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Waldhofen liegt malerisch am Abhange jener Hügelkette, die sanft ansteigt bis zur Höhe des Kaiserstuhles bei Heidelberg. Die Spitze des Hügels krönt eine Villa der Familie Blendung aus Mannheim. Die Bauern heißen den stolzen Sitz des Geldherrn »das Schlößchen«. Vom Mai bis zur Weinlese wird das Schlößchen von der Familie in kurzen Pausen bewohnt.
Die Villa ist ein ächtes Mannheimer Kind, ein großes, rechteckiges, blankgelecktes Fensternhaus, von den Grundmauern bis zum Schieferdache mit gelblicher Oelfarbe überstrichen, dabei höchst langweilig und ermüdend. Der styllos aufgeführte Bau liegt, wie ein störender Fleck, mitten im reichen Wechsel der Landschaft; denn es hat übliche Geschmacklosigkeit Sorge getragen, das wenige Leben des Baues möglichst zu verbergen. Bevor die Oelfarbe das Ganze eintönig überzog, brachten die angenehm gemeißelten Fensterpfeiler und Pfortengewänder, in tiefrothem Sandsteine ausgeführt, einigen Wechsel in das Ganze. Seitdem aber das Oel jeden Farbenunterschied ausgetilgt und die Gestaltungen des Meißels verwischt, sieht das Schlößchen aus, als habe es einen blaßgelben Ueberzug umgehangen, und von geringer Entfernung betrachtet, gleicht Alles einer müden Fläche. Darum will der Bau mit der lebendigen Natur ringsum nicht zusammenklingen. Selbst die Freundlichkeit seines Anzuges und die lachenden Spiegelgläser seiner hohen Fenster werden fremd zurückgewiesen von der sinnenden Heiterkeit der Umgebung. Eingefügt in die einförmigen Häuserreihen der Mannheimer Quadrate, dürfte die Villa bei allgemeiner Langweiligkeit ohne Anstoß mitgehen, – aber hineingestellt in diese reizende Abwechslung einer gartengleichen Landschaft, erscheint das Schlößchen arm und ausdruckslos. Seine kalte Glätte findet keine Anknüpfungspunkte mit der sinnigen Wärme der umgebenden Natur, und beweist schlagend, daß die moderne Baukunst es verschmäht, die Schöpfung zu belauschen und Steine zu beleben, wie es die Meister des Mittelalters gethan. – – Die innere Ausstattung entspricht den reichen Mitteln des Geldherrn, seinen Forderungen an alle Bequemlichkeiten des Lebens. Nichts fehlt süßem Behagen und hindämmerndem Nichtsthun, sogar amerikanische Schaukelstühle finden ihr Plätzchen. Wo aber in der Ausstattung die Bequemlichkeit aufhört und die Schönheit beginnt, herrscht abermals mannheimer Geschmack. In gewaltigen Goldrahmen hängen Oelgemälde und Kupferstiche an den Wänden in ganz unseliger Auswahl. Nirgends spricht Kunst erhebend zum Beschauer. Ungesunde Sinnlichkeit macht sich breit, statt hoher Gedanken triumphirt aus allen Bildnissen der Reiz zärtlicher Fleischesformen. Aber trotz herrschender Geschmacklosigkeit von Innen und Außen, besteht die Herrlichkeit der Lage: eine prachtvolle Aussicht in das paradiesische Rheinthal.
