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(1887)
Als Prosaschriftsteller geht Zola von Taine aus. Sechsundzwanzig Jahre alt, sagt er von dem Verfasser der »Geschichte der englischen Litteratur«, dass »die neue Wissenschaft, die aus Physiologie und Psychologie, Geschichte und Philosophie bestehe, ihre höchste Entfaltung in ihm gefunden habe«. Taine ist seiner damaligen Auffassung zufolge »die höchste Offenbarung unseres Wissensdranges, unseres Untersuchungsstrebens und unseres Hanges, Alles zu einem einfachen Mechanismus zurückzuführen, der unter die mathematischen Wissenschaften hingehört«.
Taine war mit anderen Worten augenscheinlich der erste zeitgenössische Denker, den Zola las und verstand.
Es fand sich eine gewisse Uebereinstimmung zwischen den natürlichen Neigungen und den ursprünglichen Sympathien des älteren und des jüngeren Schriftstellers. Zola hatte wie Taine eine Vorliebe für das, was reich und breit ist, für das Kräftige und Derbe.
Taine war ein Jordaens, und Zola war ein Jordaens. Das Massive bei Taine, all' das Schwelgen in Farben und Formen, in Naturschauspielen, in Orgien und Gewaltthätigkeiten, gefiel Zola.
Sie liebten ferner alle Beide eine gewisse verständige Trockenheit und Einfachheit in dem Grundriss eines Buches und eine überströmende, bisweilen ermüdende Fülle in den Einzelnheiten, die von dem scharfen Rahmen umfasst wurden. Sie waren Systematiker und Beschreiber alle Beide.
Dass bei Taine die Umgebungen so viel und der einzelne Mensch so wenig bedeutete, machte anfangs Zola stutzen und rief seinen jugendlichen und leidenschaftlichen Protest hervor. »So lange Taine dem Dichter und dem Maler ein wenig Menschlichkeit, ein wenig freien Willen und persönlichen Schwung einräumt, kann er sie nicht ganz zu mathematischen Regeln zurückführen«. Er behauptet die Souveränität des Genies dem Haufen gegenüber. Taine's Methode scheint ihm nur brauchbar bei Massenunternehmungen oder gemeinschaftlichen Werken wie den Pyramiden Aegyptens und den grossen Völker-Epopöen; sobald man die Persönlichkeit, den Flug und Schwung des freien und unregelmässigen Menschen einführe, schnarren alle Federn, und die Maschine berste.
Doch wenige Jahre später schlägt er um, geht ganz in die mechanische Anschauung auf, eignet sich sogar Taine's Ausdrucksweise an und gebraucht mit Vorliebe dessen trotzigsten Jugendstil. Vor »Thérèse Raquin« setzt er als Motto die bekannten Worte, die seiner Zeit Taine so viele Unannehmlichkeiten verschafften: »Tugend und Laster sind Producte wie Vitriol und Zucker.« In der Vorrede seines grossen Werkes »Les Rougon-Macquart« schreibt er einen Satz, der aussieht, als wäre er nach Taine copirt: »Die Erblichkeit hat ihre Gesetze wie die Schwere.« Wie die Schwere? Vielleicht. – Nur ist zu bemerken, dass wir die Gesetze der Schwere kennen, aber von den Gesetzen der Erblichkeit so gut wie gar nichts wissen.
Er spricht endlich hier mit einer Wendung, die dasselbe Vorbild verräth, von seinen Versuchen, den Faden zu finden, der mathematisch sicher von dem einen Menschen zu dem andern führt. So vollständig ist er hier für die Lehre gewonnen, der er sich anfangs zu widersetzen strebte.
Nichts von dem, was Taine geschrieben, hatte solchen Eindruck auf ihn gemacht, wie der Aufsatz über Balzac, in welchem er seinen zweiten grossen Führer fand. Dieser Aufsatz, der damals für eine der verwegensten litterarischen Handlungen galt, stellte mit einem herausfordernden und übertreibenden Vergleich einen noch umstrittenen Romanverfasser an die Seite Shakespeare's; aber er machte Epoche, und er führte in die Litteratur einen neuen Ausdruck und einen neuen Massstab für den Werth dichterischer und historischer Werke ein: Zeugnisse darüber, wie der Mensch ist.
Taine schloss nämlich folgendermassen: »Mit Shakespeare und Saint-Simon ist Balzac das grösste Magazin von Zeugnissen, das wir über die Beschaffenheit der menschlichen Natur besitzen.« (Documents sur la nature humaine.)
Zola machte hieraus sein ungenaues Stichwort: documents humains, zu welchem Edmond de Goncourt in der Vorrede zu La Faustin mit Unrecht die Vaterschaft beansprucht.
Wiederum war es eine gewisse Aehnlichkeit in der Naturanlage, welche bewirkte, dass Balzac so mächtig in Zola einschlug. Ihn sprach das Unverdrossene an dem grossen Arbeiter und das Colossale in seiner Arbeit an. Er fand bei ihm den Sinn für das Moderne: Balzac hatte als Dichter sein eigenes Zeitalter dargestellt; und den Sinn für das Wirkliche: Balzac hatte nicht verschönern wollen; endlich den Sinn für das Umfassende: die Idee, alle die einzelnen Romane zu einem grossen Ganzen zu verbinden. Bei Taine sah Zola zum ersten Male Balzac nach Verdienst geschätzt, und diese Werthschätzung spornte natürlich seinen eigenen Muth und seine eigene Hoffnung an.
Ausserdem fand er bei Taine eine Kunsttheorie, die ihn ganz befriedigte. Es war die alte, hier nur von aller Metaphysik befreite, Lehre der deutschen Aesthetik, dass das Ziel des Kunstwerkes das ist, irgend eine wesentliche oder hervorragende Eigenschaft, irgend eine wichtige Idee klarer und vollständiger zu offenbaren, als die wirklichen Gegenstände es thun. Diese Definition kam sowohl seinem Drange nach Wirklichkeit wie seinem Drange nach Persönlichkeit in der Kunst entgegen.
Und er drückte denselben Gedanken mit seinen eigenen Worten aus, indem er sagte: Un oeuvre d'art est un coin de la création vu à travers un tempérament. Später, als er sich in das Wort Naturalismus verliebt hatte, ersetzte er den theologischen Ausdruck création mit dem gottlosen Ausdruck nature.
Diese Definition, dass das Kunstwerk ein Stück Natur ist, durch ein Temperament gesehen oder aufgefasst, ist frisch und durch ihre Einfachheit ansprechend, aber durchaus nicht so bestimmt, dass sie zur Ausschliessung all' der Kunst gebraucht werden kann, welche der Verfechter des Naturalismus verwirft oder verschmäht.
Schon das Wort »Temperament« ist unbestimmt; es heisst zunächst eine kräftige angeborene Eigenthümlichkeit. Es kann durch körperliche und sinnliche Beschaffenheit, durch Eigentümlichkeit, durch Lebensanschauung übersetzt werden – Ausdrücke, die verschiedene Möglichkeiten eröffnen. Temperament geht zunächst auf das Blut: leichtblütig, warmblütig, schwerblütig, kaltblütig. Taine sagt: Eigenschaft, Fähigkeit, Idee. Zola sagt: Blut. Er meint zunächst eine kräftige angeborene Eigenthümlichkeit.
Nun ist die Frage, inwiefern diese Eigenthümlichkeit das umformt, was zuerst »Schöpfung«, später »Natur« genannt wurde.
Denn der Nachdruck fällt auf dieses Glied. Zola nannte sich ja später »Naturalist« nach dem Gegenstande, nicht »Personalist« nach dem Temperament.
Die Frage ist also: Ist das von dem Temperament umgebildete Stück Natur noch Natur? Das heisst, Natur für die Anderen. Wann hört die umgeformte Natur auf, Natur zu sein?
Wenn ich eine nackte Mannesgestalt male, dann male ich Natur. Wenn ich (wie Böcklin) den gestraften Prometheus male, ungeheuer, hoch oben in dem Nebel über den Bergesgipfeln ausgestreckt, ist dies dann noch Natur oder nicht?
Wenn ich ein Skelett male, dann male ich Natur. Wenn ich den Tod als Skelett male, ist das noch Natur? Wenn ich (wie Max Klinger) den Tod als Skelett male, das früh Morgens mitten in einer blumenreichen Sommerlandschaft ein Bedürfniss befriedigt, ist da die Natur vom Temperament getödtet?
Man sieht, wie leicht das Natürliche ins Phantastische hinübergleitet. Und wenn man liest, wie Zola seine Ansicht vertheidigt, entdeckt man auch, dass der Stachel seines Angriffes gegen die sogenannte historische Kunst gerichtet ist, während die phantastische ausser Acht gelassen wird.
Zola hat nie die Art der Phantasiewirksamkeit präcisirt, welche er bekämpft. Aber das, worauf er's eigentlich abgesehen hat, ist das lose Erfinden der Einbildungskraft, welche über den Gegenständen und ausserhalb der dargestellten Menschen schwebt.
