Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Heinrich Knapper, des Bürgermeisters Sohn, stieg zum alten Hause empor, langsam und zögernd. Seit Schröter kalt an ihm vorbeigegangen und der Streit loderte, wagte er nicht, die Schwelle des stolzen Sitzes zu überschreiten, wo Helena wohnte. Ihm lag der Hader fern, im Geiste stand er auf der Seite der Schwarzen; denn er begriff nicht, weßhalb die Religion aus den Schulen vertrieben und die alte Ordnung zerstört werden sollte. Dennoch fürchtete Heinrich, dem Landwirthe zu begegnen. Er meinte, dessen Scharfblick müsse in seinen Zügen all' die groben Reden und Verunglimpfungen lesen, die sein Vater täglich gegen ihn schleuderte. Daher kam es, daß Heinrich um das alte Haus schlich, wie ein Verbannter um seine theure Heimath. Seit Wochen hatte er mit Helena kein Wort gesprochen, auf seinen Gängen durch die Felder war sie ihm nirgends begegnet, und nur von Ferne sah er die reizende Gestalt im Garten thätig zwischen Erbsenranken und Salatköpfen. Doch länger vermochte er nicht, die Verbannung zu ertragen und war zum Aeußersten entschlossen. Mit so überlegener Macht überfiel ihn das eigene Herz, daß Widerstand unmöglich und alle Bedenklichkeiten über den Haufen geworfen wurden. Die Hacke, zur Bemäntelung des Streifzuges auf die Schulter gelegt, fester greifend, ging er jetzt, nach manchen Umwegen, entschlossen auf das schwarze Haus los, und erst vor dem Thore gab es einen Halt. Er stand lauschend. Aus dem Hofe klang die Stimme des Gutsherrn scharf und entschieden. Dazwischen fielen die sanften Worte Frohmanns, wie Thautropfen in einen Wasserfall.
»Hochwürden, Sie kennen diesen Menschen nicht!« rief Schröter. »Mit Ueberlegung und vollem Verständnisse dessen, was er thut, hetzt er die Leute gegen die Kirche und gegen Sie. Er steht an der Spitze der Rothen, wie Goliath an der Spitze der Philister. In allen Wirthshäusern schimpft er gegen Religion und Geistlichkeit. Schamlos rühmt er sich seiner schlechten Aufklärung, nennt jeden gläubigen Katholiken einen Ultramontanen, einen Strohfresser. Kurz, der Bürgermeister ist ein ganz entschiedener Gegner meiner religiösen Ueberzeugung, – und diesem Manne soll ich die Hand reichen?«
»Im Interesse des Friedens und der guten Sache,« sprach einsichtsvoll das Herrchen. »Bedenken Sie doch, verehrter Freund, den trostlosen Zustand der Gemeinde! Die Geister werden immer feindseliger, die Verläumdung schürt kochenden Haß, zahllose Sünden wider Gott und den Nächsten sind die Folgen. Was soll es mit dem unseligen Parteihader? Ist denn unser heiliges Glaubensgut Parteisache? Ragt die Hoheit religiöser Wahrheiten nicht weit über die nebeligen Niederungen der Leidenschaften? Die Unterdrückungsversuche des religiösen Geistes in den Schulen sind gerichtet gegen das höchste Interesse aller Bürger in Waldhofen, nicht aber gegen einen Theil derselben. Es müssen alle Bürger einstehen für die bedrohte Religion, und nicht allein die Schwarzen. Auch die Rothen sind Kinder derselben Mutter. Daher bitte ich Sie, durch eine Versöhnung mit Bürgermeister Knapper, den Kampf zu einem gemeinsamen zu machen.«
»Ihre Voraussetzungen sind eben falsch, Hochwürden!« widersprach der Landwirth. »Knapper hat nicht das mindeste Interesse für ein christliches Schulwesen. Er ist ungläubig, jedem positiven Bekenntnisse feindselig. Dabei lassen Geistesroheit und Hoffart dieses Mannes eine Annäherung gar nicht zu. Höhnisch würde er meine Hand zurückstoßen und in den Wirthshäusern die Friedfertigkeit der Schwarzen verspotten. Nochmals, Herr Cooperator, Sie kennen die Versunkenheit dieses Menschen nicht! Im Jahre Achtundvierzig Heckerhauptmann, jetzt kriechend vor der Regierung, ein gefügiges Werkzeug ihrer schlimmen Absichten, ist er sich nur im Hasse gegen die Kirche und ihren Geist treu geblieben.«
Heinrich vernahm mit Entsetzen dieses Urtheil aus dem Munde Schröters. Sein Muth brach zusammen vor der Schwelle des alten Hauses, er schlich gedrückt von dannen. In den Weinbergen fand er ein stilles Plätzchen für seinen Schmerz; denn es wurde ihm klar, daß Schröters Entschiedenheit jede Hoffnung vernichtete. Auf Helena hatte der Jüngling sein ganzes Lebensglück gebaut, sein Dasein mit dem reinen Wesen der Jungfrau so innig verknüpft, daß er jetzt plötzlich wie verlassen in der Welt stand, und er sich vorkam, wie ein vom Leben Ausgestoßener.