Der Villa zunächst, von Feldern und Weinbergen umgrenzt, liegt behäbig und sicher ein stolzer Bauernsitz. Das Wohnhaus ist zweistöckig, sehr alt, in mächtigen Quadern aufgeführt. Vielleicht hat vor Jahrhunderten ein weinfreundliches Falkengeschlecht den rauhen Felsenhorst im Odenwalde verlassen, den Streitkolben bei Seite gelegt, sich da ein friedliches Nest gebaut und Weinberge gepflanzt. Jedenfalls stammt der Bau aus einer kräftigen Zeit. Das Auge bleibt unwillkürlich an den schönen Verhältnissen hängen, und die nahe feinpolirte Villa weicht scheu zurück vor dem ernsten Trotze des alten Gemäuers. Die Freitreppe von Stein an der Nordseite, ein Meisterwerk, wird nicht mehr benutzt, aber gut erhalten. Erker treten freundlich hervor, einladend zu trautem Gespräch und zum Genusse der reizenden Fernsicht. Die Giebel sind hoch und durch Steinplatten geschlossen, auf denen Heiligenbilder in mittelalterlicher Gewandung stehen. Ueber dem Eingange hält in einer Nische St. Wendelin Wache über Haus und Hof. Die angebrannte Kerze ihm zur Seite gibt Zeugniß, daß jener treue Hirt aufmerksame Verehrer behüte, in dem alten Hause. Die Fenster sind nach dem Geschmacke der Gegenwart etwas klein, von kräftigen, mit Zierwerk belebten Pfeilern aus rothem Sandstein umrahmt, ganz im Einklange mit der wuchtigen Kraft des ganzen Baues. An der Südwestseite treibt der Wein armesdicke Ranken, gestützt und getragen von zierlich geschnittenen Stangen und Balken. Die ganze Fronte des Hauses hat er umsponnen, und die runden Fensterscheiben blicken sinnend hinter dunklem Weinlaube hervor. Auch der Epheu darf leben um das alte Haus. Am nördlichen Giebel klettert er verwegen bis hinauf zur Steinplatte, wo unsere liebe Frau steht, und kleidet das Standbild mit einem ewig grünen Gewande.
Ueber dem Bogen des Einganges ist ein Wappen gemeißelt, das jedenfalls Wappenkundigen von dem Geschlechte der Erbauer berichten dürfte. Im Hofe, zu beiden Seiten der Hausthüre, stehen zwei Bänke von Stein, auf denen seit Jahrhunderten die Einwohner gesessen, an kühlen Sommerabenden die Hausväter und Knechte sich ausgeruht, die Mütter ihre Kinder, die Großmütter ihre Enkel auf den Knieen geschaukelt, und sittsame Jungfrauen manches schöne Lied gesungen.
Vor dem Hause dehnt sich ein weiter Hof, reich bevölkert mit allen Gattungen von Federvieh. Bei Tage liegt dieses Völkchen selten ruhig, fortwährendes Geschnatter zeugt von lebhafter Unterhaltung, die zuweilen in blutige Balgereien zwischen Hähnen ausartet. Wird der Kampf ernst, so poltert der rothnasige Welsche in den Streit, der Hofhund knurrt zornig die fehdesüchtigen Hähne an, Enten und Gänse, welche gemüthlich um den laufenden Brunnen gelegen, erheben vermittelnd ihre Stimmen, so daß ein gewaltiger Lärm um das alte Haus schallt. Scheunen und Stallungen umstehen groß und stattlich den Hof. Wagen, Karren, Pflüge und alle möglichen Ackergeräthschaften sind geordnet nach strengen Regeln wirthschaftlicher Pünktlichkeit. Es herrscht blanke Sauberkeit um das ganze Haus, nirgends liegt etwas im Wege, sogar die Strohhalme sind von dem gepflasterten Hofraume hinweggefegt.
Hier wohnt Fritz Schröter, in ganz Waldhofen der reichste Mann. Vor zehn Jahren hatte er aus den Händen seines noch lebenden Vaters das Gut übernommen, dasselbe bereits um einige Weinberge vergrößert. Der Gutsbesitzer lebte ausschließlich seinem Berufe, wandelte oder ritt Stunden lang durch seine Felder, den Knechten und Arbeitern nachzusehen, herzte bei der Heimkehr seine Kinder und fand sogar Zeit, mit seinem lieben Eheweibe freundliche Blicke zu wechseln. Von dem Schulstreite hatte er wohl gehört und auch flüchtig gelesen, dessen Bedeutung aber nicht erfaßt und das Ganze für eine müßige Zänkerei angesehen, um die sich ein tüchtiger Landwirth nicht kümmern soll.
»In Baden muß halt immer etwas rumoren,« sagte er. »Früher sangen sie das Heckerlied, jetzt singen sie das Schullied, – am Ende ist Alles leeres Stroh gedroschen.«
Aber die Stunde war gekommen, Fritz Schröter zu belehren, daß es sich keineswegs um leeres Stroh, sondern um die Seelen seiner Kinder handelte.