Es war einst der Stolz der Dichter, dass sich ihre Phantasie frei zwischen dem Nordpol und Südpol bewegen konnte; aber man braucht nicht so weit nach der Natur zu reisen. Niemand kann ja doch Anderes schildern als das, was er mit seinen eigenen Augen sah oder in seinem eigenen Gemüth erlebte.
Zola will, wie schon angedeutet, besonders gegen die historische Richtung in der Kunst opponiren.
Er räsonnirt folgendermassen: All' die alten Principien, das romantische Princip so gut wie das classische, wurden auf Arrangement der Natur, auf der systematischen Amputation der Wahrheit gegründet. Man ging davon aus, dass die Wahrheit an sich unwürdig sei, und dass Poesie nur dann entstehe, wenn man die Natur läutere und beschneide, vergrössere und verschönere. Die verschiedenen Schulen kämpften mit einander darüber, welche Verkleidung man der Wahrheit anlegen solle. Die Classiker hielten fest an dem antiken Costüm; die Romantiker machten eine poetische Revolution um sie in Rittertracht und Harnisch zu stecken. Jetzt komme der Naturalismus und erkläre, dass die Wahrheit nackt gehen könne und keinerlei Draperie bedürfe.
Die Frage ist nur, ob nicht das, was jetzt das Temperament genannt wird, ganz wie das, was vorher der Geschmack, später die Phantasie genannt wurde, läutert und beschneidet, vergrössert und verschönert? Ob nicht das naturalistische Temperament gezwungen wird, eine Draperie über die Wahrheit zu werfen, gerade so wie der classische Geschmack und die romantische Phantasie es gethan haben.
Die Antwort muss lauten: dass auch nicht der Naturalismus jener Umbildung der Wirklichkeit entgehen kann, die sich aus dem Wesen der Kunst ergiebt. Ihr Vorzug vor der historischen Kunst kann nicht auf diesem Punkte gesucht werden, sondern darin, dass diese Richtung reichliche Gelegenheit hat, Modelle zu benutzen, während der historische Dichter nur zu oft die Wahl hat, in der alten Tracht einen Zeitgenossen oder eine Puppe darzustellen. Spielhagen hat treffend den modernen Künstler mit Odysseus in der Unterwelt verglichen. Als Odysseus den Schatten begegnet, muss er ihnen erst Blut zu trinken geben, bevor sie ihm Rede stehen können. Das Modell ist das Blut der Wirklichkeit, ohne welches das Geschöpf der Phantasie leblos bleibt.
Es giebt ein Modell, welches der Romandichter immer bei der Hand hat, das ist er selbst. Deshalb fängt er fast immer bewusst oder unbewusst mit Werken an, in denen er selbst dem Helden Modell gestanden hat.
Zola ist keine Ausnahme. In »La Confession de Claude« ist Hauptperson, Modell und Dichter eins. Dass das eigene Gemüth des Verfassers sich hier in der Wiedergabe mit Macht geltend machen muss, ist klar. Das schildernde und das geschilderte »Ich« haben hier allzu viele Berührungspunkte, um so mehr, da die Darstellung bis zum Aeussersten empfindsam ist. »Brüder«, ruft Claude den Lesern zu, »mein armes Wesen wird unaufhörlich von dem Fieber der Sehnsucht und des Entbehrens geschüttelt«.
Der stete Gegensatz hier ist der zwischen dem Heim der Kindheit und der Umgebung des Jünglings. Dort die Provence mit ihrer Sonne, hier Paris mit seinem Koth und Claude's Kammer mit ihrem Elend. Es offenbart sich bei dem Verfasser eine Art Schrecken über das Hässliche und Widerwärtige in dem wirklichen Leben, welcher doch so beschaffen ist, dass der Gegenstand, der den Menschen in ihm abstösst, den Künstler in ihm magisch anzieht. »Dieses ist«, ruft er den Genossen seiner frühesten Jugend zu, »eine Welt, die ihr nicht kennt. Das Studium derselben macht schwindlig ... Ich möchte diese Herzen und Seelen durchforschen, vielleicht würde ich nur Schlamm auf dem Grunde finden, aber ich möchte diesen Schlamm untersuchen«.
Es wird hier unter dem Schluchzen der Seele eine Art pessimistischer Dogmatik verkündet. Die französischen Dichter, die, wie Musset und Murger, ein Bild von den Geliebten ihrer Jugend gegeben haben, als ehrbar, unschuldig leichtsinnig oder anmuthig leichtfertig, werden einer ausschmückenden Verlogenheit beschuldigt:
»Man nennt sie die Dichter der Jugend, diese Lügner, die gelitten und geweint, und die dann jenen Weibern, die ihre Jugend zerstörten, Flügel an die Schultern gegeben haben. Ihre Geliebten waren in Wirklichkeit infam; ihre Liebe führte all' das Grausige mit sich, das eine Liebe aus der Gosse erzeugt. Sie selbst wurden betrogen, verwundet, in den Schlamm gezogen, hernach haben sie dann ihre ungesunde Liebe beweint und eine Welt der Lüge aus jungen Sünderinnen geschaffen, die in ihrer Sorglosigkeit und Lebenslust reich an Liebreiz sind. Sie lügen, sie lügen, sie lügen.«
Zola war also im Voraus entschlossen, die Kehrseite zu schildern, der Dichter der Kehrseite zu werden.
Dieses Buch, das seine eigenen Erlebnisse behandelt, verräth denn auch mit aller wünschenswerthen Deutlichkeit eine der Richtungen, in welche er seine Gegenstände umbilden wird, indem es seinen frühentstandenen pessimistischen Hang offenbart und begründet.
Und wenn bei ihm, wie bei anderen Romandichtern, der Blick sich nach und nach immer mehr erweitert, so dass er nicht mehr nur sich selbst und sein Eigenes schildert, sondern eine Fülle von Gestalten, die von ihm selbst weit verschieden sind, ausserdem Gebäude und Gegenden, Magazine und Fabriken, Gärten und Gruben, Land und See, die Welt der Thiere und der Pflanzen, »die ganze Arche Noäh« malt, dann müssen wir trotzdem in all' Diesem immer ihm selbst begegnen.
Indem er sich in seinen Gegenstand vertieft, theilt er ihm unwillkürlich und nothwendig einen grossen Theil seines eigenen Wesens mit.
Welches ist nun nach Zola's eigener Auffassung sein Temperament beim Beginn seiner Laufbahn?
Er schreibt über »Germinie Lacerteux« von den Brüdern Goncourt: »Ich muss bekennen, dass mein ganzes Wesen, meine Sinne und mein Verstand mich zwingen, dies zum Aeussersten gehende und fieberhafte Werk zu bewundern. Ich finde darin alle die Fehler und alle die Vorzüge, die mich in Leidenschaft versetzen: eine unbezwingbare Energie, eine souveräne Verachtung vor dem Urtheil der Dummen und der Furchtsamen, eine grosse und stolze Kühnheit, eine ausserordentliche Kraft in der Farbe und im Gedanken, endlich eine künstlerische Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit, die in diesen Tagen der Pfuscherei eine grosse Seltenheit ist.«
Er giebt zu, dass sein Geschmack vielleicht verdorben ist, aber ihm schmecken stark gewürzte litterarische Gerichte, die Decadence-Werke, in welchen eine krankhafte Empfindlichkeit die kräftige Gesundheit der classischen Zeitalter ersetzt hat.
Er hat sich gekannt, aber nicht ganz. Die Energie der Brüder Goncourt war von der scharfen Art, nicht von der breiten. Sie lässt sich nicht quantitativ, wie die seine, messen. Und er stand von Anfang an der Classicität und der Romantik viel näher als sie.
Sehen wir das Temperament und die Wirklichkeit bei ihm einander gegenüber. Ich nehme einige Beispiele aus seinen Romanen der siebziger Jahre.
Zuerst aus dem ersten Roman der grossen Romanfolge: »La fortune des Rougon«.
Es ist in den Tagen des Staatsstreiches, December 1851. Zwei verliebte Kinder, ein siebzehnjähriger Knabe und ein dreizehnjähriges Mädchen wandeln dort unten in der Provence des Nachts umher und hören aus der Ferne den Laut des Marsches und Gesanges der kommenden Insurgenten.
»Silvère lauschte, konnte aber durch den Sturm die Stimmen nicht auffassen, deren Schall durch die Höhen, die zwischen ihnen lagen, gedämpft wurde. Aber plötzlich zeigte sich eine schwarze Menge an der Biegung des Weges, und die Marseillaise, gesungen mit rachedürstiger Wuth, schwang sich gen Himmel empor, schreckenerregend«.
»Die Schar zog den Hügel hinab im stolzen, unwiderstehlichen Schritt«.
