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Der Dichter Julius Maibutter war glücklicher Bräutigam und Jettchen, sein Jettchen, sollte am 7. Juli ihr achtzehntes Jahr antreten. Deshalb begann Herr Maibutter in den ersten Tagen dieses Monats ein Gedicht zu verfassen, das er ihr mit einem Blumenkörbchen am Geburtstagsmorgen zu überreichen gedachte. Die Tage waren sonnigwarm, und so gestalteten sich ganz wie von selbst die folgenden Strophen:
Siebzehn volle Jahre schlägt Nun dein Herz am heut'gen Tage – Just so viel wie Blüten trägt Dies Geschenk der Julitage. Nicht umsonst zur Rosenzeit Dein Gemüt – es blieb fürwahr |
Diese schönen Verse sagte sich der Dichter wohl stündlich dreimal laut vor, und kein Mensch, der die Schwierigkeit des Dichtens kennt, wird ihm die Freude an der wohlgelungenen Ausführung verübeln. Denn gelungen war sie. Auf die erste und letzte Strophe durfte er geradezu stolz sein. Eine wunde Stelle bildete nur die Mittelstrophe. Jettchen war nämlich eigentlich nicht heiter, ja sogar ziemlich still und nachdenklich oder »thranig«, wie ihr Papa es etwas roh ausdrückte, und besonders die Gedichte ihres Bräutigams pflegte sie mit heiligem Ernst anzuhören, der allerdings in sehr angenehmem Gegensatz zu ihres Papas sarkastischer Heiterkeit stand, mit welcher dieser die Schöpfungen seines Schwiegersohnes aufzunehmen sich erlaubte. Freilich sprach dieser Schwiegervater nicht einmal orthographisch richtig und konnte also bei Beurteilung von dichterischen Erzeugnissen nicht in Betracht kommen.
Wenn aber somit die Heiterkeit der Geliebten nur eine illusorische war, so bildeten die vier Verszeilen doch einen zu schönen Übergang zu der sinnigen Schlußstrophe, als daß der Dichter sich hätte entschließen können, sie aufzugeben. Eine poetische Licenz mußte ja auch erlaubt sein!
Als der Abend des 6. Juli gekommen war, begab sich der Dichter zum tauben Gottlieb, dem einzigen Kunstgärtner des Orts, und bestellte ein Körbchen mit siebzehn Rosen, das ihm am 7. Juli früh punkt 6 Uhr an den Bahnhof gebracht werden solle. Um diese Stunde ging nämlich der Zug nach der nahen Residenz, wo Jettchen wohnte.
»Wird'n großer Korb werden,« brummte Gottlieb nachdenklich, dem Herrn Maibutter den Auftrag ins Ohr schrie, während er ihm durch eine kühne Armbewegung die Form des Korbes klar zu machen suchte.
»Dann machen Sie ihn groß. Aber recht geschmackvoll, Herr Gottlieb!«
»Na – Sie sollen Ihre Freude haben!«
Schon um halb 9 Uhr abends legte sich der Dichter zu Bett, um nur ja rechtzeitig aufzuwachen. Seine Gedanken vor dem Einschlafen waren die denkbar glücklichsten. In der Brusttasche seines Frackes stak das schöne Gedicht, das – dies war er überzeugt – eine mächtige Wirkung machen und auch dem Schwiegerpapa Respekt vor ihm einflößen würde. Sein Hauptgeschenk, ein kostbares Necessaire, das eine Melodie spielte, sobald man es aufklappte, ging Jettchen von der Fabrik, die diese Kunstwerke lieferte, direkt zu. Er selbst hatte aus der alphabetischen Liste der Musikstücke die sinnige Nr. 19: »Du bist wie eine Blume« gewählt und der Fabrik ausdrücklich prompte Absendung eingeschärft. Wenn nun noch Gottlieb, wie zu erwarten stand, den Blumenkorb geschmackvoll gestaltete und rechtzeitig ablieferte, so war alles in schönster Ordnung und der morgige Tag mußte zu einem wahren Triumph für ihn werden.
