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Beim Essen überraschte das trotzige Gesicht des Landwirthes. Das Gesinde pflegte Heiterkeit oder männlichen Ernst in den Zügen des Hausherrn zu finden, und jetzt lagen über der breiten Stirne, bis hinab zu den scharfen Linien des Mundes, Donnergewölk und Machtsprüche finsterer Geister.
»So sah er kaum aus,« dachte der Großknecht, »als der Blitz unsere zwei besten Pferde vor dem Wagen erschlug.«
Kein Wort fiel über Tisch. Löffel und Gabeln arbeiteten, dampfende Schüsseln kamen und verschwanden, die Gesättigten erhoben sich und Hänschen sprach laut das Tischgebet. Das Gesinde verließ die Stube, die unterbrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Fritz Schröter machte seine üblichen Gänge durch das Anwesen, war kurz in seinen Aufträgen an die Knechte über den Feldbau des Nachmittags, und suchte endlich sein gelehrtes Cabinet. Dort stand ein Bücherschrank mit Glasfenstern. Hinter hellen Scheiben glänzten die goldgedruckten Rücken nützlicher Bücher über Feldwirthschaft, einige classische Unterhaltungsschriften, Pater Vogels Heiligenlegende, eine alte Bibel in Großfolio und die bescheidenen Anfänge des katholischen Romans. Hieher kam der Gutsbesitzer an Sonntagen nach dem Gottesdienste, oder an regnerischen Tagen, um den Geist zu erfrischen, der sich nach Erquickung sehnte, nachdem der rohe Stoff die ganze Woche in Anspruch genommen. Schröter suchte unter den Büchern und zog schließlich eine Verordnungensammlung hervor, in die er sich vertiefte. Sodann griff er zum Hute und stieg hinab nach Waldhofen.
Das große Gebäude neben der Kirche ist das Schulhaus. Es enthält zwei geräumige Säle und zwei Wohnungen für die Lehrer. Den Unterricht in der unteren Schule gab Herr Jester, ein alter Mann, seit vierzig Jahren in Diensten. Er hatte die obere Schule einem viel jüngeren Collegen räumen müssen, dessen Kenntnisse den Fortschritten der Wissenschaft und den Forderungen der Bildung mehr entsprachen. Der alte Mann empfand die Zurückversetzung schmerzlich, wälzte die Kränkung fort und fort im Gemüthe, und trug eine feindliche Stimmung gegen Herrn Knapper, den Bürgermeister, dessen Rücksichtslosigkeit die Herabsetzung verschuldet. Alle Bewohner von Waldhofen, bis zu sechsundvierzig Jahren, verdankten Rechnen-, Lese- und Schreibkunst Herrn Jester, unter diesen auch Fritz Schröter, dessen Schulbildung eine städtische Lehranstalt vollendet hatte. Geschmeichelt empfing der greise Schulmeister den reichsten Mann des Ortes, rückte vergnügt an der Brille, und frug nach dem Zwecke des ehrenden Besuches.
»Sie haben meinem Kinde den katholischen Gruß verboten, Herr Lehrer! Sie haben zugleich bestimmt, es dürfe vor und nach dem Unterrichte, wie es seit alter Zeit löblicher Brauch ist, nicht mehr gebetet werden. Auch die biblische Geschichte haben Sie als Lesebuch abgeschafft und noch andere Neuerungen in Aussicht gestellt. Dies Alles läuft den Schulverordnungen entgegen,« – und Herr Schröter nannte geläufig Artikel und Paragraphen, gegen die gesündigt worden. »Haben Sie die Freundlichkeit, mir Aufschluß zu geben, wegen dieser höchst befremdlichen Neuerung.«
»Thut mir leid, Herr Schröter, ich weiß gar nichts! Ich habe gehandelt nach den Instructionen des Ortsschulrathes Zuweilen muß die Freiheit des Novellisten angerufen werden, die Thatsachen im badischen Schulstreite – der Zeitfolge nach – im Interesse technischer Gestaltung zu ordnen.«
Sie sind aber doch selbst Mitglied des Ortsschulrathes?«
»Doch nicht! Der Oberlehrer sitzt im Ortsschulrathe, – mir sehr angenehm; denn mein hohes Alter bleibt gerne in jenen Wegen, die ich seit vierzig Jahren gegangen. Dem Alter möchte es überhaupt auf hohen Sitzen schwindeln, die eine gar traurige Aussicht gewähren.«
»Und was halten Sie von dieser Neuerung, Herr Jester?«
Der Gefragte that verlegen.
»Ich halte dafür, die Neuerung sei eine Frucht vom Baume des Schulstreites. Ob die Frucht gut oder böse ist, das wird ja die Zukunft lehren. Natürlich,« schaltete er unverweilt ein, »mir steht ein Urtheil gar nicht zu. Was vom Ministerium herabkommt, muß Alles ganz vorzüglich sein.«
»Sie glauben demnach, die Neuerung sei eine Verfügung des Ministeriums?«
»Ich weiß es nicht! – Meine Tage sind gezählt, ich möchte sie in meinem Berufe beschließen. Seit vierzig Jahren lehrte ich mit Freuden die Kinder beten und die heilige Geschichte; denn mir war die Aufgabe, Christen und gesittete Menschen zu bilden. Sie werden selbst die Gefühle eines ergrauten Lehrers beurtheilen können, der mit seinen Kindern nicht mehr beten, ihnen nicht mehr von Gott und seinen lieben Heiligen erzählen darf. Uebrigens, – wie gesagt, meine Gefühle gelten nichts, und die Ansichten eines alten Mannes sind eben veraltet in der neuen Zeit.«
»Ich will weiter nicht in Sie dringen, Herr Lehrer, und verstehe den Grund Ihrer Zurückhaltung. Sie werden begreifen, daß ein katholischer Vater mit dieser Schulordnung nicht zufrieden sein kann. Entschiedene Schritte müssen zur Abwehr geschehen. Deßhalb möchte ich vorerst erfahren, ob der Ausschluß des Gebetes und der biblischen Geschichte aus den Schulen eine Erfindung der Herren in Waldhofen, oder in Carlsruhe ist.«
»Sie dürfen nur eine Treppe höher steigen. Mein College Stephan, der ja ein sehr gelehrter Schulmeister und ein intimer Freund des Bürgermeisters ist, wird Ihnen genauen Aufschluß geben können.«
Der Landwirth befolgte den Wink, erstieg die Treppe und betrat ein stattlich möblirtes Zimmer, wo Herr Stephan am Claviere saß und phantasirte, indeß ein Säugling in der Nebenkammer zu den väterlichen Phantasien sang. Das schlichte Wesen des alten Lehrers im Erdgeschoß fehlte den geleckten, affectirten Manieren des Oberlehrers. Die feine Artigkeit des Herrn Stephan hätte jeden Professor gut gekleidet, und es ist die Frage, ob die gelehrten Herren vom Chatheder in der Phrasenkunst Waldhofens Fachgelehrten erreichten.