»Man konnte sich keinen grossartigeren Anblick denken, als das Hervorbrechen dieser paar Tausend Menschen in die Todtenstille der Nacht. Der Weg war zum Strom geworden, der lebendige Wellen rollte, die nie enden zu wollen schienen, und unaufhörlich zeigten sich bei jeder Wendung des Weges neue schwarze Massen, deren Gesang die starken Stimmen dieses Menschenstromes mehr und mehr anschwellen liess ... Die Marseillaise erfüllte den Himmelsraum, als wäre sie von Riesenmunden hineingeblasen in ungeheuere Trompeten, die mit den trockenen Tönen des Messings sie zitternd in alle Richtungen des Thales hinausschleuderten. Und die schlummernde Landschaft erwachte mit einem Schlage. Sie erzitterte von dem einen Ende bis zum anderen wie ein Trommelfell, wenn die Trommel gerührt wird; sie vernahm den Widerhall bis in ihr Innerstes und wiederholte mit mannigfachem Echo die brennend leidenschaftlichen Töne des Nationalgesanges«.
»Und dann war es nicht nur die Menschenschar, welche sang, die Landschaft rief nach Rache und Freiheit während dieser Bewegung ihrer Luft und ihres Erdbodens«.
Die Landschaft hier ist also keine gewöhnliche nächtliche Landschaft, sie lebt wie ein menschliches Wesen; Felsen, Wiesen und Felder, jedes kleinste Gebüsch nimmt an dem ungeheueren Chorgesang Theil. Er ist in der Landschaft, Er, der sie malt. Das Temperament dringt in die Natur ein und bildet sie um. Sie wird von Zola umgestaltet, damit er den Eindruck erhöhe von der Entschlossenheit und Kraft der marschirenden Truppe.
Der muthige Knabe beschreibt die Schar, Gruppe für Gruppe, je nachdem sie an den Kindern vorbeiziehen. Er nennt jede Abtheilung und charakterisirt sie mit hoher Begeisterung. »Das sind die Holzhauer aus den Seillewäldern, die werden Sapeure sein ... Das sind die Männer von La Palud ... die Leute dort haben nur Sensen, aber die werden die Soldaten niedermachen, wie man Gras mäht ... Saint-Eutrope! Mazet! Les Gardes! Marsanne! Der ganze nördliche Abhang der Seille! Das ganze Land ist mit uns!« Manchmal kommt es dem jungen Mädchen vor, »als ob die Leute gar nicht mehr marschiren, sondern die Marseillaise, dieser barsche Gesang, mit seinem schrecklichen Wohlklang sie mit sich fortrisse«.
Diese Stelle ist fast homerisch. Sie erinnert ein wenig an das Schiffsverzeichniss aus dem zweiten Gesange der Iliade. Zola hat diese Aehnlichkeit zu erreichen versucht; er sagt es gerade heraus, an einer Stelle, weiterhin, wo er den Faden wieder aufnimmt, nachdem er die schmutzigen, politischen Intriguen der Bewohner von Plassans geschildert hat:
»Die Schar der Empörer begann von Neuem ihren heldenmüthigen Marsch durch die kalte und klare Landschaft. Es war wie ein breiter Strom von Begeisterung. Jener Hauch des Heldengedichts, der Silvère und Miette mit sich fortriss, kreuzte mit seiner heiligen Grossmuth die schändlichen Comödien der Familien Macquart und Rougon.«
Jedoch Arbeiter aus der Provence, in dem Lichte der Helden aus der Iliade gesehen, das ist der Antheil des Temperaments an der Sache, nicht der eigene Antheil der Natur. Das ist nicht nur Romantik, wie das frühere Beseelen der Landschaft. Es ist der klassische Stil.
Und dieses ist nicht die einzige Parallele mit der Dichtung des alten Griechenlands in »La fortune des Rougon«. Zola wollte, um einen Gegensatz zu haben zum blutigen Verbrechen des Staatsstreiches, eine kindliche Liebesidylle schildern. Auf Kindheitserinnerungen gestützt, wollte er ein modernes Seitenstück zu der altgriechischen Novelle von Daphnis und Chloe ausführen. Man fühlt durch seine Erzählung hindurch das Vorbild, und er gesteht im Grunde selbst ein, dass er es gehabt hat. Beim Beginn seiner Darstellung sagt er, dass die jungen Menschen »eine jener Idyllen durchlebt hatten, die unter den Familien der arbeitenden Klasse entstehen, in denen man noch die primitiven Lebensverhältnisse der alten griechischen Novellen findet«. Und am Schlusse sagt er: »Ihre Idylle bewahrte ihre seltene Anmuth, die an eine altgriechische Novelle erinnerte.«
Aber so viel ist klar: zwei arme Kinder der Provence in unsern Tagen im Stile altgriechischer Hirtenerzählungen dargestellt, das ist nicht eben Abschreiben der Natur; die persönliche Eigenthümlichkeit, wie sie noch dazu von der Cultur bereichert und entwickelt worden (also nicht das Temperament allein), ist hier im höchsten Masse wirksam gewesen.
Der Reiz und das Pikante in jener alten hellenischen Erzählung ist bekanntlich, dass in den zwei Kindern langsam, ganz langsam die Liebe erwacht. Die Sehnsucht keimt, wächst und versteht sich nicht selbst. Chloe badet in den Quellen vor den Augen von Daphnis; beide schlafen nackt unter demselben Ziegenfell, ohne eine unwiderstehliche Anziehung an einander zu empfinden.
Zola gab der Idylle neue Anmuth, neuen Reiz und tragischen Ausgang; aber wir sehen seinen Silvère und seine Miette zusammen herumstreifen wie Daphnis und Chloe. Sie schwimmt des Nachts vor seinen Augen, und derselbe Mantel bedeckt sie alle Beide, wenn sie einschlafen.
Doch Zola hat sich nicht damit begnügt, einer classischen Inspiration nachzugehen, um eine moderne Wirklichkeit darzustellen. Er bedurfte des Symbols, des romantischen Symbols, ohne sich doch von der Wirklichkeit entfernen zu wollen. Der grosse Romantiker Delacroix hat das bekannte Bild »Die Freiheit auf den Barrikaden« gemalt: das junge Mädchen mit der rothen Haube und dem Säbel in der Hand, welches die Erinnerung an eine Göttin der Freiheit hervorruft, und an ihrer Seite den Knaben aus dem Volk mit dem festen drohenden Blick und dem Gewehr in der Hand.
Das scheint Zola vorgeschwebt zu haben. Er will auf irgend eine Weise Miette in dieser Richtung hin heben, sie umbilden. Sie hat sich erboten, die Fahne der Empörer zu tragen. Diese halten sie für zu schwach dazu. Sie zeigt ihnen dann ihre vollen weissen Arme. Und er schreibt:
»Wartet, sagte sie. Sie riss schnell ihren Mantel ab und zog ihn wieder an, nachdem sie das rothe Futter nach aussen gekehrt hatte. Da stand sie nun in der weissen Helle des Mondenscheins, gekleidet in einen weiten Purpurmantel (er ist aus einfachem Kattun), der ihr ganz bis auf die Füsse hinabfiel. Die Haube, die leicht auf ihrem Kopfe sass, schmückte sie wie eine phrygische Mütze (die Kapuze hat einer solchen vorher nicht geglichen; jetzt gleicht sie ihr), sie ergriff die Fahne, drückte deren Stange gegen ihre Brust und hielt sich gerade und schlank zwischen den Falten dieses blutigen Banners ... In diesem Augenblicke war sie die jungfräuliche Freiheit selbst.«
Punkt für Punkt, Zug um Zug fühlt man hier, wie das Temperament die Naturbeobachtung umformt, das Modell umdichtet. Zola will die Wirkung erreichen, dass dieses Kind, das mit der Kugel in der rechten Brust zusammensinkt, die vom Staatsstreich ermordete Freiheit selber ist.
Von Anfang an ist deshalb Lyrik in der Weise, wie er sie und den Jungen schildert. Wir sehen sie stets in der Verklärung, worin ihre Personen vor einander stehen.
Zuerst schauen Beide, jedes an seiner Seite des Brunnens, nichts mehr von einander, als das Spiegelbild im Wasser; selbst die Stimmen werden umgeformt, verschleiert durch das Echo im Brunnen. Und wenn sie sich später begegnen, erhebt sich die Sprache der Erzählung zu einer Schwärmerei, die an Victor Hugo erinnert: »Das Lächeln des Mädchens warf Licht über den Raum zwischen ihnen.« »Es war nun ein Gesang in ihrem Herzen, der das Geschrei ihrer Feinde übertäubte.« Der graue Nebel, der ihre Schläfen liebkoste, wird bezeichnet als »der duftende Schleier, der noch wie gesättigt war von der Wärme und dem Wohlgeruch der üppigen Schultern der Nacht«. Der Stil bereitet uns darauf vor, in ihr eine Verkörperung von Unschuld, Grossmuth und rührender Jugend zu sehen, bis sie sich in der Todesstunde zum Sinnbild entfaltet.