Auf der Steinbank vor dem Hause sitzt Gangolph Schröter, des Landwirthes Vater, ein fünf und siebenzig jähriger Greis, hochgewachsen, nicht gebeugt, Willenskraft in den Falten des Gesichtes, sinnenden Ernst über der Stirne und klaren Verstand im hellen Auge. Ergrautes Haar zieht um das Haupt und läßt über der Stirne eine kahle Fläche. Breit sind die Schultern, gewaltig die arbeitgewohnten Hände, fest und stark der Knochenbau. Die Kleidung des reichen Bauern ist ländlich einfach, aber sauber und mit einer gewissen natürlichen Eleganz geordnet. Das seidene Tuch um den steif emporstehenden Hemdekragen fällt in langen Zipfeln über die Brust, und die altväterlich langen Flügel des Tuchrockes kleiden ehrwürdig. Neben ihm liegt ein mächtiger Dreispitz, eine längst untergegangene Kopfbedeckung, von Gangolph treu und stolz bewahrt. Auf seinen Knieen ruht ein vielgebrauchtes Buch, die Legende der Heiligen, in dem er liest.
Tiefe Stille um des Haus. Knechte und Mägde sind auf die Felder gefahren, zu pflügen, zu säen und zu setzen. Die Hühner bearbeiten den Düngerhaufen um den Hahn geschaart, der manchmal einen Warnruf ausstößt, sobald hoch in den Lüften ein Raubvogel dahinschießt. Enten und Gänse stehen auf einem Fuße, reden zuweilen Unverständliches oder drücken sich an den Boden und den Kopf zwischen die Flügel. Der Welsche ruht mit seiner Familie unter einem Hollunderstrauche, die Tauben betrachtend, welche um den Brunnen fliegen. Aus dem Hause hallen Tritte und emsiges Treiben der geschäftigen Hausfrau. Oefter sieht der Greis vom Buche auf, sinnt über das Gelesene, oder läßt den Blick über die Ebene hinschweifen, die sich weit in die Ferne dehnt, bis hinüber zu der blauen Kette des Hardtgebirges. Zuweilen ruht sein Auge auf Waldhofen, das tiefer unten um die Kirche sich drängt, mit freundlichen Giebeln, dunklen Dächern und weißen Schornsteinen, heiter emporsteigend über die hellgrünen Gürtel der Obstbäume. Im Grunde sieht der Greis keinen Gegenstand, an dem sein Blick zu haften scheint, er sieht nur betrachtend das Vorgeführte der Heiligengeschichte. Sehr ernst mag der Stoff sein; denn Gangolph sitzt ergriffen. Er schlägt das Blatt um, und ein erklärendes Bild versinnlicht die Erzählung. Ein nackter Christenleib ist auf das Rad geflochten und stramm angezogen. Ringsum stehen gaffende Heiden und Soldaten in Helmen, Panzern, langschaftige Lanzen in den Händen, kurze Schwerter an der Seite. Vom erhöhten Sitze herrscht der Richter, und Götzenpriester, in lange Gewänder gehüllt, weisen gebieterisch auf Jupiters thronende Statue. Henkersknechte brennen mit flammenden Fackeln die Seiten des Märtyrers, dessen Gesicht in heftigem Schmerze zuckt und dessen Auge den Himmel sucht.
Gangolph seufzt tief und die Stirnfurchen werden finster.
Die Thüre neben dem geschlossenen Hofthore geht, und herein hüpft ein blondköpfiger Knabe von acht Jahren, den Schulsack in der Hand. Beim Anblicke des Enkels wird Gangolphs Angesicht wieder hell, und jetzt streicht er großväterlich den Lockenkopf des Sprößlings. Der Kleine betrachtet vergnügt das schöne Bild und stellt tausend Fragen. Als ihm die Lage des Geräderten klar geworden, stand er niedergeschlagen und Thränen füllen seine Kindesaugen.