»Einen Augenblick Entschuldigung,« sagte Stephan, verschwand im Nebenzimmer und trug von dort einen feinen Rock zurück. »Was bringt mir die Ehre Ihres Besuches, Herr Schröter?« frug er, den Kopf zurückwerfend.
Der besorgte Vater trug sein Anliegen vor. Stephans bleiches Gesicht wurde lebhaft, fast erregt.
»Allerdings bin ich in der Lage, Sie bescheiden zu können! Der Fortschritt unseres goldenen Zeitalters ist auch in die Schulen hineingedrungen, um die Ketten zu sprengen, mit denen das Wissen gebunden war. Das edle Herz unseres Landesfürsten und eine Kammer, welche auf der Höhe der Zeit steht, beide haben der Schule gegeben, was der Schule gehört. Mit fortschreitender Bildung werden die Ansprüche an den Staatsbürger größer, und die Wiege des aufgeklärten Staatsbürgers ist die Schule. Ohne gereiftes Bürgerthum kein zeitgemäßer Staat, ohne bildungsfähige Schule kein wissensreiches Bürgerthum. Mithin ruhen Fortschritt, Aufklärung und Staatswohl lediglich auf der Schule. Sie, die Schule allein, ist die Bildnerin des Volkes, sie allein vermag es, Rohheit und Barbarenthum erfolgreich zu bekämpfen. Soll aber die Schule einstehen können für Gesittung und Bildung des Volkes, dann muß sie frei sein von der Botmäßigkeit jener Gewalten, in deren Interesse nicht Aufklärung, sondern Verdummung des Volkes liegt. Ebenso müssen viele hindernde und veraltete Gegenstände fallen, um Lehrstoffen Platz zu machen, welche dem Zeitgeiste entsprechen. Chemie, Botanik, Naturgeschichte, Landwirthschaft, Mythologie waren bisher Fremdlinge in den Volksschulen. Endlich schlug die Stunde, jene Leuchten in die Schulsäle zu stellen, damit alle Finsternisse thörichter Vorurtheile und dummen Aberglaubens verschwinden.«
Schröter vernahm diesen Erguß, wie eine studirte Rede vor ihm ausgeschüttet, und saß im höchsten Grade erstaunt. Er sah den Kopf des Schulmeisters tief im Nacken liegen, er sah die zusammengekniffenen Augen, deren eigentümlichen Glanz, und wurde versucht, an dem gesunden Verstände des Mannes zu zweifeln.
»Ohne Ihre hohe Meinung über das Schulwesen zu bestreiten, wollte ich nur fragen, warum den Kindern das Beten, der katholische Gruß und die biblische Geschichte verboten wurden.«
»Etwas Geduld, – sogleich komme ich darauf! – Von Kosmopolitismus lehrte man in den Volksschulen so viel, wie gar nichts. Sitten und Gebräuche fremder Völker waren in den Volksschulen spanische Dörfer. Die ländliche Jugend glaubte an einen Gott in drei Personen, im höchsten Falle noch an das deutsche Volk, – alle übrigen Nationen existirten nicht. Die Bauern tranken ihren Kaffee, ohne alle Kenntnisse von Anpflanzung, Aernteweise und Clima seiner Heimath. Die Knaben sahen täglich Steine zur Erde fallen, aber von den Gesetzen der Schwere wissen sie nichts. Und so wurde in allen Stücken gesündigt. Unwissenheit regierte und Verdummung. Der ganze Schulplan erstreckte sich auf Lesen, Schreiben, Rechnen und den Alles verschlingenden Stoff – die Religion. Katechismus und Bibel dominirten. Die Geistlichkeit beider Confessionen hielt das Volk am kurzgemessenen Leitseile höchst mangelhafter Erziehung. Wer christliches Dogma verstand und engherzige Moral übte, der war ein vollendeter Mann. Der Glaube hatte das Wissen getödtet.«
Dem Gutsbesitzer riß die Geduld.
»Derselben Ansicht bin auch ich,« unterbrach er den aufgeklärten Schulmeister. »Wer christliche Sittenlehre kennt und übt im Leben, der ist ein ganzer Mann.«
Stephan lächelte mitleidig.