So benimmt sich Zola, wenn er den Eindruck von etwas Erhabenem und Reinem hervorbringen will.
Auf verwandte Weise geht er zu Werk, wenn es ihm darauf ankommt, den Eindruck naiven Wohllebens hervorzubringen; eine jener künstlerischen Wirkungen, in denen Jordaens seine Stärke hatte.
Er schildert im »L'Assommoir« einen Mittagsschmaus bei einer Arbeiterfamilie, eine Mahlzeit, deren einziges Gericht eine Gans ist. Gervaise vermag nicht, mehr Gerichte zu geben; aber die Gans ist ein Luxusgericht; sich den Genuss derselben gestatten zu können, ist eine Ueppigkeit, deren man lange gedenkt.
Zola muss denn vor Allem die Gans gross machen. So steht sie also da: »ungeheuer, goldgelb, triefend von Saft.« An zwanzig Personen essen davon. Sie »sättigen ihre Gier« an der Gans. Alle essen, als hätten sie acht Tage gefastet, und Alle überladen sich den Magen an der einen Gans, so dass sie fast krank davon werden und sich ihre Kleider aufknöpfen müssen.
Aber nicht genug damit, die Gans erfüllt die Strasse, ja den ganzen Stadttheil.
»Unterdessen sah durch die offene Thür das ganze Quartier zu und nahm Theil an dem Schmaus – der Geruch der Gans erfreute und erquickte die Strasse. Die Krämerlehrlinge gegenüber, auf dem Trottoir, bildeten sich ein, dass sie von dem Thiere mitässen; die Fruchthändlerin und die Kaldaunenverkäuferin traten jeden Augenblick vor ihre Ladenthüren, um sich am Geruch zu laben und sich um den Mund zu lecken: So viel war gewiss, die ganze Strasse war nahe daran, vor Magenüberladung zu platzen ... Die Gefrässigkeit verpflanzte und verbreitete sich, bis das Quartier Goutte-d'or zuletzt ganz und gar nach Essen roch und sich den Bauch hielt in einem ganz verteufelten Bacchanal«.
Man kann nicht leugnen, das Künstlertemperament hat es hier verstanden, Wirkung aus der einen Gans zu ziehen. Man hätte nicht anders sprechen können, wäre ein ganzer Elephant angerichtet worden.
Zola hat eine Vorliebe für die symbolische Behandlung kleiner wirklicher Züge.
Es ist kein Zufall, dass die Wohnstube der Familie Rougon in Plassans eine sonderbare gelbe Farbe angenommen hat. Möbel, Tapeten, Gardinen, selbst die Marmorplatten auf dem Kamin spielen ins Gelbe. Dieses Gelb ist die Farbe des Neides.
Es hat fernerhin eine schlechte Vorbedeutung für Coupeau's und Gervaise's Verheirathung, dass sie in einer Wolke von Kehricht getraut werden, während die Kirche gereinigt wird. Sie sind zu spät gekommen, und während der Küster fegt, giebt ihnen der verdriessliche Priester einen kurzen, nachlässigen Segen, als wären sie in der Zwischenzeit zwischen zwei richtigen Messen gekommen, um sich mit einander zu verheirathen, »während der Herrgott gerade ausgegangen war«.
In dem Hause, welches Gervaise bewohnt, befindet sich eine Färberei, und das Wasser, das aus der Färberei herausströmt, spiegelt unaufhörlich die Stimmung der Heldin ab. Als sie hineinzieht mit guten Hoffnungen für die Zukunft, ist das Wasser hellgrün (d'un vert pomme très tendre); sie schreitet lächelnd über den Rinnstein und sieht in der Farbe des Wassers eine glückliche Vorbedeutung. So lange es ihr gut geht, bekommen die drei Ellen Rinnstein vor ihrer Wohnung eine ungeheure Bedeutung für sie, erweitern sich zu einem grossen Fluss, den sie gerne recht klar haben möchte, mitten in all dem schmutzigen Kehricht der Strasse; ein sonderbarer und lebendiger Fluss, den die Färberei im Hause nach der Farbe ihrer zartesten Launen färbt. Als sie zuletzt zu Grunde gegangen ist, sich aus Hunger preisbietet, und eines Abends nach Hause kehrt, nachdem sie zu ihrer tiefen Beschämung Goujet, dem Manne, den sie geliebt hat, begegnet ist, da ist das Wasser in einen dampfenden Sumpf verwandelt, der sich einen schmutzigen Ablauf in die reinen Umgebungen eröffnet. Und Zola fügt zur noch grösseren Deutlichkeit hinzu: »Dies Wasser hatte die Farbe ihrer Gedanken. Sie waren verronnen, die schönen Ströme von himmelblau und hellroth!«
Bisweilen haben diese symbolischen Züge bei Zola einen ausserordentlichen Reiz. Als in »L'oeuvre« der Maler Claude zum ersten Male ausstellt, und zwar in der Ausstellung der von der Jury verworfenen Bilder, wird sein Atelier am frühen Morgen des ersten Ausstellungstages so beschrieben: »Goldparzellen flogen umher, denn da er nicht Geld genug hatte, sich einen vergoldeten Rahmen zu kaufen, hatte er von einem Tischler vier Bretter zusammenschlagen lassen und diese selbst vergoldet.«
Wir erleben seine Niederlage, die durch die Rohheit und den Unverstand des Publikums herbeigeführt wird. Nur Eine glaubt im Ernst an ihn, seine Freundin Christine. Er findet sie im Atelier wartend, da er, ganz gebrochen, spät Abends nach Hause zurückkehrt. Sie hat ihm nie angehört, aber gerührt über sein Unglück, im weiblichen Drang zu trösten und aufzurichten, ergibt sie sich ihm jetzt in einem Sturm von Leidenschaft.
Doch Zola hat nicht jene Goldparzellen vergessen, deren er zwei Bogen vorher erwähnte. Ihre Bestimmung war es nicht allein, einen Rahmen zu vergolden. Nun kommen sie zur Anwendung wie eine Art Brautfackel. Im Dunkel der Nacht funkeln sie allein mit einem Rest vom Tageslicht, gleich einem schimmernden Sternengewimmel.
Bisweilen verwandeln sich diese kleinen halbsymbolischen Züge in eine durchgeführte Symbolik. Sie kann unglaubwürdig und deshalb störend wirken, wie in »Une page d'amour«, wo die Gestalt des alten Weibes, Mutter Fétu, die nur da ist, um den Untergang anzudeuten und vorher zu verkünden, ganz die Rolle spielt, wie in alten romantischen Büchern die Hexen.
Aber die Symbolik kann auch ihre Grösse und ihre Kraft haben. So z. B. in »Nana«, einem Roman, der überhaupt nur in geringem Grad auf Beobachtung und Erfahrung beruht. Anfangs ist diese Nana ein zufälliges Individuum, ein loses unzüchtiges Wesen, in einem Hinterhause geboren. Doch wie sich der Roman entfaltet, steigt sie, wird grösser und grösser, bis sie zuletzt der Geist der Zügellosigkeit wird, der über dem Paris des Kaiserthums schwebt.
Bei den grossen Wettrennen in Longchamps hat ein reicher Adliger seinem Pferde ihren Namen gegeben. Es besiegt im Wettkampfe ein englisches Pferd. Dadurch wird der Name des siegenden Pferdes etwas Französisches, Nationales, und deshalb kann es dazu kommen, dass der Name »Nana« unter stets wachsendem donnernden Jubelruf über die Menge dahinrollt.
Und es wirkt symbolisch, wenn mit wilder Begeisterung gerufen wird: »Es lebe Nana, es lebe Frankreich!« Der Ruf erhebt sich in einem Nimbus von Sonnenglanz, bis er mit seinem Triumphklang über hunderttausend Menschen hinfährt und die kaiserliche Tribüne erreicht, wo die Kaiserin selbst in die Hände klatscht, bis die ganze Ebene den Widerhall des gefeierten Namens an Nana zurückwirft:
»Es war ihr Volk, das ihr huldigte, während sie, aufrecht stehend im Sonnenlicht, Alles beherrschte mit ihrem Sternenhaar und ihrem weissblauen Kleid, das die Farbe des Himmels hatte.« Sie ist hier etwas mehr als ein Mensch: ein gefallener Engel, ein schädlicher Genius.
Es ist schliesslich ein ebenso unzweifelhaftes Symbol, wenn zuletzt, während das dumme Geschrei: »Nach Berlin! nach Berlin!« ununterbrochen aus der Strasse emporsteigt, Nana, zu einem Klumpen eiternder Geschwüre verwandelt, wie das Kaiserreich, dessen Glanz sie war, in den letzten Zuckungen daliegt.
