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Ich habe einen Freund, eine »Seele von einem Menschen,« ein kleines bewegliches Männchen, das kein Wässerchen trübt, und eine Fliege, die in seinen Kaffee fiele, vor allen Dingen zu retten suchen würde. Dieser Freund hat sich jüngst verheiratet und seitdem ist er der unausstehlichste Kerl von der Welt geworden! Und das ist so zugegangen.
Vor einem halben Jahre – etwa acht Wochen nach der Hochzeit meines Freundes – traf ich ihn – er war seitdem nicht ausgegangen – zum erstenmal wieder auf der Straße. »Wie geht dir's –?« wollte ich fragen, aber er schnappte mir das Wort vom Munde weg, indem er mich beiseite zog und mir mit allen Zeichen des Entzückens ins Ohr raunte: »Ich bin unendlich glücklich – ich weiß es jetzt ganz bestimmt!« – »Ja, ja,« sagte ich, über den Nachsatz lachend, »ich habe nie daran gezweifelt –.« – »Nun ja, ja!« unterbrach er mich ungeduldig. »Ich weiß, daß du mir in dieser Hinsicht etwas zutraust, lieber Freund. Es war aber doch eine Möglichkeit, daß wir uns getäuscht haben konnten – o, sage nichts, der Fall kommt hundertmal vor! – Aber es ist nun gewiß, ja, ja, ganz gewiß, das Faktum besteht, du darfst mir 's glauben!« Und er rieb sich vergnügt die Hände.
»Gewiß glaube ich es,« versetzte ich etwas verwundert, »nur denk' ich –«
»O!« rief er, plötzlich sehr ernsthaft werdend, »ich weiß, was du sagen willst! Daran brauchst du mich nicht zu mahnen: ich verkenne den furchtbaren Ernst der Sache durchaus nicht! Ich weiß,« fuhr er, fast düsteren Blickes, hastig fort, »daß es eine Frage von der ungeheuersten Bedeutung, eine Lebensfrage ist. Und in dieser Hinsicht hat es mir, das darfst du glauben, auch schon tief schmerzliche Stunden bereitet, Stunden, wo ich die ungeheure Verantwortung, die speziell ich auf mich geladen, gewissermaßen vor mir sah! Ich sage dir – du kennst das nicht als Unverheirateter, kannst es nicht kennen! –:> es ist etwas ganz anderes, als wie man es sich für gewöhnlich vorstellt, kein Spaß, wie ihr auf der Kneipe immer annehmt, ooh – bei Leibe nicht – –.«
»Lieber Freund,« unterbrach ich ihn völlig verwirrt, »ich verstehe dich wohl – nicht ganz« wollte ich sagen, aber er schnitt mir das Wort ab: »Nein, lieber Freund, nein! Ich weiß, du denkst dich freundschaftlich in meine Lage, aber verstehen, völlig verstehen, nein, das kannst du nicht, das wirst du erst können, wenn du dich selbst einmal –«
»Aber mein Gott –«
»Erlaube! – in diesem Falle befindest. So viel wirst du indessen einsehen, daß ich für die nächsten Wochen selten, fast gar nicht zu euren Kneipereien kommen kann, denn die größte Rücksicht ist jetzt natürlich Pflicht. Ich habe den Arzt gebeten, daß er uns einen Tag um den andern besuche, und überwache natürlich selbst, seit vorgestern, wo ich es erfuhr, gewissenhaft die Speisen, welche meine Frau genießt.«
Jetzt fing mir an ein Licht aufzugehen!