Lange saß er auf dem kühlen Rasen, im Schatten der Reben, schwermüthig und trostlos. Allein die Jugendfrische protestirte kräftig gegen Trübsinn und Klagen in Mitte der lachenden Natur. Allmälig trat der junge Mann aus sich heraus in die reizende Scenerie der Landschaft. Er sah die prachtvollen Lichter der Rheinebene, der Strom grüßte leuchtend aus der Ferne, über den Feldern musicirten die Lerchen, ganz in der Nähe wiegte sich ein Stockfink auf schwankem Rebzweige und sang den jugendlichen Schwärmer freundlich an. Auch die strömenden Wohlgerüche des blühenden Weines begann er mit Verständniß zu athmen, und jetzt trieb es ihn sogar, dem munteren Fink auf dem Rebzweige Concurrenz zu machen. Er sah hinab in den schönen Garten des alten Hauses, wo Helena täglich weilte, und sang:
»In einem tiefen Grunde,
Da geht ein Mühlenrad,
Mein Liebchen ist verschwunden,
Das dort gewohnet hat.«
Aber das Lied hatte eine gar zu traurige Melodie. Der Fink lauschte verwundert den Klagetönen und konnte sich nicht versagen, die Stimmung durch einige Triller zu beleben. Jetzt flog er davon; denn über den Rebzeilen schwebte ein Strohhut heran, der auf dem schönsten Mädchenkopfe saß. Auch Heinrich sah den herankommenden Hut, die fächelnden Bänder, und auch er flatterte auf und trat herab in den Pfad, Helena entgegen. Und da sie vor ihm stand mit strahlenden Augen, das süße Lächeln starker Neigung in den Zügen, da empfand der arme Heinrich sonnenklar, wie nothwendig Helena für ihn sei zur Lust am Leben.
»Sieht man Dich auch wieder einmal, Heinrich? Du bist akkurat zwei und zwanzig Tage nicht mehr bei uns gewesen.«
»Aber jeden Tag bin vor eurem Thore gestanden und kam nicht hinein, weil es verschlossen war. Da ging ich wieder fort, Helena, – so traurig, wie Adam von der Pforte des verschlossenen Paradieses.«
»Das ist eine leere Ausrede. Am Tage ist die Hofthüre niemals verschlossen.«
»Doch, Helena, doch! Mir ist die Thüre verschlossen, – mir, dem Sohne des rothen Bürgermeisters.«
»Um Gottes Willen, was redest Du? Gehörst auch Du zu den Rothen?«
»Nein! Aber Dein Vater ist mir böse. Er geht an mir vorbei ohne ein Wort, für meine freundlichen Grüße hat er nur finstere Blicke. In seinen Augen bin ich der Sohn eines Rothen, des rothen Hauptmannes sogar, – und das reicht hin, mich zu hassen.«
»Du thust meinem Vater unrecht!« widersprach sie. »Noch kein Wort hat er gegen Dich gesagt.«
»Ich wüßte auch nicht, was er gegen mich haben sollte. Kann ich dafür, daß mein Vater Bürgermeister ist? Muß er nicht thun, was die Regierung befiehlt?«
»Nein, er muß es nicht, Heinrich, – und er sollte es auch nicht! Schön ist's zwar von Dir, Deinen Vater zu entschuldigen, aber ich darf sagen, daß er unter keiner Bedingung seinen Glauben verfolgen und das Beten in der Schule verbieten sollte.«
»Mein Vater hat es nicht gethan, sondern das neue Schulgesetz. Mein Vater ist Präsident des Ortsschulrathes und muß die neue Einrichtung handhaben.«
»Dann soll er die Stelle niederlegen,« sprach entschieden Helena. »Das Leben soll man lassen für seine Religion, und die Präsidentschaft ist noch lange nicht das Leben.«
Er stand bewundernd vor der Muthvollen und ertrug kaum die strahlenden Lichter ihrer Augen.