»Großvater, warum haben die bösen Heiden die armen Christen so gequält?«
»Weil die Heiden das Christenthum vertilgen wollten, mein Kind!«
»Warum haben sie das Christenthum vertilgen wollen? Haben die Christen den Heiden etwas gethan?«
»Das nicht, Hänschen! Die Christen haben den Heiden kein Leid angethan. Aber die Heiden haßten das Christenthum, deßhalb wollten sie es ausrotten.«
»Warum haßten die Heiden das Christenthum, Großvater?«
»Weil die reine Lehre des Christenthums die häßlichen Laster des Heidenthums verdammt.«
Hänschen verstand die Worte nicht und machte große Augen.
»Wenn du zehn Jahre älter bist, mein Kind, wirst du begreifen, warum es Menschen gibt, welche den lieben Jesus und seine Lehre hassen.«
»Haßt der Herr Schullehrer auch den lieben Jesus, Großvater?«
»Gewiß nicht! Der Herr Schulmeister lehrt euch ja, daß man Gott lieben soll.«
»Der Herr Schullehrer hat aber doch heute gesagt, wir dürften nicht mehr grüßen: »Gelobt sei Jesus Christus!« Wir sollten sagen: »Guten Morgen, – guten Tag,« – das sei schöner.«
Der Greis wurde aufmerksam.
»Wie hat der Herr Schulmeister gesagt, Kind?«
Hänschen wiederholt dieselben Worte.
»Zu Euch darf ich doch sagen, »Gelobt sei Jesus Christus,« – nicht wahr Großvater? Und auch zum Vater und zu der Mutter, – der Schullehrer hört es ja nicht.«
»Gewiß, – gewiß! Geh' hinein, Kind!« sprach ernst der Greis.
Hänschen sah betroffen in das plötzlich umwölkte Gesicht des Alten und verschwand mit seiner Schultasche unter dem Eingang.
»So weit sind wir schon?« sagte Schröter vor sich hin. »Der Jugend verbietet man den katholischen Gruß? Der Schulstreit ist also doch etwas mehr als leere Zänkerei.«
Ein zweiter Enkel trat in den Hof, die zehnjährige Eva. Sie saß eine Schule höher, als Hänschen und den Großvater drängte es, zu erfahren, ob auch ihr der katholische Gruß verboten worden.
»Wie geht es in der Schule, Evchen?«
Die Kleine senkte den Kopf, das Weinen stand ihr nahe.
»Hast du heute die Aufgabe nicht gewußt, mein Kind?«
Eva nickte bejahend.
»Warum so traurig? Sieh' mich an, – aufrichtig,« – und er hob das gebeugte Haupt. »Du weinst? Was ist das?«
»Der Herr Schullehrer hat gesagt, wir dürfen nicht mehr grüßen »Gelobt sei Jesus Christus,« – wir dürfen auch nicht mehr beten vor und nach dem Unterricht, das sei veraltet Zeug, hat der Herr Schullehrer gesagt. Auch in der biblischen Geschichte werde nicht mehr gelesen, sondern in schönen, lehrreichen Büchern. Dabei hat der Herr Schullehrer ganz wilde Augen gemacht und so garstig gelacht, daß mich's überlaufen hat. So sind wir heut' aus der Schule fort, ohne zu beten, – und das ist gar nicht schön, Großvater!«
»Nein, gewiß nicht!« versetzte Gangolph, dessen blaue Augen zu lodern begannen. »Sei getrost, Kind! Ihr sollt beten in der Schule, – ja ihr sollt,« wiederholte er mit starker Betonung und schloß etwas heftig das Buch.
Eva trat in das Haus. Der Alte saß gedankenvoll, ohne Hänschen zu bemerken, der auf der zweiten Bank Platz genommen, ein mächtiges Butterbrod in den Händen und den Großvater mit weit offenen Augen betrachtend, den er niemals so gesehen, wie jetzt. Und als Evchen, gleichfalls mit dem Morgenbrode, unter dem Eingang erschien, winkte ihr der Kleine zu, sachte aufzutreten.
»Der Großvater ist böse,« flüsterte er. »Sieh' nur, was er für feurige Augen macht,« – und Beide saßen scheu bei Seite.
