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11. Sylter Leben

In einer alten Chronik von Sylt heißt es: »Die meisten Hochzeiten auf den friesischen Inseln wurden in der Woche vor dem ersten Advent gefeiert; dann waren die Seefahrer heimgekehrt und die Feldarbeiten der Weiber beendet, folglich am besten Zeit dazu; mit der Zeit aber gingen die Inselfriesen, wie mit ihrem Gelde, sparsam um.« So finden wir, daß auch Lorens Jens Grethen, genannt Lorens Petersen der Hahn, in der »Hochzeitswoche« des Jahres 1699 mit Inge Erk Andresen aus Tinnum seine Hochzeit feierte. Das war ein großes Fest. Wie üblich, kam der Bräutigam hoch zu Roß, begleitet von seinen Brüdern, vielen Freunden und Genossen am Morgen vor des Erk Andresen Haus. Dort wurde im Freien vor der Tür der feierliche Brauttanz – ein Ringelreihen – ausgeführt. Danach erst ging der stattliche Zug, die Frauen auf Wagen, die Männer zu Pferde, nach der Keitumer Kirche weiter, wo der alte Pastor Cruppius die Trauung an ihnen und drei andern Hochzeitspaaren zugleich vollzog. Die Häuser, an denen diese Hochzeitszüge vorüberkamen, waren reich mit Flaggen geschmückt, und wer von den Anwesenden es irgend erübrigen konnte, begrüßte den Zug mit Freudenschüssen. Dazu jauchzten die Kinder, die in Scharen nebenher liefen, und die große Glocke von Keitum wurde mit Macht geläutet.

Von der Kirche aus ging der Hochzeitszug aber nicht in das Elternhaus der Braut zurück, sondern der Bräutigam führte Braut und Gäste nun in sein eigenes Heim, wo er sie freigiebig mit Schinken und Fischen, Kohl, Grütze und Kuchen bewirtete. Dazu wurde eigengebrautes Bier getrunken. Diese Bewirtung kam dem jungen Ehemann nicht eben teuer zu stehen, und wenn man dem Verfasser jener alten Chronik glauben darf, so war der Brautanzug weitaus das Kostbarste an der ganzen Hochzeit, und das hatte sein gutes Recht, denn dieser Anzug sollte der jungen Frau danach ihr Leben lang weiterdienen zu allen Kirchgängen und festlichen Gelegenheiten, zu Hochzeiten und Kindtaufen sowohl, als auch bei Todesfällen und Beerdigungen. Für jede Gelegenheit wurde der Anzug ein wenig verändert, aber die Hauptstücke blieben die gleichen und waren aus so festen Stoffen, daß sie gut ein Menschenleben überdauern konnten.

Prächtig sah Inge aus, als sie so in ihrem Staat vor Lorens stand, und seine Augen sagten ihr, wie schön sie darin war. Sie trug einen schneeweißen Pelz, zusammengesetzt aus den Fellen junger Lämmer, mit einem breiten, roten Gürtel und darüber noch einen zweiten aus Messinggliedern mit bunten Steinen besetzt. Ein weißes reichgesticktes Hemd war hoch am Halse geschlossen, die Oberärmel aber mit einem dunklen Tuch umhüllt, das auf dem Rücken zur Schleife gebunden war. Lange rote Strümpfe und rote Handschuhe vervollständigten den Anzug. Auf dem Kopf aber hatte sie eine »Hüf« befestigt, das war ein Ding wie ein Blumentopf gestaltet und mit schwarzem Samt bezogen, dessen oberer Rand mit goldenen Knöpfen geziert war.