»Dieses Vorurtheil sei Ihnen vergeben, Herr Schröter! Sie wuchsen auf in demselben. Auf mein Ehrenwort: Ihre Nachkommen werden gereifter denken! Die erleuchtete Volksbildung wird sie von diesem ungesunden Vorurtheile befreien.«
»Die ungesunde Anschauung ist nicht auf meiner, sondern auf Ihrer Seite, Herr Schulmeister!«
»Den Titel muß ich abweisen,« fuhr Stephan auf. »Schulmeister sind wir gewesen in Zeiten finsterer Geistesknechtschaft, – jetzt sind wir »Volksschullehrer«. Der Schulmeister ging hervor aus der großen Masse Ungebildeter, – er wurde vom Pfluge, vom Webstuhle, von der Schusterbank hinweggenommen und in die Schule versetzt. Leider gibt es heute noch solche antidiluvianische Exemplare,« – und er deutete verächtlich nach dem Erdgeschoß. »Wir, die Volksschullehrer hingegen, empfingen gediegene wissenschaftliche Bildung in den Seminarien. Mit Kenntnissen beladen, treten wir unter das Volk, um es auf eine dem Zeitgeiste würdige Stufe zu heben. Ohne Selbstlob darf ich es wohl sagen, – denn ich spreche ja nicht von mir persönlich, sondern von meinem Stande, – ich darf sagen: die Volksschullehrer sind berufen, Schöpfer einer neuen Cultur, Begründer einer neuen Gesellschaft zu werden.«
»Und was für eine neue Gesellschaft wollen Sie hier in Waldhofen gründen, Herr Volksschullehrer?« frug der Landwirth, empört über Anmaßung und Hoffart des Dünkelhaften.
»Eine Gesellschaft reifer Menschen, welche die Kinderschuhe vernunftloser Gläubigkeit und engherzigen Confessionalismus abgeworfen, – eine Gesellschaft, die sich ihrer Bildung nicht zu schämen hat.«
»So, – so!« sprach der Gutsbesitzer, und die hellen Augen leuchteten. »Ich habe Ihre Belehrung über Schulwesen und Lehrer geduldig angehört, und bitte Sie, mit gleicher Geduld meine Ansicht zu vernehmen. – Zuerst muß ich die Verunglimpfung alter verdienter Lehrer, die in hochgelehrten Seminarien nicht gebildet wurden, zurückweisen. Bescheiden gingen diese Männer durch das Leben, ohne Dünkel und Ueberspanntheit. Zuweilen geschah es allerdings, daß sie vom Pfluge und aus Werkstätten in den Schulsaal berufen wurden; dies beweist gar nichts gegen ihre Tüchtigkeit. Es wird Ihnen nicht unbekannt sein, daß große unsterbliche Männer, Feldherren und Könige, vom Pfluge und aus Werkstätten auf Throne und zu den höchsten Aemtern berufen worden sind. Ja, die guten, alten, ehrbaren Schulmeister haben die ländliche Jugend gelehrt, was den Bauern zu wissen nothwendig ist. Sie haben christliche Sitte gepflegt, Zucht und Bescheidenheit durch Wort und Beispiel gepredigt, zu einem ganz tüchtigen Bauernstande nach Kräften beigetragen. Die neuen Volksschullehrer hingegen beginnen damit, Gebet und religiöse Geschichte zu verdrängen. Dagegen sollen Naturgeschichte, Botanik und gar Chemie eingeführt werden in der Volksschule. Das ist lächerlich, – ja – abgeschmackt!«
Der Volksschullehrer sprang empor.
»Herr Schröter, – Sie vergessen sich!«
»Durchaus nicht! Ich sage es mit Ueberlegung: lächerlich und abgeschmackt ist es, den Kindern ländlicher Schulen Lehrstoffe von Universitäten und technischen Bildungsanstalten eintrichtern zu wollen. Wen haben Sie vor sich? Kinder von sechs bis dreizehn Jahren, – und Ihr Schulplan ist nicht für Kinder. Darum ist es widersinnig, Volksschulen in Universitäten, oder so etwas, verwandeln zu wollen. Und dann, Herr Volksschullehrer, wozu brauchen Bauern Mythologie, Chemie, Botanik und höhere Naturkunde? Würde hierdurch die Landwirthschaft gefördert? Im Gegentheile! Mancher Aberwitz unreifer Erfindungen und kranker Vorurtheile flöge auf die Felder. Naturkunde empfängt der Bauer auf der Universität der Erfahrung und unmittelbarer Anschauung. Die Saaten zu bestellen nach den Eigenschaften des Bodens, die Aecker wirthschaftlich zu bearbeiten, lernt der Bauer nicht in Schulsälen vom Volksschullehrer, sondern vom Bauern durch praktische Anweisung. Der berühmteste Chemiker der Gegenwart hat für Landwirthschaftliches Entdeckungen gemacht, die sich falsch, unpraktisch und nutzlos erwiesen. Ich selbst habe Anweisungen des gelehrten Herrn befolgt und bin durch Schaden klug geworden. Wollen Sie Tüchtigeres leisten, als der größte Chemiker? Nehmen Sie es mir nicht übel, Herr Stephan: obschon Sie ein gelehrtes Seminar besucht, hätte ich nicht den Muth, Ihnen meinen Grundbesitz zum Bebauen auch nur ein halbes Jahr anzuvertrauen! – Und was soll der Bauer mit Chemie? Etwa um den Wein zu gallisiren? Oder die zum Verkaufe bestimmte Milch mit fremden Stoffen zu tränken? Der Bauer ist eben Bauer, und kein Gelehrter. Hingegen wäre das System des neuen Volksschulwesens ganz geeignet, die ländliche Jugend zu verderben, sie mit gelehrtem Dünkel anzufüllen und zu verleiten, ein mageres Halbwissen für Gelehrsamkeit zu halten. Die Bescheidenheit, welche jedem Stande, auch dem Bauernstande wohl ansteht, würde in einen Hochmuth verwandelt, der in Alles hineinreden will, der Alles zu verstehen sich vermißt. Wir hätten auf dem Lande die hohle Aufklärung der Städte, stolzes Verneinen, seichte Vielwisserei. Die ländliche Einfachheit wäre dahin, die moralische Gesundheit vergiftet, Zucht und gute Sitte, Religion und Glauben bedroht. Und was endlich die hohe Ausbildung der Volksschullehrer in den Seminarien betrifft, so müssen sich die gelehrten Herren wohl hüten, die Säle der Volksschule damit anzufüllen. Sie lehren Kinder, – keine Studenten. Wenn Seminarien den Schullehrer über seinen Beruf hinaus bilden, so können sie ihn nicht verpflichten wollen, Alles, was er weiß, auch den Kindern eintrichtern zu sollen. Auch ich erhielt eine Bildung über meinen Bauernstand hinaus, ich besitze manches gute Buch über Landwirthschaft und lese darin. Ich lese zur Unterhaltung noch Vieles, was zum Ackerbau gar nicht gehört, – deßhalb sind aber die Aecker des Siepersepp, der weder lesen noch schreiben kann, und der ein ausgezeichneter Bauer ist, in einem ebenso guten Stande, wie die meinigen. Genießen und benützen Sie immerhin Ihr reiches Wissen, Herr Stephan, verlangen Sie aber nicht, daß Bauernsöhne und Mädchen geradeso viel wissen, wie Sie. Es wäre dies eine ganz unnöthige Quälerei der Kinder und für Sie verschwendete Mühe. – Das ist meine Ansicht,« – und der Gutsbesitzer griff zum Hute.