Den Pfad herab stieg ein elegant gekleideter junger Herr. Auf dem Kopfe trug er einen Hut von weißen Roßhaaren, den eine Gummischnur mit dem Rock verknüpfte, um das kopfbedeckende Roßhaarengeflecht gegen räuberische Ueberfälle des Windes zu schützen. An der goldenen Uhrenkette baumelte ein buntes Allerlei: Schlüssel, Kapseln, Messer, Gabeln, Löffel, Anker, Kreuze, Namenloses, Alles von Gold und in winzigen Formen zierlich gearbeitet. In der Hand trug er eine Reitpeitsche, die unausgesetzt junge Sprößlinge der Reben abschlug, – eine zeitvertreibende Uebung. Als er die Beiden erblickte, fuhr ein mattes Lächeln über die stolzen Züge.
»Ah, – ländlich sittlich!« flüsterte er.
Er ging langsamer, klemmte die Lorgnette in die Augenhöhle und betrachtete Helena.
»Dort kommt Ferdinand Blendung,« sagte Heinrich. »Wie er gealtert ist! Wir besuchten zusammen die Klassen in Mannheim und waren gute Kameraden.«
Sie wandte das Angesicht nach dem Herabsteigenden, und dieser, fortwährend lorgnettirend, kam überrascht näher. Heinrich lächelte dem früheren Schulgenossen entgegen und war im Begriffe, die Rechte grüßend entgegen zu strecken. Bei Ferdinands fremdem Verhalten dünkte ihn das Unternehmen bedenklich, und jetzt zog er freundlich den Hut. Blendung sah vornehm auf den Grüßenden, berührte mit der Spitze des Fingers einige Roßhaare und schritt stolz vorüber. Heinrich stand beschämt.
»Er hat Dich nicht erkannt,« sagte Helena. »Du hättest ihn anreden sollen.«
»Er hat mich nicht kennen wollen, der übermüthige Herr! Es thut gar nichts. Wir werden künftig an einander vorüber gehen, nicht wie zwei Menschen, die neben einander auf der Schulbank gesessen. Er kennt mich nicht, und ich kenne ihn nicht, – fertig! So lange Du mir gut bist, Helene, tausche ich mit keinem Millionär, ja – mit keinem Könige.«
»Gut werde ich Dir bleiben, so lange ich keinen Grund habe, Dir bös zu sein,« entgegnete sie lächelnd. »Also schicke Dich darnach und werde kein Rother. – Wann kommst Du wieder zu uns?«
»Im Grunde gehe ich eigentlich gar nicht von Dir, – bin immer um Dich in Gedanken. Ach, Helene, ich thäte mir ein Leid an, würde Dein Vater mir das Haus verbieten.«
»Du bist nicht gescheidt! Laß Dich bald sehen,« sprach sie scheidend.
Ferdinand Blendung hatte aufgehört, zur Unterhaltung Rebzweige abzuhauen. Seine Phantasie beschäftigte lebhaft Helena's packende Erscheinung, und diese begleitete ihn bis zur Villa, wo das anziehende Bild vor dem begegnenden Makler Levi zerfloß. Der Jude war aus dem Garten gekommen und kroch jetzt, unter verschwenderischen Krümmungen des Rückens, an dem Stolzen vorüber. Durch die Pfade des Gartens wandelte Ferdinands Vater mit weitgemessenen Schritten, die Hände am Rücken liegend, den Kopf herab gebeugt. Der Sohn kannte die Bedeutung dieser Haltung, zog sich bescheiden zurück, ging nach seinen Zimmern, brannte eine Havannah an, warf sich in den Schaukelstuhl und blies den Dampf nach der Decke.