Herr Maibutter war im Ausmalen dieses Triumphes selig lächelnd eingeschlafen. Die Nacht gestaltete sich aber etwas unruhig für ihn. Nachdem er dreimal geträumt, den Zug versäumt zu haben, viermal Licht gemacht, um nach der Uhr zu sehen, erwachte er ein fünftes Mal bei hellem Tagesschein. Erschreckt sprang er aus dem Bett: Gott Lob! Die Uhr zeigte erst zehn Minuten nach fünf. Sein zweiter Blick galt dem Wetter. Heiliger Gott – es regnete in Strömen! Soweit man sehen konnte, war der Himmel eine einzige graue Fläche. Himmelkreuzmillionendonnerwetter!! Der Dichter warf einen Stiefel gegen die Diele, daß es knallte, fuhr in die Beinkleider, daß der Vorstoß unten zerriß, und kleidete sich in fiebernder Hast an. Dann, ohne sich erst Zeit zu nehmen, Kaffee zu machen, eilte er die Treppen hinunter ins Freie. Vom Himmel goß es wie mit Mulden. Fluchend, sein Pech verwünschend und den Schirm gegen die Wolkengüsse balancierend, jagte Maibutter dem Bahnhof zu. Es war acht Minuten vor sechs, als er diesen erreichte. Gottlieb war noch nicht da. Der Regen rauschte in unverminderter Heftigkeit. Es war zum Teufelholen! Sein Gedicht war futsch! Die letzte Strophe wenigstens, sein Stolz, konnte jetzt unmöglich mehr Verwendung finden. Und am Ende kam auch dieser vermaledeite Gottlieb nicht! Was sollte dann werden? Ohne Blumenkorb war ja auch die erste Strophe seines Gedichts unmöglich – Himmelkreuzdonnerwetter! Das Signal ertönte, der Zug fuhr ein. Maibutter rannte wie ein Rasender von einem Ende des Perrons zum andern – dieser verdammte Kerl ließ ihn wahrhaftig im Stich! Da – an der Ecke dort – endlich – tauchte eine Gestalt auf mit einem Ding, das ein Blumenkorb sein konnte – ja, er war es, Gottlieb der Ersehnte – der erregte Dichter stürzte ihm entgegen und entriß ihm das Kunstprodukt. Aber er fuhr zurück, wie von der Tarantel gestochen.
»Mensch! Was soll das – das sind ja wenigstens hundert Rosen!«
Gottlieb schmunzelte übers ganze Gesicht.
»Nee, Herr Maibutter, nur siebz'g, wie Sie bestellt haben, nicht 'ne eenz'ge mehr.«
»Siebzig?!! Sie sind wohl verrückt! Glauben Sie, daß ich mit einer Großmutter verlobt bin!«
»Fertig!« brüllte der Schaffner – Maibutter flog ins Coupé – die Pfeife schrillte – betäubt sank der Dichter auf einen Sitz. Den Riesenkorb in der Rechten, fuhr er ohne rechts und links zu sehen an dem verdutzten Gottlieb vorüber der Residenz zu.
Sein Gedicht war vollständig dahin. Umsonst all' die Mühe – die sinnigen Pointen für die Katze! Ein neues anzufertigen blieben ihm gerade 25 Minuten Zeit. Aber sein Dichterruhm stand auf dem Spiel. Mit hämmernden Schläfen ging es ans Werk und siehe da – die Muse zeigte sich gnädig. Kurz vor der Ankunft in der Residenz stand in dem Taschenbuche des Dichters ein neues Gedicht.
