oh, ich könnte es, dürfte ich die unglückliche Flamme nähren, die sie gegen die Gesetze verzehrt, dies heilige Kind, es ist meine Schwester Betine, solange Sie nicht diese Jungfrau kennen, sind Sie nicht glücklich, und sie wird ruhig sein, wenn von mir sich Ihr Haß wendet und Sie vielleicht hinweggewandt von meinem Aug, die Hand mir wieder reichen. Sie glauben alles dieses nicht, o Sophie, träumen Sie es nur, nur einen Traum, für allen meinen Glauben. Ich war nimmer schlecht in meinem Leben, aber durch Verwirrung und Betrug und doch voll Liebe ein Lebender, der kalt mit verbißnem Schmerz die Hand ins Feuer hält, den Brand des ganzen Lebens drin verbrennend, habe ich gelästert, die kalte, angeregte Wut hat jenen Brief geschrieben, Schlegel hat ihn offen erhalten, wie ein Arzt, und hat mit ihm und seiner Liebe zu mir mein Leben ewig verdammt, da er ihn überreichte, so ging mir auch der Freund im bösen Dienst verloren, kein Ende wird dieses Jammers, mir ist das Los gefallen, mißhandeln Sie mich, Sie doch immer zu lieben, hoffnungslos zu lieben. So wie es jetzt mit Ihnen ist, so wird es auch nicht bleiben, glücklich werden Sie so nimmer, was ich habe, ist ihr, Gott wird mir es wiedergeben, das Leben, daß ich verstoßen neben Ihnen für Sie lebe. Für keinen Besitz rühre ich die Hände, für keine Liebe habe ich das warme Leben, ich blühe froh und freudeschaffend neben Ihnen auf, und über mein Verzweifeln werden Sie dann lächeln, wie wir über Fabeln lächeln, die von unsrer Geschichte schmerzlich naive Kinderjahre erzählen – oh, wie wird mir es im Herzen silbern und klingend, wunderbare Worte, ferne Worte, die mir nahe sind, so wird es, Sophie, und das andre wäre, sterben, vergehen so für Sie, lösen muß sich die Liebe in der Liebe, in Lust oder Tod, und ist nicht Lust in Tod und Tod in Lust. – Sie haben mir oft mitten in der Lust ein bißchen ins Herz gestochen, Sie haben einmal gesagt, meine Briefe geben einen Roman, ach Gott, wie weh tat das! und jetzt ist diese Lust, zu schreiben, an Sie zu schreiben, all mein Leben, nehmen Sie die Klänge mit, leerer Luft singe ich nicht mehr, da wehet alle der Schmerz hin in der Unschuldigen Garten, in dem ich, Gott wolle es, wohl noch ruhen darf – auch Karl sehe ich nicht. Liebe Sophie, Gott, wie mich dies Wort entzückt, das mir eine Sünde sein soll, oh, ewig soll ich Gottes Nam' vergeblich brauchen, auch in der Hölle ist keine Liebe, mir ist's so weh um Dich, ach, verzeihe.


An Clemens

[Weimar, Ende Dezember 1801.]

Ich werde Sie nicht sehen – denn was soll es Ihnen in dieser Stimmung, und mich zerstört es; aber ich werde Sie sehen und sprechen, wenn Sie ruhiger sind, wenn ich, sicher vor Beleidigungen, frei über mein Verhältnis gegen Sie reden kann und will. Ihren Brief beantworte ich nicht, denn er redet eine unwürdige Sprache, aber ich hoffe, es wird vorübergehen. Mein Glaube an Ihre bessere Natur steht fest – in dem Glanz Ihres Auges, in Worten, die aus der Tiefe des Gemüts kommen, habe ich das Edle wahrgenommen, und es wird Sie ergreifen, Sie werden es darstellen in der eignen Erscheinung, nicht, wie Sie sagen, um mir weh zu tun, um mich zu demütigen, sondern um sich selbst genugzutun – wie es auf mich wirken wird, bleibt meinem eignen Gefühl überlassen. – Jetzt aber fodre ich von Ihnen, daß Sie ruhiger werden, und ich kann es fordern, wenn ich an die Wahrheit Ihrer sonstigen Äußerungen glauben soll, wenn ich glauben soll, daß Sie je Liebe und Wohlwollen für mich fühlten – denn waren Sie nur verliebt – so können Sie das leicht auf einen andern Gegenstand übertragen.

Leben Sie wohl! – wir sehen uns wieder.


An Clemens

[Weimar, Ende Dezember 1801.]

Noch einmal, Clemens, ich kann es nicht gutheißen, daß Sie mich in unsrer jetzigen Stimmung sehen wollen. Bestehen Sie darauf, so werde ich, was auch außerdem für Gründe dagegen sind, nachgeben, aber nicht mit Überzeugung. – Sie sind zu gereizt; Sie könnten mir leicht Dinge sagen, die ich zum zweitenmal nicht vergeben könnte. – Lassen Sie jetzt einen wohltätigen Schleier zwischen uns fallen, wir werden uns dann milder wiedersehen. – Glauben Sie aber nicht, daß ich meinen Anteil an Ihrem Leben aufgebe; Sie werden, wo Sie auch sind, unter meinen Augen handeln, und es wird eine Zeit kommen, wo Sie meine Empfindungen gegen Sie verstehen werden.

Ihre Vermutung wegen meiner Schwester ist falsch, und ich fordere es, daß Sie mir dies glauben; ich kann Unglück ertragen, aber nie Ungerechtigkeit. – Auch bitte ich Sie, minder in der Gewalt Ihrer Äußerungen zu sein und mehr Ihre Äußerungen in Ihrer Gewalt zu haben. – Bei S– ist hievon nicht die Rede, das versteht sich. – Ich hoffe, daß ich wieder ruhig an Sie denken darf; es steht in Ihrer Gewalt, sanft und gut auf mich zu wirken – warum wollen Sie mich betrüben? –


An Sophie

[Weimar, den 1. Januar 1802.]