Stephan folgte achselzuckend bis zur Treppe. Dort erholte sich der Eingebildete von den empfangenen Streichen.
»Herr Schröter, – ich könnte Ihre Auseinandersetzung in Manchem für eine Beleidigung ansehen. Indessen, ein altes Sprüchwort sagt: »Jeder spricht, wie er es versteht!« – Sie verlangten Bescheid wegen der neuen Schulordnung. Wissen Sie also: im Geiste des neuen Schulgesetzes, den ich Ihnen klar zu machen suchte, liegt es, überflüssiges Material zu entfernen, um Platz für nützliche Kenntnisse zu gewinnen. Darum wurden biblische Geschichte und andere Dinge vom Lehrplane der Volkslehrer gestrichen.«
»Ist das eine Verfügung des Ministeriums?« frug Schröter.
»Eine Verfügung des Ortsschulrathes, – aber ganz im Geiste ministerieller Bestimmungen,« antwortete stolz der Schulmeister.
»Wer gibt dem Ortsschulrathe das Recht, in dieser Weise zu verfahren?«
»Sie hören es ja: – das neue Schulgesetz! Der Geistlichkeit ist zwar gestattet, Religionsunterricht zu ertheilen, jedoch nur in bestimmten Stunden und in sehr beschränktem Maße.«
»Sehr gnädig!« versetzte erregt der Landwirth. »Hören Sie kurz meine Erklärung: ich werde beim Amte gegen den hiesigen Ortsschulrath Klage führen. Die Schule darf nicht entchristlicht werden. Findet meine Beschwerde keine Abhülfe, dann werden meine Kinder die Schule nicht weiter besuchen.«
»Sie vergessen den Schulzwang, Herr Schröter!« warf der Andere schadenfroh hin.
»Schulzwang?« rief der Gutsbesitzer entgegen. »Keine Macht der Erde soll mich zwingen, meine leiblichen Kinder systematisch verderben zu lassen.«
»Das wird sich zeigen!« rief Stephan feindselig.
»Ja, es wird sich zeigen!« erwiderte Schröter aufgebracht. »Was denken Sie? Wir Bauern sollen Jene noch bezahlen, die unsere Kinder auf Irrwege führen? Wir Eltern sollen nicht mitreden dürfen in die Erziehung unserer Jugend, ob dieselbe christlich fromm, oder heidnisch aufgeklärt werde?«
»Alle Ihre Fragen beantworte ich mit – nein!« rief aufgeblasen der Volksschullehrer. »Der Staat hat das Aufsichtsrecht über die Schulen, nicht die Bauern. Wie seltsam, müßte die Regierung jedem unbeholfenen Bauern Rede stehen!«
Schröters Antwort lautete entsprechend, und immer hitziger wurde der Wortstreit. Herr Jester hatte die Stubenthüre etwas geöffnet und lauschte. So oft der Oekonom einen derben Trumpf ausspielte, nickte der Alte beifällig, und jetzt zog er sich rasch zurück, als Schröter die Stiege herabpolterte.
Ein besorgter Vater und religiös gläubiger Mann wollte dem »Schöpfer einer neuen Cultur« in Waldhofen seine Kinder nicht bedingungslos hingeben, – und der Streit war da.
Herr Stephan bändigte kaum seine Ungeduld, dem staunenden Casino die unerhörte Neuigkeit mitzutheilen. Vor der gewöhnlichen Stunde trieb es den Ruhelosen nach dem »Ochsen,« wo er aufgeregt »das Herrenstübchen« betrat. Der vornehme Raum war noch leer. An den Wänden hingen lange Pfeifen, mit gelben Röhren und weißen, stark angerauchten Köpfen. Hier trank die Noblesse des Ortes Mainzer Actienbier. Keinem gewöhnlichen Geschöpfe von Waldhofen war es gestattet, die Herrenstube zu betreten. Der runde, mit grünem Wachstuche überkleidete Tisch duldete nur den Bürgermeister, die gescheidtesten Gemeinderäthe, den Einnehmer, den Volksschullehrer, den Gemeindeschreiber, den Juden Levi und schließlich den Polizeidiener. Diese Auserwählten ließen Wein und Gerstensaft sich wohl schmecken in dem abgeschlossenen Zimmer, unbelästigt von den Gewöhnlichen des Volkes.
