Ulrich Bräker
Lebensgeschichte und Natürliche Ebentheuer des Armen Mannes im Tockenburg
Ulrich Bräker

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VII.
Wanderung in das Dreyschlatt.
(1741.)

Mein Vater hatte einen Wanderungsgeist, der zum Theil auch auf mich gekommen ist. In diesem Jahr kaufte er ein groß Gut (für 8. Kühe Sömmer- und Winterung), Dreyschlatt genannt, in der Gemeind Krynau, zu hinderst in einer Wildniß, nahe an den Alpen. Das nicht halb so grosse Gütchen im Näbis hingegen verkaufte er dafür: Weil er (wie er sagte) sah, daß ihn eine grosse Haushaltung anfallen wolle; damit er für viele Kinder Platz und Arbeit genug hätte; auch daß er sie in dieser Einöde nach seinem Willen erziehen könnte, wo sie vor der Verführung der Welt sicher wären. Auch rieth der Großvater, der von Jugend an ein starker Viehmann war, sehr dazu. Aber mein guter Aeti verbande sich den unrechten Finger, und watete sich, da er an das Gut nichts zu geben hatte, in einen Schuldenlast hinein, unter welchem er nachwerts 13. Jahre lang genug seufzen mußte. Also im Herbst 41. zügelten wir mit Sack und Pack ins Dreyschlatt. Mein Großäti war Senn; Ich jagte die Kühe nach; mein Bruder G. nur 20. Wochen alt, ward in einem Korb hingetragen. Mutter und Großmutter, mit den zwey andern Kindern kamen hinten nach; und der Vater, mit dem übrigen Plunder, beschloß den Zug.

VIII.
Oekonomische Einrichtung.

Mein Vater wollte doch das Salpetersieden nicht aufgeben, und dachte damit wenigstens etwas zu Abherrschung der Zinse zu verdienen. Aber so ein Gut, wie der Dreyschlatt, braucht Händ' und Armschmalz. Wir Kinder waren noch wie für nichts zu rechnen; der Großäti hatte mit dem Vieh, und die Mutter genug im Haus zu thun. Es mußten also ein Knecht und eine Magd gedungen werden. Im folgenden Frühjahr gieng der Vater wieder dem Salpeterwerk nach. Inzwischen hatte man mehr Küh' und Geissen angeschafft. Der Großäti zog jungen Fasel nach. Das war mir eine Tausendslust, mit den Gitzen so im Gras herumlaufen; und ich wußte nicht, ob der Alte eine grössere Freud an mir oder an ihnen hatte, wenn er sich so, nachdem das Vieh besorgt war, an unsern Sprüngen ergötzte. So oft er vom Melken kam, nahm er mich mit sich in den Milchkeller, zog dann ein Stück Brod aus dem Futterhemd, brockt' es in eine kleine Mutte, und machte ein kühwarmes Milchsüpple. Das assen ich und er so alle Tage. So vergieng mir meine Zeit, unter Spiel und Herumtrillern, ich wußt' nicht wie? Dem Großäti giengs eben so. Aber, aber – Knecht und Magd thaten inzwischen was sie gern wollten. Die Mutter war ein gutherziges Weib; nicht gewohnt jemand mit Strenge zur Arbeit anzuhalten. Es mußte allerhand Milch- und Werkgeschirr eingekauft werden; und, da man viel Waide zu Wiesen einschlug, auch Heu und Stroh, um mehr Mist zu machen. Im Winter hatten wir allemal zu wenig Futter – oder zu viel fressende Waar. Man mußt' immer mehr Geld entlehnen; die Zinse häuften sich, und die Kinder wurden grösser, Knecht und Magd feißt, und der Vater mager.