»Die Bilder in unsern Zimmern,« fuhr mein Freund eifrig fort, – »du weißt, daß dies kolossalen Einfluß hat! – habe ich bereits auf ihre Schädlichkeit geprüft, und den »Bacchuszug von Hähnel« – die große Photographie, weißt du, die in der Eßstube über dem Sofa hing! – sogleich entfernt: meine Frau hat sie direkt vor sich, wenn sie bei Tische sitzt und es kommen doch eigentümliche Scenen darauf vor, denke nur an die Silenusgruppe mit dem Weinschlauch, der eigentlich ein Schwein ist u. dgl.! – apropos: Wasser soll bei dem Zustande auch schädlich sein. Aber die Ansichten darüber sind geteilt. Unser Arzt will es gestatten, aber ich möchte doch erst noch andere hören. Du weißt natürlich nichts darüber? Nicht, nun ja! – Ich denke, es wird immer gut sein, wenn ich sie keins trinken lasse. Übrigens: du wohnst ja bei Schwender, kanntest du nicht 'mal leise hinhorchen, wie er es in dieser Hinsicht hält? Er ist nämlich in der gleichen Lage wie meine Frau – das heißt: seine Frau ist in der gleichen wie ich – ach Gott, nein! – ich bin wahrhaftig ganz konfus, aber es ist kein Wunder, ich fühle mich so angegriffen, so fieberhaft. Die letzten zwei Nächte habe ich wachend auf dem Sofa zugebracht, weil ich immer fürchtete, es könnte eine Katastrophe –«
»Aber, bester Freund,« wandte ich lachend ein, »was in aller Welt soll denn jetzt –«
»Ja, ja, das kennt ihr, das versteht ihr ledigen Leute eben nicht! Gerade in dieser Zeit ist es am gefährlichsten. Von den Anwandlungen, die solche Frauen erleiden, hast du doch wohl schon gehört? Daß sie mit einemmal eine Metze Äpfel, ein Huhn roh mit den Federn verzehren oder sich ganz plötzlich in einen Korb mit Eiern setzen wollen! – das ist ja bekannt. Nun, siehst du, wie leicht kann sich das auf Gefährlicheres werfen; wenn meine Frau einmal Lust bekäme aus dem Fenster zu springen oder Nähnadeln zu verschlucken?! – ich sage dir, der Gedanke plagt mich jetzt unaufhörlich. Aber du entschuldigst –« unterbrach er sich aufatmend, »du nimmst es mir nicht übel, nicht wahr? wenn ich dich schon verlasse – aber ich muß wieder hinauf. Herrgott, es ist ja die höchste Zeit – dreiviertel auf zehn – meine Tagebuchsnotiz! Ich beobachte sie nämlich aller zwei Stunden und führe Buch darüber. Es erleichtert das dem Arzt seine Aufgabe ungeheuer! – Also adieu, lieber Freund, und vergiß es mit Schwendern nicht! Kaltes Wasser natürlich! Und besuch' uns bald – adieu!«
Von dieser Begegnung an begann meine Tortur. – Es war eine Woche danach, als ich meinen Freund unter der Thür seines Hauses traf und von ihm mit geheimnisvoller Miene sogleich in den Hausflur gezogen wurde.
»Es geht alles höchst vortrefflich. Der Arzt kommt jetzt täglich, auf meine Veranlassung! Dreimal hab' ich ihn auch schon nachts holen lassen – er ist wirklich sehr aufmerksam, das muß ich sagen. Allerdings wird er darin in jeder Hinsicht von mir unterstützt. Ich bin scharf dahinter her, wo es gilt, schädlichen Einflüssen vorzubeugen. Die Zeitungen z. B. habe ich sogleich abbestellt, alle – das taugt nichts unter den Verhältnissen. Ich wollte erst das Wochenblatt beibehalten, aber ich habe mir überlegt: es kommen doch häufig sehr häßliche Ausdrücke darin vor, weißt du, unter den Annoncen – und dann: die ewigen Raub- und Mordanfälle – also weg damit! Dagegen lese ich ihr jetzt abends heitere Sachen vor, natürlich nicht zu viel, denn das schadet auch wieder. Überhaupt ist Maßhalten die erste Regel. Nun, darin habe ich vorgebaut: mein Stundenplan für die nächsten zwei Monate ist gemacht, das heißt: ein idealer, denn jeden Tag kann irgend ein bedeutsames Ereignis die ganze Zusammenstellung über den Haufen werfen. Siehst du,« sagte er, ein Papier hervorziehend, »dies ist sehr praktisch: früh 9 Uhr – 4 Liter Milch – für uns beide! – ich trinke mit, weil meine Frau dadurch angeregt wird –«
Glücklicherweise für mich wurde in diesem Augenblicke mein Freund abgerufen – ich benutzte die Gelegenheit zur schleunigsten Flucht.
