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Es war an jenem Abend, von welchem unsere Erzählung ausging, als in dem zwar altmodisch, aber hoch vornehm eingerichteten Salon eines Hauses in der Wilhelmstraße sich zwei Damen gegenüber saßen; eine ältere, ein wenig korpulente, vom Schlage einer Gutsherrin aus früheren Tagen, gutmütig aber energisch, einfach und doch nie ihre Würde vergessend, Frau Baronin von Bötzow; und eine jüngere, blasse, schöne Frau, ihre Tochter, die zwar mit Eleganz und Geschmack gekleidet war, an deren Aeußerem aber ein geübtes Auge hätte wahrnehmen müssen, daß nicht mehr alles auf voller Höhe stand. Schmuck fehlte fast ganz und der Aufputz war nur mit Anstrengung den Forderungen der Mode angepaßt worden.
»Es ist sieben Uhr, mein Kind,« sagte Frau Baronin von Bötzow zu ihrer Tochter Hanna. »Dein Vater kann gleich kommen, möchtest nicht lieber gehen?«
Hanna erhob sich mit einem schweren Seufzer. Sie mußte wohl gehen, wenn der Vater kam, gegen dessen Willen sie sich vor drei Jahren verheiratet hatte. Sie hatte damals ihr Vaterhaus verspielt und verloren. Glühend und leidenschaftlich hatte sie sich in ihren jetzigen Gatten verliebt; sie hatte zugegeben, daß er sie kompromittiere, d. h. ins Gerede brachte, die Eltern hatten dann die Vermählung geschehen lassen, aber auch nur geschehen.
»Dein Mann wird erst mein Schwiegersohn, wenn er es zu etwas gebracht hat,« erklärte der Baron streng.
Hanna meinte, das könne nicht so lange dauern, und blickte froh in die Zukunft. Ihr Benno war ein begabter Musiker, dem eine glänzende Laufbahn sicher war. Aber es kam ganz anders. Benno vermochte sich nicht emporzubringen; er bekam keine Anstellung, vollendete seine Oper nicht, genug, es ging nicht vorwärts.
Der Baron Bötzow wurde immer härter und unzugänglicher. Sein Sohn, Hannas einziger Bruder, machte dumme Streiche und wurde nach New York expediert. Nun verdroß es den um seinen Namen besorgten Aristokraten nur noch mehr, daß sein Schwiegersohn die künstlerische Position nicht zu erlangen vermochte, die er, der Schwiegervater, im stillen selbst für ihn erhofft hatte; nur hätten die Liebesleute nach seiner Meinung bis dahin warten sollen.
Als seine Tochter wiederholt mit finanziellen Anforderungen an ihn herantrat, wurde er böse und verbot ihr schließlich das Haus. So kam sie nun heimlich, weil die Mutter ihr Kind nicht entbehren wollte, und ihr Kind auch wohl die Hilfe der Mutter nicht zu entbehren imstande war. So war sie auch heute gekommen in großer Not. Bennos Verleger verweigerte weitere Vorschüsse, weil der junge Künstler zu lässig, zu unpünktlich arbeitete, vielleicht auch weil er endlich an seinem Talent zu zweifeln begann. Die Aussicht auf eine Kapellmeisterstelle war abermals zunichte geworden. Zudem verbrachte Benno viel Zeit außer dem Hause, denn, wie er sagte, wenn er nicht seine alten Beziehungen pflegte, so war es vollends um ihn geschehen.
Die Mietszahlung stand vor der Tür, allerlei Gläubiger meldeten sich; Hanna war in ihrer Herzensangst zur Mutter gelaufen, aber diese hatte zwar Trostesworte gegeben, auch eine Summe vom Wirtschaftsgelde, aber die erbetene Intervention beim Vater müsse sie ablehnen. Er war zu sehr erbittert über den Schwiegersohn, er wollte nichts mehr von ihm hören.