»Hm – hm, – wer hätte das gedacht! In Waldhofen eine vollendete Schönheit! Was für Augen, – ihr Feuer müßte das ewige Eis der Jungfrau in Wasserströme auflösen! Sonnenglanz wird Mondschein, so lange jene Augen leuchten. Und da ich verurtheilt bin, Landluft zu genießen, den Fortschritt der Trauben zu überwachen, die neuen Wiesenanlagen meines Vaters zu bewundern, Besuche aus der Residenz zu empfangen, den Gaumen zu kitzeln, dem Magen dienstbar zu sein und schließlich bei Allem zu gähnen, – so wäre die feueräugige schlanke Bauerndirne bei allgemeiner Langweiligkeit ein pikanter Wechsel. Aber ich fürchte, sie riecht nach dem Kuhstall, was meine empfindsamen Geruchsorgane verletzen dürfte. Ein zweiter Mißstand ist der schreckliche Ultramontanismus, der ihr in Form eines goldenen Kreuzes über der Brust hängt, alle Teufel zu vertreiben. Und wo das Kreuz bei feindlichen Angriffen nicht ausreicht, würden zwei runde kräftige Arme und zwei respektable Fäuste den Tollsten zur Besinnung bringen. Ich muß also die Flammenäugige ihrem Schicksale überlassen und sie der süßen Galanterie mannheimer Artigkeiten berauben.«
Er trat zum Fenster.
»Was hat mein Alter nur? Ei, – ei, sogar mit den Händen ficht er, was doch nur in der Kammer zu geschehen pflegt, wenn der Freiheit eine Gasse gebrochen werden soll, mitten durch die nächtigen Heerschaaren ultramontaner Finsternisse. Jetzt steht er gar vor der Mauer und spricht mit dem bocksfüßigen Pan in der Nische dort. Bin fast neugierig, was Herr Carl Blendung, Millionär und Führer der Kammermajorität, zum Heile Badens wieder einmal ausgesonnen.«
Der Sohn hatte kaum übertrieben: – Carl Blendung gehörte zu den Einflußreichsten des Abgeordnetenhauses. Seitdem aber die Kammern regieren in Staat und Kirche, darf die Macht eines Hochmögenden jener Sphäre nicht unterschätzt werden.
Blendungs hohe Reife im Erfassen des Zeitgeistes öffnete ihm die Reihen der Herrschenden, sein Reichthum forderte Huldigung, rühmliche Thätigkeit beim Ausbau des Musterstaates verdiente Anerkennung der Fortschrittes.
Aber Blendungs Thätigkeit bewegte sich vorzugsweise im Kreise stiller Arbeiten. Niemals bestieg er die Rednerbühne; denn es fehlte die erste Bedingung des öffentlichen Sprechers, das Organ. Seine Stimme war sanft, sie schlich einher, als ginge sie in Filzschuhen, kaum hätten die nächsten Stühle der Kammer die einschmeichelnden Laute verstanden. Mit den bierkräftigen Lärmstimmen einiger bayerischer Kammerlöwen verglichen, klang Blendungs Sprechen wie das Zirpsen der Haidegrille.
Dagegen arbeitete der mannheimer Geldherr rastlos und erfolgreich in seiner stillen Weise. In Clubs und Vereinen, wo die Kreise enger wurden und die Herren des Landes sich vertraulich zusammen fanden, saßen die Gewaltigsten aufmerksam zu den Füßen Blendungs.
Für die Presse legte er bedeutende Opfer auf den Altar des Volkswohles, die Leitung der öffentlichen Meinung verstand er ganz vorzüglich. Gewandte Correspondenten verschiedener tonangebender Zeitungen standen in seinem Solde. Wurde im Rathe der Wissenden irgend ein Sturm gegen Mißliebiges beschlossen, so griff der Hochmögende in seine Geldsäcke, zur kampffähigen Ausrüstung streitbarer Journalisten, und diese begannen, klug die öffentliche Meinung zu bearbeiten. Anfänglich wurde der Stoff ganz leise berührt. Die Fühlhörner der Presse waren so zart, wie jene der Schnecken. Rücksichtsvoll umtasteten sie den Gegenstand und zogen rasch die Hörner wieder ein. Aber die Berührungen wiederholten sich jeden Tag, sie wurden kräftiger, verwandelten sich in derbe Stöße gegen den verhaßten Gegenstand. Schon sind Schleimstreifen bemerkbar, von der Preßschnecke über den Stein des Anstoßes gezogen. Und jetzt nachdem die Schnecke vorsichtig fühlend und deutend um den Stoff gekrochen, liegt sie plötzlich schleimspeiend über dem Mißliebigen, entstellt es abschreckend, bekleistert nach allen Seiten so geschickt, daß Gehalt und Wesen des Stoffes vollständig verschwinden. Und das Publicum schlägt entsetzt die Hände zusammen über dem abscheulichen unzeitgemäßen Ding.
