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Als Spinoza seinen Gönner Jan de Witt durch dessen gewaltsamen Tod verloren, hatte er selbst noch nicht sein vierzigstes Jahr zurückgelegt. Die ihm hierauf noch vergönnte Lebensspanne sollte kein volles Lustrum mehr erreichen. Er blieb die Zeit über, kürzere Reisen im Heimatlande abgerechnet, ununterbrochen im Haag, wo er eine ihm zusagende Häuslichkeit gefunden, die ihm alles bot, was er bei seinen überaus bescheidenen Lebensgewohnheiten zu seinem Wohlbehagen beanspruchte.
Die für seine Übersiedelung in die Residenz zuerst gemietete Wohnung an der sogenannten Veerkay hatte er des Kostenpunktes wegen nicht behalten können. Zu Anfang des folgenden Jahrhunderts sollte sie den Mann beherbergen, der, selbst ohne das geringste Verständnis für die Lehre Spinozas, die reichhaltigsten Lebensnachrichten über ihn gesammelt und herausgegeben hat. Es war der als evangelischer Prediger im Haag lange Jahre thätige Jan Colerus, Vrgl. hier oben Anmerk. 2 u. 24 zur Einleitung. von dem man nur noch weiß, daß er eine gegen Spinoza gerichtete Schrift » Über die Wahrheit der Auferstehung Christi« verfaßt hat. Eigenhändig teilt er uns mit: Meine Studierstube am äußersten Ende des Hauses, nach dessen Rückseite zu im zweiten Stock, ist die nämliche, wo Spinoza geschlafen und gearbeitet hat; häufig ließ er sich das Essen heraufbringen und soll dann zwei bis drei Tage oben geblieben sein, ohne irgend welchen Besuch zu empfangen. Colerus, p. XII bei Saisset. Spinozas damalige Hauswirtin, bei der er auch in Kost gestanden, war die Witwe van Velden, nach späteren Ermittelungen die nämliche Person, welche als junges Mädchen im Hause des Hugo Grotius gedient und seiner Gattin zu dessen wunderbaren Rettung aus dem Staatsgefängnis in einer Bücherkiste behilflich gewesen war. Nach Auerb. biogr. Einl. z. d. Überstzg. Bd. 1. S. XXXVIII, Note 1.
Eine billigere Wohnung, die er im zweiten Jahre seines Verweilens im Haag bezog und während fünfundeinhalb Jahren bis an sein Lebensende behielt, hatte er bei dem Maler Hendrik van der Spyk auf der sogenannten Paviljoensgracht gefunden. Das Haus selbst, im ältern Teile der Stadt gelegen, der vielfach an Köln erinnern soll, trägt heute die Nummer 28 und hat außer dem Erdgeschoß über den einstöckigen Wohnräumen ein einfenstriges Giebelzimmer, das für die von Spinoza innegehabte Stube gehalten wird. Vor dem Hause steht nun das unserm Denker errichtete Denkmal, eine zu diesem führende Doppelreihe von Ulmen hat jedoch zu seinen Lebzeiten nicht dort gestanden, da die jetzige Straße damals noch offener Kanal war. Auerbach, Briefwechsel, Bd. 2, S. 358.
Über Spinozas Hauswirt, den Maler van der Spyk, schweigt die Kunstgeschichte, wiewohl er nach der Versicherung des Predigers Colerus in seinem Fache sehr geschickt gewesen sein soll. Ein mutmaßlich seiner Hand entstammendes Bildnis seines mehrjährigen Hausgenossen, das in der städtischen Kunstsammlung zu Haag sich befindet, soll nach dem Eindruck eines eifrigen Spinoza-Verehrers unserer Tage Auerb. a. a. O., S. 364. nicht gut gemalt sein: die schmalen Augenbrauen unnatürlich fest und dick, das Auge gewaltsam aufgerissen, die Bartgegend bläulich, der festgeschlossene Mund jedoch mit anmutigem Ausdruck. Dem Urteil dieses Berichterstatters dürfte wohl zuzustimmen sein, da mündlichen Angaben zufolge, die durch Colerus überliefert worden, die schwarzen Augen lebhaft aber nicht groß waren, von langen schwarzen Brauen beschattet. Er war von mittlerer Statur, regelmäßigen Gesichtszügen mit bräunlicher Hautfarbe, die mit dem schwarzen gekräuselten Haar auf die südlich orientalische Abkunft hindeutete. Colerus u. Lucas übereinstimmend.
Dankenswerter ist das Bild von Spinozas Sein und Leben, das van der Spyk durch seine Mitteilungen an Colerus der Nachwelt bewahrt hat. Sind auch die Einzelheiten nicht sehr reichhaltig, weil einem Beobachter entstammend, der seinen Mieter durchaus nicht gebührend zu würdigen vermochte, so zeugen sie doch für das treffliche Einvernehmen unter den Hausgenossen und von der ungetrübt wohlwollenden Gesinnung, die sie zu einander hegten.
Vor allen Dingen wird Spinozas sparsame und mäßige Lebensweise gerühmt und wie er stets bemüht gewesen mit seinen bescheidenen Einkünften auszulangen. Ihm genügte Weniges und nie wollte er dafür angesehen sein, jemals auf Kosten anderer gelebt zu haben. Mit seinen spärlichen Mitteln half er oft andern aus, und als ein Mann, der ihm zweihundert Gulden schuldete, insolvent geworden, soll Spinoza ganz gelassen und lächelnd geäußert haben: der Verlust müsse durch angemessene Einschränkung wieder eingebracht werden. Die Rechnung mit den Wirtsleuten wurde pünktlich jedes Vierteljahr beglichen, und so pflegte er von seinen jährlichen Einnahmen und Ausgaben, die stets in einander aufgingen, zu sagen, er sei darin wie die Schlange, die, den Schweif im Munde, einen Kreis bilde. Er habe es, sagte er auch, durchaus nicht auf eine vielwertige Nachlassenschaft abgesehen, ihm genüge es, wenn damit die Begräbniskosten für ihn bestritten werden könnten. Erbansprüche habe keiner an ihn zu stellen, am wenigsten seine Verwandten, zu deren Gunsten er selbst auf sein elterliches Erbe verzichtet hatte. Die eben genannten Biogr.
Einfach wie in seinen Gewohnheiten und Bedürfnissen, die eben so sehr der Wahrung seiner ihm stets kostbaren Arbeitszeit als der Rücksicht auf sein Befinden entsprachen, war er auch in seiner Kleidung, die schlicht bürgerlich war. Einem hervorragenden Staatsbeamten, der ihn besuchte und zur Anschaffung eines besseren Gewandes auf eigene Kosten sich erbot, erwiderte Spinoza dankend: es sei widersinnig nichtige oder wertlose Dinge in kostbare Hüllen zu stecken. Desgleichen.