Herr Stephan maß mit Löwenschritten den leeren Raum und trug schwer an der verhängnißvollen Kunde. Die knixende Wirthin fertigte er mit trockenen Worten ab, blies den Schaum vom Glase und trank in mächtigen Zügen. Da fiel sein Blick auf die neueste Nummer der Landeszeitung und er las mit regstem Interesse.
»Heidelberg. Die Ultramontanen sind überaus rührig. Es will ihnen die neue Schulordnung nicht gefallen, – natürlich! Die Alleinherrschaft war allzusüß, und es paßte genau in den Kram einer im Finstern schleichenden Partei, das Volk von Kindesbeinen an in Aberglauben und Verdummung hinein zu führen. Hoffentlich werden alle Anstrengungen der Katholiken fruchtlos bleiben. Jedes Dorf wird eine Anzahl geweckter Köpfe im ausgebrochenen höchst bedeutungsvollen Kampfe der guten Sache der Bildung und Humanität zur Verfügung stellen, was um so nothwendiger ist, als der Jesuitismus in allen Städten und Dörfern Anhänger wirbt.«
Stephan las die Zeilen viermal, so außerordentlich gefielen sie.
»Das ist mir aus der Seele geschrieben!« rief er. »Ja, – es ist augenscheinlich: der Jesuitismus wirbt, und in Waldhofen hat er den reichsten Mann in sein Garn gelockt! Aber an geweckten Köpfen und tüchtigen Männern soll es auch hier nicht fehlen,« – und er warf das Haupt herausfordernd in den Nacken. »Nur heran, ihr Finsterlinge, – ihr Pfaffenknechte, – ihr ultramontane Bande, – ihr Todtengräber der Wahrheit, – nur heran, mannhafte Tüchtigkeit erwartet euch! – Was werden die Herren sagen zu meiner Neuigkeit? Wie mag der Bürgermeister aufhorchen! Kämen sie doch endlich, die Wundermär zu vernehmen!«
Den eifrigen Volksschullehrer täuschte indessen die Annahme, den erwarteten Trinkgenossen eine Neuigkeit zu erzählen.
Kaum hatte nämlich Fritz Schröter das Schulhaus verlassen, als die Frau Lehrerin zur Nachbarin eilte, den Vorfall zu hinterbringen. Die Nachbarin lief zur nächsten Freundin mit der merkwürdigen Kunde. Die Freundin trug die Neuigkeit weiter, und so kam es, daß in kürzester Frist ganz Waldhofen die Sache erfuhr. So wenig verstand Herr Stephan den Geist des neu zu cultivirenden Volkes, daß er sich allein im Besitze eines wichtigen Ereignisses in den Annalen von Waldhofen fünf Stunden lang zu behaupten vermeinte, – eines Ereignisses, das im Schulgange verlief und das zum Zeugen die eigene Frau hatte.
Endlich stampften schwere Tritte durch das große Gastzimmer. Stephan hörte die herrisch kreischende Stimme des Bürgermeisters, das kurze Lachen des Einnehmers und den näselnden Laut des Juden Levi. Die Thüre fuhr auf, ein kleiner kräftig gebauter Mann, mit feurigrothem Gesichte, vorstehendem glatt rasirtem Kinn, mit niedriger Stirne und zwei anmaßend glänzenden, fast glotzenden Augen, trat herein, – Bürgermeister Knapper von Waldhofen. Ihm folgte ein lachender Herr in schwarzem Backen- und Schnurrbart, der Einnehmer. Den dritten bezeichneten Habichtsnase und orientalischer Typus als den Krämer und Makler Levi.
Stephan hatte sich grüßend erhoben und wollte eben das bedeutungsvolle Ereigniß würdig einleiten, als Knapper ihn anschrie.
»Aber, Herr Schulmeister, was isch denn das? Isch's wahr, der Schröter Fritz wär' bei Ihnen gewest? Und ihr Zwei hättet mit einander Händel gehabt?«
»Woher wissen Sie das, Herr Bürgermeister?«
»Oho, – da horcht! Das ganze Dorf weiß es, ganz Waldhofen isch voll. Aber jetzt erzählen Sie, wie die Geschicht' eigentlich gewest isch.«
Herr Stephan, ohne Unwillen den »Schulmeister« aus dem Munde des Bürgermeisters ertragend, berichtete weitläufig den Vorfall. Die Belehrungen an Schröter, über Schulwesen und hochwichtigen Stand der Volksschullehrer, wurden gebührend hervorgehoben.
»So – so, – der Schröter will mich beim Amt verklagen,« rief geringschätzend Knapper. »Das soll er nur thun, – gleich heut' noch! Was bildet Der sich ein? Ich gelt' was beim Amt, – hab' gestern wieder 'ne Belobung gekriegt. Und so Einer will mich verklagen, – mich? Er soll nur hingehen, der wird schön abfahren, – ha – ha!«
Ernster beurtheilte der Einnehmer die Sache.
»Fritz Schröter ist weitaus der Höchstbesteuerte nicht blos in Waldhofen, sondern in der ganzen Umgegend. Aergerlich, daß gerade er klagt!«
»Ei was,« – rief Knapper wegwerfend, »andere Leut' zahlen auch Steuern! Wie ich's verordnet hab', so bleibt's, und wem's nit gefällt, der soll 'nen Stecken dazu stecken. Ich bin Präsident vom Ortsschulrath, mich hat die Regierung gewählt! Meint ihr, die Regierung wird ihrem Vertrauensmann Prügel zwischen die Beine werfen? Nein, so dumm isch die Regierung doch nit!«
»Ganz meine Ansicht!« bestätigte Levi der Jude. »Sie sind Bürgermeister und Präsident des Ortsschulrathes. Was Sie thun, beschließen, für zweckmäßig halten, das muß gehandhabt werden.«
»Schröter nimmt sich da Sachen heraus, die ihm übel aufstoßen können,« rief stirnrunzelnd Knapper. »Das isch Unruh gestiftet in der Gemeind', ich werd' wissen, was ich zu thun hab'.«
»Ihre Entschiedenheit ist ermuthigend, Herr Bürgermeister,« lobte Stephan. »Bleiben Sie nur fest, – nur kein Zugeständniß, keine Nachgiebigkeit! – Hören Sie, meine Herren, was die Landeszeitung schreibt,« – und er las den Artikel.