Da ich noch ein Kind war, stand ich heute so an der Türe meiner Mutter, wie ich vor diesem Jahre stehe, ich dachte, vieles solle besser werden, und kannte das Böse nicht, ich verdammte mich um vieles, denn ich bin schon früher schuldig als unschuldig gewesen, ich glaubte, es sei die Erbsünde, und das brach mir das Herz, wenn ich hineintrat an das Bett meiner Mutter, so war ich der letzte, meine Brüder und Schwestern waren alle schon mit der Feierlichkeit handgemein worden und vertraut, man nannte mich freundlich den Langschläfer, und ich fing an zu weinen, denn ich hatte die ganze Nacht gewacht und Gott angerufen für meine Mutter, und alle meine Wünsche starben in dem stillen Unrecht, ich konnte ihr nicht sagen, wie ich sie liebe, so ist es meinem Herzen immer ergangen, das strenge taktfeste Treiben des äußerlichen Lebens hat mich immer zurückgedrängt, und ich habe mich nie mit freier Lust in den Wellen bewegt, daß mich die Mühlräder nicht zerschmettert hätten. Über all dieser Trauer erhebt sich ein Moment meines Lebens, der mich ewig mit einem wehmütigen Entzücken erfüllt, er hat mir den Himmel erschlossen und mich zu einem unendlichen Streit des Freien und meiner eignen Gefangenschaft in mir verzaubert. Dieser Moment ist aus Ihrem Leben, und Sie nennen ihn den verlorensten, soll mich das nicht ewig schmerzen, und ich verdiene diesen Schmerz nicht, der mich in einem lieblosen Leben ewig wachhalten will. Ich bin so ruhig, als ich leide und liebe, wenn Ruhe Tod ist, so leide und liebe ich auch über dem Grab, und es ist dann auch keine Ruhe im Tod. Oh, scheuen Sie sich nicht vor mir, sehen Sie mich in Majers Gegenwart, so weh es mir tut, aber lassen Sie mich mit Ihnen reden, ich bin es mir und Ihnen schuldig, und einem Wesen, dem an meinem Frieden das Leben hängt. Es wäre mir schrecklich, Sie im Schauspiel zum erstenmal wiederzusehen.

* * *

Christian Brentano An Sophie

[Jena, den 10. Dezember 1802.]

Madame!

Ein Auftrag von meinem Bruder Clemens macht mich so frei, Ihnen zu schreiben. Er ermahnt mich, ihn mit Ruhe und Bescheidenheit auszuführen. – Da mich sein Zustand rührt und die bizarre Geschichte, deren Folge er ist, ärgert, so war diese Ermahnung wohl nicht überflüssig, und ich denke mir ihre Befolgung dadurch zu sichern, daß ich mich so genau als möglich an seinen Auftrag halte. Er schreibt mir, Sie besäßen noch ein Bild unsrer Mutter von ihm, und ich soll Sie um dessen Zurückgabe, die Sie ihm schon oft versprochen hätten, bitten. Ich bitte Sie darum, Madame, senden Sie mir es gefälligst nach Jena unter der Adresse d. H. Doktor Fries.

Ferner schreibt er mir: Sage ihr, es schmerze mich, daß sie meine Lieder, die nicht die schlechtesten dieser Zeit gewesen seien und die ich ihr durch Winkelmann geschickt habe, nicht in ihren Almanach aufgenommen habe; wer einem großes Leid ewig zu erhalten wisse, müsse mit kleinen Freuden nicht geizen. So schreibt er, und ich muß nur beifügen, daß ich zu der Zeit, als er diese Lieder an Winkelmann gab, bei meinem Bruder Clemens war, und daß ich mich gar wohl entsinne, daß er sie ihm nicht aus eignem Antrieb gab, sondern auf Winkelmanns eigne dringende Bitte, der von Ihnen dazu die Erlaubnis zu haben schien und sich diesen Schein wohl aus einer moralisch sentimentalen Absicht gab, die hier ihr Urteil nicht empfangen kann, da meine Absicht einzig ist, Sie dafür zu bewahren, diesen Schritt meines Bruders zu verkennen.

Dann, schreibt er mir, erzähle ihr etwa, wie ich bin und lebe, und dies ist wohl der schwerste Teil seines Auftrags, weil ich so gut als er sein müßte, um ihn recht auszurichten. Er ist zertrümmert, aber, Madame, die Ruinen sind noch immer so groß, daß ich das Weib nicht begreifen kann, das sie bewohnt. Ich bin religiös und glaube an Wunder, anders könnte das Geständnis seiner wahren Seele keinen Glauben bei mir finden.

Wahrheit, Madame, eine grenzenlose, rücksichtslose Wahrheit macht den heiligen Grund seines Charakters; sie wird in ihm bis zu den Gefühlen des Augenblicks laut und löst sich in der innern, tiefen Güte seines Herzens zu einer schönen Reflexion. Wer sie nicht bis dahin verfolgt, wer die Harmonie seines Tuns und Seins nicht hier sucht, nicht hier findet, der verkennt sie, der verkennt ihn. Er kann die Widersprüche seiner Sprache nicht lösen und erspart sich diese Mühe gar gern und gar leicht dadurch, daß er ihn für charakterlos oder für leichtsinnig hält. Aber wer es so macht, der irrt, denn sein Charakter ist vielmehr so gewiß, so vollendet, so schön, daß er für die Welt beinah zu zart, beinah zu tief ist. – Dies ist meine Meinung von ihm, Madame, nur diese konnte ich geben; Sie haben ohne Zweifel auch eine, und es ist meine Absicht ebensowenig, Meinungen zu berichtigen als zu verfälschen.

Ich habe letzten Sommer mit ihm in Marburg verlebt, und da habe ich ihn kennen und lieben gelernt. Er schloß sich schön und stark an den vortrefflichen Savigny an, seine genialische Tätigkeit und seine göttliche Ruhe, aber lange gönnt ihm diese die Erinnerung nicht; das Vertrauen ist einmal zerbrochen und damit der Zusammenhang alles Schönen in ihm. Er schreibt mir:

»Nicht wahr, lieber Christian, Du wirst mir immer gütig sein, mich immer lieben, wenn Du auch siehst, daß ich ruhig und kalt durch die Welt irre oder allein an dem kleinen Flecke verborgen lebe, ewig den Blick gelichtet zu ihr, die mich getötet hat. Nichts, nichts kann die Erinnerung an die Mereau in mir vernichten; Gott weiß es, ich liebe treu und sterbe treu, freudelos, leidenlos. Wenn Du sie siehst, so sehe sie recht an, betrachte sie, sie ist der einzige lebendige Punkt meines Lebens, und so ist das Leben von mir getrennt.« – O du armer guter Bruder! Wärest du minder vortrefflich, minder gut, so wäre hienieden gerichtet. Der Sieg bleibt der Sünde, aber der Triumph gehört dein, den du, zu treu, der Liebe opferst. Doch er ermahnte mich zur Ruhe und Bescheidenheit, die beiden mögen mich weiter begleiten.