Hanna war tieftraurig. Was sollte aus ihr und ihren Kindern werden? – Da saß sie auf dem kostbaren Seidenplüschsofa, umgeben von Wohlstand; alles erinnerte sie an ihre sorglose Kindheit und Jugend, an die rosigsten Hoffnungen, an die glückliche Zeit ihrer ersten Liebe. Unter Tränen umarmte sie ihre Mutter, welche zwar innig und herzlich, aber doch mit einer gewissen ängstlichen Hast die Liebkosungen erwiderte, denn der Vater konnte ja jeden Augenblick kommen.
Als Hanna nach Hause kam, bedeutete sie das Dienstmädchen, daß ein Herr auf sie warte. Sie erschrak; das konnte nur ein Gläubiger sein. Sie fand einen gänzlich fremden Herrn vor, der durchaus wissen wollte, wann und wo ihr Mann zu treffen sei; er hatte ihn soeben in einem bestimmten Kaffeehaus gesucht. Aber in dieses Kaffeehaus war Benno gegangen, sie wußte also gar nicht, wo ihr Mann zu finden war.
Der Fremde schien das zu glauben, aber so ganz nebenbei frug er, ob ihr Herr Vater Verpflichtungen für seinen Schwiegersohn eingehe; sie verneinte erschrocken. Der Fremde machte ein zweifelhaftes Gesicht, musterte noch einmal den Hausrat und ging.
Hanna brach, als er fort war, in bittere Tränen aus, schluchzend umarmte sie ihre beiden Kinder, zwei niedliche kleine Jungen. Sie wiederholte:
»Was soll aus uns werden?«
Kein Zweifel, der Mann, den sie einst so glühend geliebt, geriet immer mehr auf Abwege, desto mehr aber entfernte er sie und sich von einer Versöhnung mit ihrem Vater. Bald würden sie vor der nackten, bitteren Not stehen.
Schon zeugte ihre Wohnung von ihrer Zwitterexistenz. Zwischen den eleganten Möbeln und Ausstattungsgegenständen, welche sie als Mitgift erhalten, waren Lücken; hier und da fehlte ein kostbares Stück, das verkauft oder verpfändet war. An der Tapete zeichnete sich deutlich der Raum ab, wo bis vor kurzem ein größeres Gemälde an der Wand gehangen. Der Schmuckkasten auf dem Marmortischchen ließ durch seine Glaswände den leeren Boden sehen. Freilich, sie hatte noch die Mutter für sich; aber wenn sie Hilfe im Elternhause suchte, so war es um den Preis einer Trennung von ihrem Mann. Und sie liebte diesen Mann noch, er war der Vater ihrer Kinder. Und wie allein und einsam sie war! – Wo blieb er und was trieb er? –
Ach, wie ganz anders war es damals, als sie noch zu Hause war, keine Sorgen kannte, mit dem kleinsten, wie auch mit manchem großen Wunsche Gehör fand bei ihrer zärtlichen Mutter. Und doch hatte sie ihr Schicksal selbst gewählt, hatte es nicht anders haben wollen. Um keinen Preis hätte sie von dem Mann gelassen, der sie durch seine Künstlerschaft, seine liebenswürdigen Manieren bestrickt hatte. So mußte es durchgekämpft werden.
Aber es war hart. Ihre Freundinnen, die sich zugleich mit ihr verheiratet hatten, lebten sorglos und in Wohlstand, ja im Genuß. Nur sie mußte so schrecklich büßen. Womit hatte sie das verdient? Sie hatte geliebt und dem Manne ihrer Liebe vertraut.
Wie sie glühend füreinander flammten, er, der warmblütige, hoffnungsfrohe junge Künstler, sie die verwöhnte Baronesse. Sie liebten sich mit jener Erstlingsleidenschaft, welche nicht an den Ernst des Lebens denkt; sie waren fest überzeugt, daß sie auch in der bekannten »Hütte« glücklich sein würden. Allerdings, man konnte nicht so ohne weiteres in die »Hütte« einziehen; der Widerstand der aristokratischen Eltern mußte gebrochen werden. Und die jungen Leute baten und flehten, trotzten und schmollten, sie kompromittierten sich. Sie drohten mit Doppelselbstmord, mit sensationeller Flucht. Endlich kam ihnen ein Glücksfall zu gute. Eine Orchesterkomposition Bennos fand rauschenden Erfolg. Ein erster Verleger begann sich für ihn zu interessieren, und nun gaben die Eltern nach; sie willigten, wenn auch ungern, in die Vermählung des jungen Paares.