»Den Nagel auf den Kopf getroffen,« sagte Levi. »Ja, die Ultramontanen sind rührig. Im ganzen Lande tobt der Streit. Die Regierung wird hoffentlich stark bleiben.«
»Die Regierung hat alle Gebildeten in ganz Baden hinter sich,« erklärte Stephan. »An uns ist es, zu zeigen, daß wir die hohe Erkenntniß des Landesfürsten und den Geist des neuen Schulgesetzes begriffen haben. Die Tyrannei der Schwarzen hat ein Ende, die Schule ist erlöst aus Verdummung und Geistesfinsterniß.«
»Machen Sie sich gar keine Sorgen, Herr Schulmeister! So lang' ich Borjemeeschter bin, bleibt's beim Beschluß. Wer beten will, der soll in die Kirch' gehen, – in der Schul' wird nit mehr gebetet. Und das ›Gelobt sei Jesus Christus‹ riecht nach Kopfhängerei. So mögen die Kinder allenfalls noch zum Pfarrer sagen, wenn sie wollen. Aber sie dürfen nit Jedermann, der in die Schule kommt, oder auf der Straße ihnen begegnet, so grüßen. Am End' hält man uns in Waldhofen für dumme Schwaben oder Pfaffenknechte wegen dieses unzeitgemäßen Grußes. Was abgeschafft isch, das bleibt abgeschafft, – und noch mehr wird abgeschafft.«
Lange saß die Tafelrunde beim Biere. So oft ein neues Mitglied erschien, wurde der Stoff frisch umgerührt, und das Feuer des Zankes brannte lustig um den Kessel der Zwietracht.
Fritz Schröter war am folgenden Tage in die Stadt gefahren, seine Beschwerde dem Amte vorzutragen. Der Amtmann hörte ruhig den Bericht, drehte wiederholt am Schnurrbart und maß schließlich den Kläger finsteren Blickes.
»Sie werden Bescheid durch das Bürgermeisteramt erhalten,« sagte er kurz und entließ den Gutsbesitzer.
Tage vergingen, der amtliche Bescheid kam nicht. Schröter mußte hören, wie man im Herrenstübchen über ihn sich lustig machte, ihn »Betbruder« titulirte und seine katholische Gesinnung auf die gehässigste Weise entstellte. Er trug geduldig den Schimpf, wenigstens konnte eine mißliebige Aeußerung dem Bürgermeister von dienstfertigen Lauschern nicht hinterbracht werden. Aber Heinrich, der seine Besuche fortsetzte, und in kurzen Pausen mit der reizenden Helena Worte und Blicke zu wechseln sich gedrängt fühlte, gewahrte mit Schrecken das kühle Begegnen des Vaters. Der Jüngling verwünschte den Schulstreit und erwog schweren Herzens, daß feindliche Geister verheerend in das friedliche Reich der Liebe einbrechen möchten.
Vierzehn Tage nach Schröters Beschwerde vor dem Amte, wurde er in das Gemeindehaus gerufen. Der Gemeindediener brachte die Vorladung in der Dienstmütze, im Polizeirock, mit dem Säbel an der Seite und mit gestrenger Miene. Nur flüchtig hatte er schadenfroh gelächelt, aber dem scharfen Auge des Gutsbesitzers war dieses Lächeln und seine Bedeutung nicht entgangen.
Bürgermeister Knapper empfing den vorgeladenen Schröter mit gebieterischer Amtsmiene. Ihm zur Seite saß der Gemeindeschreiber, ein dürres Männchen, bleich, kränkelnd, mit kupferner Nasenspitze und falschen Augen.
»Sie haben mich beim Amte verklagt?« begann Knapper aufgeblasen.
»Verklagt nicht; – aber ich habe mich beschwert wegen der verbotenen Schulgebete und wegen des untersagten Lesens in der biblischen Geschichte.«
»Das kommt auf Eins heraus,« widersprach Knapper. »Ich hab' das Zeug verboten, Sie haben mich deßhalb angegriffen, – ja – mich, – mich, den Borjemeeschter.«
»Wenn Sie so schließen wollen, habe ich nichts entgegen,« sprach ruhig der Landwirth.
»Mein Schluß isch ganz richtig, hätten Sie ebenso richtig geschlossen, dann hätten Sie den Gang nach der Stadt sparen können. Glauben Sie, man verklagt einen Borjemeeschter und Schulpräsident nur so mir nix dir nix? Oder glauben Sie, das Amt entscheidet ohne mein Vorwissen? Schon vor zehn Tagen hat das Amt mir geschrieben und gefragt, was daran isch, und wie ich dem Amt geantwortet hab', so hat das Amt entschieden, – jawohl! Abgewiesen sind Sie mit Ihrer Klag', rein abgewiesen. – Herr Greffier, lesen Sie's ihm vor.«
Der Gemeindeschreiber las:
»Dem Gutsbesitzer Friedrich Schröter von Waldhofen ist auf seine Beschwerde im Seitenbetreff zu eröffnen, daß der dortige Ortsschulrath seine Kompetenz in fraglicher Sache keineswegs überschritten hat, indem die Volksschullehrer nicht weiter gehalten sind, Religionsunterricht zu ertheilen oder Gebete hersagen zu lassen. Dem Ortsgeistlichen bleibt es indessen nicht verwehrt, zu festgesetzten Stunden religiöse Stoffe mit den Kindern vorzunehmen.«
Schröter saß niedergedrückt, der Bürgermeister hohnlächelnd.