Was ihm die Ruhe versagt, sein Leben zu entwickeln, das treibt und verfolgt ihn auch von Ort zu Ort. Er findet sich wohl in andern wieder, denn er ist liebenswürdig, aber in sich selbst nie. Daß Resignation ihm so schwer wird, erniedrigt ihn wohl nicht, denn erzwungene Resignation ist nicht Stärke, ist Schwäche; so lebt er, Madame! –

Von einer Reise, die er in Savignys Gesellschaft am Rhein gemacht hat, ist er in Düsseldorf zurückgeblieben, wo ihn die Galerie und eine Theatertruppe fesselt, an der er sich bildet wie sie an ihm. Am Neujahrstag wird eine kleine Oper aufgeführt, die er, wie er mir schreibt, in vier Tagen gemacht hat, und die der Konzertmeister Bergmüller komponiert. Von einer Schauspielerin in dieser Truppe schreibt er mir: »Was mich besonders an das Theater fesselt, ist die Gestalt und die ganze Manier einer Schauspielerin, die der Mereau bis auf den Kopf ganz gleicht, vortrefflich singt und spielt; ich liebe in ihr noch immer jenen Engel und vermeide alle Gelegenheit, sie zu sprechen, welche sie eifrig sucht, um meine Täuschung nicht aufzuheben.«

Die Kunst und seine Freunde bereiten ihm noch manchen frohen Augenblick, unter den letzten liebt er vorzüglich Arnim und nennt ihn die lebendige Jugend und Freude; aber eben daraus, daß ihm diese objektiv geworden sind, läßt sich erkennen, daß nichts die tiefe Trauer seines Herzens aufhebt. Er klagt, daß das Unglücklichste Ihrer Wirkung auf ihn gewesen sei, daß Sie ihn zu Friedr. Schlegel hingewendet hätten, Trost zu holen, der seine sich selbst aufopfernde Uneigennützigkeit freudig gebraucht habe, sich ihm verächtlich zu machen, denn wie Sie (er schreibt es, Madame!), wie Sie Ihre Menschlichkeit durch kokette Sentimentalität divinisierten, so brutalisiere er seine Unmenschlichkeit durch kokette honeteté.

Mehr sage ich nicht; habe ich länger und anders von ihm gesprochen, als Sie es wünschten, so verzeihen Sie mir es, die Schuld ist mein, und habe ich nicht recht von ihm gesprochen, so verzeihe er mir es, den ich liebe. Ob er seine Ruhe, sein Leben je wieder erlangen wird, ob er je werden wird, was er nach dem Willen Gottes werden sollte, werden konnte, ob er alles dieses auf irgendeine Art je noch werden kann, dies zu entscheiden, Madame, bin ich zu jung und zu dumm.

Mit der vollkommensten Achtung

Ihr gehorsamer Diener            

Christian Brentano.


An Clemens

[Weimar, den 12. Dezember 1802.]

Verzeihen Sie, Clemens, daß ich Ihnen dies Bildnis solange vorenthielt, aber da ich bisher nicht bestimmt wußte, an welchem Ort Sie lebten, so wagte ich nicht, es abzuschicken.

Sie wissen, daß ich auch ein Bild von Ihnen besitze, und ich betrachte es zuweilen. Sagen Sie mir, wer ist der Mann, der es schuf und den ich verehren muß? Mit gütiger Kunst hat er nur den Genius darinnen gezeigt und den Dämon verborgen.

Ich erhielt diesen Sommer einige Lieder mit Ihrem Namen bezeichnet. Sie waren schön, ich erkannte das ausgezeichnete Talent, das jeder in Ihnen anerkennen muß – demohngeachtet bestimmten mich Gründe, die mir wichtig waren, sie nicht in jene Sammlung aufzunehmen.

Eine einzige Bitte habe ich an Sie: Seien Sie ehrlich gegen sich und mich! Sagen Sie einmal einfach, wahr und ohne Witz: weshalb beklagen Sie sich über mich? – Aber sagen Sie es mir, nicht andern, die mich darum hassen, weil sie für Ihre Poesie keinen Sinn haben.

S. M.


An Sophie

[Marburg, den 10. Jenner 1803.]

