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5. Der Gewittersturm

Es war am Ende des dritten Sommers, in dem Lorens auf dem »Prediger Salomon« fuhr. Sie hatten den größten Teil der Heimreise schon hinter sich, und in der Nordsee hatten sie so gutes Wetter gehabt, daß der Kommandeur meinte, sie könnten die Elbeinfahrt auch wohl ohne Lotsen wagen. Allerdings hatten am gestrigen Nachmittage weiße Donnerköpfe über die Festlandsküste nach See ausgeschaut, aber die waren von der Flut wieder hinter die Deiche gedrückt. So machten sich Kommandeur und Steuermann zunächst keine Gedanken darum, als die gleichen Donnerköpfe auch an diesem Nachmittage im Osten aufstiegen. Aber der Wind, der seit Tagen schon lustig aus Nordwest in die Segel geblasen hatte, wurde unvermutet sanfter, und endlich legte er sich ganz, gerade als die Flut zu steigen begann. Da reckten sich die Donnerköpfe gegen die Flut an und stiegen höher und höher. Schwere Wolkenmassen ballten sich zusammen. Man sah nicht, woher sie kamen – plötzlich standen sie weiß und grau gegen den hellen Äther, und je mehr ihrer wurden, desto dunkler wurde die klare Luft. Eine beklemmende Schwüle lastete über den Wassern, und die Herzen der Menschen schlugen wie in Angst.

Ehe der Flutstrom noch recht eingesetzt hatte, war der Wind so zum Schweigen gekommen, daß die Segel schlaff an den Masten herabhingen. Trotzdem befahl Hans Christian Jaspers, sie so schnell wie möglich zu reffen. Sie hatten die Segel aber noch kaum geborgen, als es auch schon aus dem Elbloch herausheulte, und dann brach aus Südosten ein Sturm los, daß sie das Schiff kaum noch unter Sturmsegel halten konnten. Die See ging nicht besonders hoch, aber der Wind sprang hin und her und schleuderte das Schiff wie ein willenloses Stück Holz herum. Dazu kam eine plötzliche Dunkelheit. Die Wolkenbank hatte nun die Sonne erreicht, und eine dunkle Wand schloß das Schiff von allen Seiten her ein. Ein schwerer Regen rauschte hernieder, der Donner krachte, und nach jedem blendenden Blitze erschien die Dunkelheit ringsum noch tiefer.

Zu jener Zeit waren die Küsten der Nordsee noch nicht so deutlich gekennzeichnet wie heute, wo Leuchttürme und Feuerschiffe, Tonnen und Baken jedem Schiff die Elbeinfahrt weisen. Damals stand statt des strahlenden Leuchtturms auf Helgoland nur die alte Blüse, auf der in dunklen Nächten ein offenes Feuer entzündet wurde. Das leuchtete nicht weiter, als ein Mensch bei Tage mit bloßem Auge sehen kann. In der Elbmündung war vor der Sandbank Trieschen eine schwimmende, rote Tonne verankert, und weit von Westen her gab der klotzige Turm von Wangeroog dem Schiffer einen willkommenen Anhalt; nachts aber reichte sein Feuer nicht so weit.

Wie es Sitte war, daß zu gefährlichen Zeiten der erste Steuermann selbst am Ruder stand, so hatte Oom Siewert auch bei Ausbruch des Gewitters sogleich selbst zugegriffen. Die plötzliche Dunkelheit und dazwischen die grellen Blitze aber verwirrten ihn so, daß er nicht mehr wußte, welchen Kurs er nehmen sollte. Er ließ es dem Kommandeur melden, denn jeder Augenblick vergrößerte die Gefahr. Da griff Hans Christian Jaspers zu einem letzten Mittel.

»Wer weiß, muß sagen!« rief er durch das Heulen des Sturmes hindurch über Deck.

Niemand antwortete. Niemand wagte, in diesem Augenblick die Verantwortung zu übernehmen; auch der zweite Steuermann zuckte nur unsicher die Achseln. Da trat Lorens zum Kommandeur.