Sein Tagewerk verlief zwischen Glasschleifen zu optischen Zwecken, das ihn ernährte, und den verschiedenen Beschäftigungen, die zu seiner wissenschaftlichen Thätigkeit gehörten. In allem herrschte die äußerste Regelmäßigkeit, und so war auch sein Gemütszustand von einem bewundernswerten Gleichmut. In seinen Gesprächen immer ruhig und sanft, blieb er stets Herr aller inneren Regungen, und wie er niemals von Zorn oder Verdruß sich bewältigen ließ oder wenigstens sich zurückzog, wenn ihm Unangenehmes zugestoßen, um damit keinen zu belästigen, so auch war er voll Teilnahme für seine Umgebung, freundlich und leutselig, zumal in Zeiten der Trübsal oder Krankheit, wo er den Mut seiner Hausgenossen mit Trost und herzlichem Zuspruch wieder aufzurichten suchte. Den Kindern im Hause war er besonders wohlgesinnt, ermahnte sie zur Frömmigkeit und gottwohlgefälligem Wandel und legte ihnen namentlich Gehorsam gegen die Eltern ans Herz. Zu diesen selbst pflegte er, von Studien und anstrengendem Denken ermüdet, mit seiner Pfeife zu traulichem Geplauder über allerhand Tagesereignisse herabzukommen. Häufig berührte die Unterhaltung auch religiöse Fragen und namentlich die Predigten eines damals beliebten Kanzelredners, Dr. Cordes, Vorgänger des vorhin genannten Colerus; bisweilen begleitete Spinoza seine Hausgenossen zu diesen Erbauungsstunden, weil er den würdigen Mann sowohl wegen seines makellosen Charakters wie auch wegen seiner verständigen Auslegung der Schrift hochschätzte. Mit besonderer Genugthuung erinnerte sich namentlich die Gattin des Malers der ihr von Spinoza gewordenen Antwort auf die Frage, ob sie mit dem Glauben, zu dem sie sich bekannte, selig werden könne. Ihre Religion ist gut, soll er gesagt haben, es thut nicht not, eine andere zu suchen oder an dem Heil in ihr zu zweifeln, sofern man sich der Frömmigkeit allein hingiebt und dabei ein friedliches und ruhiges Leben führt. Mitteilungen des Colerus.
Niemals war er seiner Umgebung irgend lästig oder im Wege, da er zumeist ganz still auf seinem Zimmer verblieb. Zu seiner Kurzweil pflegte er dort Spinnen einzufangen, die er mit einander kämpfen ließ, oder auch haschte er Fliegen, steckte sie ins Spinngewebe und beobachtete den Kampf, bei dem er manches Mal in lautes Gelächter ausbrach. Eine andere Unterhaltung bot ihm das Zeichnen, das er mit genügender Geschicklichkeit auszuüben verstand, um die Gesichtszüge von Freunden und Bekannten treffend wiederzugeben. Ein derartiges Album war nach Spinozas Tode in den Besitz seines ehemaligen Hauswirtes übergegangen. Bei diesem sah es Colerus und erzählt: das vierte Blatt zeigt einen Fischer im Hemde, ein Netz über der rechten Schulter und offenbar den aufständischen Masaniello zu Neapel darstellend. Nach der Versicherung des Malers van der Spyk habe der Zeichner seine eigenen Gesichtszüge dieser Figur geliehen. Die Bilder seien teils mit der Feder, teils mit Kohle hergestellt gewesen. Colerus.
Im übrigen dürfte Spinoza, den Umständen und seinen bescheidenen Gewohnheiten gemäß, die Lebensweise eingehalten haben, die er in seiner bis dahin noch unveröffentlichten Ethik Eth. IV. Prop. 45. als die beste empfiehlt. Eine gewisse Heiterkeit des Gemüts, heißt es da, gehört zur menschlichen Vollkommenheit, denn Trauer und Trübsal sind Zeichen der Ohnmacht und des Unvermögens. Wenn es sich zieme Hunger und Durst zu stillen, müsse es auch zulässig sein den Unmut zu bannen: was das Leben biete an Dingen, die jeder ohne eines andern Schaden genießen mag, sei zu verständigem Genuß da, nicht bis zum Ekel, bei dem jeder Genuß aufhört, wie auch anderseits nur finsterer und trübseliger Aberglaube Freude und Genuß verbieten könne. Jeder Verständige erquicke und erfreue sich an mäßiger und angenehmer Speise und Trank sowie an Geruch und Lieblichkeit grünender Pflanzen oder an Schmuck, aber nicht minder an Musik, Kampfspielen, Theater und sonstigen Lustbarkeiten, die der geistigen Thätigkeit förderlich sind.
Zu Kurzweil der Art mochte jedoch kaum irgend welche Gelegenheit gewesen sein während der Jahre, die Spinoza bei van der Spyk zubrachte. Der französische Krieg, dessen Beginn mit seinem Einzug in jenes Haus zusammenfiel und dessen Ende er nicht einmal erleben sollte, hielt den Sinn der Bevölkerung vorwiegend auf die Abwehr des Feindes gerichtet und bedingte eine dementsprechende Stimmung und Lebensführung. Von der allgemein herrschenden Aufregung sollte Spinoza selbst unmittelbar überzeugt werden.
Etwa im Spätsommer des Jahres 1672 erging an ihn eine Aufforderung vom Prinzen Condé, Oberbefehlshaber der französischen Occupationsarmee, ihn in dessen Hauptquartier in Utrecht zu besuchen. Der berühmte Feldherr, wird uns erzählt, habe die persönliche Bekanntschaft des Philosophen machen wollen, von dem so viel die Rede war. Nach längerem Zögern entschloß sich Spinoza zu dieser Reise, für die er einen besonderen Geleitsbrief vom Prinzen ausgefertigt bekommen. Inzwischen war dieser aber abberufen worden, hatte jedoch die Weisung zurückgelassen, Spinoza möge seine Wiederkehr abwarten. Das noch in Utrecht gebliebene Gefolge bot alles auf, Spinoza zum Verweilen zu überreden und meinte, er dürfe die Zusammenkunft mit dem Prinzen nicht versäumen, weil dieser beim Könige ein Jahrgehalt für ihn auswirken würde, wenn er seinerseits sich entschließe, »allerhöchstdemselben« eines seiner Werke zu widmen. Um solchen Huldbeweis war es Spinoza nicht zu thun, er lehnte das Anerbieten höflich aber entschieden ab und reiste schleunigst nach dem Haag zurück. Nach Colerus. – Gegen diese Angabe äußert Hr. v. d. Linde, biogr. Einl. zu seiner Monographie über Sp. S. XVII f., die Vermutung, Spinoza habe seinem Wirt die Wahrheit verschwiegen, indem er Aussagen giebt, laut welchen Sp. den Prinzen Condé, trotz der seinem befreundeten Hauswirt gegebenen Erklärung, wirklich getroffen und mehrere Tage in dessen Gesellschaft zugebracht hätte. Wenn Hr. v. d. Linde sonst allen Mitteilungen des Colerus unbedingten Glauben schenkt (vrgl. Anmrk. 35 zu Kap. 1), so will es befremdl. scheinen, daß er hier, wo er sich nur auf » On dits« berufen kann, eine Ausnahme macht. Bei dem herzl. Verhältnis, das zw. Sp. und der Malerfamilie am Paveljoensgracht bestand, bleibt es ganz unfaßbar, weshalb er den Mann belogen hätte mit der Angabe, der Prinz sei verreist gewesen, als er in Utrecht angekommen. Leider ist das umfassende Werk des Herzogs von Aumale über das Geschlecht der Condé bis jetzt nicht so weit vorgeschritten, um über das Verweilen des Prinzen in den Niederlanden Aufschlüsse zu geben. Hat eine Zusammenkunft zwischen dem Feldherrn und dem Philosophen thatsächlich stattgehabt, so wird der Vorfall unzweifelhaft in dem genannten Werke zur Sprache kommen. Bis zu der dort zu gewärtigenden Aufklärung bleibt es bei der durch Sp. an v. d. Spyck gemachten Mitteilung, daß keine Begegnung stattgefunden.