»Die Hacke muß einen Stiel haben,« stieß Schröter nach längerem Sinnen hervor, griff zum Hute und stieg hinab nach Waldhofen.
Die Kleinen standen vor dem Thore und sahen dem Großvater nach, wie er ungewöhnlich rasch die Straße überwand, und wie der Dreispitz immer tiefer sank, bis ihn und seinen Träger das erste Haus verbarg.
»Dort kommt Bürgermeisters Heinrich!« rief plötzlich der Knabe. »Er war in der Stadt und bringt mir einen Tanzknopf.«
Die Trümmer des Butterbrodes wurden dem Thorpfosten anvertraut, Hänschen flog einen Pfad hinab, der anfänglich durch Weinberge zog, und dann hinter dem Dorfe hinschlich. Keuchend erreichte der Knabe einen schlank gewachsenen jungen Mann mit frischen Wangen und glänzenden Augen. Er trug gewählte Kleidung, einen hechtgrauen Joppen mit grünem Kragen, einen Filzhut, daran einige Feldhühnerfedern stacken, und in der Weste eine Uhr mit silberner Kette. Aus der Tasche zog er jetzt den versprochenen Tanzknopf, und Hänschen zeigte überaus große Freude.
»Ich werde dich lehren, wie man ihn tanzen macht, wenn wir hinaufkommen. – Ist Lenchen daheim?« frug er etwas befangen.
»Nein, sie ist auf der Bleiche.«
Der Jüngling blickte zu Thal, wo ein Bach floß und grüne Matten lagen. Dort bewegten sich geschäftige Frauengestalten um langhingestreckte Tücher, die blendend weiß in der Sonne leuchteten.
»Kommt Lenchen über Mittag heim?«
»Ja, – ich weiß nicht! Wie kann der Tanzknopf denn tanzen, Heinrich? Er hat ja keine Füße?«
»Du wirst es bald sehen! Hole nur eine Schnur und einen Stock. Sieh' mal hinab, – findest du deine Schwester auf der Bleiche?«
»Nein, – es sind zu viele Mädchen dort und Frauen.«
»Die ist's am Bach mit dem weißen Kopftuch,« erklärte Heinrich. »Eben schöpft sie Wasser, – jetzt begießt sie. Unter Millionen würde ich ihre Gestalt herausfinden,« fuhr der junge Mann zu sich selbst gesprochen fort. »Wie schön sie ist, – sogar aus der Ferne betrachtet! Wie leicht ihre Bewegungen, wie sittig ihre Haltung! Mir kommt es vor, die Wiesen seien stolz darauf, sie tragen zu dürfen, und alle Blumen nickten ihr freundlich zu.«
Er war stehen geblieben und setzte langsam den Weg fort, immer Helena im Auge. Im alten Hause, wohin Hänschen vorausgeeilt, grüßte er in der Küche achtungsvoll die Mutter, ein rüstiges Weib mit gutmütigen Augen.
»Lenchen ist auf der Bleiche,« begann nach gleichgültigen Reden der Jüngling. »Kommt sie zu Mittag heim?«
»Sie könnte längst fertig sein,« erwiederte Frau Schröter. »Mir liegt Alles auf dem Halse, – muß mich recht quälen. – Aber, was ist denn das, Heinrich? Evchen erzählte mir eben, der Schulmeister habe verboten, in der Schule zu beten, auch den Gruß »Gelobt sei Jesus Christus« habe er untersagt. Ist das wirklich so? Ich kann es nicht glauben.«
»Davon weiß ich nichts! Wir fuhren gestern mit Frucht in die Stadt und eben kehrte ich zurück.«
»Hoffentlich ist das ein Mißverständniß,« sprach sie, am Herde schaltend. »Man hört zwar allerlei: die Freimaurer hätten es darauf abgesehen, die Schulen nach ihrem Sinne herzurichten, ohne Gott und ohne Religion. Bei uns geht das nicht! In so eine Freimaurer-Schule würde ich meine Kinder um keinen Preis schicken. Dein Vater ist Bürgermeister, er wird so etwas nicht dulden.«
»Ich denke auch so,« versetzte Heinrich etwas kleinlaut. »Aber mein Vater kann auch nicht, wie er will. Sie wissen ja, die Bürgermeister müssen dem Amt gehorchen.«
Hänschen erschien mit Stock und Schnur. Der Knopf tanzte durch den Flur, über die Treppe, in den Hof. Der Kleine peitschte ohne Rast, vertrieb das lagernde Federvieh und brachte Verwirrung in die Hofordnung.