Ich habe nie mehr von Ihnen gehabt, als was Sie mir gaben, und hätte ich je den Verstand besessen, so anzunehmen, daß ich zugleich genommen hätte, so würde ich auch das Talent gehabt haben zu besitzen. – Sie nennen mich im Anfange Ihres Briefes Clemens, wenn das von Herzen geht und nicht der rosenroten Einfassung des geglätteten Papiers gehört, so segne Sie Gott dafür und lasse Sie von den Lippen irgendeines Mannes, den Sie ehren, die Worte liebe Sophie dafür hören. – Ich hätte nicht von Ihnen erwartet, daß Sie mir je wieder schreiben würden, hätte mir es möglich geschienen, daß Sie meiner gedächten, so würde ich diese Weihnachten in Weimar gewesen sein, Sie zu sehen und Sie zu überzeugen, daß ich Sie ewig werde von meiner Leidenschaft hören lassen, wenn Sie sich gleich nie werden der Gefahr aussetzen, durch eine persönliche Unterhaltung mit mir überzeugt zu werden, daß ich liebenswürdiger bin, als Sie lieben können, daß meine Liebe zu Ihnen unverpflanzt aus ihrer ersten Wurzel fortgewachsen ist, und daß unsre Trennung, obschon sie herzzerreißende Ungeschicklichkeit der unpädagogischsten liebenswürdigen Frau zur Erfinderin hat, nichts gewesen ist als die gütige, für Ihre Mitwirkung zu galante Hand meines Genius, der meine Liebe zu Ihnen Ihrer ewig tödlichen Gegenwart entziehen wollte, um sie reiner, bildender und unschuldiger glaubend zu machen. – Sie glauben nicht, liebe Sophie, wie viel Freude mir Ihr Brief gemacht, wenn er gleich keinen Inhalt hat, so ist doch ein Fragezeichen drin, und wenn es Ihnen gleich möglich ist, in das Blaue hinein zu fragen, ohne eigentlich etwas wissen zu wollen, so berechtigt es mich doch, Ihnen zu schreiben. Auf Ihre Frage selbst zu antworten oder irgend etwas zu tun, worauf Ihr Brief irgendein Anspruch machen könnte, halte ich für unnötig, denn Sie selbst wissen wie alle Kinder und Kreuziger nicht, was sie tun, und also auch nicht mehr, was Sie mir geschrieben haben. Sie sind oft zu dem Falle gezwungen worden, des Diskurses halber zu reden, des Papieres halber zu schreiben, der Dichterin wegen zu dichten, und so auch wohl des Gedächtnisses wegen sich meiner zu erinnern, – ich habe alle diese Leiden nicht, und erscheine daher so oft unbequem für andere, von denen ich etwas begehre, ohne ihnen eine solche unmittelbare Ursache zu erschaffen – das war auch das retardierende Prinzip in unserm Verhältnis – ich ging mit dem in Ihnen um, über das Sie keine Gewalt hatten, und nur ein Gemüt so gütig und liebend, als ich Gott und meiner Geschichte es danke, konnte das in Ihnen finden, da alles, was Sie in Ihrer Gewalt hatten, so niedlich parodierend das Bessere in Ihnen persiflierte, daß es platten Männern wohl leicht werden konnte, sich mit Ihnen zu erlustieren oder ein Gelüsten nach Ihnen zu haben. Ich soll Ihnen ohne Witz sagen, warum ich über Sie klage, ohne Witz? Was meinen Sie damit, doch wohl, so recht ehrlich, aufrichtig, kann ich das ohne Witz sein? Und haben Sie für dieses Unwitzige Sinn? Ich habe ohne Witz Sie kennengelernt, ohne Witz an Sie geglaubt, Sie haben ohne Witz sich mit mir eingelassen, und da Sie mit Witz die Sache fortspannen, ward das Peinliche für mich in unserm Umgange geboren, nun stand der Witz in mir, auf den jeder Geliebte resigniert, ohne meinen Willen auf, um Ihrem Witz die Waage zu halten, damit die Liebe nur mit der Liebe zu tun habe, aber meine Liebe fand keine Erwiderung, in Ihnen war keine Liebe, in jenem Zeitpunkt entstand jene Ihnen unbegreifliche Melancholie in mir, in der ich Sie oft zärtlich umfaßte und plötzlich zurückstieß, ich sah, daß ich betrogen war, ich wußte es und glaubte es nicht, aber ich litt prophetisch – einer der tiefsten Momente und mir das entscheidende Orakel meines Lebens ist ein Gespräch mit Ihnen, das erste, in dem mich zum erstenmal ein ungalanter konvulsiver Jammer in Ihrer Gegenwart, liebenswürdige Frau, auf Kosten Ihrer Kälte unterbrach, nun ging mein Witz in Wahnwitz über, und wäre ich weiter mein Herr gewesen, so war hier der Moment für die Kunst in der Liebe, von diesem Punkte aus hätte ich das Ganze unsres Umgangs zu einer ästhetischen Gewalttätigkeit über Sie bearbeiten können, ich hatte ja erfahren, daß körperlicher Schmerz Sie rührt, aber ebensosehr ich nur als Stoff eines Gedichts und nicht als Dichter je vortrefflich sein werde, ebensowenig konnte ich damals meine Erfahrung der noch empfänglichen Punkte Ihres Wesens zum Mittel machen, Sie zu überwältigen, nur die Menge, nicht die Gattung meiner Erscheinung bezwang Sie manchmal, und ich kenne eine Stunde noch deutlich, in der Sie mir sagten, ich tue Ihnen nicht die rechte Gewalt an, und darum liebten Sie mich nicht. – Von allem diesen wissen Sie nichts mehr, und das ist nicht zu verwundern, da Sie sich das ganze Jahr mit Dingen beschäftigen, zu denen Sie keinen eigentlichen Beruf haben, und das eigentlich Merkwürdige, Wesentliche in Ihnen durch die Hinsicht auf das Zufällige (Poesie) bei der dazu nötigen Anstrengung verlorengegangen ist, ja sogar im Organ. Der Wahnwitz hat nur die Mehrheit der Stimmen gegen sich, indem er sich selbst zu sehr multipliziert und sein Objekt zusammenzieht, so wird er den sogenannten Klugen zu fürchterlich, als daß sie seine Göttlichkeit anerkennen sollten. Ich aber ehre ihn unendlich, ich gäbe gern mein bisheriges vernünftiges Leben, ja meine ganze Zukunft um die Stunden, da ich mich dem Wahnsinn in Ihrer Liebe ergab. Ich war unendlich glücklich, als ich nachts weinend an Ihrer Haustüre saß, ich habe noch ein Stückchen Brot, von dem Sie einen Bissen gegessen haben, und können Sie es glauben, es ist mein Abendmahl an dem Zahltage, da ich Sie zum ersten Male sah, da ich Sie zum ersten Male küßte, und da Sie mir sagten: ich liebe Sie nicht mehr, überdenke ich immer mein Leben und meine Erlösung, und dann esse ich einige Brosamen dieses Abendmahls zu Deiner Gedächtnis. – Pfui, spotte meiner nicht, spotte meiner nicht, damit ich nicht an meiner Seligkeit verzweifle, denn nur darin weicht Dein Leiden von dem des Gekreuzigten ab, daß Du den guten Schächer wie den bösen behandelt hast, aber ich gehe doch in das Reich Deines Vaters ein, und sollte ich darum Gottes Schwiegersohn werden müssen. – Ich erschrecke, liebe Freundin, über meine Abweichung, verzeihen Sie, daß ich Ihre Ruhe störte, die mir selbst so erquickend sein soll, die all meiner Liebe das Maul stopfen soll, wie ich selbst einstens die Ehre hatte, Ihnen zu sagen. Daß Sie mit meinen schwachen poetischen Versuchen nicht ganz unzufrieden sind, soll mir eine Anspornung sein, meine Verse künftiger noch artiger vornen anzufangen und hinten zu endigen, wie auch zu reimen, welches doch immer wenigstens in der Endsilbe den Zeilen, die sich reimen, einige Ähnlichkeit gibt, und wie gern sähe ich diese geringen Versuche, Ihnen zu sagen, in Reimen zu sagen, daß ich Sie liebe, nicht im Göttinger Musenalmanach, denn meine Liebe, meine Wünsche und meine Hoffnungen singt keine Almanachsmuse. Auch finde ich dadurch, daß Sie diese Lieder nicht aufgenommen haben, in Ihnen eine bewußtlose Fortsetzung der Form unsers ehemaligen Verhältnisses – Sie werden sich