»Mir bleibt das unverständlich,« sprach der Landwirth. »Wir sind Christen und wünschen unsere Kinder christlich erzogen. Nun sollen die Schullehrer christliche Gegenstände nimmer anrühren.«
»Die Religion isch Sache der Geistlichen, nit der Schulmeister,« erklärte Knapper. »Sie hörten ja: dem Ortsgeistlichen soll auch fernerhin gestattet sein, Religionsunterricht zu ertheilen. Die Schulmeister sollen sich aber nur mit dem zu schaffen machen, was die Kinder gescheidt und aufgeklärt macht.«
»Damit kann ich unmöglich einverstanden sein,« erwiderte Schröter. »Hauptsache ist die sittliche und religiöse Erziehung des Menschen. Ohne Religion und Gewissenhaftigkeit ist der gelehrteste Mensch doch nur ein gefährlicher Spitzbube. Das Beten in der Schule verbieten, und auch das Lesen in der biblischen Geschichte, sogar den katholischen Gruß, das ist eine schwere Verletzung der Gewissensfreiheit; denn jeder wahrhafte Katholik wünscht seine Kinder religiös gebildet.«
»Was Sie davon halten, isch ganz gleichgültig! So isch's verordnet und so bleibt's!«
Die hochfahrende Art Knappers verletzte.
»Das erste Recht auf meine Kinder hat unser Herrgott, – das zweite Recht habe ich,« sprach entschieden Fritz Schröter. »Niemand kann mich zwingen, meine Kinder in Schulen zu schicken, in denen das religiöse Element Nebensache oder gar mißliebig geworden ist.«
»Sie irren, Herr Schröter!« sagte der Gemeindeschreiber. »Jeder Bürger ist verpflichtet, seine Kinder in die Schule zu schicken. Würden Sie eine Ausnahme machen wollen, so müßte das Amt strafend einschreiten.«
»Jawohl, und der Ortsschulrath wird schon wissen, was er zu thun hat. Nur aufgepaßt, – wir werden fertig mit Ihnen!« rief drohend Herr Knapper.
Der Gutsbesitzer wurde glühend roth. Er beherrschte sich.
»Ob Sie mit mir fertig werden, Herr Bürgermeister, das wird die Zukunft lehren. – Und Ihre Behauptung, Herr Gemeindeschreiber, könnte nur in einem Falle wahr sein: wenn nämlich die Kinder nicht mehr den Eltern, sondern dem Staate gehören. Sind alle Kinder Staatseigenthum, dann hat freilich der Staat das Recht, die Kinder in seinem Geiste erziehen und bilden zu lassen. Der Staat kann befehlen, den religiösen Geist aus den Schulen vollständig zu vertreiben, er kann dafür die Gottheit der Staatsomnipotenz lehren und den Gehorsam gegen den Regierenden oder die Regierenden als höchstes Gebot hinstellen lassen. Will indessen der Staat mit den Kindern in dieser Weise verfahren, so könnte dieß nur geschehen durch den schmachvollsten Raub, durch die himmelschreiendste Verletzung natürlicher und göttlicher Rechte. Eine schändlichere Gewissenstyrannei wäre noch nicht da gewesen. Bis der Staat diesen gräßlichen Raub wagt, bleiben wir Eltern in unseren natürlichen Rechten, wir lassen unsere Kinder nach bester Ueberzeugung erziehen. Will die Regierung Staatsschulen gründen, so mag sie es thun und Jedem frei stellen, seine Kinder dort hinein zu schicken. Wir Christen behalten unsere religiösen Schulen, in denen der alte Gott noch gilt und seine Lehren. Das Schulhaus ist unser, die Schulpfründen sind unser, wir besolden die Lehrer, wir lassen unsere Kinder bilden, wie wir gebildet worden sind, und Niemand hat ein Recht, uns das zu wehren. Will der Staat andere Bildungsanstalten in's Leben rufen, – gut, so mag er sich Schulhäuser bauen und seine Staatsschullehrer besolden, aber unser Eigenthum taste er nicht an. Und schließlich die Erklärung, Herr Bürgermeister, daß ich meine Kinder einem Lehrer nicht anvertraue, dessen vorgeschriebener Schulplan christlicher Erziehung nachtheilig ist.«
»Das wird sich Alles zeigen,« rief Knapper dem abgehenden Landwirthe nach.
Fritz Schröter verließ, empört über die Rücksichtslosigkeit und Vergewaltigung seiner religiösen Ueberzeugung, die ländliche Rathstube. Er kehrte nicht zurück nach dem alten Hause, sondern verlor sich in den Weinbergen. Er ging immer schneller, seine Züge wurden finster, seine Schritte heftig. Hart am Pfade arbeiteten Winzer, Schröter grüßte keinen, er sprach zu keinem ein freundliches Wort, wie es ländliche Sitte ist. Bei allen schoß er vorbei, und Alle standen auf den Stiel des wuchtigen Karstes gestützt und sahen dem reichen Manne befremdet nach. Der Landwirth stieg immer höher, die Rebgelände hörten auf, Ackerfelder begannen. Da und dort gingen Pflüge, den fetten zähen Grund umstürzend, der sich in langen Linien und speckigen Scheiben in die niedergehende Sonne legte. Auch Schröters Knechte waren dort geschäftig. Sie erblickten den nahenden Herrn und hofften, lobende Worte über tüchtige Arbeit zu vernehmen. Laut sprachen sie den ermüdeten Pferden zu, der Pflug durchschnitt rasch den Boden. Wie staunten aber die Lobenswürdigen, als der Gutsbesitzer, wie ein Fremder, vorüberging, die Aecker keines Blickes würdigend? Die Thatsache war unerhört, und als die Knechte am Ende der Ackerlänge zusammentrafen, gab es einen Austausch seltsamer Vermuthungen. Der Herr war plötzlich zum Räthsel geworden, das die Knechte vergeblich zu lösen trachteten.