Als Inge am folgenden Sonntag mit ihrem Mann zum heiligen Abendmahl ging, trug sie eine Hüf, deren Hinterseite aus rotem Tuch bestand, und die silberne Eier statt der goldenen Knöpfe zeigte; dazu über ihrem weißen Pelz ein rotes Wams mit langen Ärmeln, dessen Rock in viele schmale Falten gelegt war; seine Vorderbahn schmückte sie mit einer großen Schleife, auf der ein Stern aus blankem Messing befestigt war. Um die Schultern aber legte sie den Mantel, den ihre Brüder ihr geschenkt hatten; er war aus schwerem schwarzen Tuch gearbeitet und mit Hermelinfellen und -schwänzen ringsum verbrämt. Nicht wenig Mühe hatte es den Brüdern gekostet, so viele weiße Wiesel zu fangen, und die Kette, die den Mantel am Halse zusammenhielt, war aus schwerem Golde. Andere Frauen mußten sich wohl mit Lämmerschwänzchen begnügen und den Mantel mit einer Messingkette schließen. Aber Inge Lorens Hahn sollte alles vom Besten haben, so gut, wie sie es als Inge Erk Andresen bei Vater und Brüdern daheim gehabt hatte, das schwor Lorens sich heimlich zu, als er mit seiner besten Staatsperücke auf dem Haupt und in dem dunkelblauen Rock und weiten Schifferhosen der Grönlandkommandeure stattlich und selbstbewußt neben ihr zur Kirche schritt. –

*

Wie der Kapitän, so ist das Schiffsvolk, und wie die Frau, so ist das Haus. Seit Lorens seine Inge heimgeführt hatte, lebte er daheim wie draußen in einer Luft, in der ihm über die Maßen wohl war. Es war alles klar und wahr um ihn herum, das gab ihm eine ruhige Selbstachtung. In seinen jungen Jahren war er wohl wie der Hahn auf dem Mist gewesen, der sich größer dünkt nur, weil er von oben her krähen kann. Nun wurde er allmählich bedachtsamer und hielt etwas auf sich, auf seine Frau und sein Haus. Inge stand dem Hauswesen mit Umsicht vor. Wenn sie auch an schönen Dingen ihre stille Freude hatte, so war sie daneben doch genau und sparsam mit dem baren Gelde. Was Lorens im Herbst heimbrachte, schüttete er in eine alte Truhe, aber Inge nahm nicht ohne Not davon; sie hielt lieber ihre Sachen gut, daß sie selten etwas Neues brauchte. So wuchs der Vorrat in der Truhe von Jahr zu Jahr, und niemand zählte die blanken Silberlinge, die in der faulen Ruhe allmählich schwarz wurden. Das bare Geld wurde damals auf Sylt noch nicht besteuert, sondern die Steuern wurden danach berechnet, wieviel Pferde auf dem Hof gehalten wurden. Und da Lorens und Inge nur ein Pferd im Stall hatten – im Gegensatz zu andern Leuten, die sich größer dünkten, nur weil sie vier oder sechs Pferde fütterten – waren ihre Steuern gering, und sie galten trotz ihres schönen Hauses für kleine Leute, die einfach leben konnten.

Die Sommer um die Jahrhundertwende fielen durchweg für die Grönlandfahrer ungewöhnlich günstig aus; so kam viel Geld auf die Insel. Auch daheim gab es gute Ernten mehrere Jahre nacheinander, so daß die Leute fast dachten, so würde es nun immer gehen. Sie gewöhnten sich schnell an ein besseres Leben. Die Frauen fingen an, für den Sonntag ein Brot zu backen, und als sie es erst einmal angefangen hatten, mochten sie es nicht mehr entbehren. Früher hatten sie vorwiegend Gerste gebaut, weil der Grützbrei für Kinder und Alte als Hauptnahrung galt. Jetzt kam der Roggenbau immer mehr auf, und es war selbstverständlich, daß jedermann einen Backofen am Hause hatte.