Nach einigen Wochen, währenddem ich die Straße, wo er wohnte, und Orte, wo ich ihn treffen konnte, sorgfältig gemieden, war ich einer geschäftlichen Angelegenheit halber genötigt, ihn einmal in seiner Häuslichkeit aufzusuchen. Das Mädchen wies mich nach einer Kammer, ich öffnete die Thür und fand meinen Freund am Boden liegend, halb unter einem Schranke versteckt, eifrig in einer mir unverständlichen Thätigkeit begriffen. »Was in aller Welt treibst du da?« frug ich erstaunt. Er wandte mir sein erhitztes Gesicht zu: »Einen Augenblick, lieber Freund! Ich streue Mäusepillen. Mit dem übrigen Logis bin ich durch – dies ist das letzte Zimmer.«
»Habt ihr denn hier Mäuse?«
»Ja wenn ich so lange warten wollte, bis sie da sind, dann wäre es zu spät. Vorbeugen, vorbeugen muß man. In der Lage, in der wir uns jetzt befinden, kann der Anblick eines einzigen solchen Tieres die entsetzlichsten Folgen haben! – Ach Gott, in dieser Hinsicht, sag' ich dir, ist man fortwährend dem Zufall preisgegeben. Du glaubst nicht, was alles zu bedenken ist. – So, nun bin ich hier fertig. Wenn du erlaubst, werf' ich noch ein paar in das Kämmerchen daneben; es ist zwar verschlossen und ich trage den Schlüssel bei mir – ich habe die Nähmaschine und die Plätteisen d'rin versteckt –« flüsterte er mir zu, »Plätten und Nähen ist jetzt das reine Gift für sie! – aber man kann den Frauen in dieser Hinsicht nie trauen – – So! Und nun komm' herein, lieber Freund, um mein Frauchen zu begrüßen. Du hast sie wohl seit ihrer Veränderung noch gar nicht gesehen?«
Bei unserem Eintritt erhob sich die niedliche Gattin meines Freundes und reichte mir die Hand.
»Kind, Kind!« sagte mein Freund, warnend den Finger erhebend, »warum hast du deinen bequemen Lehnstuhl verlassen –«
»Es zog etwas am Fenster –«
»Zog es? Aber liebes Herz, dann lassen wir sofort die Doppelfenster einsetzen. –«
»Aber, Alfred! in den Hundstagen –«
»Das ist gleichgültig! Du weißt: Zug ist jetzt für dich – –«
Seine Gattin zwinkerte ihm mit den Augen zu.
»Nein, nein!« rief er, energisch die Hand ausstreckend, »wenn es sich um deine Gesundheit handelt, kenne ich kein gêne, am wenigsten einem Freunde gegenüber, der, ich weiß es, den lebhaftesten Anteil nimmt –«
Die junge Frau errötete bis unter die Haarwurzeln. »Sie entschuldigen mich,« stammelte sie verwirrt, »ich habe noch draußen zu thun – eine häusliche Arbeit –«
»Doch keine Näherei? Du schneiderst doch nicht?« rief er aufspringend.
»Nein, nein!« versetzte sie, geängstigt aus dem Zimmer eilend.