IX.
Abänderungen.

Er merkte endlich, daß so die Wirthschaft nicht gehen könne. Er änderte sie also; und gab nämlich das Salpetersieden auf, blieb daheim, führte das Gesind selber zur Arbeit an, und war allenthalben der erste. Ich weiß nicht ob er auf einmal gar zu streng angefangen, oder ob Knecht und Magd, wie oben gesagt, sonst zu meisterlos geworden; kurz, sie jahrten aus, und liefen davon. Um die gleiche Zeit wurde der Großäti krank. Erst stach er sich nur an einem Dorn in den Daumen; der wurde geschwollen. Er band frischwarmen Kühmist drauf; da schwoll die ganze Hand. Er empfand entsetzliche Hitz' darinn, gieng zum Brunnen, und wusch den Mist unter der Röhre wieder ab. Aber das hatte nun gar böse Folgen. Er mußte sich bald zu Beth legen, und bekam die Wassersucht. Er ließ sich abzäpfen; das Wasser rann in den Keller hinab. Nachdem er so 5. Monathe gelegen, starb er zum Leidwesen des ganzen Hauses; denn alle liebten ihn, vom Kleinsten bis zum Größten. Er war ein angenehmer, Freud' und Friede liebender Mann. Er hatte an meinem Vater und mir ungemein viel gethan; und ich habe nie von keinem Menschen etwas Böses über ihn sagen gehört. Mein Vater und Mutter erzählten noch viele Jahre allerhand Löbliches und Schönes von ihm. Als ich ein wenig zum Verstand kam, erinnerte ich mich seiner erst recht, und verehrt' ihn im Staub und Moder. Er liegt im Kirchhof zu Krynau begraben.

X.
Nächste Folgen von des Großvaters Tod

Nun wurde wieder eine Magd angeschaft; die war dem Vater recht, weil sie brav arbeitete. Aber Mutter und Großmutter konnten sie nicht leiden, weil sie glaubten, sie schmeichle dem Vater, und trag' ihm alles zu Ohren. Auch war sie krätzig, so daß wir alle die Raud von ihr erbten. Und kurz, die Mütter ruhten nicht; sie mußte fort, und eine andre zu. Die war nun ihnen recht, aber dem Vater nicht, weil sie nur das Haus- aber nicht das Feldwerk verstand. Auch meinte er, sie helfe den Weibern allerhand verschmauchen. Jetzt gab's bald alle Tag einen Zank. Die Weibervölker stunden zusammen; der Mann hinwieder glaubte, Er sey einmal Meister; und kurz, es schien als wenn der alte Näbis-Joggele einen guten Theil vom Hausfrieden mit sich unter den Boden genommen hätte. Aus Verdruß gieng darum der Vater einstweilig wieder dem Salpetersieden nach, übergab die Wirthschaft seinem Bruder N. als Knecht, und glaubte mit einem so nahen Blutsfreunde wohl versorgt zu seyn. Er betrog sich. Er konnt' ihn nur ein Jahr behalten, und sah noch zu rechter Zeit die Wahrheit des Sprüchworts ein: Wer will daß es ihm ling, schau selber zu seinem Ding! – Nun gieng er nicht mehr fort, trat auf's neue an die Spitze der Haushaltung, arbeitete über Kopf und Hals, und hirtete die Kühe selber; Ich war sein Handbub und mußte mich brav tummeln. Die Magd schafte er ab; und dingte dafür einen Gaißenknab, da er jetzt einen Fasel Gaissen gekauft, mit deren Mist er viel Waid und Wiesen machte. Inzwischen wollten ihn die Weiber noch immer meistern; das konnt' er nicht leiden; 's gab wieder allerley Händel. Endlich da er einmal der Großmutter in der Hitz' ein Habermußbecken nachgeschmissen, lief sie davon, und gieng wieder zu ihren Freunden in den Näbis. Die Sach' kam vor die Amtsleuth. Der Vater mußt ihr alle Wochen 6. Batzen und etwas Schmalz geben. Sie war ein kleines bucklichtes Fräulein; mir eine liebe Großmutter; die hinwieder auch mich hielt wie ihr rechtes Großkind; aber, die Wahrheit zu sagen, ein wenig wunderlich, wetterwendisch; gieng immer den sogenannten Frommen nach, und fand doch niemand recht nach ihrem Sinn. Ich mußt' ihr alle Jahr die Metzgeten bringen, und blieb dann ein Paar Tage bey ihr. Da war gut Leben: Ich ließ mir's schmecken; ihre wohlgemeinten Ermahnungen hingegen zum einten Ohr ein, und zum andern wieder aus. Gewiß kein Ruhm für mich. Aber dergleichen Buben machen's, leider Gott erbarm! so. Zuletzt war sie einige Jahr blind, und starb endlich in der Feuerschwand in einem hohen Alter An. 50. 51. oder 52. Sie vermachte mir ein Buch, Arndts wahres Christenthum, apart. Sie war gewiß ein gottseliges Weib, in der Schamaten hoch estimirt; und die Leuth dort sind mir noch besonders lieb um ihretwillen. Auch glaub' ich gewiß noch Glück von ihr her zu haben; denn Elternsegen ruht auf Kindern und Kindskindern.