Als über das Concordat im geheimen Rathe der Herrschenden das Todesurtheil gesprochen war, öffnete Herr Blendung goldene Quellen und ließ seine Schnecken marschiren. Die Preßschnecken, hochangeschwollen vom Geifer der Lüge und Verläumdung, deuteten unablässig mit ihren Hörnern nach dem Concordat. Die öffentliche Meinung wurde aufmerksam. Das Deuten verwandelte sich in zartes Anfühlen bildungsfeindlicher Seiten des Concordates, – die öffentliche Meinung fand die zarte Berührung taktvoll und gerecht. Plötzlich lag ein Schmutzstreifen über dem Concordat, – die öffentliche Meinung sah es und ärgerte sich über die Unsauberkeit des Concordates. Um den ersten Schleimstreifen legten die Schnecken einen zweiten und dritten, bis das Ganze wüst verschleimt und begeifert war, – die öffentliche Meinung befiel sittliche Entrüstung über die Häßlichkeit des Concordates. Keinem gläubigen Leser kam eine Ahnung, was die Schnecken gethan. Die Gläubigen hielten angeworfenen Schmutz und wüsten Geifer für das eigentliche Wesen des Concordates und riefen laut nach Entfernung eines Scheusales. Und als die Frage um Sein und Nichtsein des Concordates aufstieg, da forderte laut die geltende öffentliche Meinung den Vernichtungsspruch. Und während geschickte Redner gegen das Concordat donnerten, dem Kammerdonner das Massenfeuer der öffentlichen Meinung antwortete, saß der anspruchslose Blendung still lächelnd hinter seinem Pulte, im Herzen erwägend, daß ohne den Schleim seiner Preßschnecken der versengende Feuerregen in das Wasser gefallen wäre.
Gleiche Thätigkeit entwickelte Herr Blendung in der Schulfrage. Auch diesem Lebensnerv christlicher Existenzen hatte er nach Kräften die öffentliche Meinung zugewandt. Seine Journalisten mußten die Trennung der Schule von der Kirche als »unabweisbare Forderung des modernen Gedankens,« als eine »Errungenschaft der reinen Menschheitsidee« siegreich behaupten. Denn die weittragenden Folgen der Schulfrage entgingen nicht dem klaren Geiste des Hochmögenden. Der leitenden Hand der Kirche entrissen und dem Regimente des entchristlichten Staates überantwortet, sah er die heranwachsende Generation befreit von allen Täuschungen religiösen Aberglaubens, gereift in Bildung und Wissen für das Verständniß des »reinen Menschenthums«. Ja, Herr Blendung gewahrte prophetischen Blickes eine Zeit, wo das jetzt noch verdummte Volk den hohen Standpunkt allgemeiner Bildung glücklich erklommen, wo die Kirchen leer standen, die Beichtstühle verödet trauerten, die Kanzel überflüssiges Möbel geworden, die Glockenrufe zum Gottesdienste längst verstummt waren. Wo jetzt noch in Bauernhäusern Rosenkränze an den Wänden hingen und Heiligenbilder, dort sah er nach fünfzig Jahren Kunstgebilde prangen, innig verehrt von einem kunstverständigen Landvolke, das höchstens, zur abschreckenden Erinnerung an die abergläubischen Vorfahren, noch die Antiquität eines Rosenkranzes oder Crucifixes bewahrte. Kurz, – Herr Blendung sah das goldene Zeitalter der religio depopulata. Und ihm blieb das Bewußtsein, an Geld und Eifer, an Thätigkeit und schweren Opfern Bedeutendes geleistet zu haben zur »Aufklärung der Massen,« – zum Sturze »abgelebten Kirchenglaubens,« – zur »Wiedergeburt der Menschheit,« – zur »Befreiung des mündig gewordenen Menschengeistes von herabwürdigenden Fesseln der Autorität.«
Aehnliche Gedanken hoffnungsvoller Zukunft mochten gegenwärtig Herrn Blendung beschäftigen. Nach langem Wandeln durch den Garten zum Abschluß gelangt, blieb er jetzt vor der Venus aus weißem Marmor stehen, die Nackte verehrungsvoll betrachtend.