Und wie Nana durch ein französisches Pferd als Zwischenglied zum Kaiserthum verwandelt wird, so wird in »L'oeuvre« das badende Weib auf Claude's Gemälde die Kunst, weil die Gestalt in den Gedanken Christinen's die künstlerische Vision symbolisirt – die verzehrende Vision, der ihr Leben als Frau hingegeben wird um dieser Unwirklichkeit als Nahrung zu dienen. Zola hat in Claude's Hang zur Symbolik wahrscheinlich auf seinen eigenen Mangel an Fähigkeit hindeuten wollen, die Umgebung mit dem Naturalismus wiederzugeben, den er stets als Theoretiker predigt und in seiner Praxis so häufig überschreitet.
Keiner von Zola's Romanen ist jedoch von diesem Hange, die Hauptgestalten zu grossen Symbolen zu machen, so durchdrungen, wie »La faute de l'abbé Mouret«.
Ein Landsitz in der Nähe seiner Geburtsstadt Aix scheint ihm den ersten Ansporn zu diesem Roman gegeben zu haben.
Seine Phantasie, die immer die Neigung hatte, die breite Lebensfülle auszumalen, wurde durch den folgenden Gegenstand in Bewegung gesetzt: einen Garten, in welchem hundert Jahre hindurch Alles aufgewachsen war, wie es wollte. Der Garten gab ihm den Eindruck eines unberührten Urwaldes unter einem Regen von Sonnenstrahlen.
Eines Tages hat er durch einen Zaun undeutlich einen ungeheuren Baum erblickt, voll von einem grossen Vogelschwarm; er hat einen saftigen Rasen geschaut und den Geruch von einer solchen Fülle wild umher wuchernder Pflanzen eingeathmet, dass es ihm war, als stände der ganze Gesichtskreis um ihn her in Einem würzigen Blumenduft.
Und die Vorstellung von dem Garten des Paradieses hat sich in seinem Gemüth erhoben. Dieser Garten mit seiner geschützten Ueppigkeit ist ihm als eine herrliche Umgebung für junge Liebe in ihrem Entstehen und Wachsthum vorgekommen. Als er in dem sehr heissen Sommer des Jahres 1874 sich dieses Eindrucks von seinem achtzehnten Jahre erinnerte, fühlte er unter dem Verfolgen der Familieneigenschaften und Familienschicksale der Geschlechter Rougon-Macquart plötzlich Lust, sich selbst eine Schilderung vom Naturleben und von der erwachenden Herrlichkeit der Liebe zu gönnen, die gar wenig mit dem Verderben und dem Verfall des zweiten Kaiserreiches zu schaffen hatte. Und er schrieb seine Variante der Paradieslegende, wie er schon seine Variante des althellenischen Schäferromans geschrieben hatte.
Für manchen alten Dichter und Maler ist der Garten des Paradieses vor Allem das Heim des Friedens gewesen, wo der Löwe an der Seite des Lammes graste.
Für Zola mit seinem Temperament war er die Heimstätte der freien Fruchtbarkeit, das Eden der unendlichen Naturfülle. Sein Ideal war, wie dasjenige des Romandichters Sandoz im »L'oeuvre«, das grosse Ganze in dem vollen Strom des allgemeinen Lebens zu schildern (en pleine coulée de la vie universelle). Dieser Sandoz, in welchem Zola sich selbst geschildert hat, liebt vor Allem die mütterliche Erde. »O, du gute Erde«, ruft er aus, auf dem Rücken liegend, »du, die du unser Aller Mutter bist, des Lebens einzige Quelle! Du, die ewige, unsterbliche, deren Blutumlauf deine Durchrieselung von der Weltseele, ist, deren Saft sogar in den Steinen da ist und die Bäume zu unsern grossen festwurzelnden Brüdern macht! In dich will ich mich verlieren«.
Um die Natur in ihrer heidnischen Ueppigkeit und ihrem Erzeugungstrieb in sein modernes Werk einführen zu können, bedurfte er eines grossen Gegensatzes. Aber zu der Natur als Macht bot sich kein anderer Kontrast dar, als das Christenthum als naturfeindliche Macht aufgefasst. Zum Leben der Natur im Wachsen und Schwellen, in Begierde und Paarung gab es keinen so scharfen Contrast, als das Leben in strenger und unfruchtbarer Jungfräulichkeit, welches durch das katholische Klostergelübde erschaffen wird. Das heidnische Alterthum hatte das Symbol der irdischen Fruchtbarkeit geformt, die grosse Mutter Cybele, die in Asien durch Orgien angebetet wurde. Das christliche Mittelalter hatte dagegen das Symbol der himmlischen Keuschheit gestellt, die heilige Jungfrau Maria, die in Europa mit Askese verehrt ward.
Zola hatte also seinen Helden, der von Anfang an ein kränklicher Madonna-Anbeter ist, welcher das fruchtbare Naturleben hasst und nur wünscht, als Einsiedler in einer Wüste leben zu können, wo nichts Lebendiges, keine Pflanze, kein rinnendes Wasser seine frommen Betrachtungen störe.
Gegen Maria und den Mariacultus stellt Zola dann die Cybele und den Cybelecultus als symmetrischen Gegensatz.
Serge Mouret hat eine Schwester, deren Geist im Wachsthum stehen geblieben ist, deren Körper sich aber um so kräftiger entwickelt hat. Sie hat schwere Arme, eine mächtige Brust. Sie lebt und athmet nur, umgeben von dem reichen animalischen Leben im Hinterhof, zwischen Kaninchen, Enten und Hühnern, in der heissen Luft der Befruchtung und des Brütens.
Aus ihr macht er langsam eine Cybele. Die Haushälterin des Priesters sagt von ihr: »Finden Sie nicht, dass sie der grossen Dame aus Stein in der Kornhalle zu Plassans ähnlich sieht!« Und Zola erklärt: »Sie meinte eine Cybele, die auf einer Korngarbe ausgestreckt liegt, ein Werk von einem Schüler Puget's.« Und etwas weiterhin sagt er über sie: »Sie war ein Geschöpf für sich, weder Fräulein noch Bauernmädchen, eine Tochter der Erde, mit einer Schulterbreite und einer engen Stirn wie eine junge Göttin ... Sie hatte die runde Taille, die sich frei herumdreht, und die starken Glieder, die gut am Körper sitzen, wie man sie an den antiken Bildwerken findet. Man hätte glauben können, sie sei aus der Erde des Hinterhofes emporgeschossen, und dass sie deren Saft durch ihre starken Beine einsöge, die weiss und fest wie junge Bäume waren ... Sie fand ihre stete Befriedigung in dem Gewimmel um sie herum ... Sie bewahrte dabei ihre Ruhe, die der eines schönen Thieres glich ... Glücklich in dem Gefühl, wie ihre kleine Welt sich vermehrte, fühlte sie gleichsam dadurch ihren eigenen Körper wachsen. In dem Grade hatte sie das Gefühl, all' diesen Müttern gleich zu sein, dass sie sich vorkam wie die gemeinsame Mutter Aller, die Mutter Natur, die ohne Gemüthsbewegung von ihren Fingern einen Schweiss der Erzeugung und Befruchtung tröpfeln liess.«
So geht hier bei Zola, wie in einer Ovidischen Metamorphose, die Verwandlung des Menschen zur Göttin vor sich.
Sie lebt nur, wenn sie das Leben um sich herum vernimmt, mit den Daunen der Gänse und Enten an ihrer Brust. Und wenn der Bruder zu ihr hinüberkommt, wird ihm ganz übel; er fühlt, dass er dem Princip begegnet, das dem seinen widerspricht, und er ist einer Ohnmacht nahe: »Es schien ihm, als sei Désirée gewachsen, als seien ihre Hüften breiter geworden, als seien ihre Arme, wenn sie sie ausbreite, ungeheuer gross, und als fege sie mit ihren Röcken den überwältigenden Geruch der Erde entlang, der ihn zu betäuben drohe.«
Und nach und nach verwandelt sich die Stadt, in der sie wohnt, in ihr Ebenbild. »Des Nachts nahm diese glühende Landschaft ein Gepräge an, als wälze sie sich in seltsamer Leidenschaft. Da schlief sie aufgelöst sich windend, mit den Gliedern auseinander gestreckt, schwere heisse Seufzer ausstossend, das kräftige Aroma des Schweisses der schlafenden Erde. Man hätte an irgend eine gewaltige Cybele glauben können, die auf den Rücken gefallen sei, mit dem Busen nach oben gewandt, den Bauch entblösst unter den Strahlen des Mondes, berauscht von der Sonnenhitze und von noch mehr Befruchtung träumend.«
Wir sind hier weit von der directen Wiedergabe der Wirklichkeit entfernt; wir haben das Gebiet der Mythenbildung betreten.
Weit mehr in allen Einzelnheiten durchgeführt ist jedoch die Umformung der Wirklichkeit zur Legende in dem Abschnitt über Serge und Albine.
Um den jungen hysterischen Priester in einen Adam verwandeln zu können, muss Zola ihn auf einige Zeit zu einem neuen Menschen machen. Er lässt ihn in eine schwere Krankheit fallen, wohl ein Typhusfieber. Man fängt ja als Reconvalescent nach einem Typhus wie von Neuem an.