Hier wieder eingetroffen, fand Spinoza das abscheuliche Gerücht über sich im Umlauf, daß er französischer Spion sei, da eine so offenbare Verbindung wie er sie mit dem Feinde unterhielte, zweifellos nur Staatsangelegenheiten betreffen könne; es sei auch im Stillen erwogen worden, ob man sich nicht eines so gefährlichen Menschen entledigen müsse. Nachbarschaftliche Neugier und vielleicht auch unnötige Mitteilsamkeit seitens der Hausleute dürften das Gerede heraufbeschworen haben, dessen momentane Lebendigkeit, durch die allgemein herrschende Unruhe verschärft, den Hauswirt befürchten ließ, daß der Pöbel sein Haus mit Gewalt stürmen und plündern möchte. Spinoza aber beruhigte und tröstete ihn so viel wie möglich. Fürchten Sie meinetwegen nichts, sagte er unter anderem, es ist mir leicht, mich zu rechtfertigen: Leute genug und von den ersten des Landes wissen wohl, was mich zu dieser Reise bewog. Dem sei aber wie ihm wolle; sobald das Volk den geringsten Lärm vor Ihrer Hausthür macht, werde ich sofort zu ihnen hinaustreten, und sollten sie auch mit mir genau so verfahren wie mit den unglücklichen de Witts. Ich bin ein guter Republikaner und habe nie anderes im Sinn, als den Ruhm und das Heil des Staates. Auch dieser von Colerus überlieferte Vorfall erhält bei Hr. v. d. Linde a. a. O. eine für Spinozas Charakter wenig ehrenhafte Beleuchtung. Statt in dessen Äußerung den Nachhall seiner Empörung über die an den Brüdern de Witt verübte Grausamkeit, sieht Hr. v. d. Linde darin ein hohles Prahlen, was allerdings einen Schluß auf etwaige Hasenherzigkeit bei dem von ihm bemäkelten Denker gestattet.
Die Befürchtungen der Hausleute erwiesen sich als ungegründet: alles blieb ruhig und Spinoza konnte unbehelligt seinem gewohnten Leben nachgehen, ohne sich weiter um das Treiben in der Außenwelt zu kümmern. Zu Anfang des folgenden Jahres sollte er wiederum daran erinnert werden, daß, wenn auch er seinerseits der Welt nicht nachfrage, so doch sie ihr Augenmerk auf ihn gerichtet habe.
Im Februar 1673 ließ nämlich Kurfürst Karl Ludwig von der Pfalz ihm die Professur für Philosophie und Mathematik an der seit zweiundzwanzig Jahren durch ihn wieder eröffneten Universität Heidelberg antragen. An dieser Hochschule hatte der aufgeklärte und staatskluge Wiederhersteller der Pfälzer Lande eine Reihe bedeutender Lehrkräfte zu versammeln gewußt. Für Samuel Pufendorf hatte er eigens den Lehrstuhl für Naturrecht geschaffen, neben ihm glänzte als Professor des Staatsrechts Heinrich Cocceji, der Vater des späterhin um die Rechtspflege in Preußen hochverdienten Kanzlers Friedrichs des Großen; die theologische Fakultät zählte den hervorragenden Orientalisten Johann Heinrich Hottinger, den als Kirchenhistoriker hervorragenden Friedrich Spanheim und den durch seine Toleranz und Charaktergediegenheit ausgezeichneten Johann Ludwig Fabricius zu ihren Vertretern Joh. Ludw. Fabritius war der Sohn eines Schullehrers in Schaffhausen, am 29. Juli 1632 geboren, studierte zu Köln alte Sprachen und Philosophie, dann Theologie zu Leyden, wo er 1659 promovierte. Im folgenden Jahre wurde er Prof. d. system. Theol. zu Heidelberg, von wo er 1674 durch die damaligen Kriegsbedrängnisse vertrieben wurde. Er starb 1696 zu Frankfurt a. M. – Es sei uns gestattet eine bei Ginsberg anläßl. d. betrfd. Briefes an Sp. mitgeteilte Personenangabe zu berichtigen. Spinoza sollte seine Antwort an den kurfürstl. Vertreter im Haag, Dr. Grotius, gelangen lassen. Über diesen heißt es S. 64 der Personalangabe bei Ginsberg, es sei der 1645 in Rostock verstorbene Hugo Grotius gewesen. Diese Jahreszahl allein hätte den Herausgeber stutzig machen sollen, denn es handelt sich ja um ein Schreiben aus dem Jahre 1673. Der darin bezeichnete Mann war der zweite Sohn des berühmten Hugo de Groot, Pieter mit Namen, 1615 geboren, 1637 zu Leyden promoviert, seit 1648 Rat und Resident des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, und dürfte den Posten bei noch anderen diplom. Aufträgen bis zu seinem Tode in den 80er Jahren bekleidet haben. (Nach briefl. Angaben d. Prof. Land im Haag).. Der Letztgenannte war mit dem Antrag an Spinoza betraut worden: ihm ward die gleiche Besoldung wie den übrigen ordentlichen Professoren zugesichert, dazu »die ausgedehnteste Freiheit zu philosophieren, vorausgesetzt, daß er sie nicht zur Störung der von Staatswegen bestehenden Religion mißbrauchen würde«. Man hat auf diese Einschränkung besonderes Gewicht legen wollen; mit Unrecht: sie war eine allgemein an der Hochschule geltende und jeden ihrer Lehrer verpflichtende Bestimmung Vrgl. Bd. 15 d. allgem. deutschen Biographie, Art. Karl Ludw. v. d. Pfalz, S. 329..« Ob für die Wahl Spinozas dessen vor zehn Jahren herausgegebene Darstellung der Philosophie Descartes' allein ausschlaggebend war, oder der Kurfürst auch den inzwischen erschienenen theologisch-politischen »Traktat«, dessen Urheberschaft nicht lange geheim blieb, gelesen und gewürdigt hatte, läßt sich nicht ermitteln, wiewohl ein richtiges Verständnis dieser hochbedeutenden Schrift dem freisinnigen und auf der Höhe der Bildung seiner Zeit stehenden Fürsten wohl zuzutrauen wäre.
Spinozas ablehnende Antwort betont vorwiegend, daß er eine öffentliche Lehrthätigkeit niemals beabsichtigt habe und die Übernahme einer solchen ihn an der Fortbildung der Philosophie hindern würde, die mit dem Unterrichte vom Katheder aus unvereinbar sei. Ferner wisse er nicht, innerhalb welcher Grenzen jene Freiheit zu philosophieren gehalten sein müsse, damit er die von Staatswegen bestehende Religion nicht stören zu wollen scheine; derartige Konflikte, meinte er, entstehen nicht so sehr aus wahrhaftem Religionseifer, als vielmehr aus mannigfachen Leidenschaften und aus Rechthaberei, die auch das richtig Gesagte verdrehen und verdammen könne. Hinlänglich habe er das in seinem Privatleben erfahren und müsse befürchten, bei einer öffentlichen Thätigkeit dem noch mehr ausgesetzt zu sein. Nicht in der Erwartung anderweitiger äußerer Vorteile lehne er ab, sondern lediglich aus Liebe zur Ruhe, die er noch gewissermaßen bewahren zu können glaube, wenn er sich eines öffentlichen Lehramtes enthalte, so sehr er auch die ihm seitens des Kurfürsten gewordene Auszeichnung zu würdigen wisse. Spinozas Antwort v. 30. März 1673. (Auerb. Übers. Bd. 2, S. 407).
Von all den wohlerwogenen Bedenken abgesehen, die Spinozas Entscheidung bestimmten, hatte ihn sein guter Stern dadurch vor schwerem äußeren Ungemach bewahrt. Kaum ein Jahr nach der ihm gewordenen Berufung ward die Pfalz den ruchlosen Verwüstungen der Franzosen ausgesetzt, die Universität geschlossen und ihre Lehrer vertrieben, unter ihnen auch jener mit der kurfürstlichen Anfrage betraut gewesene Fabricius, der fortan, länger als volle zwei Jahrzehnte, das hartbedrängte Leben eines Flüchtlings führen mußte. Vrgl. oben Anmrk. 14.