Die Thorflügel gingen weit auf, drei Pflüge fuhren herein, jeder mit zwei kräftigen Arbeitspferden bespannt. Heinrich saß auf der Bank, von den Knechten freundlich begrüßt und die staatlichen Rosse mit Kennerblicken musternd. Zuletzt erschien Fritz Schröter, der Gutsbesitzer, ein großer Mann mit röthlichem Vollbart und lebhaftem Wesen. Er hatte die blauen Augen seines Vaters, dessen hohe knochige Gestalt und energische Gesichtszüge. Heinrich erhob sich und zog den Hut.
»Du warst in der Stadt? Die Fruchtpreise?«
»Fünf Gulden dreißig die Spelz, sechs Gulden der Waizen.«
»Schöne Preise!« lobte Schröter. »Nächste Woche werde auch ich zwei Fuhren hinein schicken.«
Der Jüngling erröthete: – durch den Thorbogen trat Helena, einen mächtigen Waschkorb auf dem Kopfe, kräftig einher schreitend unter der Last und mit leuchtenden Blicken den Besuch grüßend. Ohne Aufenthalt schwebte sie leicht vorüber in das Haus. Der Landwirth ging nach den Stallungen, seine Stimme hallte befehlend durch den Hof, Knechte und Mägde eilten, ländliche Geschäftigkeit herrschte durch alle Räume.
Der Bürgermeisterssohn nahm den alten Sitz wieder ein, auf Helenens Tritte und Stimme lauschend, die aus dem Hause, von allen übrigen Tritten und Stimmen ihm leicht unterscheidbar, hervorklangen. Jetzt trat er mit dem zurückkehrenden Vater in die große Wohnstube, schien befangen und zog schließlich ein nettes Kästchen hervor.
»Ich habe für Lenchen etwas mitgebracht, und bitte Sie um Erlaubniß, es ihr verehren zu dürfen.«
Eine werthvolle goldene Vorstecknadel blitzte dem Landwirthe aus dem Futteral entgegen.
»Das ist ja für eine Stadtmamsell, Heinrich!« sprach lächelnd der Vater. »Du hast dein Geld umsonst ausgegeben, – Helene wird die Nadel nicht tragen.«
»Sie ist aber doch Mode jetzt auf dem Lande,« entgegnete der Jüngling.
»Wahr, – leider wahr! Auch Sonnenschirme werden getragen von Landmädchen, was doch gar nicht ansteht. An Werktagen in großer Hitze auf dem Felde arbeiten und an Sonntagen einen Schirm tragen gegen die Sonne, – das ist doch ganz und gar widernatürlich. Stadtfräulein mögen immerhin der Sonne wehren, die weiße Haut zu bräunen, was jedoch ein Fräulein ziert, beschimpft zuweilen das Landmädchen.«
Er las Beschämung in Heinrichs Angesicht und wurde ernst.
»Du bist mit Helene aufgewachsen,« fuhr er fort, »Du bist brav und fleißig. Bleibst Du es, Heinrich, dann steht von meiner Seite nichts im Wege, daß ihr einmal glücklich werdet mit einander. Doch, – davon ist jetzt noch keine Rede. Dinge von Wichtigkeit müssen wohl erwogen und geprüft sein.«
Der Jüngling saß hoch erröthend, leuchtende Freude in den Augen und im Herzen einen Drang, als möchte er hinstürzen vor Helenens Vater und knieend seinen Dank ausschütten. Schröters Scharfblick las und verstand die Schrift des jugendlichen Herzens. Er lächelte kaum merklich und tauchte seine Mienen in eine schattige Wolke väterlichen Ernstes.