In seiner Krankheit vergisst Serge sein ganzes früheres Leben. Als er wieder zum Bewusstsein kommt, findet er das junge Mädchen an seinem Bette. »Lehre mich gehen«, sagt er ihr mit einer Replik, die zugleich symbolisch den Neugeschaffenen bezeichnet und charakteristisch für einen Typhuskranken ist, dem es vorkommt, als sei er nicht einfach zu schwach, um sich auf seinen Beinen zu halten, sondern als habe er das Gehen verlernt.
Schritt für Schritt wird nun die Wiederkehr zum Leben als eine Einführung in das Leben, gleich derjenigen des ersten Menschen, geschildert.
Die erste Berührung mit der Erde, sobald er seinen Fuss ausserhalb seiner Kammer setzt, giebt ihm einen Stoss, eine Lebenserweckung, die bewirkt, dass er gerade steht, als fühlte er sich wachsen. Ihm entschlüpft ein Seufzer. Aber er ist noch nicht völlig zum Leben erwacht. Albine sagt daher: »Du gleichst einem gehenden Baum.« Und wie er ein Baum ist, so ist der Park Mensch geworden. Er sieht hinaus über den Park: »Der Garten war eine Kindheit ... die Bäume sahen kindlich aus. Die Blumen hatten das rosige Fleisch kleiner Kinder.« C'était une enfance. Les verdures pâles se noyaient d'un lait de jeunesse ... les arbres restaient puérils, les fleurs avaient des chairs de bambin. Das heisst: es ist aller Tage Morgen. Er fühlt mit all seinen Sinnen, dass der erste Morgen kommt. »Er fühlte den Morgen in den lauen Lüften, schmeckte ihn in der gesunden Schärfe der frischen Luft, athmete ihn mit dem Wohlgeruch ein, den der sich nähernde Morgen um sich sammelte; er hörte ihn im Flug und Gesang der Vögel; er sah ihn lächelnd und roth über der thauigen Ebene kommen.«
Und jetzt heisst es: »Serge wurde während dieser Kindheit des Gartens geboren, 25 Jahre alt geboren, mit plötzlich erwachten Sinnen. »Wie schön Du bist!« ruft Albine aus, und sie flüstert: »Nie zuvor habe ich Dich gesehen.« Gesundheit, Stärke und Macht ruhen auf seinem Antlitz; er lächelt nicht, sein Blick ist königlich.«
Warum königlich? Weil er jetzt Adam ist!
Auch seine Stimme findet Albine verändert. Ihr scheint, diese Stimme erfülle den Park mit mehr Milde, als der Gesang der Vögel, und mit mehr Ueberlegenheit, als der Sturm, der die Zweige beugt.
Warum diese Ueberlegenheit? Weil er Adam ist.
Aber er ist noch gefühllos. Er gleicht einem jungen gleichgültigen Gott. Dann fällt er in einen tiefen Schlaf unter blühenden Rosenbäumen. Als er dadurch geweckt wird, dass Albine eine Handvoll Rosen auf ihn wirft, da erwacht gleichzeitig sein Geschlecht in ihm. Und er sagt zu ihr: »Ich weiss es, Du bist meine Liebe, bist Fleisch von meinem Fleisch ... von Dir habe ich geträumt ... Du warst in meiner Brust, und ich gab Dir mein Blut, meine Muskeln, meine Knochen. Du nahmst die Hälfte meines Herzens, aber so milde, dass es eine Wollust war, es so mit Dir zu theilen ... und ich erwachte dadurch, dass Du aus mir herausstiegst.«
Man sieht, dies ist eher Bibelauslegung, als Naturstudium zu nennen.
Sie lässt ihre schweren Haarflechten fallen. Die Haare hüllen sie bis an die Hüften wie ein Goldstoff ein. Die Locken, die ihr bis über die Brust hinabrollen, vollenden ihr königliches Gewand.
Warum königliches Gewand? Weil sie jetzt Eva heisst.
Sie ist »die Sonne der Schöpfung«. Sie ist die Sonne selbst: »Er küsste jede Locke, er verbrannte seine Lippen an den Strahlen einer untergehenden Sonne.« Nach und nach ist es, als würden sie Beide nur »ein einziges Wesen, königlich schön«. Und um mystisch das Zusammenschmelzen des Menschenpaares zu Einem Wesen und ihre Herrschaft über die Allnatur zu bezeichnen, heisst es: »Die weisse Haut Albine's war nur der weisse Glanz von der braunen Haut Serge's. Sie gingen langsam, in Sonne gekleidet. Sie waren die Sonne selbst. Die sich verneigenden Blumen beteten sie an.« (Ils passaient lentement, vêtus de soleil; ils étaient le soleil lui-même. Les fleurs penchées les adoraient.)
Und so wird die Allegorie noch viele Hundert Seiten hindurch fortgesetzt und zwar mit so kleinlicher Genauigkeit, dass der Geistliche, der wie der Engel mit dem Flammenschwert sie aus dem Garten vertreibt, den Namen Archangias führt.
Das eigenthümlichste für Zola als Symboliker ist indessen noch nicht diese Behandlungsweise der Hauptgestalten im einzelnen Roman, obgleich er sich hier auf ein Gebiet eingelassen hat, auf welchem er sich mit Dichtern vergleichen lässt, die einer himmelweit verschiedenen Poetik huldigten, wie Milton und Klopstock. Nein, am eigentümlichsten ist seine durchgehende Personification eines unpersönlichen Gegenstandes, um welchen herum er Alles gruppirt.
In der Regel drehen sich seine Bücher um ein Stück Erde, ein Gebäude, eine Fabrik, ein Geschäft oder Aehnliches, dem er übermenschliches Leben verleiht und das dann als Symbol der Mächte dient, die über die Lebensweise und die Verhältnisse eines ganzen Standes oder einer ganzen Menschenklasse walten.
Bald wirken sie als blosse Sinnbilder, bald als überirdische gute oder böse Wesen, ungefähr wie die Götter in den Heldengeschichten des Alterthums oder wie das unerbittliche Schicksal in der Tragödie.
So ist in »La faute de l'abbé Mouret« der Mittelpunkt jener Garten, der wie ein übernatürliches Wesen sein eigenes Leben lebt, lockt, überredet und belehrt Ce coin de la nature riait discrètement des peurs d'Albine et de Serge; il se faisait plus attendri, déroulait sous leurs pieds ses couches de gazon les plus molles, rapprochait les arbustes pour leur ménager des sentiers étroits. S'il ne les avait pas encore jetés aux bras l'un de l'autre, c'était qu'il se plaisait à promener leurs désirs.. Dieser Garten ist eine Liebesgottheit und wird als eine einzige grosse Liebkosung (une grande caresse) bezeichnet.
Und er ist, obgleich in Südfrankreich belegen, in vollem Ernst das Paradies. Er wird ausdrücklich als asiatisch bezeichnet; denn es heisst, dass in Vergleich mit diesem Garten alle Gärten Europa's abgeschmackt seien, dass »ein Duft von morgenländischer Liebe, der Duft von Sulamith's gemalten Lippen von seinen wohlriechenden Bäumen ausströme«. Deshalb heisst es von dem Baume in der Mitte des Gartens, wie von dem wirklichen Baume des Lebens: »Sein Saft hatte solche Stärke und war so reich, dass er hinab über die Rinde floss. Er badete den Baum in einen Dampf von Fruchtbarkeit; er machte den Baum zur männlichen Kraft der ganzen Erde.«
Was hier der Garten, das ist in »La fortune des Rougon« ein alter, seit unvordenklichen Zeiten verlassener Kirchhof, auf welchem sich die zwei einander liebenden Kinder treffen. Der Platz hat jetzt ein sehr gewöhnliches Aussehen, da er als Bretterniederlage verwendet wird. Für das gewöhnliche Auge ist er nichts Anderes. Aber Zola's eigene Melancholie und sein eigener rasender Schaffensdrang verwandeln den Platz. Er bedarf einer Grundstimmung von grenzenloser Traurigkeit und unterirdischer Begierde. Obschon Name und Bestimmung des Platzes verändert sind, fühlt er den Hauch des Todes und die Luft der Todten an diesem Orte herrschen. Und er verflicht das Todes- und Liebesmotiv mit einander.
Als der erste warme Kuss von Silvère auf Miette's Lippen brennt, ist es ihr, als müsse sie daran sterben. Sie weiss nicht warum, aber Zola weiss es. Es ist der Wille der Todten des Kirchhofs, dass diese Zwei sich lieben sollen. Ihr heisser Athem gleitet hin über die Stirnen der Kinder; die Todten hauchen ihnen ihre todten Leidenschaften ins Gesicht und erzählen von ihrer Brautnacht. Die weissen Gebeine unter der Erde sind voll von Zärtlichkeit für ihre Kinder. Die geborstenen Schädel erwärmen sich an den Flammen ihrer Jugend. Und wenn die Kinder sich entfernen, weint der alte Kirchhof. Das Gras hält ihre Füsse fest.