Daß Spinoza seinerseits gegen eine durch Rücksichtnahme auf herrschende Religionslehren beschränkte Freiheit des Philosophierens Bedenken trug, wird wohl erklärlich durch die unliebsamen Erfahrungen, welche er mit seinem theologisch-politischen Traktat gemacht hatte. Trotz seiner Bemühungen, die Theologie von der Philosophie streng abzugrenzen und jener das riesige Gebiet des Alltagslebens und dessen mannigfachen Beziehungen zuzuweisen, während die Philosophie nur den auserwählten Jüngern der Wissenschaft vorbehalten sein sollte, hatten die Vertreter der Landeskirche einen furchtbaren Lärm gegen das Buch erhoben. Sie beuteten es für ihr Gezänk mit den Anhängern der Philosophie Descartes' aus, indem sie Spinozas Buch als deren rechtmäßigen Ausdruck erkennen wollten. Dies wiederum verdroß die Schule Descartes', und so ließ man es sich von hier aus angelegen sein, die spinozische Schrift aufs ärgste zu verschreien und zu verdächtigen. Die Haltung gegen diese wurde um so erbitterter, als die Orthodoxie entschlossen war, den neu entbrannten Streit zu ihrem Vorteil auszubeuten und jegliche »Ketzerei« von den akademischen Lehrstühlen und Kanzeln zu vertilgen, wie solche in der dauernden Pflege der Philosophie Descartes' oder in einer freieren Schriftauslegung durch aufgeklärte Geistliche geübt wurde. Wesentlich beteiligt an dieser Bewegung war der nämliche Gisbert Voëtius, der dreißig Jahre früher gegen Descartes selbst gewütet hatte und nun wiederum dessen Schule befehdete, während diese bei ihren Angriffen gegen Spinoza zugleich auf die Wahrung ihrer eigenen Stellung bedacht sein mußte. Bouillier, Hist. phil. Cartés. Vol. 1, S. 402 f. – Vrgl. hier oben Anmrk. 34 zu Kap. 2.
Für Spinoza lag hierin gewissermaßen ein Vorteil, und so war es ganz richtig, daß er seinerseits sich jeder Beteiligung an dem Streite enthielt. Im Sommer 1674 war eine gegen seinen Traktat gerichtete Schrift des drei Jahre vorher schon gestorbenen Utrechter Professors Regner van Mansveld erschienen. Prof. d. Metaphysik u. Ethik zu Utrecht. Ich sah sie im Buchladen ausgelegt, schreibt Spinoza einem Freunde, Brief v. 2. Juni 1674 (Auerb. Übers. Bd. 2, S. 404). und nach dem Wenigen, was ich darin gelesen, halte ich sie nicht des Lesens, viel weniger der Erwiderung wert. Ich ließ also das Buch und seinen Verfasser. Lächelnd überdachte ich, daß die Unwissendsten oft die Kecksten und Schreibelustigsten sind. Eine Widerlegung seiner Gegner hat Spinoza niemals im Sinne gehabt. Nur als er bei sonst wohlwollenden und im Ganzen einsichtigen Lesern – unter ihnen auch bei seinem Freunde Oldenburg Im Briefwechsel zeigt sich eine Lücke von 10 Jahren (vrgl. Auerb. Übers. Bd. 2, S. 290), ohne daß ein Abhandenkommen gewechselter Briefe anzunehmen wäre. Der tract. theol. polit. hatte Oldenburgs Interesse für Sp. merklich abgekühlt. Er war von jenen Freisinnigen in Sachen der Religion, die es, bei allem Unwillen gegen die Zeloten, doch mit dem Glauben als solchem nicht verderben mögen. – Mißverständnisse und absonderliche Deutungen gefunden, war er bedacht die Abhandlung mit einigen Anmerkungen zu erläutern, um die dagegen gefaßten Vorurteile möglichst zu beseitigen. Dieses Vorhaben, nicht nur im Briefe an Oldenburg vom Frühherbst 1675 (Auerb. Übers. Bd. 2, S. 293), sondern auch in dem spätesten der auf uns gelangten Briefe Spinozas (Nr. 75 b. Auerb. Bd 2, S. 463) erwähnt, ist auch zur Ausführung gelangt. Anfang unseres Jahrhunderts wurde zu Amsterdam ein mit solchen Anmerkungen u. Erläuterungen von Spinozas eigener Hand versehenes Exemplar seines Tract. theol. polit. entdeckt und publiziert, dreißig Jahre später ein anderes in Königsberg an d. Universit.-Bibl. gefunden und ebenfalls durch den Druck bekannt gegeben.
Zunächst war es ihm um eine andere Leistung zu thun: die jener Abhandlung wegen zurückgelegte philosophische Arbeit, die ihn bereits in Rhynsburg beschäftigt hatte und großenteils abschriftlich dem engeren Freundeskreise mitgeteilt worden war. Es wird, und wohl nicht mit Unrecht, angenommen, daß er sie nach erfolgter Drucklegung des »Traktates« einer abermaligen Umarbeitung unterworfen habe. Im Sommer 1675 scheint er damit zum Abschluß gelangt zu sein und seinen Freund Oldenburg davon benachrichtigt zu haben, um gleich darauf die Veröffentlichung vorzunehmen.
Ich war nach Amsterdam gereist, schreibt er ihm im Frühherbst des nämlichen Jahres, Brief 19 b. Auerb. Bd. 2, S. 292. in der Absicht das bewußte Buch dem Druck zu übergeben. Da ward überall das Gerücht ausgesprengt, es sei ein Buch über Gott von mir unter der Presse, worin ich zeigen wolle, daß es keinen Gott gebe. Einige Theologen, mutmaßlich selbst Urheber dieses Gerüchtes, beeilen sich nun mich beim Statthalter und den Behörden zu verklagen, während die bornierten Cartesianer, weil man sie beschuldigt meinen Lehren zu huldigen, diesen Verdacht durch unablässiges Verwünschen und Verunglimpfen meiner Ansichten und Schriften von sich abzuwälzen suchen. Von verläßlicher Seite ist mir versichert worden, daß mir die Theologen überall nachstellen; so beschloß ich denn, die geplante Herausgabe einstweilen zu verschieben. Die Sachlage scheint vorderhand höchst ungünstig und ich bin ungewiß, was ich nun thun soll.
Die Veröffentlichung unterblieb und erfolgte erst nach dem Ableben Spinozas. Inzwischen sollte noch im nämlichen Jahre ein anderer Verdruß die Verderblichkeit theologischer Ränke ihm offenbar machen.
Bei der Schilderung seines Aufenthaltes zu Rhynsburg wurde seines jungen Hausgenossen Albert Burgh gedacht, dessen Studien Spinoza zu leiten übernommen hatte. Wir erinnern uns, daß Spinoza dem jungen Manne gegenüber eine gewisse Zurückhaltung für ratsam erachtete, indem er seine ältern Freunde ermahnte, den Jüngling nicht mit seinen Ansichten bekannt zu machen, wie er ja auch seinerseits ihn nur in die Lehre Descartes' eingeweiht hatte. Weiteres über ihre gegenseitigen Beziehungen ist eben so wenig bekannt, wie über die fernere Gestaltung der Lebensschicksale von Spinozas ehemaligem Hausgenossen, bis auf einen Umstand, der einen einmaligen Briefaustausch zwischen ihnen veranlaßte.