Benno und Hanna gaben ein schier märchenhaft glückliches Brautpaar. Eine glänzende Hochzeit wurde gefeiert, bei welcher die aristokratische und Künstler-Gesellschaft sich vermischten. Alles atmete die freudigsten Hoffnungen für die Zukunft der jungen Leute.
Aber allzu schnell war der schöne Traum verflogen. Benno erwies sich als unzuverlässiger Arbeiter. Das Textbuch zu der Oper, die er komponieren wollte, stürzte ihn in Schulden. Einzelne Nummern gelangen ihm glänzend und begeisterten den Verleger zu großen Vorschüssen. Dann wieder wurde er lässig, ließ die Arbeit liegen, komponierte dazwischen an einem Streichquartett, welches zwar gefiel, aber keinen durchgreifenden Erfolg hatte. So vergingen einige Jahre. Zwei kleine Kinder vermehrten die Lasten des Hausstandes. Die Einnahmen flossen spärlich und unregelmäßig aus kleinen Arbeiten, aus Konzerten, bei welchen Benno mitwirkte usw. Hannas kleine Mitgift war fast aufgezehrt. Not, Sorgen und daraus erwachsende Verstimmung wichen nicht mehr aus dem jungen Haushalt.
Das eigentliche Unglück aber bestand darin, daß diese Sorgen Benno unfähig zur Arbeit machten. Die Lage wurde um so trauriger, als sich das Verhältnis zu den Schwiegereltern immer verschlechterte. Baron Bötzow war geradezu wütend, daß sein Schwiegersohn ihm den versprochenen Künstlerruhm so lange schuldig blieb.
Wenn er seine Tochter einem Bürgerlichen zur Frau gegeben, so geschah es, weil dieser ein Künstler war, und weil der Baron genau wußte, wie hoch erfolgreiche Künstler heute im Kurse stehen. Aber natürlich, Erfolge mußten sie haben. Einmal, am Geburtstage des alten Barons, bei dem üblichen Familiendiner, kam es zu einer heftigen Scene zwischen dem Baron und seinem Schwiegersohn. Der erstere warf dem jungen Manne Pflichtvergessenheit vor. Benno behauptete, der Baron habe keine Ahnung von den Schwierigkeiten künstlerischen Schaffens. Es kam zu einem häßlichen Konflikt. Benno verließ das Haus seiner Schwiegereltern mit der Beteuerung, es nie wieder zu betreten. Hanna folgte ihm weinend. Zwar, der Vater bedeutete ihr, sie könne hier bleiben, wenn sie wolle, und zwar für immer. Man würde ihr den Irrtum verzeihen, an den Künstler in Benno geglaubt zu haben. Sie aber ging mit ihrem Manne, den sie noch immer liebte.
Auch an jenem Abend, als sie zusammen nach Hause kamen, hatte Benno ihr versprochen, zu arbeiten, zu streben. Aber er ließ wieder nach, als Not und Sorge verstärkt im Hause einkehrten. Und das geschah, als die freiwilligen Subsidien der Schwiegereltern ausblieben.
Nun kam in besonders bedrängten Momenten Benno auf den unglücklichen Einfall, zu spielen. Auch heute befürchtete Hanna, daß er in schlechte Gesellschaft geraten sei.
Sie machte sich gefaßt, lange, wenigstens bis Mitternacht auf Benno zu warten; das war wiederholt vorgekommen. Aber diesmal kam es anders. Schon gegen zehn Uhr hörte sie ihn die Korridortür schließen, nicht so zaghaft wie sonst; er kam raschen Schrittes und mit fröhlicher Miene. Er wehrte fröhlich mit der Hand, da sie eine fragende Bewegung machte.