»Was sagst du nun?« rief er strahlenden Gesichts, als sie verschwunden war. Dann aber nahmen seine Züge den Ausdruck düsterster Besorgnis an und er seufzte tief auf als er fortfuhr: »Jetzt wird es recht schwer mit ihr! – Die Straße darf sie gar nicht mehr betreten. Denke dir: letzthin war ihr ein Ochse begegnet, was sie furchtbar aufgeregt hatte, so daß ihr Zustand wirklich beängstigend war. Es gab sich allerdings nach und nach, aber so etwas kann sich ja alle Tage wiederholen, denn wir haben den Fleischer nebenan! Aber auch ihre kleinen, höchst notwendigen, Bewegungstouren im Garten – von zehn bis elf morgens und nachmittags von drei bis vier – hat sie wegen der steilen Treppe aufgeben müssen. Ich gehe mit der Idee um, einen Flaschenzug anzulegen – (ich bemühte mich ernsthaft zu bleiben) – weißt du, einen Fahrstuhl primitiver Art, der aber ganz zweckentsprechend ist. Ja, ja, lieber Freund, das ist notwendig! Schon neulich hat sich meine Frau entsetzlich erschreckt, als ich auf der Treppe ausgeglitten und fast eine ganze Etage hinuntergerutscht war! Nun, ich ließ gleich den Arzt holen und die Hebamme, und nach einigen Stunden war alles wieder glücklich in Ordnung, aber es hätte ihr doch sehr nachteilig werden können! – Welche Vorsicht überhaupt nötig ist, davon hast du keinen Begriff! Meiner Frau sind z. B. die Ziegen so fatal! Ich schwebe nun fortwährend in Todesangst, daß 'mal so ein Biest vorüberkommen könnte, wenn meine Frau gerade am Fenster sitzt! Und ganz kann man ihr das Hinaussehen doch auch nicht verbieten! – Das Fatalste ist mir aber, daß meine Frau die Kirche versäumen muß. Aber es geht nicht anders, schon da sie überhaupt nicht die Straße betreten darf – du meinst fahren? Daran ist nicht zu denken – die Erschütterung! – und wenn dies selbst ginge: die vielen Menschen und die Aufregung, und dann die Bettler an den Kirchenthüren, man sieht da immer Krüppel, weißt du, so was wirkt ungeheuer leicht auf die Bildung – ja, ja! das ist nicht zum Lachen! – Apropos, lieber Freund, eh' ich das vergesse: morgen ist ihr Geburtstag. Ich habe den »jungen Italiener« von Richter gekauft, Photographie, den häng' ich ihr ins Zimmer, daß sie ihn täglich ansieht, denn – unter uns gesagt –:« – hier dämpfte er seine Stimme zum Flüstern – »ich glaube, daß es ein Knabe wird. Aber ich werde doch noch die »Vestalin« dazu hängen – man kann immerhin nicht wissen – Höre, wenn es beides würde! Oder zwei Knaben! Aber du willst fort? Na, weißt du, lieber Freund, allerdings bin ich jetzt, wenn sie nicht im Zimmer ist, immer etwas in Unruhe. – Du begreifst das, es ist ja natürlich – deshalb will ich dich auch nicht halten, aber besuch' uns bald wieder, hörst du! vielleicht nächste Woche, ich denke, dann wird auch der Fahrstuhl schon im Gange sein.«
Ich atmete dreimal tief auf, als ich draußen stand, und gelobte mir feierlich, diesen Besuch binnen Jahresfrist nicht zu wiederholen.
Aber das Unglück wollte, daß ich gerade in der nächsten Zeit häufiger als je mit dem Vater in spe zusammentraf. Waren andere dabei zugegen – so nahm er mich sofort beiseite und vertraute mir mit gedämpfter Stimme die neuesten Beobachtungen über den Stand der Dinge an. Traf er mich gar allein, so überschwemmten mich die Ergüsse über seine häuslichen Verhältnisse mit der elementaren Gewalt eines Wolkenbruchs. Bald mußte ich die glückliche Einwirkung des Flötenspiels bewundern helfen, bald die jüngsten Unwohlseinsstudien seiner Gattin in allen Details durchkosten, bald die mit grimmigem Behagen vorgebrachte Mitteilung anhören, daß er wieder zwei Hundebesitzer in der Nachbarschaft wegen nächtlicher Ruhestörung gerichtlich belangt habe. Bei allen diesen Auslassungen identifizierte er seine Person immer mehr mit der seiner Gattin, sprach zuletzt nur von »seinem jetzigen Zustande,« und als ich ihn eines Tags zur Beteiligung an einer Turnfahrt animierte, rief er erschreckt: »Wo denkst du hin, jetzt! Das könnte die traurigsten Folgen haben.«
Eines Abends, als ich im geöffneten Fenster lag und arglos in die Straße hinausblickte, kam er vorübergestürmt, sah mich und winkte mich sogleich mit geheimnisvoller Miene zu sich hinunter. Ich mußte ihm wohl oder übel den Gefallen thun.