»Herr, ich sah Wangeroog vorhin.«

»Bist du nicht ein Helgoländer Mann?«

»Wohl, Kommandeur.«

»So hilf, wenn du kannst.«

Mit einem Sprunge war Lorens neben Oom Siewert. Er sprach kein Wort, er packte nur zu. Er biß sich die Lippen blutig. Wenn er das Schiff nun doch noch auf Strand setzte –! Vergebens strengte er bei jedem Blitz die Augen bis zum Äußersten an, um noch einmal irgend eine Landmarke zu finden. Vergebens – nichts als schwarzfunkelndes Wasser ringsum. Da schrammte steuerbord eine Seetonne das Schiff entlang. War es die rote vor Trieschen? Dann mußten sie jetzt die Segel umlegen.

»Ree Ree = Befehl zum Umlegen der Segel.!« sagte er halb fragend mit heiserer Stimme.

Oom Siewert nahm den Rat als Befehl und gab ihn weiter. Schweigend gehorchte das Schiffsvolk. Wenn nicht ihr Leben, so doch Schiff und Ladung hingen daran, daß sie glatt durch die Sandbänke kamen. Noch hatten die Sturmsegel nicht wieder Wind gefaßt, da brach ein krachender Donnerschlag die Macht des Gewitters. Gleichzeitig aber glaubte Lorens durch das Ruder in seiner Hand hindurch den Flutstrom zu spüren, der sie die Elbe hinauftragen sollte.

»Herrgott – ein paar Sterne!« Das Gebet brach wie ein Schrei aus seiner Brust, und gleich darauf rührte Oom Siewert ihn an und deutete hinter ihn. Lorens wandte sich. Wahrhaftig, dort brach der Himmel auseinander, und zwei Sterne blinkten auf wie die guten Augen eines treuen Freundes.

»Der Karlswagen,« flüsterte der alte Mann ehrfürchtig. Lorens schlug das Herz im Halse. Lag der Karlswagen Karlswagen = Großer Bär. wirklich in dieser Richtung zum Schiff und war das vorhin auch wirklich die rote Tonne von Trieschen gewesen, dann hatte er den Kurs haargenau gehalten – keinen Strich breit hätte er anders halten dürfen. Das wäre ja ein Gotteswunder – in solcher Nacht – er wagte kaum, daran zu glauben.

»Ich weiß doch nicht,« antwortete er beklommen; »so wie die Wolken stehen, müßten wir dann auch schon den Nordstern in Sicht haben.«

»Er kommt, er kommt gleich,« gab Oom Siewert zuversichtlich zurück. »Du hast mehr Fisch als Leine, mein Junge, du wirst es bald zum Kommandeur bringen. Siehst du, mir springt der Fisch immer im letzten Augenblick aus dem Garn –«

Er seufzte, hockte nieder und stützte den Kopf zwischen die Fäuste. Schweigend stand Lorens der Hahn an seinem Posten. Nun wußte er, warum der Alte seit fast dreißig Jahren als Steuermann fuhr, ohne es je zum Kapitän zu bringen; es fehlte ihm irgendwo am letzten. Er selbst aber, der junge Matrose, hatte geschafft, was der altbefahrene Steuermann nicht konnte – und ein glücklicher Stolz machte ihm das Herz heiß. –

In Hamburg rühmte Hans Christian Jaspers dem Schiffsreeder gegenüber, was Lorens für ihn getan hatte. Da machte der ihn zum zweiten Steuermann auf dem »Koning Solomon«, einem neuen Schiff der gleichen Reederei, das aber in allen Teilen dem »Prediger Salomon« gleich war. Als Angeld gab ihm der Reeder einen silbernen Becher, wie es in jener Zeit Sitte war. Aber als Lorens damit heimkam, war sein Großvater gestorben, und niemand war da, der sich recht mit ihm freuen konnte.


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