»Erzähle mir nicht erst: Man war da, um Geld zu fordern. Aber die Sache ist schon beglichen,« rief er ihr entgegen.
Benno war ein großer, schlanker Mann mit blitzenden Augen und vollem, krausen Haar, eine richtige Künstlererscheinung. Freilich an den Schläfen waren seine Locken schon ein wenig gelichtet.
»Du hast Dich geängstigt, Du armes Hänschen, ganz ohne Grund. Da, sieh, – sieh her! – Geld in Masse!«
Er zog sein Portefeuille, legte drei Tausendmarkscheine auf den Tisch.
»Sieh her! – Und jene Schuld – ja, eine garstige Schuld war es – habe ich schon bezahlt. Und nun freue Dich, wir haben auf ein halbes Jahr zu leben, und jetzt kann ich in aller Ruhe meine Oper vollenden. Nun wird's auch anders werden, paß auf, mein Hänschen!«
Hanna hörte ihm ganz sprachlos zu.
»Verzeih', ich kann mich nicht gleich freuen. Woher hast Du das Geld?«
Er wich ihren Blicken aus.
»Von wem? – Von meinem Verleger natürlich, von wem sonst? – von dem guten Naumann.«
Sie sah ihn ungläubig an.
»Von Naumann? – Wie ist das möglich? – Er wollte durchaus nichts mehr hergeben, sagtest Du mir selbst.«
»Die neue Nummer,« antwortete er, »das große Duett hat ihm so sehr gefallen.«
»Du sprichst nicht die Wahrheit. Er kannte ja das Duett, es ist ja seit vier Wochen fertig, und seither bist Du nicht weiter gekommen.«
Benno wurde ungeduldig.
»Herr Gott! Ich habe es ihm selbst vorgespielt, selbst vorgesungen; das machte großen Eindruck auf ihn.«
»Ja, aber sonst gab er doch im besten, glücklichsten Falle nur einige hundert Mark auf einmal.«
»Und heute hat er mehr gegeben, so höre doch, mein Kind!«
Er suchte sie abzulenken.
»Wir machen noch einen kleinen Ausflug an die Ostsee, das Wetter ist so mild. Und das große Bild wollen wir auslösen. Du hast auch sonst wohl einen Wunsch für Deine Toilette? Nur heraus damit, jetzt darfst Du's wagen.«
»Schweigen wir jetzt davon!« entgegnete sie ihm. »Erzähle mir lieber, wie das Zugegangen; das ist mir wichtiger. Aber ganz genau! – Wie kamst Du heute zu ihm, und wie war's überhaupt möglich?«
Er antwortete ausweichend, erzählte, wie er seinen Gläubiger ausgesucht, um ihn zu beschwichtigen. Ja, und Konfekt habe er auch gekauft.
»Und weißt Du, Hanna, ich glaube, daß die Goldsachen noch nicht verfallen sind.«
Er zog eine große Konfektdüte aus der Tasche und hielt sie ihr hin. Sie sah und hörte ängstlich zu.
»Wem warst Du schuldig, Benno?«
»Es war eine Wechselschuld, mein Kind. Sieh, ich war ganz verzweifelt, wußte mir keinen Rat, war in die Hände eines Wucherers geraten, und dieser Wucherer ging mir hart zu Leibe; er wollte durchaus nicht warten. Das brachte mich heute auf den Gedanken, noch einmal energisch an Naumann heranzutreten, und diesmal traf ich ihn bei Laune und auch ich war bei Stimmung. Hanna, wenn Du gehört hättest, wie ich vortrug, und wenn Du gesehen hättest, wie es auf ihn wirkte! Genug, es ging wie im Fluge, und da bin ich. Da, iß von dem schönen Konfekt! Da, Deine Lieblingsbonbons, Fondants, – es bleibt ja noch etwas für die Kleinen. Sie schlafen schon, die Stifte? – Ich kaufe morgen etwas anderes für sie, iß Du nur, mein Hänschen! hast es lange genug entbehrt.«
So schwatzte er nervös weiter. Sie hörte eine Weile lang zu, dann schob sie das Konfekt fort, faßte ihn am Arm und sagte ernst:
»Versuche mich nicht zu täuschen, Benno! Du hast das Geld nicht von Naumann; der gibt Dir keins mehr, am wenigsten in solcher Summe. Du hast das Geld gewonnen, am Spieltische gewonnen. Mir graut vor dem Gelde.«
»Aber Unsinn!« warf er ein, ohne sie anzusehen.