Siebzig Rosen bring' ich heut, Mag der Himmel so viel Jahre« |
fing es an und endigte mit dem Wunsche, daß derselbe Himmel allen Kummer Jettchens wegwaschen solle:
»Gleich dem Regen dieser Tage!«
Das Gedicht war nicht schlecht, aber gegen das andere freilich konnte es nicht gerechnet werden. Zum Abschreiben fehlte die Zeit, man mußte sich mit Vorlesen begnügen. Doch was war das? Sollte ihm das Glück doch noch lächeln? Der Himmel wurde heller, es tröpfelte nur noch leise! Der Zug hielt. Die Sonne brach aus den Wolken! Vielleicht wurde noch alles gut. Vielleicht ließ sich doch noch das erste Gedicht verwenden! Mit erneuter Hoffnung in der Brust eilte der Dichter mit seinem Blumenkörbchen, dem Schillerschen Frühling gleich, auf geflügelten Sohlen dem Hause der Geliebten zu.
Als er indessen dasselbe erreicht hatte, war die Sonne aufs neue hinter finsterem Gewölk verschwunden. Auf sein Klingeln erschienen Jettchen und ihre Mutter, aber sonderbar verstört, keineswegs freudig, wie er sie sich vorgestellt hatte. Jettchen zeigte verweinte Augen und auch die Mutter machte ein merkwürdig ernstes Gesicht. Nur der Schwiegerpapa lächelte sein gewöhnliches malitiöses Lächeln.
»Ist etwas Trauriges passiert?« fragte Herr Maibutter beklommen.
»Julius,« schluchzte Jettchen, »wie konntest du mir so etwas schenken –«
»Mein Gott,« sagte Maibutter höchst betroffen, »das Necessaire – gefällt es dir nicht –«
Der Alte faßte ihn an einem Rockknopf und lachte auf eine ganz greuliche Weise.
»Sie oller Vokativus, Sie! – Übrigens: mich jefällt die Melodie, nur die Frauens nich!«
Jettchen schluchzte, die Mutter blickte vorwurfsvoll. Maibutter sah unendlich erstaunt aus.
»Aber, es ist ja das berühmte Lied: Du bist –«
»Ja, berühmt is es,« lachte der Alte, »besonders bei die Gassenjungs! Un wie jesagt, mich macht es Spaß.« Und damit drückte er auf den Mechanismus: Ding – ding – dering ding ding –
Entsetzlich! – das war ja: Du bist verrückt mein Kind – »Aber das ist ja nicht möglich!« rief Maibutter verzweifelt. »Jettchen, Mama, lieber Schwiegerpapa, hier ist die Liste, hier überzeugt euch, hier steht es, dies habe ich gewählt: Nr. 19 »Du bist wie eine Blume –«
»Ja, es ist richtig,« schluchzte Jettchen, »sie haben 18 geschickt, es ist die Nummer vorher – – aber wenn du es nur nicht beabsichtigt hast –«
»Aber wie kannst du, wie konntet ihr denken,« stammelte Maibutter. »Natürlich ist es ein Versehen von der Fabrik, ein höchst unangenehmes Versehen, aber doch nur ein Versehen, und ich werde noch heute den Umtausch veranlassen,« und Maibutter rannte aufgeregt im Zimmer umher. Himmel! Daß auch das noch passieren mußte! Jetzt gab's nur ein Mittel, den schlechten Eindruck dieser infamen Verwechslung wieder zu verwischen: er mußte sein erstes, schönes, inniges Gedicht vortragen. Die Poesie dieser Strophen konnte ihm die Gunst Jettchens und ihrer Mutter wieder voll zurückgewinnen. Ja wohl, er war entschlossen, trotz allen Regengüssen, die ja doch nur Zufälligkeiten waren. Und – Gott sei Lob und Dank! – als wollte das Schicksal ihm Ersatz gewähren für all' die Unbilden des heutigen Tages: in diesem Moment brach die Sonne aus dem Wolkenflor und erfüllte das ganze Gemach mit hellem Schein.
»Jettchen, liebe Eltern,« rief der begeisterte Dichter, »was wollen wir uns durch ein Versehen den schönen Tag verderben lassen! Und wie schön sind die Tage im Juli!« fuhr er zu dem Schwiegerpapa gewendet fort – denn es galt jetzt Stimmung für seine Verse zu machen. »Es sind doch eigentlich die beständigsten im ganzen Jahr.«
»Ja, wenn man von die Unbeständigkeit absieht,« lachte der Schwiegerpapa.