Albert Burgh wird Anfang 1675 eine längere Reise angetreten haben, die ihn nach dem Süden und dort in den Schoß der alleinseligmachenden Kirche geführt hatte. Derlei Vorgänge waren auf Seiten geborner Protestanten bekanntlich keine Seltenheit in der zweiten Hälfte des XVII. Jahrhunderts, wo das Beispiel einer Christine von Schweden bei den englischen Stuarts willige Nachahmung gefunden, denen wiederum die Höfe von Hannover und der Kurpfalz folgten. Der Übertritt zum Katholizismus schien eine Art Anstandssache werden zu wollen, die gleichsam als Zeichen feiner Lebensart und höherer Gesittung betrachtet wurde, wie denn in der That eine Reihe hochangesehener Persönlichkeiten der damaligen Zeit – wir erinnern nur an Turenne und die nachmals allmächtige Frau von Maintenon – das Abschwören der protestantischen Konfession mit ihrem Ansehen geadelt hatten. Haltungslose und eitle Gemüter wurden hierdurch der priesterlichen Überredung zugänglicher und mochten in dem Übertritt zu der so bevorzugten römischen Kirche jene Art von Befriedigung genießen, wie sie die evangelische Parabel vom Pharisäer und Zöllner so treffend veranschaulicht.
Einen so gearteten Konvertiten haben wir in Spinozas ehemaligem Schüler vor uns. Indem er ihn von seinem in Florenz vollzogenen Übertritt benachrichtigt, ermahnt er seinen Lehrer – in recht befremdender Redeweise – er möge, wenn er an den gekreuzigten Christus glaube, seine ruchlose Ketzerei einsehen und sich wiederum mit der Kirche vereinen. Er zieht gegen dessen »Buch mit jenem gottlosen Titel, wo er seine Theologie und Philosophie in einander gemengt hat« zu Felde, stellt dem »angeblichen« Recht freier Schriftauslegung, »das sämtliche Ketzer ohne Unterschied beanspruchen und eben darum elend und im Schatten des Todes weilen«, die Notwendigkeit einer Unterwerfung unter die vom Heiland und seinen Aposteln der römischen Kirche allein übertragenen lebendigen Belehrung entgegen, für deren nimmer versagende und nimmer versiegende Wahrheit zahllose Propheten, Apostel, heilige Kirchenväter, Märtyrer, Kirchenlehrer, überzeugte Bekenner jeglichen Standes, Alters und Geschlechts in Gesinnung und Lebenswandel für und für gezeugt hätten. Wie an Gott und seinen eingeborenen Sohn, der im Fleische auf Erden gewandelt, haben diese Unzähligen skrupellos geglaubt an Wunder und gottbegnadete Offenbarungen, deren es auch immerdar noch giebt für den, der Augen hat sie zu sehen und Ohren sie zu hören. Und diese tausendfältig bezeugten Wahrheiten erdreiste er sich, »ein armseliges Menschlein, ein niedriges Erdenwürmlein, ja Staub, der Würmer Speise,« mit seiner angemaßten Weisheit zu prüfen und in Zweifel zu ziehen? Wie dürfe er, »ein von teuflischem Hochmute aufgeblasener jämmerlicher Mensch, über die furchtbaren Mysterien des Lebens und Leidens Christi frech urteilen?« Er solle der schrecklichen und unsagbar schweren Strafe eingedenk sein, wodurch die Juden zu äußerstem Elend und Ungemach herabgesunken, weil sie die Urheber der Kreuzigung Christi gewesen, und möge beachten, wie die göttliche Vorsehung den wahren Glauben durch den Wechsel der Zeiten hindurch immer sieghaft geschirmt und erhalten habe. Dies beweise das Alter dieser Kirche, die bereits sechzehn und ein halbes Jahrhundert bei ununterbrochener Reihenfolge ihrer die apostolisch reine Lehre hütenden Oberhirten bestehe; ihre Unveränderlichkeit, die alle eitle und vorübergehende Meinungsverschiedenheit überdauert habe; ihre Unfehlbarkeit, die ihrer von Christus ihr verliehenen Gewalt entspreche; ihre Einheit, die alle ihre Bekenner überall und gleichzeitig all ihrer Segnungen und Gnadenmittel teilhaben lasse; ihre ungeheuere Verbreitung über die ganze Welt, worin sie von keiner Glaubensgenossenschaft erreicht werde; ihre Dauer bis ans Ende der Tage, wo sich das grausame Loos aller derer zeigen werde, die ihres Heils nicht teilhaft geworden oder in schnöder Überhebung sich von ihr losgesagt oder sonstwie sich ihr entzogen haben.
Gehen Sie in sich, Sie Philosoph – heißt es zu Ende der überaus weitläufigen Epistel Brief 73 b. Auerb. Bd. 2, S. 447 ff. – erkennen Sie Ihre weise Thorheit und Ihre thörichte Weisheit; werden Sie aus einem Hochfahrenden ein Demütiger, und Sie werden geheilt sein! Beten Sie Christum an in der hochheiligen Dreieinigkeit, daß er sich gnädig Ihres Elends erbarme, und er wird Sie aufnehmen. Belehren Sie sich durch die Schriften der heiligen Väter und Kirchenlehrer, damit Sie das ewige Leben erlangen, und ziehen Sie Katholiken zu Rate, wohlbewandert in ihrem Glauben und rechtschaffen in ihrer Lebensführung, und Sie werden vieles vernehmen, was Sie nie gewußt und worüber Sie staunen werden. Aus wahrhaft christlicher Absicht habe ich mich jetzt an Sie gewandt, aus Liebe zu Ihnen, wiewohl Sie ein Heide sind, und um Sie zu bitten hinfort nicht andere vom rechten Pfade abzulenken. Geben Sie Ihre vermessene verblendete Philosophie auf! Gott will Ihre Seele der ewigen Verdammnis entreißen, wenn nur Sie wollen; stehen Sie nicht an dem Herrn zu gehorchen, der Sie oft genug durch andere gerufen und jetzt wieder, vielleicht zum letzten Male, durch mich ruft, der ich diese Gnade von seiner unaussprechlichen Barmherzigkeit selbst erlangt habe und sie Ihnen von ganzer Seele wünsche. Weigern Sie sich nicht den Ruf Gottes zu hören, damit nicht sein Zorn wider Sie entbrenne und Sie das bejammernswerte Opfer der göttlichen Gerechtigkeit werden mögen.