»Denke dir: etwas Neues, Beunruhigendes stellt sich ein,« fing er an, »meine Frau bekommt eine eigentümliche Sucht auf Nußtorte! Was meinst du dazu?! – Ich sage dir, sie verschlingt sie förmlich! Ist das nicht besorgniserregend?! Lieber Freund, es wird – es kann doch nicht die Zuckerruhr im Anzuge sein?!«
»Ach, lächerlich,« entgegnete ich, wirklich geärgert durch diese ewige Zärtelei. »Vom Tortenessen die Zuckerruhr! – Höre – ich wollte dir schon längst 'mal sagen: du nimmst die ganze Sache verzweifelt tragisch. Schließlich ist das Ereignis doch ein natürliches. Du bist eben eine unglaublich ängstliche Kreatur –«
»Nein, nein, nein, lieber Freund!« rief er in jenem düster-pathetischen Tone, den er jetzt so häufig annahm, »meine Vorsicht ist nicht allzugroß, im Gegenteil – ich bin leichtsinnig, ich weiß es, aber ich bemühe mich, es weniger zu sein. Aber ihr kennt den Ernst der Sache nicht! – Nun, also wegen der Zuckerruhr kann ich beruhigt sein, meinst du? Unser Arzt meinte es auch, aber man muß eben mehrere hören. Ich danke dir, lieber Freund, guten Abend!«
Wieder ein andermal kam er quer über die Straße her auf mich zugestürzt, schon von weitem rufend: »Hast du von unserem gestrigen Unfall gehört? Nichts? – Na, wir haben einen schönen Schreck gehabt! Denke dir: ich kehre in der Dämmerung von einem Einkaufsweg zurück – ich hatte Saugflaschen und Schnabeltassen besorgt; das Mädchen versteht ja so etwas nicht und meine Frau darf, wie du weißt, nicht ausgehen – also, ich trete ins Haus und besteige den Fahrstuhl – da gleitet das Seil von dem Rad, der Fahrstuhl kippt um und stürzt mit mir und den Saugflaschen und Schnabeltassen herunter, daß die Scherben nur so fliegen! Glücklicherweise war ich noch nicht eine halbe Etage hoch, aber es verursachte natürlich einen Heidenspektakel und meine Frau bekam wieder ihren Unfall. – Na, jetzt ist sie wieder auf dem Zeug. Du, es kann nun bald losgehen! Ja, ja, lieber Freund, der Arzt präpariert sich schon darauf!«
»Nun, hoffentlich brauchst du ihn gar nicht,« versetzte ich, um nur etwas zu sagen.
»Zugegen muß er jedenfalls sein – das versteht sich! Ja, ich denke daran, noch einen zweitenzuzuziehen –«
»Liegen denn so ungünstige Umstände vor?«
»Im Gegenteil – die denkbar günstigsten! Der Arzt spricht von einem ›idealen Fall!‹ Aber deshalb will ich denn doch nicht – man braucht sich nachher keine Vorwürfe zu machen. Aber ich stehe da und plaudere und vergesse ganz, daß ich noch Gummiunterlagen zu kaufen habe – adieu, adieu!«
Ich gebrauchte nun schon die äußerste Vorsicht, meinem schrecklichen Freunde zu entgehen; und diese Vorsicht wurde von Tag zu Tag nötiger, denn weiß der Himmel, er verfolgte mich jetzt auf Schritt und Tritt und fand mich auf, wie schlau ich es auch anstellen mochte, mich seinen Verfolgungen zu entziehen.
Eines Morgens – es war noch sehr früh und ich saß vor meiner Staffelei und malte emsig – sah ich ihn zu meinem Entsetzen ins Atelier treten, der einzige Ort, den er bis jetzt wenigstens noch respektiert hatte.