Es ist in Wirklichkeit weder Silvère noch Miette, sondern Zola, der all' dieses hört und fühlt. Denn die Kinder fahren fort in ihrer unbewussten Liebe auf diesem Erdreich zu leben, das so gebieterisch ihre Vereinigung verlangt.
Zola ist hier so romantisch, dass er dem Leser Novalis ins Gedächtniss hervorruft. Niemand hat wohl Etwas geschrieben, das in dem Grade an die berühmten Verse von Novalis erinnert, in denen die Todten sagen:
Süsser Reiz der Mitternächte,
Stiller Kreis geheimer Kräfte,
Wollust räthselhafter Spiele,
Wir nur kennen euch;
Leiser Wünsche süsses Plaudern
Hören wir allein und schauen
Immerdar in sel'ge Augen,
Schmecken nichts als Mund und Kuss.
Wie hier der Kirchhof das Centrum und die verlockende Macht ist, so anderswo (»L'Assommoir«) eine Branntweinschenke, die ringsumher Verderben und Untergang ausspeit, oder eine grossartige Modehandlung (»Au bonheur des dames«), die alle die kleinen Geschäfte in ihrer Nähe verzehrt, und sich mit unglaublicher Schnelligkeit erweitert, oder eine unterirdische Grube (»Germinal«), in welcher die Arbeiter ohne Ausbeute für sich selbst Sklavenarbeit verrichten, aber zugleich den von dem Capital beherrschten Grund und Boden unterminiren, oder ein Haus mit heuchlerischer Fagade und heuchlerischer Vordertreppe (»Pot-Bouille«), das der Eleganz und dem Laster der es bewohnenden Mitglieder der Bourgeoisie entspricht.
Man glaube nur nicht, dass diese personificirende Anschauungsweise sich jedem phantasiebewegten Künstler darbieten würde, der Gegenstände wählt, die sich natürlich um eine Localität gruppiren. Man vergleiche nur die Nüchternheit, mit welcher Dostojewski das Zuchthaus in Sibirien und das Leben der Bewohner desselben geschildert hat, ohne jeglichen Anflug von Symbolisiren. Das Zuchthaus fängt Niemanden ein, martert Keinen, wird weder gehasst noch verwünscht. Es ist ein todtes Ding. Alles Leben ist in den Personen der Gefangenen concentrirt, alles künstlerische Licht fällt auf sie.
Eines der schlagendsten Beispiele dieser Auffassungsweise bei Zola findet sich in »Le ventre de Paris«. Hier sind die Hallen von Paris wie Kessel gemalt, für die Verdauung eines ganzen Volks bestimmt; ein riesengrosser Metallbauch, das Symbol des Lebens der Wohlgenährten und Fetten. Die Bevölkerung, die sich um die Hallen gruppirt, sind lauter Fette, zu denen der Held als der einzige Magere den Gegensatz bildet.
Der ungeheure Metallbauch wiederholt sich und spiegelt sich nun überall ab. Die Frauen, welchen der Held begegnet, haben einen so runden und strammen Busen, dass derselbe einem Bauche ähnlich sieht. Ihre runden, rosenrothen Finger haben kleine Bäuche an den Fingerspitzen. Selbst die Häuser des Quartieres wärmen mit falscher Gutmüthigkeit ihre hervorspringenden Bäuche in den ersten Sonnenstrahlen. ... la poitrine arrondie, si muette et si tendue, qu'elle n'éveillait aucune pensée charnelle et qu'elle ressemblait à un ventre ... Leurs mains potelées, d'un rose vif, avaient une sorte de souplesse grasse, des doigts ventrus aux phalanges ... Les maisons gardaient leur façade ensoleillée, leur air béat de bonne maison, se chauffant honnêtement le ventre aux premiers rayons.
Nirgends hat man besser Gelegenheit, Zola's Grundansicht zu beobachten. Er ist als Dichter nicht vor Allem Psycholog, so wenig wie sein erster Lehrer Taine es war. Er schildert selten die Entwicklungsgeschichte des Individuums, vielmehr die Eigenthümlichkeit desselben als bleibend und fest. Und er ist besonders darauf angelegt, die Charakteristik grosser Gruppen, grosser Massen zu geben.
Schon Zola's Neigung, das Wesentliche zu schildern, das Allgemeingültige, das, was so wenig variabel wie möglich ist, treibt ihn dazu, aus dem Seelenleben das höchste Gefühlsleben, das feinste Gedankenleben herauszusondern wie Etwas, das nicht für ihn liegt und woran er kaum zu glauben scheint. Er hält sich am liebsten an die grossen, einfachen Grundtriebe, an die einfachsten, seelischen Zustände.
Aber auch seine ursprüngliche Lebensanschauung, sein erster pessimistischer Hang führte ihn in diese Richtung. Er wollte in seiner grossen Romanreihe ein Zeitalter schildern, das seinen Abschluss und anscheinend sein Urtheil bei Sedan fand. Damit war Folgendes gegeben: Abscheulichkeiten und eine Nemesis. Einzelne Romane, die am längsten bei den Abscheulichkeiten verweilen, enthalten reinen, unvermischten Pessimismus. In denselben sieht der Verfasser nichts, das nicht schwarz oder schmutzig ist: »La curée«, »Le ventre de Paris«, »Eugène Rougon«, »Pot-Bouille.« Andere deuten die Nemesis in der Gestalt einer Art von Naturgerechtigkeit an: »La conquête de Plassans«, »Nana«, »Germinal.« Ein einzelner hat einen gewissen Optimismus von wenig glaubwürdiger und wenig geistreicher Art: »Au bonheur des dames«, ein anderer hat den Pessimismus als Thema und Problem: »La joie de vivre«. Die Lebensanschauung ist in den späteren Büchern umfassender als die ursprüngliche Rücksicht auf die Geschichte des Kaiserreiches es Anfangs zuliess; ganz philosophisch klar ist die Grundansicht zwar nie; aber man spürt, dass die Milde grösser und das Gefühl weicher wird. Zola folgt seiner Stimmung und seinem künstlerischen Bedürfniss, welches dasjenige ist, zu variiren. Doch ist die Lebensanschauung durchgehends äusserst düster. Man findet sehr lange ein parti-pris, das Unglück in Allem und das Verwerfliche überall zu finden. Der moralische Massstab wird mit um so grösserer Sicherheit angelegt, weil Zola keiner höheren Moral bedarf als derjenigen, die gang und gäbe ist, und erst in seinen letzten Büchern unter dem Eindruck des herannahenden Alters wird die Aussicht auf eine andere und bessere Gesellschaft als die bestehende eröffnet.
Der Pessimismus wirkt nun in Zola's künstlerischen Streben in genauer Uebereinstimmung mit seinem Hang, das Allgemeingültige, Grundmenschliche zu schildern, d. h. er simplificirt und reducirt. Man lese »Une page d'amour«, und man sehe, was Zola aus der Liebe gemacht hat. Ein Grauen, eine Verrücktheit, halb Greuel, halb Dummheit. Man lese »L'oeuvre« und sehe, was die Kunst demjenigen wird, der es ernst mit ihr meint: eine ewige Qual, eine einfache Manie.
Es ist diese, aus verschiedenen Quellen genährte Neigung Zola's zum psychologischen Simplificiren, die ihn zum Repräsentativen führt. In dem einzelnen Arbeiter schildert er den Stand, in der einzelnen Courtisane die Courtisane.
Seine Hauptfähigkeit ist die, typische Züge und grosse Totalitäten aufzufassen und wiederzugeben. Er bringt mit Vorliebe die Wirkung von etwas Riesengrossem hervor. Er erreicht diese Wirkung nicht impressionistisch durch ein paar entscheidende Züge, sondern wie Victor Hugo durch hartnäckiges Wiederholen und durch das Aufzählen von einer Menge äusserer Einzelheiten; er zählt z. B. unzählige Namen von Pflanzen, von verschiedenen Arten Käse, von den Stoffen und Waaren eines Magazins auf.
Aber, um alle Einzelheiten zusammenzufassen und die einheitliche Wirkung, der er nachstrebt, hervorzubringen, nimmt er dann seine Zuflucht zum Symbol; zum grossen Grundsymbol, wie z. B. den Hallen als dem Bauch von Paris, und dann stempelt er alle Einzelnheiten mit dem Merkmale des Symbols, findet den Bauch in dem Busen der Frauen, in den Façaden der Häuser, an den Spitzen der Finger wieder.
So hat er sich als Romandichter zum leidenschaftlichen Verfechter einer rein mechanischen Psychologie entwickelt. Er führt all' das Menschliche zum rein Animalen zurück, schleift und entfernt das höchste Willensleben und das feinste Spiel der Intelligenz, stellt selbst die am vorzüglichsten ausgeprägte Persönlichkeit als eine fast unbewusste oder kraft einer Art Manie fungirende Maschine dar.