Anfangs gesonnen, hierauf nicht zu antworten, that es Spinoza doch Brief 74, Auerb. Übers. Bd. 2, S. 458 f. Hier ist eine Ungenauigkeit in der Wiedergabe d. lat. Textes durch Auerbach zu berichtigen. Er übersetzt den von Sp. gebrauchten Ausdruck parentes bei der Bezugnahme auf die Glaubensgräuel unter Herzog Alba mit Eltern, statt Vorfahren. Ein um 1675 etwa 25 Jahre zählender junger Mann kann unmöglich Sohn von Leuten sein, welche ihrer Gewissensfreiheit wegen durch jenen Wütrich zu leiden gehabt, der schon 1573 aus den Niederlanden abberufen wurde. auf Zureden von Freunden, die wie er von der Begabung des jungen Mannes viel gehofft, und aus Rücksicht für dessen Familie, die durch seinen minder wohl erwogenen Schritt tief betrübt war. Er erinnerte ihn daran, daß kein Bekenntnis ausschließliches Vorrecht auf den Besitz rechtschaffener Menschen oder solcher habe, die ihrer Überzeugung wegen das härteste Geschick ertrügen, wie dies auch Albert Burghs eigene Voreltern gezeigt, die unter Herzog Alba mit unerschütterlicher Standhaftigkeit und Seelenfreiheit Qualen aller Art für ihre Religion zu erdulden gehabt. Wahre Gläubigkeit bestehe nur in Gerechtigkeit und Liebe; wo diese vorhanden, sei auch Christus, wo sie fehlen, fehle er: das allein sei der Geist Christi, was darüber hinaus liege, bloßer Aberglaube. Dessen sei auch sein Schreiben ein Beweis. Mit der Erbitterung, wie sie der von ihm erwählten Kirche eigen, fluche und wüte er gegen Andersdenkende, dem Vorbilde der dort gelehrten Gottheit gemäß, die es zulasse, daß ein ihr feindlicher Geisterfürst die armen Menschen ungestraft verführe und betrüge, die beklagenswerten Opfer selbst jedoch dafür bestrafe. Alle Vorzüge, die er dieser nämlichen Kirche nachrühme, ihr Alter, ihre Unveränderlichkeit, ihre Unfehlbarkeit und große Verbreitung, könne mit größerem Recht das Judentum für sich beanspruchen, das seinen Ursprung vom Anbeginn der Welt herleite und trotz Haß und vielfacher Verfolgung sich unverändert erhalten habe; und was die von ihm bewunderte wandellose Ordnung der römischen Kirche betreffe, die übrigens erst sechs Jahrhunderte nach Christus ihren Abschluß erhielt, so habe es der Islam darin noch viel weiter gebracht, dessen Stabilität wohl mancher auch für die christlichen Glaubenszustände wünschen möchte. Jeder Möglichkeit zu einem richtigen Urteil in Sachen des Glaubens und der Überzeugung habe sich aber der Konvertit begeben, der nicht aus Liebe zu Gott, sondern aus Furcht vor der Hölle, wie dies sein Brief genügend bezeuge, sich jener Kirche zugewandt und nur darin seine Demut bethätige, daß er, auf eigenes Urteil verzichtend, andern das glaube, was der vernünftigen Prüfung nicht Stand halte, und den der Anmaßung und des Hochmuts bezichtige, der die Vernunft gebrauche und auf dieses wahrhafte Wort Gottes, das im Geiste ist und nie verfälscht und verderbt werden kann, sich verlasse, statt sie widersinnigen Lehren zu opfern und solche für um so glaubwürdiger und heilsamer zu halten, je mehr sie der Vernunft widerstreiten.
In dem Abtrünnigen hatte Spinoza nur einen ehemaligen Schüler zu bedauern, keinen Anhänger, denn von seiner Philosophie, die er ohne weiteres zu verdammen sich erlaubte, war demselben, wie die an ihn gerichtete Erwiderung ausdrücklich besagt, Zu Ende des mehrgedachten Antwortschreibens. Vrgl. dazu Anmrk. 16 zu Kap. 2 hier oben. nie etwas zu Gesicht gekommen. In seine Lehre hatte Spinoza nur einige Auserwählte eingeweiht, zu denen jener niemals gehört hatte.
Eben diesem Kreise war im Jahre 1674 ein reich begabter und strebsamer junger Deutscher beigetreten, damals dreiundzwanzigjährig und von Leyden kommend, wo er Mathematik und Naturwissenschaften studiert hatte und auch in die Philosophie Descartes' eingeweiht worden war. Freiherr Ehrenfried Walter von Tschirnhausen, Er war am 10. April 1651 auf Königswalde in Oberlausitz geboren, woselbst er am 10. Okt. 1708 verstarb. so hieß der späterhin um die sächsische Glasindustrie sowie durch seine Beteiligung an der Entdeckung des Meißner Porzellans verdient gewordene junge Mann, war in Amsterdam mit Spinozas Freunden in Berührung gekommen und hatte an dessen Lehre ein so lebhaftes Interesse genommen, daß ihm Abschriften der den Eingeweihten anvertrauten Manuskripte bewilligt wurden. Über den Gesichtskreis der von ihm zuerst erfaßten Lehre Descartes' vermochte sich Tschirnhausen nicht zu erheben, wiewohl er den bedeutsamen Folgerungen, die Spinoza aus ihr gezogen, seine Zustimmung nicht verweigern konnte. Es entspann sich ein hierauf bezüglicher Briefwechsel mit dem Philosophen, der es an eingehender Belehrung für seine Korrespondenten nicht fehlen ließ. Tschirnhausen beharrte aber in der seinerseits für möglich gehaltenen Vermittelung zwischen den Lehren Descartes' und Spinozas und entwickelte solches in seinem nunmehr vergessenen und lediglich als Zeitprodukt noch beachtenswerten Buche Medicina mentis – etwa soviel wie »Heilkunde des Geistes« – betitelt und 1686 in Amsterdam erschienen, wo Spinozas unvollendete Schrift über die Berichtigung des Verstandes eine vielfältige Verwendung findet, jedoch ohne daß dieser Quelle irgend Erwähnung geschieht. Das mag eine wohl zu entschuldigende Vorsicht seitens des Autors gewesen sein, der seine Beziehungen zu dem verpönten und mittlerweile auch gestorbenen Spinoza nicht dem Unwillen voreingenommener Beurteiler preisgeben wollte. Für Spinoza selbst hat er stets die größte Verehrung gehabt und dafür auch dessen ungeteiltes Wohlwollen erfahren; durch ihn wurde er an Oldenburg in London und an Huygens in Paris empfohlen, bei denen er die bereitwilligste Förderung finden sollte. Seine Korrespondenz mit Spinoza durch v. Vloten thatsächl. festgestellt. Die Briefe selbst schon früher, mit Weglassung des Namens veröffentlicht.
Nach Paris hatte Tschirnhausen von Oldenburg eine Empfehlung an den dort bereits seit 1672 weilenden Leibniz erhalten, mit dem er alsbald innige Freundschaft schloß, nicht zum wenigsten durch ihr beiderseitiges Interesse für Spinoza veranlaßt. Leibniz schätzte nicht nur dessen Erstlingswerk über Descartes und namentlich das darin bewährte Geschick im Handhaben der geometrischen Methode; er hatte auch die theologisch-politische Abhandlung sogleich nach ihrem Erscheinen gelesen und sogar, als ihm der Name des Autors im Frühling 1671 kund geworden, von Frankfurt aus eine Anknüpfung mit ihm gesucht. Zunächst hatte er sich mit einigen die Optik betreffenden Fragen an ihn gewandt und eine höfliche Erwiederung erhalten. Als er ihm aber auch über die vielbesprochene Abhandlung selbst geschrieben, erfolgte hierauf, wie es scheint, keine Antwort; mutmaßlich weil Spinoza dem Fremden gegenüber seine Anonymität gewahrt sehen wollte. Im Verkehr mit Tschirnhausen und Huygens wird dieser Umstand zur Sprache gekommen, die Aufsehen erregende Schrift selbst und das sonstige Wirken ihres Verfassers erörtert worden sein. Dies mag Leibnizens Teilnahme für den einsamen Denker im Haag erhöht und allgemach auch das Verlangen nach unmittelbarem Verkehr mit ihm angeregt haben. Hierzu wird Tschirnhausen durch Vermittelung der Freunde in Amsterdam haben verhelfen wollen. Das nähere Kap. 3 bei L. Stein, Leibniz und Spinoza, Berlin 1890.
Von dort wurde im November 1675 an Spinoza berichtet, Tschirnhausen habe sich in Paris, wo er um die Sommerzeit eingetroffen war, mit Leibniz befreundet und in ihm einen ebenso liebenswürdigen wie ausnehmend gelehrten und in verschiedenen Wissenschaften wohlunterrichteten Mann gefunden, der namentlich von den gewöhnlichen theologischen Vorurteilen durchaus frei sei und eben deshalb eine genauere Einsicht in die Philosophie Spinozas haben möchte. Hieran knüpfte sich die Bitte, jenem wißbegierigen und kenntnisreichen jungen Gelehrten die nur dem engeren Freundeskreise anvertrauten Schriften Spinozas mitteilen zu dürfen. Einstweilen habe Tschirnhausen, dem gegebenen Versprechen getreu, über diesen Ausweg zu eingehender Belehrung geschwiegen und würde es auch fernerhin thun, falls seine Bitte nicht berücksichtigt werden könnte, wiewohl er, auf den Edelmut des Meisters vertrauend, an deren Erfüllung nicht zweifeln möchte. Die hierauf bezügl. Briefe b. Auerb. Bd. 2, Nr. 51, 52, 65, 65a.