»Die Tanten meiner Frau sind angekommen!« rief er, noch ganz atemlos vom Laufen, »sie haben Wickelbänder mitgebracht, die natürlich viel zu lang sind, indessen das kann leicht geändert werden, dann aber eine Wiege, die ich durchaus nicht verwenden kann, lächerlich – eine uralte Konstruktion! Ich fahnde schon seit langem auf eine Wiege mit Klappmechanismus, die es hier in den Läden nicht giebt. In der ›Illustrierten‹ war 'mal eine Zeichnung davon, aber ich weiß die Nummer nicht mehr. Da fiel mir ein, du hältst ja das Blatt – wärst du so gut, die zwei letzten Jahrgänge 'mal durchzusehen? Oder erinnerst du dich etwa?«
»Höre 'mal« – konnte ich mich doch nicht enthalten ärgerlich zu sagen – »du verlangst wirklich sonderbare Dinge von mir. Wiegen und Wickelbänder – was zum Teufel soll ich als Junggeselle –«
»Nun, nun, sei nur nicht böse! Du wirst mir aber doch die Bände auf ein paar Tage überlassen? Also gut! Ich lasse sie abholen! Adieu, lieber Freund, ich muß noch – wegen der Hebamme – sag' 'mal: glaubst du, daß 40 Mark genug sein werden, außer dem Goldstück in die Badewanne, wenn sie das Kind wäscht, – was?«
»Ach, laß mich zufrieden!« sagte ich ärgerlich, »was versteh' ich denn vom Hebammentarif.«
»Du kannst aber doch eine Ansicht darüber haben – na, ich gehe schon, ich gehe! Ich komme lieber ein andermal wieder!«
»Nur die nächsten vier Wochen nicht!« rief ich ihm noch von der Thür nach. Aber er war schon die Treppe hinunter. –
Kurze Zeit nach diesem Überfall (ich gebrauchte seitdem die Vorsicht, mich einzuriegeln, wenn ich im Atelier arbeitete), an einem prächtigen Augustabende, hatte ich, etwas früher als sonst, mein Malzeug beiseite gestellt, eine Cigarre angezündet und war langsam die schöne Allee hinabgeschleudert, welche an meinem Atelier vorüber nach einem nahegelegenen Dörfchen führte. Wie ich nämlich am Tage zuvor in Erfahrung gebracht, sollte hierher die kleine Helene, eine allerliebste Putzmacherin, die ich jüngst durch Zufall kennen gelernt und seitdem nicht wieder vergessen hatte, allabendlich um die siebente Stunde ihre Schritte lenken. Die reizende Aussicht, das hübsche Kind wiedersehen, ja ohne Zeugen sprechen zu können, die vortreffliche Cigarre und der erquickende Luftzug, der durch die alten Lindenbäume wehte, versetzten mich nach und nach in die rosigste Stimmung. Und jetzt, bei einer Biegung der Allee, sah ich, in gar nicht allzuweiter Ferne, ein blaues Kleid durch das Buschwerk schimmern. Herzklopfend blieb ich stehen; dann aber verdoppelte ich entschlossen meine Schritte. Sie war es in der That, sehr niedlich gekleidet, und schon erwägte ich im Gemüt die Worte, mit welchen ein schickliches Gespräch einzuleiten wäre, als das Gerassel eines auf der Landstraße heranrollenden Wagens mich veranlaßte, noch einen Moment mit dem entscheidenden Schritt zu zögern.
Wer aber beschreibt mein Entsetzen, als ich in dem Insassen des eilig heranrasselnden Gefährtes meinen entsetzlichen Freund erkannte, der bei meinem Anblick dem Kutscher zu halten befahl, aus dem Wagen sprang und mit allen Zeichen der Aufregung auf mich zustürzte!