XI.
Allerley, wie's so kömmt.

Unsre Haushaltung vermehrte sich. Es kam alle zwey Jahr geflissentlich ein Kind; Tischgänger genug, aber darum noch keine Arbeiter. Wir mußten immer viel Taglöhner haben. Mit dem Vieh war mein Vater nie recht glücklich; es gab immer etwas krankes. Er meinte, die starken Kräuter auf unsrer Waid seyen nicht wenig Schuld daran. Der Zins überstieg alle Jahr die Losung. Wir reuteten viel Wald aus, um mehr Mattland, und Geld von dem Holz zu bekommen; und doch kamen wir je länger je tiefer in die Schulden, und mußten immer aus einem Sack in den andern schleufen. Im Winter sollten ich, und die ältesten welche auf mich folgten, in die Schule; aber die dauerte zu Krynau nur 10. Wochen, und davon giengen uns wegen tiefem Schnee noch etliche ab. Dabey konnte man mich schon zu allerley Nutzlichem brauchen. Wir sollten anfangen, Winterszeit etwas zu verdienen. Mein Vater probierte aller Gattung Gespunst: Flachs, Hanf, Seiden, Wollen, Baumwollen; auch lehrte er uns letztre kämbeln, Strümpfstricken, u.d.g. Aber keins warf damals viel Lohn ab. Man schmälerte uns den Tisch, meist Milch und Milch; ließ uns lumpen und lempen, um zu sparen. Bis in mein sechszehntes Jahr gieng ich selten, und im Sommer baarfuß in meinem Zwilchröcklin zur Kirche. Alle Frühjahr mußte der Vater mit dem Vieh oft weit nach Heu fahren, und es theuer bezahlen.