Endlich stand Schröter vor einem verwetterten Grenzsteine, dessen Seite eine Pflugschaar eingemeißelt trug und verkündete, hier sei die Gemarkung von Waldhofen abgelaufen. Der Standpunkt des Grenzwächters auf luftiger Höhe war prachtvoll. Weithin dehnte sich das herrliche Rheinthal, von dem vielbesungenen Strome durchschnitten, dessen breiter Rücken, wie ein silberglänzendes Band, durch die gesegnete Ebene dahinzog. Er zeichnete malerische Windungen durch den reich gestickten Teppich der Landschaft, und wo die Klugheit der Menschen einen Durchstich vollzogen und den Strom in gerade Linien gezwungen, da protestirte der Schönheitssinn des Beschauers. Die ernsten Kuppeln und mächtigen Thürme des Kaiserdomes zu Speyer traten herrschend aus dem Gesammtbilde hervor, seit achthundert Jahren verkündend, daß aus Germaniens Urwäldern und Sümpfen das Kreuz und seine Lehren diese paradiesischen Gefilde geschaffen. Unzählbare Ortschaften lagen zerstreut, Laubwälder wechselten mit dunklen Föhrenbeständen, Wiesen mit weit gedehnten Fruchtfeldern, und die qualmenden Schlöte der Zuckerfabrik zu Waghäusel berichteten, daß auch im schönen Rheinthale die Maschine festen Fuß gefaßt. Freilich wollte der schwarze Rauch, meilenweit wie eine Wolkenbank in der Luft hängend, mit dem farbenreichen lachenden Gemälde nicht zusammenstimmen. Der Zeitgeist hatte da einen häßlichen Pinselstrich in die kunstvolle Rheinebene hineingeschmiert. Ein empfindsamer Naturfreund fürchtete, das reine Bild möchte schmutzig werden, der Ruß sich an die Silberpappeln hängen, er möchte die goldenen Trauben schwärzen und Germaniens schönstes Glied mit dem unsauberen Gewande der Fabrik überkleiden.
Der Gutsbesitzer von Waldhofen sah nicht die heitere, erquickende Ruhe des Gemäldes im Abendlichte, er sah nicht einmal den Grundschollen vor seinen Füßen, in dem sein Blick wurzelte. Es wühlte und kochte in dem Manne. Bisher lag ihm der Schulstreit fern, weil er dessen Bedeutung nicht kannte. Um so tiefer mußte die plötzlich auftauchende nackte Wirklichkeit einen trotzigen Charakter und fest gläubiges Gemüth erschüttern.
Lange stand er sinnend an den Stein gelehnt, und jetzt schritt er hinab, einer Furche folgend, um den kürzesten Weg nach Waldhosen zu gewinnen. In der Nähe des Ortes kam eine Gestalt entgegen, Heinrich, der Bürgermeisterssohn. Der Jüngling, eben wieder in Gedanken um die schöne Helena geschäftig, sah den Vater und freute sich der Begegnung. Er achtete Fritz Schröter um seiner landwirthschaftlichen Tüchtigkeit und Rechtlichkeit willen, und weil er der Vater einer heißgeliebten Tochter war, suchte ihm der Junge zu gefallen. In diesem Bestreben grüßte er bereits aus bedenklicher Ferne, lächelte dem Ernsten entgegen und zeigte die wärmste Neigung für ein trauliches Gespräch. Und der Gutsbesitzer dankte kalt und schritt finsteren Blickes vorüber. Heinrich stand, wie vom Himmel gefallen. Ohne bestimmte Gedanken, den Strömungen peinvollen Empfindens hingegeben, sah er dem Landwirthe nach, bis derselbe hinter Bäumen verschwand. Und jetzt fiel ein ganzer Schwarm feindseliger Kobolde über den jungen Mann her, beißend, nagend, argwöhnend, die zartesten Seiten der Seele quälend. Heinrich kam niedergeschlagen nach Hause, aß kaum zu Nacht, verrichtete mechanisch laufende Arbeiten und lag schlaflos im Bette, wo er die Hornstöße des Nachtwächters bis Mitternacht zählte.
Fritz Schröter hatte seinem Vater die Erfahrungen des Nachmittages erzählt.
»Das ist Tyrannei!« schloß der Bericht. »Die Freimaurer haben in Baden das Heft in der Hand, sie entkleiden die Volksschulen des christlichen Charakters, sie verbieten das Gebet und die Belehrungen aus der biblischen Geschichte, – und das Alles ist nur der Anfang! Und ich soll gezwungen sein, meine Kinder in eine solche Freimaurer-Schule zu schicken? Ich soll sehen, wie ein glaubensloser Schulmeister meine Kinder verdirbt, – soll den Verderber noch bezahlen? Nein,« rief er heftig, »Alles hat seine Grenzen! Ich werde mich dieser Gewissenstyrannei niemals unterwerfen. Meine Kinder bleiben daheim, und ich will sehen, ob der Schulzwang stark genug ist, in die heiligsten Vaterrechte despotisch einzugreifen.«
»Langsam, Fritz, langsam!« sprach ruhig der Greis. »Auf diesem Wege geht es nicht. Warte noch ab. Schicke die Kinder zur Schule, stürze Dich in keine fruchtlosen Kämpfe und bitteren Erfahrungen. Dieser Streit muß in ganz anderer Weise geführt werden, – laß mich nur machen. Soll es gelingen, dann muß vor Allem die Heerde einen Hirten haben.«
»Wie versteht Ihr das, Vater?«
»Laß mich nur machen, Fritz, – warte ab,« und der Alte verließ unternehmend das Zimmer.