Mit dem Wohlleben zugleich aber wachsen auch die Begierden. Auf Sylt gab es zu jener Zeit noch keine Leuchtfeuer. So war der lange Strand in dunklen Sturmnächten eine große Gefahr für die Schiffe. Die Menschen verstanden damals noch nicht, die Dampfkraft zu nützen, und die Schiffe waren alle nur mit Segeln ausgerüstet. Drückte der Sturm dann gar zu arg, konnte der Schiffer oft nicht mehr Kurs halten. Das Sturmsegel riß oder das Steuer brach, und endlich warf die Brandung das Schiff mit Mannschaft und Ladung auf den Sylter Strand. Das war ein großes Unglück nicht nur für die Mannschaft, die oft in den wilden Wellen Leben oder Gesundheit einbüßte, sondern auch für den Eigentümer des Schiffes. Nach dem damaligen Recht nämlich gehörte ihm von dem Augenblick an, wo sein Schiff einen fremden Strand berührte, nur noch ein Drittel seines Wertes. Das zweite Drittel kam dem Landesherrn des fremden Strandes zu, das dritte aber den Bergern, d. h. den Leuten, die – oft freilich unter Lebensgefahr – das Schiffsgut aus der stürmischen Brandung bargen.

Das waren auf Sylt natürlich die Sylter, und sie sahen denn auch die Strandung eines fremden Schiffes durchaus nicht als Unglück an. Was gingen sie die fremden Menschen an? Sie kannten sie nicht und konnten sich kaum mit ihnen verständigen – wenn des andern Unglück mein eigen Glück ist, weshalb soll ich mir mein Glück dadurch versauern, daß ich an den andern denke? So empfinden alle Menschen, die in dem andern nicht den Bruder sehen. So empfanden auch die Sylter jener Zeit und waren damit nicht schlechter als die meisten ihrer Mitmenschen.

Es kamen durch solche Strandungsfälle viel kostbare Güter nach Sylt: ausländische Stoffe, Tuch und Leinen, fremdartige Lebensmittel, getrocknete Pflaumen und Rosinen, kostbare Weine und noch mancherlei anderes, das die Sylter Frauen noch nicht kannten, wohl aber ihre Männer, die holländische Lebensart auf den Schiffen kennengelernt hatten und sie gern auch daheim einführten, wenn die Gelegenheit so günstig war. Was sie nicht als Berger erwerben konnten, kauften sie für billiges Geld vom Strandvogt, der die andern zwei Drittel verwaltete, denn das Verfrachten der Güter war so umständlich und kostspielig, daß Schiffseigner und Landesherr sie lieber auf Sylt selbst losschlugen; und die Grönlandfahrer hatten ja alle bares Geld im Kasten.

Lorens und Inge hielten sich zurück. Sie fühlten sich zu wohl in ihrem stillen Leben, besonders da ihnen im Herbst des folgenden Jahres noch ein Sohn geboren wurde, als daß sie Verlangen nach solchen Augenblicksgenüssen getragen hätten, aber die Brüder des Lorens dachten darin anders. Peter Jens Grethen, der Vater, war bei einem Fischzug im Watt ertrunken. Danach hatte Jan, der Jüngste, nach altem Brauch das väterliche Haus übernommen und die Mutter bei sich behalten. Manne, der Älteste, hatte auf dem Nachbarhof eingefreit. Aaners und Niggels aber hausten seit des Vaters Tode mit zwei Freunden zusammen in einer halb vom Dünensand verschütteten, jämmerlichen Hütte. Es wurde aber gemunkelt, daß hinter dieser Hütte, tief unter der Düne, noch ein geheimer Verschlag läge, der mit kostbarstem Strandgut proppevoll gestopft wäre. Niemand wagte, die Wahrheit dieses Gerüchtes nachzuprüfen, denn die Hausgenossen waren vier der verwegensten Gesellen auf Sylt, und niemand spürte große Lust, einen derben Knüppel auf dem Kopf oder ein kaltes Messer zwischen den Rippen zu fühlen. Tatsache aber war, daß nirgend so tolles Leben herrschte wie in dieser elenden Hütte, und daß nirgend so guter Wein geschenkt wurde.

Lorens gefiel dies alles durchaus nicht, aber er fühlte sich nicht berufen, sich einzumischen, solange die Mutter noch lebte. So zog er sich nur immer mehr zurück in sein schönes Leben mit Frau und Kind. Es ist aber so: wenn die Besseren sich zurückhalten, heben die Schlechteren desto frecher die Köpfe. Je stiller Lorens der Hahn sich selber hielt, desto mehr mußte er von Dingen hören, vor denen er lieber die Ohren verschlossen hätte.


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