erinnern, daß ich, wenn ich Sie in Gesellschaft sah, immer stumm und traurig war, Sie haben also recht getan, meine Lieder wegzulassen, die mit ihrer bescheidnen Liebe bei den Terzinen im dritten Sonette eines gewissen Rienzi doch den kürzern würden gezogen haben. Von diesem Rienzi verspreche ich mir viel für die deutsche Poesie, wenn er nur erst im Leben seine keusche Unbeholfenheit mit der eitlen Frechheit seiner Poesie verwechselt hat. Außerdem sind noch einige andre Lieder in dieser Versammlung, die mir fatal sind, z. B. die Ilm von A. Ich kann mich nicht enthalten, dieses Lied für eine Stichelei auf das Grab meiner Schwester in Osmanstädt zu halten, und alle Privatsachen sind mir unausstehlich in Reimen, hätte meine gute Schwester gewußt, daß man von ihr in Musenalmanachen singen würde, sie wäre gewiß nicht gestorben. Sie haben unstreitig diese etwas holperichte Kanzone nicht ganz verstanden, sonst würden Sie gewiß bei den resp. Erben der Verstorbenen angefragt haben, ob Sie die metamorphosierenden Zumutungen, welche man ihr in jenem Gedicht macht, nicht als unsre katholische Religion beeinträchtigend und als sehr naseweis in Hinsicht der Zucht und Bescheidenheit der Toten würde gerichtlich verboten haben. – Literarische Plagiate, o würden sie doch immer gestraft, wie es dem Bernhard in diesem Almanach erging, der in dem Gedichte Der Abschied einen Beichtspiegel des guten Winkelmanns gestohlen hat, ich habe ihn immer gebeten, seine Gedichte nicht jedermann lesen zu lassen, da haben wir's nun, da hat ihm einer etwas gestohlen, was unter die geheimsten Anstalten seines Herzens gehört, da guckt nun jeder hinter die Kulissen und sieht, wie er hinten in einem Kasten französische Freiheit und Armenanstalten eingesperrt hat, um Donnerwetter zu machen, seinen Vater selig hat er an Stricken aufgehängt und braucht ihn als Hamlets Geist, meine Schwester (de mortuis non nisi bonum) selig hat er ausgestopft und braucht sie als Ophelia, bei Gott ausgestopft, sonst würde sich er After-Hamlet in allen seinen Gedichten und reimweise ausgeschwatzten Lebensleiden ihr nicht so ungestraft zwischen die Beine legen, wenn er Ihre teure Person, liebe Mereau, zur Komödie in der Komödie braucht, aber hier wird nicht wie im Meister der Geist von einem Fremden gespielt werden, ich werde nächstens Laertes sein und seiner Poesie wie seinem Hamlet sterbend die Lebenslichter putzen. Auch vor einer Ohrfeige von meiner verstorbnen Schwester halte ich ihn nicht ganz sicher, seit ich in einer spanischen Chronik las, daß ein frecher Jude, der den einbalsamierten, geharnischt in einer Kapelle auf einen Stuhl gesetzten Leichnam des Cid am Bart zupfte, vor Schrecken in Ohnmacht fiel, da der Leichnam das Schwert gegen ihn zog, dieser Jude ward getauft, indem man Wasser über ihn goß, um ihn zu erwecken, und ist gleich drauf katholisch geworden, darauf hat nun auch Winkelmann gerechte Ansprüche, die ich ihm um so weniger streitig machen will, als die katholische Religion für die jetzigen Versemacher ein wahrer Zieh- und Milchbrunnen ist, Kindlein herausholen und sie zu taufen. – Mit diesen Gedichten zugleich konnten meine Lieder nicht leben, wie gütig also, daß sie wegblieben, o es ist mir, liebe Freundin, als hätten Sie Gesellschaft bitten müssen und hätten mir gesagt, kommen Sie nicht, lieber Brentano, und hätten mir dann eine einsame vertrauliche Stunde zur Entschädigung angewiesen. Doch über jenen Almanach fortzufahren, ich hatte gehofft, unter Ihren Auspizien würde etwas Besseres zustande kommen. Es ist für ein Weib sehr gefährlich zu dichten, noch gefährlicher einen Musenalmanach herauszugeben, unter mehreren Dissertationen, die ich auf dem Tapete habe, wäre dies eine, die Sie besonders interessieren könnte, die andern würden davon handlen, inwiefern kann ein Weib ein Kaffeehaus, ohne ihrer Ehre zu schaden, halten oder frequentieren, inwiefern sind weibliche Bediente auf Akademien zur Bildung der Studenten notwendig, inwiefern darf ein gesittetes Weib kutschieren, reiten ect. Einige Gedanken über eine Balbieres Witwe in Fritzlar, deren Töchter Raseurs geworden sind, nebst einer Abhandlung über Madame Rodde, ehemalige Göttinger Doktor Philosophiae. Apologie einer Grotesktänzerin und Gedanken über das Sittliche in den Schriften aller Weiber nebst Beweis, daß alle auf die Frau von Laroche bei dem Frieden zu Lüneville reduziert werden dürften, welche mit Pension aussterben könnte, nachfolgend ein Indemnisationsvorschlag bei den vermittelnden Mächten, für den dabei verlornen Ruhm und den Schaden, den die Poesie dabei haben würde. Ob die gleichzeitige Ankunft der Dorothea Veitin nunmehrige Schlegelin mit der medizeischen Venus in Paris allegorisch zu nehmen sei? eine Preisfrage aus der neuen poetischen Schule nebst einer Abhandlung, ob der Veitstanz überhaupt allegorisch oder prophetisch zu nehmen sei. Beide letztere Abhandlungen in Hinsicht einiger Ideen meines Freundes Achim von Arnim –. Dann käme noch eine psychologische Darstellung von Ludwig Tiecks Abneigung vor gebildeten Weibern und mehreres andere, das Ganze als Anfang zur Gynäologie bei Herrn Oehmike in Berlin gedruckt, nebst einer Wissenschaftslehre der Kochkunst von Görres in Koblenz, eine Poesie und Religion der Kochkunst nach Novalis und dann die Kunst, Kinder zu bekommen, nebst einigen Theorien der Hebammenkunst in Sonetten, Kanzonen und Balladen von Bernhard Vermehren, das Ganze mit verkleinerten Kupfern nach Gemälden der größten Meister, welche die Madonna und die Niederkunft in Bethlehem behandelten, dieses ist der Inhalt eines Taschenbuchs für unglücklich Liebende und liebende Unglückliche, das ich in der Arbeit habe und vollenden werde, sobald ich von meiner Reise in die Schweiz zu Madame Stael und Frau von Krüdener zurückkomme. – Verzeihen Sie meinen Mutwill, ich werde alle Tage kindischer, und wenn Sie über alles das nicht lächeln, so haben Sie mich nie recht gekannt, und es ist dann hohe Zeit, wieder Bekanntschaft mit mir zu machen. Sie können sich nicht vorstellen, wie mutwillig ich geworden bin, und wie komisch mir die letzte feierliche Schriftstellerepoche in Deutschland erscheint, und finden Sie es nicht selbst sehr lustig, wenn ein paar Menschen sich ins Ohr flüstern: »dort die Kleine ist die Verfasserin von Gedichten erster Band, dort, das ist die Verfasserin der Agnes von Lilien, und sehen Sie die Schmale, das ist die Schwester von Lesbos«, und der andre sperrt das Maul auf und guckt wie ein Kind nach dem wahren Fleisch und Blut in der Hostie. – Ich habe mir in der letzten Zeit immer ein großes Vergnügen daraus gemacht, auf meinen kleinen Reisen alle wunderlichen Fremde, die mir begegneten, diesen oder jenen für die inkognito reisende Frau von Wolzogen oder Fr. v. Imhof oder S. Mereau oder Tochter der Madam Gottsched oder Madam Veit auszugeben, ebenso viele Schand Pauls, Schillers, Falks ect. habe ich so kreirt und mich königlich dabei erlustiert, ich selbst gab mich meistens für das Kind der Liebe eines ungrischen Starosten und der Frau von Laroche oder des bekannten Philadelphia mit einer melancholisch gewordnen Tochter Nikolais aus. –

