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. Die Mystik des Novalis ist nicht die der transcendenten Pneumatologen und Theurgen, die in ihrer Seele nach den Geheimnissen forschen. Wohl bin den seine Gedanken an die sichtbare Welt, aber er denkt sie aus ins Unendliche, er fühlt kosmisch. Er bringt das All und Ganze »in Beziehung zu Sophie« wie er sagt, womit er das unendliche Leben meint. Auf die Frage nach der Mystik und dem was mystisch gehandelt werden kann, gibt er die Antwort: »die Religion, die Liebe, die Natur, der Staat;« und: »wenn alle Menschen ein paar Liebende wären, so fiele der Unterschied zwischen Mystizismus und Nichtmystizismus weg.« Es ist, als ob er aus einer fremden ihm ganz vertrauten Welt in die unsere gekommen wäre und er sich diese neue nur mit den Erinnerungen aus der anderen vertrauten zu erklären suchte, um heimisch zu werden, wo nicht seine Heimat ist. Er erfindet kein System, denn die Mystik ist in ihm, er weiß selbst nicht wie – »man kann nur werden, indem man schon ist.« Einen »magischen Idealismus' nennt er seine Mystik, und kein Wort dafür ist besser. Sie ist keine transcendentale Psychologie, die sich mit dem Unbekannten der eigenen Seele beschäftigt und es in Beziehung zur Umgebung bringt, die sie unverändert lässt – seiner Mystik ist die Seele wie eine Heimat Gekanntes, seine Mystik befindet sich immer außerhalb seiner Seele, bei chemischen und mathematischen Problemen, bei Krankheiten und anderen moralischen Zuständen. Dies gibt ihm diese naive Sicherheit, die ihn unbedenklich Aussprüche tun läßt, deren Erlebnis in diesem fragilen Körper lag und deren spezifischer Erotik. Da heißt es unter vielen ähnlichen Gedankengängen: »Ist nicht die Moral, insofern sie auf Bekämpfung der sinnlichen Neigung beruht, selbst wollüstig?« oder »Notzucht ist der stärkste Genuß.« – Wir kennen aus unserer Zeit den prächtigen Dandysmus des Barbey d'Aurevilly und des Baudelaire, diese Gottverehrung durch die Gottbeleidigung in der Sünde, wir haben daraus schon fast Systeme die den Jüngsten vertraut sind. Novalis war der Erste, der aus sich diese dämonische Perversion naiv äußerte. Es ist mehr als dieses ›Subjektivität‹ genannte, das mit Novalis zum erstenmale in der deutschen Literatur zum Ausdruck kam. Die moralische Äußerung dieser Subjektivität war das Maß vor ihm, für das er das psychologische Maß aufstellte. Für die deutsche Kultur, die vielleicht gerade daran war, sich ›im Ganzen, Guten, Schönen‹ einzuwohnen, bedeutete die neue Wertung wohl ein vorläufiges und problematisches Ende, für die deutsche Kunst war sie eine Befreiung, wie sie eine solche von Zeit zu Zeit nötig zu haben scheint, wenn die allzu gut gesteuerten Schiffe auf den Sand laufen.

Novalis schreibt in den Fragmenten diesen Satz: »Es gibt gewisse Dichtungen in uns, die einen ganz anderen Charakter als die übrigen zu haben scheinen, denn sie sind vom Gefühle der Notwendigkeit begleitet, und doch ist schlechterdings kein äußerer Grund zu ihnen vorhanden. Es dünkt dem Menschen, als sei er in einem Gespräch begriffen, und irgend ein unbekanntes, geistiges Wesen veranlasse ihn auf eine wunderbare Weise zur Entwicklung der evidentesten Gedanken. Dieses Wesen muß ein höheres Wesen sein, weil es sich mit ihm auf eine Art in Beziehung setzt, die keinem an Erscheinungen gebundenen Wesen möglich ist. Es muß ein homogenes Wesen sein, weil es ihn wie ein geistiges Wesen behandelt, und ihn zur seltensten Selbsttätigkeit auffordert. Dieses Ich höherer Art verhält sich zum Menschen wie der Mensch zur Natur, oder der Weise zum Kinde. Der Mensch sehnt sich, ihm gleich zu werden, wie er das Nicht-Ich sich gleichzumachen sucht. Dartun läßt sich dieses Faktum nicht, jeder muß es selbst erfahren. Es ist ein Faktum höherer Art, das nur der höhere Mensch antreffen wird. Philosophieren ist eine Selbstbesprechung obiger Art.«

Novalis sagt einmal, er betrachte die ›Schriftstellerei‹ als etwas nebensächliches. Hat er diese auch niemals als seinen ›Beruf gefühlt‹ so galt dieses abwehrende Wort nur für die Zeit, in derer es aussprach, in der er die ›Schriftstellerei‹ noch nicht als die bestimmte Äußerung seiner höchsten Energie empfand, da er noch nicht wie später sagen konnte: »Dichten ist Zeugen. Alles Gedichtete muß ein lebendiges Individuum sein.« Damals war ihm wohl das Wort noch ein Abszeß der Idee, bald findet er im Worte die Kunst.


Novalis' gesamtes Werk, von den ›Hymnen an die Nacht‹ bis zum ›Heinrich von Ofterdingen‹ fällt in die Zeit nach Sophiens Tod und füllt seine letzten drei Lebensjahre. Die schmerzlich-kostbare Erinnerung an seine Braut und sein Leiderlebnis ist ihm immer nah, und der Mystiker findet die magische Schönheit der Worte, wird Dichter, den Novalis nur den ›wahrhaft Besonnenen‹, den ›Seher‹ und ›[*]Magier‹ nennt. Durch dieses ganze Fragment seines kurzen Schaffens geht dieses Erlebnis, das ihn auf sich und aus sich führte, und gibt ihm diese krystallene Stileinheit, diese eine ruhige Harmonie bei allem Wechsel des führenden Tones. Er wird der Herr seiner Gewalten, er gibt ihnen die Ge-* setze der Kunst, die Formen sind, und das philosophische Bedenken der Welt weicht dem Gestalten. Nun schreibt er an Friedrich Schlegel: »Die Philosophie ruht jetzt im Bücherschranke. Ich bin froh, daß ich auch diese Spitzberge der reinen Vernunft durch bin, und wieder im bunten, erquickenden Lande der Sinne mit Leib und Seele wohne.« Novalis hatte die Einheit gefunden, die über dem Erlebten und der Analyse des Erlebten steht und aus beidem das Dritte fördert: das Werk. Er ist so weit, »fremdes Dasein im eigenen aufzulösen«, er »kann sich zu allem machen, was er sieht und sein will«, wie er den Dichter beschreibt; er nennt die Poesie »das absolut Reelle; je poetischer je wahrer«. Er ist der Meister von Saïs geworden, der »hörte, sah, tastete und dachte zugleich. Bald waren ihm die Sterne Menschen, bald die Menschen Sterne, die Steine Tiere, die Wolken Pflanzen; er spielte mit den Kräften und Erscheinungen.« –


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