»Welche Anziehungskraft in diesen reizenden Formen!« sprach er lebhaft. »Die Götzenpfaffen des Aberglaubens haben es schlau begriffen, die schöne Weiblichkeit in Sold zu nehmen, zur Verbreitung und Erhaltung ihres Wahnes. Liegt im Madonnendienste nicht die hauptsächliche Wirkungskraft des Christenthums? Muß jenes liebliche Vorbild der Jungfräulichkeit und keuschen Mütterlichkeit die Gemüther nicht läutern und erheben? Darum haben die Pfaffen ihre Madonnen überall hingestellt, in Kirchen, an Wegen und Pfaden, in Häusernischen, auf öffentliche Plätze, – überall spricht dieser milde Typus der Ueberzeugungstreue und des geistigen Heldenthums zum Beschauer. Was aber diesen Figuren moralischen Werth verleiht, das ist nicht ihr dogmatischer, sondern ihr ästhetischer Gehalt. Sie üben gerade so viel sittlichende Kraft, als unverfälschte Kunst in ihnen ist. – O ihr verschmitzten Betrüger! Warum bildet ihr eure Madonnen nicht nach eurer Lehre von Entsagung, Fasten und Kasteiung? Warum stellt ihr zur Verehrung kein Weib auf mit fleischlosen Gliedern und reizloser Gestaltung? Warum nicht mit eingefallenen Wangen und hohlen Augen? Warum laßt ihr eure Lehre von Abtödtung nicht predigen durch das Bild? Warum stehlt ihr vom ungekreuzigten, lebensfrohen Fleische allen Reiz zur Stütze eures Wahnes? – Es ist gar keine Frage: die Madonnenbilder müssen in dem Maße ihre moralische Wirkung verlieren, als das rein Menschliche religiöse Beimischung erhält. Aber das bethörte Volk merkt den Kniff der Götzenpfaffen nicht! Es sieht nicht, wie ihm eine Venus zur Verehrung aufgestellt ist, und wie das fälschlich todt gesagte Heidenthum das lebensunfähige Christenthum nähren muß.«
»Gäbe es noch Scheiterhaufen, der Herr würde, ob solcher Teufelsreden, unfehlbar verbrannt,« – sprach eine erkünstelte tiefe Stimme im Rücken des Hochmögenden.
Blendung wandte sich; sein Sohn stand vor ihm, sprudelnden Muthwillen im Gesichte.
»Einverstanden, Ferdinand! In jenen finstern Zeiten, wo der Wahn die Wahrheit verbrannte, müßte auch meine Ueberzeugung in den Flammen ersticken.«
»Wir sind jedoch mit dem Herrn nicht einverstanden,« sprach mit angenommener Würde der Sohn. »Nicht vergeblich saßen wir auf der Hochschule zu den Füßen bewährter Meister und neigen uns jetzt herab, Deiner Unkenntniß auf die Beine zu helfen. – Du behauptest: das Christenthum habe die Venus der Heiden gestohlen, zur Decoration seiner häßlichen Madonna: – das ist falsch! Denn es rühmt auch das Christenthum leibliche Schönheit, preist dieselbe sogar als Gabe Gottes, und wünscht die Verherrlichung dieser Gottesgabe durch die Kunst. – Du behauptest ferner: das Christenthum habe keine Berechtigung, reizende Menschenleiber zu bilden, weil es Kreuzigung des Fleisches lehre; – wieder falsch! Denn die Kreuzigung des Fleisches bezweckt nicht Zerstörung des Leibes, sondern das gerade Gegentheil, nämlich die Fernhaltung fressenden und verwüstenden Rostes der Leidenschaften vom Leibe. Hätte eine gewisse weibliche Schönheit in Mannheim, die uns Beiden genau bekannt ist, nach den Lehren des Christenthums Entsagung geübt, heute noch würde sie blühen in strahlender Schönheit. Da sie aber, als ächte Großstädterin, Kirchenluft haßte, Kirchenlehre geschmacklos fand und des warmen Lebens sich freute, darum ist sie, nach einem wilden Jahre, häßlich geworden über alle Begriffe. Ferner müssen wir Dich belehren, daß sogar eine ganz