»Nein, – die Nadel mit dem goldenen Schilde ziert unmöglich ein Bauernmädchen,« fuhr er fort. »Das käme mir gerade so vor, als würde ich, mit einem Seidenhute auf dem Kopfe und Glacehandschuhen an den Händen, auf die Felder gehen. Unsere Frauen kleiden Einfachheit und Sauberkeit viel schöner, als goldener Schmuck und seidene Tracht. Du kämest nicht weit mit einer Frau, deren Sinn auf Putz gerichtet ist, zum Nachtheile der Hauswirthschaft. Ich weiß es, die Putzsucht städtischer Frauen zieht heraus auf das Land. Das ist eine sehr gefährliche Krankheit. Sie bedroht schlichte Ländlichkeit, erfüllt die Köpfe unserer Frauen mit eitelm Tand, und fordert Geldopfer, welche den meisten Bauern schwer fallen. Wozu das? Tüchtigkeit und ehrenvolles Fortkommen liegen keineswegs im Kleideraufwand, sondern in der Arbeit. Ich habe vier Jahre hindurch die Schulen in Mannheim besucht und manchen Einblick in das Hauswesen der Städter gewonnen. Aber ich habe niemals gefunden, daß Kleider Leute machen. Im Gegentheile, die Kleider verderben viele Leute. Auch Du bist zwei Jahre auf dem Lyceum gewesen und wirst nicht wünschen, daß unsere Mädchen die Stadtmamselchen nachahmen.«
So redete Fritz Schröter, vernünftig und väterlich, und Heinrich hörte ihm zu.
»Die Nadel ist zwar schön, offenbar verlockend für manches Mädchenauge, – aber ich zweifle, ob Helena Gefallen fände an dem gleißenden Ding. Ihr gesunder Geschmack würde verbieten, Dein Geschenk zu tragen. Stellen wir sie auf die Probe! Ich werde meine Tochter herein rufen, – biete ihr die Nadel an. Wir wollen sehen, was sie thut.
Heinrich machte rasch eine abwehrende Bewegung. Er fürchtete, Helene möchte in der Prüfung nicht bestehen und verlieren in des Vaters Achtung.
»Lassen Sie das, Herr Schrötter! Ich selbst fühle das Unpassende meiner Wahl.«
»Es soll nur eine Probe sein. Bin selbst begierig, wie Helene dabei sich anstellt. – Helene!«
Aus der Küche antwortete eine helle Stimme. Die Gerufene trat, ohne Waschkorb und verhüllendes Kopftuch, über die Schwelle. Der Jüngling erhob sich und schlich verlegen bei Seite. Der Vater hielt das geschlossene Kästchen in der Hand, und vor ihm stand erwartungsvoll die Tochter, schlank gewachsen, eine Fülle schwarzer Haare in dicken Zöpfen um das Haupt gewunden, und in dem reizenden Angesichte ein tiefes Erglühen.
»Heinrich kommt aus der Stadt,« begann Schröter. »Da er von uns Hausfreund ist, so brachte er für Dich ein Geschenk. Es fragt sich nur, ob es Dir gefällt.«
Er hob den Deckel. Das Mädchen erschrack und stand wie beleidigt, vor der goldenen Nadel. Der Vater lächelte befriedigt.
»Nun, fürchtest Du Dich vor dem Geschmeide?« frug er mit Laune. »Stecke es einmal an Deinen Busen, – möchte sehen, wie es Dir steht.«
»Heinrich hat es gut gemeint, Vater! Für mich aber schickt sich das nicht.«
»Nicht, – warum nicht?«
»Ich müßte mich schämen,« lautete zögernd die Antwort. »Sei nicht böse, Heinrich, – verlange nichts gegen meinen Stand!«
»Recht so, meine Tochter!« lobte Schröter. »Als Heinrich den Schmuck kaufte, dachte er, Du wärest eine Prinzessin oder so etwas, – aber nicht des Schröterbauern Kind.«
Der greise Gangolph trat eilig herein. Strenge und Mißvergnügen im Gesichte.
»Fritz, komm' einmal!« sprach er, schritt durch das Zimmer und verschwand mit dem Sohne im Seitengemache.