– – – – – – –– – – – – – – –Sechs Zeilen ausgestrichen.

Sehen Sie, liebe Freundin, wie ehrlich ich bin, alles, was da ausgestrichen ist, war mir nicht aus dem Herzen und nicht aus dem Mutwill geflossen, vielleicht nicht so ungezogen, vielleicht ungezogner als das Vorhergehende, ich weiß nichts davon, als daß es mir nicht ernst war. Mein Scherz über die Schriftstellereien der Weiber kränkt Sie gewiß nicht, ich habe nie den mindesten Autorstolz in Ihnen bemerkt, und Sie haben mir ja schon so vieles verziehen, soll ich nicht ein Sünder werden, weil Sie Verzeihen zum einzigen Verhältnisse zu mir haben werden lassen. Ich weiß nicht warum, aber es gibt Dinge, die nicht eigentlich häßlich sind, von denen ich aber immer die Blicke wenden muß, wenn ich sie bei meinen Freunden erblicke. Als Sie mich noch liebten, da erschrak ich immer, wenn ich etwas Gedrucktes von Ihnen sah, und nichts war mir quälender, als etwas von Ihnen zu lesen, nicht, als wenn es mir zu schlecht sei oder gut genug, nein, es kam mir so unnatürlich vor, daß etwas, was Sie sagten, schlecht genug und gut genug sein könne, so mit dem bleiernen Buchstaben festgenagelt zu werden, jedes Format schien mir ein Gedicht von Ihnen komisch oder pitoiabel zu machen, ja das Gedicht selbst mache sich komisch oder bedauernswert, und so auch Sie, noch immer geht es mir so, da Sie mich nicht mehr lieben. Seit ich Sie liebe, ist das Zufällige, Willenlose im Menschen, und alles, was Gott ihm gegeben hat, mir so unendlich rührend und herzergreifend geworden, daß mich oft die krumme Nase eines Menschen mehr reizt, sein Freund zu sein, als seine Wissenschaft, ich fand immer alles, was man von Ihnen sprach, so albern, und was Sie von sich wissen, so abgeschmackt, denn ich sah in Ihrem Umgange stets der Begattung Ihrer schönen Behaglichkeit mit dem nächsten Umstande zu, und wie Sie dann schmerzlos bewußtlos ein himmlisches Kind gebaren, das ich heimlich in meinem Liebesbunde taufte und in meinem Herzen ohne Ihr Wissen auferzog. Wenn ich vertraulich stumm neben Ihnen auf dem Sofa saß, so ließ ich mein Aug über Ihre Gestalt hinlaufen und suchte mir den Sehwinkel aus, der Ihnen am meisten schmeichelte und Ihre einzelnen Häßlichkeiten verbarg, denn Sie sollten ja das Schönste werden, das mir werden konnte, ich sollte Sie ewig lieben, weil Sie es nur von mir verdienten oder sogar von mir verdienten, denn keiner weiß und von keinem wird gewußt, ob er ins Leben hinein geflucht oder gesegnet ist. So sah ich Sie von dem Punkte an, von dem Sie meiner Liebe ein Ganzes und ein Eigentum der Phantasie wurden; oft lächelte ich stillschweigend Ihrer Ohnmacht, wenn Ihr Wille sich regte und Sie durch irgendeine Bewegung Ihres Leibes oder Ihrer Seele reizend werden wollten, und ergötzte mich stumm an dem Siege des unerkannten Gottes in Ihnen, aber sehr traurig ward ich, wenn Ihr Bestreben, liebreizend zu sein, heftiger ward, denn dann erkannte ich die verschiedenen schlechten Schulen, durch die Sie von Ihrer Geschichte geführt worden waren, und in solchen Momenten wünschte ich, Sie wären tot, damit der schlechte Stil zugrund gehe und das Göttliche gerettet sei. Mein Umgang mit Ihnen fiel mir grade in den Moment, in dem sich meine ganze Anlage zu Leben vereinigte und die Konstitution meines Lebens bildete, von dieser haben Sie nie etwas erfahren sollen und dürfen, denn, wenn gleich der Gott die Pflanzen wachsen läßt, so sieht er doch eben nicht zu, wie sie wachsen, und bemerkt die besonders, die ihm heilig sind, und mit denen er soll geehrt werden, das hieße, in der Allwissenheit auch die Anlage zur Allbegierlichkeit, zum Heißhunger voraussetzen. In Ihnen war zu derselben Zeit der Moment der Reformation, ich hoffte dies nur durch eine Verwandlung, Sie wollten es durch eine Umarbeitung, wer aber sollte diese unternehmen, obschon Sie viel mit einem schlechten Schriftsteller, Herrn Fr. Schlegel, umgingen, so schien er Ihnen doch auch zu schlecht, um sich ihm zur Bearbeitung zu geben, aber grade gut genug, mich bei ihm zu deponieren bis auf bessere Zeiten, aber es kamen nur schlechtere, und Herr Fr. Sch. benutzte mich so lange, als es mir gefiel und bis ich ihm schrieb und mit Urkunden belegte, daß er in meinen Augen so ziemlich ein Schuft sei. – Bei Ihrer Umarbeitung gingen Sie recht historisch zu Werk. Die Gebildeten in Ihnen hatten längst an den heiligen Bildern gezweifelt und nur aus Heuchelei und Ihre Weiber aus Hysterie gebetet, Sie liebten mich schon lange nicht mehr, schon seit Sie sich von Jugend an andern Geistern und Gespenstern ergeben hatten, aber zu bösen Künsten bedarf man auch des Heiligen, und das opferte Ihnen meine Liebe gern. Mein Umgang mit Ihnen war er nicht der ewige Jesus am Ölberge, der seine bittern Leiden voraussieht und dem der Engel so oft den Kelch der Stärkung reicht? Der Pöbel in Ihnen fing an, und können Sie sich eine gemeinere Bilderstürmerei denken als in jener Stunde, da Sie mich mit Ihren schönen Füßen traten, da Sie mich von sich stießen? – Ich rede nicht weiter hievon, denn wenn Ihnen jene Stunde nicht selbst eine der schmutzigsten Ihres Lebens ist, so verdienen Sie nicht, daß ich Sie darum mißhandle. – Hier nun liegt der ganze Dreißigjährige Krieg, den ich nicht zu schildern wage. – Sie sind nun reformiert, und nach meiner Einsicht ist zwar das äußerliche Übel Ihres Lebens gehoben, aber leider nur durch eine Art moralischer Haushaltungskunst, die