außerordentliche Verherrlichung des Leibes im Plane des Christenthums liegt. Dasselbe führt nämlich nichts Geringeres im Schilde, als die glorreiche Auferstehung eines makellos reinen, lichtstrahlenden Menschenleibes zu ermöglichen, dem eine ganze Ewigkeit blühende Jugendfrische lassen muß. Um aber jene glorreiche Auferstehung zu erobern, darum möchte das Christenthum durch die Schranken der Entsagung den schönsten aller erschaffenen Körper abschließen gegen Nagendes und Fressendes, das sich am Tische geistiger und leiblicher Fäulniß niederläßt. Mithin hat jeder Gläubige das Recht, Deine Behauptung als Lüge und Verläumdung zu verwerfen. – Da wir jedoch zu den Gläubigen nicht gehören, so verdient Deine schwarze Anmalung des Aberglaubens unsere allerhöchste Zustimmung. Rühmlich ist daher Dein Bemühen, der Kunst unveräußerliche Rechte zu wahren. Wir kennen ja Deine unfehlbare Arznei zur Heilung der kranken Menschheit, und diese heißt: weil jede Religion sich ausgelebt, weil nicht einmal die unfehlbare Kirche von Rom die gereifte Entwickelung der reinen Menschheitsidee weiter fördern kann, – darum muß die Kunst an Stelle der Religion treten. Und darum behauptest Du ganz folgerichtig: was den Madonnen moralischen Werth verleiht, das ist ihr ästhetischer und nicht ihr moralischer Gehalt.«
»Sehr gut!« sagte lächelnd der Vater. »Nur solltest Du weniger Tiefe an den religiösen Aberglauben verschwenden.«
»Gemach, wir sind noch nicht fertig!« unterbrach theatralisch der Sohn. »Auch wir sind ein Freund der Kunst. Wir bewundern diese reizende Venus nach Verdienst und Würdigkeit. Doch finden wir, daß der lebenden Venus weit innigere Verehrung gebühre, als der in Stein gemeißelten. Das Bild hier ist doch nur eine kalte Masse, von dem Bildner aus dem lebendigen Quell der Kunst geschöpft. Bis aber die Masse ihren Weg gefunden durch die Auffassung ihres Schöpfers, durch Meißel, Kelle und Hammer, ist ihr von ursprünglicher Frische Vieles verloren gegangen. Darum lieben wir es, aus der warm sprudelnden Quelle belebender Kunst zu trinken, dem Urtypus aller Schönheit im Fleische unsere unbegrenzte Huldigung darzubringen.«
Der Vater sah auf das bleiche Gesicht des Sohnes und schüttelte mißvergnügt das Haupt.
»Befriedigung des Durstes,« sprach er, »und Ueberfüllung bis zur entnervenden, tödtlichen Berauschung, sind zwei ganz verschiedene Dinge. Thue immerhin das Erste, – hüte Dich vor dem Zweiten.«
»Nicht einverstanden, Vater! Du kennst meine Passion, und diese hat ihre unumstößliche, felsenfeste, unerschütterliche, humane, bildungsgemäße Berechtigung. Beweis: – An die Stelle der ausgelebten Religion tritt also die Kunst. Es muß die Kunst die Menschheit weiter führen in Bildung und Humanität, wo sie die eingesargte Religion hat stecken lassen. Mithin ist Kunst vollendete Religion. Die Gottheit der Kunst aber ist die reizende Weiblichkeit. Indem ich nun rückhaltlos in künstlerisch geformte lebendige Arme stürze, gehorche ich lediglich religiösem Drange. Setze ich dazu alle Lebenskraft ein für diesen Religionsdienst, dann bin ich ein moderner Heiliger, oder ein classischer Verehrer der göttlichen Astarte. Quod erat demonstrandum.«
»Toller Mensch! Weißt du nicht, daß Maß im Genusse die Bedingung des Lebens ist?«
»Pah!« rief mit Pathos der Sohn. »Wer dem Besten seiner Zeit gelebt, der hat gelebt für alle Tage.«
»Schwätzer, Phrasenmacher!« zankte Blendungs zarte Stimme.