Hierauf antwortete Spinoza unverzüglich: Jenen Leibniz, von dem Sie schreiben, glaube ich aus Briefen zu kennen, aber weswegen er, der in Frankfurt Rat war, nach Frankreich gereist ist, weiß ich nicht. So viel ich aus seinen Briefen entnehmen konnte, schien er mir ein Mann freien Geistes und in allem Wissen wohlbewandert zu sein. Jedoch ihm meine Schriften so schnell anzuvertrauen, halte ich nicht für geraten. Ich wünsche vorher zu wissen, was er in Frankreich vorhat, und das Urteil unseres Tschirnhausen zu hören, nachdem er ihn öfter besucht und seinen Charakter genauer kennen gelernt hat. Ein später aufgef. Brief Spinozas v. 18. Novbr. 1675, b. Auerb. mit 65b bezeichnet.
Etwa ein Jahr noch verbrachte Leibniz, mit mathematischen und physikalischen Studien und Forschungen beschäftigt, in Paris, begab sich dann nach London, wo er nur einen Monat verweilte, um danach zwei Monate in Holland zuzubringen. Hier trat er sofort mit dem Freundeskreise Spinozas in Verbindung, an den ihn Tschirnhausen oder Oldenburg gewiesen haben mochte. Von hier aus hoffte er die ersehnte Annäherung zu dem mißtrauischen und unzugänglichen Spinoza leichter bewerkstelligen zu können. Zur besseren Orientierung über dessen Lehre wurden ihm wohl in Amsterdam zunächst Abschriften einiger an Oldenbürg gerichteter Briefe gegeben, die Leibniz, wie kürzlich aus seinem Nachlaß erwiesen ward, eigenhändig für sich kopiert und mit etlichen Randbemerkungen versehen hat. Ferner ward ihm, offenbar weil Spinoza bei seiner anfänglichen Weigerung noch beharrte, nur ein gedrängter Auszug der Hauptstücke seiner Ethik übergeben, der sich ebenfalls, mit Noten von Leibnizens Hand, in dessen Nachlaß gefunden hat. Während Leibniz nun solcherart sich mit der Philosophie Spinozas vertrauter zu machen suchte, waren die amsterdamer Freunde bemüht, Spinozas Bedenken gegen den Empfang des nunmehr zum Bibliothekar und Rat des Herzogs von Hannover ernannten Leibniz zu heben. Es gelang schließlich, und Mitte November 1676 reiste Leibniz nach dem Haag. Kap. 4 bei Stein, a. a. O.
Hier fand denn auch die langehin geplante Unterredung statt. Von umfassenden Kenntnissen und einer wunderbar lebendigen Einbildungskraft unterstützt, hat eine geniale Feder in unsern Tagen versucht, Theodor Gomperz in Wien in Nr. 43 der Berliner Wochenschrift » Die Nation« f. 1888. das Bild dieser denkwürdigen Zusammenkunft anschaulich zu machen, dessen Wiedergabe wir uns hier erlauben.
Draußen auf Straßen und Plätzen der baumreichen Stadt spielt der Herbstwind mit entfärbten Blättern. Drin in der stillen Giebelstube eines Bürgerhauses auf dem friedsamen Paviljoensgracht zwei Männer in ernster und eifriger Zwiesprache. Ringsum ärmlicher Hausrat. Der eine der beiden in modisch gewählter Reisetracht, denn groß ist, um mit Leibnizens Freunde Huygens zu sprechen, seine Begier »zu scheinen.« Den von Krankheit abgezehrten Leib des andern, den »gott- und natur«-ergebenen Weisen, deckt dürftiges Gewand. Ihn umschweben schon die Schatten des Todes – sind ihm doch nur vier kurze Monde des Erdenlebens noch vergönnt: – aber heiter ruht sein helles und sanftes Auge unter buschigen Brauen auf dem fremden Besucher, der seine Zustimmung zu gewinnen angelegentlich bemüht ist. Und dieser selbst, der eben dreißigjährige, in blühend kräftiger Männlichkeit, wenn auch schon mit gelichtetem Scheitel, das Auge leuchtend von stolzen Hoffnungen und nicht minder stolzen Erfolgen, – der soeben die Freundschaft Newtons und Boyles gewonnen, den jüngst die Royal Society als Vervollkommner der Rechenmaschine Pascals, die französische Akademie als Erfinder der Differenzialrechnung gefeiert, der am Hofe Ludwigs XIV. bereits tief in Welthändel aller Art geblickt hatte, in dessen Haupt es von den mannigfachsten politischen, litterarischen, wissenschaftlichen Entwürfen schwirrt, der höfisch und weltmännisch gewandte Denker, der in diesem Augenblick nichts als Denker und dem es nur darum zu thun, den älteren Genossen von der Stichhaltigkeit der dargebrachten Beweisgründe zu überzeugen. Sehen wir ihn doch leibhaft vor uns, wie er in der Erregung des Augenblicks, das bleiche Antlitz von leichter Röte überzogen, nach Feder und Tinte greift, sich an Spinozas Schreibtisch niederläßt – an eben den Schreibtisch, welcher die »Ethik« hatte entstehen sehen – wie er daselbst jene Beweisführung, welche das Dasein eines allervollkommensten Wesens zu erhärten bestimmt ist, hastig aufs Papier wirft und das beschriebene Blatt nahe an die scharfblickenden aber kurzsichtigen Augen hält, um es dem halbverklärten Weisen, der freundlich daneben steht, mit triumphierender Miene vorzulesen. ...
Leibniz hat später seiner Unterhaltung mit Spinoza als einer nur gleichgiltige Dinge berührenden gedacht und sich auch den Anschein gegeben, als habe er ihm nur einen einmaligen Besuch gemacht. Nicht nur die in seinem Nachlaß vorgefundenen Schriftstücke, welche sich auf die grundlegenden Probleme über die Natur der Bewegung und auf die Frage nach dem notwendigen Vorhandensein eines allervollkommensten Wesens beziehen und anläßlich seines Verweilens im Haag verfaßt worden, geben näheres über Art und Inhalt jener Unterredung an; vertraute Briefe von Leibniz' eigener Hand sind auch geständig, daß er mit Spinoza mehrfach und auch längere Zeit verkehrt habe ( je lui ai parlé plusieurs fois et fort longtemps). Erst nach dessen Tode hat Leibniz die Ethik Spinozas zu Gesicht bekommen, und in seiner erst danach zum Abschluß gebrachten Philosophie hat er sich bekanntlich eigens bemüht, Theologie und Philosophie, die für Spinoza durchaus getrennt sein sollten, mit Hilfe seiner metaphysischen Theoreme in das möglichst beste Einvernehmen zu bringen. Nur die dabei häufig genug hervortretende polemische Haltung, die Leibniz direkt oder indirekt gegen Spinozas Lehre beobachtet, zeugt für das eifrige Interesse, das ihn einst zum einsamen Denker im Haag hingezogen. Vrgl. Kap. 5 bei Stein, a. a. O.