»Und aus dieser Stimmung heraus,« fuhr der Dichter etwas hastig fort – denn wie leicht konnte das Wetter wieder umschlagen! – »habe ich dir, liebes Jettchen, heute früh – nur ganz flüchtig – einige Verse aufs Papier geworfen,« und damit rannte er auf den Vorsaal hinaus, wo er infolge des seltsamen Empfangs den Korb deponiert hatte, und erschien gleich darauf, das Riesengewächs in der Linken schwenkend, wieder. Mit einer graziösen Wendung überreichte er es Jettchen, und während Mutter und Tochter ein bewunderndes »Ah!« ausstießen und der Alte sich mit grimmigem Behagen im Stuhl zurechtsetzte, entfaltete er seinen Zettel und begann mit Pathos:
Siebzehn volle Jahre schlägt Nun dein Herz am heut'gen Tage – Just so viel –« |
hier stockte er, »das heißt: dies stimmt nicht ganz, der Gärtner hat einige Rosen mehr genommen, also.
Just so viel wie Blüten trägt Dies Geschenk der Julitage –« |
»Mir soll doch wundern, ob det nich ville mehr sind,« schaltete der Schwiegerpapa ein.
Aber der Dichter achtete nicht darauf. Seine Blicke waren angstvoll auf den Himmel gerichtet, der sich längst wieder umzogen hatte. Wie im Fieber las er weiter:
»Nicht umsonst zur Rosenzeit Tratst du, Liebliche, ins Leben, Seine schöne Heiterkeit Hat der Juli dir gegeben.« |
»Heiterkeit?« knurrte der Alte. »Is mich nich bekannt an dies Wurm –«
Es war finster geworden im Zimmer. Ein Regenschauer prasselte gegen die Scheiben – wie geistesabwesend fuhr der Dichter fort:
»Dein Gemüt – es blieb fürwahr Allezeit, in jeder Lage, So beständig, treu und klar Wie – der Himmel – dieser – mancher Tage –« |
Die Fenster erzitterten unter einem wütenden Anprall des Gewitterregens.
»Hahaha! Hahaha!« brach der Schwiegervater los und wand sich vor Lachen in seinem Lehnstuhl. »Hahaha! Nee, so wat jeht noch über'n Schloßturm.«
Maibutter stand bleich und zitternd, sich den Schweiß von der Stirne wischend. Jettchen schluchzte laut:
»Solch eine Bosheit – hätte ich dir nie – nie zugetraut –«
»Hahaha! Hahaha!« lachte der Schwiegervater, »nee, so 'n Dichter!«
»Herr Julius,« begann die Schwiegermutter pikiert, »wollen Sie uns erklären, was das bedeuten soll?«
Maibutter befand sich in der kläglichsten Verfassung.
»Ich habe – ich bin –« stammelte er, »eine Verwechslung, ich wollte das andere – früh war es schön – das heißt, nein, im Gegenteil – o Gott, ich glaube, ich bin ganz konfus –«
»Hahaha! Hahaha!« lachte der Schwiegerpapa, dem die hellen Thränen von den Backen liefen. »Na Kinder, mit die Dichtkunst wären wir fertig. Nu wollen wir wat Vernünftiges genießen. Jebt euch en Kuß, Kinder, und kommt zu's Frühstück! Maibutter hat et jut jemeint – Dichter sind nu mal alle en bisken verrückt. Un janz besonders – dieser Tage! Hahaha! Nee, det Ding hat mich Spaß jemacht. Kommen Sie, Sie oller Dichter. Un det Necessaire behalten Sie man für sich. Ick werde menem Wurm das ›mit die Blume‹ kaufen. So – nu wären wir so weit: nun woll'n wir det Jeburtstagskind leben lassen.«