Sie selbst erfunden haben, und so sind Sie denn gänzlich von sich selbst unterjocht, das Freie, Genialische, der unendliche Liebreiz in Ihnen, die Mysterie Ihres Leibes und Ihrer Seele sind reguliert, sind eine sogenannte vernünftige Religion geworden, die kein Teufel verstehen kann, weil sie an keinen Teufel glaubt. Ich finde jede ideelle Anstalt abgeschmackt. Wie die Reduktion des Pfundes auf zwölf Lot nichts Großes ist, so ist es etwas Pitoiables, seinen Charakter auf zwölf Prinzipien reduzieren zu können, so ist jene Religion nur eine Polizeianstalt, die sich auf Gebote zurückführt, so ist der Charakter, der sich auf Erfahrungen baut, das Haushaltungsbuch eines Helden, der als General quittiert und den Lorbeer an die Bratensauce legt, das Unendliche streckt sich nach der Decke. – Sie sind ruhig? – Desto schlimmer – Sind Sie ruhig? Weil Sie vollkommen sind, weil Sie die Welt verstehen, weil Sie so dichten, wie Sie eine Dichterin sich dichtend denken können – wohl nicht – Sie sind ruhig, weil Sie resigniert haben, weil Sie dem Spektakel ein Ende gemacht haben, Sie haben nicht das erste reine Bild Ihrer selbst hervorgebracht, Sie haben die Verstümmelung nur grade so gut und so schlecht ergänzt, als Sie konnten, und sind zufrieden, wenn Sie der Galerieinspektor unter den andern stehenläßt, und wenn der Schüler gerührt vor Ihnen steht und die Stümpereien ihn wie ein Ganzes rühren, so bleiben Sie kalt und nennen ihn keinen Lügner. Aber daß ich ewig vor Sie hintrete und ängstlich einigen Zügen des ersten Werks nachspüre, daß mich ein Zug am Nacken, an der Brust, an der Hüfte rühren, daß ich dem Bilde das Haupt abschlagen und das gipserne Gewand vom Schoß reißen möchte, daß mich die schlechte Restauration empört, und ich mich ewig an dem kleinen Reste des Echten begeistern kann, daß ich Sie liebe, wie Sie sind, und Sie hasse, wie Sie sich hingestellt haben, das erkennen Sie nicht, weil Sie eine schlechte Künstlerin sind, die über ein herrliches Werk hergefallen ist, über sich selbst. Sie sollten schön sein und wollten es werden, und haben sich honett gemacht, was man so nennt. Die Geschichte wäre folgende: Eine Antike wird durch einen neugriechischen Juden von einem Bauer gekauft, der Jude, um sie besser zu transportieren, schlägt sie in Stücken, er handelt mit altem Eisen und bedient sich des tauglichsten Teils, seine Nägel grade draufzuschlagen, eines andern, sein Messer drauf zu wetzen, und ärgert sich auch dann und wann, daß er nicht lieber einen gewöhnlichen Schleifstein gekauft habe, einige durchreisende Engländer sehen zufällig die schönen Trümmer, so niedrig angewendet, sie akkordieren auch wohl mit dem Juden, aber er haßt die Christen und vermutet in seinem Schleifstein etwa gar das Bild eines ihrer Götter, und so gehn die Dilettanten weiter, der Zulauf wird größer, der Jude sieht die geschonteren Reste sich zu einer Art Erwerb und Ehre werden, und er prahlt wohl selbst damit, den Kopf überläßt er auch wohl einem, und dieser ist immer ein Ganzes – die Göttin will plötzlich, durch irgendeines jungen Philologen oder Künstlers Gebete aufgeweckt, sich retten, aber du Gott, wieviel tausend Jahre liegen zwischen jenem Bilde und der neuen Göttin, Psyche von Madame Mereau restauriert? Daß wir die Gedichte der Sappho verloren haben, ist uns ja rührender als Sophies rührendstes Gedicht. – Was Madam Mereau oder Psyche, wie sie jetzt lebt, von ihrer früheren Hülle, da eine schöne Zeit war, bei dem Juden vorfindet, belegt sie mit Arrest, und er tritt ihr sie selbst ab, nach einigen gerichtlichen Vergleichen – nun wird Psyche wieder lebendig werden, – aber leider ist Psyche, seitdem sie jenen Aufenthalt in der Nacktheit des schönen Bildes verlor, schamhaft geworden, sie hat ein Erziehungsinstitut angelegt, sie macht auf die Gesellschaft honetter Leute Anspruch. Und indem sie sich mit den alten Heiligtümern wieder vermählt, entsteht die räsonable Frau, die mir solche Briefchen schreibt und die mir gute Lehren gibt, die mir etwa den Rat gibt, zu ackern, um meine Gesundheit aus der Erde kommen zu sehen, ich soll auf ihr Rezept meinen edlen Schmerz um das Schöne in die Erde säen, daß gelbe Rüben draus wachsen, die ich zur Ehre Gottes verzehren kann – Sie wissen vielleicht nicht, liebe Freundin, daß gelbe Rüben unsrer ganzen Familie zuwider sind. So lassen Sie mich Sie dann ewig fort lieben und betrauren, denn da ich Sie zuerst bei dem jüdischen Nagelschmied sah, erwachte meine Ansicht der Kunst, der Liebe und des Lebens zuerst – jene Trümmer waren meine Psyche, die restaurierte Psyche ist jener Trümmer Untergang, und besser für das Leben, wären sie von der Erde wieder verschluckt worden. Ich habe Sinn für die Kunst, und da ich jene Bruchstücke sah und die Liebe in mir erwachte, so dachte ich durch die schaffende Liebe in Gedanken das Bild wieder ganz zu machen, da ich im Marmor nicht schaffen kann, das verstand die moderne Psyche nicht, sie meinte, ich sei ein Phantast, wenn ich das verlorne Herz, den verlornen Kopf anbetete, den sie nie gesehen hatte, daß mir der neue Kopf, das neue Herz noch trauriger ist, kann sie auch nicht begreifen, doch ist es wohl leicht zu begreifen, daß mir es beschwerlicher ist, einen Kopf dahin zu denken, wo eine Maske im Wege steht, als wo der schöne Hals meinen Gedanken entgegenkommt wie der Stengel der Blumenkrone, und diese dem Lichte.Ein großer Tintenfleck. –