XII.
Die Bubenjahre.

Indessen kümmerte mich alle dieß um kein Haar. Auch wußt' ich eigentlich nichts davon, und war überhaupt ein leichtsinniger Bube, wie's je einen gab. Alle Tag dacht' ich dreymal ans Essen, und damit aus. Wenn mich der Vater nur mit langanhaltender oder strenger Arbeit verschonte, oder ich eine Weile davonlaufen konnte, so war mir alles recht. Im Sommer sprang ich in der Wiese und an den Bächen herum, riß Kräuter und Blumen ab, und machte Sträusse wie Besen; dann durch alles Gebüsch, den Vögeln nach, kletterte auf die Bäume, und suchte Nester. Oder ich las ganze Haufen Schneckenhäuslein oder hübsche Stein zusammen. War ich dann müd', so setzt' ich mich an die Sonne, und schnitzte zuerst Hagstecken, dann Vögel, und zuletzt gar Kühe; denen gab ich Namen, zäunt' ihnen eine Waid ein, baut' ihnen Ställe, und fütterte sie; verhandelte dann bald dies bald jenes Stück, und machte immer wieder schönere. Ein andermal richtete ich Oefen und Feuerherd auf, und kochte aus Sand und Lett einen saubern Brey. Im Winter wälzt' ich mich im Schnee herum, und rutschte bald in einer Scherbe von einem zerbrochenen Napf, bald auf dem blossen Hintern, die Gähen hinunter. Das trieb ich dann alles so, wie's die Jahrszeit mitbrachte, bis mir der Vater durch den Finger pfiff, oder ich sonst merkte, daß es Zeit über Zeit war. Noch hatt' ich keine Cameraden; doch wurd' ich in der Schule mit einem Buben bekannt, der oft zu mir kam, und mir allerhand Lappereyen um Geld anbot, weil er wußte, daß ich von Zeit zu Zeit einen halben Batzen zu Trinkgeld erhielt. Einst gab er mir ein Vogelnest in einem Mausloch zu kaufen. Ich sah täglich darnach. Aber eines Tags waren die Jungen fort; das verdroß mich mehr als wenn man dem Vater alle Küh gestohlen hätte. Ein andermal, an einem Sonntag, bracht' er Pulver mit – bisher kannt' ich diesen Höllensamen nicht – und lehrte mich Feuerteufel machen. Eines Abends hatt' ich den Einfall: Wenn ich auch schiessen könnte! Zu dem End' nahm ich eine alte eiserne Brunnröhre, verkleibte sie hinten mit Leim, und machte eine Zündpfanne auch von Leim; in diese that ich dann das Pulver, und legte brennenden Zunder daran. Da's nicht losgehen wollte, blies ich... Puh! Mir Feuer und Leim alles ins Gesicht. Dieß geschah hinterm Haus; ich merkte wohl, daß ich was unrechtes that. Inzwischen kam meine Mutter, die den Klapf gehört hatte, herunter. Ich war elend bleßirt. Sie jammerte, und half mir hinauf. Auch der Vater hatte oben in der Waide die Flamm gesehen, weils fast Nacht war. Als er heimkam, mich im Bett antraf, und die Ursache vernahm, ward er grimmig böse. Aber sein Zorn stillte sich bald, als er mein verbranntes Gesicht erblickte. Ich litt grosse Schmerzen. Aber ich verbiß sie, weil ich sonst fürchtete, noch Schläge oben drein zu bekommen, und wußte daß ich solche verdient hätte. Doch mein Vater empfand wohl, daß ich Schläge genug habe. Vierzehn Tage sah' ich keinen Stich; an den Augen hatt' ich kein Häärlein mehr. Man hatte grosse Sorgen wegen dem Gesicht. Endlich war's doch allmälig und von Tag zu Tag wieder besser. Jetzt, sobald ich vollkommen hergestellt war, machte der Vater es mit mir, wie Pharao mit den Israeliten, ließ mich tüchtig arbeiten, und dachte: So würden mir die Possen am beßten vergehen. Er hatte Recht. Aber damals konnt' ich's nicht einsehen, und hielt ihn für einen Tyrann, wenn er mich so des Morgens früh aus dem Schlaf nahm, und an das Werk musterte. Ich meinte, das wär' eben nicht nöthig; die Kühe gäben ja die Milch von sich selber.

XIII.
Beschreibung unsers Guts Dreyschlatt

Dreyschlatt ist ein wildes einödes Ort, zuhinderst an den Alpen Schwämle, Creutzegg und Aueralp; vorzeiten war's eine Sennwaid. Hier giebt's immer kurzen Sommer und langen Winter; während letzterm meist ungeheuern Schnee, der oft noch im May ein Paar Klafter tief liegt. Einst mußten wir noch am H. Pfingstabend einer neuangelangten Kuh, mit der Schaufel zum Haus pfaden. In den kürzsten Tagen hatten wir die Sonn nur 5. Viertelstunden. Dort entsteht unser Rotenbach, der dem Fäsi in seiner Erdbeschreibung, und dem Walser in seiner Kart entwischte; ungeachtet er zweymal grösser als der Schwendi- oder Lederbach ist, der viele Mühlen, Sagen, Walken, Stampfen und Pulvermühlen treibt. Doch beym Dreyschlatt da hat es das herrlichste Quellwasser; und wir in unserm Haus und Scheur aneinander hatten einen Brunnen, der nie gefror, unterm Dach, so daß das Vieh den ganzen Winter über nie den Himmel sah. – Wenn's im Dreyschlatt stürmt, so stürmt's dann recht. Wir hatten eine gute, nicht gähe Wiese, von 40-50. Klafter Heu, und eine grasreiche Waide. Auf der Sommerseite im Altischweil ist's schon früher, aber auch gäher und räucher. Holz und Stroh giebt's genug. Hinterm Haus ist ein Sonnenrain, wo's den Schnee wegbläst, der hingegen an einem Schattenrain vor dem Haus im Frühjahr oft noch liegen bleibt, wenn's an jenem schon Gras und Schmalzblumen hat. Am frühsten und am späthsten Ort auf dem Gut trift's wohl 4. Wochen an.


 << zurück weiter >>