»Du spielst; ich ahnte und merkte es längst, Du spielst, Du hast heute gewonnen!«
»Nun denn, ja! – Ich hatte ungeheures Glück. Sei keine Törin, sei froh, daß wir aus der Not sind.«
»Nein, nein!« beharrte sie. »Das kann ich nicht! Oder ist es etwa ein sehr reicher Mann? Ich bitte, ich beschwöre Dich, Benno, sage mir die Wahrheit!«
»Das kann ich Dir beim besten Willen nicht sagen; ich kenne den Mann kaum.«
»Hat er Frau und Kinder?« beschwor sie ihn.
»Ich glaube es nicht. Er schien mir noch sehr jung, offenbar kaum flügge,« berichtete er.
»Wie hast Du ihn getroffen?«
»Einigemale im Kaffeehause. Wir plauderten miteinander; ich merkte, daß er gerne etwas mitmachen wolle, aber sehr an der Strippe war. So machte ich ihm den Vorschlag, uns einmal wo zu treffen. Einige Tage später hielten wir ein Rendezvous ein und amüsierten uns leidlich miteinander. Er hat mir auch seine Karte gegeben, aber ich wußte nichts als seinen Namen. Dann trafen wir uns zweimal bei Wollheim. Du weißt, dort wird gespielt.«
»Wie sollte ich das wissen?« lehnte sie mit Entrüstung ab. –
»Ach so. Du weißt es nicht,« sagte er leichthin. »Nun, gleichviel, ich hatte an dem Tage knapp soviel, um meine Zeche zu bezahlen. Er aber zeigte Lust zu spielen, hoch zu spielen, und so spielte er mit meinem Kollegen, dem Konzertmeister Beiersdorff. Er verlor stark, wurde blaß und verwirrt. – »Der Bursche hat Pech!« flüsterte Beiersdorff mir zu, »bei dem ist etwas zu holen!« Und heute trafen wir uns wieder. Der junge Mann bezahlte dem Beiersdorff, was er ihm neulich schuldig geblieben war, und der Konzertmeister bot ihm Revanche an; aber er wollte nicht. Eine Weile sah er dem Spiel der anderen zu, brütete vor sich hin, bis Beiersdorff fortgegangen war. Auf einmal wollte er spielen, durchaus, ganz gewaltsam. Es fand sich auch noch ein dritter dazu. Ich hatte etwas bei mir, eine Kleinigkeit, und wir begannen mit niedrigem Satz. Aber er hatte schauderhaftes Pech; im Nu gewann ich mit Verdoppelung der Sätze, gewann, was er bei sich hatte. Im Handumdrehen, sage ich Dir, ging das.«
Hanna war blaß und erschrocken.
»Und er?« stieß sie hervor. »Was sagte er?«
»Ach, nichts,« antwortete Benno. »Er stürzte davon. Ich lief ihm nach, bot ihm Revanche auf morgen.«
»Nun, und hat er angenommen?« fragte sie hastig.
»Ich denke ja; er murmelte etwas dergleichen.«
Benno war jetzt selbst still und ernst geworden. Die Erinnerung mochte ihm doch wohl unheimlich sein. Hanna packte das Geld zusammen.
»Da nimm es, lege es fort!« erklärte sie. »Wer weiß, der junge Mann ist vielleicht ruiniert.«
Aber Benno raffte sich auf.
»Wenn er so töricht war, alles zu verspielen, ist er nicht zu bedauern.«
»Hast Du denn gar keine Vorstellung,« forschte sie von neuem, »wer und was er war?«
»Ich glaube Kaufmann oder Beamter,« sagte er. »Ich weiß jetzt nicht einmal, wie er heißt; draußen im Ueberzieher wird seine Karte stecken.«
»Es ist Sündengeld, Benno!« beschwor sie ihn.