Verzeihen Sie diesen Fleck, es ist nur Dinte. –

Ich höre hier auf zu schreiben, gute Nacht! –

Gestern Abend habe ich im Bette wieder einmal in den Memoiren der Hipolyt Clairon gelesen, und bin mit unendlicher Erbitterung gegen diese Französin eingeschlafen, hier ließ sich wohl finden, worin wir nicht harmonieren, Sie kennen das Buch unstreitig, und ich glaube, es muß Sie sogar einigemal hingerissen haben. Alles, was Clairon von sich selbst sagt, ist niederträchtig edel, was sie von andern sagt, ist umgekehrt. – Größere Antipathie habe ich nie gegen Konfessionen gehabt, eine so entsetzliche Maschinerie von breiten Reflexionen, eine so zusammengesetzte Vorrichtung von Grundsätzen, um eine Pariser Schauspielerin zu sein, die ihrem Leibe kein Vergnügen versagt und doch immer so tugendhaft wie eine Großmutter genannt sein will. Ihren ersten Liebhaber, der gestorben ist, o den verstehe ich. Das Ende mit dem Markgraf von Ansbach ist nun gar fatal, ich gäbe wahrlich dem ein gutes Trinkgeld, der mir beweisen könne, er habe sie bei ihm im Bette ertappt, denn wie sie mit der Markgräfin spricht, welche eine Art von Sodbrennen empfindet, sollte man glauben, die Pariser Schauspielerin wäre meine Großmutter. Das Unangenehme vermehrt sich mir in dem Buche dadurch, daß das ganze Wesen dieser Frau mich immer an die falsche Richtung von Sophiens Geist erinnert, doch ihr Stoff war nicht so schlecht, und sie starb. Auch Sie, liebe Freundin, gucken, insofern Sie mit genügsamen Prinzipien versehen sind, oft aus der Clairon heraus, denn ich glaube, daß alles, was man sich von schiefer Tugend anschaffen muß, bei ihr im schönsten Geschmack finden läßt, und sie detailliert viertelellenweis. – Doch genug von der Liverei der Tugend. – Ich habe Ihnen schon gar viel geschrieben, wie ich bemerke, und bin immer noch nicht fertig, etwas freut mich an dem Briefe, nachdem ich ihn ganz durchlesen, und Sie sollen sich auch dran erfreuen, es ist meine Freimütigkeit und mein lächerlicher Wahn, als säße ich noch wie Ihr Begünstigter zu Ihren Füßen und dürfe alles sagen. – Doch Sie können mir ja nichts mehr nehmen, geben wollen Sie mir nichts mehr, und das, wozu Sie sich vielleicht entschlössen, davon würde ich ebensowenig mein Leben fristen können, als der arme S., der Liebhaber der Clairon. Also lassen Sie mich lustig fortsprechen, und ich kann mir immer noch denken, daß Ihnen ein so langer Brief, den Ihnen ein armer Schelm schreibt, so verliebt in Sie als jemals, so ohne allen Anspruch auf Antwort als ein Korrespondent der kleinen Mereau, einige Minuten Unterhaltung gewährt. – Sie sehen manchmal mein Bild an, was sehen Sie denn dran an, das Bild gleicht mir noch immer, nur bin ich etwas ernster, und mein Bart ist etwas stärker. – Sie sehen nur den Genius und nicht den Dämon drinn – quand on parle du loup, on en voit la queu, sehn Sie denn nicht den Zipfel des polnischen Mantels, das ist ja der Pferdefuß –, sonst wäre in Ihrem Briefelchen nichts aufzulösen. Ich habe mich ein Vierteljahr in Düsseldorf aufgehalten, wo mich nicht sowohl die Galerie als die Gestalt einer kleinen Frau festhielt, die Ihnen mehr ähnlich ist als irgendein Weib, aber auch bloß für das Aug, denn wenn sie ihr Innres auftut, so ist sie ein recht gemeines, verworfenes Frauenzimmerlein. Sie ist Aktrice und Sängerin, beides in einem so schönen Grade von Vollkommenheit, daß Unzelmann und Jagemann vor ihr kaum hervortreten. Da ich mich in Düsseldorf sehr mit dem Schauspiel beschäftigte, konnte ich ihr durch öffentliches Lob, das sie in hohem Grade verdiente, einigemal schmeicheln, und sie forderte mich auf, sie zu besuchen, ich war nie bei ihr und habe sie kaum gesprochen, denn ich wollte mir die schönste Täuschung nicht nehmen, Sie, liebe Mereau, täglich in einem andern Bilde vor mir zu sehen. So hatte ich Sie ein Vierteljahr lang alle Wochen fünf Abende vor meinem Augenglas, so liebte ich Sie ungestört von ihren Remarquen und Präkautionen, ich war unaussprechlich glücklich, morgens saß ich einsam auf der Galerie, wo ich vergebens ein Bild suchte, das Sie aussprach, ich fand nur Savigny in Rafaels Johannes, meine Mutter und Mienchen von Günterode in Guido Renis und Dolcis Madonnen, mit denen ging ich ohngestört um, dann saß ich auf meinem einsamen Stübchen und arbeitete eine kleine Oper aus und ein rührendes Drama, »Die Schauspielerin und der Liebende«, in dem die Schauspielerin die Rolle der Geliebten spielt, da sie aber ein gemeines Wort spricht, wird der Liebende wahnsinnig, aus Zweifel, ob sie die Geliebte oder die Schauspielerin wirklich sei, und ermordet sie, da verwandelt sie sich in die Geliebte etc. – Sie verstehen schon. Abends saß ich dann in einem Winkel des Theaters und hatte Sie vor Augen. – Ich hätte mich mit meiner Schauspielerin recht ergötzen können, wäre ich nicht einstens von Ihnen geliebt worden, o das ist fatal, daß Sie mir allen Genuß vergiftet haben, ohne mich je genießen zu lassen. So saß ich langweilt auf meiner Stube und dachte an Sie und zerriß träumend ein Billett der kleinen Aktrice, das mich einlud, Ihrer an zwei mutwilligen Brüstchen zu vergessen. Ich kann mich immer noch nicht entschließen, meine wunderliche Begierde nach Ihnen, schöne Frau, in einem allgemeinem Genusse Ihres Geschlechts zu ertränken, meine Unschuld brennt mich täglich mehr und verdirbt mir meine Studien durch ewige Gestalten, ich weiß nicht, ob ich versuchen soll wollüstige Bücher zu schreiben oder ob ich soll lüderlich werden, damit ich Ruhe vor dem finde, was mir, nachdem Sie mich nicht mehr lieben, nie zur Bildung und dem höchsten Lebenszweck werden kann, was mir nur eine schmähliche Last, ein langweiliger Kampf wird. O hätte die kleine Aktrice Ihnen nicht so geglichen, und hätte man mir nicht verraten, daß sie unfruchtbar ist! – Werden Sie denn noch immer nicht alt, ach, in einigen Monaten bin ich 25 Jahr alt und der Besitzer meines Vermögens, was wird aus mir werden? Werden Sie denn noch immer nicht alt? Sind Sie noch immer so reizend? Werden Sie ewig in Weimar sitzenbleiben, und Majer, wird er Ihnen ewig von des Gottes verlornem Hammer vordichten und von den indischen Göttern, was im Asiatischen Magazin steht, verhält sich zu einem guten Gastmahl wie wohlriechendes Wasser, womit man sich nach Tisch den Mund ausspült. Nicht wahr, liebe, schöne Frau, Sie werden Ihr Leben ganz exemplarisch beschließen – o das ist verdammt, so ist keine Hoffnung.

Kaum hörst Du auf, so fang ich an
Dich erst recht zu vermissen,
Ich habe ein Gelübd getan,
Kein andres Weib zu küssen.

Gewaltig regt es sich in mir,
Zu leben und zu lieben,
O süße Frau, war ich bei Dir,
Ich wollt' Dich nicht betrüben.

Du letzter Preis von Lieb und Lust,
Wie konnte ich Dich quälen,
Ach hätt' ich jemals was gewußt,
Wie könnt' ich dann erzählen.

Die Lippe schließt der Liebe Kuß,
Ich hab ihn nie empfangen,
Es rühmt sich nur der Überdruß,
Es seufzt nur das Verlangen.

Kaum hörst Du auf, so fang ich an,
Versäumnis muß ich büßen,
O wandelte die Lust mich an,
Ein andres Weib zu küssen.

Mein Kuß ist jung, mein Kuß ist alt,
Ich küss' mit weisen Listen,
Es würde Liebe und Gewalt
Die Untreu Dir nicht fristen.

So lebe wohl, verzeihe Dir!
Die keusche Bahn zu wandlen,
Ich lebe wohl, verzeihe mir,
Im Traum Dich zu – mißhandlen.

Adieu, liebe, liebe Sophie, vergiß mich nicht, o wüßtest Du, wie ich liebe, Dich, und so unglücklich, daß ich die seltsamsten, traurigsten Künste anwenden muß, mich zu betrügen, und zu glauben, ich hielte Dich in meinen Armen, ach, wenn ich Dich sehen könnte, küssen könnte, könnte – könnte.

Ewig Dein treuer    
armer unbegreiflicher
Clemens.          


 << zurück weiter >>