»Um Vergebung: – der unsterbliche Schiller hat das gesagt! Und die Phrase verdammst Du, Vater? Hat nicht Louis Napoleon mit gezogenen Kanonen und mörderischen Projektilen die Schlacht von Solferino gewonnen? Und wodurch gewinnt fortschreitende Bildung ihre Siege in Kammern, in der Presse, beim Turnen, beim Festschießen und Festessen, – geschieht es nicht durch die Phrase? Ist die Phrase nicht das Geschütz, das mörderische Projektil, welches die Reihen der Ultramontanen zusammenwirft, Altäre niederstürzt und Throne erschüttert? Haben nicht Deine knoblauchriechenden Publicisten, – welche nebenbei bemerkt, mein väterliches Erbe jährlich um einige Tausend Gulden schmälern, – haben nicht Deine jüdischen Jünglinge mit Phrasen Löcher durch das Concordat geschossen? Haben sie nicht die Pfaffen aus den Schulen hinaus gephrast? Und was gehört zum vollendeten Kammerredner, ist es nicht die Meisterschaft in der Phrase? Kämen Cicero und Demosthenes wieder, sie würden ausgepfiffen, trotz aller classischen Beredsamkeit, weil zu ihrer Zeit die Phrase nicht erfunden war. Demnach ist ausgemacht, der Augenschein beweist es, vollendete Thatsachen lehren es, daß der Phrase die Herrschaft der Welt gehört.«
»Du bist heute wieder unerträglich! Spott ist Deine Eigenart und Ironie Dein Steckenpferd. Auch hier gilt: Maß halten! Dein Spott soll nie verletzend und Deine Ironie nicht schneidig werden. Indessen wird Deine schwülstige Lobrede über die Phrasenmacht durch die hiesigen Bauern widerlegt. Levi, der Makler, ist bei mir gewesen. Seine Erklärungen über die Stimmung der ländlichen Ultramontanen gegen die Schulreform beunruhigen. Die Lümmel sträuben sich aus allen Kräften gegen den Fortschritt der Bildung. Sie wollen das Joch des Symbolzwanges nicht abwerfen, und ihre Kinder von den Schwarzröcken schulen und verdummen lassen. Frißt die Bewegung weiter, dann wird die Sache bedenklich. Der Alte in Freiburg könnte sich auf die Volksstimme berufen, – das glimmende Feuer sogar in helle Flammen anblasen. Alle Mittel müssen wirken, diesem Geiste zu begegnen. In Waldhofen ist der Widerspruch bereits bis zur Bildung von zwei schlagfertigen Parteien gediehen, – die Rothen und die Schwarzen. Führer der gesinnungstüchtigen Rothen ist Bürgermeister Knapper; aber diese sind in der Minderzahl. An der Spitze der Schwarzen steht eine nicht zu verachtende Kraft, der Gutsbesitzer Schröter.«
»Unser Nachbar? Der studirte Bauer? Nun wird es schlimm; denn ein Bauer bleibt immer ein Bauer, selbst wenn er studirt hat.«
»Mein Plan ist fertig,« fuhr Blendung fort. »Die Schwarzen müssen gewonnen oder erdrückt werden. Schröter ist die Seele des ganzen Widerspruchs. Gelingt seine Bekehrung, dann zerfällt die Partei.«
»Hoffentlich wirst Du mir in dem beginnenden Kampfe einen gefahrlosen Posten anvertrauen. Eine unterhaltende Jagd auf Schwarzwild dürfte die melancholische Langeweile etwas vertreiben.«
»Ganz erwünscht, Ferdinand! Die Agitation im Interesse unveräußerlicher Menschenrechte wird beitragen, zur Entwickelung Deiner Anlagen. Die Theilnahme am Kampfe gegen die finstere Macht des Ultramontanismus wird Dich in die Reihen jener Männer stellen, welche für das Höchste gestritten. – Komme herein! Du sollst in den ganzen Feldzugsplan gegen den schwarzen Häuptling eingeweiht werben.«