»Närrchen!« wehrte er ab. »Ich habe nicht betrogen, ihn nicht beredet, im Gegenteil, zugeredet aufzuhören habe ich ihm. Dennoch schien Benno etwas unruhig. –
»Nein, nein,« beharrte sie, »Du durftest es nicht so weit kommen lassen. Es war vielleicht sein letztes.«
»Nun,« tröstete er sie, »ich sage Dir ja, ich habe ihm Revanche geboten, obgleich ich das nicht mußte. Sei doch nicht töricht, dergleichen kommt im Spiel täglich vor. Und endlich, habe ich nicht oft genug verloren?«
Nun siegte ihre Sparsamkeit.
»Etwas wollen wir behalten, da Du ja doch Glück hattest. Aber die Hälfte – oder sagen wir, die größere Hälfte, darfst Du ihn zurückgewinnen lassen.«
Er lächelte. Das naive Gemüt hatte offenbar keine Vorstellung, wie es beim Spiele zugeht.
»Das läßt sich nicht so machen, wie man will,« sagte er.
»Es wird schon gehen.«
Und sie wünschte ihm Glück, als er nächsten Tages ging. Sie küßte und liebkoste ihn, denn Glück in der Liebe bringt Unglück im Spiel. Aber er kam bald wieder mit dem unberührten Gelde. Der junge Mann war nicht gekommen, und niemand kannte ihn. –
Benno war sehr bedrückt, und das kam ihr doch gar zu sonderbar vor. Wenn ihr Bruder im Spiel gewonnen hatte, so pflegte das ihn ganz und gar nicht zu bedrücken! Verbarg ihr Benno etwas? Immer und immer wieder drang sie in ihn, und endlich erfuhr sie die volle Wahrheit. Zögernd, nur mit halben Worten und sichtlich unter dem Eindruck tiefer Beschämung gestand er ihr: er glaubte bemerkt zu haben, daß es bei jener Partie mit dem Unbekannten – man hatte zu dreien gespielt – nicht ganz reinlich zugegangen war. Jener dritte war eine von den in der Großstadt so häufigen Erscheinungen, die man immer und überall antrifft; bei allen Premieren, auf dem Sattelplatze der Rennbahnen, in den Zirkuslogen und Sensationskonzerten, bei großen Gerichtsverhandlungen, und endlich überall da, wo hoch gespielt wird. Sie kleiden sich nach neuester, englischer Mode, sind stets bei Kasse, benutzen nur Droschken erster Klasse und ziehen ihre hundsledernen Glacés an, wenn sie nachts um zwei Uhr oder später das Café verlassen. Niemand weiß, wovon sie leben, obwohl man sie bei den Namen kennt und ihnen wohl auch in der sogenannten guten Gesellschaft begegnet. Und einer von diesen war es gewesen, der bei jener Partie die Bank gehalten hatte. Mr. Jackson war ihm, Benno, immer ganz besonders antipathisch gewesen: er hatte es auch anfangs abgelehnt, gerade mit ihm zu spielen; als er dann gewann und immer gewann, fehlte ihm selbst der äußere Anlaß dazu. Aber die Banknoten flogen ihm nur so zu und – man darf doch auch nicht leichtsinnig eine Beschuldigung aussprechen – besonders, wenn man im Gewinn ist ... Da – da – schon hatte sich Benno erhoben, weil er diesmal mit voller Sicherheit gesehen zu haben meinte, wie Jackson ein Aß für sich beiseite brachte – eben wollte Benno heftig losfahren, wollte zugreifen, die Hand des unehrlichen Spielers festhalten, da warf der junge Fremde die Karten fort, dazu eine Banknote, welche die letzte Differenz deckte – wohl sein letztes Geld! – und stürzte davon ...
Noch einmal ging Benno in den Wollheimschen Spielsalon, aber er traf den fremden jungen Mann nicht. Auch Mr. Jackson war nicht wiedergekommen ...
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