»Gott sei Dank, daß ich dich gleich hier treffe!« rief er beinah atemlos. »Ich würde die ganze Stadt nach dir abgesucht haben –«
»Lieber Freund,« unterbrach ich ihn sehr kalt und gelassen, denn ich fühlte, daß hier Entschiedenheit notwendig sei, »laß dir zunächst sagen, daß ich augenblicklich keine Minute Zeit habe –«
»Nur einen Augenblick! Du mußt mich hören –«
»Nein, ich muß und ich kann auch nicht!« schrie ich, außer mir bei dem Gedanken, dieser Zwischenfall könnte meine schönsten Hoffnungen vernichten. »Wenn du's denn durchaus wissen willst: eine junge Dame, für die ich mich interessiere, die ich vielleicht nie wiedersehe – bei Gott, siehst du, dort verschwindet sie eben – laß mich!! –«
»Nein, niemals!« schrie er, mich am Arme fassend, »ich lasse dich nicht. Freund! einer solchen Liebelei wegen willst du mich, bei dem es sich um Tod und Leben –«
»Nun so rück' in's Teufels Namen heraus damit! – Sie wird mir entgehen! Sag' was du hast und dann halte mich nicht länger auf!«
»Lieber Freund, ich wußte es wohl, du würdest, du mußtest mir beistehen. Sieh', es handelt sich um nichts geringeres als um eine Amme. Unterbrich mich nicht! Ich bin dir wie gehetzt. Auf drei Dörfern war ich gestern, jetzt komme ich von Drillwitz – heute früh war ich in Schönfels und Knüppelhausen – alles vergeblich, keine nur einigermaßen zweckentsprechend –«
»Und deswegen hältst du mich in solch' einem Moment auf!« schrie ich entrüstet, außer mir. »Mensch, was soll ich denn dabei thun!«
»Lieber Freund,« sprach er plötzlich ruhig, fast feierlich, die Hand auf meine Schulter legend, »ich bitte dich, ich verlange von dir in ernster Stunde diesen Freundschaftsdienst: Fahre für mich nach Altenburg! Du weißt, ich kann augenblicklich nicht auf drei Stunden vom Hause abkommen und eine Tagereise ist es immerhin. Durch Schreiben eine so wichtige Angelegenheit zu erledigen erscheint mir gewissenlos. Du bist mein bester, mein ältester Freund, du wirst sehen, prüfen – ich kann mich auf dich verlassen – – sage nichts, lieber Freund! Du bist Maler! Wie ein gesundes und kräftiges Mädchen beschaffen sein muß, das weißt du! Andere Anforderungen, was das Äußere betrifft, stelle ich nicht. Natürlich müßte es auch ein anständiges Mädchen sein, aus achtbarer Familie, hörst du! – am liebsten eine Lehrerstochter –«
»Ich glaube bei Gott, du bist übergeschnappt!« rief ich aufbrausend. »Nein, – ein solcher Unsinn ist noch nicht dagewesen!«
»Du wirst doch den gewaltigen Einfluß nicht leugnen wollen –«
Aber mein Geduldsfaden war gerissen. »Geh' zum Teufel mit deinem Geschwätz!« schrie ich ihn an, daß er drei Schritt zurückprallte. »Ich hab' deine Vaterschaft satt bis an den Hals! Nichts will ich weiter hören, nichts, gar nichts! Meinetwegen laß dir eine Generalstochter kommen und drei Schock Wiegen mit Klappmechanismus. – Mich aber laß zufrieden, zufrieden, zufrieden! Und wenn du dich wieder normal im Kopfe fühlst, dann kannst du mir's wissen lassen.«
»In dieser schicksalsschweren Stunde –« fing er feierlich an.
Aber ich hielt mir die Ohren zu und rannte davon – – – –
Seitdem habe ich Ruhe vor meinem schrecklichen Freunde, in dessen Hause das »große« Ereignis übrigens noch immer nicht vor sich gegangen ist. Es ist möglich, daß ich mich später wieder mit ihm aussöhne – wenn das Kind ganz erwachsen ist. Für jetzt aber – um alles in der Welt nicht: dieser Mensch wäre imstande, mich auch zur Reinigung von Kinderwäsche zu Rat zu ziehen!