Welchen Eindruck Spinoza seinerseits von der Begegnung mit dieser merkwürdigen Persönlichkeit gehabt, ist uns in keiner Weise überliefert. Ob die proteische Geschmeidigkeit Leibnizens, dessen Eigentümlichkeit, fast alles zu billigen was er las, sicherlich auch im mündlichen Verkehr zur Geltung kam, einen besondern Zauber auf Spinoza geübt und ihn zu größerer Mitteilsamkeit verleitet habe, Vrgl. Stein, a. a. O., S. 57. Über die entgegenkommende Empfänglichkeit Leibnizens vrgl. L. Feuerbach, Werke Bd. 5, S. 26 f. dürfte füglich zu bezweifeln sein. Weit eher mochte er bei seinem auf strenge Konsequenz angelegten Denken die prästabilierte Eintracht mit der Theologie, die durchgängig Leibnizens ganze Weltanschauung kennzeichnet, bald gewahrt und eben deshalb die ihm gewohnte Zurückhaltung gleichmäßig behauptet haben, ohne dem um seine Zustimmung werbenden Besucher irgend näher zu kommen.
Gelassen kehrte er wohl, so weit Zeit und Kräfte es gestatteten, an die Arbeit zurück, die er nach dem Scheitern seiner Bemühungen um die Herausgabe seines philosophischen Hauptwerks vorgenommen, die Abhandlung über Politik , deren für die Zeitereignisse wichtigen Stellen wir bei einer andern Gelegenheit gedacht. Diese Schrift ergänzt die bereits veröffentlichte theologisch-politische Abhandlung, auf die sie sich ausdrücklich beruft, und beginnt mit einer auszüglichen Zusammenstellung gewisser Partien der mehrgedachten Ethik; hieran knüpft sich dann die unvollendet gebliebene Ausführung der nach den Prinzipien der Ethik zu denkenden staatlichen Verhältnisse in ihren verschiedenen Daseinsformen. Besonders war es Spinoza darum zu thun, seine Auffassung vom Staate, die man zu seinen Lebzeiten und auch noch bis auf unsere Tage derjenigen des Thomas Hobbes völlig gleichstellte, in ihrer eigenen Bedeutung darzulegen. Vrgl. I. E. Horn, Spinozas Staatslehre, zum ersten Male dargestellt. Dresden, L. Ehlermann, 2. Ausg. 1863. Eine höchst verdienstvolle Leistung.
Für Spinoza wie für Hobbes giebt es von der Natur aus, die nur auf sich selbst angewiesene Individuen schaffe, keinen Staat. Ein solcher entsteht für beide durch gegenseitige Übereinkunft der zu einem Gemeinleben sich vereinigenden Menschen. Bei Hobbes fällt der Staat mit der seine Ordnung handhabenden Regierung zusammen, und diese allein hat nicht nur über alles was gut und böse, recht und unrecht sein soll, sondern auch, wie bereits an anderer Stelle hier angedeutet, Vrgl. hier oben. Einleitung, S. 10. über Glaubenswahrheiten zu entscheiden. Spinoza dagegen will nicht bloß die geistige Freiheit durchaus gewahrt wissen, indem er jede sie betreffende Entscheidung der Staatsgewalt entzieht; auch das Verhältnis zwischen den Machthabern und den Staatsangehörigen ist ihm ein stets auf Gegenseitigkeit gegründetes: die jedem von Natur zukömmliche Freiheit, wie sie seinem Wohlergehen als vernünftiges Wesen entspricht, bleibt dabei immer vorausgesetzt. Auch Spinoza verlangt eine kräftige Staatsverwaltung, die aber lediglich eine die Thaten allein betreffende Ordnung aufrechtzuhalten bestimmt ist. Der vom Staate aus durch das Gesetz begründete Zwang hat eben den Genuß jener Freiheit zu sichern: das Wohl der Staatsangehörigen bleibt einzige Richtschnur der ganzen Verwaltung, und alle im Staate geltende Ordnung bezweckt nichts als die Herrschaft der Vernunft, sodaß der von der Staatsgewalt auszuübende Zwang nur gegen die thörichte Willkür der Leidenschaften, aber nie gegen die von Einsicht und Besonnenheit geleitete Lebensführung gerichtet sein dürfe. Freilich könne die Staatsgewalt auch zur Unterdrückung der Staatsangehörigen und zum Vorteil der Gewalthabenden ausgebeutet werden; aber damit ist Unfriede und Empörung heraufbeschworen, da das durch den Staatsverband einem jeden zugesicherte Recht dadurch verletzt werde und der Staat, der Friede und Eintracht unter seinen Genossen aufrecht halten soll, mit seiner Bestimmung in Widerspruch gerate. Derjenige Staat, heißt es unter anderem wörtlich, ist am meisten frei zu nennen, dessen Gesetze auf Vernunft gegründet sind, weil hier jeder, wenn er will, frei sein, nämlich nach den Regeln der Vernunft leben kann. Tract. polit. cap. II. § 11, § 15, cap. V. § 1-7. Dazu Brief 50 (Auerb. Übers. Bd. 2, S. 402 f.)
Es ward ihm nicht vergönnt das Werk zu vollenden. Von Kindheit auf schwächlichen Körpers, hatte er seit bereits zwanzig Jahren mit der Schwindsucht gerungen. Durch äußerst strenge und regelmäßige Lebensweise und bei seinem unerschütterlichen Gleichmut war es ihm geglückt sein Leben so lange zu fristen und geistig regsam und empfänglich zu bleiben. Anfang 1674 scheint eine Verschlimmerung eingetreten zu sein, doch mag sein Befinden damals nur eine vorübergehende Störung erfahren haben. Noch im Laufe 1676 war er guten Mutes und trug sich mit verschiedenen wissenschaftlichen Problemen, die er zu behandeln gedachte »wenn das Leben noch ausreiche.« Brief 72, Haag 15. Juli 1676 (Auerb. Übers. Bd. 2, S. 446).
Bald nach eingetretener Jahreswende war ihm bestimmt aus dem Leben zu scheiden. Weder sein Wirt noch seine übrigen Hausgenossen, berichtet der mehrfach angeführte Colerus, Wörtl. Wiedergabe b. Auerbach, biogr. Einl. zur Übers. Bd. 1, S. LXI. dachten an ein so baldiges Ende, dessen Eintritt ihnen sogar überraschend kam. Am 20. Februar 1677, der damals auf den Samstag vor den Fasten fiel, gingen die Malersleute nachmittags zur Kirche, um die Vorbereitungspredigt zur Abendmahlsfeier am folgenden Tage zu hören. Gegen vier Uhr von dort zurückkehrend, empfing der Wirt noch den Besuch seines Hausgenossen, der zu ihm in die Wohnstube herabgekommen war, um sich bei einer Pfeife Tabak über die soeben vernommene Predigt zu unterhalten. Alsdann ging Spinoza wieder hinauf in seine Stube und legte sich zeitig nieder. Auch noch den Sonntag in der Frühe vor der Kirche kam er wieder herunter zu den Hausleuten, bei denen auch der ihm befreundete Arzt Ludwig Meyer sich eingefunden, den er aus Amsterdam hatte kommen lassen. Dieser verordnete einen Hahn zu beschaffen und sofort zu kochen, damit Spinoza des mittags eine Brühe davon genieße. Er aß davon mit gutem Appetit, als das Ehepaar van der Spyk aus der Kirche heimgekommen war. Hierauf begab er sich mit dem Arzte hinauf in sein Stübchen, wo sie allein blieben, während die Malersleute in den Nachmittags-Gottesdienst gingen. Als sie von dort wiedergekehrt, erfuhren sie zu ihrem Erstaunen, daß Spinoza um drei Uhr gestorben sei.
Am 21. Februar 1677 war er dahingeschieden, in einem Alter von vierundvierzig Jahren, zwei Monaten und siebenundzwanzig Tagen. Seine Leiche, von vielen Vornehmen und sechs Wagen begleitet, wurde am Donnerstag den 25. zur Erde bestattet, bei der neuen Kirche am Spy, wo sein Grab noch kürzlich aufgefunden wurde. Auerb. biogr. Einl. S. LXIV u. Briefwechsel mit Jak., Auerb. Bd. 2, S. 358.