»Was denkst Du, Heinrich, mir ein solches Geschenk zu kaufen?« sprach Helena im Tone sanften Vorwurfes.
»Ich meinte, es sei nichts zu schön und zu kostbar für Dich, Lenchen! Nun freut es mich selber, daß Du meinem Geschenk einen Korb gibst, weil ich den Mißgriff erkenne.«
»Ein goldenes Kreuzchen würde stehen,« sagte sie. »Ich würde es an Sonn- und Feiertagen in der Kirche tragen, und es sollte mich erinnern, für Dich zu beten.«
»Du sollst ein Kreuz haben! Trage es aber nicht allein an Sonntagen, sondern auch an Werktagen, damit Du meiner oft gedenkst.«
»Das geschieht vielleicht häufiger, als recht ist,« erwiederte sie schelmisch. »Deine Gedanken scheinen sich aber wenig mit mir zu beschäftigen, weil Du so wenig mein Wesen verstehst. Da sieh' her, – ist das nicht schöner, als zehn goldene Nadeln?«
Sie hatte von den Ranken am Fenster eine Rose gepflückt und an die Brust gesteckt. Der Jüngling sah trunkenen Blickes auf die Jungfrau, deren braune Augen strahlten und deren süßer Mund lächelte.
»Wie schön Du bist, Helena!« flüsterte er hingerissen.
»Das macht die Rose, Heinrich! Wir beide passen zusammen – die Rose nämlich und ich; denn wir sind gewachsen in demselben Hause, im Lichte derselben Sonne, wir athmen dieselbe Luft, wir trinken aus dem gleichen Brunnen. Und damit der Aehnlichkeit nichts fehle: wir beide haben Dornen, wir beide blühen kurze Zeit und welken bald,« – schloß sie mit hinsterbendem Lächeln.
»Schenke mir die Rose,« bat er. »Sie soll an meinem Herzen ruhen, dort sterben und verwelken, und auch im Tode mir lieb sein.«
Sie reichte ihm die Blume.
»Dein erstes Geschenk, Helena! Wie lieblich roth, – wie duftend, – wie rein und zart, – Dein Ebenbild!«
»Du hast etwas gelernt in der Schule zu Mannheim,« neckte sie. »Dennoch hinkt Dein Vergleich: Du hast die Dornen vergessen.«
Lautes Reden der Männer drang aus der Nebenstube. Der Gutsbesitzer sprach heftig.
»Wir können uns das nicht gefallen lassen,« rief Fritz Schröter. »So himmelschreiend klingt diese Neuigkeit, daß ich's gar nicht glauben kann.«
Der Großvater sprach dazwischen. Des Sohnes Erregtheit wuchs.
»Ihr habt Recht, Vater! Die ganze Gemeinde muß protestiren. Das ist Gewissenszwang, Kränkung der heiligsten Interessen. Aber ich muß erst volle Gewißheit haben, die Schulmeister sollen sie geben. Wie Pfarrer und Bürgermeister das mögen hingehen lassen, begreife ich nicht.«
Abermals redete des Greisen schwache Stimme dazwischen, und noch heftiger wurde der Gutsbesitzer.
»Ganz richtig: der Ortsschulrath tanzt nach der Pfeife des Amtes, und der Amtmann ist ein Freimaurer. Ich will doch sehen, ob wir alle nach dieser Freimaurerpfeife tanzen müssen. Nein, – nein, dort sind wir noch nicht! Kein Mensch soll meine Kinder verderben, und wer meinen Glauben antastet, der greift mir in die Seele. Laßt mich nur machen, Vater! Und mit dem Bürgermeister, der anfängt, wie ein Pascha in Waldhofen zu regieren, will ich auch ein Wort reden.«
Helena stand verlegen und sah bittend auf den Sohn des Bürgermeisters.
»Ich habe nichts gehört, Lenchen!« sagte er. »Was auch vorfallen mag, wir bleiben uns gut. Lieber tausendmal sterben, als Zank zwischen uns.«
Er trat in die Küche, verabschiedete sich mit freundlichen Worten von der Mutter und mit innigen Blicken von der Tochter.