Aber all' die mehr als animale Kraft, all' die freie Selbständigkeit, den übermächtigen Willen, den er den Individuen raubt, ertheilt er kraft einer Eigenthümlichkeit seines Temperaments den unpersönlichen Schöpfungen, wie einem Terrain oder einem Gebäude, die dann eine rein abstracte Macht, wie die Liebe, die Industrie, den Grosshandel, irgend ein Lebenselement personificiren.
Diese unpersönlichen Dinge schwellen dann an von der selbständigen Kraft, die er dem Individuum geraubt hat. Sie sind wie Verkörperungen jenes unwiderstehlichen Schicksals, das die Alten mächtiger als Menschen und Götter nannten.
Es ist, als ob seine eigene Machtbegierde und seine eigene Machtfreude sich daran labe, diese Schicksalsmacht zu besingen, welche die Individuen ohne Rücksicht und ohne Gnade gebraucht und vernichtet.
Seine grosse epische Dichtung »Les Rougon-Macquart« ist also eine Reihe von lose an einander geknüpften Gesängen über die verschiedenen Incarnationen dieser geheimnissvollen und fürchterlichen Gottheit, deren Dichter er ist.
(1893)
1887 war das in dem »gebildeten« Publikum ausserhalb Frankreichs und zum Theil noch in Frankreich vorherrschende Urtheil über Emile Zola das folgende: Er sei, wie er sich nenne, ein Naturalist; er vertiefe sich mit einem sonderbaren, bisweilen empörenden, nur für rohe Naturen anziehenden Behagen in eine immer schmutzigere Wirklichkeit, um dieselbe mit möglichst photographischer Treue darzustellen; die Naturtreue in der Wiedergabe des Schmutzes sei seine eigentliche Specialität; sein Pessimismus verberge eine unreine Freude an dem Gemeinen. – Noch viel später schrieb Nietzsche: »Zola oder die Freude zu stinken.«
Um diesem Vorurtheil entgegen zu treten wurde der obenstehende Aufsatz geschrieben. Es wurde die scheinbare Paradoxie behauptet, Zola sei überhaupt gar kein Naturalist, wenn man unter einem Naturalisten einen Naturnachahmer verstehe. Der Beweis wurde geführt, dass er schon in dem ersten Roman seiner grossen Romanfolge und noch mehr in den vielen ihn fortsetzenden, die Natur, d. h. die Landschaft, die Umgebung, die Hauptpersonen, die Hauptereignisse, kurz gesagt alles Reelle, mit dichterischer Phantasie völlig umgestaltet habe, dass er sogar in dem Erzählerstil bisweilen episch in dem Geist alter Heldengedichte, bisweilen lyrisch in der Art Victor Hugo's sich ausdrücke. Das Wort Symbolismus als Gegensatz zum Naturalismus war damals noch nicht geläufig. Halb scherzhaft und doch ganz ernstlich wurde indessen nachgewiesen, dass der verschrieene Naturalist durch und durch ein Symboliker ist.
Seitdem hat Zola die Romane La Terre, Le Rêve, La Bête humaine, L'Argent, La Débâcle, Le Docteur Pascal veröffentlicht.
War unter ihnen La Terre dazu angelegt, der Ansicht über Zola's Lust, in dem Gemeinen und Grässlichen zu wühlen, keinerlei Eintrag zu thun – obwohl eben dieser Roman in grossartiger Weise den mütterlichen Erdboden als lebendiges, Leidenschaften erregendes, Wesen darstellte – so überzeugte die folgende Erzählung Le Rêve auch die Widersträubenden darüber, dass Zola an sich keinen Widerwillen gegen das Phantasievolle und die freie und reine, von dem Erdboden losgelöste Poesie eines unschuldigen Traumlebens hege, sogar – wenn auch in etwas schwerfälliger Weise – sich zu einer fast seraphischen Höhe zu erheben verstehe.
Der grosse Kriegsroman La Debâcle war sowohl durch seinen Stoff wie durch die Behandlungsweise dazu geschaffen, populär zu werden. Ohne Nationalhass und doch mit sehr heissem Patriotismus geschrieben, in seinen Schilderungen sehr wahr, in seinen Urtheilen scharf und doch milde, in seiner Darstellung des gestürzten, früher so leidenschaftlich gehassten Kaisers wie der Verirrungen der Pariser Commune versöhnlich und mitleidsvoll, widerlegte dies Werk in zahlreichen, besonders französischen, Kreisen die Legende von Zola's aller Poesie feindlichen Brutalität. Der Roman enthält wie die früheren einige litterarische Reminiscenzen: die Scene, wo der Spion Goliath geschlachtet wird, erinnert an eine ähnliche in Balzac's »Les chouans«, und der Schluss: der Tod des einen Kameraden von der Hand des anderen, diese Versinnbildlichung des Bruderkrieges zwischen Versailles und Paris, erinnert an den Tod des einen Bruders durch den Schuss des anderen, der am Schlüsse der Chronique du temps de Charles IX von Mérimée die Greuel des Bürgerkriegs zwischen Katholiken und Huguenotten personificirt. La débâcle steht als litterarisches Kunstwerk hinter anderen Romanen Zola's zurück; das breitangelegte, ruhig ausgeführte Buch hat aber eben jenes Gepräge einer Volksepopöe, das den dichterischen Fähigkeiten Zola's entstammt und ihnen entspricht.
Zuletzt hat Le Docteur Pascal schön und würdig den Cyclus geschlossen. Der Roman giebt den Ueberblick über das grosse Werk und eine Art Erklärung desselben in dem Rahmen einer Liebesgeschichte, wie Zola sie noch nicht so innig und gefühlvoll mit so aufrichtigem Glauben an eine echte und reine Liebe erzählt hatte. Hier tönt das ganze Werk in Harmonien aus. Das Zeichen worunter es steht, ist das sehr altmodische: Glaube, Treue und Hoffnung; Treue des Dichters gegen sich selbst und seinen Plan; Glaube an die Wissenschaft, an die Liebe, und zuletzt an das Leben, welches siegreich über das Krankhafte triumphirt und das Gesunde zur Herrschaft bringt; Hoffnung auf eine bessere grosse Zukunft. Es liegt etwas von der Stimmung einer nicht mehr kämpfenden Kirche darüber. Man empfindet zwischen den Zeilen die Versöhnung des Dichters mit dem Leben, die das Resultat der wohl zu Ende geführten und reichlich belohnten Tagesarbeit ist. Ohne verwischt zu sein, haben sich die Züge in der geistigen Physiognomie Zola's hier stark gemildert.
Es wäre ungereimt viel Gewicht auf eben den Punkt zu legen, der für Zola selbst der Hauptpunkt ist: das Werk als durchgeführte Illustration der Erblichkeitslehre aufgefasst. Wie schon berührt, wir kennen die Gesetze der Erblichkeit nicht, der Dichter hat deshalb hier freie Hand und das Spiel seiner Phantasie lässt sich nicht kontrolliren; er kann uns die Combinationen bieten, die er will. Dagegen hat es ein nicht geringes Interesse zu verfolgen, wie sicher und geschickt Zola hier den Zusammenhang seiner grossen Familienschilderung als typischer Darstellung des zweiten Kaiserreichs nachweist, Auf weniger als Einem Bogen (S. 119-132) ist der ganze Inhalt aller zwanzig Romane zusammengedrängt und dieselben endgültig so geordnet, wie sie dem Crescendo des Plans entsprechen. Die Reihenfolge ist nicht die bekannte, in welcher die Romane erschienen sind, sondern die nachstehende: La Fortune des Rougon, Eugène Rougon, La Curée, L'Argent, Le Rêve, La Conquête de Plassans, Pot-Bouille, Au Bonheur des Dames, La Faute de L'abbé Mouret, Une Page d'amour, Le Ventre de Paris, La Joie de vivre, L'Assommoir, L'Oeuvre, La Bête humaine, Germinal, Nana, La Terre, La Débâcle, Le Docteur Pascal.
Vor Zola hatte nur Ein anderer französischer Dichter eine ähnliche Schilderung seines Zeitalters in einer zusammenhängenden Romanserie versucht. Balzac hatte aber die Romane einzeln geschrieben und bekam erst verhältnissmässig spät den Einfall, dieselben Personen immer wieder auftreten zu lassen. Der Zusammenhang ist bei ihm weit äusserlicher als bei Zola. Es lässt sich indessen nicht läugnen, dass trotz aller Grossartigkeit des Plans das poetische Verdienst allein auf der Ausführung jeder einzelnen Erzählung beruht. Ein Dichterwerk in zwanzig Bänden ist wie jenes hundert Stadien lange Gemälde, von welchem Aristoteles mit Recht behauptet, dass es nicht mehr ein Kunstwerk sein würde.
Es sind die besten, die typischen unter den einzelnen Büchern, Werke wie L'Assommoir oder Germinal, mit welchen der Name Zola's stehen und fallen wird.